Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Das ungarische Mediengesetz in der Kritik
"Wichtiger als Euro und EU-Binnenmarkt sind unsere europäischen Grundwerte", sagte Michael Roth (SPD) während der Aktuellen Stunde im Bundestag am Donnerstag, 20. Januar 2011, zum ungarischen Mediengesetz. Zuvor hatten die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag (17/4429) die Bundesregierung aufgefordert, gegenüber der ungarischen Regierung ”unmissverständlich" deutlich zu machen, dass das verabschiedete Gesetz nicht im Einklang mit den gemeinsamen europäischen Werten und Prinzipien stehe.
Roth betonte, die europäischen Grundwerte und insbesondere die Pressefreiheit seien Kern der europäischen Zusammenarbeit und garantierten die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union im Umgang mit totalitären Staaten.
Vor diesem Hintergrund sei das lange Schweigen des Kommissionspräsidenten und des Ratspräsidenten der EU sowie der Bundesregierung unverständlich. Mit ihrem Antrag gemeinsam mit den Grünen hätten es die Sozialdemokraten als ihre Pflicht angesehen, diese Diskussion zu führen.
"Es ist auch unsere Pflicht in Europa als nationale Parlamente, unsere Stimme zu erheben", sagte Roth. Vor dem Hintergrund der heftigen Auseinandersetzungen im EU-Parlament am Vortag betonte er, dass "unsere Kritik dem Gesetz selbst gilt, nicht dem ungarischen Volk".
Demgegenüber kritisierte Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) den Antrag von SPD und Grünen als unangemessen im Zeitpunkt. Es gelte nun zunächst, die Prüfung der Europäischen Kommission abzuwarten.
"Aber schon vorher mit Ihrem Antrag bereits Vorfestlegungen vorzunehmen und zu suggerieren, Sie kennten bereits das Ergebnis dieser Prüfung, ist in der Sache schädlich", warnte Wadephul.
Zwar sei es legitim, unter Freunden kritische Punkte offen anzusprechen, doch seien gerade die Deutschen gut beraten, sich mit Belehrungen zurückzuhalten. "Wir würdigen den Freiheitswillen des ungarischen Volkes und insbesondere seine Leistungen von 1989."
Dem hielt Dr. Diether Dehm von der Linksfraktion ein Zitat des ungarischen Schriftstellers György Konrád entgegen, der gesagt hatte, die 1989 erkämpfte Pressefreiheit in Ungarn werde nun rückgängig gemacht. "Wehret diesen Anfängen", appellierte Dehm an die Bundesregierung und forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, "Ihren Parteifreund stärker in die Pflicht zu nehmen."
Die Vision vom Wettstreit der Ideen ohne Angst und Terror sei ein zartes Gewächs. "Ich befürchte, wir können es nur parteiübergreifend pflegen", sagte Dehm.
Scharfe Attacken musste sich Dehm allerdings vom Liberalen Stefan Ruppert gefallen lassen. "Ungarn gehört zu unseren befreundeten Nationen. Solche Beschimpfungen hat dieses Land nicht verdient", rief Ruppert und sagte an Dehm gewandt: "Gerade Sie als Linke mit Ihrer Vergangenheit sollten besonders auf Ihre Tonlage achten."
Dennoch sei es in der Sache richtig, Grundrechte in Europa ernst zu nehmen. Einige im ungarischen Mediengesetz enthaltene Klauseln könnten "zu weit gedehnt werden", sagte der gelernte Jurist. Dies müsse man auch sagen dürfen.
Zunächst gelte es jedoch, die Prüfung der Kommission abzuwarten und auf dieser Grundlage in aller Ruhe miteinander zu reden. "Ohne Belehrung, aber glasklar in der Sache."
Frithjof Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen) forderte Ruppert auf, sich "nicht hinter juristischen Klauseln zu verstecken." Zwar habe Deutschland den Ungarn viel zu verdanken, und es sei ein Grund zur Freude, dass Ungarn nun die EU-Ratspräsidentschaft innehabe. Dennoch gehöre aber das Mediengesetz auf die Tagesordnung der EU, wenn es gegen europäische Grundwerte verstoße.
Das Gesetz in seiner jetzigen Form sei ein Affront sowohl gegen das ungarische Volk als auch gegen die Europäische Union. Die Bundesregierung müsse daher den ungarischen Premierminister auffordern, das Gesetz bis zum Ende seiner Prüfung auszusetzen.
Auch Dr. Werner Hoyer (FDP), Staatsminister im Auswärtigen Amt, griff in die Debatte ein und betonte, die Bundesregierung habe sich in dieser Frage klar positioniert. "Das ungarische Mediengesetz muss dort geändert werden, wo sich herausstellt, dass es mit europäischen Werten in Konflikt kommt", sagte er.
Nun gelte es für die EU, diese Zweifel gemeinsam mit Ungarn und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auszuräumen. Zwar dürfe man nicht vorschnell urteilen, doch nun müssten durch die Kommission die richtigen Fragen gestellt werden. (jmb)