Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Aktuelle Stunde: Libyen
Im Bundestag herrscht Einigkeit in der Forderung nach einem sofortigen Ende der Gewalt in Libyen. Während einer Aktuellen Stunde am Donnerstag, 24. Februar 2011, verurteilten Redner aller Fraktionen das brutale Vorgehen des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi gegen die demonstrierende Bevölkerung. Unterschiede gab es hingegen in der Frage, wie mit den stetig anwachsenden Flüchtlingsströmen nach Europa umzugehen sei. Während Vertreter der Unionsfraktionen sich dafür aussprachen eine Lösung der Problematik "vor Ort" zu unterstützen, verlangten Oppositionsredner eine Öffnung Deutschlands und der EU für Flüchtlinge.
Die Lage in Libyen sei schlimmer als in Ägypten, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Werner Hoyer (FDP). Die Vorraussetzungen für den Sieg der Freiheit sind ungleich schwerer", betonte er. Die erste Sorge der Bundesregierung, so Hoyer, gelte den deutschen Staatsangehörigen, die sich in Libyen aufhalten würden. Deren Evakuierungsmaßnahmen liefen auf Hochtouren, sagte er.
Der Staatsminister machte auch deutlich, dass die Demonstranten in den nordafrikanischen Ländern "nach Freiheit, aber auch nach Brot rufen". Vor diesem Hintergrund müsse so schnell wie verantwortbar der Tourismus wieder anlaufen. Gleichzeitig müsse aber auch die EU ihre Märkte für Importe aus diesen Ländern öffnen, forderte er.
Das friedliche Aufbegehren sei ein "historischer Meilenstein" befand die SPD-Abgeordnete Angelika Graf. Für die Menschen, die gerade in Libyen um ihre Rechte kämpfen, sei die Lage besonders schwierig, da angesichts jahrelang fehlender Meinungsfreiheit und Rechten der Opposition es besonders schwierig sei, eine Plattform für politisches Handeln zu finden.
Hinsichtlich der Flüchtlingssituation sagte sie, die EU habe hier eine besondere Verantwortung, da sie sich jahrelang "die Flüchtlinge mit der Hilfe von Gaddafi vom Hals gehalten hat". Dieser Verantwortung gelte es gerecht zu werden, indem zum einen den Flüchtlingen in den Nachbarländern Unterstützung für ein menschenwürdiges Leben gewährt und zum anderen Solidarität mit Italien geübt werde, das mit der Flüchtlingsproblematik nicht allein gelassen werden dürfe.
Wenn in der kommenden Woche der UN-Menschenrechtsrat tagt, sitze Libyen dabei, sagte Dr. Andreas Schockenhoff von der Unionsfraktion. "Das ist für mich ein unerträglicher Gedanke", machte er deutlich. Er erwarte, dass Catherine Ashton als Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik dann die richtigen Worte finde. Zudem müsse es eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates geben. Seiner Ansicht nach muss dabei ein UN-Mandat erteilt werden, um die Flüge zu unterbinden, mit denen Gaddafi Söldner zur Niederschlagung der Aufstände ins Land bringen wolle.
Schockenhoff forderte zudem dafür zu sorgen, dass den Menschen in ihrer Heimat "stabile Verhältnisse und wirtschaftliche Perspektiven geboten werden". Seine Fraktion stimme Bundesinnenminister de Maizière zu, der gefordert habe, keine Flüchtlingsströme zu organisieren, sondern Aufbauhilfe zu leisten und Lebensperspektiven in den Heimatländern zu bieten.
Es gebe nichts, womit sich diese "Orgie der Gewalt" durch Gaddafi und seinen Clan rechtfertigen lasse, sagte Wolfgang Gehrcke (Die Linke). Das deutsche Parlament müsse sich schützend an die Seite der Demonstranten stellen, forderte er. Wer jedoch in der Öffentlichkeit über den Einsatz von Militär spekuliere, helfe eher der Familie Gaddafi, sagte Gehrcke. Er halte nichts von den Debatten über eventuelle Flugverbotszonen. Wer diese fordere, müsse auch sagen, wie sie durchgesetzt werden. "Dann sind wir mitten in militärischen Auseinandersetzungen", sagte der Abgeordnete der Linksfraktion.
Zugleich forderte er, statt den EU-Grenzschutz Frontex zu verstärken, eine Öffnung Deutschlands und der EU für Flüchtlinge. Außerdem müssten "sofort und endgültig" die deutschen Waffenlieferungen eingestellt werden.
Die Entwicklung in Nordafrika zeige, dass auch islamisch geprägte Völker zu einer friedlichen Revolution fähig sind, sagte der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. "Sie können das auch ohne unsere Anleitung. Und das ist auch gut so", befand er. Auch Ströbele erinnerte daran, dass "bis vor Kurzem" Gaddafi in Europa noch hofiert worden sei. Eben jener Diktator, der nun "sein eigenes Volk bombardiert".
Es sei ein Fehler gewesen, auf Potentaten zu setzen. "Wir haben gedacht: Stabilität ist wichtiger als Menschenrechte", sagte Ströbele und verlangte: "So kann das nicht weitergehen."
Auf die unterschiedliche Situation Libyens vergleichen mit Tunesien und Ägypten verwies Dr. Rainer Stinner (FDP). In Libyen fehle es schlichtweg an Strukturen, in die sich etwas hineinentwickeln könne, sagte er. Daher sei es richtig gewesen, dass die Bundesregierung hier anders als im Falle von Tunesien und Ägypten reagiert habe. Außenminister Westerwelle habe als erster europäischer Regierungspolitiker "deutliche Worte gefunden".
Stinner kritisierte, dass im Zusammenhang mit der Situation in Libyen gelegentlich von "Völkermord" gesprochen werde. Zum einen sei das - trotz aller Dramatik - nicht angemessen. Zum anderen fordere eine solche Feststellung aber auch unmittelbare Konsequenzen. "Wer von Völkermord spricht, muss auch erklären, wo er die für einen Einsatz benötigten Soldaten hernehmen will", sagte der FDP-Abgeordnete und machte deutlich, dass er nicht bereit sei, über einen Bundeswehr-Einsatz in Libyen nachzudenken. (hau)