Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Regierungserklärung zur aktuellen Lage in Japan
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) hat die geplante dreimonatige Aussetzung der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke (AKWs) verteidigt. Während ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag am Donnerstag, 17. März 2011, zur aktuellen Lage in Japan lehnte sie gleichzeitig einen sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie ab. "Wir brauchen kein Abschaltgesetz, sondern einen Ausstieg mit Augenmaß“, so Merkel.
Im Verlauf der anschließenden Aussprache unterstützen Vertreter der Koalitionsfraktionen das geplante Moratorium und verteidigten das im vergangenen Herbst verabschiedete Energiekonzept. Grünen und Sozialdemokraten warfen sie vor, durch Blockaden beim Bau von Stromtrassen und neuen Kohlekraftwerken den Ausbau erneuerbarer Energien zu verzögern.
Die Oppositionsfraktionen forderten statt des Moratoriums eine sofortige und endgültige Abschaltung der sieben ältesten AKWs und kritisierte das Einknicken der Bundesregierung vor den Interessen der Atomlobby in der Frage der Laufzeitverlängerung.
Ohne Merkels "Kumpanei mit der Atomwirtschaft“ wären alte Meiler wie Biblis A oder Neckarwestheim-1 "schon längst vom Netz“, sagte Sigmar Gabriel (SPD). Als im vergangenen Herbst die Laufzeitverlängerung "durchgepeitscht“ worden sei, habe die Opposition eine vorhergehende Prüfung jedes einzelnen Kraftwerks gefordert.
Dies habe die Bundesregierung jedoch abgelehnt. Zudem seien die Sicherheitsanforderungen an die AKWs "auf Wunsch der Betreiber außer Kraft gesetzt worden“. Gabriel sagte an die Kanzlerin gewandt: "Sie persönlich haben Sicherheit gegen Geld getauscht."
Die Rückkehr zum Ausstiegsgesetz dürfe nun nicht mit dem nächsten "Deal“ erfolgen, sondern durch das Parlament, forderte Gabriel, der Merkel zugleich vorwarf, mit den Ängsten der Menschen "wahltaktisch“ umzugehen.
Merkel hatte zuvor deutlich gemacht, dass nach den Vorfällen in Japan nicht einfach so zur Tagesordnung übergegangen werden könne. Zwar wisse sie, "wie sicher unsere Atomkraftwerke sind“, doch gehe die Bundesregierung nach dem Motto vor: "Im Zweifel für die Sicherheit."
Daher habe sie ein Moratorium mit umfassenden Sicherheitsüberprüfungen verfügt. "Nicht nachvollziehbar“ ist aus Sicht der Kanzlerin die Debatte über rechtliche Fragen der Abschaltung. Bund und Länder seien sich einig, dass dies machbar sei.
Das Atomgesetz sehe angesichts der "neuen Lage“ eine vorübergehende Stilllegung vor, sagte sie. Während dieser Zeit wolle man alles auf den Prüfstand stellen und zugleich "die Energiewende vorantreiben“.
Mit dem Moratorium habe die Regierung "schnell und besonnen gehandelt“, sagte die Vorsitzende FDP-Fraktion, Birgit Homburger. Ihre Fraktion fordere nun eine Überprüfung nach neuesten Sicherheitsstandards.
Homburger machte deutlich, dass eine solche Überprüfung auf "europäischer und internationaler Ebene“ ebenso wichtig sei. Auf den Vorwurf, der Atomausstieg sei ein "Deal im Hinterzimmer“ gewesen, entgegnete Homburger, dass es die rot-grüne Bundesregierung gewesen sei, die seinerzeit "Sicherheitsrabatte“ an die Hersteller gewährt habe.
"Mit uns wird es keinen Sicherheitsrabatt, aber auch kein hektisches Überbordwerfen aller Entscheidungen geben“, sagte die FDP-Abgeordnete und kündigte eine "ergebnisoffene Prüfung“ an.
Homburger kritisierte abschließend SPD und Grüne, die "hocheffiziente Kohlekraftwerke ebenso wie Wasserkraftwerke und den Leitungsausbau“ verhindern würden und forderte: "Beenden Sie den Dauerprotest gegen die Modernisierung der deutschen Energielandschaft.“
"Der 11. März 2011 muss das Ende des nuklearen Industriezeitalters eingeleitet haben“, verlangte der Vorsitzende der Linksfraktion, Dr. Gregor Gysi. Wenn auch bisher die Störfälle von Harrisburg und der Unfall in Tschernobyl offenbar nicht ernst genug genommen worden seien, sei man durch die Vorfälle in Japan "auf tragische Weise“ davon überzeugt worden, dass die Sichtweise, deutsche oder japanische Atomkraftwerke könnten sicher sein, falsch sei.
Gysi warnte zugleich vor der Macht der Atomwirtschaft "auf die Bundesregierung und viele Abgeordnete“. Schon Rot-Grün habe bei seinen Ausstiegsbemühungen mit der Atomlobby gefeilscht. Bundeskanzlerin Merkel habe diesen Kompromiss "auf Drängen der Lobby“ aufgelöst.
"Diese Lobbypolitik gefährdet die Demokratie“, warnte Gysi. An Merkel gewandt sagte er: "Haben Sie den Mut, ihren Irrtum einzugestehen.“ Statt eines Moratoriums, das "täuscht und nicht weiterhilft“, müsse sofort ein endgültiger Ausstieg festgelegt werden, lautete seine Forderung.
"Die Unionsfraktion steht geschlossen hinter dem, was die Kanzlerin vorgetragen hat“, sagte deren Vorsitzender Volker Kauder. Auch die Einschätzung, Deutschland habe die sichersten AKWs, teile man. Dennoch gebe es ein Restrisiko, so Kauder.
Man müsse also fragen: "Welches Risiko tragen wir?“ Vor diesem Hintergrund seien die Äußerungen von Rot-Grün, dass Kernenergie nicht verantwortbar sei, "unglaublich“. Schließlich seien diese Kernkraftwerke als Folge des von Rot-Grün ausgehandelten Kompromisses zwanzig Jahre am Netz gehalten worden.
"Sie haben sich damals den Ausstieg mit Verzicht auf Sicherheit erkauft“, warf Kauder SPD und Grünen vor. Die Koalition hingegen wolle "Sicherheit zuerst“, was sich auch in dem Moratorium zeige. Der CDU-Politiker machte deutlich, dass die Frage der Sicherheit nicht nur national diskutiert werden dürfe, da Deutschland "umgeben von Atomkraftwerken“ sei.
Die rot-grüne Bundesregierung habe mit ihrem Ausstiegsgesetz erstmals die Laufzeiten von Atomkraftwerken begrenzt, sagte der Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin. Aufgrund dieses Gesetzes seien schon drei Atomkraftwerke abgeschaltet worden. Drei weitere wären nach Aussage Trittins in 2011 hinzugekommen.
Diese "Altanlagen“ hätten durch Schwarz-Gelb eine Laufzeitverlängerung um acht Jahre mit "abgesenkten Sicherheitsanforderungen“ erhalten, kritisierte er. Auf den von Merkel angekündigten "Ausstieg nach Augenmaß“ eingehend, verwies Trittin auf Äußerungen von Regierungssprecher Seibert, wonach das Energiekonzept weiter gelte und die Anlagen bis 2040 laufen würden. Für ihn sei das kein Ausstieg nach Augenmaß, sondern eine Bestandsgarantie für eine gescheiterte Technik.
Am Ende stimmte der Bundestag in sieben namentlichen Abstimmungen über Entschließungsanträge der CDU/CSU und FDP (17/5048), der SPD (17/5049), der Linksfraktion (17/5050) und von Bündnis 90/Die Grünen (17/5051, 17/5052) ab. Angenommen wurde mit 308 Ja-Stimmen bei 272 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen lediglich der Koalitionsantrag, in dem Japan "jede erdenkliche Hilfe" zugesagt und zugleich eine umfassende Überprüfung der Sicherheitsbestimmungen für die deutschenf Kernkraftwerke gefordert wird.
Zur weiteren Beratung an den Umweltausschuss überwiesen wurde ein Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Atomgesetzes und zur Wiederherstellung des Atomkonsenses (17/5035). (hau)