Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Historische Debatten (15): Der Irak-Konflikt
60 Jahre Bundestagsgeschichte - das sind 16 Legislaturperioden, acht Bundeskanzler und unzählige Reden, die im Plenum des Parlaments gehalten wurden. Einige Debatten in dieser Zeit waren besonders kontrovers, wie etwa die über die Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands 1952 oder die der Ostverträge 1972. Ein Streifzug durch die bedeutendsten Dispute und Entscheidungen der bisherigen 16 Wahlperioden.
Als in der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 das US-amerikanische Militär begann, mit Marschflugkörpern die irakische Hauptstadt Bagdad zu bombardieren, war klar: Die seit Monaten laufenden internationalen diplomatischen Bemühungen, einen Krieg zu verhindern, waren endgültig gescheitert.
Der Konflikt, in dem insbesondere die USA die irakische Regierung verdächtigten, nicht nur Massenvernichtungswaffen herzustellen, sondern auch enge Kontakte zur Terrororganisation al-Qaida zu unterhalten, war eskaliert. Die militärische Invasion, die zuvor weltweit heftige Diskussionen ausgelöst, Millionen Menschen zu Friedensdemonstrationen auf die Straßen getrieben und außerdem zu deutlichen Verstimmungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis geführt hatte, begann.
Nur eineinhalb Stunden nach Ablauf eines letzten Ultimatums, das US-Präsident George W. Bush dem irakischen Diktator Saddam Hussein gestellt hatte, das Land innerhalb von 48 Stunden zu verlassen, marschierte eine US-geführte Streitmacht in den Irak ein.
Seit November 2002 hatten Waffeninspekteure der Vereinten Nationen das Land auf Grundlage der UN-Resolution 1441 durchsucht, um nachzuweisen, dass Saddam angeblich über verbotene biologische und chemische Waffen verfügte.
Die Suche blieb allerdings erfolglos. Dennoch war der Irak in den Augen der USA die größte Gefahr für die internationale Sicherheit nach der Terrororganisation al-Qaida. Das Land gehöre zur "Achse des Bösen", hatte es Präsident Bush in seiner Rede zu Lage der Nation im Januar 2002 formuliert und gleichzeitig eine härtere Gangart gegen Saddam Hussein gefordert.
Dieser hatte in der Vergangenheit immer wieder UN-Resolutionen verletzt, die ihn seit dem Golfkrieg 1991 unter anderem dazu verpflichteten, die Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu stoppen, zu vernichten und regelmäßig UN-Inspekteure ins Land zu lassen.
Während die USA ein militärisches Eingreifen zur Durchsetzung der UN-Resolution 1441 forderten, zeigte sich Europa in dieser Frage tief gespalten: Staaten wie Großbritannien, Spanien, Italien oder Polen befürworteten einen Krieg, Deutschland, Frankreich und Russland plädierten für eine friedliche Lösung des Konflikts.
Gerade die deutsche Regierung hatte sich schon früh gegen eine Ausweitung des von den USA nach dem 11. September begonnenen "Kriegs gegen den Terror" auf den Irak ausgesprochen.
Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) war es, der im Februar 2002, anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz, die amerikanische Politik erstmals öffentlich kritisierte und damit eine internationale Debatte auslöste.
Rückendeckung erhielt er von Bundeskanzler Dr. Gerhard Schröder (SPD), der in einem Treffen mit Intellektuellen im Kanzleramt im März 2002 ebenfalls seine Ablehnung gegenüber einem militärischen Alleingang der USA bekundete. Eine deutsche Beteiligung an einem Irakkrieg komme nur mit einem UN-Mandat in Frage, betonte der Kanzler.
Eine Position, die er später allerdings revidierte: Bereits im Bundestagswahlkampf 2002 hatte Schröder einer deutschen Beteiligung an einem Irakkrieg eine klare Absage erteilt - und sich damit den entscheidende Vorsprung gegenüber seinem Herausforderer Edmund Stoiber (CSU) auf den Wahlsieg sichern können.
Wenige Monate später, bei einer Wahlkampfveranstaltung im Vorfeld der niedersächsischen Landtagswahl im Januar 2003, kündigte Schröder dann an, dass Deutschland auch einer UN-Resolution, "die den Krieg legitimiere", im Sicherheitsrat der UNO nicht zustimmen werde.
Für diese Aussage geriet Schröder nicht nur international ins Kreuzfeuer der Kritik, am 13. Februar 2003 ging auch die Opposition im Bundestag hart mit der Regierung ins Gericht. In einer Regierungserklärung hatte der Bundeskanzler die eigene Position erklärt und verteidigt. Ziel der internationalen Bemühungen müsse es sein, den Waffeninspekteuren im Irak auf der Grundlage der UN-Resolution 1441 wieder die Arbeit zu ermöglichen, sagte Schröder.
Die Bundesregierung setze sich daher für eine Entwaffnung des Irak auf friedlichem Weg ein. Zusammen mit Frankreich erarbeite Deutschland derzeit einen "Plan zur vollständigen und dauerhafte Abrüstung" des Irak. Eine "militärische Option" hingegen lehnte der SPD-Chef strikt ab: Der Krieg berge das Risiko, "die Reform- und Dialogbereitschaft in den islamischen Ländern zu blockieren und die Gefahr weiterer terroristisch motivierter Anschläge", so der Bundeskanzler.
Die Oppositionsführerin und CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Dr. Angela Merkel warf ihm dagegen vor, auf dem "Irrweg" zu sein. Mit seiner Ankündigung, auf keinen Fall eine Resolution im UN-Sicherheitsrat zu unterstützen, habe er den Krieg "wahrscheinlicher gemacht". Der Druck auf Saddam Hussein sei gesunken, behauptete Merkel.
Schröders "Sonderweg" habe "außenpolitischen Schaden" angerichtet: Nicht nur Europäische Union, Nato und Vereinte Nationen seien durch sein international nicht abgestimmtes Nein geschwächt worden, monierte die Politikerin, Deutschland sei nun auch isoliert. "Solange Schröder in Berlin regiert, wird Washington ihn als Gegner sehen, in Paris und London gilt er als überambitionierter Amateur."
Außenminister Joschka Fischer wies diese Kritik jedoch als "Stilfrage" zurück. Eigentlich gehe es doch um die Frage, wie man die Irakkrise lösen könne "ohne weitere Destabilisierung". Ein Krieg sei dafür jedenfalls nicht das geeignete Mittel: "(...) wir können doch nicht allen Ernstes Kriege zum Zweck der Abrüstung von Massenvernichtungswaffen zur Strategie erheben."
Fischer hielt Merkel vor, im Parlament nicht offen dazu zu stehen, dass sie, "wenn es nicht anders gehe, eine militärische Beteiligung Deutschlands" befürworte. Er selbst forderte stattdessen, die Inspektionen im Irak zu verschärfen. Diese böten eine "wirkliche Alternative" zum Krieg, so Fischer.
Der FDP-Vorsitzende Dr. Guido Westerwelle griff in seiner Rede Bundeskanzler Schröder scharf an: Dass er die Opposition als "Allianz der Willigen zum Krieg" bezeichne und als "Kriegstreiber" darstelle, die Koalition dagegen als "Friedensfreunde", sei ein "Tiefpunkt der Kultur in diesem Hause".
Tatsächlich verhalte es sich umgekehrt, erklärte Westerwelle: "Sie machen den Krieg wahrscheinlicher und wir sind mehr für den Frieden, als Sie es mit ihrer Politik je erreichen können." Er beschuldigte die Regierung zudem, den Irakkonflikt für die Innenpolitik zu instrumentalisieren: "Ihnen geht es nicht um die Außenpolitik, sondern darum, dass eine ins Schwanken geratene Regierung noch einmal einen Anker erwischt!"
Die fraktionslose Abgeordnete Petra Pau (PDS) kritisierte hingegen, es gehe denen, die eine kriegerische Auseinandersetzung befürworteten, "weder um die Menschenrechte noch um den Diktator Saddam Hussein, sondern um eine "militärische Neuordnung der Welt".
Krieg löse aber keine Probleme, mahnte die Politikerin und forderte, der Bundestag solle beschließen, dass sich Deutschland weder indirekt noch direkt am einem Krieg beteiligt.
Zwei Tage nach der Bundestagsdebatte kam es am 15. Februar 2003 weltweit zu Massendemonstrationen gegen den drohenden Irak-Krieg: Die größten Kundgebungen fanden in Spanien, Italien und Großbritannien statt: In Barcelona, Rom und London gingen jeweils über eine Million Menschen für eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts auf die Straße.
Auch in Berlin protestierten Hunderttausende - es war eine der größten Friedensdemonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik.
Den Krieg konnten die Proteste aber ebenso wenig verhindern, wie die gleichzeitig weiterlaufenden diplomatischen Bemühungen: Nach der Invasion am 20. März 2003 nahmen US-Truppen die irakische Hauptstadt Bagdad im April 2003 ein und stürzten das Regime Saddam Husseins. Der Diktator selbst wurde im Dezember 2003 gefasst und drei Jahre später, am 30. Dezember 2006, durch die irakische Justiz hingerichtet.
Im Mai 2003 verkündete dann US-Präsident Bush das Ende der Kampfhandlungen. Die Besatzung des Iraks endete rund ein Jahr später, im Juni 2004. Truppen der Kriegskoalition blieben dennoch im Land stationiert, denn die Sicherheitslage war äußerst fragil. Erst im August 2010 verließen die letzten amerikanischen Soldaten das Land. In siebeneinhalb Jahren wurden mehr als 4.400 amerikanische Soldaten im Irak getötet und knapp 32.000 verletzt. In der gleichen Zeit kamen schätzungsweise rund 100.000 irakische Zivilisten ums Leben. (sas)