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Der Bundestag hat mit Betroffenheit und Bestürzung auf die neonazistische Mordserie in Deutschland reagiert und ihrer Opfer gedacht. Man sei "beschämt, .dass die Sicherheitsbehörden der Länder wie des Bundes die über Jahre hinweg geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern konnten", sagte Parlamentspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert am Dienstag, 22. November 2011, zu Beginn der Plenarsitzung des Bundestages in Berlin. Zugleich äußerte er "eine besondere Bitte der Entschuldigung für manche Verdächtigungen von Opfern und Angehörigen, die sie während der Ermittlungen vor Ort erleben mussten".
Lammert fügte hinzu: "Wir sind fest entschlossen, alles mit den Mitteln des Rechtsstaates Mögliche zu tun, die Ereignisse und ihre Hintergründe aufzuklären und sicherzustellen, dass der Schutz von Leib und Leben und die von unserer Verfassung garantierten Grundrechte in diesem Land Geltung haben ‑ für jeden, der hier lebt, mit welcher Herkunft, mit welchem Glauben und mit welcher Orientierung auch immer."
Nach einer knapp zweistündigen Debatte über die Mordserie verabschiedete das Parlament einstimmig einen gemeinsamen Entschließungsantrag aller fünf Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen (17/7771), in denen sich die Abgeordneten "zutiefst beschämt" darüber zeigen, "dass nach den ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes rechtsextremistische Ideologie in unserem Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringt".
Zugleich unterstreicht der Bundestag in dem Beschluss die Entschlossenheit, "sowohl die politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten und ihren Verbündeten vertieft fortzusetzen als auch die unabdingbaren Konsequenzen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden rasch zu ziehen".
Die Bundesregierung forderten die Abgeordneten auf zu prüfen, "ob sich aus den Ermittlungsergebnissen Konsequenzen für ein NPD-Verbot ergeben". Auch müsse man alle demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren. "Wir werden prüfen, wo dem Hindernisse entgegenstehen. Wir brauchen eine gesellschaftliche Atmosphäre, die ermutigt, gegen politischen Extremismus und Gewalt das Wort zu erheben", heißt es in dem Beschluss weiter.
In der Debatte nannte Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU) die Morde einen "Angriff auf unsere Gesellschaft, auf unsere freiheitliche Ordnung, auf unsere Demokratie". Er plädierte zugleich für eine bessere Verzahnung von Polizei und Verfassungsschutz sowie zwischen Bund und Ländern. Er verwies auf die für den Bereich des islamistischen Terrors eingerichtete Verbunddatei, in der unterschiedliche Behörden Informationen einspeisen können.
Etwas ähnliches wolle man nun für den Bereich des Rechtsextremismus auf den Weg bringen. Auch wolle man ein Gemeinsames Abwehrzentrum (GAZ) gegen Rechtsextremismus etablieren, kündigte der Minister an. Dieses solle "schon bald seine Arbeit aufnehmen - in der Hoffnung, dass auch alle Länder sich an diesem GAZ beteiligen werden".
Bei der Frage, welche Informationen über Extremisten gespeichert werden dürfen, soll nach Friedrichs Worten zudem nicht mehr zwischen gewaltbereiten und gewaltfreien Personen unterschieden werden. Man müsse dafür sorgen, dass "diese Unterscheidung aufgehoben wird" und über alle Extremisten ein Lagebild erstellt werden könne. Ferner sprach er sich dafür aus, die Länder zu verpflichten, aus ihren Verfassungsschutzbehörden Erkenntnisse "ungefiltert und unbewertet" bei den Bundesbehörden "anzuliefern". Dies liege aber in der Hand seiner Länder-Kollegen, mit denen man dies besprechen werde.
Zur Diskussion über ein erneutes NPD-Verbotsverfahren sagte Friedrich, er habe "keine Zweifel, dass es sich bei der NPD um eine verfassungsfeindliche Partei handelt". Das für ein Verbot erforderliche Abschalten von V-Leuten sei indes mit einem Risiko verbunden. Er halte die V-Leute "für ein wichtiges und unverzichtbares Frühwarnsystem in der Szene". Dennoch werde man prüfen müssen, ob man "in einer Abwägung von Risiko und Möglichkeit" ein solches Verbotsverfahren dennoch mit Erfolg durchführen kann.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte, nun sei "die Stunde der Demokraten". Man sei sich einig, dass es eine schonungslose Analyse von Fehlern, Defiziten und Versäumnissen geben müsse. Aus dieser Analyse werde man dann die richtigen Konsequenzen ziehen. Dabei bestehe Einigkeit, dass dies nur unter Beachtung des Trennungsgebotes erfolgen könne, das ein Nein zu gemeinsamen operativen Aktionen von Polizei und Verfassungsschutz sage.
Mit Blick auf die NPD fügte die Ministerin hinzu, es dürfe auf keinen Fall ein Verbotsverfahren eingeleitet werden, das nicht eine ausreichende Erfolgsaussicht hat. Sie bekräftigte zugleich, aus ihrem Haushalt als "kleines Zeichen" eine Entschädigung an Angehörige der Mordopfer zahlen zu wollen.
SPD-Fraktionschef Dr. Frank-Walter Steinmeier kritisierte, der Staat habe auf beschämende Weise bei der Aufgabe versagt, dafür zu sorgen, dass Bürger in Sicherheit leben können. Dies müsse Konsequenzen haben. Neben einer lückenlosen Aufklärung brauche man auch ein Ende der Verharmlosung rechtsextremer Gewalt. Obwohl es seit 1990 annähernd 140 Opfer solcher Gewalt gegeben haben solle, sei es "ganz offenbar die Grundphilosophie der Sicherheitsbehörden" geblieben, dass es in Deutschland keinen organisierten gewalttätigen Rechtsterrorismus gebe.
Nachdrücklich sprach sich Steinmeier dafür aus, Hindernisse für ein erneutes NPD-Verbotsverfahren zu beseitigen und die V-Leute abzuschalten. Zugleich warf er Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder (CDU) vor, Menschen unter "linksextremen Generalverdacht" gestellt zu haben, die gegen rechtsextreme Gewalt und Propaganda ankämpften. Es sei einer Demokratie nicht würdig, diese Menschen unter einen "Gesinnungs-TÜV" zu stellen, fügte Steinmeier mit Blick auf die sogenannte Extremismusklausel hinzu, die Träger von Projekten gegen Extremismus unterzeichnen müssen, wenn sie Fördergelder vom Bund erhalten wollen.
Der Vorsitzende der Linksfraktion, Dr. Gregor Gysi, forderte die Streichung der Extremismusklausel. Alle Programme und Projekte gegen Rechtsextremismus seien so zu ändern, "dass linke und andere demokratische Kräfte nicht mehr ausgeschlossen werden". Er begrüßte, dass man sich fraktionsübergreifend geeinigt habe, die Mittel dafür nicht zu kürzen.
Gysi mahnte zudem eine "vollständige Aufklärung dieses Rechtsterrorismus und aller Umstände hinsichtlich des Handelns der Sicherheitsbehörden" an und plädierte für eine schnelle und großzügige Entschädigung für die Angehörigen der Opfer. Auch verlange seine Fraktion eine Abschaltung der V-Leute und anschließende Einleitung eines NPD-Verbotsverfahrens. Ferner bedürften Neonazi-Gegner "in sogenannten national befreiten Zonen" sofortiger ideeller und materieller Unterstützung.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sprach von einer "Legitimationskrise der Sicherheitsbehörden". Die Verfassungsschutzämter seien "viel mehr fokussiert auf Linksextremismus" und hätten eine "Blindheit gegenüber der rechten Seite". Nun sei eine transparente, öffentliche Aufklärung notwendig: "Wir wollen wissen, wer was wusste und was unternommen hat oder nicht unternommen hat - und da reicht uns kein Ermittler. Wir wollen Untersuchungsausschüsse und schriftliche Berichte, in die jeder blicken kann", sagte Künast.
Sie forderte zudem ebenfalls, die Extremismusklausel zu streichen, bei der "die, die gegen Rechtsextreme kämpfen, selber erst erklären müssen, dass ihre Kämpfer und Mitkämpfer auf dem Boden des Grundgesetzes stehen". Dies sei "eine Anfeindung gegenüber diesen Menschen", argumentierte Künast. Auch "die Kofinanzierung von 50 Prozent bei den Projekten" müsse weg.
Der CDU-Abgeordnete Hermann Gröhe betonte, man brauche ein Klima der Ermutigung der Menschen, die gegen rechtsextreme Gewalt vorgehen.
Es habe aber nichts mit Generalverdacht zu tun, ein Bekenntnis zur Demokratie zur Grundlage der öffentlichen Förderung zu machen.
Der FDP-Parlamentarier Christian Lindner mahnte, sich den Sympathisanten der NPD und aller anderer Extremisten entgegenzustellen. Dafür werde die Koalition "die Mittel der wehrhaften Demokratie gegenüber der Haushaltsplanung wieder erhöhen".
Er unterstrich zugleich, dass man die Demokratie nur mit Demokraten verteidigen könne. (sto)