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Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hat zu Beginn der Plenarsitzung am Donnerstag, 19. Januar 2012, an den 200. Geburtstag des führenden Repräsentanten der Zentrumspartei im 19. Jahrhundert, Ludwig Windthorst, erinnert. Windthorst sei eine große Abgeordnetenpersönlichkeit, "die wie kaum eine andere die deutsche Parlamentstradition verkörpert". Der am 17. Januar 1812 in Ostercappeln bei Osnabrück geborene Windthorst war nach den Worten Lammerts wichtigster innenpolitischer Gegenspieler Otto von Bismarcks und im Urteil des Historikers Golo Mann einer der "genialsten Parlamentarier, den Deutschland je besaß".
Nach einer vergeblichen Kandidatur für die Frankfurter Nationalversammlung, seiner Wahl in die Zweite Kammer der Ständeversammlung des damaligen Königreichs Hannover, dem er für zwei Jahre auch als Justizminister diente, wurde er 1867 in das Parlament des Norddeutschen Bundes und schließlich 1871 in den Reichstag gewählt, dem er bis zu seinem Tod 1891 20 Jahre ununterbrochen angehörte.
"Ludwig Windthorst war nicht nur einer der ersten Berufsparlamentarier, er ist auch unübertroffen der redefreudigste Abgeordnete aller Zeiten gewesen", sagte Lammert. "Über 2.000 Mal soll er das Wort in den Parlamenten, denen er angehört hat, ergriffen haben ‑ fast immer kurz und prägnant und im Reichstag fast immer von seinem Platz aus. In dieser Beziehung hat er, was ich persönlich bedauere, nicht wirklich stilbildend gewirkt."
Wenn Reichskanzler Otto von Bismarck in seiner großen Zeit überhaupt einen parlamentarischen Widersacher und Opponenten gehabt habe, den er ernst nahm und nehmen musste, dann sei es Ludwig Windthorst gewesen. Sein härtester Gegner sei zugleich sein größter Bewunderer gewesen.
"Heute hängen die Porträts der beiden Antipoden im Salon der Parlamentarischen Gesellschaft einträchtig nebeneinander, in der sich Ludwig Windthorst vermutlich deutlich wohler fühlen würde als Otto von Bismarck, der seine Missachtung des Parlaments nur selten verbergen konnte und wollte", sagte der Bundestagspräsident.
Ludwig Windthorst, einer der Wegbereiter des demokratischen Rechtsstaats, habe es im Spannungsfeld zwischen Staat und Kirche, Politik und Religion nie an persönlicher Unabhängigkeit und an eigener Urteilsbildung fehlen lassen, betonte Lammert. Mit einem unbändigen Elan und mit einer souveränen Sturheit habe er die Wahrung von Menschenrechten und insbesondere die Rechte von Minderheiten verteidigt.
„Ich werde das Recht, welches ich für die Katholiken und für die katholische Kirche und deren Diener in Anspruch nehme, jederzeit vertreten, auch für die Protestanten und nicht minder für die Juden. Ich will eben das Recht für alle", zitierte Lammert eine Aussage Windthorsts aus dem Jahre 1880. Im preußischen Kulturkampf habe Windthorst ganz selbstverständlich die Interessen der Kirche gegenüber dem Staat vertreten, und er habe genauso wenig gezögert, mit den Sozialdemokraten gegen das Sozialistengesetz zu stimmen.
"Ludwig Windthorst wurde vor 200 Jahren in ein Deutschland hineingeboren, das mit dem Land, in dem wir heute leben ‑ von der Geografie einmal abgesehen ‑, nicht viele Ähnlichkeiten hatte. Dass daraus der freiheitliche demokratische Rechtsstaat wurde, dass daraus eine gefestigte parlamentarische Demokratie wurde, die wir heute längst als schiere Selbstverständlichkeit ansehen, das verdanken wir Persönlichkeiten vom Format eines Ludwig Windthorst. Ihnen gebührt unsere dankbare Erinnerung und unsere Hochachtung", sagte Lammert abschließend. (vom)