Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > Oktober 2011 > Experten begrüßen Erneuerbare Energien in Entwicklungsländern - warnen jedoch vor Euphorie
Im ersten Teil einer Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ging es am Mittwoch um die Frage, inwieweit die nordafrikanischen Länder von Desertec, einem groß dimensionierten geplanten Solarstrom-Projekt in der Sahara, profitieren können. Im zweiten Teil diskutierten die Abgeordneten mit den Sachverständigen Potenzial und Grenzen kleiner dezentraler und lokaler Energielösungen in Entwicklungsländern.
Paul van Son von der Desertec Industrial Initiative nannte die Gewinnung von Wüstenstrom einen „Motor für eine nachhaltige Entwicklung in Nordafrika und in den Ländern des Nahen Ostens.“ Er verwies auf einen damit verbundenen Technologie- und Know-How-Transfer zwischen Europa und Nordafrika, auf Arbeitsmöglichkeiten beim Bau und Unterhalt der Anlagen für die Bevölkerung, Innovationsimpulse für die Forschung und Einnahmen aus dem Stromexport für die Staaten. Eine eigenständige, sichere und von Öl unabhängige Energieversorgung aus Wüstenstrom biete nordafrikanischen Ländern darüber hinaus bessere Voraussetzungen, um Industrien anzusiedeln, sagte van Son.
Albrecht Kaupp von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bremste den Optimismus seines Vorredners: Der Export von Solarstrom aus der Region sei beim derzeitigen Stand der Technik nur eine Option für die Länder Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen über Unterseekabel im Mittelmeer. Schwerwiegender noch sei die Frage der Strompreise: „Können wir uns Solarstrom zum Eigenverbrauch leisten, ohne vorerst einmal die Stromtarife drastische anzuheben mit allen damit verbundenen politischen Konsequenzen?“ – dies sei die stets wiederkehrende Frage in Gesprächen mit Regierungen und Parlamentariern dieser Länder. Stromsubvention habe eine große Bedeutung in dieser Region, sagte Kaupp. Bevor es also um das Zukunftsprojekt Stromexport nach Europa gehe, müssten zunächst einmal „schlechte Subventionen“ in Öl und Gas in „gute Subventionen“ für Strom aus Erneuerbaren Energien umgeschichtet werden.
Auch Adel Khalil vom Regionalen Zentrum für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz in Kairo (RCREEE) plädierte für eine Neuausrichtung von Energiesubventionen in den Staaten der Region. Das Projekt einer Energiepartnerschaft zwischen Europa und Nordafrika sei jedoch grundsätzlich eine Win-win-Situation. Ein Quadratkilometer Wüste biete das Äquivalent von 2 Millionen Barrel Öl. Bau und Unterhalt von Solarkraftwerken würden zwischen drei und zehn Arbeitsplätze pro Megawatt Leistung vor Ort schaffen, sagte Khalil. Allerdings stehe das Projekt vor zwei gewaltigen Herausforderungen: Den „riesigen Investitionsbedarf“ könnten nicht die nordafrikanischen Länder allein stemmen, zum zweiten müsste der Strompreis aus Erneuerbaren Energien in Europa wettbewerbsfähig und zugleich in Nordafrika für die Verbraucher bezahlbar sein.
Stephan Opitz von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) lenkte den Blick auf eine ganz andere Herausforderung: „Mehr als eine Milliarde Menschen hat gar keinen Zugang zu Strom“, 2,7 Milliarden Menschen müssten sich zum Kochen auf Holz oder Dung verlassen. Dezentrale Solaranlagen, so genannte „Solar-Home-Systems“ würden nur bedingt Abhilfe schaffen. Sie könnten zwar Strom für Licht, Mobiltelefone, Radio oder Fernsehen liefern, kaum aber zum Kochen und zum Heizen verwendet werden oder gar für den Einsatz von Maschinen oder zur Einspeisung ins Stromnetz, um daraus ein zusätzliches Einkommen zu gewinnen. Potenzial liege für „Solar-Home-Systems“ in entlegenen Gegenden ohne Stromversorgung, um dort zum Beispiel die unter dem Strich teureren Dieselgeneratoren zu ersetzen. Größte Hürden stellten die hohen Investitionskosten für die betroffenen Menschen dar sowie ein „fehlender und schwieriger Zugang“ zu Finanzierungsmöglichkeiten, erläuterte Opitz.
Auch Joy Glancy von der Universität Twente (Niederlande) unterstrich diesen Punkt: Vor allem Frauen in Entwicklungsländern verfügten nicht über Landbesitz und damit auch nicht über Sicherheiten, um Kleinkredite aufzunehmen. Die betroffenen Menschen benötigten finanzielle Hilfen: „Wenn man sich in diesem Bereich nur auf Marktmechanismen verlässt, führt das nicht zum Erfolg“, sagte Glancy. Ausgangspunkt bei entwicklungspolitischer Unterstützung sollte überdies zunächst nicht die Frage sein, welcher Energieträger der nachhaltigste sei, sondern die Frage: „Was sind die Bedürfnisse der Verbraucher vor Ort?“
Volker Wachenfeld von der SMA Solar Technology AG nannte dezentrale Solarstromnutzung bei allen genannten Grenzen als geeignetes Instrument, um „Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten“. Vielversprechend sei etwa der Aufbau lokaler Solarstromversorgungen für ganze Dörfer mit Mikronetzen. Solche Anlagen hätten den Vorteil, bei Bedarf erweiterbar zu sein, seien wegen der notwendigen Technik zur Speicherung auf die Kilowattstunde herunter gerechnet aber auch teuer. Das Problem sei oft, dass eine Dorfgemeinschaft nicht die Mittel für eine solche Investition aufbringen könne.
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