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Keine neuen Impulse, dafür eine zu starke Konzentration auf ältere Menschen und den Bereich Technik. Das waren die Hauptkritikpunkte der Opposition an der Forschungsagenda für den demografischen Wandel, die das Plenum am Freitag, 27. Januar 2012, diskutierte. Die Koalition verteidigte das als Unterrichtung (17/8103) vorliegende Papier als "konsequenten Schritt voran", der dem Wohl aller Generationen dient. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wird die Bevölkerung in Deutschland von derzeit rund 82 Millionen Menschen auf 65 bis 70 Millionen im Jahr 2060 zurückgehen. Gleichzeitig wird der Anteil der Älteren steigen: Während laut Statistischem Bundesamt der Anteil der unter 20-Jährigen bis 2030 von heute 19 Prozent auf 17 Prozent sinken wird, wird die Zahl der 65-Jährigen und Älteren bis 2030 um ein Drittel auf 29 Prozent steigen.
Die deutsche Gesellschaft werde weniger, älter und kulturell vielfältiger, sagte Forschungsministerin Prof. Dr. Annette Schavan (CDU). Die Forschungsagenda mit dem Titel "Das Alter hat Zukunft" setze dort an: Es gehe um die Organisation des Miteinanders der Generationen unter veränderten demografischen Verhältnissen.
Die Forschungsagenda sei ein Beispiel für "die Begleitprozesse, die die neue Gestaltungsaufgabe prägen sollen“, sagte Schavan. Wie sie weiter ausführte, verfolgt die Agenda einen interdisziplinären Kurs und betrifft die Programme verschiedener Ressorts. Sie wies darauf hin, dass es nicht vorrangig um technische Entwicklungen gehen soll. So mache Technik etwa im Bereich Pflegeforschung nur einen Teil aus.
An dieser Aussage entzündete sich Kritik: Die Forschungsagenda reduziere sich auf technische Ansätze, kritisierte die forschungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Dr. Petra Sitte. Von den von der Bundesregierung für die Forschungsagenda in den Jahren 2012 bis 2016 vorgesehenen 415 Millionen Euro, flössen allein 360 Millionen in Technologieentwicklung. Soziale Innovationen müssten jedoch gleichermaßen berücksichtigt werden.
Die Bundesregierung habe mit der Forschungsagenda Erwartungen geweckt, aber nicht erfüllt, lautete Sittes Fazit. "Sie beschreiben lyrisch eine Mission", meinte sie. Aber konkrete Inhalte, Projekte und Mittel suche man vergebens. Zudem spielten neben einem Rückgang der Geburtenrate und dem Älterwerden der Gesellschaft auch Zu- und Abwanderung, regionale Unterschiede in der Bevölkerungsentwicklung und die wachsende Zahl von Migranten eine Rolle für die demografische Entwicklung.
Die Forschungsagenda sei zu stark auf ältere Menschen konzentriert, sagte Franz Müntefering (SPD). Zum demografischen Wandel gehörten jedoch alle Generationen – und hier spielten zu einem großen Teil soziale Faktoren eine Rolle. Es sei "kein Hedonismus", dass junge Menschen immer weniger Kinder kriegen. Wie solle eine Familiengründung möglich sein, wenn man nur einen einjährigen Arbeitsvertrag hat, wollte Müntefering wissen: "Darauf geben Sie keine Antworten."
Auch die zunehmende Zahl alleinstehender pflegebedürftiger Menschen werde ausgeklammert, kritisierte René Röspel (SPD). Menschen mit Behinderungen tauchten ebenfalls nicht in der Forschungsagenda auf. Die "wirklich interessanten Fragen berühren sie nicht", konstatierte er.
"Alter Wein in neuen Schläuchen", urteilte die demografiepolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Tabea Rößner, über die Forschungsagenda für den demografischen Wandel. Viele der genannten Forschungsvorhaben liefen bereits seit Jahren, sie seien lediglich mit "neuen Etiketten" versehen worden
Der demografische Wandel sei bereits Realität, betonte Rößner. Die Regierung habe zwar die Forschungsagenda, den Demografiebericht und Konzepte, aber keinen Plan, wie sie diese umsetzen solle. So sei unklar, wie der demografische Wandel mit Ländern und Kommunen zusammen gestaltet werden soll.
Die Forschungsagenda dokumentiere die unterschiedlichen Facetten des demografischen Wandels, fand dagegen Ewa Klamt (CDU/CSU). Jedoch müsse bei allen Überlegungen der Mensch im Mittelpunkt stehen, deswegen seien auch explizit die Geistes- und Sozialwissenschaften in die Agenda aufgenommen worden.
Mit der Agenda werde Effektivität gewährleistet und Doppelstrukturen vermieden, sagte Klamt. Das Forschungsministerium fungiere als zentrale Koordinierungsstelle. Auf die Kritik der Opposition, es gebe keine konkreten Ansätze, wies sie auf 20 Forschungsprojekte zum Alter hin, die ab diesem Jahr von der Bundesregierung gefördert werden.
Für die FDP-Fraktion wies Dr. Peter Röhlinger darauf hin, dass sich aus dem demografischen Wandel zwei Verpflichtungen ergäben. Einerseits müsse der Gesetzgeber für den Rahmen sorgen, die die gesellschaftliche teilhabe aller garantiere. Andererseits müsse der Einzelne seine Eigenverantwortung – etwa im Rahmen gesundheitlicher und finanzieller Vorsorge – wahrnehmen. "Altersarmut ist für mich kein Tabu", sagte Röhlinger.
Ziel müsse sein, dass alle Menschen in Deutschland gesund älter werden, das heißt eine gute psychische und physische Konstitution hätten. In diesem Sinne rief der 72-Jährige seinen Abgeordneten-Kollegen ein fröhliches "Carpe Diem" zu. Aus eigener Erfahrung könne er sagen: "Freuen Sie sich auf das Alter." (tyh)