Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2012 > Vertrauensfrage Schmidt
Das eine gilt als Waffe des Parlaments, das andere als Druckmittel des Kanzlers. Und doch dienen die Regelungen, die das Grundgesetz für das konstruktive Misstrauensvotum und die Vertrauensfrage festlegt, ein und demselben Zweck: Sie sollen dafür sorgen, dass Regierungskrisen schnell überwunden werden und kein Zustand eintritt, in dem das Land keine handlungsfähige Regierung besitzt. In der 60-jährigen Bundestagsgeschichte wurde bislang fünf Mal von einem Regierungschef die Vertrauensfrage gestellt, zwei Mal versuchte das Parlament, den Kanzler per Misstrauensvotum zu stürzen. Vor 30 Jahren, am 3. Februar 1982, war es Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), der dem Parlament die Vertrauensfrage stellte.
Er war der zweite Bundeskanzler - und nach Willy Brandt auch der zweite Sozialdemokrat in diesem Amt -, der in seiner Regierungszeit die Vertrauensfrage stellte. Doch hatte Brandt dieses Instrument zehn Jahre vorher genutzt, um die Abstimmung gezielt zu verlieren und Neuwahlen herbeizuführen, so war Schmidts Vertrauensfrage im Februar 1982 der Versuch, sich der Regierungsmehrheit zu versichern, da nach acht Jahren die sozialliberale Koalition zerrüttet war.
Die Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 hatten SPD und FDP nach einem polarisierenden Wahlkampf mit deutlicher Mehrheit gegen die Union gewonnen, doch bald erwies sich insbesondere die Debatte um den Nato-Doppelbeschluss für beide Koalitionspartner als große Belastungsprobe.
Im Mai 1981 drohten sowohl Schmidt als auch sein Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher (FDP) ihren Fraktionen mit Rücktritt, sofern diese ihnen nicht in der Frage des Nato-Doppelbeschlusses folgten. Die Unterzeichnung des Vertrages am 12. Dezember 1979 hatte in der Bevölkerung zu Protesten geführt. (sas)
Der Beschluss sah nämlich zwar Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion vor, für den Fall des Scheiterns dieser Verhandlungen aber auch die Möglichkeit einer Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Europa.
Der Widerstand gegen diese Nachrüstung wuchs - und fand zunehmend auch unter SPD-Mitgliedern Sympathisanten. Helmut Schmidt, Initiator und Befürworter des Nato-Doppelbeschlusses, konnte sich der Unterstützung seiner eigenen Partei nicht mehr sicher sein.
Doch auch der wirtschaftspolitische Kurs des Kanzlers sorgte für Zündstoff in der Koalition: Insbesondere in der Frage, wie am besten auf die Wirtschaftskrise und die steigende Arbeitslosigkeit zu reagieren sei, nahmen die Differenzen zwischen FDP und SPD zu. Schmidts arbeitsmarktpolitisches Programm war in der Koalition heftig umstritten.
Als der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner in der Öffentlichkeit Zweifel äußerte, ob alle Abgeordneten der Regierungsparteien diesen Kurs mittragen würden, sah sich Bundeskanzler Schmidt zur Flucht nach vorne gezwungen. Ebenfalls öffentlich betonte er, dass das arbeitsmarktpolitische Programm seiner Regierung sicher die Zustimmung des Parlamentes fände.
Dennoch brachte Schmidt am 3. Februar 1982 den Antrag ein, dass der Deutsche Bundestag ihm sein Vertrauen aussprechen möge. Ein ebenso demonstrativer wie gewagter Schritt, da der Bundeskanzler die Vertrauensfrage nicht direkt an die Abstimmung über eine Gesetzesvorlage knüpfte.
Zur Abstimmung kam es fristgemäß 48 Stunden später, am 5. Februar 1982. Als erster Redner der Debatte erklärte der Bundeskanzler, was ihn zu diesem Schritt bewogen hatte: Er wolle mit der Vertrauensfrage ein "Signal der Klarheit" geben. Es habe viele "Spekulationen um den Kurs der Friedens- und Sicherheitspolitik" gegeben, so Schmidt, "manche Vorkommnisse" hätten den Zusammenhalt in der Koalition zeitweise "unklar" erscheinen lassen.
Doch die Bundesregierung stehe weiterhin gemeinsam für eine "Politik des Dialogs und der Kooperation mit dem Osten", wie sie Brandt und Scheel begonnen hätten, außerdem für die Bewahrung des sozialen Friedens und die Sicherung der Beschäftigung.
Schmidt kündigte eine "Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität" an, um der Wirtschaftskrise wirkungsvoll zu begegnen. Dafür, aber auch für die Sicherheitspolitik, bitte er nun den Bundestag um eine "Erneuerung des Vertrauens".
Dr. Helmut Kohl, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU und Parteivorsitzende der CDU, kritisierte Schmidts Vorgehen scharf: Der Bundeskanzler habe nicht einmal den Mut, die Vertrauensfrage mit einem bestimmten politischen Vorhaben zu verknüpfen.
Stattdessen wünsche er sich eine "Generalvollmacht" für seine "nebelhafte" Politik. Der Nato-Doppelbeschluss werde im Bundestag hauptsächlich von der Union getragen, nicht von der SPD, betonte der Oppositionsführer. Die langwierige Debatte über den Kurs in der Wirtschaftspolitik, inklusive "zahlreicher, regelmäßig widersprüchlicher Vorschläge", habe zudem kein Vertrauen in die Regierung geschaffen und "viele Mitbürger getäuscht".
Auch die Entscheidung zur Erhöhung der Mehrwertsteuer erweise sich als schädlich. Die Abstimmung über die Vertrauensfrage sei also reine Taktik. Sie solle eine "allgemeine Zustimmung vorspielen", so der CDU-Politiker. Ein solches "Manöver" aber nutze weder dem Land, noch Schmidt selbst: "Herr Bundeskanzler, Sie verpfänden nicht nur Ihre Amtsautorität, sondern auch Ihre persönliche Autorität."
Das wollte Willy Brandt so nicht stehen lassen. Die Vertrauensfrage diene dem Ziel, die "volle Handlungsfähigkeit der Regierung vor der deutschen, europäischen und internationalen Öffentlichkeit unter Beweis zu stellen", sagte der SPD-Parteivorsitzende, der als dritter Redner vor das Bundestagsplenum trat.
Dies sei notwendig, um die "von der Opposition und Teilen der Öffentlichkeit genährten Zweifel nachdrücklich zu widerlegen". Den Vorwurf der Uneinigkeit in der Frage des Nato-Doppelbeschlusses wies Brandt ebenfalls zurück: "Die SPD macht sich das Leben nicht leicht." Aber eines bringe sie immer wieder fertig: die Sorgen der Bürger aufzunehmen und "durchzudiskutieren". Gleichwohl habe der Bundeskanzler für seine Politik das Vertrauen von Partei und Fraktion.
Dies bestätigte auch Wolfgang Mischnick. Die Freien Demokraten stünden zur Regierung Schmidt/Genscher, so der der FDP-Fraktionsvorsitzende, dafür gebe es "gute Gründe". Der Liberale betonte die gemeinsame, auf "Verständigung und Frieden ausgerichtete Politik": Vor der ersten sozialliberalen Koalition unter Brandt und Walter Scheel sei die "Deutschlandpolitik auf dem Nullpunkt" angekommen.
Gegen den Widerstand der Union hätten SPD und FDP mit ihrer Politik des Ausgleichs und der Entspannung aber "ein Mehr an Sicherheit und Stabilität in Europa" erreicht. Das wolle man fortsetzen. In der Innenpolitik hätten die Koalitionäre zudem bewiesen, dass sie die "Stärkung der Rechte des einzelnen Bürgers gleichermaßen wichtig nehmen wie die Sicherung des sozialen Friedens".
Wie erhofft gewann Bundeskanzler Schmidt die Vertrauensfrage deutlich: Von 493 abgegebenen Stimmen erhielt er 269. 226 Abgeordnete stimmten gegen ihn. Enthaltungen gab es keine. Die Verkündung dieses Ergebnisses durch Bundestagspräsident Richard Stücklen (CDU/CSU) löste lang anhaltenden Applaus in den Reihen der SPD- und FDP-Fraktionen aus.
Doch wie fragil die Bundesregierung war, zeigte sich schon bald: Rund ein halbes Jahr später, im September 1982, verließen die FDP-Minister geschlossen das Kabinett. Am 1. Oktober stürzte der Bundestag schließlich Helmut Schmidt als Bundeskanzler. Die sozialliberale Koalition war zerbrochen. Neuer Regierungschef einer christlich-liberalen Regierung wurde Helmut Kohl. (sas)