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Mit einem Blick auf die Entwicklungen in der rechtsextremen Szene setzt der Untersuchungsausschuss, der die Hintergründe der dem sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie aufklären soll, seine Arbeit fort. Als Sachverständige sind zu der öffentlichen Sitzung die Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schröder und Richard Stöss geladen sowie die Journalistin Andrea Röpke. Die Sitzung unter Vorsitz von Sebastian Edathy (SPD) beginnt am Donnerstag, 22. März 2012, um 10 Uhr im Europasaal 4.900 des Paul-Löbe-Hauses in Berlin.
Die Zeugenvernehmung zu den Kernthemen des Ausschusses startet voraussichtlich erst Ende April. Bis dahin wollen sich die elf Abgeordneten ein solides Hintergrundwissen aneignen, um den NSU und die dieser Gruppe zugerechneten zehn Morde sowie die Pannen der Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen adäquat einordnen zu können. In der Vergangenheit berichtete bereits Babara John, Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen der Opfer, über die Situation der Hinterbliebenen. Nach der Analyse rechtsextremistischer Milieus und Strukturen will sich das Gremium Ende des Monats mit der Architektur der Sicherheitsbehörden in Deutschland auseinandersetzen.
Die Politologen Schröder und Stöss haben sich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit näher mit dem Rechtsextremismus befasst. Dieses Thema ist das Spezialgebiet der Journalistin Röpke, von der die Abgeordneten Einblicke besonders in die konkreten Aktivitäten der rechtsextremen Szene erwarten.
Ein großes Rätsel ist bislang, wieso der NSU dazu fähig war, über 15 Jahre lang unterzutauchen, sich nach außen vollständig abzuschotten und ein geheimes Leben zu führen. Nicht zuletzt dazu erhofft sich der Ausschuss Erkenntnisse von den Sachverständigen: Existieren Trends beim Rechtsextremismus, die bislang nicht oder zu wenig beachtet wurden? In welchem gesellschaftlichen Umfeld, in welchem organisatorischen Netz bewegen sich militante Gruppen, inwiefern wird dadurch ein Abtauchen befördert? Dazu zählt auch die Frage, wie sich die rechtsextremistische Szene vor und während der Mordserie gerade in Sachsen und Thüringen entwickelt hat.
Im Rahmen des Gesamtbilds, das sich das Gremium über den Rechtsextremismus verschaffen will, spielt es eine wichtige Rolle, wie sich rechtsextremistische Gruppen finanzieren. Speziell im Fall des NSU wird diese Gruppe für mehrere Banküberfälle verantwortlich gemacht, aber das dürfte natürlich eine Ausnahme sein.
Die Abgeordneten wollen mit Röpke, Schröder und Stöss auch diskutieren, ob bei Anhängern und Aktivisten der rechtsextremen Szene vielleicht typische Persönlichkeitsstrukturen existieren. Begünstigen die wirtschaftliche Lage in der Gesellschaft und konkret möglicherweise die prekäre soziale Situation bestimmter Bevölkerungsgruppen das Entstehen und die Ausbreitung des Rechtsextremismus? Zu den Themen der Sitzung am kommenden Donnerstag gehört auch die Frage, welche Ideologien, welche Feindbilder und welche politischen Ziele diese Szene prägen. Gibt es typische Organisationsformen, wenn ja, wie sehen diese aus? Wie agieren solche Gruppen, wie treten sie öffentlich auf, was geschieht in ihren internen Zirkeln?
In den vergangenen zwei Jahrzehnten, also im Zeitraum der NSU-Aktivitäten, unterlag der Rechtsextremismus natürlich auch Wandlungen und Neuerungen. Was hat es damit auf sich? Den Ausschuss interessiert in diesem Zusammenhang besonders, wie sich das Phänomen der Gewalt bei militanten Gruppen entwickelt hat. Ist die Mordserie als Ausnahmeerscheinung einer einzigen kleinen Organisation einzustufen oder ist dies eventuell mit bestimmten Tendenzen im Rechtsextremismus verknüpft, die bislang übersehen wurden?
Dem auch als Zwickauer Terrorzelle bezeichneten NSU werden neun Morde an türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie die Tötung einer Polizistin und mehrere Banküberfälle zugerechnet. Rätselhaft ist vor allem, wieso die NSU-Gruppe und ihre Helfer über 15 Jahre lang im Untergrund aktiv sein konnten und Polizei wie Geheimdienste nicht gegen sie einschritten.
Die Aufklärung dieses Versagens markiert den Kernauftrag des Untersuchungsausschusses. Dazu gehört auch die Frage, welche Rolle V-Leute des Geheimdiensts im Umfeld des NSU-Geflechts spielten. Letztlich sollen Vorschläge erarbeitet werden, wie die Struktur und die Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten auf der Ebene von Bund und Ländern verbessert werden können.
Parallel zur Anhörung der drei Sachverständigen tagt am 22. März auch die Innenministerkonferenz. Im Vorfeld dieses Treffens haben die Obleute der Fraktionen im Gremium des Bundestags die Länder aufgefordert, bei dieser Sitzung ihre Bereitschaft zur umfassenden Kooperation mit dem Untersuchungsausschuss zu bekunden und alle Akten zu übermitteln, die für die Recherchen zur Mordserie und zur Arbeit der Sicherheitsbehörden von Bedeutung sind. (kos)
Zeit: Donnerstag, 22. März 2012, 10 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Europasaal 4.900