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Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hat angekündigt, dass die einschlägige Regelung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus zum sogenannten Neuner-Sondergremium des Haushaltsausschusses (Paragraf 3 Absatz 3) nachjustiert wird. Lammert reagierte damit am Dienstag, 28. Februar 2012, auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom gleichen Tag im Organstreitverfahren zu den Beteiligungsrechten des Bundestages am Euro-Rettungsschirm EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität).
Der Zweite Senat hatte entschieden (Aktenzeichen: BvE 8 / 11), dass die Regelung, wonach die Entscheidungsbefugnisse des Deutschen Bundestages hinsichtlich der (erweiterten) Maßnahmen der EFSF in Fällen besonderer Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit von einem aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses gewählten neunköpfigen Gremium ausgeübt werden, die Antragsteller, die SPD-Abgeordneten Prof. Dr. Peter Danckert und Swen Schulz, in ihren Abgeordnetenrechten aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt. Darin heißt es, dass die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind (Grundsatz der repräsentativen Demokratie).
Die Regelung des Stabilisierungsmechanismusgesetzes sei nur insoweit nicht zu beanstanden, so die Richter, als sie dem sogenannten Neunergremium Entscheidungskompetenzen für den Fall des Ankaufs von Staatsanleihen durch die EFSF am sogenannten Sekundärmarkt, also auf den Finanzmärkten, verleiht. Im Übrigen schließe sie die nicht im Neunergremium vertretenen Abgeordneten von wesentlichen Entscheidungen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages berühren, in vollem Umfang aus. Dies bewirke eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Mitwirkungsbefugnisse im Rahmen der parlamentarischen Arbeit, die sich aus dem Abgeordnetenstatus ergeben.
Lammert wies darauf hin, dass die Richter nicht das gesetzliche Verfahren der abgestuften parlamentarischen Beteiligung an europäischen Stabilitätsregimen kritisiert hätten, sondern lediglich die besondere Regelung der Delegation von Verantwortung an ein Gremium von neun gewählten Mitgliedern des Haushaltsausschusses. Er finde diese Entscheidung „persönlich plausibel“, nachvollziehbar und in der Sache überzeugend. Der Bundestag werde das Gesetz „in vernünftiger Zeit“ neu justieren, sagte Lammert.
Der Bundestagspräsident erinnerte daran, dass dieses Gremium in seinem Entwurf nicht vorgesehen gewesen sei. Es sei während der parlamentarischen Beratung des Gesetzes aufgenommen worden, um in Fällen besonderer Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit die Handlungsfähigkeit des Parlaments sicherzustellen. Es habe intensive Diskussionen gegeben, ob es eines solchen zusätzlichen Gremiums bedarf und welche Zuständigkeiten es haben dürfte.
Das Gericht habe nun eine weitere Einschränkung vorgenommen und die Notwendigkeit des Neunergremiums auf Fälle ausschließlich „unvermeidlich notwendiger Vertraulichkeit“ beschränkt. Das Gremium sei also nicht ersatzlos gestrichen, sondern auf „einen Anwendungsfall“ reduziert worden. Künftig werde die Eilbedürftigkeit allein nicht mehr ausreichen, um eine Entscheidung an das Gremium zu delegieren, betonte der Bundestagspräsident.
Das Gericht hatte entschieden, dass die von den Antragstellern ebenfalls angegriffene Vorschrift (Paragraf 5 Absatz 7 des Gesetzes), die in Fällen besonderer Vertraulichkeit eine Beschränkung der Unterrichtungsrechte des Bundestages auf die Mitglieder des Neunergremiums vorsieht, die Abgeordneten nicht in ihren Rechten verletzt. Nach dieser Vorschrift muss die Bundesregierung den Bundestag sofort unterrichten, sobald die Gründe für eine besondere Vertraulichkeit – die es erforderlich macht, das Neunergremium damit zu befassen – fortgefallen sind.
In der Urteilsbegründung heißt es, die Übertragung von Entscheidungskompetenzen auf das Neunergremium sei nicht zu beanstanden, soweit über den Ankauf von Staatsanleihen durch die EFSF auf dem Sekundärmarkt beraten und beschlossen werden muss. Da es den Erfolg einer solchen Notmaßnahme vereiteln könnte, wenn auch nur deren Planung bekannt wird, müsse die Vorbereitung dieser Notmaßnahme absolut vertraulich sein. Zur Vorbereitung gehörten auch die Beratung und ein entsprechender Zustimmungsbeschluss.
Dagegen sei die Regelung, wonach bei Notmaßnahmen „regelmäßig“ eine besondere Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit vorliegt, weil bei Notmaßnahmen „Ansteckungsgefahren“ verhindert werden müssten, nicht mit den Rechten vereinbar, die sich aus dem Abgeordnetenstatus ergeben, heißt es in der Urteilsbegründung weiter.
Die Vermutung, Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit seien der „Regelfall“, gehe an der Beschränkung der Delegationsmöglichkeit auf eng begrenzte Ausnahmefälle vorbei und werde den Anforderungen an einen schonenden Ausgleich zwischen dem Geheimschutzinteresse, das in der Funktionsfähigkeit des Bundestages angesiedelt ist, und den damit kollidierenden Statusrechten der Abgeordneten nicht gerecht.
Die Beschränkung der Statusrechte der Abgeordneten werde dadurch zusätzlich verschärft, dass das Bundestagsplenum keine effektive Möglichkeit habe, das Eingreifen einer solchen „Regelvermutung“ im Vorfeld zu überprüfen und die zu entscheidende Angelegenheit wieder an sich zu ziehen.
Das Gericht unterstreicht überdies, dass das Sondergremium ein verkleinertes Abbild des Plenums darstellen muss und die Stärke der Fraktionen im Plenum möglichst getreu widerspiegelt. Gegen diese Vorgabe habe der Bundestag mit der Wahl von neun Abgeordneten in das Sondergremium am 26. Oktober verstoßen.
Mit dem Stabilisierungsmechanismusgesetz von 2010 hatte der Bundestag die Voraussetzungen festgelegt, unter denen dieser finanzielle Beistand geleistet wird. Im Mai und Juli 2011 kamen die Mitgliedstaaten überein, die maximale Darlehenskapazität der EFSF von 440 Milliarden Euro in vollem Umfang bereitzustellen und die EFSF mit weiteren, flexibleren Instrumenten auszustatten, um die Staatsschuldenkrise und die gestiegenen „Ansteckungsgefahren" zu bewältigen.
Der Bundestag hatte diese Ausweitung des Rettungsschirms am 29. September 2011 beschlossen, am 14. Oktober traten die Änderungen in Kraft. Der deutsche Gewährleistungsrahmen beläuft sich danach auf 211 Milliarden Euro. (vom)