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Preise für Rohstoffe und Nahrungsmittel steigen längst nicht mehr allein wegen größerer Nachfrage. Auch die Spekulation spielt eine immer wichtigere Rolle. „Um Fehlentwicklungen an den Rohstoffmärkten vorzubeugen, ist eine gezielte und wirksame Regulierung des Rohstoffterminhandels erforderlich“, heißt es in einem Antrag von CDU/CSU und FDP-Fraktion (17/8882). Es sei Zeit, sich mit dem Thema Spekulation mit Rohstoffen zu beschäftigen, stellte CDU/CSU-Finanzexperte Ralph Brinkhaus in der Debatte des Bundestages über diesen Koalitionsantrag am Donnerstag, 8. März 2012, fest. Handel, Termingeschäfte und auch Spekulation mit Rohstoffen habe es immer gegeben. „Trotzdem machen wir uns Sorgen um den Markt für Rohstoffderivate“, sagte Brinkhaus. Die Preise würden stark schwanken, und das sei beunruhigend.
In die Rohstoffmärkte fließe „unglaublich viel Kapital“ von Finanzinvestoren und Hedgefonds hinein. Eine ähnliche Entwicklung habe es auf dem Markt der Finanzderivate gegeben, wo sich das Volumen dieser Geschäfte verhundertfacht habe, sagte Brinkhaus und erinnerte daran: „Ein erheblicher Teil der Probleme, die wir im Rahmen der Finanzmarktkrise bekommen haben, lag genau an diesem Moloch Derivatemärkte, der mittlerweile das Vielfache des Bruttosozialprodukts der ganzen Welt umfasst.“
Dass es auf den Rohstoffmärkten diese Verwerfungen gebe, „wollen wir verhindern“. Es sei auch wichtig, das Thema anzupacken, weil es bereits Kriege und Hungernöte wegen Rohstoffen gegeben hätte. Daher müsse es strenge Regeln geben sowie eine Aufsicht, die auch eingreifen könne. Ein komplettes Verbot dieser Derivategeschäfte lehnte Brinkhaus ebenso ab wie völlige Marktfreiheit: „Es gibt eine Legitimation dafür, diese Märkte zu regulieren.“
Die elementare Bedeutung der Rohstoffversorgung für die deutsche Wirtschaft hob Björn Sänger (FDP-Fraktion) hervor. Rohstoffe seien Grundlage für jede Form des Wirtschaftens und für Wohlstand. Wenn es um Lebensmittel gehe, werde das Thema von den Menschen besonders aufgenommen und sei manchmal „ethisch überladen“.
Rohstoffderivategeschäfte seien aber auch wichtig, wie Sänger an einem praktischen Beispiel erläuterte: Ein Hersteller von Pommes frites möchte das ganze Jahr sein Produkt zu gleichbleibender Qualität und zu einem gleichbleibenden Preis anbieten. Er wolle sich Kartoffeln daher sichern und nutze dazu ein Derivat. Preisschwankungen habe es aus unterschiedlichsten Gründen immer gegeben. Sänger wies auf einen anderen Aspekt hin: „Finanzinvestoren werden benötigt, denn irgendjemand muss das Risiko nehmen.“ Dass die Preisschwankungen weiter zunehmen, „wollen wir nicht“, sagte Sänger, der aber eine Preisregulierung strikt ablehnte.
Für Carsten Sieling (SPD-Fraktion) hat die Koalition „späte erste Schritte“ bei dem Thema unternommen. Der Antrag wecke große Erwartungen, aber in Wirklichkeit mache sich „tiefe Enttäuschung“ breit. Die Koalition bleibe auf einer beschreibenden Ebene, erteile Prüfaufträge und wolle die Entwicklung beobachten. „Sie sind nicht die Vogelwarte eines Naturreservats, Sie regieren“, rief Sieling den Koalitionsabgeordneten zu.
Die Preisexplosionen auf den Rohstoffmärkten und bei Grundnahrungsmitteln seien nicht mit wachsender Nachfrage oder Produktionseinbrüchen zu erklären. 1990 hätten die Derivatemärkte ein Volumen von zwei Billionen Euro gehabt, während des Welt-Bruttoinlandsprodukt 20 Billionen Euro betrage. 2010 habe das Verhältnis 600 Billionen Euro Derivate und 60 Billionen Weltbruttoinlandsprodukt betragen. „Die Welt ist auf den Kopf gestellt worden“, sagte Sieling, der der Koalition vorwarf, nicht handlungsfähig zu sein.
Finanzmarktakteure hätten zwischen 2003 und 2008 ihre Investitionen in die Rohstoffmärkte von 130 auf 200 Milliarden Euro erhöht und inzwischen verdoppelt, erläuterte Ulla Lötzer (Die Linke). Die Deutsche Bank sei mit 45 eigenen Rohstofffonds und 250 Fachleuten einer der wichtigsten Spieler in diesem Markt. „Da wollen Sie mir nicht im Ernst sagen, dass das mit Absicherung gegen Preis- und Währungsschwankungen von Realgeschäften zu tun hat. Das hat mit Spekulation zu tun“, so Lötzer.
Die Anleger seien zusammen mit großen Bergbaukonzernen und Rohstoffhändlern verantwortlich für Hungersnöte sowie skandalöse Arbeits- und Umweltbedingungen. Die Maßnahmen der Koalition bei Derivaten und beim Hochfrequenzhandel, wo sich mit minimalen Kursdifferenzen Milliardengewinne erzielen lassen würden, seien aber „völlig unzureichend“. Der Hochfrequenzhandel „gehört ganz einfach verboten und nicht nur registriert“, forderte die Abgeordnete der Linksfraktion.
„Die jüngsten Preissteigerungen an den Rohstoffmärkten haben sehr viel damit zu tun, dass die Europäische Zentralbank viel zusätzliche Liquidität in den Markt gibt und das notwendig geworden ist, weil die Krisenpolitik dieser Bundesregierung das Problem nicht anders in den Griff bekommen hat. Das ist ein Teil der unangenehmen Wahrheit“, stellte der Finanzexperte von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Gerhard Schick, fest. Er warf der Koalition vor, zwar „knackige Worte“ zu verwenden, aber in Wirklichkeit sogar hinter den Forderungen der G20, der größten Industrie- und Schwellenländer, zurückzubleiben.
„Wenn hier in Deutschland Menschen in Produkte investieren, wo sie davon profitieren, wenn die Preise für Weizen steigen und deswegen Leute Schwierigkeiten haben, ihren Hunger zu stillen, dann ist das eine ethische Frage und die muss man beantworten“, sagte Schick. „Mit Essen spielt man nicht“, stellte er zum Zertifikatehandel zum Beispiel mit Weizen fest. „An dieser Stelle sind wir für Verbote“, sagte Schick, der den Antrag der Koalition als „Marketingantrag“ kritisierte.
In ihrem an die Ausschüsse überwiesenen Antrag fordern CDU/CSU- und FDP-Fraktion, alle Hochfrequenzhändler der Marktaufsicht zu unterstellen. Missbräuche beim Hochfrequenzhandel der Handel mit Rohstoffderivaten soll nach den Vorstellungen der Koalitionsfraktionen schärfer überwacht werden. Bei Fehlentwicklungen sollen Gegenmaßnahmen wie die Begrenzung der Positionen einzelner Händler an den Börsen möglich sein. Dabei sei aber im Blick zu behalten, dass Rohstoffderivate auch eine wichtige Rolle bei der Absicherung der Realwirtschaft gegen Preisrisiken spielten. Die Möglichkeit der Realwirtschaft, sich gegen Preisrisiken abzusichern, müsse bei der Finanzmarktregulierung angemessen berücksichtigt werden.
Die Koalitionsfraktionen weisen zudem auf einen besonderen Aspekt hin: „Preisschwankungen bei Agrarrohstoffen und insbesondere Nahrungsmitteln haben eine besondere Bedeutung.“ Um Fehlentwicklungen auf den Agrarmärkten möglichst frühzeitig vorzubeugen, sollte im Rahmen der laufenden europäischen Regulierungsarbeiten auch untersucht werden, ob für Agrarderivate nicht zusätzliche Regulierungsvorgaben erforderlich sind. (hle)