Menu | Plenum | Parlaments-TV |
Der Bundestag befasst sich am Donnerstag, 22. März 2012, erstmals mit der von allen Fraktionen gemeinsam geplanten Neuregelung der Organspende. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, einen "Gesetzentwurf zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz" zu erarbeiten. Nach Angaben aus Koalitionskreisen wird der Entwurf kurz vor der Debatte vorgelegt, die um 9 Uhr beginnt. Vorgesehen ist, dass jede Fraktion zunächst ein Rederecht von zehn Minuten hat. Daran soll sich bis gegen 11.10 Uhr eine 75-minütige Debatte anschließen.
Der Aussprache liegt auch ein Gesetzentwurf der Bundesregierung samt Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Regierung zur Änderung des Transplantationsgesetzes (17/7376) zugrunde. Mit der Gesetzesänderung soll die EU-Richtlinie 2010/53/EU in deutsches Recht umgesetzt werden. Vorgesehen ist, dass sogenannte Entnahmekrankenhäuser mindestens einen Transplantationsbeauftragten bestellen.
Eine Spitzenrunde aus Koalition, Opposition und Regierung hat sich vor Wochen darauf verständigt, dass eine sogenannte freiwillige Entscheidungslösung eingeführt wird. Erklärtes Ziel ist es, die Organspendebereitschaft zu erhöhen. Der Einigung zufolge soll jeder Erwachsene künftig per Brief von seiner Krankenkasse über das Thema Organspende informiert und zudem gefragt werden, ob er nach seinem Tod bereit ist, seine Organe zu spenden.
Die Frage soll den Angaben zufolge bejaht oder verneint oder auch nicht beantwortet werden können. Auch die Bereitschaft, nur bestimmte Organe zu spenden, soll erklärt werden können. Die Erklärung soll zunächst wie bisher auf einem Organspendeausweis aus Papier dokumentiert werden.
Zurzeit gilt in Deutschland die so genannte erweiterte Zustimmungslösung, die für die Organentnahme die Einwilligung des Organspenders beziehungsweise sofern nicht vorhanden, die Einwilligung der nächsten Angehörigen vorsieht. Der Bundesrat verweist in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Regierung darauf, dass in Deutschland aufgrund des Organmangels jedes Jahr rund tausend Patienten sterben, die auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen, also etwa jeder Dritte.
Auch die Länder favorisieren in ihrer Stellungnahme die Einführung einer Entscheidungslösung, die sie „Erklärungslösung“ nennen. Diese biete gute Voraussetzungen für eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Einerseits nehme sie die Bürger in die Pflicht, zu erklären, wie sie sich zu einer Organspende verhalten, andererseits werde "dem Selbstbestimmungsrecht der Menschen hinreichend Rechnung" getragen. In der Gegenäußerung der Regierung heißt es, sie teile das Ziel des Bundesrates, "die Organspendebereitschaft in der deutschen Bevölkerung zu erhöhen".
Des Weiteren will die Regierung prüfen, ob und inwieweit die versicherungsrechtlichen Absicherung von Organlebendspendern geändert werden muss. Der Bundesrat hatte angemahnt, im Krankenversicherungsrecht zu regeln, dass der Organlebendspender einen eigenen Behandlungsanspruch an die gesetzliche Krankenkasse des Organempfängers hat.
Ferner müsse der Anspruch auf angemessenen Ersatz seiner im Zusammenhang mit der Organlebendspende entstehenden Aufwendungen festgeschrieben werden, insbesondere des Nettoverdienstausfalls, fordern die Länder. Außerdem soll nach dem Willen des Bundesrates der Unfallversicherungsschutz auf alle Komplikationen als Folge einer Organspende erstreckt werden. Eine Leistungspflicht der Unfallversicherung solle auch bei Spätschäden der Organspender bestehen, selbst wenn es problematisch zu beweisen sei, ob die Schäden tatsächlich auf die Organentnahme zurückzuführen sind.
Die Regierung lehnt jedoch den Ländervorschlag ab, ins Transplantationsgesetz so genannte Vertrauenspersonen aufzunehmen, die, zu Lebzeiten benannt, nach dem Tod der Betroffenen anstelle von Angehörigen einer Organ- oder Gewebeentnahme zustimmen oder ihr widersprechen können. Bereits nach geltendem Recht könne die Entscheidung über eine Organspende einer bestimmten Person übertragen werden, heißt es dazu in der Gegenäußerung. Die Einführung einer besonderen Bezeichnung für diese Personen sei nicht erforderlich, schreibt die Regierung.
Die EU-Richtlinie 2010/53/EU, die mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in deutsches Recht umgesetzt werden soll, sieht vor, dass so genannte Entnahmekrankenhäuser mindestens einen Transplantationsbeauftragten bestellen. Dieser soll unter anderem Verbindungsglied des Krankenhauses zu den Transplantationszentren sein, das übrige Krankenhauspersonal in Fragen der Organspende beraten und Angehörige aufklären und beraten.
Vorgesehen ist ferner, die Rolle der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) als Koordinierungsstelle zu stärken. Zudem soll die bereits bestehende gesetzliche Pflicht der Entnahmekrankenhäuser, den Hirntod aller möglichen Organspender zu melden, besser durchgesetzt werden.
Der Bundestag hat sich in dieser Legislaturperiode bereits in zwei großen Anhörungen mit dem Thema Organspende befasst. Am 8. Juni 2011 standen die technischen und organisatorischen Aspekte der Organspende im Mittelpunkt. Mit den rechtlichen und ethischen Aspekten von Organspenden befasste sich eine Anhörung am 29. Juni 2011. Darin hatte sich ebenfalls eine breite Zustimmung zu einer Entscheidungslösung gezeigt.
Allerdings gab es auch kontroverse Diskussionen um das dem Transplantationsgesetz zugrundeliegende Hirntodkonzept. Nach diesem müssen zwei erfahrene Ärzte unabhängig voneinander feststellen, dass im Großhirn, im Kleinhirn und im Hirnstamm keine Aktivität mehr zu messen ist, bevor eine Organentnahme stattfinden kann. (mpi)