Historiker sprechen sich für Erforschung von NS-Kontinuitäten aus

Ausschuss für Kultur und Medien (Anhörung) - 01.03.2012

Berlin: (hib/AW) Führende deutsche Historiker haben sich für die weitere Erforschung von Kontinuitäten und Brüchen zwischen der Zeit des Nationalsozialismus und dem Nachkriegsdeutschland ausgesprochen. Zugleich wandten sie sich jedoch mehrheitlich gegen einen umfassenden Auftrag durch die Bundesregierung zur Erforschung von personellen Kontinuitäten in allen in Bundesministerien und Behörden. Die Historiker waren am Mittwoch vom Kulturausschuss zu einer öffentlichen Anhörung geladen worden.

Grundlage für das Expertengespräch waren zum einen zwei weitgehend gleichlautende Anträge der SPD (17/6297) und von Bündnis 90/Die Grünen (17/6318), in denen die Fraktionen die Regierung auffordern, die personellen und institutionellen Kontinuitäten in den Ministerien und Behörden von der NS-Zeit bis in die Nachkriegszeit von unabhängigen Historikern untersuchen zu lassen und die Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. In einem weiteren Antrag sprechen sich die Grünen (17/4696) für die Veröffentlichung einer entsprechenden Studie aus dem Jahr 2007 aus, die im Auftrag des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz angefertigt aber nicht veröffentlicht worden war.

Den Nutzen einer flächendeckenden Darstellung personeller Kontinuitäten stellten der ehemalige Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in Berlin und München, Horst Möller, Michael Stolleis vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main, Klaus-Dietmar Henke von der technischen Universität Dresden und Constantin Goschler von der Ruhr-Universität Bochum in Frage. Es sei zwar richtig, dass eine solche umfassende Untersuchung nicht existiere, räumte Möller ein. Der „gigantische Aufwand“, den eine solche Untersuchung erfordere, stehe aber in keinem Verhältnis zu dem zu erwartenden Ergebnis. Stolleis bezeichnete einen solchen Auftrag an die Forschung als „keinen glücklichen Weg“. Auch Henke sprach sich gegen diese Form der „Fliegenbeinzählerei“ aus, um herauszufinden, welcher Beamter in einem Ministerium Mitglied der NSDAP gewesen sei oder nicht. Es sei bekannt und unbestritten, dass der Anteil ehemaliger Parteimitglieder in der westdeutschen Ministerialbürokratie sehr hoch gewesen sei. Der Wissenschaftler betonte, es müsse vielmehr darum gehen, zu erforschen, wie es der zweiten Demokratie auf deutschem Boden trotz des „Leichengeruchs des Nationalsozialismus“ gelang, zu einem „Erfolgsmodell“ zu werden. Dies wäre auch wünschenswert, um die Identität einer geglückten Demokratie zu stärken.

Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hingegen sprach sich deutlich für eine umfassende Untersuchung für alle Ministerien und Behörden aus, wie es das Außenministerium mit der viel gelobten Studie „Das Amt“ getan habe. Er stimmt Henke zu, dass dies zu einer Vertiefung des demokratischen Ethos in den Ministerien und Behörden führen könne. Brumlik macht sich für die Schaffung einer Stabsstelle im Bildungs- und Forschungsministerium aus, um die Forschungsergebnisse zu bündeln und zu publizieren.

Einigkeit herrschte zwischen den Experten darüber, dass die Zeit des Nationalsozialismus zu den am besten erforschten Perioden des 20. Jahrhunderts gehört. Auch die Erforschung des Umgangs mit der NS-Diktatur in Staat und Gesellschaft im Nachkriegsdeutschland könne als weit fortgeschritten bezeichnet werden. Allerdings müsse zwischen der historischen Aufarbeitung in der Bundesrepublik und der DDR unterschieden werden. Während in der Bundesrepublik die Erforschung erst zögerlich in Gang gekommen aber seit Mitte der 1960er Jahre massiv betrieben worden sei, habe in der DDR die Selbststilisierung als „antifaschistischer“ Staat einer solchen Forschung entgegen gestanden.

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