Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Podiumsdiskussion Zoni Weisz
Lange Zeit seines Lebens hat Zoni Weisz nicht darüber gesprochen, was er als siebenjähriges Kind erlebt hat. Wie die Nationalsozialisten 1944 seine Eltern und Geschwister nach Auschwitz deportierten, wie er selbst durch glückliche Fügungen in Verstecken den Krieg überlebte, wie er nach dem Krieg nicht wusste, ob seine Familie noch lebte. Heute spricht der 73-Jährige darüber. Die 80 Jugendlichen, die ihm gegenübersitzen, lauschen ihm gebannt.
Im Anschluss an die Gedenkstunde des Bundestages am Donnerstag, 27. Januar 2011, in der Zoni Weisz als erster Vertreter der Sinti und Roma eine Rede gehalten hat, diskutiert er mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der internationalen Jugendbegegnung. Die 80 Jugendlichen haben sich vom 22. bis 27. Januar 2011 intensiv mit den Opfern des Nationalsozialismus im Konzentrationslager Dachau auseinandergesetzt, Gedenkstätten besucht und mit Zeitzeugen gesprochen.
"Gab es ein Schlüsselerlebnis, nach dem Sie anfingen, über das Erlebte zu sprechen?", will eine Teilnehmerin wissen. Nein, die Erkenntnis, dass es notwendig ist, sei langsam gewachsen, sagt Weisz und spricht über das Tabu in seiner Kultur, über die erlebten Verbrechen zu sprechen, gerade unter älteren Sinti und Roma.
Langsam ändere sich dies zum Glück. So erfahre auch die nächste Generation von den Verbrechen an seiner Gemeinschaft. "Unser Holocaust soll kein vergessener Holocaust sein."
Zu Beginn der Podiumsdiskussion spricht auch Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert mit den Jugendlichen über Erinnerungskultur. Wie wichtig ist zum Beispiel der 27. Januar als nationaler Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus?
Lammert sieht ihn als Ritual. "Wir brauchen Rituale als Stütze der Erinnerung." Als wiederkehrenden Anlass, sich mit dem Thema zu beschäftigen und zu fragen: Hat das eigentlich noch was mit mir zu tun?
Dieser Frage sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugendbegegnung auf ihrer Reise zur KZ-Gedenkstätte Dachau, ins Jüdische Zentrum in München und zum ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg nachgegangen.
"Geschichte ist lebendig geworden", blickt Teilnehmer Benjamin auf die Tage zurück. Zum ersten Mal hat er ein ehemaliges Konzentrationslager besucht. Die Gruppengemeinschaft hat ihm geholfen, die vielen Eindrücke zu verarbeiten: "Man kann allein nicht alles auf einmal erfassen. Zusammen sieht man viel mehr", sagt der 19-Jährige, der neue Freunde gefunden hat.
Die Begegnung war "total spannend", berichtet auch Teilnehmerin Ina: "Ich bin immer überrascht, mit welcher Entspanntheit und Offenheit die Zeitzeugen ihre Geschichte erzählen. Sie haben oft weniger Berührungsängste als man selbst."
Teilnehmer Jörg hebt die Internationalität der Gruppe hervor: Ob Deutsche, Franzosen, Niederländer oder US-Amerikaner - "uns eint das Interesse, dass Erinnerungskultur bewahrt werden muss".
"Hassen Sie die Deutschen nicht?", so lautet meist die erste an ihn gestellt Frage, erzählt Weisz. Seine Antwort: "Nein, ich hasse nicht die Deutschen, sondern die Nazis." Die gebe es leider noch immer, nicht nur in Deutschland.
Und was können wir dagegen tun? Die Vergangenheit nicht vergessen und in der Gegenwart nicht wegschauen - so lassen sich die Worte von Zoni Weisz zusammenfassen: "Diejenigen, die weggucken, sind sehr schuldig. Wenn heute Menschen diskriminiert werden, müssen wir unsere Stimme erheben. Sonst sind wir genau die, die wegschauen."
Warum die Stigmatisierung von Sinti und Roma auch heute noch so groß ist, weiß Zoni Weisz nicht zu erklären. Er kämpft gegen diese Vorurteile. Endlich sei zum Beispiel in niederländischen Kinderbüchern nicht mehr von stehlenden, gefährlichen Zigeunern zu lesen.
"Aber auch wir haben die Aufgabe, offener zu sein und offen zu sprechen", erklärt Weisz. Die Sinti und Roma hätten immer in ihrer eigenen Welt gelebt. Er wünscht sich eine Annäherung von beiden Seiten, um sich "mit offenem Visier zu begegnen".(kim)