Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Übergabe des 10. Tätigkeitsberichts der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen an den Bundestagspräsidenten
Zum zehnten und letzten Mal hat Marianne Birthler am Donnerstag, 10. März 2011, ihren Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen an Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert übergeben. "Der Bericht belegt die fleißige Arbeit“, sagte Birthler, die zehn Jahre an der Spitze der Behörde stand.
Sie wolle die Übergabe des Berichts zum Anlass nehmen, sich für die gute Zusammenarbeit mit dem Bundestag zu bedanken. "Das ist keine Selbstverständlichkeit“, sagte sie mit Blick auf den internationalen Vergleich. "Die Aufarbeitung der Diktatur ist nicht umstritten.“
Bundestagspräsident Lammert sagte, Deutschland sei ein "leuchtendes Beispiel“ dafür, wie man mit der Vergangenheit umgehen kann, "wenn man es für ausreichend wichtig hält“.
Er bedankte sich für den Bericht: "Bei nüchterner Betrachtung ist die Übergabe ein Routinevorgang“, so der Bundestagspräsident. "Dennoch ist es für Sie wie für mich mehr als das - dies ist ein anderer Gegenstand, ein anderes Thema.“
Dem Bericht (17/4700) zufolge ist das Interesse der Deutschen an der Einsicht in die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ist ungebrochen groß. Nach Angaben Birthlers stellten im Jahr 2010 87.514 Bürgerinnen und Bürger einen Antrag auf Akteneinsicht, auf die Herausgabe von Kopien oder die Entschlüsselung von Decknamen.
Im Jahr 2009 seien es gar 102.685 Anträge gewesen. Seit 1991 sind bis Ende des vergangenen Jahres laut Bericht 2,67 Millionen Bürgeranträge bei der Stasi-Unterlagenbehörde eingegangen. Der Anteil auf Erstanträge auf Akteneinsicht liege seit dem Jahr 2003 konstant bei etwa 75 Prozent.
Rechnet man die Anträge von Seiten der Presse und Medien sowie Ersuchen wegen Rehabilitierung, Wiedergutmachung und Strafverfolgung hinzu, so sind den Angaben zufolge seit 1991 6,574 Millionen Anträge bei der Behörde eingegangen.
Nach Ansicht Birthlers ist das auffällig große Interesse an den Stasi-Akten im Jahr 2009 auf den 20. Jahrestag der friedlichen Revolution in der DDR zurückzuführen. "Dass sich jedoch die Antragszahlen insgesamt 20 Jahre nach Gründung der Behörde noch auf einem derart hohen Niveau bewegen würde, ist nicht zu erwarten gewesen“, schreibt Birthler im Bericht, der den Zeitraum von April 2009 bis Ende 2010 abdeckt.
Birthler, die das Amt der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen nach zwei Amtsperioden von zehn Jahren am 14. März an Roland Jahn übergeben wird, zieht eine gemischte Bilanz. Einerseits sei die Aufarbeitung der zweiten Diktatur in Deutschland gesellschaftlich akzeptiert und werde politisch unterstützt.
"Mit der Stasi-Unterlagen-Behörde, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und zahlreichen Regelungen hat Deutschland international Maßstäbe für den Umgang mit diktatorischer Vergangenheit gesetzt“, schreibt Birthler.
Dieser Bilanz stünden jedoch "beunruhigende Befunde und Entwicklungen gegenüber“. Trotz gezahlter Entschädigungen lebten viele Opfer des SED-Regimes, deren Gesundheitszustand durch Haft und Verfolgung beeinträchtigt ist oder denen eine berufliche Entwicklung versagt blieb, in prekären Verhältnissen.
"Als besonders bitter wird dies angesichts der Tatsache empfunden, dass sich ihre früheren Peiniger ansehnlicher Ruhestandsbezüge erfreuen“, erläutert die Bundesbeauftragte und fügt hinzu: "Als ungerecht wird auch erlebt, dass sich von jenen, die früher als Stasi-Offiziere, Richter, Parteifunktionäre oder Heimerzieher Teil des Unterdrückungssystems waren, kaum jemand vor Gericht zu verantworten hatte.“
Mit deutlichen Worten kritisiert Birthler Forderungen nach einem Schlussstrich unter die Aufarbeitung der SED-Diktatur und das Ansinnen, im Zeichen der Versöhnung auch jener Partei, "die als SED verantwortlich für das Diktaturunrecht war“, wieder politische Macht zu übertragen: "Abgesehen davon, dass der immer wieder bemühte 'Schlussstrich‘ nicht funktioniert, weil Menschen sich das Nachfragen und Diskutieren nicht verbieten lassen, offenbaren solche Vorstöße die Unkenntnis dessen, was Versöhnung meint und was sie zur Voraussetzung hat.“
Dies seien "Wahrheit und Wahrhaftigkeit im Umgang mit der Vergangenheit“. (nt/aw)