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Zu einem parlamentarischen Highlight dieses Jahres dürften die nächsten Wochen werden: Mit zwei öffentlichen Anhörungen des Umweltausschusses am 8. Juni und mit einer Plenardebatte am Donnerstag, 9. Juni 2011, startet der Bundestag in die Beratungen über ein von Regierung und Koalition geplantes Gesetzespaket, das mit dem für 2022 avisierten Aus für die Atomkraft eine radikale Wende in der Energiepolitik markiert. Noch vor Beginn der Sommerpause sollen Parlament und Bundesrat die Reform des Atomgesetzes sowie mehrerer Begleitgesetze wie etwa des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG), des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes oder der Energieeinsparverordnung beschließen. Die erste Lesung der Vorlagen beginnt am Donnerstag im Anschluss an die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) zur Energiepolitik, die um 9 Uhr beginnt.
Nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfs zum Atomausstieg durch das Bundeskabinett am 6. Juni können jetzt die parlamentarischen Beratungen beginnen.
CDU/CSU und FDP haben sieben Gesetzentwürfe vorgelegt: eines 13. Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (17/6070), eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (17/6071), eines Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften (17/6072), eines Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze, eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden (17/6074), eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens "Energie- und Klimafonds" (17/6075), eines Gesetzes zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in den Städten und Gemeinden (17/6076) und eines Gesetzes zur Änderung schifffahrtsrechtlicher Vorschriften (17/6077).
Nicht mehr anlaufen sollen die sieben ältesten Kernkraftwerke, die nach der Katastrophe von Fukushima im Zuge eines Moratoriums vorläufig abgeschaltet worden waren, sowie die ohnehin vom Netz genommene Nuklearanlage Krümmel. Einer dieser Atommeiler soll jedoch bis 2013 als "Kaltreserve“ vorgehalten werden, um winters im Fall von Stromengpässen Lücken zu schließen.
Nach Verhandlungen mit den 16 Ministerpräsidenten sagte die Kanzlerin eine Prüfung der Frage zu, ob diese Reserve eventuell auch über Kohle oder Gas gesichert werden kann.
Zudem einigten sich Merkel und die Länderchefs darauf, dass die restlichen neun Atommeiler von 2015 an stufenweise in Zwei-Jahres-Schritten stillgelegt werden, die neuesten drei Anlagen sollen 2022 ihre Produktion beenden.
Nach den Plänen der Koalition müssen die Betreiber weiterhin die Brennelementesteuer zahlen, deren Aufkommen für den Bundesetat wegen des baldigen Endes von acht Atomkraftwerken sich jedoch von 2,3 Milliarden Euro jährlich auf etwa 1,3 Milliarden verringern dürfte.
Die durch den Ausstieg wegfallenden Strommengen sollen durch erneuerbare Kapazitäten sowie fossile Anlagen, besonders Gaskraftwerke, kompensiert werden. Planung und Errichtung neuer Anlagen sowie der Ausbau der Netze, die den auf See und an Land im windreichen Norden erzeugten Ökostrom in den Süden transportieren sollen, werden beschleunigt.
Die Regierung hält an ihrem Ziel fest, bis 2020 die Versorgung zu 35 Prozent auf regenerative Quellen zu stützen. Windstrom an Land soll bei der EEG-Förderung nicht schlechter als Offshore-Elektrizität gestellt werden.
Die Erkundung eines Endlagers für Atommüll in Gorleben wird fortgesetzt, doch sollen bundesweit auch andere Standorte erkundet werden. Zur avisierten Energiewende gehören unter anderem Maßnahmen wie die verstärkte Förderung der Gebäudesanierung und der Elektromobilität oder Hilfen für energieintensive Unternehmen angesichts höherer Strompreise.
Wie stark diese Steigerung der Tarife letztlich ausfällt, ist nicht abzusehen, doch soll dies laut Regierung moderat bleiben.
Ob es im Bundestag zu einer Einigung der Koalition mit der Opposition über den Atomausstieg kommt, ist unklar. Laut SPD-Chef Sigmar Gabriel hält sich seine Partei eine Zustimmung noch offen. SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber trat dafür ein, den Atomausstieg in einem Staatsvertrag oder im Grundgesetz zu verankern.
Wie Hamburgs SPD-Regierungschef Olaf Scholz sieht die Düsseldorfer SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft nach dem Gespräch mit Merkel die Chance für einen "breiten parteipolitischen Konsens“. Ähnlich äußerte sich Thomas Oppermann, Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Die SPD hat zur ersten Lesung einen Antrag mit dem Titel "Die Energiewende gelingt nur mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)" (17/6084) vorgelegt.
Im Namen der Linksfraktion verlangt die Parlamentarierin Eva Bulling-Schröter, Vorsitzende des Umweltausschusses, ein Ende der Nuklearenergie bis zum Jahr 2014. Dazu hat die Fraktion auch einen Antrag vorgelegt (17/6092).
Fraktionschef Dr. Gregor Gysi fordert, den Atomausstieg im Grundgesetz abzusichern.
Für Renate Künast, Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, gehen die Beschlüsse zum Atomausstieg in die "richtige Richtung“. Allerdings treten die Grünen in einem Gesetzentwurf (17/5931) dafür ein, die Kernkraftwerke bis 2017 abzuschalten. Die Fraktion verlangt, den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bis 2020 auf deutlich über 40 Prozent anzuheben.
Die Länderchefs kritisieren, dass Höchstspannungsleitungen zum Stromtransport künftig nicht mehr von den Ländern, sondern vom Bund geplant werden sollen. Die Ministerpräsidenten einigten sich mit der Kanzlerin darauf, dass nun in einer Arbeitsgruppe geklärt werden soll, wie die Kompetenzen beim Ausbau der Stromnetze verteilt werden.
Die Grünen haben neben ihrem Gesetzentwurf auch zwei Anträge eingebracht. Im ersten fordern sie, Rückstellungen der Atomwirtschaft in Ökowandel-Fonds zu überführen und Sicherheit, Transparenz und ökologischen Nutzen zu schaffen statt an Wettbewerbsverzerrungen und Ausfallrisiko festzuhalten (17/6119).
Im zweiten Antrag (17/6109) dringen sie darauf, Versorgungssicherheit transparent zu machen und wenden sich gegen Experimente mit atomarer "Kaltreserve".
Nach dem Auftakt zur parlamentarischen Behandlung in der ersten Sitzungswoche des Bundestags im Juni sollen die Ausschussberatungen zu Atomausstieg und Energiewende bis zum 29. Juni abgeschlossen sein, so dass das Gesetzespaket am 30. Juni im Parlament bei der zweiten und dritten Lesung zur Abstimmung gestellt werden kann.
Im Bundesrat steht das Thema am 8. Juli auf der Tagesordnung. (kos)