Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Organspende
Um die Zahl der Organspenden in Deutschland zu erhöhen, halten zahlreiche Experten eine Änderung des Transplantationsgesetzes (TPG) für erforderlich. In einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am Mittwoch, 29. Juni 2011, unter Vorsitz von Dr. Carola Reimann (SPD) zu den rechtlichen und ethischen Aspekten von Organspenden sprachen sich unter anderen der ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Essen, Prof. Dr. Eckhard Nagel, und der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, für eine so genannte Entscheidungslösung aus.
Diese sieht vor, jeden Bürger zu seiner Bereitschaft für oder gegen die Organspende zu befragen und diese Entscheidung auf dem Personalausweis, dem Führerschein, der Krankenversicherungskarte oder einem anderen Dokument festzuhalten. Im Todesfall eines Patienten müssten heute schon die Angehörigen befragt werden, ob dieser als Organspender infrage kommt, sagte Nagel. Die Angehörigen könnten sich nicht vor einer Entscheidung drücken. Der Professor fügte hinzu, es sei deshalb folgerichtig, dass jeder zu Lebzeiten selbst mit einer solchen Entscheidung konfrontiert wird.
Huber sagte, es gebe eine "ethische Entscheidungspflicht" jedes Einzelnen. Diese könne von der Gesellschaft auch eingefordert werden. Gleichwohl dürfe niemand zu einer Organspende gezwungen werden. "Wir reden über Organspende und nicht über eine Organspendepflicht“, betonte der Bischof.
Auch der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, hob hervor, eine Entscheidungslösung könne nur dann verfassungsgemäß sein, wenn an die Entscheidungspflicht keine juristischen Konsequenzen geknüpft würden.
Für eine ebenfalls diskutierte Widerspruchslösung, bei der jeder automatisch Organspender ist, der dies zu Lebzeiten nicht ausdrücklich verneint hat, sprach sich dagegen der Direktor der Klinik für Allgemein-, Visceral- und Transplantationschirurgie der Charité-Universitätsmedizin in Berlin, Prof. Dr. med. Peter Neuhaus, aus.
Beispiele anderer europäischer Länder zeigten, dass mit der Einführung einer Widerspruchslösung erheblich mehr Organe zur Transplantation gewonnen werden könnten. Der Professor plädierte dafür, die Organentnahme für zulässig zu erklären, "wenn die Angehörigen ihr nicht widersprochen haben“. Schmidt-Jortzig hingegen machte deutlich, dass eine Widerspruchslösung "nicht verfassungsgemäß wäre“. Verletzt sieht er insbesondere das Selbstbestimmungsrecht.
Zurzeit gilt in Deutschland eine erweiterte Zustimmungslösung. Danach dürfen einem Menschen nur dann Organe entnommen werden, wenn er seine Zustimmung selbst vor seinem Tod in einem Organspendeausweis festgehalten hat oder seine Angehörigen einer Organentnahme nach seinem Tod zustimmen.
Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) warten derzeit rund 12.000 schwer erkrankte Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan, allein 8.000 auf eine Niere. Drei von ihnen sterben laut DSO aber pro Tag, weil es nicht ausreichend Organspender gibt. Deutschland liegt bei der Quote der Organspender im EU-Vergleich auf den hinteren Rängen.
Die Gastprofessorin am Institut für Soziologie der Technischen Universität Darmstadt, Prof. Dr. Alexandra Manzei, erinnerte in der Anhörung daran, dass im Vorfeld der Transplantationsgesetzgebung von 1997 höchst umstritten gewesen sei, wann der Tod eintritt und mit welchen Mitteln er sich feststellen lässt. Angesichts neuer medizinischer Studien stehe das der Zustimmungslösung zugrunde liegende Hirntodkonzept erneut infrage.
Daher solle die Bundesärztekammer (BÄK) die Kriterien der Hirntodfeststellung überprüfen. Sowohl der Münchner Hirntod-Experte Prof. Dr. Heinz Angstwurm als auch BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery widersprachen deutlich: Angstwurm betonte, es gebe keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Montgomery fügte hinzu: "Es ist unendlich schwer, etwas zu beweisen, was es nicht gibt.“ (mpi)