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Die Bekämpfung der Folgen der Erderwärmung gehört zu den Schwerpunktthemen, mit denen sich die Parlamentarische Versammlung der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation bei ihrer Tagung vom 30. Juni bis 2. Juli in der ukrainischen Hauptstadt Kiew befasst. Manfred Grund betont im Interview, dass diese Region zunehmend unter dem Klimawandel zu leiden hat, etwa unter Dürreperioden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete schlägt Modernisierungspartnerschaften zwischen EU-Ländern und Schwarzmeer-Staaten vor, um in dieser Gegend den Energieverbrauch zu reduzieren. Der Bundestag hat Grund als Beobachter zur Parlamentarischen Versammlung der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation entsandt. Das Interview im Wortlaut:
Der Wechsel an der ukrainischen Staatsspitze vom "prowestlichen" Viktor Juschtschenko zu Viktor Janukowitsch, der als "prorussisch" gilt, hat Befürchtungen über eine Abkehr des Landes von Westeuropa genährt. Inwiefern wirkt sich die Entwicklung in der Ukraine auf die Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation aus?
Mit Janukowitschs Machtübernahme haben sich die Gewichte im Schwarzmeerraum insgesamt etwas verlagert. Russland hat an Einfluss gewonnen. Im Gegenzug für verbilligte Gaslieferungen an die Ukraine konnte Moskau eine langfristige Verlängerung der Stationierungsrechte für seine Schwarzmeerflotte auf der Krim erreichen. Bei Stereotypen wie "prorussisch" oder "prowestlich" sollte man allerdings Vorsicht walten lassen. Die Ukraine will sich ja weiter der EU annähern, zudem sind nicht alle Interessengegensätze zwischen Moskau und Kiew verschwunden. Die Ukraine betreibt inzwischen eine ausgeglichenere Außenpolitik zwischen Russland und der EU, was an sich keineswegs verkehrt ist. Wichtiger für die Menschen in der Ukraine und im Schwarzmeerraum ist, ob die Regierung in Kiew eine konsequente Reformpolitik betreibt oder nicht.
In Kiew werden Janukowitsch und der Moskauer Außenminister Sergej Lawrow zu den Abgeordneten sprechen. Was wird von diesen Reden erwartet, auf welche neuralgischen Aspekte in der Region am Schwarzen Meer müssten die beiden Politiker eingehen?
Am Schwarzen Meer finden sich heute nahezu alle verbliebenen sicherheitspolitischen Konfliktfelder in Europa. Dazu zählen etwa die schwelenden Auseinandersetzungen um Abchasien und Südossetien in Georgien, um das zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittene Berg Karabach sowie um Transnistrien. Indirekt kann die Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation als Kontaktforum für die Konfliktparteien einen Beitrag zur Entspannung leisten. Wirklich lösen lassen sich solche Probleme im Rahmen unseres Kooperationsverbunds aber nicht, dafür sind andere Gremien besser geeignet. Die Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation sollte sich darauf konzentrieren, die Wirtschaft und Infrastrukturprojekte in dieser Region voranzubringen.
Ein zentrales Debattenthema in Kiew ist der Kampf gegen den Klimawandel. Wie machen sich diese Problem im Schwarzmeerraum bemerkbar?
Diese Gegend leidet zunehmend unter den Folgen der Erderwärmung. So wurde die Republik Moldau, einst wegen ihrer fruchtbaren Böden der Gemüsegarten der Sowjetunion, mehrfach von schweren Dürreperioden heimgesucht. Die Ukraine, einer der größten Getreideexporteure der Welt, musste wegen der Dürre im Sommer 2010 kurzfristig die Ausfuhr dieser Nahrungsmittel einschränken. Die Klimaerwärmung verstärkt auch die Umweltprobleme im Schwarzen Meer, das bereits unter Verschmutzung, Überdüngung und Überfischung leidet.
Was lässt sich gegen den Klimawandel am Schwarzen Meer tun? Kann dabei die Parlamentarische Versammlung der Wirtschaftskooperation eine Rolle spielen?
Grund: Die Erderwärmung wird in den Anrainerstaaten erhebliche Kosten verursachen. Bewältigen kann diese Probleme nicht jedes Land für sich allein, ohne eine bessere Zusammenarbeit im Rahmen der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation ist das nicht zu schaffen. Aber es ist einiges möglich. So schlummert in der Energieeffizienz, also in der Einsparung von Energie, in dieser Region ein riesiges Potenzial. Gemessen an der Wirtschaftsleistung hat etwa die Ukraine einen Energieverbrauch, der weltweit mit an der Spitze steht. Wenn es darum geht, weniger fossile Energieträger zu verbrennen, dann könnten Modernisierungspartnerschaften zwischen EU-Ländern und den Staaten am Schwarzen Meer sehr hilfreich sein. Gleiches gilt für die Erneuerung der Leitungsnetze und für den Ausbau der grenzübergreifenden Energieinfrastruktur.
Diskussionsthema in Kiew ist auch die Förderung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts. Woran hapert es denn, gilt die Region am Schwarzen Meer als "rückständig"?
Die Situation in dieser Gegend ist keineswegs einheitlich. Im Süden erlebt die Türkei seit Jahren einen ökonomischen Boom. Im nördlichen Schwarzmeerraum hingegen weist die technische Infrastruktur vielfältige Defizite auf, wodurch die Entfaltung der wirtschaftlichen Potenziale behindert wird, da existiert ein erheblicher Modernisierungsbedarf. Nötig sind mehr Investitionen in Forschung und Technologie. Auch der wissenschaftliche Austausch muss gefördert werden, um die Innovationskraft und den Technologietransfer in dieser Region zu stärken. Gerade die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft hängt wesentlich von internationaler Vernetzung ab. Dafür die Rechtsgrundlagen zu stärken, gehört zu den zentralen Anliegen unserer Parlamentarischen Versammlung.
(kos)