Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > 70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention
Vertreter der Regierungskoalition und der Oppositionsfraktionen haben am Donnerstag, 7. Juli 2011, die Bedeutung der vor 60 Jahren verabschiedeten Genfer Flüchtlingskonvention für den internationalen Flüchtlingsschutz gewürdigt. Zugleich verteidigten Abgeordnete von CDU/CSU und FDP die Asylpolitik der Bundesregierung gegen Kritik von SPD, Linksfraktion und Grünen. Während Anträge der Links- (17/6095) und der Grünen-Fraktion (17/6347) zur Weiterentwicklung des Flüchtlingsschutzes an die zuständigen Ausschüsse überwiesen wurden, lehnte das Parlament eine Reihe weiterer Anträge von Linksfraktion /17/4679, 17/5362) und von Bündnis 90/Die Grünen (17/4886, 17/5362; 17/4439, 17/5361; 17/5909/17/6266) zu Fragen der Asyl- und Flüchtlingspolitik ab. Dabei votierten in namentlicher Abstimmung 312 von 581 Abgeordneten gegen einen Grünen-Antrag zur "unverzüglichen Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ (17/5775, 17/6383).
In der Debatte wertete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Dr. Christoph Bergner (CDU), die Genfer Flüchtlingskonvention als "ein Stück humanitärer Fortschrittsgeschichte“ und als "Erfolgsmodell“. Deutschland habe erfolgreich die Herausforderung bestanden, hohe Asylantragszahlen zu bewältigen und zugleich dem einzelnen Verfolgungsschicksal gerecht zu werden.
"In all den Jahren haben wir tatsächlich Verfolgten großzügig Schutz gewährt“, unterstrich Bergner. Seit Inkrafttreten der Konvention hätten mehr als 385.000 Menschen in Deutschland den Flüchtlingsstatus erhalten. Gegenwärtig lebten noch 115.000 Menschen mit diesem Status in der Bundesrepublik. Hinzu kämen noch rund 26.000 Menschen mit einem humanitären Schutzstatus.
Vor allem im Rahmen der Asylrechtsreform Anfang der neunziger Jahren sei es gelungen, "das Asylverfahren für Migranten mit asylfernen Motiven unattraktiv zu machen“, fügte Bergner hinzu. Er verwies zugleich darauf, dass die Asylbewerberzahlen wieder anstiegen.
Nach einem zwischenzeitlichen Tiefststand von 19.000 Asylbewerbern im Jahr 2007 habe man im vergangenen Jahr 41.000 Asylbewerber registriert. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres seien es 21.000 Asylbewerber, was im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 32 Prozent bedeute.
Grünen-Fraktionsvize Josef Philip Winkler sagte, Ziel der am 28. Juli 1951 unterzeichneten Flüchtlingskonvention sei es, "Menschen zu schützen, die aufgrund von Verfolgung über Staatsgrenzen geflohen sind“. Dabei habe die Konvention nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. "Sie ist und bleibt die Magna Charta des internationalen Flüchtlingsschutzes.“
Auch 60 Jahre nach ihrer Verabschiedung müssten Menschen aus Angst vor politischer Unterdrückung, vor Bedrohung durch Bürgerkriege oder vor willkürlicher Gewalt ihre Herkunftsländer verlassen und seien auf den Schutz der Aufnahmeländer angewiesen. Die Zahl der Opfer von Flucht und Vertreibung werde weltweit derzeit auf bis zu 50 Millionen Menschen geschätzt.
Aus der Konvention folge zwingend, dass Schutzsuchenden Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewährt werden müsse, fügte Winkler hinzu. Europa errichte aber "immer neue und höhere Hürden“. Da es kaum noch Möglichkeiten gebe, Europa auf legalem und sicherem Weg zu erreichen, gingen Flüchtlinge lebensgefährliche Risiken ein, um Schutz in der EU zu finden.
Allein in den vergangenen vier Monaten seien im Mittelmeer mindestens 1.650 Menschen auf der Flucht vor Menschenrechtsverletzungen, Gewalt und Armut ertrunken. "Diese Situation ist humanitär unhaltbar“, betonte der Abgeordnete.
Für die Linksfraktion sagte ihre Abgeordnete Ulla Jelpke, die Genfer Flüchtlingskonvention habe vor allem sicherstellen sollen, dass Flüchtlinge nicht in die Staaten zurückkehren müssen, die sie verfolgen. Das bedeute auch, dass niemand in einen Staat verbracht werden dürfe, in dem ihm wiederum die Abschiebung in das Verfolgerland drohe.
Dieses "Gebot der Nichtzurückweisung“ sei das "Herzstück“ der Konvention. Genau dies werde aber durch Deutschland und viele andere EU-Staaten "auf breiter Front unterlaufen“. Die "Verletzung von Flüchtlingsrechten durch Abschiebung in vermeintlich sichere Drittstaaten“ sei in der EU zu einem System geworden.
Auch die SPD-Parlamentarierin Daniela Kolbe kritisierte, dass Schutzbedürftige keine Möglichkeit mehr hätten, nach Europa zu kommen. Man müsse "endlich wieder mal abwägen“ zwischen dem legitimen Interesse der Grenzsicherung und dem Recht auf Leben und Asyl.
Kolbe kritisierte zugleich, offensichtlich sei ein Deal der Bundesregierung mit Algerien über Rüstungsgüter, Sicherheits- und Grenzschutztechnik in Höhe von zehn Milliarden Euro zustande gekommen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei dazu in einer Zeitung mit der vom Ende vergangenen Jahres stammenden Äußerung zu diesem Thema zitiert worden, dass solche Grenzsicherungsprojekte auch dazu beitrügen, Flüchtlingsströme zu unterbinden.
"Das heißt: Zehn Milliarden Euro für die Rüstungsindustrie, weniger Flüchtlinge - das ist ja ein ganz toller Deal für dieses Land“, sagte Kolbe. Sie schäme sich für die Bundesregierung und finde es "moralisch wirklich abgrundtief, was hier gerade passiert“.
Der FDP-Parlamentarier Hartfrid Wolff entgegnete, seine Fraktion fühle sich einer humanitären Flüchtlingshilfe verpflichtet, doch "Betroffenheitspolitik“ helfe den Menschen nicht.
In der Debatte spreche man erneut über eine Vielzahl von Oppositionsanträgen "zu immer den gleichen Themen der Flüchtlingspolitik“.
Zwar gebe es auch aus Sicht seiner Fraktion auf dem Weg zu einem europäischen Asylsystem Verbesserungsbedarf, doch sei beispielsweise eine Abschaffung der EU-Rückführungsrichtlinie ebenso wenig ein ernstzunehmender Vorschlag wie die Auflösung der EU-Grenzschutzagentur Frontex.
Mit Blick auf die Lage in Syrien verwies Wolff darauf, dass das Bundesinnenministerium den zuständigen Bundesländern empfohlen habe, keine Abschiebungen nach Syrien vorzunehmen. Mehr könne eine Aussetzung des Rückübernahmeabkommens auch nicht bewirken.
Der CSU-Abgeordnete Michael Frieser betonte, wer nach Deutschland komme und tatsächlich in seinem Land mit Folter oder Tod bedroht sei, habe das Recht, hier zu bleiben. Man müsse denen eine Perspektive bieten, die in ihrer Heimat tatsächlich verfolgt sind. Man könne aber nicht "jedes Leid der Welt an dieser Stelle wirklich heilen“.
Wer Menschen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention wirklich schutzbedürftig sind, mit anderen Ankömmlingen gleichsetze, verhalte sich inhuman. (sto)