Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Heike Hänsel (Die Linke)
Sie engagierte sich in der Friedensbewegung, bei Amnesty International und im globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC: Rund 25 Jahre war Heike Hänsel politisch vor allem in Bewegungen aktiv, bevor die Politikerin der Partei Die Linke 2005 über die Landesliste Baden-Württemberg für den Wahlkreis Tübingen in den Bundestag gewählt wurde. Die studierte Ernährungswissenschaftlerin ist seitdem Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, seit 2009 Vorsitzende des Unterausschusses Vereinte Nationen, internationale Organisationen und Globalisierung. Als entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion kämpft Hänsel insbesondere gegen Armut als "Ursache Nummer eins von Krisen" auf der Welt.
Es war eine Reise, die Heike Hänsel als Studentin nach Santiago de Chile machte, die ihre Politik als Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag bis heute beeinflusst: 1988 nahm die damals 22-Jährige an einem internationalen Kulturtreffen teil, zu dem die demokratische Opposition in Chile eingeladen hatte. "Es kamen Theaterschaffende, Musiker, auch Wissenschaftler - alle, die sich solidarisch erklärten mit dem chilenischen Widerstand gegen das Pinochet-Regime."
Für sie sei es ein "prägendes Ereignis" gewesen, in eine Diktatur zu reisen, erzählt Hänsel. "Öffentliche Kundgebungen waren verboten. Und es gab Drohungen, man werde Leute verhaften", erinnert sie sich. "Damals war ja schon das Rezitieren eines Gedichts von Pablo Neruda oder das Singen eines Viktor-Jara-Liedes gefährlich."
Trotzdem nahm die Studentin an spontanen Demonstrationen Teil und geriet in den harten Strahl der Wasserwerfer. Angst hatte sie nicht: "Ich habe verstanden, dass man etwas tun kann. Man kann die Opposition unterstützen, in dem man dorthin reist. Das war ein gewisser Schutz, denn natürlich hat das Aufmerksamkeit erzeugt." Wenn sie heute als Politikerin nichtmilitärische Präsenz in Krisenregionen fordert, dann, weil sie diese Einsicht antreibt.
Einsatz für Menschenrechte, Friedensarbeit, Hilfe für Entwicklungsländer - das sind die Konstanten des politischen Engagements der gebürtigen Stuttgarterin seit rund 25 Jahren. Begonnen hat der verschlungene Pfad, auf dem die heute 45-Jährige in die Politik und den Bundestag gekommen ist, in Tübingen.
Fasziniert von den Ideen der Befreiungstheologie hatte Hänsel dort 1985 begonnen, katholische Theologie zu studieren. An der Universität engagierte sie sich für Flüchtlinge, knüpfte Kontakt zur Friedensbewegung. Insbesondere der Protest gegen den Nato-Doppelbeschluss politisierte Hänsel: Immer wieder war sie bei Blockaden in der Mutlanger Heide dabei, um gegen die dort stationierten Pershing-II-Raketen zu protestieren.
Das sei der Auslöser gewesen, sich gesellschaftlich genauer zu orientieren, erzählt Hänsel. "In welcher Welt leben wir? Was bedeutet diese Hochrüstung, diese Konfrontationspolitik für die Gesellschaft?" Wie sie da in ihrem Berliner Abgeordnetenbüro unweit des Brandenburger Tors sitzt - in Lederjacke und buntem Halstuch, ein wenig ruhelos auf der Kante eines mit bunten Ethno-Stoffen überworfenen Sofas - da entspricht sie mehr dem Bild einer Aktivistin als dem einer Abgeordneten.
1988 brach Hänsel ihr Theologiestudium ab. "Zu wenig Berufsaussichten für Frauen, zu dogmatisch", sagt sie zur Begründung. Als "gläubigen Menschen" bezeichnet sie sich nichtsdestotrotz. 1989 wechselte Hänsel an die Universität Gießen, um dort Ernährungswissenschaften zu studieren. Ihr Motiv: Dieses Wissen in der Entwicklungshilfe sinnvoll anzuwenden.
Die Diplomarbeit schrieb sie über die Ernährungssituation von Frauen in den Slums von Jakarta. Ein Jahr, von November 1993 bis November 1994, forschte sie im Rahmen eines gemeinsamen Projekts der früheren Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und der Universität Jakarta in der indonesischen Hauptstadt. Dort habe sie mehr gelernt als in ihrem ganzen Studium, sagt sie.
Doch ihrem Ziel, selbst einmal Entwicklungshelferin zu werden, brachte sie diese Erfahrung nicht näher. Im Gegenteil, sie verwarf es. "Ich habe ja gesehen, dass in der Entwicklungspolitik vieles falsch laufen kann." Die GTZ sei zu dominant gewesen, die beteiligten Universitätsprofessoren hätten viel zu wenig selbst entscheiden können.
"Ich verstehe Entwicklungszusammenarbeit aber so, dass ein Wissenstransfer stattfindet, der Kapazitäten in den Ländern schafft." Dafür müssten eigene Beschäftigungs- und Wirtschaftsinteressen zurückstehen.
Hänsel konzentrierte sich stattdessen nach dem Abschluss ihre Studiums 1997 vor allem auf die Friedensarbeit in der "Gesellschaft Kultur des Friedens", einer Initiative, zu deren Gründern sie 1988 neben namhaften Künstlern und Intellektuellen wie Mikis Theodorakis, Tschingis Aitmatow, Karola Bloch, Christa Wolf, Robert Jungk und vielen weiteren auch gehört hatte.
Schon während des Studiums war sie im Rahmen dieser Initiative an Friedensaktionen in Kolumbien, im Iran und auf dem Balkan beteiligt. Nun übernahm sie als Hauptamtliche die Öffentlichkeitsarbeit und engagierte sich weiterhin in Projekten für Kriegsflüchtlinge auf dem Balkan.
1997 und 2001 war sie zudem als Wahlbeobachterin für die OSZE in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo im Einsatz. Im selben Jahr wurde Hänsel auch Mitglied bei ATTAC, wo sie sich zunächst im Koordinierungskreis engagierte, dann von 2004 bis 2005 auch für die EU-AG als Sprecherin fungierte.
2002 zog Hänsel erstmals in Erwägung, auch parlamentarisch aktiv zu werden. Nach Jahren des Unterschriftensammelns und des erfolglosen Bemühens, bei Abgeordneten Gehör für die Anliegen ihrer Initiative zu finden, sei der "Wunsch gewachsen, selbst Verantwortung zu übernehmen und zu zeigen, dass ich etwas anders machen möchte", sagt sie.
2002 kandidierte sie in Tübingen - noch als Parteilose - für die PDS bei der Kommunalwahl. 2005 trat die ledige und kinderlose Hänsel für die Linkspartei.PDS für die Wahl zum Bundestag an. Mit Erfolg.
Seitdem kämpft sie als Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für eine Entwicklungszusammenarbeit, die wirklich "die Ursachen von Armut" beseitigt. Hänsel fordert eine radikale Wende, nicht nur in der Entwicklungszusammenarbeit, sondern vor allem auch in den internationalen wirtschaftlichen Beziehungen. "Wir haben eine aggressive, neokoloniale Handelspolitik, die wirtschaftliche Strukturen in Entwicklungsländern zerstört", kritisiert die Abgeordnete.
Die Industrieländer wollten deren Rohstoffe - und ihre eigenen Produkte verkaufen. Eine Binnenwirtschaft könnten die Entwicklungsländer so nicht entwickeln. Arme Länder blieben arm. "Die Ursache Nummer eins für Krisen weltweit", sagt Hänsel. Diesen "Teufelskreis zu durchbrechen", sei ihr ein großes Anliegen.
Ein Ziel der Schwäbin ist deshalb die Stärkung der Vereinten Nationen. "Wir brauchen eine starke UNO, in der alle Länder gleichberechtigt entscheiden können und in der das Primat der Politik dominiert." Derzeit gelte das Primat der Finanzwirtschaft. Dass "eigentlich nicht demokratisch legitimierte Organisationen wie die G8/G20-Staaten" mit vielen globalisierungs- und entwicklungspolitischen Fragen befasst seien, kritisiert sie zudem als eine "Selbstmandatierung der Wirtschaft".
Daran etwas zu ändern - ein mühsames Geschäft. Hänsel hat ihren Idealismus dennoch nicht verloren: "Es macht mir Mut, Menschen zu begegnen, die sich unter noch viel schwierigeren Verhältnissen engagieren." Politik sei kein Beruf, fügt sie hinzu: "Es ist ein Lebensinhalt." (sas)