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Weit sichtbar wehen die vier großen Fahnen auf den Türmen des alten Reichstagsgebäudes in Berlin: drei schwarz-rot-goldene Bundesflaggen (fünf mal sieben Meter) sowie auf dem Südostturm direkt über den Fraktionsräumen der SPD eine ebenso große azurblaue Europaflagge mit goldenen Sternen. Allerdings ist es international üblich, auf allen Fahnen die Farbe Gold durch ein eindrucksvolles Gelb zu ersetzen, da Gold nicht druckbar ist. Zudem gelten Gold und Gelb in der Heraldik als gleichwertig. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich für den Farbton RAL 1021 Rapsgelb entschieden.
Das berühmteste Fahnenquartett der deutschen Hauptstadt sind nicht die einzigen Flaggen, um die José Cases, Flaggenwart beim Deutschen Bundestag, sich kümmern muss. An seiner Bürotür im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus steht "Frack- und Flaggenstelle". Von der riesigen Einheitsfahne auf dem Platz der Republik direkt vor dem Westeingang des Reichstagsgebäudes bis zu den handlichen Tischflaggen auf den Konferenztischen - der ehemalige Gas-Wasser-Installateur sorgt dafür, dass stets die Richtige an ihrem Ort hängt oder steht.
Außerdem werden ausländische Gäste des Bundestages durch das Aufziehen ihrer Landesfahne vor dem Reichstagsgebäude begrüßt. Auch diese Formalität liegt in den Händen des Flaggenbeauftragten. Stets muss er sorgfältig darauf achten, dass das feierliche Tuch nicht aus Unachtsamkeit falsch herum aufgezogen wird.
Der 41-jährige Spanier ist eine Rarität im Deutschen Bundestag. "Ich bin vermutlich der einzige deutsche Beamte mit einem spanischen Pass" erzählt er stolz. Cases war bereits in Bonn beim Bundestag angestellt. Dort hat er als Bote angefangen und wurde später Parlamentsdiener mit einem Frack als Dienstkleidung.
In Bonn war keine Person extra für die Organisation der Beflaggung abgestellt. "Früher wurde weniger geflaggt", erinnert sich Cases. "Seit dem Berlin-Umzug werden immer wieder Fahnen innerhalb des Hauses ausgeliehen. Da benötigte man eine Person, die dies managt und koordiniert."
Der gebürtige Spanier - er kam im Alter von drei Jahren in die Bundesrepublik - empfindet seine Aufgabe als etwas ganz Besonderes. "Es ist wie ein Dankeschön, welches ich von Deutschland bekommen habe", erzählt er. Besonders genießt er, wenn beim Flaggenwechsel die Sonne scheint. "Es ist ein erhebender Moment", erzählt Cases.
Am Bundestag wehen die Fahnen Tag und Nacht. "Die Flaggen werden nur ausgetauscht, wenn sie ausgefranst oder dreckig sind", erzählt der Flaggenwart. Dabei hält er sich auch an ein ungeschriebenes Gesetz der Flaggen-Ethik: Das Tuch darf nicht den Boden berühren. Für Cases ist das auch eine "Frage des Respekts".
Im Beflaggungserlass der Bundesregierung ist vorgeschrieben, dass Dienstgebäude der obersten Bundesbehörden ebenso wie Gebäude, in denen sich Räume einer solchen Dienststelle befinden, täglich beflaggt werden. Auch die Größe der Fahnen und ihr genauer Standort sind dort aufgelistet.
Mehr als 200 Fahnen verschiedener Länder und Größen lagern in einem unscheinbaren Raum im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Sie liegen aufgerollt und durch weiße, undurchsichtige Hüllen vor Staub und Schmutz geschützt in den Regalen. So können sie nicht knittern oder Falten bekommen.
Nur anhand von Nummern findet José Cases die gesuchten Flaggen heraus. Außerdem warten 125 Tischfähnchen verschiedener Landesfarben auf ihren Einsatz bei Konferenzen, Ausschusssitzungen oder Einladungen. "Sie werden am öftesten gebraucht", erzählt José Cases.
Cases sorgt zudem dafür, dass im Trauerfall die Fahnen auf Halbmast gesetzt werden. Das war beispielsweise der Fall am Samstag, 13. August, dem 50. Jahrestag des Mauerbaus. Im Übrigen regelmäßig am Todestag oder am Tag der Kenntnis vom Ableben eines Abgeordneten des Deutschen Bundestages sowie am Tag des Nachrufes auf ein Bundestagsmitglied in der Plenarsitzung. Auch am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar) sowie am Volkstrauertag (vorletzter Sonntag vor dem ersten Advent) wehen die Fahnen des Bundestages auf Halbmast.
Eine Sonderstellung nimmt die riesige Fahne der Einheit auf dem Platz der Republik am Reichstagsgebäude ein. Mit 60 Quadratmetern ist sie so groß wie eine durchschnittliche Zweizimmerwohnung. Das sechs mal zehn Meter große Tuch weht an einem 28,5 Meter hohen Flaggenmast.
An dem Sockel des Mastes befindet sich eine von Bronzeplatten eingefasste Bronze-Inschrift "DEUTSCHE EINHEIT 3. OKTOBER 1990". Vier große, in den Sockel eingelassene Scheinwerfer strahlen bei Dunkelheit Mast und Flagge an.
Sie bleibt - als einzige Ausnahme - von der Beflaggungsregelung ausgenommen und wird nur in ganz besonderen Einzelfällen auf Halbmast gesetzt - so zum Beispiel nach dem schrecklichen Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium. (ah)