Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Lammert zur Euro-Krise
Von der deutsch-französischen Initiative für eine Schuldenbremse und der Verpflichtung zu einem ausgeglichenen Haushalt in der Eurozone geht ein wichtiges Signal für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik aus, schreibt Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert in einem am 23. August 2011 erschienenen Beitrag für das "Handelsblatt". Sie sei zur Stabilisierung des Euros unbedingt notwendig. Weiter schreibt Lammert:
"Das bedeutet keineswegs zwangsläufig eine neue Geschäftsgrundlage zulasten der nationalen Parlamente. Denn bereits heute gibt es mit dem 'Europäischen Semester', in dessen Rahmen die Mitgliedstaaten sich in ihrer jährlichen Haushaltsplanung stärker mit Brüssel abstimmen sollten, ein Instrument vorbeugender Überwachung durch die EU-Kommission.
Drohende Verstöße gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt sollen so von vornherein verhindert werden. Das ist ohne Mitwirkung des Haushaltsgesetzgebers, also des Parlaments, nicht möglich. Auch im 'Euro-Plus-Pakt' vom März 2011, der die Notwendigkeit zur Abstimmung noch auf weitere Politikbereiche erstreckt, steht die Prüfung der nationalen Haushalte auf ihre Vereinbarkeit mit den EU-Regeln - ausdrücklich unter 'uneingeschränkter Wahrung der Vorrechte der nationalen Parlamente'.
Aus gutem Grund: Das Haushaltsrecht, also die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben, ist das Königsrecht des Parlaments. Es steht nicht zur Disposition der Regierung. Wo auch immer das Budgetrecht tangiert wird, sind die parlamentarische Beratung und die Beschlussfassung durch die Volksvertretung zwingend erforderlich.
Die beschriebenen Instrumente der wirtschafts- und finanzpolitischen Koordinierung auf europäischer Ebene sind eine Herausforderung und zugleich eine Chance für die Wahrnehmung des Haushaltsrechts. Das Parlament kann und wird sich dieser Herausforderung in inhaltlicher und organisatorischer Hinsicht stellen.
Insbesondere die Zeitpläne von Europäischem Semester, Euro-Plus-Pakt und nationalem Haushalt, die ohnehin eng miteinander verwoben sind, erfordern eine kritische und konstruktive Beratung durch die jeweiligen Parlamente, auch im Deutschen Bundestag. Es ist ganz sicher kein Nachteil, wenn der Bundestag über den Haushaltsentwurf der Bundesregierung zukünftig unter Berücksichtigung der Stellungnahme der EU-Kommission zur Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Euro-Stabilitätspakt berät und entscheidet.
Von einer Entmachtung der Parlamente kann also keine Rede sein. Denn die abschließende, rechtswirksame Entscheidung trifft der Bundestag. Es kommt gerade in Krisensituationen darauf an, gemeinsam Wege zu finden, die den unterschiedlichen Aufgaben und Ansprüchen von Parlament und Regierung gerecht werden: den Mitwirkungsrechten des Bundestags und seinem verfassungsrechtlichen Anspruch, über europapolitische Initiativen der Regierung rechtzeitig und umfassend vorab unterrichtet zu werden, und dem notwendigen Spielraum, den die Bundesregierung braucht, um in Verhandlungen mit den europäischen Partnern zu Ergebnissen zu kommen.
Gelegentlich wird behauptet, die Euro-Rettung sei wegen 'Gefahr im Verzug' das falsche Thema, um auf die Rechte des Parlaments zu pochen. Hier geht es jedoch um die Frage der demokratischen Legitimation politischen Handelns. Und damit um nicht mehr, aber auch nicht weniger als um die Frage, ob die Bürger sich in Europa repräsentiert fühlen. Wir haben - aus guten Gründen und freiwillig - in erheblichem Maße staatliche Souveränitätsrechte an die Europäische Gemeinschaft übertragen.
Damit liegen bestimmte Entscheidungen und Abläufe nicht mehr in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten. Dahinter steht die feste Überzeugung, dass manche Fragen europäische Antworten erfordern. Mit dem Vertrag von Lissabon wiederum hat der Einfluss nationaler Parlamente, also der Volksvertretungen, auf die Entscheidungsfindung in der EU zugenommen.
Das bedeutet zugleich mehr Verantwortung, die der Deutsche Bundestag auch entschlossen wahrnimmt: Alle finanziellen Stützungsaktionen sind unter seiner Beteiligung zustande gekommen und hätten auch nicht anders stattfinden dürfen. Das Parlament hat bewiesen, dass es auch in krisenhaften Situationen genau das zu leisten imstande ist, was unsere Verfassung von ihm verlangt, nämlich den gesetzlichen Rahmen für das Handeln der Regierung zuverlässig zu setzen: so schnell wie möglich und so sorgfältig wie nötig."