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Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages haben sich zum Ziel eines weiteren Bürokratieabbaus bekannt, wollen dabei aber zum Teil sehr unterschiedliche Wege einschlagen. In der Kernzeitdebatte am Donnerstag, 10. November 2011, erinnerte der Ernst Burgbacher (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, an die Wünsche des deutschen Mittelstandes an die Politik: „Dann heißt es häufig: Lasst uns arbeiten, gebt uns nicht ständig neue Regelungen, gängelt uns nicht." Genau das sei das Markenzeichen der christlich-liberalen Koalition: „Wir geben dem Mittelstand Freiraum, wir entlasten den Mittelstand von Bürokratie, wir lassen die Unternehmer arbeiten und überziehen sie nicht ständig mit neuen staatlichen Vorschriften."
Laut Burgbacher können beim Bürokratieabbau gute Erfolge vorgewiesen werden. Vor fünf Jahren noch habe die deutsche Wirtschaft 50 Milliarden Euro an Bürokratielasten zu erfüllen gehabt. „Wir haben das um 10,5 Milliarden Euro zurückgeführt", stellte Burgbacher erfreut fest. Zwar gehe ein Teil der Abbaumaßnahmen auf die Vorgängerregierung zurück, aber auch diese Regierung habe in den letzten zwei Jahren mit 4,5 Milliarden Euro Einsparungen beigetragen, und das „ist eine stolze Bilanz, die sich sehen lassen kann".
Als Beispiel für Bürokratieabbau nannte Burgbacher die Datensammelorganisation ELENA, auf die jetzt verzichtet werde. ELENA hätte gewaltige Kosten für kleine und mittlere Betriebe mit sich gebracht. Außerdem verwies der FDP-Politiker auf die Bürokratiebelastung durch EU-Vorgaben.
Im Bundeswirtschaftsministerium sei ein Frühwarnsystem für europäische Regelungen eingerichtet worden: „Dieses Frühwarnsystem wird ermöglich, dass wir europäische Vorgaben nicht erst dann behandeln, wenn es zu spät ist, sondern dass wir jetzt im Anfangsstadium sehen, was kommt und rechtzeitig reagieren können."
Dagegen konnte Andrea Wicklein (SPD) „seit zwei Jahren so gut wie keinen Fortschritt" beim Bürokratieabbau auf europäischer Ebene erkennen. Auch auf nationaler Ebene stagniere die Umsetzung des Regierungsprogramms zum Bürokratieabbau. Es sei „fatal", dass die Koalition ihr vorgegebenes Abbauziel nicht erreichen werde.
Wicklein forderte die Festlegung eines konkreten Abbauziels für 2012. Sie kritisierte außerdem die EU-Kommission, die nach wie vor nicht bereit sei, den Bürokratieabbau von einem unabhängigen Gremium bewerten zu lassen. „Wir brauchen einen europäischen Normenkontrollrat, der Regelungsvorhaben in der EU schon in der Frühphase auf mögliche Bürokratiekosten kontrolliert."
Den Vorwürfen der SPD-Fraktion widersprach Kai Wegner (CDU/CSU): „Wir haben einen großen Teil unserer Strecke geschafft." Allerdings müsse man aufpassen, „dass wir durch neue Regulierungen nicht noch zusätzlich diesen Weg erschweren".
Neben dem Abbau von Informationspflichten gehe es besonders um den Abbau von Erfüllungspflichten: „Nur so kann die deutsche Wirtschaft die Konjunkturlokomotive in Europa bleiben." Der Bürokratieabbau sei zudem ein „wahres Konjunkturprogramm zum Nulltarif".
Dr. Diether Dehm (Die Linke) warf der Koalition vor, sonntags vom Mittelstand zu reden, aber werktags „an der Leine der Exportkonzerne" zu trotten. Man brauche unbürokratischen Einsatz für mehr Binnennachfrage und nicht unbürokratische Hilfe für Großbanken. Bei Kleinunternehmen bis zu neun Beschäftigten würden pro Arbeitnehmer und Jahr 64 Arbeitsstunden und 4.361 Euro für bürokratischen Aufwand fällig.
Dehm forderte eine „demokratische Bürokratiekontrolle", zu der auch eine Überwachung und Einschränkung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gehören müsse. Das diene nicht nur dem Schutz der Verbraucher, sondern auch der 3,6 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen, die das Rückgrat der Wirtschaft bildeten. So würden Großkonzerne zum Beispiel der Automobilindustrie wesentliche Produktionsschritte auf mittelständische Betriebe abwälzen und Zulieferer „erpressen".
„Anspruch und Wirklichkeit gehen bei dieser Koalition völlig auseinander", stellte Christine Scheel (Bündnis 90/Die Grünen) fest. Nur auf dem Papier, aber nicht in der Realität sei der Mittelstand um zehn Milliarden Euro entlastet worden. Ein großer Teil der angekündigten Entlastungsmaßnahmen sei noch nicht einmal umgesetzt worden. „Wir fragen uns auch, wie Sie das bis zum Jahresende noch machen wollen", fragte Scheel genau wie zuvor schon Wicklein.
Zum Verzicht auf das ELENA-Programme gehöre auch, dass vorher über 300 Millionen Euro Belastungen für die Wirtschaft entstanden. Das müsse gegengerechnet werden. Scheel kritisierte auch, dass kleine Unternehmen eine Bilanz vorlegen müssten, die sie im Schnitt 2.500 Euro koste. Da habe sich der Steuerberaterverband wohl durchgesetzt.
Der Bundestag überweis zwei Anträge der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP (17/7636) und der SPD-Fraktion (17/7610) an die zuständigen Ausschüsse.
Union und FDP fordern die Bundesregierung in ihrem Antrag auf, den Abbau von Bürokratie zu intensivieren und dabei insbesondere die Schwerpunkte Steuervereinfachung, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren und die Einrichtung eines Frühwarnsystems für mittelstandsrelevante EU-Regulierungen zu setzen.
Die Regierung soll zudem einen Lösungsvorschlag zur Vereinheitlichung des Einkommensbegriffs im Steuer- und Sozialversicherungsrecht vorlegen und zeitnah prüfen, ob und gegebenenfalls wie „steuerfinanzierte Sozialleistungen zusammengefasst werden können". In diese Prüfung soll auch das Konzept eines „bedarfsorientierten Bürgergeldes" einbezogen werden.
Hervorgehoben wird in dem Antrag außerdem die Stärkung des Normenkontrollrates (NKR). Hatte das Gremium bisher nur geprüft, welche Informationspflichten sich aus einem Gesetzentwurf ergeben, so werde es in Zukunft auch um den „Erfüllungsaufwand" (zum Beispiel Aufbewahrung von Rechnungen und Belegen) gehen. Diese Erfüllungskosten würden oft deutlich höher als die bisher erfassten Informationskosten sein.
Die SPD-Fraktion verlangt, bis zum Jahresende 2011 das festgelegte Abbauziel von 25 Prozent als Nettoziel umzusetzen und dabei auf eine mittelstandsfreundliche Entlastung zu achten. Für den Zeitraum ab 2012 solle ein allgemeinverbindliches Abbauziel und ein neues Nettoentlastungsziel bei den Informations- und Statistikkosten festgelegt werden.
Die Bundesregierung soll außerdem bei Verhandlungen zu neuen Regelungsvorhaben auf EU-Ebene grundsätzlich gegenüber der Kommission auf einer plausiblen Bürokratiekostenabschätzung aller Legislativvorschläge zu bestehen. Die Vorschläge sollen durch einen europäischen Normenkontrollrat geprüft werden.
Die SPD-Fraktion fordert weiter, „verstärkt eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger ins Auge zu fassen". Hier liege ein erhebliches Aufgabenfeld, da sich die Bürger immer stärker mit komplizierten Antrags- und Genehmigungsverfahren konfrontiert sehen würden.
„Insbesondere Antragsverfahren für Pflegebedürftige, langfristig erkrankte Menschen sowie für Familien und Alleinerziehende sollen entwickelt werden", verlangt die Fraktion. Auf verschiedenen Gebieten könnten Online-Verfahren zur Beantragung von Leistungen wie BAföG realisiert werden. (hle)