Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Kundus
Unterschiedlich bewerteten Koalition und Opposition am Donnerstag, 1. Dezember im Plenum die Ergebnisse des Kundus-Untersuchungsaus- schusses. Bei dem Bombardement in der afghanischen Kundusregion vom 4. September 2009 waren zahlreiche Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, getötet worden.
Michael Brand (CDU/CSU) bezeichnete die Kritik der Opposition an Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wegen dessen Umgang mit dem Luftschlag als "unwürdiges Schauspiel". Der FDP-Abgeordnete Joachim Spatz sagte, aus heutiger Sicht sei der Angriff zwar als "militärisch nicht angemessen" einzustufen, doch habe Oberst Georg Klein bei seinem Befehl "nach bestem Wissen und Gewissen" auf der Basis der seinerzeitigen Informationslage gehandelt.
Die Opposition betonte hingegen, am Kundus-Fluss seien "schwere Fehler" passiert, Klein habe gegen militärische Einsatzregeln verstoßen. Paul Schäfer (Linke) kritisierte das Bombardement als völkerrechtswidrig. Rainer Arnold (SPD) und Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grüne) mahnten Konsequenzen aus dem Vorfall an und forderten klare Regeln für Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Der Luftschlag in der Nacht zum 4. September 2009 auf zwei von Talibankämpfern gekidnappte Tanklaster, den auf Befehl Kleins zwei US-Piloten ausführten, markiert aus Sicht aller Fraktionen eine "Zäsur" in der Geschichte der Bundeswehr. Zuvor habe es bei einer militärischen Operation noch nie so viele Zivilisten als unschuldige Opfer gegeben, unterstrich Brand. Nouripour wies darauf hin, dass bis heute die genaue Zahl der Toten und Verletzten unbekannt sei, in verschiedenen Berichten sei von bis zu 142 Opfern die Rede, unter ihnen auch Kinder.
Anfangs hatte das Verteidigungsressort unter dem damaligen Minister Franz-Josef Jung (CDU) die Existenz ziviler Opfer bestritten und dann deren Zahl niedrig gehängt. Im Zuge der Affäre war Jung, der nach der Bundestagswahl im September 2009 die Spitze des Arbeitsressorts übernommen hatte, von diesem Amt zurückgetreten, um für Informationspannen im Bendlerblock die Verantwortung zu übernehmen.
Guttenberg, Nachfolger Jungs im Verteidigungsministerium, entließ Staatssekretär Peter Wichert und Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, weil sie ihn über das Kundus-Bombardement unzureichend unterrichtet hätten und deshalb schuld an seinem anfänglichen Fehlurteil seien: Der CSU-Politiker hatte den Luftschlag zunächst als "militärisch angemessen" und dann als "militärisch unangemessen" eingestuft.
Wie der FDP-Abgeordnete Spatz wies auch Brand von der Union den Vorwurf der Linken zurück, der Angriff sei nicht durch das Völkerrecht gedeckt gewesen. Klein, so der CDU-Parlamentarier, habe ein hohes Maß an Verantwortung bewiesen. Man könne nie ausschließen, dass menschliche Quellen vor Ort fehlerhaft berichten. Klein hatte sich bei seinem Befehl auf die Angaben eines afghanischen Informanten gestützt, wonach sich bei den entführten Tanklastern keine Zivilisten befänden.
Es sei zu Fehlern gekommen, resümierte Brand, doch seien trotz der "Obstruktion" der Opposition im Ausschuss die nötigen Konsequenzen etwa bei der Verbesserung der Einsatzregeln gezogen worden, auch bei den Möglichkeiten zur militärischen Aufklärung habe es Nachholbedarf gegeben. Der CDU-Politiker kritisierte den seinerzeitigen Isaf-Kommandeur McChristal, der vor seinen Vorwürfen an die Adresse der Bundeswehr die Aufklärung des Bombardements hätte abwarten sollen.
Spatz erklärte, Oberst Kleins Informationslage sei wegen unzulänglicher Aufklärungsmittel unzureichend gewesen. Dies sei heute nicht mehr der Fall. Der Ausschuss habe Fehler und Mängel im afghanischen Einsatzgebiet und in den Kommunikationsstrukturen des Ministeriums zu Tage gefördert, die aber inzwischen abgestellt seien. Der FDP-Abgeordnete sah in der oppositionellen Kritik an Guttenberg eine "parteipolitische Inszenierung". Der Eindruck, den Schneiderhan und Wichert im Ausschuss hinterlassen hätten, lasse die Begründung des Ex-Ministers für deren Entlassung glaubwürdig erscheinen.
Der Sozialdemokrat Arnold warf der Regierung vor, keine aktive Aufklärung betrieben und bis heute die Angehörigen der Opfer nicht angemessen entschädigt zu haben. Es gehe nicht darum, Klein zu "verurteilen", sondern darum, das Bombardement zu "beurteilen". Ohne seine Verletzung von militärischen Einsatzregeln hätte der Oberst die US-Piloten gar nicht zu dem Luftschlag beordern können.
Arnold kritisierte Brand, der sich als "Ultrafan" von Guttenberg schützend vor den Ex-Minister stelle, obwohl dessen Einschätzungen des Luftangriffs widersprüchlich gewesen seien. An der Seriosität Schneiderhans und Wicherts, die im Ausschuss die Vorwürfe Guttenbergs zurückgewiesen hatten, habe er keine Zweifel. Arnold lobte Jung, der wegen "kleiner Fehler" bei der Öffentlichkeitsarbeit zurückgetreten sei.
Paul Schäfer von der Linke kritisierte, die Regierung habe in der Kundus-Affäre die Wahrheit nur scheibchenweise zugegeben, erst Enthüllungen in den Medien hätten die Aufklärung vorangebracht. Aus Sicht des Linkspolitikers wollte Klein lokalen Talibanführern und deren vermeintlichen Anhängern einen vernichtenden Schlag versetzen. Dies sei der Hintergrund, weswegen nicht genau geprüft worden sei, ob sich bei den Tanklastern tatsächlich keine Zivilisten aufhalten.
Schäfer sprach von "gravierenden Verstößen gegen Nato-Einsatzregeln", bei dem Bombardement handele es sich um eine Verletzung des Völkerrechts.
Aus Sicht des Grünen Nouripours hat Guttenberg beim Umgang mit der Kundus-Affäre den "Überblick verloren". Auch der Grünen-Abgeordnete monierte Verstöße Kleins gegen Einsatzregeln und warf der Union vor, begangene Fehler "wegdrücken" zu wollen statt zu benennen. Dies sei ein schlechtes Beispiel für Innere Führung.Ex-Minister Jung habe nach dem Luftschlag "tagelang die Wahrheit verschwiegen", obwohl schon am 4. September 2009 Berichte über Kinder als Opfer vorgelegen hätten.
Im Namen der SPD plädierte Arnold dafür, die rechtlichen Grundlagen für Auslandseinsätze der Bundeswehr zu überarbeiten und die parlamentarische Kontrolle der militärischen Aufklärung zu verbessern. Auch Nouripour sprach sich für ein "Streitkräfte-Einsatzgesetz" aus. Einsatzregeln und die Prinzipien der Inneren Führungen müssten den Soldaten vor Ort gründlicher vermittelt werden. Soldaten sollten fragwürdigen Befehlen widersprechen, mahnte der Grünen-Politiker.
Zum Abschluss der Debatte votierte das Plenum einstimmig dafür, die Handlungsempfehlungen des Ausschuss-Berichts (17/7400), in dem Koalitions- und Oppositionsfraktionen ihre unterschiedlichen Sichtweisen darlegen, "zur Kenntnis zu nehmen". (kos)