Navigationspfad: Startseite > Kultur & Geschichte > Geschichte > Deutscher Parlamentarismus > Bundesrepublik Deutschland (seit 1949)
Als der Parlamentarische Rat am 8. Mai 1949 das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verabschiedete, stellte er die Weichen für ein stabiles parlamentarisches Regierungssystem. Das war keine Selbstverständlichkeit. Das Scheitern der Weimarer Republik war auch ein Scheitern des Weimarer Parlamentarismus. Hinzu kamen die ererbten Hypotheken antiparlamentarischer Traditionen in Deutschland.
Im Grundgesetz wurden dem Parlament daher wesentliche Rechte und Funktionen zugeschrieben: So ist der Deutsche Bundestag das einzige Verfassungsorgan, das direkt vom Volk gewählt wird; es ist die Aufgabe des Parlaments, den Bundeskanzler zu wählen; schließlich hebt das Grundgesetz die Funktionen der Parteien besonders hervor. Während in der Weimarer Reichsverfassung der Reichspräsident und das Parlament konkurrierende Rechte zur Ernennung und Entlassung des Reichskanzlers besaßen, schränkte das Grundgesetz die Rechte des Bundespräsidenten zu Gunsten des Deutschen Bundestages erheblich ein. Nach Art. 67 kann der Kanzler durch den Deutschen Bundestag nur abgewählt werden, indem ein neuer Kanzler gewählt wird ("Konstruktives Misstrauensvotum").
Die grundgesetzlichen Sicherungen zu Gunsten eines starken Parlaments und stabiler Mehrheiten sind das Ergebnis der historischen Erfahrungen sowohl des Kaiserreichs als auch der Weimarer Republik. Der Deutsche Bundestag kennt keine dauerhafte Koalitionen- und Kanzlerschwäche. Seine Befähigung zur Kontrolle der Regierung und zum Mitregieren entspricht einer aus den historischen Erfahrungen gewachsenen Änderung der Rollenverteilung zwischen Regierung, Parlament und Staatsoberhaupt.
Seit 1949 wählen die Bundesbürger den Deutschen Bundestag nach den Prinzipien der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl auf vier Jahre. Seit der Wahl zum zweiten Deutschen Bundestag, 1953, wählt man mit der ersten Stimme einen Kandidaten aus dem Wahlkreis, mit der zweiten Stimme die Partei einer Landesliste. Im Gegensatz zu allen späteren Wahlen hatten die Wählerinnen und Wähler 1949 nur eine einzige Stimme, mit der sie gleichzeitig ihren Direktkandidaten und die Landesliste seiner Partei unterstützten.
Derzeit sitzen 622 Abgeordnete im Parlament. 1953 wurde die Sperrklausel, die so genannte "Fünf-Prozent-Hürde" eingeführt, mit der der Einzug von Splitterparteien verhindert und damit eine erleichterte Mehrheitsbildung im Parlament ermöglicht wurde. Der erste Zusammentritt des neu gewählten Deutschen Bundestages in Bonn am 7. September 1949 ist der eigentliche Beginn der staatlichen Tätigkeit unserer Republik.
Schon damals bestimmte die Leistungsfähigkeit der Parteien das Funktionieren des bundesdeutschen parlamentarischen Regierungssystems. Im Grundgesetz wurde diese Bedeutung der Parteien erstmals in einer deutschen Verfassung (Art. 21) verankert. Gegen die Parteienzersplitterung und die damit einhergehende Schwäche der Parteien in der Weimarer Republik setzten die Parteineu- und wiedergründungen politische Sammlungsbewegung. Um der Parteienzersplitterung entgegenzuwirken, entstanden unter anderem Volksparteien, die nicht mehr nur Interessengruppen (wie zum Beispiel Bauern, Großgrundbesitzer, Katholiken, Beamte) vertraten: Katholische und evangelische Bürgerliche und Christlich-Soziale sammelten sich in der Christlich Demokratischen Union (CDU) und Christlich Sozialen Union (CSU). Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) entwickelte sich spätestens nach dem Godesberger Programm (1959) zu einer Volkspartei. Vertreter liberaler Ideen gründeten die Freie Demokratische Partei (FDP). CDU und CSU (seit 1949 in Fraktionsgemeinschaft), SPD und FDP sind seit der ersten Bundestagswahl im Deutschen Bundestag vertreten. In den 1970er Jahren entwickelte sich die Ökologiebewegung, die 1980 in der Bundespartei Die Grünen mündete. Mit dem Einzug der Grünen in den Deutschen Bundestag 1983 wurde der sich seit Mitte der 1950er Jahre vertiefende fraktionsübergreifende arbeitsparlamentarische Stil erstmals auf eine Probe gestellt: Ausgrenzungstendenzen der etablierten Fraktionen und parlamentskritisches Verhalten der Grünen führten nach einer Übergangsphase schließlich zur Parlamentarisierung und Integration der Grünen - ebenso wie nach der Deutschen Einheit bei der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) (Die Linke).
Der Alltag des Parlaments ist geprägt durch arbeitsteiliges Arbeiten. Die enorm hohe Anzahl an Problemlösungen macht die Spezialisierung des Abgeordneten notwendig, der immer stärker dem Typus des Berufs- und Vollzeitpolitikers entspricht. Die Professionalisierung des politischen Betriebs ist unter anderem das Ergebnis der berechtigten Anforderungen der Bürgerinnen und Bürger an die Leistungsfähigkeit des Parlaments.