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Wolfgang Mattheuer gehört neben Bernhard Heisig und Werner Tübke zu den führenden Vertretern der sog. Leipziger Schule der ehemaligen DDR. Sein Stil vereint Elemente der Neuen Sachlichkeit mit surrealen Bildmotiven, die sich trotz ihrer Verschlüsselung als kritische Kommentare zur politischen Realität in der DDR lesen ließen. Nur diese leise, nicht provokante Hintergründigkeit ermöglichte es ihm, in der Sprache der Bilder Kritik zu üben, so daß seine Kritik zwar von den Bürgern verstanden werden konnte, den Funktionären des Staatsapparates jedoch keine Handhabe gegen ihn bot.
Neben den gesellschaftskritischen Bildern nehmen seine Landschaftsbilder einen eigenwertigen Rang ein. Motivisch bestimmend sind Bilder seiner vogtländischen Heimat und des Leipziger Umlandes. Ihr weiter Horizont und eine alles überstrahlende Himmelsfläche lassen die Erinnerung an Caspar David Friedrich lebendig werden und weiten die heimatliche Landschaft zur "Weltlandschaft".
Mattheuer hat an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig eine Ausbildung als Grafiker erhalten und neben dem malerischen ein eigenständiges grafisches Werk entwickelt. Sowohl seine grafischen als auch seine malerischen Werke sind oft durch eine Doppelbödigkeit gekennzeichnet, die sich erst auf den zweiten Blick entschlüsselt. So wird die Landschaft bei Mattheuer zur Bühne verrätselter Allegorien und Gleichnisse auf die existentielle Geworfenheit des Menschen, seine Einsamkeit und seine Konflikte in der Gesellschaft: Der Maler inszeniert in Szenen, die oft in ein beunruhigend flackerndes Licht getaucht sind, das Drama des aus seinen Flugträumen gerissenen Ikarus, die Verzweiflung des Sisyphos, die Tragik des Brudermordes von Kain an Abel oder die Verlorenheit des Menschen hinter einer verbergenden Schafsmaske. Es sind Szenen, die trotz der allgemeinen Fragestellungen zur Conditio humana doch in besonderer Weise die Situation in der DDR thematisieren und daher in der DDR oft zu lebhaften Auseinandersetzungen führten.
In diesem Sinne einer verschlüsselten Kritik greifen die für das Reichstagsgebäude angekauften Gemälde zwei Motive auf, die für das Lebensgefühl der Bürger um 1989 in der DDR bedeutsam waren: "Der Eine und die Anderen" thematisiert die Isolation des Individuums, das mit seinem Willen zur freien Selbstbestimmung in Konflikt mit den Ansprüchen der Gemeinschaft gerät - charakteristischerweise trägt ein weiteres Gemälde aus diesem Zyklus den Titel "Verlorener Sohn". In vergleichbarer Problemstellung greift "Panik" diese Frage nach dem angemessenen Verhalten gegenüber der Gemeinschaft auf. Wenngleich diese Motive unmittelbar auf die zeitgebundene Situation in der DDR um 1989 anspielen, so ist die Problematisierung des Ausgleichs der Ansprüche von Individuum einerseits und Gesellschaft andrerseits doch von überzeitlicher Aktualität.
Text: Andreas Kaernbach
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages