Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > März 2012 > Finanzwirtschaft beklagt bürokratische Auswüchse des Anlegerschutzes
In der Anhörung ging es um den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes (17/8684). Nach der Änderung der EU-Richtlinie über Wertpapierprospekte muss das deutsche Recht entsprechend angepasst werden. In dem Gesetzentwurf geht es auch darum, den bürokratischen Aufwand zu verringern. So werden im Bereich des Wertpapierprospektgesetzes bestimmte Obergrenzen und Schwellenwerte für Ausnahmen von der Prospektpflicht erhöht. Auch soll es Erleichterungen für Mitarbeiterbeteiligungsprogramme geben.
Die Deutsche Kreditwirtschaft, der Zusammenschluss der Spitzenorganisationen der deutschen Banken, beklagte in ihrer Stellungnahme die geplante zeitliche Begrenzung von Basisprospekten für Wertpapiere. Dies stelle einen wesentlichen Nachteil für Wertpapiere dar, die nicht nur einmalig während der Zeichnungsphase, sondern dauerhaft öffentlich angeboten werden würden. So müssten wesentliche Bestandteile der Dokumentation spätestens nach Ablauf von zwei Jahren neu erstellt oder bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) neu hinterlegt werden. Da sich das Angebot auf das gleiche Wertpapier beziehe, würden sich keine neuen oder geänderten Informationen ergeben, dafür aber „weitreichende bürokratische Aufwendungen bei den Emittenten“.
Auch der Deutsche Derivate-Verband beklagte, dass für Altprodukte neue Prospekte erstellt werden müssten. Betroffen seien mehrere hunderttausend Wertpapieremissionen. Der Verband verwies darauf, dass an der Stuttgarter Börse am 22. März 812.141 strukturierte Produkte im Angebot gewesen seien. Für 243.724 dieser strukturierten Produkte müsste nach der geplanten Vorschrift ein neuer Prospekt erstellt werden. „Dies wird zu einem enormen Aufwand für Emittenten sowie auch für die BaFin führen. Jährlich werden viele hunderttausende neue strukturierte Produkte emittiert“, hieß es in der Stellungnahme des Derivate-Verbandes. Der Vertreter der Deutschen Börse (Frankfurt/Main) wies darauf hin, dass sich die Zahl der strukturierten Produkte sogar der Millionen-Grenze nähere. Als Grund sagte er: „Es ist ein Markt dafür da.“ Aus seiner Sicht handelt es sich bei dem Gesetzentwurf um eine gelungene Umsetzung der EU-Richtlinie.
Ganz anders argumentierte Rechtsanwalt Peter Mattil (München), dessen Kanzlei geschädigte Anleger vertritt: „Unserer Ansicht nach wird der Anlegerschutz an einigen wichtigen Stellen, zur Erreichung der Vollendung des Binnenmarktes, geopfert.“ Mattil schilderte ein Beispiel: Ein Emittent mit Sitz in Frankreich verwende einen Wertpapierprospekt für Zertifikate ausschließlich zum Vertrieb an deutsche Kleinanleger. Der Prospekt sei abwechselnd in englischer und französischer Sprache verfasst. „Im Falle einer Streitigkeit muss der Anleger den Prospekt auf seine Kosten übersetzen lassen und in Frankreich nach französischem Recht klagen. Ein Verbraucher, der beispielsweise Zertifikate für 5.000 Euro erworben hat, muss also zigtausend Euro für die Übersetzung des Prospekts aufbringen und sich sodann einen Anwalt in Paris suchen, der sich mit ihm verständigen kann. Ein völlig aussichtsloses Unterfangen, das jeglichen Rechtsstreit im Keim erstickt“, schrieb Mattil. Er erklärte, dass Deutschland schon lange zum „Eldorado für Emittenten“ geworden sei und unterlegte dies mit Zahlen: An der Pariser EURONEXT würden etwa 26.000 strukturierte Produkte gehandelt, an der Deutschen Börse über 800.000.
Allerdings räumte auch der Rechtsanwalt ein, dass die Verpflichtung, alle zwölf Monate einen neuen Prospekt für ein Wertpapier vorzulegen, „etwas viel“ sei. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hielt eine Verbesserung der Situation durch die Pflicht zur Neuvorlage der Prospekte für möglich, „auch wenn man den Verwaltungsaufwand nicht ins unermessliche steigern sollte“.
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