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Der Inhalt eines EU-Gesetzesvorhabens entscheidet, in welchem Verfahren es beschlossen wird. Die Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen fällt unter das Thema Freizügigkeit der Arbeitnehmer, das in den Artikeln 39 und 40 EG-Vertrag geregelt ist. Dadurch ist klar, dass über diese Richtlinie im Mitentscheidungsverfahren zu beraten ist. Es gibt mehr als 20 andere mögliche Wege der Gesetzgebung, etwa das Zustimmungsverfahren oder das Anhörungsverfahren, aber rund ¾ aller Vorlagen werden im Mitentscheidungsverfahren behandelt. Sein Kennzeichen ist, dass sowohl der Rat als auch das EP gleiche gesetzgeberische Rechte haben und sich verständigen müssen. Können sich beide Organe nicht einigen, scheitert das Gesetz. Bei Maries Richtlinie 2005/36/EG war dies zum Glück nicht der Fall.
Im Europäischen Parlament beraten die Experten in den zuständigen Ausschüssen über die ausformulierte Richtlinie oder Verordnung. Auf der Grundlage eines Berichtes dieser Fachpolitiker legt das EP seine Position fest. Meistens hat es Änderungswünsche an dem Entwurf der Kommission. Diesen Prozess nennt man Erste Lesung. Auch andere Gremien werden zur Unterstützung um ihre
Stellungnahme gebeten. Bei der Richtlinie 2005/36/EG etwa der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), ein beratendes Organ, das unter anderem die Interessen der Arbeitnehmer vertritt.
Im nächsten Schritt debattiert der Rat über die neuen Vorschläge des EP. Im Rat sind die Regierungen der Mitgliedstaaten durch den jeweiligen Fachminister vertreten. über den Rat können außerdem die nationalen Parlamente in den Prozess einwirken. Denn die Kommission sendet ihnen ihre Dokumente direkt zu. Auch der Deutsche Bundestag kann sich so positionieren und die Bundesregierung auffordern, seine Meinung in ihre Entscheidung im Rat mit einfließen zu lassen.
Wenn der Rat mit den Verbesserungsvorschlägen des Europäischen Parlaments einverstanden ist, dann gilt der Gesetzesvorschlag als angenommen. Ist der Rat mit dem Entwurf noch nicht zufrieden, gibt es eine Zweite Lesung. Hier entscheidet das EP über den Standpunkt des Rates. Es kann den Entwurf des Rates mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen annehmen oder ihn mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten ablehnen oder nochmals ändern. Das Europäische Parlament hat also in diesem Stadium die Möglichkeit, ein Gesetz zu verhindern, wenn es mit diesem nicht einverstanden ist.
Hat das EP Änderungswünsche, muss die Kommission sich wieder mit ihrem Gesetzesplan befassen. In vielen Fällen nimmt sie Rücksicht auf die Vorschläge des EP und schickt dem Rat dann einen geänderten Entwurf. Nimmt der Rat diesen Entwurf an, ist das neue EU-Gesetz fertig.
Kommt zwischen den Europaparlamentariern und dem Rat keine Einigung zustande, versucht ein Vermittlungsausschuss zu schlichten. Diesem gehören sowohl Mitglieder des Rates als auch des EP an. Meistens einigen sich die beiden Institutionen am Ende auf eine Formulierung. Die muss das Europäische Parlament dann noch mal bestätigen. Das ist dann die Dritte — aber auch letzte — Lesung. Lehnen die Mitglieder des EP den Vermittlungsvorschlag trotz dem ab, ist das Gesetz endgültig gescheitert.
Die Gesetzgebungsprozesse innerhalb der EU sind manchmal ziemlich kompliziert. Grob kann man sich jedoch merken: Die Kommission schlägt vor, der Rat entscheidet unter Mitwirkung des Parlaments. Bei der Abstimmung über die für Marie und Fabian so wichtige Richtlinie ging alles gut. Am 20. Oktober 2005 trat die Richtlinie 2005/36/EG in Kraft. Alle Mitgliedsländer der EU haben nun die Aufgabe, sie bis zum 20. Oktober 2007 in ihr nationales Recht umzusetzen. Die Bundesregierung muss nun aktiv werden, damit die Ziele der Richtlinie rechtzeitig in Deutschland gültig werden.