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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 16. Juli 2012)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat weitere Konsequenzen beim Verfassungsschutz im Zusammenhang mit den dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) angelasteten Morden nicht ausgeschlossen. Er warnt jedoch vor Vorverurteilungen. Wenn angesichts der Ermittlungspannen der Behörden pauschal von einem „Versagen“ gesprochen werde, dann verstehe er das sehr gut, sagte Friedrich im Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag Montag, 16. Juli 2012). „Aber erst wenn wir wissen, inwieweit dieses Versagen unter den damaligen strukturellen Gegebenheiten auch vermeidbar gewesen wäre, können wir beurteilen, in welchem Umfang es auch vorwerfbar war.“
Die von ihm und den Innenminister der Länder eingesetzte Bund-Länder-Expertenkommission Rechtsterrorismus habe die Aufgabe, die „Sicherheitsarchitektur auf mögliche Schwachstellen zu untersuchen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten“, sagte Friedrich. Zudem zielten die meisten der unmittelbar nach dem Aufdecken des NSU eingeleiteten Maßnahmen des Bundesinnenministeriums auf eine bessere Koordination von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern.
Zurückhaltend äußert sich Friedrich zur Frage nach einem NPD-Verbotsverfahren. „Das Prinzip der wehrhaften Demokratie wird auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkannt“, sagte der Minister. Allerdings seien die Hürden für ein Parteienverbot hoch. Insbesondere müsse der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berücksichtigt werden.
Das Interview im Wortlaut:
Es ist stiller geworden in der Debatte über ein Verbot der NPD. Haben sich die Skeptiker wie Sie durchgesetzt?
Hans-Peter Friedrich: Die Entscheidung, ob ein Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt werden soll oder nicht, kann erst nach Auswertung des gesammelten Beweismaterials getroffen werden. Zur Zeit sind die Verfassungsschutzämter dabei, die Materialsammlung zusammenzutragen. Es ist richtig, diese Reihenfolge einzuhalten.
Ihr bayerischer Amtskollege und Parteifreund Joachim Herrmann ist im Gegensatz zu Ihnen ein klarer Befürworter eines Verbotsverfahrens ...
Friedrich: Wir arbeiten in der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines potentiellen Verbotsverfahrens eng mit den Ländern zusammen. Nach Abschluss der Materialsammlung werde ich in der Innenministerkonferenz mit meinen Länderkollegen über das weitere Vorgehen beraten.
Sind denn Verbote von Parteien im heutigen Europa überhaupt noch zeitgemäß?
Friedrich: Parteien spielen eine zentrale Rolle in pluralistischen Demokratien. Dennoch muss sich ein demokratischer Staat auch gegen Parteien zur Wehr setzen können, die die freiheitliche demokratische Grundordnung angreifen. Das Prinzip der wehrhaften Demokratie wird auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkannt. Parteiverbote sind deshalb auch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention grundsätzlich möglich. Allerdings sind die Hürden hoch. Insbesondere muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berücksichtigt werden.
Bundesfamilienministerin Kristina Schröder steht in der Kritik wegen ihrer Extremismusklausel bei der staatlichen Förderung von Initiativen gegen Rechtsextremismus. Dadurch würden solche Initiativen pauschal verdächtigt, meint die Opposition. Was sagen Sie?
Friedrich: Ich halte es nicht nur für angemessen, sondern für notwendig, von Organisationen, die Steuergelder für ihre Arbeit in Anspruch nehmen, die Zusage zu verlangen, dass sie auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen und dies auch erklären.
Inwieweit schätzen Sie den Rechtsextremismus in Deutschland als ein besonderes Problem des Ostens ein?
Friedrich: Rechtsextremismus ist kein reines ostdeutsches Phänomen. Wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, existiert Rechtsextremismus in ganz Deutschland, besonders aber in strukturschwachen und ländlichen Gebieten. Rechtsextremisten versuchen zum Teil, in soziale Einrichtungen hinein zu gelangen, um sich dann als „Kümmerer“ darstellen zu können. Sie verfolgen hiermit eine Doppelstrategie aus radikalen Tönen und nationalistischen Angeboten, um sich so besser zu verankern.
Auch in Westdeutschland beobachten wir dieses Phänomen. Deshalb ist überall in Deutschland Achtsamkeit – vor allem gegenüber Neonazis – zu üben.
Die rechtsextreme Terrortruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ ist 13 Jahre lang untergetaucht und hat zehn Morde begangen. Wie groß ist für Sie das Versagen bundesdeutscher Behörden, diesen Tätern nicht auf die Schliche gekommen zu sein.
Friedrich: Ich verstehe sehr gut, wenn hier pauschal von einem „Versagen“ gesprochen wird, wenn über einen so langen Zeitraum schwerste Verbrechen begangen werden. Aber erst wenn wir wissen, inwieweit dieses Versagen unter den damaligen strukturellen Gegebenheiten auch vermeidbar gewesen wäre, können wir beurteilen, in welchem Umfang es auch vorwerfbar war. Jetzt geht es darum sicherzustellen, dass sich so etwas nicht wiederholen kann. Daher hat die von mir gemeinsam mit meinen Länderkollegen eingesetzte Bund-Länder-Expertenkommission Rechtsterrorismus die Aufgabe, unsere Sicherheitsarchitektur auf mögliche Schwachstellen zu untersuchen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
Durch das Aktenschreddern beim Bundesamt für Verfassungsschutz über Thüringer Neonazis direkt nach Bekanntwerden der Mordserie wird der Verdacht erhärtet, der Verfassungsschutz selbst sei in die Machenschaften des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ verwickelt. Was sagen Sie dazu?
Friedrich: Derlei Verschwörungstheorien wird leider Tür und Tor geöffnet – deshalb gehe ich davon aus, dass die Vorgänge im Bundesamt rasch aufgeklärt werden. Durch Aufklärung kann solchen Verschwörungstheorien am schnellsten der Boden entzogen werden.
Es gab es ja bei der Suche nach den Tätern der Mordserie Kompetenzstreitereien und Eifersüchteleien von Behörden, das Bundeskriminalamt sollte nicht eingeschaltet werden, der Austausch der Sicherheitsbehörden war mangelhaft. Inwieweit trägt auch der deutsche Föderalismus eine Mitschuld an der späten Aufklärung der Mordserie?
Friedrich: Zweifellos verlangt der Föderalismus schon wegen der Vielzahl der zu beteiligenden Behörden viel größere Koordinationsanstrengungen, als sie in einem Zentralstaat erforderlich wären. Daher zielen die meisten der von mir bereits unmittelbar nach dem Aufdecken des NSU eingeleiteten Maßnahmen auf eine verbesserte Koordinierung der Arbeit von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder.
Der Ende Juli vorzeitig aus dem Amt scheidende Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm warf im Untersuchungsausschuss des Bundestages Anfang Juli auch die Frage auf, ob man in seinem Hause die rechtsextreme Ideologie womöglich unzureichend begriffen habe. Neigt der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge zur Unschärfe?
Friedrich: Allein die Tatsache, dass der Verfassungsschutz in den 1990er Jahren auch die rechtsextreme Gruppierung „Thüringer Heimatschutz“ beobachtet hat, zeigt doch: Der Verfassungsschutz hat den Rechtsextremismus ernst genommen. Ob das ausreichend war, wird derzeit in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages und mehrerer Landtage geklärt.
Warum wurde die Ermittler-These, dass Ausländerhasser womöglich hinter der Mordserie stecken könnten, so wenig verfolgt?
Friedrich: Darüber können letztlich nur die seinerzeit die Ermittlungen führenden Länderbehörden Auskunft geben.
Gerät bei aller Diskussion über Rechtsextremismus hierzulande nicht der Linksextremismus zu sehr in den Hintergrund? Es gibt ja fortwährend massive Gewalt von Linksextremisten, so gegen Polizisten bei anti-rechten Demonstrationen, es gibt Anschläge auf den Bahnverkehr, auf Bundeswehr- und Polizeifahrzeuge, immer wieder brennen Autos ….
Friedrich: Die Sicherheitsbehörden tragen der Zunahme linker Gewalt seit einiger Zeit Rechnung. So haben sie Konzepte zur verbesserten Zusammenarbeit der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern bei der Bekämpfung linker Gewalt entwickelt. Zur wirksamen Bekämpfung jeder politisch motivierten Gewalt bedarf es gerade im Vorfeld aber auch der Mitwirkung auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Eine stärkere öffentliche Diskussion über dieses Phänomen ist notwendig und ich wünschte mir eine klare Ächtung auch linker Gewalttaten.
Erwarten Sie neuen linksextremen Terrorismus?
Friedrich: Unseren Sicherheitsbehörden liegen derzeit keine Erkenntnisse zu linksterroristischen Strukturen und Vereinigungen vor. Doch möchte ich nicht verhehlen: Mich beunruhigen die seit dem Jahr 2005 fast jährlich ansteigenden linken Gewalttaten.
Wie sehen Sie die Zukunft der Linkspartei? Muss sie weiter vom Verfassungsschutz beobachtet werden?
Friedrich: Hinsichtlich der Partei „Die Linke“ liegen nach wie vor tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen von Teilen der Partei vor, insbesondere die umfassende Akzeptanz von offen extremistischen Zusammenschlüssen innerhalb der Partei. Daher ist ihre Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz auch weiterhin sachlich geboten und entspricht dessen gesetzlichem Auftrag. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 21. Juli 2010 in einem Klageverfahren des Abgeordneten der Partei, Bodo Ramelow, auch bestätigt und daher die Rechtmäßigkeit und Erforderlichkeit der Beobachtung festgestellt. Diese Feststellung hat weiter Gültigkeit.
Wegen der Gewaltaktionen gegen Polizisten stehen auch die Salafisten im Fokus. Wie groß schätzen Sie die Gefahren durch diese radikalen Islamisten ein?
Friedrich: Salafisten verfolgen das Ziel, unseren demokratischen Rechtsstaat durch ein gottgewolltes Schariasystem zu ersetzen. Dabei nehmen sie strafrechtswidriges Verhalten und Gewalt in Kauf. Dies ist schlechthin unvereinbar mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Darüber hinaus bildet der Salafismus den geistigen Nährboden für islamistische Terroristen.
Halten Sie die Salafisten für ein Problem des Islams in Deutschland insgesamt?
Friedrich: Der Salafismus ist aktuell sowohl in Deutschland als auch auf internationaler Ebene die dynamischste islamistische Bewegung. Von etwa vier Millionen in Deutschland lebenden Muslimen werden aktuell circa 4.000 Personen dem Salafismus zugerechnet – den Salafismus als Problem des Islams in Deutschland insgesamt zu bezeichnen, ist angesichts dieser Zahlen also verfehlt. Die salafistische Ideologie steht ohnehin nicht nur im Widerspruch zu den Werten unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung, sondern auch im Gegensatz zu den Lehren des islamischen Glaubens, der nach Aussage führender muslimischer Theologen jede Form von Gewalt ablehnt. Es ist gut, dass sich die Repräsentanten von vier Millionen friedliebenden Muslimen in Deutschland verstärkt von den Salafisten öffentlich distanzieren sowie in den Familien und Moschee-Vereinen vor ihnen gewarnt wird. Und es ist wichtig, dass wir alle gemeinsam – staatliche und gesellschaftliche Institutionen und die muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie die muslimischen Verbände – dieser Bewegung entgegentreten.