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Der übermäßige Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung beschäftigt den Bundestag: Kurzfristig wurde im Anschluss an die Fragestunde am Mittwoch, 18. Januar 2012, die Tagesordnung um eine Aktuelle Stunde zum Thema „Eindämmung des massiven Einsatzes von Antibiotika in der industriellen Tierhaltung“ auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erweitert, um „grundsätzlich darüber diskutieren“ zu können. Bereits in der Fragestunde hatten die Grünen dazu Auskunft von der Regierung verlangt.
Friedrich Ostendorff (Bündnis 90/Die Grünen) klagte die „industrielle Massentierhaltung“ an und sah in ihr den Grund für den Einsatzbedarf von Antibiotika in der Tierproduktion. Seiner Ansicht nach ist es „eine Schande für ein zivilisiertes Land“, dass von der Geburt bis zur Schlachtung von Nutztieren Antibiotika notwendig sind, um die Tiere aus Kostengründen auf engem Raum halten zu können. „Ohne Antibiotika bricht dieses System zusammen“, sagte er.
„Wir befinden uns inmitten der nächsten großen Lebensmittelkrise, doch die Bundesregierung wiegelt ab“, kritisierte Ostendorff Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), die sich nur betroffen zeige. 900 Tonnen würden jährlich eingesetzt in der Tierhaltung. Dadurch entstehende antibiotikaresistente Keime würden in Zukunft eine Gefährdung für die Bürger darstellen.
Ostendorff forderte klare Vorgaben für geringere Besatzdichten in Ställen. Darüber hinaus solle die ärztliche Behandlung einzelner Tiere wieder Maßstab der ärztlichen Behandlung werden, statt vorbeugend Medikamente zu verabreichen. „Die Menschen wollen eine nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft“, sagte er.Â
Bundesministerin Aigner betonte, dass der Einsatz von Antibiotika auf ein Minimum des therapeutisch Notwendigen zu beschränken ist. „Es ist bereits Rechtslage, dass weder für prophylaktische Zwecke noch zur Wachstumsförderung Antibiotika verwendet werden dürfen“, sagte sie. „Wer das dennoch tut, verstößt gegen geltendes Recht.“
Aigner verwies darauf, dass die Zuständigkeit der Kontrollen auf Länderebene liege. Sie machte aber darauf aufmerksam, der Bund sich des Problems bereits angenommen habe: „Bereits seit 2008 haben wir eine Antibiotikaresistenzstrategie auf den Weg gebracht.“ Künftig werde dafür gesorgt, dass die Überwachung effektiver, schneller und unbürokratisch erfolgen könne, vorausgesetzt, die Länder "ziehen mit".
Weiter brachte die Ministerin ins Spiel, dass die Verschreibung von Wirkstoffen, die in der Humanmedizin Verwendung finden, für Tiere verboten werden könne. Sie sprach sich aber gegen ein grundsätzliches Verbot der Anwendung in der Tiermedizin aus: „Wer verhindern will, dass ein krankes Tier behandelt wird, verhindert den Tierschutz.“
Für Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) hat die Regierung die Diagnose zum Tabu erklärt und deswegen keine Therapie vorgelegt. „Das tatsächliche Problem wurde nicht beim Namen genannt, denn ohne die massenhafte, nicht indizierte Antibiotikaabgabe würde die Massentierhaltung nicht funktionieren“, so der Sozialdemokrat. „Nur haben Sie nicht den Mut, die Massentierhaltung zu problematisieren.“
Wenn nur wenige Tiere krank seien, würden aufgrund der Massentierhaltung alle behandelt werden. Das habe zur Folge, dass momentan mehr Antibiotika ihre Wirkung verlieren würden als auf den Markt kommen. „Dass Sie nicht zuständig seien, ist nicht wahr“, entgegnete Lauterbach Aigner. „Sie könnten vorschreiben, dass Antibiotika nur eingesetzt werden, wenn der Erreger getestet wurde.“ Doch im Augenblick werde der Masse statt der Klasse von Lebensmitteln der Vorzug gegeben.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) entgegnete ihrem Vorredner, dass Lebensmittel in Deutschland erste Klasse seien. Sie gab zu bedenken, dass solche Produkte auch preiswert seien müssten: "Es gibt sehr wohl Menschen, die auf ihr Geld achten müssen, um sich diese leisten zu können“.
Happach-Kasan zeigte sich besorgt, dass die Opposition das Thema unverhältnismäßig dramatisiere und damit der Landwirtschaft schade. „Wir brauchen ein besseres Hygienemanagement“, räumte sie ein. „Auch Seuchenprophylaxe ist wichtig.“ Doch bezweifelte die Liberale, dass die Schaffung großer Datenbanken helfe. Sie befürchtete die Entstehung von mehr Bürokratie und „Datenfriedhöfen“. Vorher sollten die Länder ihrer Ansicht nach die Defizite bei der Wahrnehmung ihrer Kontrollrechte abstellen.
Den unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung attestierte auch Dr. Kirsten Tackmann (Die Linke). „Wir brauchen Haltungsbedingungen, die die Tiere gesund halten“, stellte sie fest. „Die derzeitigen Haltungsbedingungen sind nicht gesellschaftlich akzeptiert.“ Die Vorschläge der Bundesregierung reichen ihrer Ansicht nach nicht aus. „Aber ein totales Verbot von Antibiotika halten wir ebenfalls für unseriös.“
Wichtiger sei es, Krankheiten zu verhindern und nicht zu behandeln, so Tackmann. „Wir brauchen gut ausgebildetes und gut bezahltes Personal in den Ställen“, sagte sie. Um dies erreichen zu können, müsse über Qualität und nicht über Quantität geredet werden. Die Linksfraktion warnte davor, die Problemlösung allein der Agrarwirtschaft zu überlassen. Der Kostendruck und niedrige Löhne seien mitverantwortlich. Den Landwirten müsse in dieser Hinsicht geholfen werden.
Für Dieter Stier (CDU/CSU) erschien es verdächtig, dass „pünktlich vor Beginn der Grünen Woche die Grünen versuchen, die landwirtschaftliche Tierhaltung in ein schlechtes Licht zu rücken, weil diese nicht mit ihren Ansichten übereinstimmt“. Natürlich würden alle darin übereinstimmen, dass der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung eingeschränkt werden müsse.
Doch das gehe nur mit konsequenter Kontrolle der Tierhalter und Tierärzte. „Dazu müssen den Kontrollbehörden der Bundesländer auch zusätzliche Möglichkeiten gewährt werden.“ Insofern begrüßte er die geplante Verschärfung des Bundesarzneimittelgesetzes. Aber er wehrte sich dagegen, Tierärzte und Landwirte unter Generalverdacht zu stellen.
Die Anwendung hängt von der Sachkunde der Landwirte ab, die gefördert werden müsse. „Es darf nicht sein, dass Antibiotika prophylaktisch angewendet werden, um Hygienedefizite zu kaschieren.“ Auch die Tierärzte sollten in Zukunft durch eine restriktivere Verschreibungspraxis Verantwortung übernehmen. „Nur so können Tiere auch in Zukunft wirksam behandelt werden.“
Stier wandte sich gegen ein generelles Einsatzverbot von Antibiotika, denn auch kranke Tiere hätten ein Recht auf Behandlung. „Es widerspricht dem Tierschutzgedanken, wenn es nicht behandelt wird“, sagte er mit Blick auf solche Forderungen. (eis)