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Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages haben sich zur Industrie bekannt, setzen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte. In einer Debatte des Parlaments am Donnerstag, 9. Februar 2012, über zwei von der SPD-Fraktion (17/8572) und den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP (17/8585) eingebrachten Anträgen betonten Redner von Union und Sozialdemokraten besonders die Notwendigkeit einer sicheren Energieversorgung. Hubertus Heil (SPD) würdigte die Lage der deutschen Industrie: „Dass wir heute besser dastehen, ist kein Wunder und kein Zufall, sondern Ergebnis harter Arbeit – auch schmerzafter Strukturreformen“, sagte der SPD-Abgeordnete. Es gebe jedoch keinen Anlass zu Selbstzufriedenheit oder Überheblichkeit.
Neue Herausforderungen müssten angegangen werden. Heil nannte als Beispiel die Sicherung des Fachkräftebedarfs. Er warnte in diesem Zusammenhang vor dem Betreuungsgeld der Koalition, das er als „Fernhalteprämie vom Arbeitsmarkt" bezeichnete. Notwendig sei auch eine Forschungs- und Innovationspolitik, um die Chancen des technischen Wandels zu nutzen. Von der von der Koalition angekündigten steuerlichen Forschungsförderung sehe er aber nichts, kritisierte Heil.
Eine der größte Herausforderungen „ist eine sichere, eine saubere, eine versorgungssichere und eine bezahlbare Energieversorgung“, sagte Heil. Die Bundesregierung fahre durch die sich blockierenden Minister Philipp Rösler (Wirtschaft) und Norbert Röttgen (Umwelt) die Energiewende vor die Wand und sei damit „das größte Standortrisiko für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland“. Deutschland müsse ein erfolgreiches Industrieland bleiben. In ganz Europa brauche man eine Stärkung der industriellen Basis und nicht der Finanzwirtschaft. Daher müsse es eine Finanztransaktionssteuer geben, um ein europäisches Aufbauprogramm für die Wirtschaft schultern zu können.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) sah große Probleme durch eine um sich greifende Technikfeindlichkeit. Sei Deutschland früher das Land der Tüftler und Erfinder gewesen, so erlebe er heute viele „Nörgler und Neinsager“. In Schwellenländern sei dagegen eine Begeisterung für die Chancen der Technik zu beobachten. „Wir brauchen neue Technikfreundlichkeit in unserem Land“, forderte Pfeiffer, der den Wegzug der grünen Gentechnik-Sparte von BASF als „größtes Fanal“ bezeichnete.
Das führe dazu, dass diese Dinge jetzt in anderen Bereichen der Welt stattfinden würden. Er erinnerte an die von dem früheren hessischen Umweltminister Joschka Fischer (Grüne) verhinderte Fabrikation von synthetischem Insulin. Dieses Insulin habe heute einen Weltmarktanteil von 99 Prozent, werde aber nicht in Deutschland produziert. Pfeiffer sprach sich dafür aus, mit der steuerlichen Forschungsförderung noch in dieser Legislaturperiode zu beginnen. Zentrale Handlungsfelder seien außerdem die Rohstoffversorgung und die Energiesicherheit. Die Strompreise für die Industrie seien in Deutschland um 40 Prozent höher als in Frankreich.
Die Arbeitnehmer seien durch die Politik der Regierung demütigenden Arbeitsbedingungen und Niedriglöhnen ausgesetzt, beklagte Ulla Lötzer (Die Linke). Finanzmarktakteure hätten mit Spekulationen und maßlosem Druck auf Maximalrenditen großen Schaden in der Industrie angerichtet. Durch die Entlastung der energieintensiven Industrien von Stromsteuer und Erneuerbare-Energien-Gesetz-Umlage werde der Klimafonds ausgetrocknet. Durch die Ankündigung weiterer Kürzungen beim Erneuerbare-Energien-Gesetz werde die Solarindustrie gefährdet.
Lötzer verlangte zur Rohstoffsicherung eine Reduzierung des Ressourcenverbrauchs. Aber auch hier würden alle Ziele zur ressourcenschonenden Rohstoffnutzung nicht erreicht. Dagegen schließe die Regierung ein Rohstoffabkommen mit dem kasachischen Diktator. In dessen Land seien demonstrierende Arbeiter erschossen worden. „Rohstoffpolitik ist auch eine Frage der Gerechtigkeit. Sie muss an soziale, menschenrechtliche und ökologische Bedingungen geknüpft werden“, verlangte Lötzer.
Deutschland stehe wirtschaftspolitisch exzellent dar, freute sich Dr. Martin Lindner (FDP-Fraktion). Der SPD-Fraktion warf er jedoch vor, einen „Katalog von Risiken“ erstellt zu haben. Mit den Sozialdemokraten seien weder grüne Gentechnologie noch die CCS-Technologie zu machen. Auch das „Fracking“, die Förderung von unkonventionellem Erdgas, werde abgelehnt. „Überall sind sie weg, wenn‘s um die Wurst geht und werden zum Vegetarier“, spottete Lindner.
Zur Rohstoffversorgung sagte der FDP-Politiker, kaum habe die Bundesregierung „dieses hervorragende Abkommen mit Kasachstan unterschrieben, geht das Geheule der Opposition doch wieder los. Wenn wir Rohstoffpartnerschaften auf Gebiete beschränken, wo die freiheitlich-demokratische Grundordnung gilt, dann werden wir nichts ausbuddeln können.“
Kerstin Andreae (Bündnis 90/Die Grünen) bekannte sich zum Industrieland Deutschland. Die Industrie sei Partner für die ökologische Erneuerung. Und diese Erneuerung werde angesichts des Klimawandels und der begrenzten Kapazitäten gebraucht. Ökologie sei das Kernthema der Ökonomie. Die Grünen würden nicht zwischen Öko-Industrie und anderer Industrie unterscheiden, „sondern wir sagen, jeder Industriezweig und jede industrielle Branche muss grün werden“. Man müsse die Seltenen Erden wieder aus den Handys holen, verlangte die Abgeordnete.
Die Sorgen der Wirtschaft wegen der Bezahlbarkeit und Sicherheit der Energieversorgung sowie der Rohstoffversorgung nehme man ernst. Aber die Antwort könne nicht sein, immer mehr Unternehmen von der Erneuerbare-Energien-Gesetz-Umlage zu befreien und Rohstoffabkommen mit Kasachstan zu schließen, und damit Menschenrechte hinter die Rohstoffversorgung zu stellen, sagte Andreae.
Die beiden Anträge der SPD-Fraktion und der Koalitionsfraktionen wurden an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Die SPD-Fraktion fordert in ihrem Antrag eine aktive Industriepolitik für Vollbeschäftigung. Die Fraktion will auch einen „neuen gesellschaftlichen Konsens für die dringend benötigte Modernisierung und den Ausbau der Infrastruktur in Deutschland, der die Bedeutung der Industrie berücksichtigt und eine neue Akzeptanz schafft“.
Außerdem müsse es eine Allianz gegen Fachkräftemangel als gemeinsame Aktion von Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik geben. Zu der von der SPD-Fraktion geforderten „modernen Industriepolitik gehört die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine „sichere, bezahlbare und nachhaltige Energie- und Rohstoffversorgung der Industrie“.
Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP bekennen sich in ihrem Antrag zur Industrie und fordern die Bundesregierung auf, weiter konsequent auf den „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ setzen. Die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Konsum- und Investitionsgütern solle ebenso wie die Entwicklung neuer Produktionstechnologien in der sozialen Marktwirtschaft den Märkten überlassen werden. Die Bundesregierung solle aber klare und verlässliche Rahmenbedingungen für industrielle Innovation und Produktion setzen.
Direkte staatliche Eingriffe seien zu beschränken. Um die Spitzenposition der deutschen Industrie im globalen Wettbewerb zu bewahren, müsse für eine ausreichende Zahl von hochqualifizierten Fachkräften gesorgt werden. Beide Fraktionen verlangen eine preisgünstige und sichere Energieversorgung und bezeichnen die Industrie als „tragende Säule der deutschen Wirtschaft“. Traditionell liege in der Produktion hochwertiger Güter eine der besonderen Stärken Deutschlands. Die Industrie habe auch zur positiven Beschäftigungsentwicklung beigetragen. (hle)