Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > November 2011 > Experten setzen in Zukunft auf eine ordentliche Schulverpflegung
Rund 2 Millionen Schüler werden in Deutschland an etwa 13.300 Schulen verpflegt. Das sind Zahlen, die allerdings Gymnasien, die ebenfalls eine Schulverpflegung organisieren, nicht einbeziehen. „Wir haben das Problem, dass wir keine Daten über Qualität und Umfang über die Ernährung an Schulen haben“, sagte Margit Bölts von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Sie stellte aber fest, dass die Fallzahlen von Übergewicht und Adipositas (Fettleibigkeit) bei Jugendlichen dermaßen angestiegen seien, dass ein koordiniertes Vorgehen notwendig ist. „Die wissenschaftlichen Grundlagen für die richtige ernährungsphysiologische Ernährung sind vorhanden“, sagte sie. „Jetzt muss aber die Umsetzung vorangebracht werden“, so die Expertin. „Es darf aber nicht als eine rein organisatorische Aufgabe gesehen werden, die Schulverpflegung flächendeckend zu organisieren, sondern als eine Chance den Erziehungs- und Bildungsauftrag zu unterstützen.“ Es sei auch zu bedenken, dass Schüler angebotenes Essen nicht akzeptieren, wenn Wartezeiten und Lärmpegel in entsprechenden Räume nicht stimmen würden. „Sie müssen als Gäste begriffen werden“, sagte Bölts. Das fange damit an, wie das Essen angeboten werde und wie die Schüler angesprochen würden.
Für Michael Polster vom Deutschen Netzwerk Schulverpflegung leistet eine qualitativ hochwertige Schulverpflegung einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung einer Essenskultur an den Schulen, zur Ernährungsbildung und zur Gesundheitserziehung. Der gelungenen Umsetzung würden aber noch fehlendes Fachpersonal, Zeitprobleme im Ablauf des Schulalltages und auch des Geldes im Wege stehen. „Deshalb fordere ich die Abschaffung der 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Schulverpflegung“, sagte Polster. Selbst die Fastfoodverköstigung und Hundefutter würden nur mit sieben Prozent zu Buche schlagen. Georg Koscielny vom Wissenschaftlichen Zentrum für Catering, Management und Kulinaristik der Hochschule Fulda trug Ergebnisse vor, die das Problem fehlender Akzeptanz gegenüber Schulmensen beleuchteten. „Der Preis spielt eine Rolle als Stellvertreter für das Gesamtkonstrukt“, sagte er. Der Preis sei aber selten die Ursache. Wenn sich Schüler in Schulmensen nicht wohlfühlen, werde immer über den Preis argumentiert, warum ein Verpflegungsangebot nicht wahrgenommen wird. „In Wirklichkeit ist das Essen aber nicht zu teuer, wenn die Schüler zum Beispiel zu McDonalds gehen, wird der geforderte Preis akzeptiert“, sagte er. Insofern sei bei den Konzepten systemgastronomisches Denken erforderlich, dass die Schüler anspreche. Die Schülerverpflegung müsse in der Lage sein, sich selbst zu tragen. Sozial Schwache sollten gefördert werden. „Die Verpflegung darf aber nicht gewinnorientiert sein, sie muss qualitätsorientiert sein.“
Sabine Lauxen vom Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen forderte, dass die Schulverpflegung selbstverständlicher Bildungs- und Praxisinhalt an den Schulen werden muss: „Es geht nicht darum, dass Kinder nur satt werden.“ Die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit hänge davon ab, wie Kinder ernährt würden. Daher sollen Bund und Länder ihren Verpflichtungen nachkommen und unterstützend den Schulen beistehen sowie ihre Verantwortung für die in Deutschland arbeitenden Vernetzungsstellen übernehmen, damit diese die Sache weiter voranbringen. Andrea Lambeck von der Plattform Ernährung und Bewegung sah eine Chance für das Thema Ernährung darin, dass derzeit in Deutschland Schulen in Ganztagsschulen umgebaut werden: „Die Ritualisierung des Schulfrühstücks ist wünschenswert.“ Denn die Übergewichtsentwicklung sei ein Problem der Kinder im Grundschulalter. „Sie nehmen in der Grundschulzeit zu, während sie bei der Einschulung noch nicht so übergewichtig sind“, sagte Lambeck. Aus diesem Grund sei Prävention eine Investition in die Gesundheit der Kinder und ein Beitrag für die Gesellschaft, wenn dadurch später die Gesundheitskosten sinken.
Doch Dieter Dohmen vom Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie, Institute for Education and Socio-Economic Research FiBS Consulting GbR, hatte Verständnis dafür, dass sich die Länder nicht enthusiastisch in die Aufgabe der flächendeckenden Schulverpflegung stürzen. „Es ist rational, dass sich die Länder zurückhalten, weil sie im Bildungsbereich die Kosten tragen, aber für diese Aufgabe über zu geringe Einnahmen verfügen“, so Dohmen. Nutznießer gesunder Ernährung seien unter anderem Krankenversicherungen, öffentliche Haushalte und Sozialversicherer. Insofern sollten diese Nutznießer gemeinsam in die Finanzierung einbezogen werden, wenn Schulverpflegung erfolgreich sein soll. „Der Einstieg des Bundes in die Schulverpflegung sollte durch Regelungen geschaffen und ermöglicht werden.“ Dass sich solch eine Investition auch auf die Schulnoten auswirke, erklärte Berthold Koletzko vom Haunerschen Kinderspital, Klinikum der Universität München, in der Anhörung. Etwa 20 bis 30 Prozent der Schüler würden in Deutschland ohne Frühstück in die Schule gehen. „Mit Nachteil für die Schulnoten“, leitete er aus Studien ab. Mehr Motivation und Information über die Bedeutung des Frühstücks sei notwendig. Die ordentliche Schulverpflegung sei deshalb eine Chance, geordnete Lebensgewohnheiten zu fördern. Langfristig profitiere dadurch die Gesundheit der Bevölkerung. So plädierte er dafür, dass Schulen grundsätzlich Wasser kostenlos anbieten und zuckerhaltige Getränke bannen sollen. So habe nach einer Studie die Installation von Wasserspendern in einer Schule nach nur einem Jahr zu dreißig Prozent weniger übergewichtigen Schülern beigetragen.
Die Bereitschaft gemachte Angebote anzunehmen, sei vorhanden, sagte Sabine Schulz-Greve von der Schulvernetzungsstelle Berlin. „Ohne rechtliche Verpflichtung nehmen rund 80 Prozent der Schüler an den Berliner Grundschulen an der Schulverpflegung teil.“ Jetzt bedürfe es aber klarer Zuständigkeiten und rechtlicher Vorgaben. Solange das Essen bezuschusst werde, sei auch die Beteiligung sehr hoch. Doch der immense Verwaltungsaufwand und das Verteilungssystem der Gelder belastet das Gesamtsystem – sowohl die Dienstleister wie die Kommunen. In diesem Bereich seien Lösungen gefordert.
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