Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > Mai 2012 > "Schieflage" bei den Ermittlungen
Als Beleg für die „Schieflage bei der Gewichtung“ (Högl) stuften bei der Vernehmung des zuerst geladenen Zeugen Walter Kimmel, des für die Aufarbeitung der fünf in Bayern verübten Morden zuständigen Oberstaatsanwalts, mehrere Abgeordnete die kurz vor Sitzungsbeginn aufgetauchte Information ein, dass die Polizei in Nürnberg mit enormem Aufwand sogar für ein halbes Jahr eine getarnte Dönerbude betrieb, um auf diese Weise auf Erkenntnisse im kriminellen Milieu zu stoßen. Kimmel erklärte, zu Details dieser Polizeiaktion keine näheren Erinnerungen zu haben. Högl äußerte zudem die „Vermutung“, es habe sich auch ein Polizist als Journalist ausgegeben, um in türkischen Kreisen Nachforschungen anstellen zu können.
Angesichts des gigantischen Ermittlungsaufwands wehrte sich der Zeuge gegen den Vorwurf, er und die Soko Bosporus hätten nicht alle Spuren in den zehn Tötungsdelikten mit dem gebotenen Nachdruck verfolgt. Zwischen 2000 und 2007 waren neun türkisch- oder griechischstämmige Kleinunternehmer und eine deutsche Polizistin erschossen worden. Auf eine kritische Frage Edathys sagte Kimmel, in der Rückschau seien aufgrund des seinerzeitigen Erkenntnisstands die Ermittlungen so geführt worden, „wie es besser nicht ging“: „Aus der Sicht von damals wurde alles Menschenmögliche getan“. Er betonte, die von einem Profiler entwickelte „Einzeltätertheorie“ sei nur einer von mehreren Ermittlungsansätzen gewesen. Im Übrigen hätte ein Einzeltäter nicht zwangsläufig rechtsextrem motiviert sein müssen, es hätte sich auch um einen „Verrückten“ handeln können. Es habe keine Bekennerschreiben oder andere politischen Erklärungen der Täter gegeben, so Kimmel, die in die rechtsextreme Richtung wiesen. Als harte Fakten habe man letztlich nur über Patronenhülsen und über den Hinweis verfügt, dass bei einem Mord in Nürnberg und bei einem Nagelbombenattentat in Köln zwei Radfahrer gesichtet wurden.
Mehrfach drückten Abgeordnete den Verdacht aus, Kimmel habe verhindern wollen, dass der Generalbundesanwalt (GBA) in Karlsruhe und auf polizeilicher Ebene das Bundeskriminalamt die Ermittlungen zur Mordserie an sich ziehen. Diesen Vorwurf wies der Zeuge ebenfalls entschieden zurück: Nach den Regeln des Gerichtsverfassungsgesetzes sei eine Zuständigkeit Karlsruhes nicht möglich gewesen. Kimmel wies darauf hin, dass auch der GBA seinerseits bei einer Prüfung zu diesem Ergebnis gelangt sei: „Wir hatten zu wenig Anhaltspunkte für einen rechtsextremen Hintergrund.“ Edathy indes konfrontierte den Staatsanwalt mit einem Aktenzitat, wonach er bei einer Besprechung davor gewarnt habe, den Verdacht über Rechtsextremisten als mögliche Täter öffentlich zu intensiv zu diskutieren, da dann Karlsruhe den Fall übernehmen könne. Der Zeuge erklärte dazu, in den Unterlagen sei dies „schief wiedergegeben“ worden, eine Warnung vor einer öffentlichen Thematisierung dieses Ermittlungsansatzes habe er nie formuliert.
„Vielleicht hätte der Mord an der Polizistin in Heilbronn verhindert werden können“: Mit diesen Worten kritisierte Binninger, dass der Verbleib der in einer Anzahl von rund 60 Exemplaren existierenden Tatwaffe nicht vollständig geklärt worden sei. Schon 2006 sei nur noch bei acht Exemplaren dieser Ceska-Spezialanfertigung offen gewesen, in welche Hände sie letztlich gelangt seien und unter denen letztlich die Tatwaffe identifiziert worden sei. Es könne „nicht verstehen“, so der Unions-Obmann, wieso sich die Recherchen entsprechender Spuren in die Schweiz nach 2006 noch mehrere Jahre hingezogen hätten. Kimmel sagte dazu, er wisse nicht, wieso sich diese Nachforschungen verzögert hätten.
Nach Kimmel wollte der Ausschuss am Donnerstag noch vier weitere Zeugen vernehmen, unter ihnen zwei Polizeiprofiler. Für Freitag sind zwei weitere Zeugen geladen, zu denen mit Wolfgang Weber der Ex-Präsident des bayerischen Verfassungsschutzes gehört.
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