Abstimmung über Fiskalpakt und Euro-Rettungsschirm

Rettungsring unter einem EU-Regenschirm

Für eine Plenarsitzung an einem Freitag ist der Termin ungewöhnlich: Von 17 bis voraussichtlich 21 Uhr will der Bundestag am 29. Juni 2012 abschließend über den Fiskalpakt und den dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beraten und namentlich abstimmen. Für den Fiskalpakt wie für den ESM-Vertrag wird eine Zweidrittelmehrheit verlangt. Grund für die Debatte am späten Nachmittag ist der EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel. Die Ergebnisse des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten sollen abgewartet werden, ehe der Bundestag und danach auch der Bundesrat zur Abstimmung schreiten. Auf der anderen Seite sollen die Beschlüsse noch im Juni gefasst werden, damit der ESM wie geplant am Sonntag, 1. Juli, in Kraft treten könnte.

Gauck will Bitte aus Karlsruhe nachkommen

Danach sieht es zurzeit aber nicht aus, denn das Bundesverfassungsgericht hat Bundespräsident Joachim Gauck vorsorglich gebeten, von einer Ausfertigung der Gesetze zum ESM und zum Fiskalvertrag zunächst abzusehen, um dem Gericht ausreichend Zeit zur Prüfung angekündigter beziehungsweise bereits vorliegender Eilanträge zu geben. Bundespräsident Gauck hat am Donnerstag, 21. Juni, erklärt, er wolle dieser Bitte in Übereinstimmung mit der ständigen Staatspraxis zwischen den Verfassungsorganen und aus Respekt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht stattgeben, sobald Bundestag und Bundesrat die Vertragsgesetze beschlossen haben.

Zu Beginn der Beratungen gibt Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) nach einer Sitzungsunterbrechung ab etwa 17 Uhr eine 20-minütige Regierungserklärung zur Schaffung einer Europäischen Stabilitätsunion ab, an die sich eine voraussichtlich zweieinhalbstündige Aussprache mit anschließenden Abstimmungen anschließt. Insgesamt sind vier namentliche Abstimmungen angekündigt.

Fiskalpakt zielt auf ausgeglichene Haushalte

Über den Fiskalpakt, der eigentlich "Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion" heißt, stimmt der Bundestag namentlich ab. Die Zweidrittelmehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat ist erforderlich, da der Vertrag eine "der Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union vergleichbare Regelung darstellt, durch die sich die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich bindet", wie es in den gleichlautenden Gesetzentwürfen von CDU/CSU und FDP (17/9046) und der Bundesregierung (17/9667) heißt. Zur Abstimmung liegt auch ein Antrag der Linksfraktion (17/9147) vor, die Ratifizierung des Fiskalvertrags abzulehnen und eine "ursachenorientierte Politik zur Krisenbewältigung" einzuleiten. Dazu hat der Haushaltsausschuss eine Beschlussempfehlung vorgelegt (17/10125, 17/10171).

Beim Fiskalpakt verpflichten sich die EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Tschechiens, verbindliche und dauerhafte Regelungen zu schaffen, um ausgeglichene Haushalte zu erreichen. Staaten, die sich in einem Defizitverfahren der EU befinden, müssen darüber hinaus ein Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramm auflegen, das von Brüssel genehmigt und überwacht wird. Hinzu kommen Regelungen zur stärkeren wirtschaftspolitischen Koordinierung und Steuerung.

ESM mit 700 Milliarden Euro Stammkapital

Namentlich abgestimmt wird ferner über den Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Auch dazu liegen gleichlautende Gesetzentwürfe von CDU/CSU und FDP (17/9045) und der Bundesregierung (17/9370, 17/9670) vor. Hier soll ebenfalls das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat gelten. Das Vertragsgesetz wird ergänzt durch ein Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus, zu dem sich Entwürfe der Koalitionsfraktionen (17/9048) und der Regierung (17/9371, 17/9670) in der Beratung befinden. Auch darüber wird namentlich abgestimmt. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Grünen (17/10209) zu den Minderheitenrechten im Bundestag vor.

Der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM soll den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets ab Juli Stabilitätshilfen zur Verfügung stellen können, wenn dies erforderlich ist, um die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets und seiner Mitgliedstaaten zu wahren. Das Stammkapital des ESM soll 700 Milliarden Euro betragen, von denen 80 Milliarden Euro bar eingezahlt werden und 620 Milliarden Euro aus abrufbarem Kapital bestehen. Der deutsche Anteil an den Bareinlagen beträgt 21,72 Milliarden Euro, der Anteil am abrufbaren Kapital 168,3 Milliarden Euro.

Bundesrat warnt vor finanziellen Risiken

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vor finanziellen Risiken für die öffentlichen Haushalte gewarnt. Die Rettungsmaßnahmen dürften die Leistungsfähigkeit der helfenden Staaten nicht überfordern. Für künftige Änderungen des ESM-Vertrages sei die Zustimmung der Länderkammer erforderlich. Die Linke fordert in einem Antrag (17/9146), auch den ESM abzulehnen und stattdessen ein europäisches Investitionsprogramm aufzulegen.

Geändert werden muss darüber hinaus das Bundesschuldenwesengesetz. Union und FDP (17/9049) und die Bundesregierung (17/9372) haben dazu ebenfalls gleichlautende Gesetzentwürfe eingebracht. Dadurch soll es ermöglicht werden, Umschuldungsklauseln in die Emissionsbedingungen des Bundes einzuführen. Der Haushaltsausschuss hat am Mittwoch­, 27. Juni, mit großer Mehrheit den Gesetzentwürfen zugestimmt (17/10126, 17/10172). Dagegen stimmten die Linksfraktion und drei Abge­ordnete der SPD. Gegen das ESM-Finanzierungsgesetz votierte lediglich die Die Linke. 

Rechtssicherheit für die ESM-Einführung

Zur namentlichen Abstimmung stehen auch die gleichlautenden Gesetzentwürfe von CDU/CSU und FDP  (17/9047) und der Bundesregierung (17/9373) zum Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union "hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist". Damit soll Rechtssicherheit für die Einführung des ESM geschaffen werden. Die Linke fordert, grundlegende Reformen der EU-Verträge umzusetzen und Änderungen von Artikel 136 des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union zu verhindern (17/9148). Dazu liegt eine Beschlussempfehlung des Europaausschusses vor (17/10159). Zudem sollten nach dem Willen der Linken soziale Errungenschaften in der EU verteidigt und ausgebaut werden (17/9410). Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat bereits empfohlen, letzteren Antrag abzulehnen (17/9791).

Abgestimmt wird ferner über einen gemeinsamen Entschließungsantrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen (17/10152), in dem unter anderem gefordert wird, die Gesetze zur Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat in EU-Angelegenheiten im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni 2012 anzuwenden. Die Linke fordert in ihrem Entschließungsantrag (17/10153) unter anderem, die Ratifizierung des Fiskalpakts nicht weiter zu verfolgen. Die Grünen setzen sich in einem Entschließungsantrag für die Einrichtung eines europäischen Altschuldentilgungsfonds ein (17/10212).

Änderungsanträge

Die CDU/CSU-Abgeordneten Klaus-Peter Willsch, Veronika Bellmann, Wolfgang Bosbach, Paul Lehrieder und Manfred Kolbe sowie die FDP-Abgeordneten Frank Schäffler, Jens Ackermann, Nicole Bracht-Bendt, Sylvia Canel, Dr. Lutz Knopek, Lars F. Lindemann und Torsten Staffeldt haben einen Änderungsantrag (17/10211) zum ESM-Gesetz vorgelegt. Darin wird gefordert, dass Stimmabgabe und Stimmenthaltung des deutschen Vertreters im Gouverneursrat und im Dirketorium des ESM für die Bundesrepublik nur dann rechtsverbindlich sind, wenn der Bundestag nach Maßgabe des ESM-Finanzierungsgesetzes beteiligt worden ist.

Zwei Änderungsanträge der Grünen (17/10209, 17/10210) und ein Änderungsantrag der SPD (17/10213) beziehen sich auf das ESM-Finanzierungsgesetz. Die Grünen wollen dass das Bundestagsplenum die Befugnisse des neunköpfigen Sondergremiums aus Abgeordneten des Haushaltsausschusses jederzeit mit einfacher Mehrheit an sich ziehen und ausüben kann. Der ESM-Gouverneur sollte dem Haushaltsausschuss auskunftspflichtig sein, wenn mindestens ein Viertel der Mitglieder dies wünscht. Diese Forderung enthält auch der Änderungsantrag der SPD.

Sondersitzung des Bundesrates

Der Bundesrat tritt am 29. Juni unmittelbar nach den Abstimmungen im Bundestag um 21 Uhr zu einer Sondersitzung zusammen, um über die Gesetzentwürfe abzustimmen. Auf dieses Verfahren hatten sich Bund und Länder geeinigt.

Die Länder verzichten damit auf die eigentlich dreiwöchige Beratungsfrist, die das Grundgesetz zwischen Beschlussfassung in Bundestag und Bundesrat vorsieht. Auch frühere Euro-Rettungsmaßnahmen waren schon innerhalb weniger Tage verabschiedet worden.

Anträge Spaniens und Zyperns überwiesen

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat am 27. Juni  im Einvernehmen mit den Fraktionen die Anträge Spaniens und Zyperns auf Finanzhilfen im Rahmen des Euro-Rettungsschirms unmittelbar an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Erste Beratungen dazu fanden am gleichen Tag im federführenden Haushaltsausschuss statt. Der Bundestagspräsident betonte: "Die entsprechenden Unterlagen wurden unverzüglich von der Bundesregierung an den Bundestag übermittelt. Der Bundestag macht damit ab sofort von seinen im Grundgesetz verankerten Rechten in Angelegenheiten der Europäischen Union Gebrauch, um sicherzustellen, dass zügig entschieden werden kann, sobald ein entscheidungsreifer Antrag vorliegt."

Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni 2012, in dem eine Verletzung der Unterrichtungsrechte des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und dem Euro-Plus-Pakt festgestellt worden war. Die Unterrichtung in EU-Angelegenheiten muss dem Bundestag grundsätzlich "eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen und so erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät", hatten die Karlsruher Richter festgestellt. (vom)