NSU-Ausschuss geht rätselhaftem Polizistenmord nach

Beamte der Spurensicherung der Polizei arbeiten am 25.04.2007 auf der Heilbronner Theresienwiese

Der bis heute nicht umfassend aufgeklärte Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter auf einem Heilbronner Parkplatz im April 2007, der wie die Tötung von neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern zwischen 2000 und 2006 dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) zugerechnet wird, beschäftigt den mit diesem Thema befassten Untersuchungsausschuss am Donnerstag, 13. September 2012. Bei den Zeugenanhörungen zu dieser Erschießung, bei der neben Tathergang und Umständen vor allem die Motive bislang rätselhaft geblieben sind, geht es nicht zuletzt um die Frage, warum die  Sonderkommission (Soko) Parkplatz bis zum Auffliegen der NSU-Zelle im Herbst 2011 keine Hinweise auf Verbindungen zum gewalttätigen rechtsextremistischen Milieu fand. Das Bundestagsgremium will Pannen und Fehlgriffe der Sicherheitsbehörden bei den Recherchen zu der Mordserie durchleuchten. Die öffentliche Sitzung unter Vorsitz von Sebastian Edathy (SPD) beginnt um 10 Uhr im Europasaal 4.900 des Paul-Löbe-Hauses in Berlin.

Axel Mögelin, Christoph Meyer, Johannes Schmalzl

Als Zeugen geladen sind Axel Mögelin, Leiter der Soko Parkplatz beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg, Christoph Meyer als zuständiger Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren sowie Johannes Schmalzl, von 2005 bis Ende 2007 Chef des baden-württembergischen Verfassungsschutzes und seit 2008 Stuttgarter Regierungspräsident.

Die Tötung Kiesewetters und die ebenfalls durch einen Kopfschuss verursachte schwere Verletzung ihres Kollegen, der sich nach dem Aufwachen aus dem Koma an nichts mehr erinnern konnte, im Streifenwagen während der Mittagspause zählen zu den seltsamsten Kriminalfällen in Deutschland. Dem NSU wird dieser Mord erst seit Herbst 2011 angelastet, nachdem in Eisenach neben den Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Dienstpistolen der 22-Jährigen und ihres Kollegen gefunden wurden.

Blutspuren auf einer Hose

Erhärtet wurde dieser Verdacht vor wenigen Wochen, als nach Medienmeldungen die Polizei in der Zwickauer Wohnung des NSU-Trios, zu dem noch Beate Zschäpe gehörte, auf einer Hose Spuren von Kiesewetters Blut entdeckt hat.

Vor dem Auffliegen der NSU-Zelle schlossen die Fahnder ein politisch motiviertes Attentat gegen Staatsorgane aus — nicht zuletzt deswegen, weil kein Bekennerschreiben auftauchte. Hinweise auf Verwicklungen gewalttätiger Rechtsextremisten hatte die Soko Parkplatz ebenfalls nicht, die ihre Ermittlungen auch mit Erkenntnissen des Verfassungsschutzes verglich. Bei diesem Thema dürfte der Ausschuss indes bei den Zeugen kritisch nachhaken.

Mysteriöser Fall

Immerhin hatte die Polizei laut Medienberichten ein Täterprofil erstellt, das unter einigen Aspekten auf die verdächtigen NSU-Mitglieder Böhnhardt und Mundlos zutrifft: Die Täter seien wohl eine verschworene Gemeinschaft, ihr Verhältnis könne durch Über- oder Unterordnung gekennzeichnet sein, sie müssten den Umgang mit Pistolen beherrschen, als Motiv sei eine Abrechnung mit der Staatsgewalt denkbar, den Diebstahl der Dienstpistolen könne man als Rache deuten. Freilich lag diesem Bild die Vermutung zugrunde, die Täter kämen wohl aus dem kriminellen Milieu im Raum Heilbronn, da sie über die lokalen Gegebenheiten präzise Bescheid gewusst hätten.

In diesem mysteriösen Fall türmen sich viele Fragen auf, die wohl auch den Ausschuss umtreiben werden. Warum musste ausgerechnet Kiesewetter sterben, wobei ihr Kollege nur glücklicherweise überlebt hat? Waren es Zufallsopfer oder wurden die beiden gezielt ausgewählt, wurde ihr Tagesablauf zuvor ausgeforscht? Wollten die mutmaßlichen NSU-Täter einen "Triumph" über den Staat erzielen und "anonym" auskosten? Waren eventuell weitere Polizistenmorde geplant, zu denen es aber nicht kam? Hinweise, dass sich die beiden Heilbronner Beamten sowie die beiden Verdächtigen Böhnhardt und Mundlos gekannt haben könnten, gibt es bisher offenbar nicht.

Erfolglose Recherchen

Für Wirbel sorgte in diesem Sommer die Erkenntnis, dass zwei baden-württembergische Polizisten 2001 und 2002 für wenige Monate beim deutschen Ableger des US-Geheimbunds Ku-Klux-Klan mitgemacht haben. 2007 waren diese Beamten in Heilbronn tätig, einer von ihnen war Gruppenführer der Einheit, zu der auch Kiesewetter zählte. Dieser Polizist war am 25. April, dem Tag der Tat, in Heilbronn. Zusammenhänge mit der Erschießungsaktion existieren laut Bundesanwaltschaft, deren Recherchen in diesem Mordfall andauern, jedoch nicht.

Alle Recherchen der Soko Parkplatz blieben bis zum Herbst 2011 erfolglos. Eine Großfahndung mit Hubschraubern und vielen Streifenwagen unmittelbar nach der Tat brachte nichts, was auch für den mehrmonatigen verdeckten Einsatz einer Überwachungskamera an Kiesewetters Grab in Thüringen gilt.

"Heilbronner Phantom"

Verstellt wurden die Ermittlungen lange Zeit durch das "Heilbronner Phantom". Am Tatort wurde die DNA einer Frau entdeckt, und diese DNA fand sich auch  bei der Spurensicherung nach zahlreichen anderen Delikten in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Österreich und Frankreich — ein Spektakulum, das zwei Jahre lang Schlagzeilen provozierte. Im März 2009 kam dann heraus, dass diese DNA nicht einer hochkriminellen, unglaublich mobilen Frau zuzurechnen war, sondern auf eine Verunreinigung der bei der Spurenanalyse benutzten Wattestäbchen zurückzuführen war und von einer Beschäftigten bei einer der beteiligten Herstellerfirmen stammte.

Zum komplizierten Fall des Polizistenmords gehört auch, dass nach Medienmeldungen auf rechtsstaatlich problematische Weise zeitweise jeder registriert wurde, der sich auf der Website der Heilbronner Polizei über Kiesewetters Erschießung unterrichten wollte. (kos/07.09.2012)

Zeit: Donnerstag, 13. September 2012, 10 Uhr
Ort:  Berlin, Paul-Löbe-Haus, Europasaal 4.900

Interessierte Besucher können sich im Sekretariat des Untersuchungsausschusses unter Angabe des Vor- und Zunamens sowie des Geburtstags und des Datums der öffentlichen Sitzung anmelden (E-Mail: 2.untersuchungsausschuss@bundestag.de, Fax: 030/227-30084). Zur Sitzung muss ein Personaldokument mitgebracht werden.

Bild- und Tonberichterstatter können sich beim Pressereferat (Telefon: 030/227-32929 oder 32924) anmelden.