Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2010 > Generalaussprache zum Kanzleretat
Mit heftigen Angriffen aus der Opposition und Gegenvorwürfen aus der Regierungskoalition ist am Mittwoch, 20. Januar 2010, die Generalaussprache zum Kanzleretat zu Ende gegangen. Sie ist Teil der ersten Lesung des Bundeshaushalts 2010, die im Mittelpunkt der viertägigen Beratungen vom 19. bis 22. Januar steht. Wie üblich ging es in der Debatte nicht um die Zahlen des Kanzleretats, sondern um die Politik der Bundesregierung.
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) nutzte ihre Rede für einen Rundumschlag von der Wirtschaftskrise bis zur Bildungspolitik. Die Situation, in der sich Deutschland derzeit befinde, sei bisher einmalig, sagte sie. Das alte Jahrzehnt habe mit einem staatlichen Defizit von fünf Prozent geendet, das neue beginne mit einer nie da gewesenen Neuverschuldung.
Die Koalition aus Union und FDP sei dennoch auf dem richtigen Weg, der aber nicht einfach sei. "Der Wirtschaftseinbruch wird uns über weite Teile dieser Legislaturperiode beschäftigen", sagte Merkel. Wenn 2013 der alte Zustand wiederhergestellt sei "haben wir gute Arbeit geleistet". Pläne zu Kürzungen müssten warten, bis im Mai die Steuerschätzungen bekanntgegeben worden sind.
Denn bisher könne man nicht vorhersagen, wie sich der Arbeitsmarkt entwickeln wird, so die Kanzlerin. Sie kündigte ein "schlüssiges Energiekonzept für die nächsten Jahrzehnte" und intensive Verhandlungen um ein neues Klimaabkommen an. Als "ein dickes Brett, das wir bohren müssen" bezeichnete sie die Weigerung etwa Chinas oder Indiens, sich auf bindende internationale Verträge einzulassen.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Dr. Frank-Walter Steinmeier, warf der Regierung "politisches Totalversagen" vor. Sie sei zu sehr mit sich selbst beschäftigt und tue so, "als ob vorher der Antichrist regiert hat". Union und FDP vertrauten immer noch auf "Nachrichten von den Aktienmärkten", obwohl die wahre Krise erst noch komme
30 Prozent des Haushaltes seien schuldenfinanziert. "Das Schlimme ist, sie machen das Ganze nur noch schlimmer", rief Steinmeier. Wenn im Gesundheitssystem die so genannte Kopfpauschale eingeführt werde, sei ein Sozialausgleich notwendig. Doch keiner sage, woher das Geld dafür kommen solle.
"Wir wollen Wohlstand erhalten und Perspektiven schaffen", hielt Birgit Homburger, Fraktionsvorsitzende der FDP, dem entgegen. Wichtig sei, dass jeder Bürger "im Rahmen seiner Möglichkeiten" in diesem Land Verantwortung übernehme. "Nicht der Staat finanziert die Bürger, sondern die Bürger finanzieren mit ihrer harten Arbeit den Staat", sagte Homburger.
Dank der Maßnahmen der Regierung habe beispielsweise ein verheirateter Elektrogeselle mit zwei Kindern und einem Einkommen von 25.000 Euro pro Jahr jetzt 536 Euro jährlich mehr auf dem Konto. Der Gesundheitsfonds sei völlig marode, bereits in diesem Jahr würden acht Milliarden Euro fehlen. Deswegen seien einkommensunabhängige Beiträge zur Krankenversicherung notwendig.
Auch der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Volker Kauder, verwahrte sich gegen Kritik der Opposition: „Wir haben verhindert, dass aus der Krise eine gigantische Arbeitslosigkeit wird. Sie konnten das nicht einmal in normalen Zeiten regeln.“
Er verteidigte das geplante Betreuungsgeld gegen die Kritik, bildungsferne Familien würden dadurch ermuntert, ihre Kinder nicht in den Kindergarten zu schicken. Außerdem plädierte er für eine stärkere Achtung der Menschenrechte in der ganzen Welt. „Es erfüllt uns mit Sorge, wie viele Menschen auf der Welt wegen ihrem Kampf für die Menschenrechte oder wegen ihres Glaubens eingesperrt werden“, sagte Kauder. Die bedrohteste Glaubensgruppe weltweit seien die Christen.
"Frau Merkel, Sie haben uns viel von neuem Denken erzählt. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten tatsächlich auch gedacht", warf Renate Künast, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, der Bundeskanzlerin vor und bezog sich unter anderem auf die Förderung von Kindern und Arbeitsplätzen.
Deutschland habe mit diesem Haushalt in Wahrheit 130 Milliarden Euro Schulden, wenn man "die Tricksereien der Koalition" einbeziehe. "Wen wollen sie zur Kasse bitten?" fragte Künast. Die Klimapolitik sei halbherzig. Der Beschluss zum Ende der Atomkraftwerke werde "vom Kanzleramtschef unter Ägide vermauschelt".
Auch Dr. Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, ließ an der Bundesregierung kein gutes Haar. "Was mich entsetzt hat, war in den vergangenen Wochen der Umgang mit der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Frau Käßmann. Ich verlange von einem christlichen Menschen doch, dass er sich besonders für Frieden engagiert", rief Gysi mit Bezug auf die Forderung Käßmanns, die Bundeswehr aus Afghanistan bald abzuziehen.
Ebenfalls debattiert wurden die Mittel für Kultur und Medien, die im Kanzleretat verankert sind. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) hob hervor, dass die Ausgaben des Bundes trotz der Wirtschaftskrise weiter erhöht worden seien. 12,5 Millionen Euro stünden 2010 bereit für kulturelle Bildung, denn der Zugang zu Kultur müsse jedermann möglich sein.
Im Februar werde ein neuer Wettbewerb für das Einheitsdenkmal starten. "Wir werden die Realisierung zügig fortsetzen", sagte Neumann.
Lukrezia Jochimsen (Die Linke) forderte dagegen einen Nothilfefonds des Bundes für die Kultur, um Ausgabenkürzungen in den Kommunen entgegenzutreten. Sie sprach sich außerdem erneut für die Festschreibung eines Staatsziels Kultur im Grundgesetz aus.