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"Es gab manche Fortschritte, aber zu viele Rückschläge.“ Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) zog am Mittwoch, 27. Januar 2010, in ihrer Regierungserklärung zur Afghanistan-Konferenz am 28. Januar eine gemischte Bilanz des Einsatzes am Hindukusch. Außerdem stellte sie dem Bundestag ein Maßnahmenpaket der Bundesregierung vor, mit dem Außenminister Dr. Guido Westerwelle (FDP) Deutschland auf der Konferenz in London vertritt. Deren Bedeutung betonte Merkel nachdrücklich: Die künftige Strategie entscheide über Erfolg und Misserfolg der internationalen Afghanistan-Mission. "In London geht es also um nichts Geringeres als eine Weichenstellung.“
Die neue Strategie der Bundesregierung sei ein "Fünf-Punkte-Konzept“, so die Kanzlerin. Dieses beinhaltet erstens eine Forcierung der Ausbildung der afghanischen Armee. Zu diesem Zweck soll das Bundeswehr-Kontingent erhöht werden: Geplant ist eine Aufstockung um 500 Soldaten, dazu eine 350 Mann starke Reserve, die flexibel einsetzbar ist.
Zweitens soll die Zahl deutscher Polizeiausbilder in dem Land von 123 auf 200 erhöht werden. Außerdem will die Bundesregierung eine Entwicklungsoffensive starten und bis 2013 jährlich 430 Millionen Euro in den zivilen Wiederaufbau investieren. Dies bedeutet eine Verdoppelung der bisherigen Summe, so Merkel. Darüber hinaus werden 10 Millionen Euro in den Reintegrationsfonds fließen, mit dem ein Aussteigerprogramm für Taliban finanziert werden soll.
Schließlich will Merkel gemeinsam mit der afghanischen Regierung überprüfen, wie weit man auf dem Weg ist, dass die Afghanen selbst für die Sicherheit in ihrem Land sorgen können.
Einen konkreten Abzugstermin der deutschen Truppen nannte Merkel nicht. "Dies wäre kontraproduktiv und falsch“, sagte sie. Allerdings stellte sie die Übergabe einzelner Distrikte an afghanische Sicherheitskräfte für die erste Jahreshälfte 2011 in Aussicht. Ende 2011 sollen dann erste deutsche Kräfte abziehen. Ein Ziel sei es, dass eine "Übergabe in Verantwortung“ im Jahr 2014 vollzogen werden könne.
Merkel räumte ein, dass sich der Einsatz schwieriger gestalte und länger andauere, als man es erwartet habe. Dennoch verteidigte sie das deutsche Engagement: "Der Einsatz der Bundeswehr ist in dringendem Interesse der Sicherheit unseres Landes“, erklärte sie.
Sigmar Gabriel (SPD) forderte dafür zu sorgen, dass die am Hindukusch stationierten Soldaten nicht noch mehr Rückendeckung verlieren. Dazu sei es wichtig damit aufzuhören "mit den Begriffen Krieg und kriegerische Auseinandersetzung leichtfertig umzugehen“, appellierte er an Verteidigungsminister Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU/CSU) gewandt.
"Die Vereinten Nationen führen dort keinen Krieg und unsere Soldaten in Afghanistan sind keine Kämpfer“, unterstrich Gabriel. Er sehe die deutschen Streitkräfte eher als eine Art "Weltpolizisten“ an einem Ort, wo es an polizeilichen Kapazitäten fehle.
Im Namen seiner Fraktion forderte Gabriel einen "realistischen Fahrplan für den Abzug“ verbunden mit einem Fahrplan für die Gewährleistung der Sicherheit in Afghanistan. Prinzipiell erklärte er sich mit der von der Kanzlerin vorgelegten Strategie einverstanden - allerdings witterte er darüber Uneinigkeit im Kabinett.
Die Aufstockung des Kontingents um 850 Soldaten nannte Gabriel unnötig. Eine endgültige Zustimmung der SPD zu den geplanten Maßnahmen der Bundesregierung knüpfte er an das Vorhandensein eines konkreten Abzugsdatums.
Dr. Rainer Stinner (FDP) lobte die Strategie. Es liege nun ein Konzept vor, "wie es die FDP seit Jahren gefordert hat“, freute er sich. Für Afghanistan biete es die Chance auf Frieden; für Deutschland die Chance, international sein Gesicht zu wahren.
"Mit Geldscheinen kann man keine Taliban frangen“, räumte er ein. Dennoch verteidigte er den Integrationsfonds. "Ohne den Versuch, Hardcore-Taliban von Mitläufern zu trennen und letztere zu integrieren, wird es in Afghanistan keinen Frieden geben“, erläuterte Stinner.
"In Afghanistan herrscht nichts anderes als Krieg“, wiederholte Dr. Gregor Gysi (Die Linke) die seit Langem eingenommene Position seiner Fraktion. Mit Krieg könne man Terrorismus jedoch nicht bekämpfen, mahnte er. Da Al Kaida von Pakistan und anderen Ländern aus operiere, müsse man - wenn man den Terrorismus mit Krieg bekämpfen könne - Afghanistan verlassen und unaufhörlich in anderen Ländern Krieg führen.
Als Hauptursache des Terrorismus nannte Gysi die Ungerechtigkeit des Westens gegenüber der Dritten Welt und muslimischen Staaten. Daraus folgerte er: "Nur mit einem gerechten Welthandel und einer besseren Entwicklungshilfe lässt sich dem Terrorismus der Boden entziehen.“
Philipp Mißfelder (CDU/CSU) widersprach Gysi, der moniert hatte, in Afghanistan habe sich die Situation in den vergangenen neun Jahren eher verschlechtert als verbessert. Der Präsident Afghanistans Hamid Karsai habe bestätigt, dass der Einsatz der internationalen Truppen zu Erfolgen geführt habe. Vor allem die Lage der Frauen in dem Land habe sich stark verbessert, erklärte Mißfelder. Karsai hielt sich am Vormittag im Reichstagsgebäude auf und nahm an einer nichtöffentlichen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses teil.
Einem konkreten Termin für einen Abzug der deutschen Truppen erteilte Mißfelder eine Absage und zitierte einen Taliban-Führer, der gesagt haben soll: "Ihr habt alle Uhren, wir haben alle Zeit.“ Dies zeige, so Mißfelder, dass sich die Taliban bis zu einem fixen Abzugsdatum zurückziehen würden, um nach dem Abzug der ausländischen Streitkräfte zu versuchen, die Macht wieder an sich zu reißen.
Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) hatte sich von der Regierungserklärung der Kanzlerin mehr Antworten erhofft und warf ihr vor, nur wenig Konkretes gesagt zu haben. Außerdem forderte Künast eine Evaluierung der bisher getroffenen Maßnahmen.
Sie forderte zudem: "Ich will sehen, dass Mittel für den zivilen Aufbau gezielt in die Entwicklung der ländlichen Räume investiert wird.“ Die geplante 350 Mann starke Reserve lehnte sie ab: "Im bisherigen Kontingent von 4.500 Soldaten sind bereits genügend flexible Kräfte vorhanden“, sagte sie.
Thomas Silberhorn (CDU/CSU) vertrat die Meinung, dass auch ein Strategiewechsel in der Redeweise notwendig sei, wenn man über Afghanistan spreche. "Die Zeit der Parolen ist vorbei“, sagte er und plädierte für eine "schonungslose Analyse der Situation vor Ort.“
In diesem Zusammenhang begrüßte er, dass der Verteidigungsminister von kriegsähnlichen Zuständen in dem Land gesprochen habe, da man so auf dem Weg sei, größere Rechtssicherheit für die Soldaten herzustellen. Er forderte, dass für die Streitkräfte nicht das deutsche Strafrecht, sondern das Völkerrecht gelte.
Einen Entschließungsantrag der Linksfraktion (17/519), in London keine Zusagen über Truppenaufstockungen zu machen, lehnte der Bundestag ab.