Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2010 > Niedriglohn
In einer hitzigen Debatte hat der Bundestag am Freitag, 5. März 2010, auf Antrag der Fraktion Die Linke über die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes beraten. "Der Niedriglohnsektor hat Ausmaße angenommen, die unerträglich sind", begründete der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Klaus Ernst den Vorstoß seiner Fraktion. Schon jetzt arbeiteten 5, 1 Millionen Menschen in Deutschland zu einem Stundenlohn von unter acht Euro, sagte er. Die Fraktion Die Linke verweist auf das Beispiel von 20 EU-Mitgliedsländern, die bereits allgemeine Lohnuntergrenzen eingeführt haben. Ein gesetzlicher Mindestlohn werde auch in Deutschland von einem großen Teil der Bevölkerung befürwortet, schreibt die Fraktion in ihrem Antrag (17/890), den der Bundestag an die Ausschüsse überwies.
Vertreter von CDU/CSU und FDP lehnten einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn kategorisch ab und verwiesen auf die Tarifautonomie. "Die Tarifpartner sind Experten für Lohnfindung, nicht ein Bundesminister oder der Bundestag", sagte der CDU-Arbeitsmarktexperte Peter Weiß. Vorrang hätten die Sozialpartnerschaften. "Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf eine angemessene Entlohnung ihrer Arbeitsleistung", betonte er. Dafür seien mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz die geeigneten Instrumentarien geschaffen worden. Sein Fraktionskollege Paul Lehrieder rechnete vor, dass mit einem gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde 1,9 Millionen Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich vernichtet würden.
Der FDP-Abgeordnete Reiner Deutschmann warf der Fraktion Die Linke Doppelzüngigkeit vor. Sie erkläre sich zum alleinigen Vertreter aller Arbeitnehmer, blende aber die wirtschaftliche Lage aus. Auch habe sie keine geeigneten Vorschläge für eine Gegenfinanzierung. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn drohe Geringqualifizierten lebenslange Arbeitslosigkeit.
"Wir sind in Europa inzwischen Spitzenreiter in Sachen Niedrigstlöhne", sagte der SPD-Arbeitsmarktexperte Ottmar Schreiner. "Wir brauchen dringender denn je eine praktikable Lohnuntergrenze." Als wirkungslos wies er das Prinzip der Allgemeinverbindlichkeit von Branchentarifverträgen zurück, da nur noch 33 Prozent aller Unternehmen der Tarifbindung unterlägen. Der Bundesregierung hielt er vor, "staatlich begünstigtes Lohndumping" ausweiten zu wollen. "Das ist genau der falsche Weg", unterstrich Schreiner.
Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Brigitte Pothmer, nannte es eine Schande, dass fast eine Million Menschen, die Vollzeit arbeiteten, von ihrem Lohn nicht leben könnten. "Die Entwicklung im Niedriglohnsektor schreit doch wirklich nach einem Mindestlohn", betonte sie. "Die Tarifautonomie funktioniert nicht mehr, darum ist die Politik hier gefragt." Für die Betroffenen sei dies eine Frage der Gerechtigkeit und für den Staat eine wichtige ordnungspolitische Aufgabe.
Als besonders verwerflich kritisieren die Linksabgeordneten in ihrem Antrag, dass 1,37 Millionen Menschen von ihrem geringen Lohn nicht leben könnten und deshalb auf eine Aufstockung durch Hartz-IV-Leistungen angewiesen seien. Die Steuerzahler finanzierten den vorenthaltenen Lohn in Milliardenhöhe.
Die Linksfraktion fordert deshalb, noch in dieser Wahlperiode einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von zehn Euro pro Stunde zu beschließen. Höhere tarifliche Branchenmindestlöhne müssten für die jeweilige Branche für allgemein verbindlich erklärt werden. Um dies zu gewährleisten, werde das Arbeitnehmerentsendegesetz auf alle Branchen ausgeweitet. Ein paritätisch besetzter Mindestlohnrat soll eingerichtet werden, der auch über die jährliche Anpassung des Mindestlohnes an die steigenden Lebenshaltungskosten wacht.
Die Linksfraktion verweist darauf, dass in Deutschland der Niedriglohnsektor schneller als in anderen europäischen Ländern und auch schneller als in den Vereinigten Staaten gewachsen sei. Von einem niedrigen Lohn wird allgemein gesprochen, wenn das Entgelt unter zwei Dritteln des mittleren Stundenverdienstes liegt. Mehr als sechs Millionen Menschen arbeiten in Deutschland für einen Lohn unterhalb dieser Schwelle.