Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > März 2011 > Überangebot an Präventionsprogrammen senkt Effizienz der Hilfe
In der Anhörung unter Vorsitz von Marlene Rupprecht (SPD) unterrichteten sieben Experten die Fachpolitiker der fünf Bundestagsfraktionen über den aktuellen Stand der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Thomas Altgeld kritisierte in der Anhörung weniger die Vielfalt der Präventionsangebote von Krankenkassen, Trägern und Vereinen für Kinder, die der Förderung der Gesundheit, dem Schutz vor Kriminalität, Unfällen oder Süchten dienen, als ihre Konzentration auf Schulen und Kindertagesstätten.
”Problematisch ist jedoch, dass diese Programme häufig inhaltlich gleich formuliert sind und fast ausschließlich mittelschichtsorientiert sind“, sagte Altgeld. Gruppen, die diese Angebote vorrangig ansprechen sollten, würden kaum erreicht. Wichtiger sei es, statt die jeweiligen Symptome mit einzelnen Programmen zu bekämpfen, die ”Lebenskompetenz“ zu fördern. Prävention sollte seiner Meinung nach praktischer und weniger theoretisch sein: ”Denn es ist wirksamer, statt Getränkeautomaten lieber Trinkwasserspender in Schulen aufzustellen, wenn Kinder sich besser ernähren sollen.“
Dr. Andrea Lambeck, Plattform Ernährung und Bewegung e. V., konnte eine ”leichte Trendwende“ zum Positiven bei der Messung des Gewichts bei Schuleingangsuntersuchungen von Kindern feststellen. ”Dennoch sehe ich die Probleme noch nicht gelöst“, sagte sie. Mindestens zwei Stunden pro Tag säßen Kinder im Durchschnitt vor dem Fernseher oder Computer. ”Nur insgesamt eine halbe Stunde maßgebliche Bewegung werden gemessen.“ Die Ärztin bestätigte die Aussage ihres Vorredners: ”Durch die bisher praktizierten Maßnahmen erreichen wir zu wenig sozial Schwache.“
Es würden rund zwei Millionen übergewichtige Kinder gezählt. Im Gegensatz dazu gebe es jedoch nur ein Angebot von rund 10.000 Therapieplätzen. Hier gelte es noch, daran zu arbeiten, die Situation zu verbessern. Den Fokus aus der Schule oder der Kita nahm Peter Lang, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Er erläuterte, dass die Eltern als erste Zielgruppe befähigt werden müssten, richtige Entscheidungen für ihre Kinder zu treffen. Aus diesem Grund fördere die Bundeszentrale auch Hebammen und Ärzte, damit diese Gruppen schon früh werdende Eltern ansprächen.
Prof. Boris Zernikow, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, zog für die palliative Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ein grundsätzlich positives Urteil – zumindest nach Gesetzeslage. ”Das im Jahr 2007 verabschiedeten Gesetz zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung ist ein Meilenstein“, sagte er zufrieden. Weil darin festgeschrieben wurde, dass die besonderen Belange von Kindern berücksichtigt werden müssen.
Doch in der Umsetzung würden die Krankenkassen den Medizinern Steine in den Weg legen: ”Denn in den Verhandlungen wird versucht, die für die Erwachsenen ausgehandelten Verträge auf Kinder anzuwenden.“ Doch der Arbeitszeitaufwand, die Entfernungen und die Bedürfnisse todkranker Kinder seien ganz andere als bei Erwachsenen. ”Es ist zu beachten, dass mit einem Kind die ganze Familie der Betreuung bedarf“, sagte Zernikow. Hinzu käme, dass Eltern oft kein adäquates Betreuungsangebot finden, wenn die Patienten zwar körperlich noch auf dem Stand von Kindern sind, aber vom Alter her jungen Erwachsenen zugeordnet werden.
Zernikow forderte eine von der Politik dirigierte Versorgung, um dieses Problem zu lösen. ”Mit vergleichsweise insgesamt wenigen 13 Millionen Euro könnte das Versorgungsdilemma gelöst werden“, bat der Mediziner auf entschlossene Schützenhilfe durch die Kommission. Dem pflichtete Andreas Müller, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, bei: ”Es ist eine bundesweite Koordinierung notwendig.“ Die Kiko müsse die Gespräche mit den Spitzenverbänden der Gesetzlichen Krankenkassen begleiten.
Den Bogen zurück zum Thema Prävention schlug eine Vertreterin des Deutschen Kinderhospizvereins: ”Denn bei der Versorgung sterbender Kinder geht es um die ganze Familie.“ Häufig gerieten Familien in Notlagen, weil die Belastungen außerordentlich hoch seien. Prävention könnte dann hilfreich und effektiv ansetzen. Doch über den Tag des Todes eines Kindes hinaus sehe sich keine Kasse verpflichtet, psychosoziale Beratungen oder andere Hilfen den Verbliebenden anzubieten. Eine ”Lücke“, die geschlossen werden müsse.
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