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**** NACH § 117 GOBT AUTORISIERTE FASSUNG ****
*** bis 10.35 Uhr ***
Deutscher Bundestag
202. Sitzung
Berlin, Freitag, den 26. Oktober 2012
Beginn: 9.00 Uhr
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
- Drucksache 17/11048 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
A. f. Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es soll hierzu eineinhalb Stunden debattiert werden. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die Bundesregierung der Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz:
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Formen des Zusammenlebens der Menschen in unserer Gesellschaft haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich verändert. Seit Jahren gibt es eine ansteigende Zahl von Kindern, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind. 15 Prozent betrug der Anteil 1995 und 33 Prozent im Jahr 2010.
An diese Entwicklung muss auch unser Familienrecht angepasst werden, was die Stellung der nicht verheirateten Eltern, von Mutter und Vater, im Interesse des Kindeswohls angeht. Bisher galt: Mütter haben mit Geburt das alleinige Sorgerecht für ihr nicht eheliches Kind. Väter konnten die Zustimmung der Mutter nicht einklagen, bis das Bundesverfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Schlechterstellung der nicht verheirateten Väter ausdrücklich beanstandet haben.
Genau da setzt der Gesetzentwurf der Bundesregierung an. Er orientiert sich an dem Leitbild der gemeinsamen Sorge auch der nicht verheirateten Eltern für ihr Kind. Wir legen zugrunde, dass es das Beste ist, wenn sich beide Elternteile, auch wenn sie nicht verheiratet sind, um ihr Kind oder ihre Kinder kümmern - es sei denn, das Kindeswohl steht dem ausdrücklich entgegen. Der Gesetzentwurf will diese Interessen, die im Raum sind - der Mutter nach der Geburt, des Vaters und natürlich des Kindes -, in Einklang bringen.
Damit eines ganz klar ist: Wenn Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind, sich einigen, dann brauchen wir eigentlich überhaupt keine gesetzlichen Regelungen. Da, wo man sich verständigt - möglichst früh und vielleicht schon vor der Geburt statt erst nach der Geburt -, hat der Gesetzgeber keine Vorgaben zu machen. Deshalb befasst sich der Gesetzentwurf mit den Lebensgestaltungen und Lebenssituationen - diese sind in unserer Gesellschaft sehr vielfältig -, in denen es nicht zu einer Einigung der beiden Elternteile, von Mutter und Vater, kommt.
Wir regeln Folgendes: Es bleibt beim Grundsatz, wie er bis heute gilt: Die Mutter hat mit der Geburt die alleinige Sorge. Natürlich gibt es andere Modelle in der Diskussion und auch in der Beratung dieses Gesetzentwurfes. Bei der Erstellung des Gesetzentwurfes haben wir die verschiedenen Modelle in den Blick genommen. Die gemeinsame Sorge von Geburt an für die nicht verheirateten Eltern ist ein Modell, dem auch wir als FDP einiges abgewinnen konnten. Aber natürlich gibt es auch Argumente dagegen. Denn was ist, wenn eine Beziehung der Eltern nicht besteht oder wenn sie nur ganz lose war und in einem oder mehreren kurzen Treffen bestand, sodass es keine enge Verknüpfung gibt? Soll da immer von Geburt an die gemeinsame Sorge bestehen? Das sind die Argumente, die wir abgewogen haben.
Wir haben uns in der Koalition entschieden, zu sagen: Mit Geburt hat die Mutter die alleinige Sorge. Aber der Vater, der in seinen Rechten durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestärkt worden ist, kann natürlich beantragen, die gemeinsame Sorge mit der Mutter auszuüben. Er kann auch sagen, dass es aus seinem Blickwinkel am besten ist, wenn er derjenige ist, der die alleinige Sorge für das gemeinsame Kind hat. Die Gründe kann er in einer Erklärung niederlegen und einen entsprechenden Antrag stellen.
Natürlich hat dann die Mutter die Gelegenheit - das ist doch selbstverständlich und unverzichtbar -, zu sagen, wie sie zu diesem Antrag auf gemeinsame Sorge steht. Wenn es Gründe gibt, dass es aufgrund des Kindeswohles angemessener wäre, das Sorgerecht für das Kind allein bei der Mutter zu belassen, dann kann die Mutter diese nicht nur vortragen, sondern dann sollte sie diese unbedingt vortragen. Dann müssen die unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen - immer gemessen am Wohl des Kindes - in einem Verfahren beim Familiengericht geklärt werden. Das Familiengericht wird auf der Grundlage der bestehenden Regelungen zu einer Entscheidung unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen kommen.
Darüber hinaus ist es den Elternteilen freigestellt, zum Jugendamt zu gehen. Das Jugendamt kann natürlich beraten sowie Anregungen und Hilfestellungen geben. Wir sehen aber nicht vor, dass das in jedem Fall zwingend zu erfolgen hat. Ich glaube, wir müssen den Elternteilen nicht vorschreiben, dass sie sich in jeder Situation immer und zuallererst an das Jugendamt wenden müssen. Es ist aber gut, wenn sie diese Anlaufstelle und die dort vorhandene Kompetenz und vorhandenen Erfahrungen meinen für sich in Anspruch nehmen zu wollen. Das ist ihnen, wie gesagt, freigestellt.
Auch in Debatten im Deutschen Bundestag zu anderen rechtspolitischen Anträgen ging es um die Frage, warum mit diesem Gesetzentwurf ein zügigeres Verfahren vorgesehen werden soll, ein vereinfachtes und ein beschleunigtes Verfahren zur Entscheidung über die Frage, ob das Sorgerecht beiden Elternteilen und damit auch dem Vater übertragen wird.
Mir ist es wichtig, deutlich zu machen, dass dieses Verfahren nur für eine ganz bestimmte Situation gilt, wenn nämlich die Mutter bezüglich des Antrags des Vaters keine Gründe vorträgt, warum dieser Antrag auf gemeinsame Sorge sich gegen das Kindeswohl richtet, sie sich in der Sache also überhaupt nicht einlässt. Dazu sagen wir: Wenn dem Gericht nicht sowieso schon andere Gründe vorliegen, die selbstverständlich zu berücksichtigen sind, dann hat es in einem schriftlichen Verfahren, in dem man natürlich wiederum alle Gründe vorbringen kann, zu entscheiden. Wenn sich in diesem schriftlichen Verfahren herausstellt, dass die Situation doch eine andere ist, als sie sich im Antrag des Vaters darstellt, dann - das ist ausdrücklich in der Begründung des Gesetzentwurfs und in den Verweisen dargelegt - kann natürlich unter Einhaltung einer bestimmten Frist in einer Anhörung alles erörtert werden, was wichtig ist.
Ich glaube, damit tragen wir den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, die Rechte der Väter im Falle nicht verheirateter Eltern eindeutig zu stärken. Wir belassen es bei der alleinigen Sorge der Mutter mit der Geburt. Im Verfahren muss dann aber den Rechten der Väter Rechnung getragen werden. Wir verbinden die unterschiedlichen Interessenlagen in einer angemessenen Weise miteinander. Dem Vater wird mit dem Verfahren für den Fall eine Möglichkeit eröffnet, seine Situation darzulegen, dass sich die Mutter nicht mit der Nennung von Gründen, die gegen eine gemeinsame Sorge sprechen, einbringt.
Ich freue mich auf spannende und angeregte Beratungen im Rechtsausschuss und in den anderen Ausschüssen. Das ist ein wichtiges Thema, das viele Menschen in unserer Gesellschaft berührt. Deshalb ist der heutige Tag ein guter Tag, an dem wir erstmals nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über gesetzliche Regelungen beraten.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Burkhard Lischka hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Burkhard Lischka (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Bundesjustizministerin, es ist in der Tat ein wichtiges Thema. Das Thema, über das wir heute Morgen debattieren, brennt vielen Hunderttausend Vätern, Müttern und auch Kindern auf den Nägeln. Sie haben es gesagt: In Deutschland wird inzwischen jedes dritte Kind nicht ehelich geboren. In den ostdeutschen Bundesländern sind es sogar über 60 Prozent der Kinder. Das Ganze ist also überhaupt kein Randthema.
In diesen Zahlen spiegelt sich gesellschaftlicher Wandel wider, der in den letzten Jahren und Jahrzehnten stattgefunden hat. Vor etwa 40 Jahren hatten wir in Deutschland eine komplett andere Rechtslage. Nicht eheliche Kinder waren sogenannte Niemandskinder. Sie waren mit ihrem Vater nicht einmal verwandt. Sie waren von der Erbfolge ausgeschlossen. Sie hatten nicht einmal einen Anspruch auf einen Pflichtteil. Sie hatten keinen eigenen Unterhaltsanspruch. Auf der anderen Seite hatte der Vater keinen durchsetzbaren Anspruch auf Umgang mit dem Kind, geschweige denn die Möglichkeit, überhaupt eine gemeinsame Sorge zu bekommen. Das alles hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert. Das ist auch gut so.
Denn Kinder haben ein Recht auf liebevollen Umgang mit beiden Elternteilen, egal ob sie einen Trauschein haben oder nicht.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor etwa drei Jahren und das Bundesverfassungsgericht vor zweieinhalb Jahren hatten uns die Aufgabe gegeben, dieses Sorgerecht weiterzuentwickeln. Gesetzliches Leitbild soll die gemeinsame Sorge sein. Es soll nicht mehr prinzipiell an dem Veto eines Elternteils scheitern. Auch das ist gut so.
Die Bundesregierung hat sich allerdings viel Zeit gelassen, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Ursprünglich war ein solcher Gesetzentwurf für das Jahr 2010 angekündigt. Da ist nichts passiert. Dann kam die Ankündigung für 2011. Auch da ist nichts passiert. Jetzt haben wir Ende 2012. Obwohl sich die Bundesregierung zweieinhalb Jahre Zeit gelassen hat: Der ganze große Wurf - das sage ich vorweg - ist es nicht geworden. Ich will nicht verkennen, dass eine gesetzliche Neuregelung vor allen Dingen mit drei Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Erste Schwierigkeit. Die Debatte über die Ausgestaltung der elterlichen Sorge - das wissen wir alle - wird sehr emotional, sehr leidenschaftlich und teilweise auch sehr verbissen geführt. Es gibt im Wesentlichen zwei Lösungsmodelle, die seit Jahren diskutiert werden. Das eine ist die sogenannte Antragslösung, bei der der Vater vor Gericht gehen muss, um eine gemeinsame Sorge zu bekommen. Das andere ist die Widerspruchslösung, die beiden Eltern zunächst einmal das Sorgerecht zuweist. Wenn dies dann aber nicht sachgerecht ist, weil sich beispielsweise der Vater schon vor der Geburt aus dem Staub gemacht hat, dann muss die Mutter zum Gericht gehen, um daran etwas zu ändern. Diese beiden Lösungsmodelle stehen sich sehr unversöhnlich gegenüber. Der eine zeigt auf den anderen und fragt: Warum muss bei deinem Modell der Vater zum Gericht laufen? Dieser wiederum fragt zurück: Warum muss das bei deinem Modell die Mutter tun?
Ich glaube, dass eine gesetzliche Neuregelung im Sinne der Kinder Brücken bauen muss. Die Kinder leiden am meisten darunter, wenn sich ihre Eltern über das Sorgerecht streiten, was zu der misslichen Situation führen kann, dass ein Elternteil den anderen verklagt. Eine gesetzliche Regelung muss die Gemeinsamkeiten der Eltern fördern und nicht den Streit. Das ist in diesem Gesetzentwurf noch nicht richtig gelungen.
Zweite Schwierigkeit. Hinter dem Thema Sorgerecht für nicht verheiratete Eltern - Sie haben das angesprochen - verbergen sich ganz unterschiedliche Fallgruppen: angefangen bei den Eltern, die auch ohne Trauschein ein Leben lang zusammenbleiben und sich gemeinsam rührend um ihre Kinder kümmern bis hin zu den flüchtigen Bekanntschaften, bei denen der Vater schon lange vor der Geburt verschwunden ist. Eine gesetzliche Neuregelung muss das Kunststück fertigbringen, all diesen Fallgruppen gerecht zu werden. Das ist kein leichtes Unterfangen.
Schließlich die dritte Schwierigkeit. Jede noch so gut gemeinte gesetzliche Regelung auf dem Papier ist darauf angewiesen, dass die Eltern sie vor Ort im Alltag verantwortungsbewusst und einvernehmlich umsetzen. Wenn die Eltern das nicht tun, wenn sie beispielsweise ihre Konflikte auf dem Rücken der Kinder austragen, dann läuft jede noch so gute Regelung vollkommen ins Leere. Deshalb muss es doch das Ziel einer gesetzlichen Regelung sein, die Eltern zu unterstützen und da, wo Konflikte vorhanden sind, diese Konflikte mit den Eltern zu bereden und sie nicht alleine zu lassen.
Den Eltern muss gesagt werden: Ihr habt ein gemeinsames Kind. Seid für euer Kind da. Es braucht Vater und Mutter. Lasst uns einmal gemeinsam schauen, wie wir hier zu einer vernünftigen Lösung kommen.
Aber was bewirkt dieser Gesetzentwurf, zumindest in Teilen? Ich sage es ganz offen: Die Eltern werden im Regen stehen gelassen. Sie haben es bereits angesprochen: In einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren soll beispielsweise ein Familienrichter über das Sorgerecht in Konfliktfällen entscheiden. Der Pferdefuß dabei ist: Er soll das tun, ohne jemals Vater oder Mutter gesehen, geschweige denn mit ihnen gesprochen zu haben. Auch das Jugendamt ist außen vor. Der Richter entscheidet nur nach Aktenlage. Die Eltern sind außen vor. Sie werden zu Zaungästen des gesamten Verfahrens. Das ist doch ein Unding.
So löst man keine bestehenden Konflikte, sondern man verschärft sie nur. Da Sie so mit Hunderttausenden von Vätern und Müttern umspringen, sprechen Sie in diesem Zusammenhang in Zukunft bitte nicht mehr von starken Familien und starken Eltern.
Auch die Familienrichter stöhnen schon und fragen: Wie sollen wir in diesem vereinfachten Verfahren eigentlich entscheiden? Wie sollen wir in Zukunft solche schwerwiegenden Entscheidungen über die Ausübung des Sorgerechts über die Köpfe der Betroffenen - der Väter, der Mütter, der Kinder - hinweg treffen können? Meine Damen und Herren, hier geht es um das Wohl vieler nicht ehelicher Kinder in unserem Land. Über das Kindeswohl entscheidet man nicht nach Aktenlage.
Das Kindeswohl eignet sich nicht für schwarz-gelbe Experimente. Deshalb werden wir diesen Gesetzentwurf in den kommenden Wochen sehr kritisch begleiten.
Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben vor einem knappen Jahr unsere Lösungsvorschläge auf den Tisch gelegt. Lassen Sie uns jetzt gemeinsam schauen: Was sind die besten Lösungen für die betroffenen Väter, für die Mütter, aber vor allen Dingen auch für die betroffenen Kinder?
Recht herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die CDU/CSU-Fraktion ergreift jetzt die Kollegin Andrea Voßhoff das Wort.
Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, heute liegt der Gesetzentwurf der christlich-liberalen Koalition zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern endlich vor. Wir haben dieses Thema in diesem Hause schon oft genug diskutiert, zuletzt noch bei der Haushaltsberatung.
Ich glaube, wir sind uns, auch wenn wir später hinsichtlich der Ausgestaltung sicherlich noch streiten werden, dem Grunde nach sicherlich einig: Das Sorgerecht ist im Bereich des Familienrechts immer eine besondere Herausforderung für den Gesetzgeber. Es muss nämlich höchst unterschiedlichen Lebens- und Beziehungssituationen, in die Kinder heutzutage hineingeboren werden, gerecht werden. Auch aus diesem Grund haben wir in der Koalition die Vorlage des heutigen Entwurfs sehr ausführlich, sehr intensiv und sehr zeitaufwendig beraten, und zwar, wie ich finde, mit einem guten Ergebnis.
Wir haben - dies ist schon betont worden - eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungsmodelle miteinander diskutiert. Herr Lischka, Sie und auch die Ministerin haben es erwähnt: Ob Widerspruchslösung oder Sorgerecht ab Geburt - es müssen sehr divergierende Interessen austariert werden. Sie haben unsere Überlegungen und auch die Erarbeitung des heutigen Entwurfs als Opposition begleitet, im Wesentlichen sachlich. Ich glaube, das gebietet das Thema auch. Es eignet sich nicht für parteipolitische Präsentation und Darstellung. Vielmehr sollten wir im Interesse der Kinder, der Eltern und der Familie eine sachgerechte Diskussion darüber führen. Ich freue mich darüber, dass das bisher weitgehend gelungen ist.
Könnte man diesem Gesetzentwurf eine Überschrift geben, die das Leitmotiv treffend zum Ausdruck bringt, so müsste die Überschrift dieses Gesetzentwurfes eigentlich lauten: „Mutter und Vater sind gut fürs Kind“. Wir implantieren die gemeinsame elterliche Sorge als Leitbild ins Sorgerecht, und zwar in den Fällen, in denen die Eltern nicht miteinander verheiratet sind und über das Sorgerecht keine Einigung finden können.
Wir alle wissen: Nach bisherigem Recht - das ist heute schon gesagt worden - erhielten Eltern, die nicht miteinander verheiratet waren, das gemeinsame Sorgerecht nur, wenn sie heirateten oder sich übereinstimmend für die gemeinsame elterliche Sorge entschieden haben.
Wir wissen auch: Neben dem EGMR hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2010 festgestellt, dass der Gesetzgeber dadurch unverhältnismäßig in das Elternrecht des Vaters eines nicht ehelichen Kindes eingreift, dass er ihn generell von der Sorgetragung für sein Kind ausschließt, wenn die Mutter des Kindes ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge mit dem Vater oder zu dessen Alleinsorge für das Kind verweigert, ohne dass ihm die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung am Maßstab des Kindeswohls eingeräumt wird. Der Gesetzgeber war daher gefordert, diesen nach der bestehenden Rechtslage möglichen unverhältnismäßigen Eingriff in das Elternrecht des Vaters zu korrigieren. Das tun wir heute mit diesem Gesetzentwurf.
Es ist bereits gesagt worden: Die gesellschaftliche Entwicklung auch der Familien ist seit der letzten großen Kindschaftsrechtsreform nicht stehen geblieben. Der Prozentsatz der nicht ehelich geborenen Kinder hat, gemessen an der Gesamtzahl der Geburten, stetig zugenommen. Die Zahlen sind bereits genannt worden: Heutzutage wird etwa jedes dritte Kind nicht ehelich geboren, in den neuen Bundesländern liegt die Zahl der nicht ehelich geborenen Kinder sogar bei über 61 Prozent.
Der weit überwiegende Teil dieser Kinder lebt dabei durchaus in stabilen Verhältnissen. Viele Eltern sehen zwar - was ich bedaure - keinen Grund für eine Heirat, wollen sich aber - und das ist sehr zu begrüßen - gemeinsam um ihr Kind kümmern und geben entsprechende Sorgerechtserklärungen ab. Die Statistik besagt, dass dies in über 50 Prozent der Fälle geschieht. Das ist gut so. Wir alle würden uns sicherlich darüber freuen, wenn dieser Prozentsatz steigen würde.
Ebenso ist erfreulich, dass immer mehr nicht verheiratete Väter eine echte Vaterrolle übernehmen und deshalb mitsorgeberechtigt sein wollen. Es muss daher unser Ziel sein, möglichst viele Eltern dazu zu bewegen, sich aus freien Stücken dafür zu entscheiden, die elterliche Sorge gemeinsam tragen zu wollen. Darin sind wir uns vielleicht auch noch einig: Eine bewusste und freiwillige Entscheidung der Eltern ist um ein Vielfaches besser als ein gesetzlicher Automatismus oder ein Gerichtsurteil, durch welches das Sorgerecht zwangsweise geregelt wird. Das ist für uns als Union auch vom christlichen Menschenbild her eine wichtige Zielvorgabe. Es ist immer besser, wenn der Staat etwas nicht regeln muss, weil die Familie es selbst regeln kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine gesetzliche Neuregelung aber eindeutig für die Fälle, in denen die Eltern sich eben nicht einvernehmlich über die Sorge verständigen können. Ich sagte es bereits: Nach der bisherigen Gesetzeslage hatte es die Mutter in der Hand, darüber zu entscheiden, ob auch der Vater an der elterlichen Sorge beteiligt werden sollte oder nicht. Der Gesetzgeber hatte seinerzeit bei der Kindschaftsrechtsreform gute Gründe, dies so zu regeln. Wir erinnern uns: Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2003 anerkannt, indem es sagte, der Gesetzgeber dürfe davon ausgehen, dass eine Verweigerungshaltung der Mutter von schwerwiegenden Gründen mit Blick auf die Wahrung des Kindeswohls getragen ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Wertung in seiner Entscheidung von 2010 jedoch geändert: Es könne nicht angenommen werden, dass die Zustimmungsverweigerung in aller Regel auf Gründen beruht, die mit der Wahrung des Kindeswohls zusammenhängen. - Wir wissen auch aus einem vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen Forschungsvorhaben, dass in vielen Fällen eine gemeinsame Sorge aus Gründen verweigert wird, die vielleicht verständlich sind, aber nicht unbedingt einen Bezug zum Kindeswohl haben.
Wir alle kennen auch die vielen Zuschriften von Väterinitiativen, die seit Jahren um eine Beteiligung an der elterlichen Sorge kämpfen. Mit der Entscheidung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts haben sie ihrem Anliegen nicht nur Gehör verschafft; durch die Entscheidung der genannten Gerichte ist der Gesetzgeber nunmehr gezwungen, eine Reform des Sorgerechts vorzunehmen.
Wir haben Ihnen diesen Gesetzentwurf heute in erster Lesung vorgestellt. Ich glaube, wir haben einen ausgewogenen und die Interessen aller Beteiligten durchaus berücksichtigenden Entwurf vorgelegt. Er soll den nicht mit der Kindesmutter verheirateten Vätern im Lichte der zwischenzeitlich eingetretenen gesellschaftlichen Entwicklungen auch bei fehlender Zustimmung der Mutter den Zugang zur elterlichen Sorge ermöglichen. Wir haben uns dabei von drei zentralen Gesichtspunkten leiten lassen:
Erstens. Für uns gilt der Grundsatz - ich sagte es -: Jedes Kind braucht Vater und Mutter. Das ist ein Leitmotiv, das für uns von der Union auch im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf von besonderer Bedeutung ist. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einer früheren Entscheidung festgestellt,
dass die gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich den Bedürfnissen des Kindes nach Beziehungen zu beiden Elternteilen entspricht und ihm verdeutlicht, dass beide Eltern gleichermaßen bereit sind, für das Kind Verantwortung zu tragen.
Das bedeutet, dass Väter am Sorgerecht beteiligt werden müssen, ohne dass dies ausschließlich vom Willen der Mutter abhängen darf. Die gemeinsame elterliche Sorge soll, wenn möglich, der Regelfall sein, weil es nach unserer Überzeugung das Beste fürs Kind ist.
Ich komme damit zum zweiten Punkt. Wir wollen, dass in den Fällen, in denen sich die Eltern uneinig sind und um die Sorge streiten, ein Familiengericht eingeschaltet wird. Es gibt verschiedene Entwurfsmodelle aus den Oppositionsfraktionen, die zum Teil vorsehen - beim Modell der Grünen ist das der Fall -, dass das Jugendamt entscheidet. Das halten wir für falsch. Wir wollen, dass das Familiengericht eingeschaltet wird und prüft, ob das Kindeswohl Schaden nehmen würde.
Drittens. Wir wollen, dass für die Beteiligten möglichst früh Klarheit geschaffen wird, wie sich die sorgerechtliche Verantwortung verteilt.
Jetzt komme ich zur Ausgestaltung. Ich will es nicht in aller epischen Breite darstellen; das werden die nachfolgenden Redner sicherlich noch im Detail tun. Herr Kollege Lischka, ich weiß - auch uns erreichen Zuschriften -: Das vereinfachte Verfahren wird kritisch betrachtet. Ich finde es nur nicht angemessen, wenn Sie hier sagen, dass wir die Eltern „im Regen stehen lassen“ oder als „Zaungäste“ betrachten. Sie vergessen bei dieser Argumentation immer, dass die Mutter aufgefordert wird, Stellung zu nehmen, innerhalb von sechs Wochen nach der Geburt - schriftlich, mündlich. Der Normalfall wird doch sein, Herr Kollege Lischka, dass die Mutter von dieser Möglichkeit auch Gebrauch macht, wenn sie Gründe nennen kann - Sie muss sie künftig vortragen -, die das Kindeswohl betreffen.
Deshalb ist es falsch, die Behauptung aufzustellen, wir würden die Eltern „im Regen stehen lassen“ oder als „Zaungäste“ betrachten. Nur in dem Fall, dass sich die Mutter gar nicht äußert und das Gericht keine Erkenntnisse hat, kommt das beschleunigte Verfahren zum Zuge.
Warum soll es das? Weil es auch im Interesse der Beteiligten, der Eltern und des Kindes, ist - das gehört zum dritten Punkt, den ich vorhin genannt habe -, dass diese Entscheidung schnell gefällt wird, wenn es keine Gründe dafür gibt, das Verfahren mit Anhörung aller Beteiligten einschließlich Jugendamt in extenso durchzuführen. Ich kenne und höre die kritischen Anmerkungen, die es dazu gibt. Wir werden eine Anhörung haben und uns mit den Argumenten sehr wohl noch einmal auseinandersetzen. Die Vorschläge aus der Opposition in dieser Frage bedeuten für die Eltern, insbesondere für den Vater, enorme Hürden.
Der Vater hätte sozusagen mit sämtlichen Behörden zu tun, vom Standesamt über das Jugendamt bis hin zum Gericht. Das sind enorme Hürden für den Vater, der das Sorgerecht möchte; es ist letztendlich auch für die Mutter belastend, die sich mit ihm darüber nicht einigen kann.
Meine Damen und Herren, ich finde, es ist aller Mühen wert, dass wir uns in der Anhörung sehr intensiv mit diesem Entwurf befassen. Er ist ein gelungener Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen. Die Überschrift des Gesetzes hätte eigentlich lauten müssen - ich sagte es eingangs -: „Mutter und Vater sind gut fürs Kind“. Ich finde, dieser Gesetzentwurf leistet einen guten Beitrag.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Jörn Wunderlich das Wort.
Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ich bin Vater, aber habe kein Recht, für mein Kind zu sorgen.“ So oder so ähnlich lautete die Beschwerde, die Anlass für eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2009 und für eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 war, um die bis dahin geltende Regelung der elterlichen Sorge nicht verheirateter Eltern neu zu regeln.
Die Rechtslage bis dato war: Mutter wurde man durch Geburt des Kindes, sorgeberechtigter Vater durch eine gemeinsame Sorgerechtserklärung oder durch Heirat der Kindesmutter. Der ledige Vater hatte keinerlei Möglichkeiten, das gemeinsame Sorgerecht gegen den Willen der Kindesmutter zu erlangen. Zur gesamten familienrechtlichen Historie hat der geschätzte Kollege Lischka schon ausführlich gesprochen.
Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes lautet wie folgt:
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
Was sagt dieser Art. 6 aus? Inwieweit bezieht sich das Bundesverfassungsgericht darauf? Ich zitiere aus der Entscheidung vom 21. Juli 2010, in der es heißt:
Das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG gebietet es auch nicht, Väter nichtehelicher Kinder generell mit wirksamer Anerkennung ihrer Vaterschaft … kraft Gesetzes das Sorgerecht für ihr Kind gemeinsam mit der Mutter zuzuerkennen.
Allerdings heißt es in den Gründen drei Absätze weiter:
Dies hindert den Gesetzgeber allerdings nicht daran, angesichts des Umstandes, dass immerhin für die Hälfte der nichtehelichen Kinder eine gemeinsame Sorgetragung der Eltern begründet wird, den Vater eines nichtehelichen Kindes mit der rechtlichen Anerkennung der Vaterschaft zugleich kraft Gesetzes in die Sorgetragung für das Kind mit einzubeziehen …
Das heißt, wir als Gesetzgeber sind nicht gehindert, es gleichwohl so zu regeln, auch wenn es gegenwärtig nicht geboten ist.
Nun gibt es verschiedene Lösungsansätze: die gemeinsame Sorge per Gesetz; die Widerspruchslösung, das heißt, man kann Widerspruch gegen die gemeinsame Sorge einlegen; die Antragslösung, das heißt, gemeinsame Sorge nur auf Antrag des Vaters. Für jede Lösungsvariante kann jeder zum Teil extreme Beispiele anführen, sowohl positive als auch negative. Welche ist die beste? Welche kommt den Interessen des Kindes am nächsten? Welche benachteiligt keinen Elternteil?
Jetzt liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Das ist so eine Art modifiziertes Antragsmodell; wir haben schon gehört: ein Kompromissvorschlag, über den lange beraten worden ist, wobei ich das Ergebnis als nicht unbedingt sehr gelungen betrachte.
- Danke, Frau Voßhoff, ich finde es toll, dass Sie so viel Wert auf mein Urteil legen. Das freut mich.
- Das auch.
Es ist und bleibt allerdings problematisch - das ist schon dargelegt worden -, dass im Falle der Nichteinigkeit der Eltern Familiengerichte unter gewissen Voraussetzungen im Schnellverfahren ohne Anhörung der Beteiligten über die elterliche Sorge entscheiden können. Das FamFG soll dahin gehend geändert werden, dass ohne Anhörung der Eltern und ohne Anhörung des Jugendamtes entschieden werden kann, wenn keine Gründe vorgetragen werden oder ersichtlich sind, die dem Kindeswohl entgegenstehen. Nun ist richtig: Justitia soll ohne Ansehen der Person entscheiden. Aber von „ohne Anhören“ habe ich nichts gelesen.
Kindeswohlfragen nach Aktenlage zu entscheiden, halte ich aus meiner Sicht als Familienrichter für völlig neben der Sache. Wir haben im Familienrecht bereits ein beschleunigtes Verfahren; das hat sich bewährt. Warum bleiben wir nicht dabei?
Es gibt noch die Anträge der anderen Fraktionen. Die Mehrheit meiner Fraktion hat sich für Folgendes ausgesprochen: Soweit sich die Eltern einig sind, sollte sich der Staat in Familien nicht einmischen. Familien als kleinste soziale Gemeinschaft dieses Staates sollten möglichst wenig von staatlichen Eingriffen tangiert sein.
Wenn der Vater die Vaterschaft anerkennt und zusätzlich erklärt, dass er die gemeinsame Sorge mit der Mutter tragen will, dann soll diese gemeinsame Sorge auch begründet sein.
Ich habe es eingangs gesagt: Sorgeberechtigt wird man, wenn man die Kindesmutter ehelicht, oder man ist per se, wenn man verheiratet ist und ein Kind in dieser Ehe geboren wird, sorgeberechtigter Vater, unabhängig davon, ob man der biologische Vater ist oder nicht; man ist sorgeberechtigter Vater lediglich aus der Tatsache des Ehelebens heraus. Bezogen auf das Kind ist eine solche Vaterschaftsanerkennung mit der Erklärung „Ich will mich um dieses von mir anerkannte Kind sorgen“ ein deutliches Mehr als der Trauschein mit der Mutter.
Den Sorgewillen und die Sorgeerklärung des Vaters darf man nicht vom Willen der Kindesmutter abhängig machen. Wenn beide dann letztlich sorgeberechtigt sind, dann ist das Kind rechtlich einem ehelichen Kind gleichgestellt; beide Elternteile haben Anfechtungsmöglichkeiten nach § 1671 BGB.
Aber egal, für welches Modell man sich am Ende entscheidet: In jedem Fall sollten eine Mediation und eine Beratung der Eltern vorgeschaltet sein, im Interesse der Kinder und im Interesse der Eltern. Eine Gerichtsentscheidung sollte nur Ultima Ratio sein.
Insofern freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss und auf die Berichterstattergespräche, danke schon einmal für das Lob und hoffe, dass wir dann im Ergebnis wirklich zur besten Lösung für unsere Kinder und auch für die Eltern kommen.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat die Kollegin Ingrid Hönlinger für Bündnis 90/Die Grünen.
Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention verbriefen die Grundüberzeugung, dass Recht diskriminierungsfrei gestaltet werden muss. Das ist ein hoher, aber in einem Rechtsstaat notwendiger Anspruch. Diskriminierungsfrei muss auch die Rechtsstellung von Müttern und Vätern gegenüber ihren Kindern sein. Alle Kinder müssen vom Recht gleichbehandelt werden, unabhängig davon, ob ihre Eltern verheiratet, verpartnert oder keines von beidem sind; denn für Kinder ist es egal, ob ihre Eltern in einer rechtlich formalisierten Beziehung leben oder nicht. Wichtig ist, dass die Beziehung des Kindes zu seinen Eltern und die Beziehung der Eltern zu ihrem Kind in Ordnung ist.
Im Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschieden, dass die bisherige deutsche Regelung zum Sorgerecht unverheiratete Väter unangemessen benachteiligt, und zwar gegenüber Müttern und verheirateten Vätern. Dieser Rechtsauffassung hat sich im Juli 2010 auch das Bundesverfassungsgericht angeschlossen.
Auf dieser Grundlage haben wir Grünen im Oktober 2010 unseren Antrag zum Sorgerecht vorgelegt. In den vergangenen zwei Jahren haben wir hier im Bundestag wiederholt über eine Neuregelung des Sorgerechts debattiert. Alle diese Initiativen kamen zustande, weil die Oppositionsfraktionen sie beantragt haben. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass Sie sich innerhalb der Regierung nun endlich auf eine Neuregelung des Sorgerechts für nicht miteinander verheiratete Eltern verständigen konnten. Darauf haben nicht nur wir Grünen, darauf haben auch sehr viele unverheiratete Väter sehr lange gewartet. Dieser Entwurf war längst überfällig, meine Damen und Herren.
Wenn ich mir Ihren Gesetzentwurf anschaue, stelle ich mit großer Freude viele Parallelen zu unserem Grünen-Antrag von 2010 fest. Das zeigt zwei Dinge: Erstens. Gutes setzt sich durch. Zweitens. Bei manchen dauert es halt länger.
Wichtig ist uns Grünen, dass beide Elternteile möglichst frühzeitig Verantwortung für ihr gemeinsames Kind übernehmen. Das schafft eine wechselseitige Verbindlichkeit sowohl im Eltern-Kind- als auch im Elternverhältnis. Wir möchten den Vätern, die nicht mit der Mutter ihres Kindes verheiratet sind, über ein Antragsmodell Zugang zum gemeinsamen Sorgerecht ermöglichen; denn das Antragserfordernis trägt dazu bei, dass die Väter, die Interesse an ihrem Kind haben - davon ist im Regelfall auszugehen -, auch die elterliche Mitverantwortung erhalten können.
Allerdings sprechen wir uns im Gegensatz zur Bundesregierung dafür aus, dass der Vater den Antrag beim Jugendamt stellen kann und nicht beim Familiengericht stellen muss; auch die Mutter soll einem Sorgerechtsantrag des Vaters niedrigschwellig widersprechen können. Meine Damen und Herren, auch hierfür sollten wir praktikable Lösungen suchen. Der Weg zum Jugendamt ist für die meisten Menschen niedrigschwelliger als der Weg zum Gericht. Er beinhaltet weniger Konfliktpotenzial, ist kostengünstiger und schneller. Erst dann, wenn die Mutter dem Antrag des Vaters widerspricht und der Vater weiterhin Mitinhaber der elterlichen Sorge sein will, soll der Weg zum Gericht beschritten werden können. Der Vater muss dann eine Entscheidung des Familiengerichts herbeiführen. Das Familiengericht wiederum überträgt den Eltern die gemeinsame Sorge, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht.
Vor diesem Hintergrund sollten Sie in Ihren Gesetzentwurf noch folgende Verbesserungen aufnehmen: Der Weg über das Gericht sollte so spät wie möglich erfolgen. Die Widerspruchsfrist für die Mutter sollte auf acht Wochen nach der Geburt des Kindes verlängert werden; diese Frist ist in Ihrem Gesetzentwurf mit sechs Wochen zu kurz bemessen. Außerdem sollten Regelungen für den Konfliktfall wie Beratungs- und Mediationsangebote implementiert werden. An diesem Gesetzgebungsverfahren werden wir Grünen uns konstruktiv beteiligen. Weitere Schritte müssen aber folgen.
Unser Rechtssystem ist insbesondere im Bereich des Familienrechts noch lange nicht frei von Diskriminierungen. Hier gibt es noch sehr viel zu tun. Leider zeigt die jetzige CDU/CSU-FDP-Regierung wenig Elan und setzt gesellschaftliche Realitäten nur sehr verzögert um. Nach den Bundestagswahlen im kommenden Jahr wird auch die Rechts- und Justizpolitik bei einer neuen Regierung mit anderen Prioritäten einen Modernisierungsschub erhalten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Stephan Thomae hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
Stephan Thomae (FDP):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Kinder haben ein Recht auf beide Eltern. Kinder haben einen Anspruch darauf, dass beide Elternteile für sie sorgen. Die Eltern sollen die gemeinsame Verantwortung für das Kind übernehmen. Deswegen muss das Gesetz den Rahmen so ziehen, dass die gemeinsame Verantwortung der Eltern für das Kind der Normalfall ist und immer mehr wird. Deswegen ist unsere Aufgabe, Hindernisse zu beseitigen; Herr Kollege Lischka hat es so genannt: Brücken zu bauen.
Der Regierungsentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, beseitigt zwei entscheidende Hindernisse. Erstens senkt er die Zugangsschwelle für die Väter. Bislang müssen nach geltender Rechtslage die Väter darlegen, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl entspricht. Die Väter sind also darlegungs- und eventuell auch beweispflichtig. Künftig wird es nach dem Regierungsentwurf so sein, dass das Familiengericht, wenn der Fall zu ihm kommt, die gemeinsame Sorge schon dann zuspricht, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das ist also eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Deswegen werden Väter künftig leichter zur gemeinsamen Sorge zusammen mit der Mutter für das gemeinsame Kind kommen können. Das ist das erste Hindernis, das wir abbauen, die erste Brücke, die wir bauen.
Das zweite Hindernis ist, dass die Einwendungen gegen die gemeinsame Sorge künftig auf das Kindeswohl Bezug nehmen müssen. Es müssen kindeswohlrelevante Einwände vorgebracht werden. Es genügt also nicht, sich nur auf Kommunikationsprobleme zwischen den Eltern zu berufen. Das soll nicht mehr ausreichend sein; denn Kinder dürfen erwarten, dass ihre Eltern Kommunikationsprobleme, wenn sie denn bestehen, eben ausräumen,.
Insofern formen wir das Gesetz nach dem Kindeswohl.
Nun gibt es Kritik an dem Verfahren, wie es hier von Rednern der Opposition auch schon vorgetragen worden ist. Diese Kritik betrifft den neuen § 155 a FamFG. Dazu ist zum einen Kritik am vereinfachten Verfahren vorgetragen worden. Es ist schon gesagt worden: Falls nun die Mutter gar keine Stellungnahme gegen den Antrag des Vaters auf die gemeinsame Sorge abgibt oder aber in ihrer Stellungnahme keine kindeswohlrelevanten Gründe vorträgt, dann kann das Gericht zunächst einmal einfach im schriftlichen Verfahren ohne Anhörung der Eltern und ohne Anhörung des Jugendsamtes zu einer Entscheidung kommen. Das ist das, was Sie, Herr Kollege Wunderlich, kritisiert haben.
Ihre Kritik und auch die Kritik von Ihnen, Herr Kollege Lischka, hat zum Ziel, dass das Jugendamt immer beteiligt sein soll. Aber es ist doch ganz normal, dass das Jugendamt immer nur dann eingeschaltet und beteiligt wird, wenn es irgendwelche Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Kindeswohl in Gefahr ist. Nach Ihrer Vorstellung ist offenbar - so muss ich das verstehen - das Kindeswohl immer schon dann in Gefahr, wenn das Jugendamt nicht beteiligt ist und wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet sind.
In meinen Augen ist es aber keine sehr moderne, keine sehr zeitgemäße Vorstellung, zu sagen: Immer dann, wenn Eltern nicht verheiratet sind, ist das Kindeswohl in Gefahr.
Was ist denn das für eine rückständige Vorstellung? Das ist eine Vorstellung, die ich nicht zu teilen vermag.
Im Übrigen gilt: Wenn das Jugendamt oder andere Beteiligte irgendwelche Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kindeswohl in Gefahr ist, steht es ihnen frei, dies dem Gericht bekannt werden zu lassen. Damit sind wir bei dem neuen § 155 a Abs. 4 FamFG, sozusagen bei der Notbremse: Wenn dem Gericht irgendwelche entgegenstehenden Gründe bekannt werden, dann kann es einen mündlichen Termin anberaumen und dann sind wir im ganz normalen mündlichen Verfahren. Die Vorstellung, dass man bei allen nicht ehelichen Kindern immer die Behörde zur Kontrolle ins Kinderzimmer schicken muss, die halten wir für antimodern.
Der zweite Kritikpunkt, den Sie, Frau Kollegin Hönlinger, gerade angesprochen haben, bezieht sich auf die Sechswochenfrist, die Sie verlängert wissen wollen. Üblich sind in gerichtlichen Verfahren Zweiwochenfristen und Vierwochenfristen. Wir sagen schon: Diese Frist darf nicht innerhalb der ersten sechs Wochen nach Geburt des Kindes ablaufen. Wir erhöhen also die Schutzfrist für die Mutter, weil wir das für angemessen halten, auch wenn der Antrag schon kurz nach der Geburt zugestellt wird.
Die Mutter braucht aber nicht schon im Wochenbett seitenlange Schriftsätze zu verfassen, sondern sie muss zunächst einmal nur auf den Antrag des Vaters reagieren.
Sie braucht dem Gericht nur in einfachen Worten zu sagen, dass die gemeinsame Sorge dem Kind schadet, und schon kommt man in das normale Verfahren hinein. Diese Schwelle ist denkbar niedrig.
Deswegen meine ich, dass die Kritik am Verfahren dramatisiert ist. Uns allen ist das Kindeswohl wichtig. Für uns alle gilt der Grundsatz, dass sich beide Elternteile um das Kind sorgen sollen. Wir meinen aber: Der Vater muss das Sorgerecht leichter zusammen mit der Mutter erhalten können. Die Mütter haben auch nach unserem Entwurf immer noch genügend Möglichkeiten, ihre Einwände vorzutragen.
Dies ist ein gelungener Entwurf. Ich freue mich schon auf die Beratungen in den Ausschüssen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Jetzt hat Sonja Steffen das Wort für die SPD-Fraktion.
Sonja Steffen (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bis vor einiger Zeit hat unser Familienrecht zwischen verheirateten und nicht miteinander verheirateten Eltern beim Sorgerecht einen großen Unterschied gemacht. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass diese Regelung die nicht ehelichen Kinder gegenüber den ehelichen Kindern diskriminierte; die Kollegin Hönlinger hat das vorhin schon ausgeführt. Das Kind hat grundsätzlich ein Recht darauf, dass beide Eltern an der Sorge teilhaben dürfen. Wir haben es eben schon gehört: Mutter und Vater sind gut für das Kind. Das ist richtig so.
Seit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts ist im Bundestag, bei den Betroffenen, bei Verbänden, Familiengerichten, Rechtsanwälten und Jugendämtern viel über das Sorgerecht gesprochen worden. Gegenwärtig verfahren die Familiengerichte so - das ist eine Übergangslösung -, dass die gemeinsame Sorge für nicht eheliche Väter dann beschlossen wird, wenn dies dem Kindeswohl entspricht.
Meine Damen und Herren, wahrscheinlich haben die meisten von Ihnen Kinder und erinnern sich noch gerne an die Zeit nach der Geburt. Gleich nach der Geburt wartet eine turbulente Zeit auf Mama und Papa. Sie müssen sich von der Entbindung erholen - die Mütter sind oft geschwächt, krank; sie müssen also erst einmal ihre Gesundheit wiederherstellen -, gleichzeitig rund um die Uhr für das Neugeborene sorgen und sich in ihre neue Familienrolle einfinden. In einer guten Beziehung werden sich die Eltern schon vorher für eine gemeinsame Sorgeerklärung entschieden und diese vielleicht auch schon abgegeben haben. Spätestens jedoch nach der Geburt des Kindes werden sie diese Erklärung abgeben.
Es gibt aber auch die Fälle, in denen die Eltern nie eine Beziehung hatten oder sich bereits vor der Geburt getrennt haben. Manchmal ist es so, dass der Vater gar keine gemeinsame Sorgeverantwortung übernehmen will. Deshalb halten wir die Lösung „automatisch gemeinsame Sorge bei Anerkennung der Vaterschaft“ für problematisch; deshalb lehnen wir sie ab.
Im Regierungsentwurf ist dieses automatische Sorgerecht nicht vorgesehen, aber auch er geht nach unserer Auffassung an einer lebensnahen Lösung derzeit völlig vorbei.
Denn von den Müttern soll verlangt werden, dass sie innerhalb von sechs Wochen nach der Geburt des Kindes dem Antrag des Vaters auf gemeinsame elterliche Sorge widersprechen, wenn sie diese nicht wollen. Tun sie dies nicht, so soll das Familiengericht ohne weitere Prüfung, ohne Anhörung des Jugendamtes und der Eltern entscheiden dürfen.
Im Klartext heißt das Folgendes: Die junge Mutter, die noch voll und ganz mit ihrem Säugling beschäftigt ist, muss sich innerhalb einer unglaublich kurzen Frist von sechs Wochen mit der schwierigen Frage des gemeinsamen Sorgerechts beschäftigen. Diese Frage ist wirklich nicht leicht zu beantworten; denn das gemeinsame Sorgerecht bindet die Eltern sehr eng und sehr lange, und zwar auch in den Fällen, in denen die Eltern auf der Erwachsenenebene überhaupt nicht miteinander sprechen können. Hier sind eine umfangreiche Beratung durch Jugendämter und eine sorgfältige Abwägung erforderlich.
Die Kindesmütter sind in der Regel nicht juristisch geschult. Sie werden sich daher in den meisten Fällen einen Termin beim Anwalt holen müssen, und zwar nach erfolgter Erkundigung darüber, zu wem man am besten geht. Dort wird die Mutter eine überzeugende Begründung für die Ablehnung des gemeinsamen Sorgerechts vorbringen müssen. Diese muss der Anwalt dann mit ihrer Hilfe zu Papier bringen. Jeder Familienrechtler und insbesondere jeder Anwalt weiß, wie - im wahrsten Sinne des Wortes - sorgeintensiv Sorgerechtsverfahren sind. Hier geht es nämlich nicht nur um Geld oder sonstige materielle Dinge, sondern es geht auch um Lebensmodelle, Enttäuschungen, Versagensängste und Verlustängste.
Nicht ohne Grund räumt übrigens das Mutterschutzgesetz der jungen Mutter eine achtwöchige Arbeitspause nach der Geburt ein, damit sie sich voll und ganz auf ihr Baby konzentrieren kann. Nun wollen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, der Frau innerhalb dieser Zeit diese ganzen Behörden-, Anwalts- und Gerichtsgänge zumuten. Möglicherweise hält sie sich auch gar nicht zu Hause auf. Sie ist immerhin alleinerziehende Mutter und verbringt vielleicht die ersten Wochen - dies tun übrigens viele - bei ihrer Familie, damit sie dort Hilfe erhält. Die Frist ist tatsächlich viel zu kurz gedacht. Ich behaupte einmal: Jede Mutter mit ihren ganz eigenen Erfahrungen nach einer Geburt würde Ihren Gesetzentwurf in der gegenwärtigen Fassung bei einer Befragung rundweg ablehnen.
Herr Wunderlich, ich gebe Ihnen da völlig recht.
Es bedarf dieses Schnellverfahrens gar nicht. Denn seit der letzten Familienrechtsreform 2008 besteht in Kindschaftssachen schon ein beschleunigtes Verfahren inklusive der notwendigen mündlichen Verhandlung. Dieses Verfahren hat sich nach der Aussage aller Beteiligten bewährt. In der mündlichen Verhandlung kommen nicht nur die Eltern, sondern auch die Jugendämter und gegebenenfalls der Verfahrensbeistand, der Anwalt des Kindes, zu Wort. Gerade Jugendamt und Verfahrensbeistand haben einen besonderen Fokus auf das Kindeswohl.
Es ist daher nicht zu verstehen, dass Sie dem Gericht zukünftig die alleinige Entscheidungsverantwortung übertragen wollen, ohne mündliche Verhandlung, ohne Anhörung der betroffenen Eltern und ohne Anhörung der Jugendämter. Das geht nach unserer Auffassung am Interesse des Kindeswohls völlig vorbei.
Denn Regelungen zum Sorgerecht - darüber sind wir uns, glaube ich, alle einig - sind allein aus der Sicht des Kindes und unter Berücksichtigung des Kindeswohls zu treffen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen anderen Aspekt anführen, der mir sehr wichtig erscheint. Nach der schon erwähnten vom BMJ in Auftrag gegebenen Studie können viele Eltern mit dem Begriff des Sorgerechts oftmals wenig anfangen. Viele meinen, es gehe um das Recht, über die Belange des Kindes zu entscheiden. Darum geht es jedoch nicht. Es geht tatsächlich darum, dass die gemeinsame elterliche Sorgeverantwortung übernommen wird, dass man sich also gemeinsam um das Kind kümmern will.
Viele nicht miteinander verheiratete Paare haben in der Vergangenheit die gemeinsame Sorge schlichtweg nicht erklärt, weil sie nicht informiert waren und oftmals gar nicht wussten, dass diese gemeinsame Sorge nicht automatisch besteht. Da setzt unser Vorschlag an. Der erste Gang junger Eltern nach der Geburt ist der Gang zum Standesamt. Hier sollen sie über die Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgeerklärung beraten werden. Sie sollen informiert werden, und sie sollen hier schon zu einer Äußerung über die gemeinsame Sorge aufgefordert werden. Das heißt, sie werden an dieser Stelle informiert und für dieses Thema sensibilisiert. Sie können auch schon auf dem Standesamt die gemeinsame Erklärung über das Sorgerecht abgeben. Wenn sie sich an dieser Stelle nicht über das gemeinsame Sorgerecht entscheiden, dann soll das Jugendamt zwischen den Eltern vermitteln. In dem Fall, dass man zu keiner gemeinsamen Lösung kommt, kann das Jugendamt einen Antrag auf Entscheidung beim Familiengericht stellen. Das kommt allen Beteiligten zugute, auch den Vätern. Es werden keine Hürden aufgebaut, es werden Hürden abgebaut. Der Vater, der sich ebenfalls in einer schwierigen Situation befindet, wird entlastet.
Unser Vorschlag ist gut durchdacht, praktikabel und ausgewogen. Vor allem - das ist ganz entscheidend - ist er in allererster Linie am Kindeswohl orientiert. Ich hoffe daher, dass wir im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens konstruktiv zusammenarbeiten und dass möglichst viele unserer wirklich guten Ideen zum Sorgerecht Eingang in das Gesetz finden werden.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Ute Granold.
Ute Granold (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Kinder brauchen Mutter und Vater; hierüber sind wir uns in diesem Haus einig, denke ich.
Aber nach den bisherigen Beiträgen und gerade bei dem letzten Debattenbeitrag, Frau Kollegin, ist aufgefallen, dass die Väter ein Stück weit zu kurz kommen. Das hat die Union aufgegriffen. Die Bundesregierung hat zusammen mit der Koalition einen Entwurf vorgelegt, der genau dem entspricht, was an Bedarf da ist.
Wir haben gehört: Heute wird jedes dritte Kind nicht ehelich geboren. In den letzten 15 Jahren ist dieser Anteil um über 100 Prozent gestiegen, und er wird weiter steigen. 2010 wurden 43 Prozent der Kinder nicht ehelich geboren, und die Zahl nicht ehelicher Lebensgemeinschaften nimmt zu. Das ist - das haben wir alle erkannt - gesellschaftliche Realität.
Wir haben bereits in der letzten Wahlperiode darauf reagiert, indem wir die Reform des Unterhaltsrechts auf den Weg gebracht haben. Sie ist sehr gut gelungen und sehr praktikabel. Wir haben nicht eheliche und eheliche Kinder bei der Unterhaltsberechtigung im Rang gleichgestellt. Wir haben auch die betreuenden Elternteile gleichgestellt und nicht zwischen ehelichen und nicht ehelichen Kindern unterschieden. Alle Kinder sind gleich.
Jetzt müssen wir das Sorgerecht überarbeiten. Das Bundesverfassungsgericht hatte noch 2003 die Rechtslage, die bislang gegolten hatte, für verfassungskonform erklärt. Das bedeutete, die Mutter eines nicht ehelichen Kindes hatte die Alleinsorge. Eine gemeinsame Sorge erforderte eine Erklärung beim Jugendamt. Verweigert die Mutter diese Erklärung, hatte der Vater keine Möglichkeit, gemeinsam mit ihr das Sorgerecht zu bekommen.
Wie mehrfach erwähnt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2009 - gefolgt vom Bundesverfassungsgericht 2010 - entschieden, dass die Rechtslage, die ich gerade erläutert habe, nicht verfassungskonform sowie unverhältnismäßig ist und überarbeitet werden muss. Vor diesem Hintergrund haben wir nach langen Beratungen einen Entwurf für eine Neuregelung vorgelegt. Bis zur Änderung der Gesetzeslage haben Väter nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeit, direkt das Gericht anzurufen und eine Regelung herbeizuführen.
Wenn man sich mit der Rechtsprechung in den darauffolgenden Jahren befasst, sieht man, dass quer durch die Republik erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen getroffen wurden, die sehr unterschiedlich sind. Die Hürden für den Vater, zu einer gemeinsamen Sorge zu kommen, sind relativ hoch, weil er die Darlegungs- und Beweislast trägt. Es gibt also eine große Rechtsunsicherheit.
Die Entscheidungen der Justiz haben sich in unserer Debatte, in der wir uns um eine gesetzliche Neuregelung bemüht haben, widergespiegelt. Wir haben für die Neuregelung Zeit gebraucht; das ist nicht von der Hand zu weisen. Das Thema eignet sich aber nicht für Hektik, hier braucht es gründliches Arbeiten. Dem sind wir nachgekommen: Wir haben uns bei unseren Beratungen unzählige Male getroffen und die Argumente der Opposition - teilweise lagen Entwürfe vor -
in unsere Beratungen einbezogen. Beim Abwägen haben wir immer den Maßstab angelegt: Das Kind braucht für eine gedeihliche Entwicklung Mutter und Vater, egal ob ehelich oder nicht ehelich geboren. Mit diesem Maßstab und mit dem Ziel, den Vätern einen effektiven und niedrigschwelligen Zugang zur gemeinsamen Sorge zu geben, haben wir uns für die nun vorliegende Regelung entschieden.
Schon heute erklären 50 Prozent der nicht miteinander verheirateten Eltern beim Jugendamt die gemeinsame Sorge, 50 Prozent aber eben nicht, und genau um diese geht es bei der gesetzlichen Neuregelung. Das Forschungsprojekt, das vom Justizministerium auf den Weg gebracht wurde, zeigt, dass in vielen Fällen die gemeinsame Sorge aus Gründen verweigert wird, die keinen Bezug zum Kindeswohl haben. Aus der Lebenssituation heraus hatten die Mütter Argumente dafür vorgetragen, warum sie keine gemeinsame Sorge wollten. Wir haben diese Fälle zu regeln. Es gibt verschiedene Lösungsmodelle. Da ist ein breites Spannungsfeld: von gemeinsamer elterlicher Sorge ab Geburt kraft Gesetzes bis hin zur Widerspruchslösung. Wir haben uns für die Lösung entschieden, bei der die gemeinsame Sorge durch gerichtliche Entscheidung erfolgt, wenn der Vater einen Antrag stellt. Der Maßstab ist, wie bereits mehrfach gesagt, allein das Kindeswohl.
Unser Vorschlag ist ein Kompromissvorschlag, der allen Interessen, denken wir, gerecht wird. Wir haben eine Regelung im materiellen Recht, im BGB, und auch eine im Verfahrensrecht getroffen; dies wurde bereits mehrfach angesprochen. Unser Wille ist es, dass der Vater frühestmöglich die Chance hat, eine gemeinsame Sorge zu erreichen, und zwar durch die Sorgerechtserklärung oder aber durch den Weg zum Gericht. Dabei ist eine sogenannte negative Kindeswohlprüfung vorzunehmen. Das heißt, Grundsatz ist: Die gemeinsame elterliche Sorge entspricht dem Wohl des Kindes. Wenn dem nicht so ist, dann muss ein Vortrag dazu erfolgen.
Gerade in der frühkindlichen Phase, in der viele Entscheidungen getroffen werden, benötigt das Kind auch den Vater für eine gedeihliche Entwicklung. Deshalb sind Modelle, die lange Fristen vorsehen, um dem Vater die Möglichkeit der gemeinsamen Sorge zu geben, für uns nicht akzeptabel.
Man denke nur daran, dass eine Operation vorzunehmen ist, die zwar keine Eilsache ist, die aber vorgenommen werden muss, oder dass eine Regelung über die Religion getroffen werden sollte. Das sind schwerwiegende Entscheidungen für das Kind, die, wenn es keinen Grund gibt, den Vater auszuschließen, von beiden Elternteilen getroffen werden sollten.
Wir sollten bei der Diskussion auch daran denken, dass es möglich ist, Teilbereiche der elterlichen Sorge zu übertragen, wie die Gesundheitssorge, das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Vermögenssorge und auch die Religion. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, für jeden einzelnen Fall eine Entscheidung zu treffen, die ausschließlich am Kindeswohl orientiert ist.
Es bleibt mit der Neuregelung dabei - das wurde bereits mehrfach gesagt; deshalb möchte ich es abkürzen -, dass mit der Geburt des Kindes zunächst die alleinige Sorge bei der Mutter liegt. Der Vater hat aber die Möglichkeit, entweder beim Jugendamt einen Sorgerechtsantrag zu stellen oder aber direkt bei Gericht eine gerichtliche Regelung herbeizuführen.
Hier müssen wir - ich habe es schon einmal gesagt - den Weg für den Vater niedrigschwellig machen. Er hat lediglich die Gründe anzugeben, weshalb er eine gemeinsame Sorge begehrt, wobei wir, was das Verfahren angeht, der Meinung sind, dass ein Schweigen der Mutter im gerichtlichen Verfahren - wir haben das lange diskutiert - nicht automatisch als gemeinsame Sorge wirken sollte; vielmehr sagen wir, das Schweigen der Mutter reicht nicht aus, weil sie nach der Geburt in einer besonderen Situation ist. Es muss dann eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden, und das in einem sogenannten vereinfachten beschleunigten Verfahren.
Wir haben ja vor einiger Zeit hier in diesem Hause das Familienverfahrensgesetz beschlossen, ein sehr gutes Verfahrensgesetz. Darin gibt es das Gebot des Vorrangs der Beschleunigung in Kindschaftssachen. Das heißt, wenn ein Antrag bei Gericht eingeht, muss binnen Monatsfrist terminiert werden - terminiert, aber nicht entschieden. Diese Verfahren können sich auch hinziehen, wenn Sachverständige angehört werden usw. usf.
Im Hinblick darauf, dass das Kind auch ein Recht auf seinen Vater hat, ist es schon angemessen, zu sagen, dass in den Fällen, in denen die Mutter schweigt und keine Gründe vorgetragen wurden oder dem Gericht bekannt sind, die gegen eine gemeinsame Sorge sprechen, auf Antrag des Vaters die gemeinsame Sorge dann im vereinfachten Verfahren auf beide Elternteile übertragen wird.
Wenn auch nur ein Anhaltspunkt dafür besteht, dass das Kindeswohl in Gefahr sein könnte, wird das Gericht - ich denke, so viel Vertrauen haben wir in unsere Justiz - natürlich nicht das vereinfachte Verfahren auf den Weg bringen, sondern das ganz normale Verfahren nach § 155 FamFG einleiten. Das ist auch angemessen. Insofern denken wir, dass man mit dieser Verfahrensregelung wirklich beiden Elternteilen gerecht wird.
Insofern bin ich auch etwas unglücklich und enttäuscht über diese Online-Kampagne, die teilweise ja auch gesteuert ist - man muss sich nur ansehen, wer unterschrieben hat - und in der es heißt:
Es kann doch nicht sein, dass über das Kindeswohl, um das es zuallererst geht, gerade in Streitfällen ausschließlich nach Aktenlage entschieden wird.
Das ist überhaupt nicht der Fall. In Streitfällen wird das ganz normale Verfahren nach § 155 FamFG auf den Weg gebracht. Nur da, wo kein Streit herrscht, wo einfach keine Äußerung der Mutter vorliegt und auch keine Gründe ersichtlich sind, die der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen, wird das vereinfachte Verfahren auf den Weg gebracht. Ich denke, da sollten wir ein Stück weit auch bei den Tatsachen bleiben.
Ich empfehle jedem, einfach noch einmal einen Blick in unseren Gesetzentwurf, insbesondere in die Begründung zu werfen, in der es genau heißt, dass dann, wenn dem Gründe entgegenstehen, das normale Verfahren auf den Weg gebracht wird. Nur dann, wenn das nicht der Fall ist, bedarf es keiner gerichtlichen Entscheidung mit allen Verfahrensbeteiligten; dann kann nach Aktenlage, nach den Erkenntnissen des Gerichts entschieden werden.
Wir werden in der Anhörung, die ansteht, sicherlich noch einmal darüber sprechen, ob vielleicht das Jugendamt doch eingebunden werden sollte oder nicht. Das kann man ja besprechen und mit den Sachverständigen diskutieren. Aber es sollte ein niedrigschwelliges zügiges Verfahren sein, das dazu führt, dass der Vater die Mitsorge hat.
Lassen mich noch in einigen wenigen Sätzen auf die Vorschläge der Opposition eingehen. Hier ist zu honorieren, dass wir uns - alle Fraktionen in diesem Haus - wirklich miteinander um Regelungen zum Wohl der Kinder bemüht haben. Das war in Teilen der SPD-Fraktion zum Beispiel auch nicht immer so ganz einfach, wie man gehört hat, da die Interessen der Familienpolitiker und der Rechtspolitiker ein Stück weit nicht konform sind.
Wir haben das auch bei uns in der Koalition sehr ausführlich besprochen.
Bei dem Vorschlag der SPD stört uns die Tatsache, dass Sie ein sehr langes Verfahren vorschlagen: Registrierung beim Standesamt, Aufklärung beim Standesbeamten, Abwarten der Äußerungen des Jugendamtes und Stellen eines Antrags durch das Jugendamt auf gerichtliche Entscheidung über die elterliche Sorge.
Das halten wir für einen sehr langwierigen bürokratischen Weg.
Ich muss sagen: Wenn zunächst einmal eine Entscheidung des Jugendamtes ansteht, dann hat das Jugendamt wirklich sehr viel Macht in Bezug auf die Entscheidung über die gemeinsame elterliche Sorge. Für den Vater, der einen Antrag bei Gericht stellen will, weil er mit der Entscheidung des Jugendamtes nicht einverstanden ist, ist das eine sehr hohe Hürde, weil die Entscheidung des Jugendamtes doch schon ein Stück weit präjudiziert. Diese Hürde sehen wir auch vor der Maßgabe, was uns das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich einer gesetzlichen Neuregelung mit auf den Weg gegeben hat. Dieser Weg ist für uns also nicht praktikabel.
Lassen Sie mich auch noch einige Sätze zu dem sagen, was Sie, Frau Kollegin Hönlinger, als das Modell der Grünen hier vorgestellt haben.
Die Mutter soll nach unserem Vorschlag bis sechs Wochen nach der Geburt eine Entscheidung darüber treffen, ob sie die gemeinsame Sorge befürwortet oder nicht. Sie sagen: Sechs Wochen sind zu kurz. Sicherlich ist es eine besondere Situation, wenn ein Kind auf die Welt kommt - ich habe auch zwei Kinder -, aber wenn man sich die sonstigen Gerichtsfristen von zwei und vier Wochen ansieht, dann erkennt man, dass die Frist von sechs Wochen aus Rücksicht darauf gewählt wurde, dass die Mutter gerade ein Kind geboren hat.
Ich möchte aber auch noch zu bedenken geben, dass das Kind nicht vom Himmel fällt. Es gibt ja noch die Schwangerschaft , eine Zeit, in der man weiß, dass ein Kind auf die Welt kommt. Ich denke, in dieser Zeit macht man sich schon Gedanken darüber, wie es mit der Beziehung und dem Sorgerecht für die Kinder aussieht. Insofern meine ich schon: Nach Abwägung der Interessen und nach Abwägung zwischen dem Schutz der Mutter und dem Recht des Vaters auf Mitsorge, sind die sechs Wochen angemessen.
Ihr Entwurf enthält eine Karenzzeit von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt. Diese Frist soll dann noch einmal um acht Wochen verlängert werden. In dieser Zeit ist der Vater ausgeschlossen. Das halten wir für nicht praktikabel - immer unter dem Gesichtspunkt, dass wir beide Elternteile frühestmöglich in die elterliche Sorge möglichst ohne Spannungen einbinden wollen. Alles, was außerhalb des Gerichts praktiziert wird, findet natürlich unsere Zustimmung. Wenn das aber nicht geht, dann muss es möglich sein, in einem Gerichtsverfahren zügig und sorgfältig zu einer Entscheidung zu kommen, damit auch der Vater die Möglichkeit hat, an der gemeinsamen elterlichen Sorge teilzuhaben.
Ich denke, dass wir den Gesetzentwurf, der heute in erster Lesung in diesem Haus beraten wird, in der Anhörung, die ja schon für Ende November terminiert ist, noch einmal ein Stück weit intensiver beraten können und dann hoffentlich zu einer Lösung kommen, die, wie das auch bei anderen Verfahren in Familiensachen der Fall ist, vom ganzen Hause getragen werden kann.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich erteile Barbara Höll für die Fraktion Die Linke das Wort.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Granold, wenn wir hier über das Sorgerecht debattieren, dann geht es nicht an, dass Sie die vielen Millionen Alleinerziehenden in der Bundesrepublik de facto diskriminieren:
Ein Kind braucht für eine gedeihliche Entwicklung Mutter und Vater.
Es ist gut, wenn Mutter und Vater Verantwortung übernehmen, aber Millionen Kinder wachsen derzeit bei dem alleinerziehenden Vater oder der alleinerziehenden Mutter auf bzw. sind dort gut und gedeihlich aufgewachsen. Diese haben sicher oftmals mit Schwierigkeiten zu kämpfen, aber sie haben auch ihre jeweiligen sozialen Netze gebildet. Das war eine gedeihliche Entwicklung. Das darf man hier also nicht einfach diskriminieren. Es ist nicht defizitär.
Ich glaube, wir sind uns einig, dass es nicht angehen kann, dass die Übernahme des Sorgerechts durch den Vater am Veto der Mutter scheitert. Hier herrscht eine wirkliche Einigkeit im Hause.
Unterschiede gibt es hinsichtlich der Frage, wie trotz der Konfliktsituation, dass Mutter und Vater sich nicht einigen, tatsächlich eine gemeinsame Verantwortungsübernahme organisiert werden kann. Klar ist: Es ist eine Schwierigkeit - vielleicht die Hauptschwierigkeit - für alleinerziehende Väter und Mütter, dass sie bei aller Beratung, die man sich suchen kann, letztendliche Entscheidungen stets allein treffen müssen.
Trotzdem finde ich es richtig, dass der jetzt vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, dass das Sorgerecht nach der Geburt grundsätzlich erst einmal der Mutter zuzuordnen ist, wenn die Aufteilung unklar ist, wenn also keine Einigkeit zwischen den Eltern erzielt wird; denn die Mutter ist ab Geburt nun einmal eine zuverlässige und sichere Bezugs- und Entscheidungsperson. Das braucht das Kind.
Der vorliegende Entwurf enthält aus meiner Sicht die ebenfalls richtige Regelung, dass der Vater aktiv werden muss, wenn er die elterliche Verantwortung für das Kind übernehmen will; denn schließlich setzt die gemeinsame Sorge bei beiden Elternteilen die tatsächliche Bereitschaft voraus, nicht nur Rechte herleiten zu wollen, sondern auch Pflichten gegenüber dem Kind zu übernehmen, also Verantwortung zu tragen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung im Juni 2010 festgelegt, dass zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung das geltende Recht mit Maßgaben so umzuändern ist, dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass das dem Kindeswohl entspricht.
Hier sind Sie eindeutig von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes abgewichen. Sie als Gesetzgeber schlagen jetzt vor, dass eine negative Kindeswohlprüfung ausreichend ist, das heißt also: wenn es dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das, finde ich, ist ein großer Unterschied. Es ist mir bisher auch in den Beiträgen nicht klar geworden, warum Sie das als Vereinfachung empfinden. Kinder sind das höchste Gut, das wir haben. Wir müssen alles dafür tun, um Bedingungen für eine gute Entwicklung des Kindes zu schaffen, dass die Situation also dem Kindeswohl entspricht. Eine Negativdefinition ist einfach zu wenig.
Das schriftliche Schnellverfahren, welches Sie jetzt einführen wollen, hat bereits zu sehr viel Bewegung geführt. Ich möchte darauf hinweisen, dass nicht einfach nur einige Abgeordnete der Meinung sind, dass eine Entscheidung des Gerichtes ohne Beratung, einfach aufgrund der Aktenlage, nicht im Interesse der Kinder ist. Ich möchte auf die Massenpetition verweisen, die vom Aktionsbündnis der Katholischen Frauengemeinschaft, des Sozialdienstes katholischer Frauen, der Arbeitsgemeinschaft für allein erziehende Mütter und Väter im Diakonischen Werk der EKD, des Deutschen Juristinnenbundes, der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, des Familienbundes der Katholiken gemeinsam getragen wird. Breit über gesellschaftliche Schichten hinweg gibt es äußerst große Bedenken gegen dieses Schnellverfahren, weil wir über Situationen reden, in denen Menschen erst einmal nicht miteinander klarkommen.
Bedenken Sie bitte Folgendes: Schwangerschaft und Entbindung sind natürliche Vorgänge. Die Mutter ist nach der Entbindung nicht krank. Aber sie hat damit zu tun, ihr Leben neu zu organisieren. In sechs Wochen justiziabel nachzuweisen, warum die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht, ist einfach für viele eine Überforderung. Ich weiß nicht, ob wir hier im Haus alle in der Lage sind, sofort einen justiziablen Schriftsatz aufzusetzen. Ich denke, da wären wir überfordert.
Was ist denn das Kindeswohl? Ich finde, das ist wirklich problematisch: Wir reden hier über das Sorgerecht. Die daraus erwachsenden Pflichten sind aber im Weiteren nicht definiert.
Es gibt das Recht auf Unterhalt, der gezahlt werden muss. Gut. Aber es ist nirgends einklagbar, dass zum Beispiel ein Vater den Umgang wahrnimmt, dass er tatsächlich zu einer verlässlichen Bezugsperson für sein Kind wird. Das kann auch eine alleinerziehende Mutter derzeit nicht einklagen.
Deshalb ist es richtig, hier die Vorschläge aufzunehmen, nach denen es in solchen Konfliktsituationen absolut notwendig ist, dass erst einmal eine Aufklärung erfolgt: Was ist einerseits mit der Übernahme des Sorgerechts verbunden? Wie kann man das andererseits gestalten? Das ist hier noch nicht erwähnt worden. Was heißt das denn ganz praktisch? Sie wollen für das Kind ein Sparbuch anlegen. Dafür brauchen Sie die Unterschrift des zweiten Sorgeberechtigten. Die 17-jährige Tochter will den Führerschein vor Vollendung des 18. Lebensjahres machen. Dafür brauchen Sie die Unterschrift des anderen Sorgeberechtigten. Das Kind soll auf Klassenfahrt gehen. Dafür brauchen Sie die zweite Unterschrift.
Bei Situationen des täglichen Lebens muss man sich doch einig sein und wissen: Ich übernehme diese Sorge. Das heißt aber auch: Ich muss im Zweifelsfall zur Verfügung stehen, um zum Beispiel eine Unterschrift zu leisten. Der andere verhält sich noch nicht einmal unbedingt böswillig, aber er muss einfach da sein.
Ein gemeinsames Sorgerecht soll im besten Fall so sein, dass man auch dann, wenn man als Elternteile vielleicht nichts mehr miteinander zu tun hat, gemeinsam berät und gemeinsam entscheidet: Was ist für die Entwicklung des Kindes richtig? Diese Entscheidung sollte man in dem Bewusstsein treffen, dass es durchaus Probleme geben kann, zum Beispiel bei der Schulwahl. Auch wenn es in meiner Fraktion, was die Ansätze betrifft, unterschiedliche Auffassungen gibt, ob es eine automatische Übertragung des Sorgerechts bei Vaterschaftsanerkennung geben sollte oder nicht -
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
- mein letzter Satz -, sind für uns tatsächlich Beratung, Mediation, die unbedingt notwendige Einschaltung des Jugendamtes und die Anhörung der Eltern entscheidend.
Danke.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die Kollegin Katja Dörner hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte vorab sagen, dass ich einige Beiträge in der Debatte heute Morgen schon als einigermaßen verwunderlich und verwirrend empfunden habe.
Wie passt beispielsweise der Beitrag von Frau Dr. Höll zu dem uns vorliegenden Antrag der Linken,
in dem ein automatisches gemeinsames Sorgerecht der nicht miteinander verheirateten Eltern gefordert wird? Wie kann man denn gleichzeitig kritisieren, dass, so wie es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht, am Ende eines Verfahrens per Aktenlage entschieden wird - wohlgemerkt am Ende eines Verfahrens -, wenn man selber ein solches Verfahren per se für überflüssig und unsinnig hält? Wie diese etwas wirren Positionen zusammenpassen, sollten Sie noch einmal erklären.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich finde grundsätzlich, dass dieses Thema und der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der uns heute vorliegt, kein Anlass sind, in den typischen Opposition-versus-Regierung-Modus zu verfallen. Wir haben es schon gehört: Wir brauchen keine Regelung für nicht miteinander verheiratete Paare, die sich gut verstehen oder sich zumindest so gut verstehen, dass sie bereit sind, von sich aus die gemeinsame Sorge zu beantragen; es ist ja auf unkomplizierte Weise möglich, eine gemeinsame Sorgeerklärung abzugeben. Wir brauchen eine Regelung für die Fälle, in denen die Mütter kein gemeinsames Sorgerecht wollen; hierfür kann es bekanntlich vielfältige Gründe geben. Das bedeutet, dass wir in erster Linie eine Regelung für nicht miteinander verheiratete Eltern brauchen, bei denen durchaus gravierende Konflikte vorliegen können.
Ich bin der Meinung, dass in einem Entwurf eines Gesetzes zum gemeinsamen Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern widerstreitende und gegenläufige Interessen gut unter einen Hut gebracht werden müssen. Das ist mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung durchaus gut gelungen. Meine Kollegin Ingrid Hönlinger hat bereits einige Anmerkungen dazu gemacht, wie man den Regierungsentwurf weiterqualifizieren könnte. Ich hoffe, dass wir darüber ins Gespräch kommen. Ich finde allerdings, dass er eine gute Grundlage für die Diskussion darstellt.
- Da darf auch vonseiten der Regierungsfraktionen geklatscht werden.
Das Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern bietet sich nicht als Zankapfel zwischen den Fraktionen an - das ist heute Morgen schon sehr deutlich geworden -, weil die Diskussionen in den verschiedenen Fraktionen und Parteien sehr ähnlich verlaufen. Überall gibt es Kolleginnen und Kollegen, denen die Regelung, die vorgeschlagen worden ist, nicht weit genug geht,
die in Richtung eines automatischen gemeinsamen Sorgerechts mit der Vaterschaftsanerkennung denken. Hierfür spricht das Recht des Kindes auf beide Elternteile, hierfür sprechen die guten Erfahrungen, die wir mit dem gemeinsamen Sorgerecht geschiedener Eltern gemacht haben, und hierfür spricht auch die grundsätzliche Erwägung, dass es keinen Grund geben sollte, Ehepaare und nicht miteinander verheiratete Eltern per se unterschiedlich zu behandeln.
Andere stellen die häufig schwierige Situation der Mutter bzw. der werdenden Mutter in den Vordergrund. Sie weisen hin auf ausbleibende Unterhaltszahlungen und auf Väter, die ihr Sorgerecht nur nutzen, um den Müttern den Alltag mit ihren Kindern schwer zu machen.
Ich finde, beide Argumentationen haben etwas für sich und sind nachvollziehbar. Deshalb ist das im Gesetzentwurf vorgesehene niedrigschwellige Antragsverfahren, insbesondere verbunden mit dem Prüfmaßstab der negativen Kindeswohlprüfung, der deutlich macht, dass der Gesetzgeber vom gemeinsamen Sorgerecht als Regelfall ausgeht, wie ich finde, ein vernünftiger Vorschlag. Wie gesagt, wir werden den Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren durchaus wohlwollend begleiten.
Ich will mit einem Augenzwinkern sagen: Wir wollen hier zwar keine Plagiatsaffäre anzetteln. Da die Regierung aber 95 Prozent der Eckpunkte, die wir schon vor zwei Jahren vorgelegt haben, aufgegriffen hat, wäre ein kleiner Hinweis auf das Copyright in den Reden der Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen an dieser Stelle durchaus fair und angebracht gewesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte kurz die Gelegenheit nutzen, über den Tellerrand zu gucken. Denn mit der Neuregelung des Sorgerechts sollten wir noch lange nicht am Ende der Fahnenstange sein, was die Modernisierung unseres Familienrechts angeht. Es wäre beispielsweise wichtig, die Regelung der Stiefkindadoption bei lesbischen Paaren zu überwinden.
Sie kann nur ein Behelfskonstrukt sein. Denn sie ist nicht im Sinne der Kinder, weil das Adoptionsverfahren rund zwei Jahre dauern kann und die Kinder in dieser Zeit nur eine unterhaltspflichtige sorgeberechtigte Mutter haben. Wir sind der Meinung, dass die Stiefkindadoption durch eine Regelung analog der gesetzlichen Fiktion ersetzt werden sollte.
Gestern habe ich der Presse entnommen, dass das Justizministerium der Niederlande prüft, drei oder mehr Mütter oder Väter als Eltern desselben Kindes anzuerkennen. Damit sollen die Rechte von Familien mit homosexuellen Eltern gestärkt werden. Solche Nachrichten würde ich mir auch aus unserem Justizministerium wünschen.
Mehrelternkonstellationen, ob Regenbogenfamilien oder Patchworkfamilien, nehmen bekanntlich zu. Sie sind gesellschaftliche Realität. Damit alle Kinder in unserem Land unabhängig von der Familienform, in der sie aufwachsen, den gleichen Schutz und die gleiche Förderung und Unterstützung erfahren, bleibt noch viel zu tun. Wir haben Ideen dazu. Bei den Regierungsfraktionen sieht es in diesem Bereich eher mau aus.
Auch wenn wir den heutigen Gesetzentwurf durchaus positiv begleiten, erkennt man doch deutlich, wer wie die Koalition der gesellschaftlichen Entwicklung hinterhertappert und vom Verfassungsgericht zum Jagen getragen werden muss und wer wie wir gesellschaftspolitisch nach vorne denkt.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Norbert Geis hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Norbert Geis (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich schließe mich dem Lob der Frau Dörner an. Es ist in der Tat ein gelungener Gesetzentwurf. Das heißt nicht, dass wir nicht - auch nach der Anhörung - in den parlamentarischen Beratungen da und dort andere Gewichte setzen sollten. Es sind viele Aspekte genannt worden, die Anlass dazu geben, über den einen oder anderen Punkt im parlamentarischen Verfahren nachzudenken.
Mit dem Gesetzentwurf bleibt es dabei, dass eine der wichtigsten Aufgaben der Eltern die Sorge für das Kind ist. Diese zuwendende Sorge ist Voraussetzung für eine gute Entwicklung des heranwachsenden Kindes.
Es bleibt auch dabei, dass das rechtliche Fundament der Ehe zunächst einmal die Voraussetzung dafür ist, dass von vornherein ab Geburt beiden Elternteilen die elterliche Sorge zugesprochen wird. Ich halte das für wichtig, weil ich meine, dass eine solche Voraussetzung - entschiedene, auch von beiden Seiten rechtlich entschiedene Grundlagen - für eine so wichtige Stelle, die das Sorgerecht innerhalb unserer Rechtsordnung haben muss, notwendig ist. Ich halte es für wichtig, dass die rechtliche Grundlage Ehe erhalten bleibt.
Natürlich weiß jeder von uns, dass sich die Realität geändert hat. Es gibt viele alleinerziehende Eltern, meist Mütter, und damit viele Kinder, deren Eltern eben nicht zusammenleben und diese rechtliche Grundlage fehlt.
Hier muss eine Möglichkeit geschaffen werden, dass auch der Vater zu seinem Sorgerecht kommt.
Zunächst war es so - das haben wir 1997 im Kindschaftsrechtsreformgesetz so entschieden -, dass in einem solchen Fall, wenn ein Kind geboren wird und die Mutter nur eine kurzfristige Bekanntschaft mit dem Vater hatte oder die Mutter mit dem Vater zwar zusammenlebt, sich aber nicht zu einer rechtlichen Bindung in Form der Ehe entschließen kann, die Mutter das alleinige Sorgerecht hat. Das haben wir noch 1997 so entschieden.
Der Grundgedanke dabei war - ich kann mich noch gut an die Debatten erinnern -, dass der Vater nicht das Recht haben soll, sich, wenn die Mutter das nicht will, in das Leben der Mutter und damit auch in das Leben des Kindes, das bei der Mutter wohnt, einzumischen. Dies haben aber das Verfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht für richtig gehalten. Deswegen ist eine Neuregelung notwendig, und dieser Neuregelung stellt sich der Gesetzentwurf.
Zunächst einmal bleibt es dabei, dass es möglich sein kann, dass beide Elternteile gemeinsam das Sorgerecht beanspruchen. Sie gehen dann zum Jugendamt und sagen: Auch wenn wir getrennt leben, wollen wir trotzdem gemeinsam das Sorgerecht ausüben. - Diese Möglichkeit wird mit diesem Gesetzentwurf eröffnet. Ich finde, das ist richtig so; denn diese gemeinsame Erklärung schafft die beste Grundlage für eine vernünftige Regelung des Sorgerechts im praktischen Leben. Das wollen wir nach wie vor unterstreichen.
Es gibt aber natürlich auch den Fall, dass sich die Mutter dagegen wehrt. Die Frau will nichts mit dem Mann zu tun haben. Sie wehrt sich ganz entschieden dagegen, dass dem Vater auch das Sorgerecht zugesprochen wird. Diesen Fall haben wir auch, und diesen Fall müssen wir regeln.
Für einen solchen Fall sieht der Entwurf vor, dass der Vater dann einen Antrag stellen muss. Wenn sich die Mutter dagegen wehrt, muss dieser Antrag gerichtlich entschieden werden. Deshalb muss man sich überlegen, welches der Maßstab dieser gerichtlichen Entscheidung ist. Das geht aus dem Gesetzentwurf auch hervor: Der Maßstab ist immer das Wohl des Kindes.
Dabei bleibt aber zu überlegen, ob der Maßstab des Wohls des Kindes nur das negativ festgestellte Kindeswohl sein kann, wie es hier heißt. Wenn die Mutter widerspricht, wird dem Vater dennoch das Sorgerecht zugesprochen, wenn es dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das ist die negative Feststellung des Kindeswohls.
Man muss sich überlegen - das sollte man auch im Laufe des Verfahrens und nach der Anhörung tun -, ob nicht auch die positive Feststellung des Kindeswohls angezeigt ist. Jedenfalls ist dies ein Gedanke, der mit überlegt werden muss. Es ist ja immer so, dass, wenn sich die Mutter emotional ganz entschieden gegen den Sorgerechtsanspruch des Vaters, den dieser kraft des Grundgesetzes hat, wehrt, unmittelbar auch immer das Wohl des Kindes mit betroffen ist. Man muss sich diese Spannung einmal vorstellen.
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht recht, ob es richtig ist, sich dann auf die negative Feststellung des Kindeswohls zu beschränken, ob es nicht richtiger wäre, zu sagen: Dem Vater wird das Sorgerecht zugesprochen, aber das muss dem Kindeswohl förderlich sein. - Das ist also die positive Feststellung.
Ich meine, dass dies ein Gedanke ist, der berücksichtigt werden sollte, wenn man wirklich das Kindeswohl zum Maßstab nimmt. Ich weiß, dass das Widerspruch auslöst, weil zunächst einmal der Gedanke war, dem Vater genauso wie dem verheirateten Vater von vornherein das Sorgerecht zuzusprechen. Das widerspricht natürlich dieser Überlegung. Meiner Auffassung nach muss aber zumindest einmal darüber nachgedacht werden, ob nicht die positive Feststellung des Kindeswohls in einem solchen Fall - dabei geht es um Gerichtsverfahren, dabei werden Gutachten eingeholt, dabei wird dieses und jenes gemacht, und es kommt zu einem riesigen Verfahren - angezeigt ist, um zu einer anderen Lösung zu kommen. Wir werden darüber nachdenken, Herr Staatssekretär, sobald die Anhörung stattgefunden hat.
Eine weitere Frage bezieht sich auf das Schnellverfahren. Ich will das einmal so abqualifizierend sagen, obwohl das wirklich abqualifizierend ist. Frau Granold hat mit Recht gesagt, dass das Kind nicht vom Himmel herunterfällt, sondern dem ist eine neunmonatige Schwangerschaft vorausgegangen. Im Übrigen weiß die Mutter, wer der Vater ist, und der Vater weiß in der Regel auch, dass er der Vater ist. Wenn man sich vorher nicht zusammensetzen und überlegen kann, wie das Sorgerecht geregelt werden soll, wenn dann die Mutter nach der Geburt nicht auf die Zustellung des Antrags durch das Gericht antwortet, kann man natürlich sehr schnell dazu kommen, zu sagen: Wenn die Mutter nicht antwortet, dann muss eben nach Aktenlage - ich nenne das Wort einmal, Herr Lischka - entschieden werden.
Ich glaube aber, dass ihre Argumentation durchaus Gewicht hat. Ich glaube, dass es notwendig ist, in einem solchen Verfahren das Jugendamt zumindest anzuhören. Es wäre auch besser, wenn in einem solchen Verfahren die Mutter aufgefordert wird, vor Gericht zu erscheinen,
und wenn der Vater aufgefordert wird, vor Gericht zu erscheinen. Nach meiner bescheidenen Meinung ist das so; denn ich komme aus der Praxis - ich habe immer noch die Praxis als Rechtsanwalt - und habe solche Verfahren bereits durchgeführt. Es ist besser, wenn die Parteien vor Gericht eine Klärung herbeiführen bzw. das Gericht eine solche Klärung herbeiführt. Ich meine, man sollte überlegen, ob die Sechswochenfrist ausreicht.
- Ich bekomme von der falschen Seite Beifall. - Man kann vielleicht eine längere Frist ansetzen. Irgendwann muss natürlich entschieden werden. Es geht nicht, dass sich die Mutter überhaupt nicht meldet. Wir sollten uns in der Anhörung ganz in Ruhe anhören, was die Sachverständigen dazu sagen, ob sechs Wochen reichen oder ob es zwölf Wochen sein sollen, wie es vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz - das will ich nicht verschweigen; es ist ein gutes Staatsministerium - vorgeschlagen wird. Dann werden wir entscheiden.
Diese Debatte zeigt, dass dies ein Kapitel in unserer Rechtspolitik ist, das am besten gemeinsam zu regeln ist. Ich habe heute auch kein polemisches Wort gehört, mit Ausnahme vielleicht des letzten Redebeitrages.
- Entschuldigung, es war nicht so schlimm. Ich nehme es gleich wieder zurück.
Ich glaube, dass wir nach der Anhörung im Rechtsausschuss, der in der Lage ist, Themen ruhig aufzugreifen und Argumente sachlich abzuwägen, im parlamentarischen Verfahren zu einer gemeinsamen Regelung kommen. Ich wünsche mir das sehr.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Sönke Rix hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Sönke Rix (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Situation unverheirateter Eltern ist - denn wir haben das Gesetz noch lange nicht beschlossen - nicht zumutbar. Die Situation unverheirateter Eltern ist, wenn es um die Frage des Sorgerechts geht - wir alle kennen Briefe von Betroffenen und Schilderungen aus unseren Wahlkreisen -, unbefriedigend. Diese Situation war schon vor den Gerichtsurteilen so. Seit den Gerichtsurteilen hat sich die Situation nicht stark verändert. Daher ist es sehr bedauerlich, dass erst jetzt ein Gesetzentwurf vorliegt.
Wir haben den Konflikten leider zu lange Raum gegeben.
Die Gemeinsamkeiten, die wir an dieser Stelle festgestellt haben, sind darin begründet, dass uns die Gerichte einen eindeutigen Auftrag gegeben haben, in welche Richtung wir das Sorgerecht ändern sollen. Wir sollen gesetzlich festlegen, dass der Vater nach der Geburt des Kindes von Anfang an die gleichen Rechte bekommt wie die Mutter. Nun ist es so, dass immer dann ein Konflikt entsteht, wenn entschieden werden muss. An welcher Stelle wird es entschieden? Wie läuft dieses Verfahren ganz genau ab? Wenn Unterschiede vorhanden sind und wenn es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Eltern kommt, dann unterscheiden sich die Vorlagen, die wir hier im Hause beraten. Bei unserem Vorschlag spielt das Standesamt eine zentrale Rolle. Wir sagen: Es muss eine Stelle geben, die die Eltern über die Bedeutung des Sorgerechts aufklärt.
- Aufgeklärt in Sachen des Sorgerechtes. Vorher müssen sie schon längst aufgeklärt sein; das hoffe ich zumindest.
An dieser Stelle muss klargestellt werden, wie die Situation ist. Wenn es dann zum Konflikt kommt, dann soll sich nach unserer Auffassung das Jugendamt vermittelnd einschalten. Ein schnelles Verfahren, wie es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht, halten wir für nicht richtig. Ein schnelles Verfahren würde bedeuten, dass Eltern und Jugendämter nicht ausreichend zu Wort kämen und das Kindeswohl zu wenig berücksichtigt würde. Ein schnelles Verfahren bedeutet nicht unbedingt immer eine Entscheidung zugunsten der Kinder. Aber eine solche Entscheidung wollen wir herbeiführen.
Lieber Kollege Geis, Sie haben mehrfach darauf aufmerksam gemacht, welche Gemeinsamkeiten vorhanden sind. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal einem Ihrer Redebeiträge applaudieren würde.
Das wird sich spätestens bei der nächsten Debatte über das Betreuungsgeld wahrscheinlich wieder ändern. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im Gesetzgebungsverfahren noch einmal über Kurzfristigkeit der Sechswochenfrist sprechen und darauf hören sollten, wie die Sachverständigen die Praxis bewerten. Ich finde es sehr gut, dass Sie das an dieser Stelle gesagt haben. Ich würde mich freuen, wenn Sie die Sachverständigenmeinung auch beim Betreuungsgeld so ernst nehmen würden wie in dieser Frage. Es gibt schließlich Sachverständige und Experten, die hier Kritik geübt haben. Deshalb hätten wir uns gewünscht, dies nicht erst im Verfahren ändern zu müssen. Wenn aber eine gewisse Bereitschaft besteht, darüber zu reden, dann sind wir Ihnen an dieser Stelle natürlich dankbar.
Auch müssen wir klarstellen, dass die Situation von unverheirateten Eltern aktuell nicht zufriedenstellend ist, wenn es um die Frage des Sorgerechts geht. Das hat auch etwas damit zu tun, dass sich das Bild, das wir normalerweise von Familie haben, gewandelt hat. Ich glaube noch immer, dass Herr Geis und ich in diesem Zusammenhang unterschiedliche Bilder haben. Aber wir haben eben erkannt, dass Väter und Mütter, also Männer und Frauen, in der Kindererziehung gleichberechtigt sein müssen. Deshalb ist es gut, dass wir an dieser Stelle jetzt etwas verändern und vom alten, konservativen Bild Abstand nehmen.
Ich hoffe, dass sich im Gesetzgebungsverfahren auf Ihrer Seite das eine oder andere noch ändert und dass wir noch mehr zugunsten des Kindes erreichen.
Danke schön.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11048 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der
202. Sitzung - wird am
Montag, den 29. Oktober 2012,
auf der Website des Bundestages unter „Dokumente“, „Protokolle“, „Endgültige Plenarprotokolle“ veröffentlicht.]