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Ein "zusätzliches, leibhaftiges Live-Zitat", das die Materialanordnung der Ausstellung erweitert und ergänzt - so äußert sich der Künstler Lutz Dammbeck zum Vortrag "Radikale, Krieger und Gelehrte" des Historikers Tim B. Müller im Rahmen seiner Ausstellung "Atlasmacher".
"Radikale, Krieger und Gelehrte. Die Geburt der Gegenkultur aus dem Geist des Geheimdienstes? Intellektuelle Genealogien im frühen Kalten Krieg" war der Titel des Vortrages, den der Historiker Dr. Tim B. Müller am Mittwoch, 26. Mai 2010 im Rahmen der Ausstellung "Atlasmacher" des Künstlers Lutz Dammbeck im Kunst-Raum des Deutschen Bundestages im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus im Berliner Parlamentsviertel hielt. Die Ausstellung kann noch bis zum 11. Juli, dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr besichtigt werden.
Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung, ist für seine Dissertation zum Thema bereits mit dem Humboldt-Preis der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Fraenkel Prize der Wiener Library in London ausgezeichnet worden.
In seinem Vortrag setzte er sich mit der Bedeutung linksintellektueller Emigranten im Kalten Krieg auseinander. Im Mittelpunkt seiner Betrachtungen stand die Diskursgemeinschaft um den Philosophen Herbert Marcuse, seine amerikanischen Freunde und Kollegen mit ihrer Tätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und ihr Einfluss auf die Sozial- und Geisteswissenschaften der Nachkriegszeit. Seine These lautet: Es ist Zeit für eine radikale Historisierung des Kalten Krieges.
Tim B. Müller ging dabei nicht nur der Frage nach dem Zusammenhang von Wissenschaft und Politik im Kalten Krieg nach, sondern er beleuchtete anhand dieser Gruppe auch ideenpolitische Strukturen dieser Zeit. Mit Hilfe linker und linksliberaler Intellektueller und streng sozialwissenschaftlicher Forschungsweise betrieben die USA Kommunismusforschung mit dem Ziel, ihn so widerlegen zu können.
Im Zusammentreffen deutscher und amerikanischer Intellektueller sieht Müller ein zentrales Momentum der Nachkriegsentwicklung. Mit der Verschmelzung deutscher und amerikanischer Wissenschaftstraditionen war ein Umfeld entstanden, in dem auch ein philosophisch und geisteswissenschaftlicher Gegendiskurs zur vorherrschenden dominanten behavioristischen Wissenschaftskultur und dem damit verbundenen wissenschaftlichen Antikommunismus möglich war.
Durch die anschließende Podiumsdiskussion führte die Historikerin Prof. Dr. Gabriele Metzler von der Humboldt-Universität. Dammbeck, der zu dieser Podiumsdiskussion geladen hatte, antwortete auf die Frage aus dem Publikum zur Verbindung zwischen der Ausstellung und dem Vortrag Müllers: "Ich habe Herrn Müller als ein zusätzliches leibhaftiges Live-Zitat eingeladen, weil er die Materialanordnung der Ausstellung ergänzt und erweitert: "Das ist eine Synthese, die mir produktiv erscheint."
So findet er in den Auswertungen Müllers auch personelle Anschlüsse an seine Erkenntnisse und zu seinem Film "Das Netz".
In der anschließenden Diskussion ging es dann auch nicht nur um die Deutung Marcuses und seine Rolle als Opportunist oder Vordenker der Reeducation, sein Selbstverständnis, sein Werk in der Kommunismusforschung, sondern auch um die Auswirkungen der Wissenschaft auf die Gesellschaft, die Rolle, die sie für die Reeducation spielte, die Verantwortung der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft, die Bedeutung ideologiefreier Wissenschaft, amerikanische und sowjetische Erziehungsziele nach dem Zweiten Weltkrieg…
Den Abend eröffnet hatte Dr. Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages.
Der Kunst-Raum des Deutschen Bundestages im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ist über die Spreeuferpromenade am Schiffbauerdamm in Berlin zu erreichen. Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Die philosophische Dissertation von Tim B. Müller an der Berliner Humboldt-Universität erscheint im Herbst 2010 unter dem Titel "Radikale, Krieger und Gelehrte. Linksintellektuelle, amerikanische Geheimdienste und philanthropische Stiftungen im Kalten Krieg" in der Hamburger Edition.
Kunst-Raum im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
Zugang über die Spree-Uferpromenade
Schiffbauerdamm, 10117 Berlin