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**** NACH § 117 GOBT AUTORISIERTE FASSUNG ****
*** bis 11.25 Uhr *** wird fortlaufend aktualisiert ***
Deutscher Bundestag
212. Sitzung
Berlin, Freitag, den 30. November 2012
Beginn: 9.00 Uhr
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich und freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir die heutige Tagesordnung mit der Wahl eines Schriftführers eröffnen.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt vor, für die Kollegin Agnes Krumwiede die Kollegin Ingrid Hönlinger als Schriftführerin zu wählen.
- Alternativvorschläge sind denkbar, werden aber nicht ernsthaft vorgetragen.
- Kollege Trittin fühlt sich, wenn ich das richtig verstanden habe, überfordert, was die Anregungen aus anderen Fraktionen betrifft. - Dann ist damit die Kollegin Ingrid Hönlinger als neue Schriftführerin gewählt.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, behandeln wir zunächst einen Geschäftsordnungsantrag. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen zu Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland zu erweitern; dieser Antrag findet sich auf der Drucksache 17/11647. Die Vorlage einschließlich der Anlagen soll gleich im Anschluss in Verbindung mit der Regierungserklärung unter Zusatzpunkt 10 a beraten werden. Die Fraktion Die Linke hat dieser Aufsetzung widersprochen.
Dazu erteile ich zunächst das Wort der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Fraktion Die Linke, Frau Kollegin Enkelmann.
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke widerspricht der Aufsetzung der Anträge der Bundesregierung zur sogenannten Griechenland-Rettung auf die heutige Tagesordnung und vor allen Dingen der Sofortabstimmung heute.
In der Nacht von Montag zu Dienstag haben sich die Finanzminister der Europäischen Union geeinigt. Am Dienstagvormittag haben wir dann via Agenturmeldung erfahren, dass am Donnerstag der Bundestag abschließend über dieses Paket entscheiden soll - ohne dass sich die Fraktionen dazu verständigt haben. Dann haben wir am späten Dienstag dieses Paket von Unterlagen - Informationen, Anträge etc. - bekommen. Nicht einmal der Haushaltsausschuss oder der Europaausschuss, die am Mittwoch getagt haben, hatten sämtliche Drucksachen für ihre Beratung zur Verfügung. Im Gegenteil: Über die Auswirkungen, die zum Beispiel die angekündigten haushaltsrechtlichen Ermächtigungen mit sich bringen, konnte der Haushaltsausschuss nicht verlässlich und nicht zuverlässig beraten. Das heißt, Sie wollen in den nächsten Jahren - das kommt hinzu - ohne Nachtrag, also quasi mit einem Blankoscheck, hier über die weiteren Mittel, die in den Bundeshaushalt eingestellt werden müssen, entscheiden. Da machen wir nicht mit, ganz klar.
Aber kraft Ihrer Wassersuppe, also kraft der Mehrheit der Koalition, wurde das heute auf die Tagesordnung gesetzt; Schützenhilfe gab es von SPD und Grünen. Kollege Steinmeier, Sie haben vollkommen recht, wenn Sie sagen: Das Parlament darf nicht zum Abnickorgan der Regierung werden.
Vollkommen recht haben Sie damit!
Nur: Diese Bundesregierung benutzt unser Parlament immer öfter dafür. Da machen wir als Linke nicht mit. Dagegen müssen wir uns alle wehren, als gesamtes Parlament.
Bei der SPD gab es dann zwar einen Sturm im Wasserglas; aber er war schnell beendet. Deswegen meine ich, Sie haben den Titel verdient: Umfaller der Woche.
Die Linke lehnt ein derart undemokratisches Verfahren ab. Oder haben Sie tatsächlich ernsthaft dieses ganze Paket gelesen,
beraten,
abgewogen?
- Das alles haben Sie gemacht, Herr Kauder? Ich würde jetzt gern ein Quiz mit Ihnen machen.
Haben Sie ernsthaft geprüft, welche Auswirkungen sich aus diesen Entscheidungen auf die kommenden Haushalte, zum Beispiel für 2013, ergeben?
In der vergangenen Woche haben wir hier den Haushalt 2013 beschlossen. Er ist schon heute Makulatur. Wir wissen, dass es im nächsten Jahr um 730 Millionen Euro geht, die weniger ausgegeben werden können. Das ist ein Problem. Wo soll das herkommen?
Da wird ganz einfach von „Umschichtung“ im Haushalt gesprochen. Das, finde ich, ist eine Volksverdummung. Man sollte ehrlich mit den Menschen umgehen. Was heißt denn „Umschichtung“? Umschichtung heißt doch, dass an irgendeiner Stelle gekürzt wird: zum Beispiel bei Bildung, bei der Arbeitsmarktpolitik, bei Sozialleistungen. Sagen Sie das den Leuten! Wo soll tatsächlich das Geld für 2013 und die kommenden Jahre herkommen?
Die Bundeskanzlerin hat erklärt, es gehe nicht, Griechenland den Hahn abzudrehen.
Das sei nicht verantwortbar.
Dass Sie hier im Schnellverfahren solche Anträge durch den Bundestag bringen wollen, das ist unverantwortbar.
Dass Sie nicht ernsthaft Alternativen geprüft haben, das ist in hohem Maße verantwortungslos: Verantwortungslos ist das gegenüber dem griechischen Volk; verantwortungslos ist das vor allem auch gegenüber den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern.
Stimmen Sie gegen die heutige Sofortabstimmung!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Grosse-Brömer für die CDU/CSU-Fraktion.
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird schon ritualisiert: Sie stellen sich bei fast jeder Griechenland-Debatte hier hin, sagen, es ging zu schnell, Sie sind nicht ausreichend beteiligt worden. Sie sind lange Parlamentarische Geschäftsführerin. Sie werden mir bestätigen, dass dieser Ablauf - mit Beratung im Ausschuss - kein außergewöhnlicher Ablauf ist,
sondern er ist so, wie er typischerweise bei Gesetzentwürfen in einer Sitzungswoche stattfindet. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt, Frau Enkelmann. Sie sollten sich mit Ihrer Fraktion mehr Gedanken über Ihre europapolitische Einstellung und weniger über die Geschäftsordnung machen.
Ich stelle nur nüchtern fest, dass jede Fraktion heute in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen. Ich sage Ihnen eines: Allen Kollegen, egal wie sie heute abstimmen, zu unterstellen, sie würden hier sitzen und leichtfertig, ohne Vorbereitung, in diese Abstimmung gehen, halte ich ein Stück weit für frech.
Im Zweifel wird jede Kollegin und jeder Kollege der Verantwortung als Abgeordnete oder Abgeordneter gerecht geworden sein. Im Zweifel wird er nach Beratung mit seinen Mitarbeitern und nach ausführlicher Information durch den Bundesfinanzminister in der Lage sein, heute eine verantwortungsbewusste, für ihn tragbare Entscheidung zu treffen. Darum geht es. Das ist im Übrigen auch Aufgabe dieses Parlamentes.
Abschließend will ich Ihnen eines sagen: Wie häufig stehen Sie hier und beklagen die Situation in Griechenland?
Heute stellen Sie hier einen Geschäftsordnungsantrag, der, würde er angenommen, natürlich dazu führen würde, dass eine Verzögerung eintritt, dass die Menschen in Griechenland nicht die Unterstützung bekommen, die sie kriegen sollen.
Das wäre das Ergebnis Ihres Geschäftsordnungsantrags.
Was die Sache noch viel schlimmer macht, ist, dass wir klare Vorgaben für die Griechen gemacht haben, dass wir ihnen finanzielle, solidarische Unterstützung zugesagt haben, wenn sie gewisse Auflagen erfüllen.
Die Troika sagt: Ja, diese Auflagen sind erfüllt worden. - Und Sie wollen dem griechischen Volk jetzt die Unterstützung verweigern.
So geht es nicht.
Deswegen, Frau Enkelmann: Dieser Antrag ist sachlich nicht begründet, und er wurde von Ihnen auch nicht schlüssig vorgetragen. Deswegen können wir ihn nur geschlossen ablehnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen mir nicht vor.
Ich lasse dann darüber abstimmen. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Aufsetzungsantrag mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 10 a und die soeben aufgesetzte Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen, Zusatzpunkt 10 b, auf:
ZP 10 a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen
Fortschritte beim Anpassungsprogramm für Griechenland
b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland - Änderung der Garantieschlüssel;
Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG)
- Drucksachen 17/11647, 17/11648, 17/11649, 17/11669 -
Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Des Weiteren hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Entschließungsantrag zu dem genannten Antrag des Bundesministeriums der Finanzen eingebracht.
Wir werden über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Auch hierzu gibt es offensichtlich Einvernehmen. Dann können wir so verfahren.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister der Finanzen, Wolfgang Schäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben schon eine Reihe von Schritten gehen müssen, um Griechenland und damit die Euro-Zone insgesamt zu stabilisieren. Es stellen sich erste Erfolge ein; aber der vor uns liegende Weg ist noch lang. Jahrzehntelange Versäumnisse können nicht in zwei Jahren aufgeholt werden. Meine Damen und Herren, das haben wir alle ein Stück weit gemeinsam in den letzten zweieinhalb Jahren lernen müssen.
Der Bundestag hat im Februar dieses Jahres dem zweiten Anpassungsprogramm für Griechenland zugestimmt. Dieses Programm umfasst Darlehen in Höhe von bis zu 164,5 Milliarden Euro. Diese Darlehen werden über den Rettungsschirm EFSF ausgebracht. Damals ist zum ersten Mal in dieser Weise in Europa auch eine Umschuldung bei nichtöffentlichen Gläubigern durchgeführt worden.
Heute beraten wir über Änderungen, die notwendig sind, damit wir dieses Programm fortführen können. Nur so können wir die Auszahlung der nächsten im Programm vorgesehenen Tranchen an Griechenland ermöglichen. Die Auszahlung jeder Tranche ist nach dem vereinbarten Programm an ein positives Votum der sogenannten Troika - das sind die drei Institutionen: Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank und EU-Kommission - gebunden. Sie müssen gemeinsam prüfen und berichten, inwieweit das Programm wie vereinbart umgesetzt worden ist. Wenn es Lücken gibt, müssen Änderungen vorgeschlagen werden, um das entsprechend anzupassen.
Dieser Bericht hat lange auf sich warten lassen; die erste Tranche war eigentlich Ende Juni fällig. Er liegt jetzt vor, und in ihm wird präzise dargelegt, inwieweit die Maßnahmen der Vereinbarung - des sogenannten Memorandum of Understanding - umgesetzt sind, einschließlich auch der sogenannten Prior Actions; das sind die Maßnahmen, die Griechenland vor Auszahlung der nächsten Tranche des Kredits auszuführen verpflichtet ist.
Es ist bekannt, dass es durch die beiden Wahlen, die im März und im Juni in Griechenland stattgefunden haben - nach der ersten Wahl ist die Regierungsbildung gescheitert -, erhebliche Verzögerungen in der Umsetzung des Programms gegeben hat. Außerdem hat sich die konjunkturelle Situation nicht nur in Griechenland, sondern in Europa und weltweit seit dem Beschluss über das Programm verschlechtert.
Alle internationalen Beobachter sind sich aber auch einig, dass die neue griechische Regierung mit großem Einsatz an einer konsequenten Umsetzung der vereinbarten Auflagen arbeitet und dass jetzt eine Reihe von Fortschritten erzielt worden ist.
Der gemeinsame Bericht dieser drei Institutionen stellt fest, dass Griechenland angesichts der schlechteren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der eingetretenen Verzögerungen zwei Jahre mehr Zeit brauchen wird, um seine Konsolidierungsziele zu erreichen. Das heißt vor allen Dingen, dass der Primärüberschuss, der nach dem Programm eigentlich Ende 2014 mit 4,5 Prozent erreicht werden sollte, erst 2016 erreicht werden kann.
Das führt - ohne weitere Maßnahmen - zu einer Finanzierungslücke in der Größenordnung von 14 Milliarden Euro. Damit kann auch die in der Schuldentragfähigkeitsanalyse zugrunde gelegte Schuldenstandsquote von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 2020 - so war das Programm verabschiedet - nicht mehr erreicht werden. Sie würde ohne Veränderungen nach den jetzigen Berechnungen bei 144 Prozent im Jahre 2020 liegen.
Deshalb mussten wir in der Euro-Gruppe Vorschläge zur Schließung dieser Lücke und zur Verbesserung der Schuldentragfähigkeit erarbeiten. Diese Vorschläge bedeuten eine Änderung des bestehenden Programms. Dazu bitte ich den Bundestag nach § 3 unseres Gesetzes über den Stabilisierungsmechanismus um seine vorherige Zustimmung. Der deutsche Vertreter kann nur zustimmen, wenn der Deutsche Bundestag dem vorher zugestimmt hat.
Im Kern entscheiden wir heute über Fortsetzung oder Abbruch dieses Griechenland-Programms - Fortsetzung des Programms mit Anpassungen, die es in der Spur halten, oder Nichtauszahlung dieser Tranchen mit allen Konsequenzen, die das nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa und darüber hinaus bedeuten würde.
Im Vergleich zu den Prognosen aus dem Mai 2010 - das war die erste Entscheidung über ein Hilfsprogramm für Griechenland - ist der Einbruch des Bruttoinlandsprodukts in Griechenland erheblich größer geworden. Man geht jetzt für den Zeitraum von 2010 bis 2013 von einem Gesamtrückgang der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung Griechenlands von 22 Prozent aus.
- Wir hatten 2010 andere Prognosen der Institutionen. Wir können uns immer nur an die Zahlen halten, die von den entsprechenden internationalen Institutionen aufgestellt werden. Wenn wir anfangen, durch Mehrheitsentscheidungen in den Fraktionen von wirtschaftliche Prognosen abzusehen, wird das alles nicht besser. Das hilft uns alles nichts.
- Es ist schön, dass Sie diesen Zwischenruf machen. Ich wollte nämlich gerade darauf hinweisen.
Wir wissen heute, dass sich die wirtschaftliche Situation in Griechenland mit den üblichen Kategorien konjunktureller Entwicklung, also Rezession und Aufschwung, in Wahrheit nicht beschreiben lässt. In Wahrheit erleben wir - das sehen wir heute vielleicht deutlicher, als wir es vor 2010 gesehen haben - das Wegbrechen eines zuvor nicht nachhaltigen, eher auf dem Papier bestehenden Bruttosozialprodukts, sozusagen eines Scheinwohlstandes, der auf Pump, nämlich maßgeblich mithilfe von Auslandskrediten, finanziert worden ist.
Da gibt es eine Parallele zu dem, was wir in Deutschland und Europa vor etwas mehr als 20 Jahren erlebt haben. Die griechische Wirtschaft befindet sich in einem Transformationsprozess, der vielleicht am ehesten demjenigen ähnelt, den die osteuropäischen Länder nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des sowjetischen Imperiums leisten mussten. Das ist ein Gesundungsprozess hin zu mehr Nachhaltigkeit, der sehr schmerzhaft ist. Aber dessen Ursachen liegen nicht im Anpassungsprogramm. Das ist eine der großen Täuschungen. Das Anpassungsprogramm für Griechenland ist nicht die Ursache für die schlechte wirtschaftliche Entwicklung. Im Gegenteil: Mit unseren Finanzhilfen können wir die damit verbundenen Härten nicht vermeiden, aber wir können sie wenigstens abmildern. Aufhalten können wir den Prozess nicht. Die Alternative hieße nämlich, unwirtschaftliche Strukturen mit Milliarden und Abermilliarden Euro künstlich am Leben zu halten. Es führt kein Weg daran vorbei: Griechenland muss in einem mühsamen Prozess Wettbewerbsfähigkeit erlangen. Dazu sind strukturelle Reformen unumgänglich.
Wenn man sich diese schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verdeutlicht, stellt man fest, dass die in Griechenland bisher erzielten Erfolge erheblich sind, auch wenn sie noch hinter den ursprünglichen Programmzielen zurückbleiben.
Griechenland hat sein Haushaltsdefizit deutlich reduziert. Nach der Bewertung der Troika hat Griechenland eine der umfassendsten Haushaltskonsolidierungen umgesetzt, die ein Mitgliedsland der Europäischen Union in den letzten 30 Jahren unternehmen musste und unternommen hat. In den Jahren 2009 bis 2011 ist eine Reduzierung des Defizits um 6 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts erreicht worden, und für das laufende Jahr ist eine weitere Rückführung um 2,5 Prozentpunkte auf dann noch 6,9 Prozent geplant.
Der strukturelle Haushaltssaldo hat sich seit 2009 um 13 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts verbessert. Mit der Umsetzung der Maßnahmen in den kommenden zwei Jahren wird das weiter reduziert werden.
Noch einmal: In den Jahren 2009 bis 2012 wird das gesamtstaatliche Defizit in Griechenland um zwei Drittel, um mehr als 22 Milliarden Euro, abgebaut.
Man muss auch sehen, was Griechenland schon geleistet hat.
Die makroökonomischen Ungleichgewichte gehen zurück. Das ist für die Frage, ob Griechenland irgendwann auf einen wettbewerbsfähigen Kurs kommt, viel wichtiger. Das Leistungsbilanzdefizit Griechenlands sinkt. Es beträgt in diesem Jahr mit 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts weniger als die Hälfte seines Höchststands. Im Jahre 2008 waren es nämlich 18 Prozent.
Noch wichtiger ist: Griechenland gewinnt an Wettbewerbsfähigkeit. Das zeigt sich an einer Trendumkehr bei den Lohnstückkosten. Bis 2009 sind die Lohnstückkosten in Griechenland nämlich schneller gestiegen als im restlichen Euro-Raum.
Von 2009 bis 2012 hat Griechenland dagegen eine Verringerung seiner Lohnstückkosten um 10 Prozent erreicht, wohingegen sie im Euro-Raum insgesamt um 2 Prozent gestiegen sind. Das zeigt, dass die Lohnflexibilisierung durch die Arbeitsmarktreformen im Anpassungsprogramm eine wichtige und richtige Rolle spielt.
Griechenland hat zuletzt endlich auch tiefgreifende Strukturreformen durchgeführt: im öffentlichen Sektor, bei den Renten, im Gesundheitswesen, im Arbeitsmarkt und - mit Abstrichen - auch auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten. Auch die Weltbank bestätigt Griechenland in ihrem Bericht Doing Business Report, in dem darüber berichtet wird, wie die Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit sind, und der für alle Länder erstellt wird, große Fortschritte.
Während der langen Beratungen, die jetzt zu dem Bericht der Troika geführt haben, haben wir zusätzliche Maßnahmen verabredet und auch umgesetzt, die über die bisherigen Programmauflagen hinausgehen.
Der Haushalt für das kommende Jahr mit der Schließung einer Fiskallücke von 13,5 Milliarden Euro ist unter den Umständen, die wir alle im Fernsehen verfolgt haben, vor zwei Wochen an einem Sonntagabend verabschiedet worden. Man muss das bei den gestellten Anträgen, das jetzt gar nicht zu entscheiden, auch noch in Erinnerung behalten.
Das Renteneintrittsalter wird ab dem 1. Januar 2013 auf 67 Jahre erhöht.
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist trotzdem wichtig; wir kennen ja die Debatte aus dem eigenen Land. - In Griechenland ist jetzt beschlossen worden, dass das Renteneintrittsalter ab dem 1. Januar 2013 auf 67 Jahre erhöht wird; die Gesundheitsausgaben werden auf ein Niveau von maximal 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt; es gibt einen Rahmen für den Mindestlohn; die Lohnnebenkosten sind reduziert worden, und eine Fülle von Zugangs- und Ausübungsbeschränkungen für regulierte Berufe wird abgeschafft.
Unter diesen Voraussetzungen - dass Griechenland es umgesetzt hat - schlagen wir in der Euro-Gruppe jetzt Maßnahmen dafür vor, die genannte Finanzlücke von 14 Milliarden Euro bis 2014 zu schließen und die Schuldentragfähigkeit wiederherzustellen. Diese Maßnahmen sind Anpassungen des zweiten Griechenland-Programms. Es handelt sich nicht um ein drittes, neues Programm. Im Übrigen: Der finanzielle Gesamtrahmen bleibt unverändert.
- Es ist schon so, Frau Künast. - Es handelt sich im Wesentlichen um folgende Einzelmaßnahmen: Zunächst einmal plant Griechenland, ausstehende Staatsschuldtitel von privaten Gläubigern zu den derzeit niedrigen Marktwerten zurückzukaufen. Die liquiden Mittel dafür müssen im laufenden Programm aufgebracht werden. Mit diesem Beitrag des Privatsektors kann der Schuldenstand signifikant weiter reduziert werden. Wie hoch der Betrag genau ausfällt, muss abgewartet werden.
Die Mitgliedstaaten leisten ihrerseits einen Beitrag, indem die Zinsen aus dem ersten Griechenland-Programm - das sind die bilateralen Kredite, die wir über die KfW ausgereicht und durch den Bund verbürgt haben - weiter abgesenkt werden. Das heißt für uns: Die KfW wird weiterhin ihre Finanzierungskosten decken, aber sie wird keine darüber hinausgehenden Erträge mehr an den Bund überweisen können. Das bedeutet im Bundeshaushalt Mindereinnahmen in Höhe von 130 Millionen Euro jährlich. Diese Mindereinnahmen können im Rahmen des Haushaltsvollzugs im kommenden Jahr aufgefangen werden.
Es ist kein Nachtragshaushalt erforderlich.
Griechenland erhält für die EFSF-Darlehen - das sind die Darlehen aus dem zweiten Griechenland-Programm - eine Zinsstundung von zehn Jahren. Der Finanzbedarf wird damit in der Programmperiode um 3,7 Milliarden Euro verringert. Nach den Buchungsregeln von Eurostat erhöht sich dadurch nicht der Schuldenstand. Die Laufzeit der Kredite beider Hilfsprogramme wird um 15 Jahre verlängert. Der Grund ist, dass der große Berg von Tilgungen, der sonst nach 2022 auf Griechenland zukommen würde, mit dieser Streckung abgeflacht werden soll.
Wir haben darüber hinaus verabredet, den Abbau der T-Bill-Finanzierung - das sind die kurzfristigen Schuldtitel - weniger schnell umzusetzen, als es im Programm vorgesehen war. Was bisher im Programm vorgesehen war, war sehr ambitioniert. Ich will noch sagen: Diese Maßnahme ist vertretbar, weil sich Griechenland im Vergleich zu anderen Ländern mit einem verhältnismäßig geringen Anteil an kurzfristigen T-Bills an der Gesamtschuld finanziert.
Darüber hinaus sollen die Gewinne - wenn sie sich verwirklicht haben -, die die Europäische Zentralbank aus ihrem Sekundärmarktprogramm erzielt, wenn die Anleihen zu 100 Prozent zurückgezahlt werden - man hat ja im Rahmen des Sekundärmarktprogramms zu wesentlich niedrigeren Kursen gekauft -, an Griechenland ausgereicht werden. Die EZB rechnet aus heutiger Sicht in den kommenden Jahren mit Gewinnen aus diesem SMP-Portfolio in einer Größenordnung von insgesamt bis zu 10 Milliarden Euro.
Der rechnerische Anteil Deutschlands daran beläuft sich auf etwa 27 Prozent. Im laufenden Jahr jedenfalls entfällt als Anteil auf die Deutsche Bundesbank ein rechnerischer Gewinn am EZB-Ertrag von rund 600 Millionen Euro, den wir im kommenden Jahr an Griechenland weiterreichen. Die notwendige haushaltsrechtliche Ermächtigung dazu müssen wir über eine außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung nach §§ 37 und 38 der Bundeshaushaltsordnung schaffen.
Diese Maßnahmen zusammen führen dazu, dass das Programm weiter finanziert werden kann und dass auch der griechische Schuldenstand deutlich absinkt. Er würde sich nach den Berechnungen der Troika bis zum Jahr 2020 auf 126,5 Prozent und bis 2022 auf 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belaufen. All diese Vorhersagen können sich immer wieder ändern. Aber aus heutiger Sicht sind das die Zahlen, mit denen die internationalen Institutionen rechnen.
Wir sind bei allen Maßnahmen immer für das Prinzip der Konditionalität eingetreten. Das gilt auch hier. Griechenland wird all diese Erleichterungen nur erhalten, wenn es seine Reformmaßnahmen Zug um Zug weiter konsequent umsetzt. Wir haben übrigens Verbesserungen in der Programmüberwachung vereinbart. Das von Griechenland eingerichtete Sonderkonto ist gestärkt worden: Dorthin werden künftig auch Privatisierungserlöse und ein Teil künftiger Primärüberschüsse unmittelbar fließen. Sämtliche Zahlungen von diesem Konto sind im Voraus detailliert der EFSF bzw. dem ESM zu melden und müssen nachträglich vom Kontoinhaber bestätigt werden.
Wir haben auf Bitten des Internationalen Währungsfonds in den Beratungen der Euro-Gruppe vorsorglich über zusätzliche Maßnahmen gesprochen, mit denen im Jahr 2022 der Schuldenstand weiter abgesenkt werden könnte, wenn es notwendig sein sollte. Das könnte etwa im Bereich der Mittel des Europäischen Strukturfonds durch die Anpassung des griechischen Kofinanzierungsanteils oder durch eine weitere Absenkung der Zinsen für die Griechenland-Kredite erfolgen.
Wir haben vereinbart, falls nötig über solche Maßnahmen zu sprechen, wenn Griechenland einen Primärüberschuss erreicht hat, also einen Einnahmeüberschuss vor dem Schuldendienst erwirtschaftet, und wenn das Programm vollständig umgesetzt ist. Entscheidend ist in jedem Fall das Erreichen dieses Einnahmeüberschusses - des Primärüberschusses - vor dem Schuldendienst.
- Vorsichtig, Herr Trittin. - Wir dürfen auch weiterhin keine falschen Anreize für ein Nachlassen der griechischen Reformbemühungen setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da geht es nicht darum, dass wir sagen: „Wir trauen denen nicht“, sondern es geht darum, dass wir wissen: Auch wir würden vergleichbare Maßnahmen nur unter allergrößten Widerständen treffen können, und nur, wenn man dazu gezwungen ist; das muss man doch klar sehen. Deswegen muss man wissen: Aktuelle Spekulationen über einen Schuldenerlass würden genau diese falschen Anreize setzen. Wenn man sagt: „Die Schulden werden erlassen“, dann ist die Bereitschaft, zu sparen, um weiterhin Hilfe zu bekommen, entsprechend geschwächt. Deswegen wären das falsche Anreize. Wenn wir Griechenland helfen wollen, diesen schwierigen Weg zu gehen, müssen wir Schritt für Schritt vorangehen. Die falschen Spekulationen zur falschen Zeit lösen das Problem nicht, sondern sie machen es geradezu unlösbar.
Im Übrigen muss jeder wissen: Die Absicherung von Krediten an Griechenland über Gewährleistungen des Bundes erfordert haushaltsrechtlich nun einmal, dass nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass Darlehen nicht zurückgezahlt werden. Bei einem Schuldenerlass würde das im Stabilitätsmechanismus vorgesehene Gewährleistungsinstrument nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch an der Rechtsfrage kann man sich nicht vorbeimogeln; man muss es einfach wissen. Deswegen ist es richtig, wenn wir jetzt keine falschen Spekulationen betreiben.
Es handelt sich bei diesen Anpassungsmaßnahmen um wesentliche Änderungen. Deswegen ist nach dem Stabilisierungsmechanismusgesetz die vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestags notwendig.
Die Auszahlung der anstehenden Tranche ist der nächste Schritt. Es handelt sich insgesamt um drei Tranchen; die erste war Ende Juni vorgesehen, die zweite Ende September, die dritte Ende Dezember. Die Auszahlung dieser Tranchen ist abhängig von der erst im Dezember vorliegenden Schuldentragfähigkeitsanalyse. Das war vor einem Jahr genauso der Fall, weil wir auch dort erst das Ergebnis des Schuldenerlasses der Privatgläubigerbeteiligung abwarten mussten, um die Schuldentragfähigkeitsanalyse durch die Troika erstellen lassen zu können.
In diese Analyse muss das Ergebnis des Schuldenrückkaufprogramms eingehen, und das Ergebnis kennen wir heute noch nicht. Auf der Grundlage dieses Ergebnisses kann dann die Troika die Empfehlung über die Auszahlung der Programmtranche aussprechen. Davon ist dann nach unseren Gesetzen der Haushaltsausschuss zu unterrichten, und ihm ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wobei das Plenum die Stellungnahme an sich ziehen kann. So ist die Rechtslage.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allen von mir genannten Maßnahmen geht es in Wahrheit nicht allein um Griechenland. Die potenziellen Auswirkungen eines griechischen Defaults auf andere Euro-Länder und den Euro-Raum wären gravierend. In Wahrheit wären die Konsequenzen gar nicht absehbar. Es könnte ein Prozess in Gang gesetzt werden, an dessen Ende der ganze Euro-Raum auseinanderbrechen würde. Deshalb tun wir zusammen mit unseren Partnern alles, was in unserer Kraft steht, um Griechenland die notwendigen Anpassungen zu erleichtern.
Die Probleme Griechenlands können nicht - ich sage es noch einmal - über Nacht gelöst werden. Das Anpassungsprogramm läuft noch zwei Jahre, und wenn danach ein weiterer Finanzbedarf bestehen sollte, dann werden wir Griechenland - das haben wir schon vor einem Jahr erklärt - zur Wiedererlangung des Marktzugangs weiter Hilfestellung geben, unter der Voraussetzung, dass Griechenland die Programmauflagen uneingeschränkt erfüllt.
Wir befolgen bei alledem eine Politik, die mit möglichst geringen Risiken und möglichst geringen Kosten für Deutschland und Europa Griechenlands Haushalt und Wirtschaft saniert. Es ist Ziel und es muss auch Ziel bleiben, dass Griechenland eines Tages seine Schulden wieder allein tragen kann und dass Griechenland von den Märkten wieder als Kreditnehmer akzeptiert wird.
Die Bundesregierung weiß um die Opfer, die das Programm der griechischen Bevölkerung auferlegt. Es wäre unredlich, so zu tun, als könnte sich die Lage in Griechenland schnell verbessern. Deshalb war für uns von Anfang an wichtig, dass die Entscheidung auch zu schmerzhaften Reformen vom griechischen Souverän, also dem griechischen Volk, getragen wird. Das ist durch die beiden Wahlen geschehen.
Ich will daran erinnern, dass ich schon vor zweieinhalb Jahren von dieser Stelle aus gesagt habe: Die griechische Bevölkerung muss eine schwere Last tragen. - Es ist auch sehr die Frage, ob das alles in Griechenland gerecht und fair ist. Aber wenn die griechische Bevölkerung bereit ist, die Last zu tragen - es ist ihre Entscheidung -, dann werden wir ihr dabei helfen. Genau das ist jetzt die Lage, und die Voraussetzungen sind gegeben.
Im Übrigen gibt es für den Reformprozess Griechenlands keine Blaupause, so wenig, wie wir vor etwas mehr als 20 Jahren die Blaupause für den Transformationsprozess in Deutschland und Europa hatten. Aber wenn wir von Anfang an die von einigen immer noch geforderte schnelle, große Lösung praktiziert hätten, dann wären die Anreize für Griechenland, Reformen umzusetzen, entfallen, und die bisherigen Fortschritte wären dann nicht eingetreten.
Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, werden wir auch weiterhin nur Schritt für Schritt vorgehen können, und wir werden Schritt für Schritt vorgehen. Nur mit diesem schrittweisen Vorgehen werden wir beides erreichen: die Kosten und Risiken zu begrenzen und für die Fortsetzung des Anpassungsprozesses in Griechenland zu sorgen.
Natürlich kostet die Unterstützung des griechischen Reformprozesses Geld; aber ohne unsere Unterstützung würde nicht nur die Zukunft Griechenlands auf dem Spiel stehen, sondern die Zukunft des Euro-Raums insgesamt. Es geht darum, unser gemeinsames Europa zu erhalten - unseren gemeinsamen Wohlstand. Nur in einem geeinten Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen, das immer noch der weltgrößte Wirtschaftsraum ist, haben wir - auch wir Deutschen - eine Chance, uns im globalen Wettbewerb zu behaupten.
Im Wettbewerb der Systeme und der Volkswirtschaften können wir nur als Wirtschaftsgemeinschaft und nur mit einer stabilen gemeinsamen Währung konkurrieren. Man überlege sich: Wenn wir heute den Euro nicht hätten, der immerhin 25 Prozent der Weltwährungsreserven ausmacht, dann hätten wir ganz andere Probleme, übrigens nicht zuletzt in Deutschland. Wir würden wahrscheinlich unter massiven Auf- und Abwertungen in Europa leiden, und unsere wirtschaftliche Lage und unser Arbeitsmarkt wären dramatisch schlechter.
Deshalb muss man unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die bei all dem natürlich fragen: „Wisst ihr, was ihr tut und was ihr verantwortet?“, gelegentlich auch sagen - das muss man wieder und wieder sorgfältig begründen -: Niemand profitiert von Europa mehr als wir Deutschen,
wirtschaftlich und politisch ohnedies.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in die Zukunft Europas investieren, wenn wir für ein starkes Europa arbeiten, dann investieren wir in unsere eigene Zukunft. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu meinem Antrag.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion.
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Irgendwie ist es auch rührend, Herr Schäuble, dass Sie uns, die Opposition, jetzt daran erinnern wollen, dass Griechenland zu retten ist bzw. warum und mit welchen Instrumenten. Vielleicht habe ich in den vergangenen zwei Jahren etwas verpasst. Aber wenn ich mich recht erinnere, Herr Schäuble, dann waren es über lange Zeit nicht Sie, die Regierungsfraktionen, die für den Verbleib Griechenlands in der Währungsunion geworben haben. Das waren andere hier im Hause.
Da waren doch viele in den Regierungsfraktionen über Monate dem Stammtisch heftig auf der Spur. Wir sagen Ihnen seit zweieinhalb Jahren beständig und unverändert: Wer täglich mit dem Rausschmiss Griechenlands unterwegs ist, gefährdet das, worauf wir angewiesen sind: die Währungsunion als ganze. - Das war vor zweieinhalb Jahren schon so. Insofern brauchen wir da keine Belehrungen.
Noch vor vielen Monaten, noch vor zwei Jahren bekamen viele auf der anderen Seite des Hohen Hauses leuchtende Augen, wenn es um den Rausschmiss Griechenlands, wenn es um Griechenland-Bashing ging. Alles fing an mit: Kein Cent für Griechenland! Im Sommer hieß es dann: Lasst uns Griechenland aus der Euro-Zone entfernen, dann wird in Europa alles wieder gut! So redeten in unverantwortlicher Weise viele von Ihnen; die meisten im Hintergrund und im kleinen Kreis. Manche - Herr Dobrindt, Herr Seehofer, Herr Söder, auch Herr Rösler - redeten öffentlich darüber. Ob es Unerfahrenheit oder Profilierungssucht war: Sie redeten jedenfalls unverhohlen und öffentlich darüber.
Die Regierung - auch Sie, Frau Merkel - hat diese Debatte über den Sommer hinweg in unverantwortlicher Art und Weise laufen lassen. Über Wochen hinweg hörte man aus dem Kanzleramt nicht einen einzigen Ton dazu. Wenn man heute in die Boulevardpresse schaut, dann sieht man, wie über Griechenland und über Europa geschrieben wird, und dann kann man feststellen, dass der Ungeist, den Sie selbst beschworen haben, nicht mehr in die Flasche zurückzukriegen ist. Das ist auch Ihre Verantwortung, Frau Merkel.
Abwarten und zuschauen, wie sich die Dinge entwickeln, mag manchmal gut für den Koalitionsfrieden gewesen sein. Für unser Ansehen in Europa, für Deutschlands Ansehen in Europa war es das nicht. Deshalb sage ich: Politische Haltung sieht anders aus.
Herr Schäuble, wenn ich heute von Ihnen andere Töne höre, dann nehme ich das erstens zur Kenntnis und werde Sie zweitens dafür nicht kritisieren. Ich sage nur: Es ist gut, dass Sie in der Koalition gerade noch die Kurve gekriegt haben. Besser wäre gewesen, wir hätten solch klare Worte schon im Sommer von Ihnen gehört. Aber Sie haben nicht einmal zugehört: uns nicht, einem Teil der Ökonomen nicht, den europäischen Partnern nicht und, Herr Schäuble, vor dem Sommer nicht einmal Ihrer Geburtstagsgratulantin Frau Lagarde. Alle haben Ihnen gesagt: Das, was ihr hier in Deutschland diskutiert, ist nicht europäische Verantwortung. Das sind nicht einmal deutsche Interessen. Das, was bei Ihnen propagiert wird, ist schlicht ökonomischer Harakiri. Ökonomische Vernunft wurde über Wochen hinweg auf dem Altar des Populismus geopfert. Die Verbeugung vor der Volksseele war Ihnen wichtiger, einer Volksseele, die Sie zunächst erst hochgekocht haben.
Das Schlimme ist, dass auch diejenigen, die sich so geäußert haben, wussten - das unterstelle ich -, dass es nie nur um Griechenland ging, auch nicht nur um den Euro, sondern dass es immer um den Bestand der Währungsunion als ganze ging. Hätte man sie in diesen Monaten gewähren lassen, hätte keiner hier zu Hause und bei den europäischen Nachbarn widersprochen, hätten wir die Brandstifter gewähren lassen, dann hätten die Söders, Dobrindts und viele andere leichtfertig den ersten Dominostein gekippt, was einen Flächenbrand in ganz Europa ausgelöst hätte. Daran darf doch einmal erinnert werden.
Ich will einräumen, Herr Schäuble: Sie waren derjenige und lange der Einzige in der Regierung, der das böse Finale dieses politischen Bühnenstücks erahnt und wahrscheinlich befürchtet hat. Was wir heute über die Zukunft Griechenlands in der Währungsunion sagen, klingt anders als fast alles, was wir über den Sommer aus Ihrer Koalition gehört haben. Das ist gut.
Aber dann verließ Sie auch schon wieder Ihr Mut; dann sind Sie leider auf halbem Wege stehen geblieben. Eine ehrliche Haltung heute wäre gewesen, zu sagen: Leute, es ist richtig, Griechenland zu helfen. Es ist auch richtig, Griechenland dabei etwas abzuverlangen. Aber unsere Annahmen über die schnelle Gesundung Griechenlands, unsere Versicherungen über die schnelle Rückzahlung von gewährten Krediten waren falsch. Wir haben uns verkalkuliert. Die Rettung Griechenlands kostet Geld, auch das des deutschen Steuerzahlers. - Herr Schäuble, ich verlange nicht, dass Sie sagen: Die Sozis haben recht. Aber ich erwarte schon, dass Sie sagen: Wir haben uns geirrt, und zwar gewaltig.
Heute wäre Gelegenheit gewesen, sich ehrlich zu machen und den Menschen die ganze Wahrheit zu sagen, die schlicht und einfach darin besteht, festzustellen, dass weder Griechenland noch Europa allein über Kredite, Bürgschaften und Garantien zu retten sind. Die schlichte Wahrheit ist, dass die Rettung Europas echtes Geld kostet, auch unser Geld kostet. Genau vor dieser Wahrheit schrecken Sie zurück, weil Ihnen der Mut fehlt, weil Sie Angst vor Ihren eigenen Leuten haben, Angst vor der Niedersachsenwahl, Angst vor der Bundestagswahl.
Ich darf daran erinnern: Mit Angst vor einer Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen fing Ihr schwankender Kurs zur Euro-Rettung an.
Die Krise kleinreden, Lösungen über Wahltermine hinwegschieben, das gehört bei Ihnen seitdem einfach zum Repertoire. Damit mögen Sie von den Taktikern des politischen Kleinkriegs sogar Beifall bekommen, Herr Schäuble, der Dimension der Krise, die wir in Europa in der Tat haben, werden Sie damit nicht gerecht.
Warum sage ich das? Weil ich mich an den Eiertanz erinnere, den Sie selbst am Dienstag laut Medienberichten vollführt haben. Erst haben Sie im Fernsehen gesagt, die ganze Vereinbarung der Finanzminister in der Nacht von Montag auf Dienstag koste den Steuerzahler keinen Cent. Dann wurde nachgeschoben, es gebe jedenfalls keine zusätzlichen Ausgaben, sondern es gehe nur um Mindereinnahmen. Dann haben wir ungläubig nachgefragt. Dann hieß es, 730 Millionen Euro koste das Ganze, aber das sei ja kein frisches Geld, sondern das gehe nur vom Bundesbankgewinn ab. Erst als Herr Weidmann am Mittwoch erklärte, von ihm sei jedenfalls mit keiner Überweisung zu rechnen, wurde klar, dass es doch um neues, um frisches Geld geht. Dazu, wie Sie das aufbringen wollen, hat auch der Haushaltsausschuss gestern nichts Genaues erklärt. Wir haben einem Brief von Ihnen entnommen, es könnte um die Größenordnung von 2,7 Milliarden Euro gehen.
Ich sage Ihnen nach diesen drei Tagen, die wir hinter uns haben, ganz ehrlich: Ich kann den Ärger meiner Haushälter gut verstehen. Abgesehen davon, dass man mit Parlamentariern so nicht umgeht - das ist das eine -,
darf ich für die SPD hier im Deutschen Bundestag sagen: Bei dem Maß an Verantwortung, das dieses Parlament in europäischen Angelegenheiten bisher gezeigt hat, ist das auch unverständlich, unfair und nicht angemessen, Herr Schäuble.
Ich muss Ihnen auch sagen: Der Ärger über den Umgang mit dem Parlament geht leider auch über den Kreis der Haushälter hinaus. Warum? Aus unserer Perspektive sieht das doch so aus: Da sitzen die Finanzminister auf der europäischen Ebene wochenlang zusammen. Sie treffen sich im Wochenabstand. Die Diskussion dreht sich im Kreis. Man geht ohne Einigung auseinander. Das geht über Wochen so. Dann bekommen wir am Dienstag ein in vieler Hinsicht noch offenes Verhandlungsergebnis auf den Tisch, dazu noch ohne die erklärenden Unterlagen. Und dann wird gesagt: Aber spätestens am Donnerstag dieser Woche wird entschieden - hopp oder top!
Es wäre das Mindeste gewesen, Herr Schäuble, Frau Bundeskanzlerin, an einer Verabschiedung des Antrags schon am Donnerstag dieser Woche nicht festzuhalten. Sie müssen einfach zugeben: So kann man mit einem Parlament dauerhaft nicht umgehen. Das überfordert nicht nur die Parlamentarier, das ist auch kein anständiger Umgang mit diesem Hohen Haus.
Ich bin der Letzte, der nicht weiß, dass es im europäischen Geschäft oft um schnelle Entscheidungen geht, leider erst recht in den Fällen, in denen wir versuchen, den Finanzmärkten mit Politik zuvorzukommen. Aber die Finanzminister selbst haben doch das ganze Paket unter den Vorbehalt gestellt - lesen Sie sich den Beschluss noch einmal durch -, dass das griechische Schuldenrückkaufprogramm tatsächlich funktioniert. Ob es funktioniert, wissen wir am 13. Dezember 2012. Frühestens am 13. Dezember wissen wir auch, ob und in welchem Umfang sich der IWF an diesem Programm beteiligt. Was hätte also dagegengesprochen, in zwei Stufen zu verfahren, also jetzt das Schuldenrückkaufprogramm zu eröffnen und im Dezember abschließende Entscheidungen zu fällen?
Sie haben sich mit Ihrer Mehrheit anders entschieden. Das dürfen Sie.
Aber ich darf Ihnen sagen: Ihre ganzen Einwände zum Verfahren haben mich nicht überzeugt. Wir erwarten, dass Sie nach dem 13. Dezember hier im Bundestag eine Bewertung des Rückkaufprogramms vorlegen, die Wirkung auf die Schuldenentwicklung Griechenlands vortragen und ausdrücklich die Beteiligung des IWF an diesem Programm versichern. Darauf kommt es uns an.
Was das Schuldenrückkaufprogramm angeht: Auch da vollführen Sie seit Dienstag einen Eiertanz. Herr Schäuble hat wolkig erklärt: Das Programm wird finanziert aus EFSF-Mitteln. Das mag ja sein; dagegen will ich gar nichts sagen. Nur: Auch das Geld fällt am Ende ja nicht vom Himmel. Was Sie jetzt vorschlagen, ist auf der einen Seite ganz einfach, auf der anderen Seite aber auch hart am Rande der Seriosität. Sie nehmen nämlich einfach das Geld aus dem EFSF-Topf, das für spätere Zeiten vorgesehen ist. Dabei verschweigen Sie, dass dieses Geld am Ende fehlen wird und dass damit ein drittes Griechenland-Paket umso wahrscheinlicher wird.
Ich hoffe, das haben Sie wenigstens den Regierungsfraktionen gesagt; sonst fallen die demnächst wieder aus allen Wolken.
Seit den Tagen, als „Kein Cent für Griechenland“ noch schick war und als der Rausschmiss aus der Währungsunion schon populär war, mussten viele Ihrer Leute bis zur heutigen Abstimmung einen weiten Weg gehen. Sie wissen genau: Das, was Sie heute vorlegen, ist noch keine nachhaltige Lösung für Griechenland. Bis 2022 wird diese Lösung sowieso nicht tragen. Das ist auch keine Lösung, die bis 2016 trägt.
Herr Schäuble, Sie haben Zeit gekauft - das ist wichtig genug -, vielleicht ein paar Monate, vielleicht ein, zwei Jahre für Griechenland. Vor allem aber gewinnen Sie Zeit für sich selbst, um der Koalition unangenehme Wahrheiten und noch unangenehmere Entscheidungen zu ersparen.
Ich werde in diesen Tagen von Journalisten gefragt, ob die SPD für den Schuldenschnitt sei. Ich antworte dann immer: Was ist das für eine Frage? Die SPD sähe Europa am liebsten ohne Krise, wirtschaftlich stabil, politisch erfolgreich.
Aber die Krise ist da, auch wenn Sie sich darüber lustig machen.
Sie stellen jetzt fest, dass Ihr Werkzeugkasten inzwischen leer ist. Sie wissen, dass die Basiszahlen für Griechenland auch ohne Ihre Luftbuchungen am Ende auf einen Schuldenschnitt hinauslaufen. Sie aber scheuen diese Wahrheit wie der Teufel das Weihwasser,
so wie Sie alle Wahrheiten gescheut haben, die sechs Monate später dann doch eintraten.
Ich erinnere an Draghis Ankündigung, dass die Europäische Zentralbank Schuldtitel aufkaufen werde. Ich erinnere daran, dass Draghi als Person und diese Ankündigung aus den Reihen der Regierungsfraktionen damals öffentlich verhetzt wurden. Sechs Monate später, Frau Bundeskanzlerin, war das, was Draghi angekündigt hatte, auch das Mittel Ihrer Wahl.
Genauso können Sie jetzt das verschieben, was am Ende ökonomisch unvermeidlich sein wird. Sie können es verschieben über Weihnachten, über die Niedersachsenwahl, über die Bayernwahl, über die Bundestagswahl. Eines jedoch sage ich Ihnen mit aller Klarheit: Der Schuldenschnitt wird zwar jetzt verschoben, aber irgendwann wird es dazu kommen, und dann werden wir Sie aus Ihrer Verantwortung dafür nicht entlassen, meine Damen und Herren.
Jetzt heißt es bei Ihnen wie schon so oft: Bis hierher und nicht weiter. - Wir haben das schon einmal gehört. Der unvermeidliche Söder sagt, ein Schuldenschnitt wäre der Dammbruch. Meine Damen und Herren, das ist immer dieselbe Methode: Haltet den Dieb! Schuld sind andere, im Zweifel die Opposition. Mit den schlechten Nachrichten wollen wir nichts zu tun haben. - Wer regiert eigentlich in diesem Lande? Man hat den Eindruck, Sie hätten damit nichts zu tun.
Wir könnten es uns in dieser Situation sehr leicht machen und sagen: Das, was Sie da vorgelegt haben, ist halbherzig und mutlos. - Wir könnten es uns sehr leicht machen und sagen: Sie gehen weiterhin von falschen Annahmen aus, und die endgültigen Kosten werden verschleiert. - Wir könnten uns das alles sehr leicht machen, weil Sie sich im Kern immer noch an dem Punkt vorbeidrücken, dass die Rechnung am Ende auch dem deutschen Steuerzahler präsentiert wird. Argumente für die Ablehnung, meine Damen und Herren, liefern Sie zuhauf.
Wir hatten dazu in der Fraktion eine schwierige und - das sage ich Ihnen auch - hochstreitige Debatte; das ist Ihnen nicht verborgen geblieben. Ich verstehe jeden aus meiner Fraktion, dem die Entscheidung nicht leichtfällt. Aber wir haben uns gemeinsam entschlossen, nicht den einfachen Weg zu gehen, sondern jenseits aller innenpolitischen und parteitaktischen Überlegungen zu unseren Werten, zu unseren Überlegungen und zu unseren Überzeugungen zu stehen.
Wir benoten heute nicht eine Koalition in Berlin, die seit Jahren zwischen europäischer Verantwortung und antieuropäischem Geschwätz schwankt. Wir Sozialdemokraten machen nicht Politik für den Tag, sondern wir denken in langen Linien. Wir bleiben unserer europäischen Verantwortung treu. Wir können die Griechen nicht im Stich lassen, die in diesen Tagen, in den letzten Monaten harte Opfer auf sich genommen haben und die jetzt, in der Stunde der Not, von uns erwarten dürfen, dass wir das Wort von der europäischen Solidarität auch einhalten.
Meine Damen und Herren, für uns bleiben europäische Integration und gemeinsame Währung unschätzbar hohe Werte. Wenn dieses Paket, so unvollständig und halbherzig es sein mag, dazu beiträgt, Griechenland jedenfalls jetzt vor dem Konkurs zu bewahren und wenigstens auf Sicht den Flächenbrand in der Währungsunion zu verhindern, dann werden wir es nicht aufhalten. Wir werden mehrheitlich zustimmen. Aber unsere Kritik bleibt, und wir werden sie öffentlich äußern. Sie werden am Ende sehen: Wir werden auch in diesem Punkt nach und nach recht bekommen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
Rainer Brüderle (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschließen heute einen Antrag des Bundesfinanzministers zum letzten Gipfel der Euro-Gruppe. Dieser Antrag ist Voraussetzung, Mandat für die Beschlussfassung auf europäischer Ebene. So sieht es unsere hart erkämpfte Parlamentsbeteiligung vor. Wir können stolz darauf sein, dass das Parlament hierüber entscheidet.
Die Finanzminister, die Europäische Zentralbank und der IWF haben festgestellt, dass Griechenland die Auflagen, die sogenannten Prior Actions, erfüllt hat.
Die Reformmaßnahmen verlangen der Bevölkerung Griechenlands große Opfer ab. Die Deutschen fühlen zu Recht mit, wenn sie Bilder aus griechischen Krankenhäusern, wenn sie Berichte über die Situation in Griechenland sehen. Was Griechenland durchmacht, ist eine bittere Therapie; aber die Reformmaßnahmen sind notwendig. Jahrzehntelang wurde der öffentliche Sektor aufgebläht. Wir können dort beobachten, was es für den sozialen Frieden bedeutet, wenn zu lange auf den Staat gesetzt wird und wenn nicht genügend Arbeitsmöglichkeiten außerhalb des öffentlichen Sektors vorhanden sind.
Gesellschaften mit wenigen privaten Unternehmen neigen zum Erlahmen, Gesellschaften mit gar keinen privaten Unternehmen neigen zum Sterben.
Es gibt einige hier im Hause, deren Ideal die Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist.
Der Versuch, unternehmerische Freiheit, unternehmerisches Denken durch Fünfjahrespläne zu ersetzen, ist grandios gescheitert.
Auch ein Sozialismus light mit 100 Milliarden Euro Vermögensabgabe, höheren Steuern und unrealistisch hohen Sozialausgaben führt zu Lähmungstendenzen der Gesellschaft. Griechenland sollte für all diejenigen eine Warnung sein, die auf höheren Staatsanteil, auf weniger Exporte und auf mehr Umverteilung setzen. Das hat noch nirgendwo geklappt.
Griechenland steuert um, Griechenland will mehr Wettbewerbsfähigkeit erreichen, und Griechenland braucht mehr Zeit für die Absenkung der Verschuldung. Das hat die Euro-Gruppe festgestellt. Zwei Eckdaten sind entscheidend: zum einen der sogenannte Primärüberschuss, der sich errechnet aus den Einnahmen minus den Staatsausgaben ohne Schuldendienst. Als Ziel für die Erreichung eines Primärüberschusses ist von der Euro-Gruppe jetzt das Jahr 2016 festgelegt worden. Der andere Punkt ist die Schuldentragfähigkeit. Das ist vor allem für den IWF wichtig, weil er nur Länder unterstützen darf, die eine Perspektive auf eine Schuldentragfähigkeit haben. Es ist nicht selbstverständlich, dass der IWF so lange und auf Dauer dabeibleibt. Aber auch Länder wie Indien, China und Brasilien überlegen sich, welchen Beitrag sie zur Lösung der Probleme Europas leisten können, soweit sie nicht andere Verpflichtungen im Blick behalten müssen.
Es wurde ein Kompromiss bei der Schuldentragfähigkeit erreicht. 2020 soll eine Verschuldung von 124 Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht werden. 2022 soll die Schuldenquote bei unter 110 Prozent liegen. Das ist ambitioniert, aber machbar.
Die Finanzminister haben sich auf einen Mix von Maßnahmen verständigt: zum Beispiel auf eine Zinssenkung der Kredite aus dem ersten Griechenland-Paket; Herr Steinmeier, damals haben Sie sich kraftvoll enthalten.
Der deutsche Anteil wurde über die KfW finanziert. Es ist also so geregelt, dass wir eine schwarze Null schreiben. Dennoch ergibt sich für den Bundeshaushalt ein Margenverlust durch entgangene Zinseinnahmen von 130 Millionen Euro. Griechenland wird eine Zinspause eingeräumt: Die Laufzeiten der EFSF-Kredite werden beim zweiten Griechenland-Paket um 15 Jahre verlängert; das heißt: Stundung, aber nicht Schenkung. Die Opportunitätskosten, wie das Ökonomen nennen, will ich einmal außer Betracht lassen. Die Gewinne der EZB aus den Griechenland-Anleihen werden über die Bundesbank weitergegeben. Die Bundesbank ist autonom; das heißt, sie legt selbst die Regeln fest, welche Gewinne sie macht. Deshalb hat der Finanzminister eine außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung für den Bundeshaushalt angesprochen.
Der Kanzlerkandidat der SPD müsste das Haushaltsrecht kennen. Er hat das früher in mindestens zwei Fällen selbst so gemacht: beim Gebäudesanierungsprogramm und bei den Phoenix-Ausgleichsmaßnahmen. In seiner Rede letzte Woche verlangte er nun, einen neuen Haushalt aufzustellen. Das halte ich für Aufgeblasenheit.
Es geht um ein verzweifeltes Ablenkungsmanöver des Kanzlerkandidaten. Ich höre, es soll Genossen geben, die ihn „Problem-Peer“ nennen. Da scheint jedes Mittel recht zu sein, um von diesem Problem abzulenken.
Wo ist denn der Plan des Oberweltökonomen Peer Steinbrück für die Rettung der Euro-Zone? Sie erzählen viel, aber ein Konzept haben Sie nicht. Sie haben letzte Woche zum Zeitaufschub Griechenlands erklärt, Sie seien noch zu keinem Ergebnis gekommen, wüssten noch nicht, was Sie machen würden. Sie würden ja auch nicht mit den Regierungschefs an einem Tisch sitzen. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, was das in diesem Zusammenhang bedeutet: Sie haben keine Position. Unter Steinbrück wäre Deutschland ohne Position, ohne Konzept, ohne eigenen Kompass in die Verhandlungen gegangen. Ich weiß nicht, ob die europäischen Partner sich darüber freuen würden oder eher geschockt wären.
Die Augen Europas und der Welt richten sich auf Deutschland, und Steinbrück will in einer solchen Situation eine Politik des positionslosen Stuhls betreiben. Das kann man bei einem Atrium-Talk bei den Bochumer Stadtwerken machen, aber nicht bei verantwortlicher Politik.
Es soll ein Programm zum Rückkauf eigener Anleihen durch Griechenland geben. Da sind Flexibilitäten eingebracht worden, weil man nicht weiß, in welchem Umfang das realisiert werden kann.
Das hat man bei der privaten Gläubigerbeteiligung übrigens genauso gemacht. Damit hat man gute Ergebnisse erzielen können.
Für meine Fraktion sind einige Dinge besonders wichtig: Wir bewegen uns innerhalb der bestehenden Hilfsprogramme. Wir verändern die Zeitachse, aber lassen im Reformdruck auf Griechenland nicht nach; das ist wichtig. Es bleibt bei einer klaren Konditionierung: Es wird ein Sperrkonto für die Mittel eingerichtet, und die Reformfortschritte werden durch die Troika festgestellt; sie sind die Basis für die weitere Auszahlung. Entscheidend ist für uns, dass der IWF weiter an Bord ist, weil er international großes Ansehen hat und über die meiste Expertise verfügt.
Der Bundesfinanzminister hat immer wieder eindringlich darauf hingewiesen: Ein Schuldenschnitt ist rechtlich derzeit in Deutschland, aber auch in einigen anderen europäischen Ländern nicht möglich.
Diese Rechtsauffassung wird übrigens vom Kanzlerkandidaten der SPD geteilt.
Über Einlassungen der Opposition in diesem Zusammenhang muss ich mich schon wundern. Sie stellen sich hier hin und behaupten, mehr für Griechenland tun zu wollen, einen sofortigen Schuldenschnitt vornehmen zu wollen. Sie sollten mit den Zusammenhängen besser vertraut sein: Die Rettungsschirme zahlen derzeit die Kredite an Griechenland aus. Dafür garantieren die Mitgliedstaaten, auch Deutschland. Dies müsste sofort gestoppt werden, wenn ein Schuldenschnitt vereinbart würde; das ist die allgemeine Einschätzung, auch die des Bundesfinanzministers. Das könnte niemand vertreten. Was zu einem späteren Zeitpunkt eintreten kann,
kann heute keiner mit Sicherheit sagen, selbst Herr Trittin nicht. Ich formuliere es einmal so: Es gibt nicht nur einen Londoner Club für private Schuldenschnitte, sondern auch einen Pariser Club für öffentliche Schuldenschnitte. Das sollte man im Hinterkopf behalten.
Es ist auch nicht auszuschließen - Stand heute -, dass die Maßnahmen in Sachen Griechenland weiteres Geld kosten werden.
Mittlerweile sind wir alle Vertreter der Dominotheorie. Das heißt: Wenn ein Euro-Land fällt, fallen andere mit. Damit wären unvorhersehbare soziale, politische und gesellschaftliche Folgen verbunden. Das kann keiner wollen. Das Risiko kann man nicht eingehen. Deshalb sind diese Maßnahmen auf den Weg gebracht worden, und sie werden unterstützt.
Ich sage aber ganz klar: Griechenland ist ein Extremfall und kein Präzedenzfall. Wir kaufen hier Zeit. Dabei geht es aber weniger um Athen; es geht um Rom, Paris und Madrid. Das muss man in diesem Zusammenhang klar sehen. Diese Länder kämen schnell auf den Radarschirm der Finanzmärkte, wenn Griechenland kippen sollte.
Die OECD hat diese Woche vor einem Zerfall der Euro-Zone gewarnt. Neben den ungelösten Problemen der Vereinigten Staaten - Stichwort „Fiscal Cliff“ - ist das nach Ansicht der OECD die größte Gefahr für die Weltwirtschaft. Deutschland - auch das ist eine Feststellung der OECD - kommt dabei besser als alle anderen Länder über die Runden. Wir sind Hort der Stabilität. Deshalb haben wir guten Grund, diese Politik mit Geduld und Ruhe, wie es die christlich-liberale Koalition praktiziert, fortzusetzen.
Das wird so bleiben. Auch in der Vorweihnachtszeit nächsten Jahres werden wir diese Politik fortsetzen, weil das eine erfolgreiche, realistische Politik ist.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält jetzt die Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke.
Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Brüderle, wenn Sie sagen, dass wir stolz darauf sein müssen, dass in Deutschland immerhin noch das Parlament über Milliardenausgaben öffentlicher Haushalte entscheidet, dann ahnt man mit ziemlicher Sorge, worauf man sich in Zukunft noch einzustellen hat.
Zur Sache. Wenn ein Unternehmer immer neue Schulden macht, um damit eine Zahlungsfähigkeit vorzutäuschen, die es längst nicht mehr gibt, dann nennt man das im realen Leben Konkursverschleppung. Wer einen Konkurs verschleppt, der macht sich strafbar und kann dafür im schlimmsten Fall ins Gefängnis gehen.
Jeder weiß, dass Griechenland zahlungsunfähig ist und den riesigen Schuldenberg unmöglich aus eigener Kraft bedienen kann. Jeder weiß im Grunde auch, dass sich daran in Zukunft nichts ändern wird, dass die Situation vielmehr von Jahr zu Jahr und von Sparpaket zu Sparpaket dramatischer wird. Herr Schäuble, Sie können hier doch nicht im Ernst behaupten, es gäbe keinen Zusammenhang zwischen diesem Kürzungsprogramm und dem Wirtschaftseinbruch. Da ist der IWF inzwischen weiter.
Deshalb weiß auch jeder, dass es am Ende einen Schuldenschnitt geben wird und dass dieser Schuldenschnitt für Deutschland sehr teuer sein wird.
Die Linke hat diesen Schuldenschnitt übrigens schon 2010 gefordert. Damals hätte er den deutschen Steuerzahler noch nichts gekostet; denn damals hätten die Banken und die privaten Anleger diese Kosten tragen müssen. Heute fordern diesen Schuldenschnitt der IWF, die Europäische Zentralbank und sogar der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates, Lauk, der Ihnen mittlerweile die gleiche Klatsche gibt wie wir und von politischer Insolvenzverschleppung spricht. Hören Sie daher bitte auf, dieses Parlament und die Wählerinnen und Wähler für dumm zu verkaufen! Frau Bundeskanzlerin, und auch Sie, Herr Schäuble, Sie wissen doch ganz genau, dass wir heute nur deshalb über weitere Milliardensummen entscheiden und diese freigeben sollen, damit Sie nicht vor der Bundestagswahl zugeben müssen, dass Sie, Ihre Koalition und natürlich auch SPD und Grüne, die immer zugestimmt haben, Milliarden an deutschen Steuergeldern in den Sand gesetzt haben.
Damit der Bankrott Ihrer Griechenlandpolitik nicht offensichtlich wird, werfen Sie dem verlorenen Geld noch einmal Milliarden hinterher. Ich finde, das ist eine verantwortungslose Veruntreuung von Steuergeld.
Herr Steinmeier, wenn Sie sagen, dass auch Sie davon ausgehen, dass es einen Schuldenschnitt gibt, dann können Sie diesem weiteren Geldversenken doch nicht zustimmen. Es ist wirklich ungeheuerlich, dass Sie heute immer noch dabei sind.
Wir reden hier nicht über Peanuts. Die Gelder eingerechnet, die jetzt freigegeben werden sollen, sind binnen zwei Jahren fast 200 Milliarden Euro an vermeintlichen Griechenlandhilfen geflossen. Gleichzeitig wurde dem Land das brutalste Kürzungsprogramm zulasten von Arbeitnehmern, Familien, Kindern, Arbeitslosen und Rentnern diktiert, das je in einem Euro-Land durchgesetzt wurde. Im Ergebnis sind die griechischen Schulden heute um 60 Milliarden Euro höher als vor dem ersten Hilfspaket. Wenn das kein Bankrott Ihrer Politik ist, was ist es dann?
Alle Prognosen, mit denen Sie arbeiten, bestehen aus Lügenzahlen. Das ist doch alles Augenwischerei. Griechenland hat seit Beginn seiner angeblichen Rettung 20 Prozent seiner Wirtschaftskraft verloren. Für das nächste Jahr ist ein weiterer Einbruch von 8 Prozent vorhergesagt. Die griechischen Arbeitslosenzahlen sind vor allem für junge Menschen eine einzige Tragödie. Dieses Land wird auf absehbare Zeit keine Überschüsse erwirtschaften, und mit jedem neuen Sparpaket wird die Situation nur noch schlimmer.
Seit letztem Montag haben sämtliche Apotheken in Thessaloniki geschlossen, weil die Regierung seit Monaten kein Geld mehr für Medikamente erstattet. Die Busse fahren nicht mehr, weil die Regierung ihre Schulden bei den Busunternehmen nicht bezahlt. Dieses Land liegt am Boden. Eine rabiat faschistische Partei mit Naziparolen und Schlägertrupps sonnt sich in wachsenden Umfragewerten, und Sie tun so, als müsse man nur weitermachen wie bisher, die Daumenschrauben noch ein bisschen mehr anziehen und noch ein paar Milliarden drauflegen, dann würde es auf wundersame Weise irgendwann wieder aufwärtsgehen. Ich sage Ihnen: Das Einzige, das aufwärtsgeht - und dies sehr zuverlässig -, sind nach wie vor die griechischen Schulden. Das Einzige, das Sie mit diesen endlosen Milliarden, die Sie hier immer wieder verpulvern, erreichen, ist eine Befreiung der privaten Gläubiger Griechenlands, der Banken, der Hedgefonds und der anderen Spekulanten, von ihrer Verantwortung und von allen Verlusten; denn dorthin fließt das Geld und nicht an den griechischen Staat.
Tatsächlich haben wir in diesem Parlament noch kein einziges Mal über echte Griechenlandhilfen entschieden; wir entscheiden immer nur über Hilfen für Banken und Spekulanten. Selbst die vermeintliche Gläubigerbeteiligung war - das sieht man, wenn man die Ergebnisse betrachtet - eigentlich eher eine Gläubigersanierung; denn überraschenderweise - oder auch nicht überraschenderweise - haben sich die griechischen Schulden im Ergebnis so gut wie gar nicht reduziert. Das einzige Ergebnis ist, dass seither ein noch größerer Teil des Griechenlandrisikos vom europäischen Steuerzahler getragen wird.
Auch heute entscheiden wir nicht über Griechenlandhilfen. Wir entscheiden auch heute wieder über Hilfen für Banken und Spekulanten. Schauen Sie sich doch einmal an, wohin diese 35 Milliarden Euro, die Sie jetzt freigeben wollen, fließen sollen! 10 Milliarden Euro sind dafür bestimmt, privaten Investoren auch noch die letzten Griechenland-Anleihen abzukaufen, und zwar, wie üblich, zu völlig überhöhten Kursen. „Hedge-Fonds machen Kasse in Athen“ hat die Financial Times am Mittwoch getitelt, und sie hatte recht. Hedgefonds, die im Sommer griechische Anleihen gekauft haben, können mit Ihrem Rückkaufprogramm diese Anleihen jetzt mit sage und schreibe 42 Prozent Rendite wieder verkaufen.
Diese Traumrenditen der Spekulanten finanzieren Sie mit dem hart erarbeiteten Steuergeld der Bürgerinnen und Bürger. Sind Sie denn noch bei Sinnen?
Die Finanzmafia hat an Ihrer großartigen Euro-Rettung schon mehr als genug verdient. Ich meine, statt ihr immer neue Milliarden in den Rachen zu werfen, wäre es endlich an der Zeit, sie zu einem Totalverzicht zumindest auf den Teil der Griechenland-Anleihen zu zwingen, die sie noch nicht beim Steuerzahler abgeladen hat.
Aber auch der Rest des Griechenland-Pakets geht nicht an griechische Apotheken und Busunternehmen, geschweige denn an Menschen in Not. Dieser zweite Teil wird den griechischen Banken zur Verfügung gestellt, um ihre Kapitalausstattung zu verbessern. 25 Milliarden Euro sollen dorthin fließen. Warum hält man sich nicht an die Eigentümer und an die Gläubiger dieser Banken? Warum hält man sich nicht einmal an die griechische Oberschicht, die ihren riesigen Reichtum gerade dem korrupten griechischen System und damit auch den ganzen Schulden, die in den letzten Jahrzehnten gemacht wurden, verdankt?
Auch ich weiß, dass die griechischen Multimillionäre ihr Vermögen größtenteils außer Landes geschafft haben. Die griechischen Banken, die wir jetzt so großzügig beschenken wollen, waren an diesen Transaktionen aber nicht ganz unbeteiligt. Warum werden zum Beispiel Banken in der Schweiz, bei denen griechische Milliardenvermögen lagern, nicht unter Druck gesetzt, die entsprechenden Daten offenzulegen? Die USA haben es doch auch geschafft, zum Beispiel die Schweizer UBS zu einer Offenlegung sämtlicher Transaktionen zehn Jahre rückwirkend zu bewegen, übrigens sogar ohne den Einsatz von Kavallerie. Ist die Euro-Zone so viel schwächer als die USA, oder will man den griechischen Millionären gar nicht ans Geld, weil es, wie wir es auch in Deutschland sehen, zu Ihrem Politikstil gehört, lieber zehnmal der Mittelschicht in die Tasche zu greifen, als auch nur einmal bei den wirklich Reichen zuzulangen? Das ist doch Ihre Politik.
Diese feige Politik haben Sie von Anfang an auch in Griechenland betrieben. Wenn sich das nicht ändert, dann wird Griechenland weiter in den Abgrund taumeln, und der deutsche Steuerzahler wird verdammt hohe Kosten zu schultern haben. Wem wollen Sie diese absurde Politik eigentlich noch erklären?
Wem wollen Sie als christliche Partei erklären, dass Sie für irgendwelche Spekulanten den Weihnachtsmann spielen, während Sie gleichzeitig Geld für den Kauf eines Weihnachtsbaums aus den Hartz-IV-Regelsätzen gestrichen haben, weil das offenbar den Bundesetat überfordern würde?
Wem wollen Sie erklären, dass hier in Deutschland Straßen verrotten, Schulen verfallen und in Krankenhäusern Dauernotstand herrscht, weil die Länder und Gemeinden mit der sogenannten Schuldenbremse stranguliert werden, während Sie durch Beschlüsse wie den heutigen Deutschland immer tiefer in den Schuldensumpf treiben? Die Großzügigkeit, die Sie an den Tag legen, wenn es um die Sanierung gestrauchelter Finanzspekulanten in Griechenland, in Spanien oder eben auch hier zu Hause geht, möchte ich einmal erleben, wenn es um soziale Ausgaben geht, und da geht es in der Regel um sehr viel kleinere Beträge.
Mit den gut 700 Millionen Euro - in dieser Höhe wird der Bundeshaushalt 2013 durch die aktuellen Beschlüsse unmittelbar belastet - könnten Sie in der Bundesrepublik 20 000 Kitaplätze zusätzlich schaffen. Um die Studiengebühren in Niedersachsen zum Beispiel sofort abzuschaffen, bräuchten Sie gerade einmal 100 Millionen Euro.
Aber Kitas und Universitäten sind in einer marktkonformen Demokratie natürlich viel unwichtiger als Banken und Hedgefonds.
Abschließend noch etwas zum Verfahren. Es hat im Rahmen der angeblichen Euro-Rettung ja schon Tradition, über Milliardensummen im Eilverfahren zu entscheiden. Mit der Entscheidung heute ist der gerade letzte Woche beschlossene Haushalt schon wieder Makulatur, und die meisten von Ihnen ahnen, dass vieles von dem, was hier heute erzählt wurde, in kürzester Zeit auch wieder Makulatur sein wird. Ich frage Sie: Warum spielen Sie alle dann als brave Marionetten in dieser Fassadendemokratie mit und lassen eine Koalition weiter herumstümpern, die offenbar glaubt, die soziale Realität in Deutschland und Europa ließe sich genauso leicht frisieren wie der Armuts- und Reichtumsbericht?
Diese Frage geht natürlich vor allem an Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen. Ich erinnere mich noch gut, wie sich Herr Steinbrück hier vor einer guten Woche am Rednerpult aufgeblasen und die Europapolitik der Kanzlerin in der Luft zerrissen hat. Herr Steinmeier hat auch heute wieder den großen Kritiker gegeben. Aber was folgt daraus?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin!
Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss. - Nach SPD-Logik folgt offenbar daraus, sich erneut als brave Abnickerin des Merkel-Kurses zu betätigen. Auch diese Steuermilliarden werden wieder mit Zustimmung von SPD und Grünen versenkt.
Ich denke, das ist jämmerlich für Oppositionsparteien, vermeintliche, und es ist ein Trauerspiel für die Demokratie.
Die Linke jedenfalls wird auch diesmal gegen das verantwortungslose Verbrennen von Steuergeldern und gegen den bankenhörigen Europakurs der Kanzlerin stimmen, der Europa kaputtmacht, die Menschen gegeneinander aufbringt und auf jeden Fall verantwortungslos gegenüber dem europäischen Projekt und den europäischen Ideen ist.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist Volker Kauder für die CDU/CSU-Fraktion.
Volker Kauder (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben in der letzten Woche den Bundeshaushalt für das Jahr 2013 verabschiedet. Frau Kollegin Wagenknecht, offenbar ist Ihnen entgangen, was dort beschlossen wurde; denn so, wie Sie heute über unser Land geredet haben, kann man nur reden, wenn man wirklich keine Ahnung hat von dem, was dieser Deutsche Bundestag in seiner Mehrheit für dieses Land beschlossen hat und tut.
Ich erinnere einmal daran, weil Sie das Beispiel gebracht haben, dass es für zusätzliche Kitaplätze 580 Millionen Euro gibt. Allein der Zuschuss zur Rentenversicherung beträgt 80 Milliarden Euro. Mehr als 50 Prozent des Bundeshaushalts entfallen auf soziale Leistungen. Da brauchen wir uns von Ihnen solche Reden nicht gefallen zu lassen.
Aber jetzt zum heutigen Tag. Die Finanzminister in Europa haben in einer schwierigen Verhandlungsrunde nach Wegen gesucht, wie man eine Antwort auf die Herausforderung Griechenland finden kann. Das waren, wie gesagt, keine einfachen Verhandlungen. Ich muss auch heute noch einmal sagen: Ich bewundere Wolfgang Schäuble. Er hat eine ganze Nacht beraten, war aber am nächsten Morgen da, um allen Fraktionen zu erläutern, was auf europäischer Ebene geschehen ist.
Es ist auch nicht so, dass Wolfgang Schäuble am Dienstag überfallartig zu uns gekommen ist und uns zum ersten Mal mitgeteilt hat, was geschieht. Er hat regelmäßig auch Ihre Fraktion in Telefonschaltkonferenzen über den Stand der Diskussion informiert.
Niemand kann sagen, er sei nicht informiert gewesen.
Am Dienstag gab es die letzte Information.
Nur um die Dinge einmal auf den Punkt zu bringen, Herr Kollege Steinmeier: Wir haben von Anfang an angeboten, in dieser Woche zu entscheiden; ich komme gleich darauf zu sprechen, warum. Wir haben Sie gefragt, ob Sie bereit sind, am Donnerstag oder Freitag eine Entscheidung zu treffen. Da haben Sie uns gesagt: in dieser Woche gar nicht mehr. - Daraufhin haben wir gesagt: Auch wenn Sie nicht mehr in dieser Woche, sondern erst in der nächsten oder gar übernächsten Woche entscheiden wollen, sind wir bereit, es am Donnerstag zu tun. - Dann haben uns die Grünen gefragt, ob wir bereit sind, am Freitag zu entscheiden. Da habe ich gesagt: Okay, wenn ihr am Freitag mitmachen wollt, machen wir es am Freitag. - Es ist also ein Märchen, wenn behauptet wird, wir hätten gesagt: Es muss unbedingt am Donnerstag entschieden werden.
Wir haben nur gesagt: Wenn Sie nicht wollen, dann machen wir es am Donnerstag. - So einfach war die Sache; nur um bei der Wahrheit zu bleiben. Die Grünen haben gesagt, dass sie unabhängig von Ihnen am Freitag mitmachen würden. Darüber sollten Sie sich einmal Gedanken machen, damit das klar ist.
Jetzt zum Thema. Wir haben in Griechenland durchaus Erfolge zu verzeichnen. Allerdings sind wir noch nicht so weit, wie wir sein müssten. Ich kann nur sagen: Diejenigen, die davon reden, wir hätten Griechenland, wie Sie es formulieren, gleich am Anfang die Luft herauslassen und hätten Schuldenschnitte machen sollen, verkennen, dass nur auf dem Weg, den wir gegangen sind, die notwendigen Reformen eingeleitet werden konnten. Ich will Sie etwas fragen: Glauben Sie, dass die Regierung Samaras, die viel erreicht hat, dies erreicht hätte, wenn die Opposition in Griechenland hätte sagen können: „Ihr müsst euch gar nicht anstrengen; wir kriegen das Geld auch ohne eigene Anstrengungen“? Dann wäre überhaupt nichts geschehen. Deswegen war unser Weg richtig.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Griechenland etwas mehr Zeit braucht. Aber wir sagen auch: Diese Zeit muss genutzt werden, um voranzukommen. Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen und die Entwicklung in Europa und in Griechenland begleiten. „Schritt für Schritt“ heißt auch, zu akzeptieren, dass wir nicht über Instrumente reden, die vielleicht im Jahr 2020 zum Einsatz kommen könnten, sondern dass wir über das reden, was jetzt geschieht.
Manch eine Prognose, die jetzt mit Blick auf Griechenland abgegeben wird, muss man hinterfragen. Wie oft haben sich die Leute, die Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Land abgegeben haben, schon geirrt? Ich kann darüber nur schmunzeln: Wir haben die Prognose bekommen, dass wir im dritten und vierten Quartal 2012 mit einem Abschwung zu rechnen haben. Jetzt sagen die Leute, die diese Prognose abgegeben haben, dass im dritten Quartal nicht mit einem Abschwung zu rechnen ist. Das wissen wir aber alle selber; denn das dritte Quartal ist bereits vorbei.
Insofern kann ich nur sagen: Mit Prognosen sollte man vorsichtig sein. Wir sind auf der sicheren Seite, wenn wir sagen: Wir sind solidarisch mit Griechenland. Schritt für Schritt werden die weiteren Maßnahmen umgesetzt. Es wird nur dann eine Tranche freigegeben, wenn die Voraussetzung, dass etwas Bestimmtes getan wurde, erfüllt ist. Das war in Griechenland jetzt der Fall.
Im Übrigen muss klar sein: All diejenigen, die über irgendwelche Schuldenschnitte sprechen - völlig abwegig -, müssen wissen, dass sich in dem Fall auch andere Länder zu Wort melden würden. Was sollen denn Portugal und Irland dazu sagen? Frau Wagenknecht, Sie reden einen solchen Unsinn daher und wissen gar nicht, welche Konsequenzen das hat.
Deswegen kann ich nur sagen: Der Weg, den wir gehen, ist richtig.
Wir müssen in Europa die Wettbewerbsfähigkeit aller europäischen Länder voranbringen. Wir sehen doch, wie der Wettbewerb weltweit läuft. Allein in Shanghai werden jedes Jahr mehr Akademiker mit ihrem Studium fertig als in ganz Europa. Wir sehen doch, was dieser Wettbewerb bedeutet. Wir werden diesen Wettbewerb nur bestehen, wenn wir alle in Europa vorankommen. Dieser Weg wird jetzt gegangen, und zwar nicht nur in Griechenland. Alle müssen diesen Weg mitgehen, und jeder muss schauen, dass er bei der Wettbewerbsfähigkeit vorankommt. Das wird jetzt unterstützt.
Dass wir heute darüber beraten, zeigt auch, dass wir uns im Deutschen Bundestag unserer Verantwortung bewusst sind. Wir alle hier im Deutschen Bundestag haben damals, als es um die Parlamentsbeteiligung ging, gesagt: Wir wissen, dass uns dies im einen oder anderen Fall viel abfordern wird, weil wir nicht Beratungszeiten von mehreren Wochen in Anspruch nehmen können. - Das ist auch dieses Mal so. Wir haben aber auch gesagt, dass wir als Deutscher Bundestag bereit sind, uns in die Dinge hineinzuknien und die notwendigen schnellen Entscheidungen herbeizuführen. Niemand in Europa soll sagen können: Weil sich die Deutschen nicht ernsthaft um die Dinge bemühen, kommen wir nicht voran. - Das ist auch ein wichtiges Signal an die Märkte. Deshalb ist es richtig, dass wir heute die Entscheidung treffen und dem Antrag des Bundesfinanzministeriums zustimmen.
Wir werden uns mit dem Thema Europa noch mehrfach befassen müssen. Ich kann nur sagen: Es lohnt sich auch. Dieses Europa ist mehr als nur ein Europa von Euro und Cent.
Dieses Europa ist eine Werte- und Schicksalsgemeinschaft. Eine Werte- und Schicksalsgemeinschaft hält vor allem dann zusammen, wenn es besonders schwierig ist, und rennt nicht auseinander. Heute ist ein Tag dafür, dies zu beweisen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Wagenknecht, wenn Sie Seit‘ an Seit‘ mit Hans-Werner Sinn leichtfertig den Konkurs Griechenlands in Kauf nehmen wollen,
dann ist das nicht links, sondern dann ist das Unsinn, und es ist unsozial.
Deswegen müssten Sie heute eigentlich mit uns gemeinsam zustimmen, wenn wir diese Koalition zwingen, ihre falsche Politik in Europa zu korrigieren. Darum geht es.
Über Jahre hinweg haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben Sie, Herr Kauder, uns erzählt: Die Griechen kommen aus dem Mustopf, wenn sie nur ordentlich und richtig sparen. - Ich erinnere mich noch an Äußerungen wie: Die müssen sparen, bis es quietscht. - Das stammt aus Ihren Reihen.
Was stellen wir heute fest, nachdem die Griechen über drei Jahre hinweg jedes Jahr 4,5 Prozent - jedes Jahr! - ihres Primärdefizits abgebaut haben? Die Griechen haben mehr Schulden. Was heißt das? Eine ausschließlich auf Sparen setzende Konsolidierungspolitik verschärft die Rezession.
Eine Rezession verschärft das Einnahmeproblem des griechischen Staates.
Die Folgen dieses Einnahmeproblems sind nicht etwa sinkende, sondern wachsende Schulden. Das ist offenbar.
Deswegen ist es richtig,
den Griechen in dieser Situation mehr Zeit zu geben. Mehr Zeit kostet Geld, 44 Milliarden Euro zusätzlich. Heute sind Sie gezwungen, Ihre falsche Politik zu korrigieren. Wenn Sie den Mut hätten, sie in aufrechter Haltung zu korrigieren, dann hätten Sie uns heute keine Vertagungsfinanzierung vorgelegt. Sie haben von Flexibilisierung gesprochen, man kann auch von kreativer Buchführung sprechen, lieber Herr Brüderle. Hätten Sie für diese 44 Milliarden Euro einfach ein drittes Paket von Bürgschaften gemacht, wäre das solide gewesen.
Eine aufrechte Korrektur wäre auch gewesen, wenn Sie gesagt hätten: Okay, wir schauen jetzt mal, wie sich das vollzieht; wir wissen noch nicht alles genau; aber wir wissen heute schon - auch zu diesem Eingeständnis musste man Herrn Schäuble zwingen -, dass uns diese Maßnahmen im Jahre 2013 im Haushalt 730 Millionen Euro kosten werden.
Sie können sich nicht damit herausreden, zu sagen: Wir geben nicht mehr aus, sondern das sind nur gesunkene Einnahmen. - Das ist die Realität für 2013 nach Auskunft des Bundesfinanzministeriums.
Lieber Herr Vorsitzender des Haushaltsausschusses - -
- Sind Sie nicht mehr, stimmt, ist die Kollegin Merkel.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die zahlen das ja auch beide nicht privat.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Was hindert Sie eigentlich daran, diesen Fehlbetrag in einem ordentlichen Nachtragshaushalt zu etatisieren? Sie haben Angst, dass Sie in den eigenen Reihen bei dieser notwendigen Korrektur Ihrer Politik nicht die Mehrheiten haben, die Sie brauchen, um handlungsfähig zu sein. Das ist der Kern des Problems, das Sie haben.
Nun kann man angesichts der Situation, in der sich Griechenland befindet, sagen: Das kostet nun einmal Geld. - Das versuchen Sie in die Reihen der Opposition zu transportieren; die Opposition fordere das. Nein, ich will das deutlich sagen: Dass das Geld kostet, ist keine gute Nachricht, ist kein Grund zum Jubeln. Es ist das Produkt einer zögerlichen Europapolitik, bei der die europapolitische Haltung, die hier am Schluss in Reden, zum Beispiel von Herrn Kauder, immer wieder hochgehalten wird, tatsächlich nach Wahlterminen ausgerichtet wird.
Das erste Griechenland-Paket haben Sie wegen der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen versäumt, und jetzt machen Sie hier wieder einen Schleiertanz, damit die Bürgerinnen und Bürger die Wahrheit nicht hören sollen.
Die Menschen kennen diese Wahrheit aber heute schon. Deswegen glaube ich, dass Sie endlich dazu stehen sollten, dass nur mit Austerität der Euro nicht zu retten ist. Es muss Konsolidierung geben, es muss Strukturreformen geben.
Den Euro und das gemeinsame Europa wird es aber nur geben, wenn neben den Strukturreformen gleichzeitig in Wachstum, in Innovation und in Entwicklung investiert wird.
Deswegen passt es nicht zu einer ernsthaften Anstrengung dahin gehend, dieses Europa auf einen anderen Kurs zu bringen, wenn Sie im Zusammenhang mit dem mehrjährigen Finanzrahmen zusammen mit David Cameron dafür sorgen, dass ausgerechnet in den Bereichen Strukturveränderungen, Investitionen in Infrastruktur, Investitionen in Forschung gekürzt wird. Das ist das Fortsetzen der falschen Politik, die Sie über Jahre betrieben haben.
Wenn richtig ist, dass Griechenland das bloße Sparen und der Verzicht darauf, seine Investitionsfähigkeit zu stärken, in die Krise und zu mehr Schulden geführt hat, dann müssen Sie sich auch der Tatsache stellen, dass Griechenland schon lange kein Ausgabeproblem, sondern ein Einnahmeproblem hat. Deswegen ist es übrigens richtig, zu sagen: Wir machen das schrittweise. Ich erwarte von der griechischen Regierung, dass sie die neuen Steuergesetze tatsächlich auf den Weg bringt. Ich finde auch, dass wir in Europa einen Anspruch darauf haben, dass diese neuen Steuergesetze in Griechenland tatsächlich vollzogen werden. Das ist so.
- Nein, ich rede an dieser Stelle von Unternehmenssteuern, lieber Kollege.
Aber wenn man diese klare Haltung an den Tag legt, dann muss man auch zu den eigenen Zusagen stehen. Deswegen ist es nicht zu früh, sondern in meinen Augen eine peinliche Verzögerung, dass wir erst heute über diese Sache entscheiden; denn seit Anfang November liegt der Bericht der Troika vor. Er besagt: Griechenland hat das umgesetzt, was wir vereinbart haben. - Wenn Griechenland das Vereinbarte umgesetzt hat, dann müssen wir an dieser Stelle auch liefern. Das ist der Tag, um den es heute geht.
Hören Sie auf, so zu tun, als gäbe es schon wieder eine neue rote Linie! Sie, Herr Brüderle, haben erklärt - das Wort „derzeit“ hat mir gut gefallen -, derzeit solle man nicht über einen Schuldenschnitt reden.
Ja, derzeit muss man nicht über einen Schuldenschnitt reden; denn da gibt es rechtliche Hürden. Aber es wird einmal so sein, und Sie haben es selber angekündigt. Sie selber haben mit dem Hinweis auf den Pariser Club angekündigt, dass am Ende des Tages die Wiederherstellung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands nur darüber gehen wird, dass die Schuldenbelastung Griechenlands durch einen Schuldenschnitt gemindert wird. Ich finde, Sie hätten den Mut haben sollen, das in dieser Form und nicht so verklausuliert über den Pariser Club und Ähnlichem auszusprechen. Sie hätten den Mut haben müssen, zu sagen: Ja, es ist so. Es kostet uns am Ende in einem schrittweisen Prozess Geld. - Das wäre eine glaubwürdige Korrektur der Haltung gewesen, die Sie hier an den Tag gelegt haben.
Letzte Bemerkung: Wegen der Prognosen und nicht um Recht zu behalten, sondern um Ihnen einen Rat zu geben: Sie sollten gelegentlich doch auf die Grünen hören. Die Grünen haben sich im Juni auf einem viel beachteten kleinen Parteitag mit der Frage Europa und Hilfe für Griechenland auseinandergesetzt. Lesen Sie diesen Beschluss einmal nach! Darin wird wörtlich ausgeführt: Griechenland muss mehr Zeit haben. Das Programm muss gestreckt werden. - Ich freue mich darüber, dass CDU, CSU und FDP mit einem halben Jahr Verspätung der Umsetzung eines grünen Parteitagsbeschlusses nachkommen. Das ist ein guter Tag.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion.
Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute waren vonseiten der Opposition wieder einmal die Besserwisser hier.
Es wäre nur gut, wenn das auch immer mit der ganzen Wahrheit verbunden wäre. Zur ganzen Wahrheit gehört, dass wir heute und auch in den vergangenen Monaten nicht über Griechenland und dessen Probleme diskutiert und nicht so schwierige Entscheidungen vor uns hätten, wenn es Ihre Fehlentscheidungen zu Zeiten der rot-grünen Regierung nicht gegeben hätte. Auch das gehört zur ganzen Wahrheit.
Wenn wir schon bei der Wahrheit sind: Hierzu gehört auch, dass man den Leuten in einer Rede keine Unwahrheiten erzählt, wie das der Kollege Trittin gerade getan hat. Herr Kollege Trittin, es geht nicht um ein neues Programm im Umfang von 44 Milliarden Euro, wie Sie heute gesagt haben. Diese 44 Milliarden Euro sind Teil des Programms, das wir schon beschlossen haben. Dieser Betrag wird jetzt nach Vorlage des Troika-Berichts im Rahmen des bereits beschlossenen Programms ausgezahlt und ist Teil der Tranchen, die erst ausgezahlt werden sollten, nachdem der Troika-Bericht und die Bewertung dieses Berichts vorliegen. Es geht also nicht um ein neues Programm, sondern um die Realisierung dessen, was schon vor einem halben Jahr hier im Hause und auf europäischer Ebene beschlossen wurde.
Heute geht es um die Anpassung des Programms, weil die Ziele, nämlich Primärüberschuss ab dem Jahr 2014 und Schuldentragfähigkeit ab dem Jahr 2020, zeitlich nicht so erreicht werden, wie das zunächst einmal vorgesehen war. Und es geht hier auch darum, Entscheidungen auf der Grundlage des Troika-Berichts und der Fortschritte in Griechenland zu treffen. Hier ist schon feststellbar - das muss man bei einer solchen Debatte auch deutlich sagen -: Die Griechen haben enorme Anstrengungen an den Tag gelegt. Sie haben deutliche Maßnahmen in den Bereichen Steuern, Soziales, Arbeitsmarkt und Verwaltung getroffen. Dies geschah zugegebenermaßen zunächst einmal etwas verzögert, dann aber doch in einer sehr kurzen Zeit mit enormen Belastungen für die Menschen.
Das Ergebnis ist ja auch schon zum Teil - nicht überall - spürbar: Das Haushaltsdefizit ist deutlich zurückgegangen - der Finanzminister hat darauf hingewiesen -, das Leistungsbilanzdefizit ist zurückgegangen, und die Lohnstückkosten sind gesunken. Das heißt, die Wettbewerbsfähigkeit hat sich spürbar ein Stück weit verbessert. Dass dies nicht von heute auf morgen geht, das wissen wir alle. In diesem Land ist eben nicht nur ein kleiner Umstrukturierungsprozess, sondern ein Transformationsprozess notwendig.
Dieser braucht seine Zeit und ist nicht innerhalb von wenigen Monaten erreichbar. Vor allem ist er aber nicht prozentgenau prognostizierbar.
Deshalb sind diese Anpassungsmaßnahmen des Programms notwendig und richtig. Das gilt auch für den Kurs: „Solidarität ja, Hilfe ja, Unterstützung ja“, um Zeit zu gewinnen, aber nur unter der Bedingung, dass Reformen durchgeführt und die Haushalte konsolidiert werden. Dieser Kurs wird jetzt fortgesetzt. Wir würden einen großen Fehler machen, wenn wir jetzt, da Griechenland auf dem Weg der Besserung ist, hier stehen bleiben und sagen würden: Jetzt geht nichts mehr.
Wir alle diskutieren auch kontrovers in den eigenen Reihen und in den Veranstaltungen mit den Menschen. Das jetzt Erreichte bestärkt mich darin, dass der Kurs richtig ist und dass das, was uns die Sozialdemokraten und Grünen in den vergangenen Monaten und Jahren vorgeschlagen haben, nämlich eine Vergemeinschaftung von Schulden, Euro-Bonds usw., der falsche Weg gewesen wäre,
weil dadurch der Druck, Reformen durchzuführen, von den Griechen genommen worden wäre.
Es geht nun darum, dass die Anpassungsmaßnahmen, die vorgenommen werden - Zinssenkung, Verlängerung der Laufzeit von Krediten, Verwendung der Gewinne aus den Sekundärmarktaufkäufen der Europäischen Zentralbank -, schon auch Geld kosten. Das ist auch kein Geheimnis, und daraus haben wir nie ein Geheimnis gemacht.
Das sind Mindereinnahmen im Bundeshaushalt.
Ich wundere mich schon, dass manchmal gerade diejenigen, die dies jetzt beklagen, die Gleichen sind, die uns früher vorgeworfen haben, an den Zinseinnahmen, beispielsweise aus den Hilfen an Griechenland, auch noch zu verdienen.
So ein Verhalten ist schon ein bisschen pharisäerhaft. Das muss man einmal deutlich zum Ausdruck bringen.
Das alles entbindet uns nicht davon, den Druck auf Griechenland und auch auf die anderen Krisenländer aufrechtzuerhalten. Deshalb ist jede Diskussion über einen Schuldenerlass alles andere als hilfreich. Ein Schuldenerlass ist rechtlich nicht möglich; das ist hier auch schon mehrfach gesagt worden. Er ist bzw. wäre das falsche Signal an Griechenland, aber auch das falsche Signal an jedes andere Krisenland in Europa; denn in dem Moment, in dem ein Erlass von Schulden öffentlich in Aussicht gestellt wird, entweicht doch jeder Druck.
Dann ist kein Druck mehr da, die Haushalte zu konsolidieren und Reformen voranzubringen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
Deshalb bleibt gar nichts anderes übrig, als diesen Kurs, den wir eingeschlagen haben,
in dem Sinne fortzuführen: Wir zeigen Solidarität in Europa. Wir sind solidarisch.
Wir helfen den betroffenen Ländern, um Zeit zu gewinnen, aber nicht Zeit dafür, um den Schlendrian früherer Jahre fortzusetzen, sondern dafür, die notwendigen Reformen auf den Weg zu bringen, ihre Haushalte zu konsolidieren, mit dem Ziel, dass jedes einzelne europäische Land wettbewerbsfähig wird. Das wird zum Wohle nicht nur dieses einzelnen europäischen Landes sein, sondern ganz Europas.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Roth für die SPD-Fraktion.
Michael Roth (Heringen) (SPD):
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist stets ein besonderes Vergnügen, nach Ihnen, liebe Frau Kollegin Hasselfeldt, sprechen zu dürfen. Aber es ist kein Vergnügen, Ihnen immer wieder dabei zuschauen zu müssen, wie Sie hier die Unschuld vom Lande mimen, wie Sie tricksen, tarnen und täuschen.
Herr Schäuble wirft nur Nebelkerzen. Er erklärt den Bürgerinnen und Bürgern überhaupt nichts. Herr Kauder und die anderen Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP formulieren neue Dogmen darüber, was garantiert nicht passiert.
Und wir wissen doch: Es passiert immer genau das, was Sie vorher striktamente ablehnen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das wäre alles nicht so schlimm, wenn es nicht maßgeblich der Grund dafür wäre, dass viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land unseren Entscheidungen mit Skepsis und mit Ablehnung begegnen.
Damit müssen wir umgehen. Es ist immer wieder wichtig, den Bürgerinnen und Bürgern Folgendes zu erklären: Wir stimmen heute Morgen hier im Bundestag nicht über Lohn- und Rentenkürzungen ab, die Hunderttausende von Griechen in die Armut getrieben haben. Wir stimmen heute Morgen im Bundestag auch nicht darüber ab, dass Arbeitnehmerrechte und Gesundheitsleistungen in Griechenland massiv beschnitten worden sind. Wir stimmen heute Morgen auch nicht darüber ab, dass eine Politik der Rezession vor allem junge Menschen in die Massenarbeitslosigkeit getrieben hat. Darüber entscheiden wir heute Morgen nicht.
Aber wir stimmen heute darüber ab, ob die immer wieder gestellte Forderung der Sozialdemokratie und der Grünen eine Chance erhält, nämlich dass Griechenland Luft zum Atmen bekommt, dass Griechenland mehr Zeit erhält: Zeit für die notwendigen Strukturreformen, Zeit, um das Land zu reformieren. Dass das, worauf sich die EU-Finanzminister geeinigt haben, unseren Erwartungen nicht vollumfänglich entspricht, ist klar. Da gibt es vieles zu kritisieren. Da ist auch manches überhaupt nicht schlüssig. Es paart sich, wie gesagt, immer mit Ihrem kläglichen Versuch, die Dinge schöner zu machen, als sie tatsächlich sind, oder Dinge strikt abzulehnen, die dann doch irgendwann einmal kommen werden. Aber diese Entscheidung heute ist die Voraussetzung dafür, dass die Demokratie und auch der Staat Griechenland nicht weiter gefährdet wird. Diejenigen von uns, die einmal in Griechenland waren, wissen, wie dramatisch die Verhältnisse dort und wie hoffnungslos viele Menschen sind. Davor dürfen wir auch hier im Deutschen Bundestag nicht die Augen verschließen.
Ich fände es gut, wenn wir immer wieder daran erinnern, dass die Krise viele Gesichter und viele Schicksale hat. Da ist nicht allein der milliardenschwere Reeder, der sein Geld in die Schweiz transferiert oder hier in Berlin am Immobilienmarkt investiert. Es sind gerade die jungen Menschen, die von schmerzhaften Einschnitten am allerhärtesten betroffen sind. Ich höre immer wieder, Griechenland sei ein Fass ohne Boden. Dieser Satz strotzt nur so vor Verachtung vor den Einzelschicksalen. Insofern wäre es wichtig, dass wir ein deutliches Zeichen der Hoffnung setzen, dass die Menschen spüren, am Ende eines langen Tunnels gibt es auch wieder Licht.
Wir in Deutschland haben vor vielen Jahrzehnten einmal einen großen Vertrauensvorschuss geschenkt bekommen. Es wäre gut, wenn wir diesen Vertrauensvorschuss auch den Griechinnen und Griechen gewähren.
Für die Sozialdemokratie in Deutschland und in Europa ist Europa - das haben wir immer wieder deutlich gemacht - keine Frage der Taktik, es ist eine Frage der Haltung. Deswegen werden wir trotz Ihrer Politik heute die Zustimmung zur Griechenland-Hilfe erteilen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Otto Fricke ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
Otto Fricke (FDP):
Geschätzter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Rede mit einer grundlegenden Frage beginnen. Die Frage ist, warum es - übrigens uns allen, allen Fraktionen und auch der Mehrheit der Bürger in unserem Land - so schwerfällt, mit dem Thema der Staatsverschuldung in Europa und mit der Frage umzugehen, was wir da machen müssen und was der eigentliche Grund dafür ist. Seien wir doch ehrlich, es trifft doch alle. Es begegnet uns in allen unseren Gesprächen. Alle sagen: „Ja, Europa, das weiß ich, ist unsere Zukunft, das brauchen wir, das müssen wir machen.“ Aber alle sagen auch: „Warum muss ich es jetzt sein, warum muss das so oder so laufen?“
Der Ursprungsfehler liegt nach meiner Meinung in der Tatsache, dass wir immer gesagt haben, dass Europa uns - bildlich gesprochen - den Himmel bringen wird. Wenn wir Europa hätten, wäre alles schön.
Was wir vergessen haben, ist, dass Europa eine ganz andere Aufgabe hat, nämlich die Aufgabe, dass wir es über Europa schaffen, uns Europäer vor all den schlimmen Dingen zu schützen, die uns ökonomisch, in unserer soziokulturellen Existenz, in unserem wahren Leben gegenübergetreten sind, und davor zu schützen, dass es Einschnitte gibt. Zu dieser Tatsache gehört das Doppelspiel, dass Europa uns wahnsinnig viel Freiheit gegeben hat: nicht nur die berühmte Reisefreiheit, nicht nur die Möglichkeiten der Bildung und des freien Warenverkehrs, sondern auch die Freiheit, uns unsere Selbstverwirklichung so zu gestalten, wie wir es uns als Europäer vorstellen. Es hat uns aber auch Verantwortung gebracht, dieses immer wieder zu schützen, die Werte Europas zu schützen, die europäische Familie in ihrer Existenz zu schützen.
Wie man das nun macht, darüber streiten wir. Was dabei der richtige Weg ist, darüber diskutieren wir. Ich will ganz klar und deutlich sagen: Dabei machen alle Seiten hier Lernprozesse durch. Diese Lernprozesse werden wir immer wieder machen. Das muss man den Bürgern klar sagen, und dessen muss man sich auch bewusst sein: Die europäische Schuldenkrise und Europa selbst sind nicht etwas, wo ich einen Hebel umlegen kann und alles ist gut. Es ist zum Glück auch nicht mehr etwas, wo ich einen Hebel umlege und alles ist schlecht. Europa wird für uns ständige Diskussionen, ständige Arbeit und ständiges Abwägen bedeuten. Dabei tun wir uns alle nicht leicht, und wir werden heute einen weiteren Schritt machen, der vielen nicht leichtfällt, den aber viele nach Abwägung und Vorlegung der Daten und Fakten so beschließen - nicht mit großer Freude, sondern mit großer Verantwortung.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch die Fehler sehen, die wir in der Diskussion machen. Bleiben wir bei dem Bild der europäischen Familie. Wenn ein Familienmitglied zu demjenigen, der finanziell etwas besser dasteht, kommt und sagt: „Ich habe Schulden und will davon wegkommen“, dann sagt man doch - so kennen wir das auch im Privatleben, wenn wir jemandem aus der Familie helfen -: Ich bin bereit, dir zu helfen. - Wir sagen aber auf gar keinen Fall: Es ist schlimm, dass du Schulden hast. Wir werden sie dir erlassen; dann ist alles wunderbar. - Nein, wir erwarten Veränderungen, und diese Veränderungen sind Teil aller Schritte, die wir machen. Deswegen sage ich ganz bewusst: Nichts zu geben ist genauso falsch wie alles zu geben. Zu diesem Schluss komme ich, wenn ich von einem europäischen Familienmitglied erwarte, dass es sich ändert und wieder auf den Pfad der Tugend zurückkehrt. Es reicht nicht, seitens der Opposition als einzigen Vorwurf vorzubringen: Sie sagen ja gar nicht, was passiert. Sie verheimlichen, dass es einen Schaden geben wird. Sie müssen uns sagen, wie der Schaden aussehen wird.
In Richtung Rot und Grün sage ich deutlich: Der Schaden ist in dem Moment aufgetreten, als Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen worden ist, ohne die Bedingungen wirklich zu erfüllen. Mit dieser Entscheidung ist der Schaden in den Bilanzen Europas existent.
Es nützt jetzt aber nichts, von Schuld und Sühne zu sprechen, und es nützt auch nichts, darauf hinzuweisen, dass es sich noch dadurch verschärft hat, dass selbst Deutschland unter Rot-Grün die Maastricht-Kriterien nicht erfüllt hat. Vielmehr ist jetzt die Aufgabe, diesen Schaden zu minimieren: für unsere Rentner, für unsere Lebensversicherten und für unseren Mittelstand. Das ist die Aufgabe, die wir im Moment haben.
Das werden wir auch schaffen, in Freiheit für Europa und in Verantwortung des starken Deutschlands für das gegenwärtig schwache Griechenland, aber auch in Erwartung einer Eigenverantwortung Griechenlands. Deswegen wird die weit überwiegende Mehrheit meiner Fraktion dieser Vorlage zustimmen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion.
Norbert Barthle (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stimmen heute über die Anpassung des Griechenland-II-Programms unter dem EFSF ab. Ich halte noch einmal fest: Das Programmvolumen bleibt bestehen. Die wesentlichen Eckdaten bleiben bestehen. Das Garantievolumen für Deutschland erhöht sich dadurch nicht. Es geht um die Auszahlung von drei für 2012 vorgesehenen und zusammengefassten Tranchen mit einem Volumen von 43,7 Milliarden Euro, die Bestandteil des Programms sind. Das Programm umfasst 164 Milliarden Euro. Gut die Hälfte davon, 78 Milliarden Euro, ist schon ausgezahlt worden. Jetzt kommen drei weitere Tranchen, die dann freigegeben werden, wenn es uns in vier Wochen erneut vorgelegt wird. - So viel noch einmal für die Herren Trittin und Steinbrück zum Mitschreiben.
Zweitens. Wir haben innerhalb dieses Programms Veränderungen vorgenommen. Die Prognosen der Troika reichen bis 2022. Dass man daran Zweifel haben kann, ist unbestritten. Auch die Troika verfügt nicht über hellseherische Fähigkeiten, um exakt vorauszusagen, was bis 2022 passiert. Viele von uns haben Zweifel daran, gar keine Frage. Das ist auch in Ordnung. Man kann kritisch nachfragen. Nicht ganz in Ordnung ist es aber aus meiner Sicht, wenn man all die Unterlagen, die wir bekommen, die dicken Berichte der Troika, die man lesen kann und in denen man viele Daten, Fakten und Zahlen findet, ignoriert und dann hier sagt: Das ist ohnehin alles umsonst. Da ist Hopfen und Malz verloren. Das ist ein Fass ohne Boden. Das hilft alles nicht.
Das geht nicht, meine Damen und Herren.
Denn das ist eine Missachtung dessen, was bisher geleistet worden ist, auch von Griechenland.
Lassen Sie mich noch einmal kurz die wesentlichen Fakten erläutern. Griechenland hat sein Haushaltsdefizit in den letzten zweieinhalb Jahren um zwei Drittel abgebaut. Dafür wurden die Löhne im öffentlichen Sektor gekürzt. Es wurde bei Sozialausgaben und Renten eingespart. Es gab deutliche Steuererhöhungen. In der Rente, im Gesundheitssystem und auf dem Arbeitsmarkt wurden Strukturreformen vorgenommen, die die Verkrustungen zumindest langsam aufzulösen beginnen. Die Personalausgaben wurden um 23 Prozent und die Sozialausgaben um 26 Prozent reduziert. Die Rente wurde um 7 Prozent reduziert. Meine Damen und Herren, ab dem 1. Januar 2013 - das ist nicht mehr weit weg - gilt in Griechenland ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren. Stellen Sie sich einmal vor, was in Deutschland passieren würde, wenn wir das Renteneintrittsalter innerhalb eines Jahres in diesem Maße erhöhen würden. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass einiges geschieht. Das gebietet der Respekt vor dem griechischen Volk.
Die Wettbewerbsfähigkeit wurde verbessert. Die Lohnstückkosten gingen um 10 Prozent zurück. Das Leistungsbilanzdefizit Griechenlands wurde deutlich abgesenkt. Also, wir tun gut daran, das anzuerkennen. Würden wir dieselben Sparanstrengungen, die Griechenland bereits bis 2016 beschlossen hat - eine Reduzierung der Ausgaben um 20 Prozent -, auf Deutschland übertragen, dann müssten wir unsere Ausgaben um 60 Milliarden Euro reduzieren. Man kann sich vorstellen, was das bedeuten würde. Deshalb Respekt und Anerkennung vor dem, was dort geleistet wird.
Dass es für den Bundeshaushalt Belastungen gibt, ist unbestritten.
Erstmals machen sich die Auswirkungen der Kredite für Griechenland im Bundeshaushalt bemerkbar.
Nur, meine Damen und Herren, wir reduzieren die Gewinne, die die KfW mit den Krediten für Griechenland erzielt. Ich muss nicht unbedingt die moralische Keule schwingen, um sagen zu dürfen: Ich halte es für angemessen, wenn man in dieser Situation die Gewinne, die wir erzielen, um 130 Millionen Euro reduziert. Dann stehen noch die 599 Millionen Euro zur Debatte, die aus dem SMP resultieren sollen. Darüber, meine Damen und Herren, können wir nicht befinden. Darüber entscheidet ganz allein die unabhängige Europäische Zentralbank bzw. die unabhängige Deutsche Bundesbank.
Wie hoch der an uns abgeführte Bundesbankgewinn im März des kommenden Jahres letztlich sein wird, wissen wir noch nicht. Es könnte durchaus sein, dass sich dieser Betrag wieder amortisiert. Da müssen wir abwarten.
Ich stelle fest: Das, was wir bisher auf europäischer Ebene gemacht haben - das war die Politik und die klare Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble -, nämlich den Fiskalvertrag durchzusetzen, die Schuldenbremse durchzusetzen, Finanzmarktreformen durchzusetzen, eine institutionelle Vertiefung der EU durchzusetzen, ist der richtige Weg in die Zukunft unserer Europäischen Union.
Was hören wir von der Opposition? Herr Trittin redet wieder von einer Art Schuldentilgung. Er will die Schulden einfach beschneiden. Von der SPD hören wir, es gebe Uneinigkeit innerhalb der Regierung. Der eine redet von Schleiertanz, der andere von Eiertanz. Vielleicht können Sie sich einigen, um welchen Tanz es sich tatsächlich handelt. Ich habe eher den Eindruck, dass in den Reihen der SPD ein großer Eiertanz vollführt wird: Einmal enthalten Sie sich, dann stimmen Sie wieder zu, dann wissen Sie nicht, ob Sie zustimmen sollen. Jetzt stimmen Sie zu. Gott sei Dank haben Sie sich berappelt. Auch dafür meine Anerkennung. Wenn ich die Reden der Opposition höre, kann ich aber keinen Hinweis erkennen, dass es sowohl für Griechenland als auch für Europa als auch für Deutschland besser wäre, wenn Sie regieren würden. Hier habe ich keine Hinweise erkannt.
Wir machen den Weg frei für die weitere Konsolidierung, für die Zukunft Griechenlands, für eine gute Zukunft Europas. Zeigen Sie Herz und Verstand! Stimmen Sie diesem Antrag zu! Dann tun Sie etwas Gutes für Europa, für Griechenland und für Deutschland!
Danke.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schäffler von der FDP-Fraktion.
Frank Schäffler (FDP):
Herr Präsident! Bei der Frage, die wir heute diskutieren, geht es auch um die Situation Griechenlands; das ist ganz klar. Es ist sehr einschneidend, was in Griechenland passiert. Es geht aber aus meiner Sicht um viel mehr. Es geht um die Frage: Welches Europa wollen wir?
Der heutige Finanzminister hat 1996 ein Buch geschrieben mit dem Titel „Und der Zukunft zugewandt“. Zur Rolle Deutschlands in Europa hat er formuliert: „Wir müssen uns davor hüten, als Besserwisser und Moralerzieher aufzutreten.“ Ich glaube, genau um dieses Spannungsfeld geht es. Es stellt sich jetzt die Frage in Europa: Welches Europa wollen wir? Wollen wir ein Europa der 17? Wollen wir ein Europa der 27? Oder wollen wir ein Europa der 50? Das ist die Frage, um die es jetzt geht.
Das Europa der 17 führt am Ende, wie die aktuelle Entwicklung zeigt, dazu, dass es sich abschottet, dass es einen eigenen Weg geht, dass es die anderen am Katzentisch sitzen lässt. Das ist ein anderes Europa als das Europa, das die Gründungsväter nach dem Krieg aufgebaut haben.
Wir erleben in Europa, dass einige Länder schon nicht mehr dabei sind oder an den Katzentisch gedrängt werden. Schauen Sie sich England an. England zieht sich sukzessive aus dem Integrationsprozess in Europa zurück. Die Schweiz liegt mitten in Europa und ist ein Beispiel für ein föderales Europa. Tschechien und Polen gehören ebenfalls zu Europa. Sie sind Teil unserer langen Geschichte. Es sind viele Länder in Europa, die nicht am Euro partizipieren und beim Euro nicht mitmachen. Dies alles belegt, um welche Kernfrage es geht, nämlich um die Frage: Welches Europa wollen wir?
An dieser Stelle möchte ich noch einmal den Finanzminister zitieren. Der Finanzminister hat in seinem Buch Lord Ralf Dahrendorf zitiert:
Kein zentralistisches, sondern ein föderal aufgebautes Europa, organisiert nach dem Prinzip der Vielfalt, wird das Europa der Zukunft sein.
Genau um diese Frage geht es. Ich glaube, Europa hat nur dann eine Zukunft, wenn es föderal und vielfältig aufgebaut wird und wenn es sich nicht auf wenige Staaten konzentriert, die ein anderes Europa wollen als der Rest.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Jetzt hat das Wort Klaus-Peter Willsch von der CDU/CSU-Fraktion.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke meiner Fraktion dafür, dass ich als Vertreter einer Mindermeinung in der Fraktion gleichwohl heute im Rahmen ihres Zeitkontingents vortragen kann.
Ich will beginnen mit einem Zitat:
Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ausgerechnet die erfolgreichste europäische Zentralbank nach dem Zweiten Weltkrieg - die Bundesbank - in Europa einmal in eine absolute Minderheitenposition geraten würde. Lange galt die Bundesbank als Leitbild für erfolgreiche Geldpolitik. Und darauf baut die heutige Währungsunion auf! Eine solche Institution nun so ins Abseits zu stellen und Positionen, die ihr jetziger Präsident vertritt, in Europa beinahe lächerlich zu machen - dass all das möglich ist, bedrückt mich sehr und ist kein gutes Zeichen für die Zukunft. Wir erleben einen Paradigmenwechsel.
Das hat am 11. Oktober Professor Jürgen Stark gesagt. Das ist einer der Gründerväter des Euro, einer der Konstrukteure des Euro, Sherpa und Staatssekretär im Finanzministerium und später Chefvolkswirt der EZB.
Warum sage ich das? Weil ich in der Tat Sorge habe um unsere Konstruktion einer unabhängigen Zentralbank sowohl auf der europäischen als auch auf der deutschen Ebene. Wenn ich sehe, dass umstandslos entsprechendes Handeln dieser unabhängigen Institutionen auf den Tagungen der Finanzminister in der Euro-Gruppe vorausgesetzt wird, dass einfach vorausgesetzt wird, dass Restgrößen durch die EZB durch Anleihekäufe oder ELA-Geschäfte mit Griechenland gedeckt werden, dass einfach vorausgesetzt wird, dass die Bundesbank Gewinne - vermeintliche oder tatsächliche - aus Sekundärmarktprogrammen weiterreichen wird, damit sie an Griechenland gezahlt werden können, dann muss ich sagen: Das ist nicht das, was ich unter Unabhängigkeit der Notenbanken verstehe.
Es wird häufig - so auch heute wieder - denen, die der Rettungsschirmpolitik kritisch gegenüberstehen, vorgeworfen, sie würden mit zu hohem Einsatz spielen, und es sei unabsehbar, was danach folge. Natürlich ist es möglich, dass Länder aus einer Währungsunion ausscheiden. Dass ein Land aus der Währungsunion ausscheidet, führt nicht automatisch zu Armageddon. Wir haben das zuletzt praktisch erlebt bei der Auflösung der Währungsunion von der Tschechei und der Slowakei. Nachdem sich das Land nach einer Volksabstimmung in zwei Länder geteilt hatte, hatte man zunächst versucht, an der gemeinsamen Krone festzuhalten. Aber relativ schnell nach der staatlichen Unabhängigkeit ist man zu separaten Währungen übergegangen, weil es Wettbewerbsfähigkeitsdisparitäten gab.
Im Übrigen ist für eine Vielzahl von Staatsinsolvenzen in der Nachkriegszeit genau aufgezeichnet worden, wie es funktioniert; denken Sie nur an die Arbeiten von Rogoff und Reinhart. Der Pariser Club und der Londoner Club sind angesprochen worden; der IWF kommt hinzu. Programme werden verhandelt, ein Moratorium wird erklärt, Quoten werden ausgehandelt. Das hat den Vorteil, dass alle Gläubiger am Tisch sitzen und die Schulden nicht auf staatliche Institutionen übertragen werden. Das hat in vielen Fällen funktioniert: Türkei, Polen, Russland. Ich könnte noch mehr Fälle aufzählen; das will ich Ihnen aber ersparen. Jedenfalls funktioniert es. Es ist keinesfalls so, dass der Weltuntergang droht, wenn man diesen Weg beschreitet.
Der Euro-Raum ist nicht gleich Europa. Keiner stellt das kolossale Friedensprojekt, das Einigungsprojekt des gemeinsamen Europas infrage. Keiner stellt die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen dieses großen gemeinsamen Europas mit den vier Freiheiten infrage. Auch Solidarität gehört dazu. Aber der Euro-Währungsraum war nie als solidarisches, sondern als währungstechnisches Projekt gedacht. Wenn es dann nicht funktioniert, muss man auch offen sein für Änderungen dieses Währungsraumes; sonst führt der Weg zwangsläufig in eine Transferunion, die wir alle nie wollten.
Nur wer für die Folgen des eigenen Tuns haftet, wird auf Dauer verantwortungsvoll handeln. Übergroße Solidarität - und zwar in Bereichen, für die sie nie gedacht war - macht träge und generiert Mitnahmeeffekte. Das kennen wir aus der Sozialpolitik, aber leider auch - ich komme aus Hessen - aus dem Länderfinanzausgleich. Deshalb lautet mein Appell ganz klar: Lassen Sie uns diese Politik beenden!
Ich will zum Schluss kommen. Heute Morgen habe ich in der Financial Times Deutschland gelesen, dass Herr Juncker Helmut Kohl aus der Erinnerung zitiert:
Von Helmut Kohl habe ich den Satz behalten: Was im Privatleben richtig ist, ist im zwischenstaatlichen Leben nicht falsch.
Das kann ich nur nachhaltig unterstreichen. Wir alle wissen aus dem Privatleben, dass man zu hohe Schulden nicht mit immer neuen Schulden bekämpfen kann. Wir wissen aus dem Privatleben, dass man schlechtem Geld kein gutes hinterherwirft. Lassen Sie uns diesen Weg heute hier beenden!
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat jetzt das Wort der Kollege Gunther Krichbaum von der CDU/CSU-Fraktion.
Gunther Krichbaum (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich persönlich respektiere absolut die Meinung anderer und insbesondere derer, die heute diesem Antrag vielleicht nicht zustimmen können. Ich habe den Kollegen, die unmittelbar vor mir gesprochen haben, sorgfältig zugehört. Ich muss Ihnen sagen: Heute steht sehr viel auf dem Spiel, und zwar viel mehr, als manchem möglicherweise bewusst ist. In Wahrheit entscheiden wir darüber, wie es bei uns in der Euro-Zone und in Europa weitergeht. Riskieren wir ein Auseinanderbrechen, oder gehen wir den Weg weiter, den wir bereits entschlossen eingeschlagen haben? Mein ausdrücklicher Dank gilt Ihnen, Herr Finanzminister Schäuble, und der Bundesregierung für die guten Verhandlungen.
Wir sollten eines nicht in Abrede stellen: Wir hatten Griechenland zuvor bereits Bedingungen - Prior Actions, wie es technisch heißt - gestellt, 71 an der Zahl, bevor es jetzt zu diesem Abschluss kam. Sämtliche Bedingungen wurden erfüllt. Es wäre geradezu abwegig und unredlich, wenn man sich jetzt nicht auch in Verantwortung üben wollte und dem heutigen Antrag zustimmte.
Griechenland hat die Bedingungen erfüllt. Die Erfolge, die sich zwischenzeitlich bereits eingestellt haben, sollten wir nicht in Abrede stellen. Gestern habe ich im Deutschlandfunk ein Interview des heute bereits erwähnten Herrn Professor Sinn verfolgt, das an Arroganz nicht mehr zu überbieten ist.
Denn es geht einfach nicht, dass alles und jedes in den Boden gestampft wird und man überhaupt nicht mehr davon Notiz nimmt, was sich in dem Land getan hat und weiterhin tun wird.
Der Euro ist eine stabile Währung; er bleibt eine stabile Währung. An nichts anderem können wir das besser ablesen als am Außenwert dieser Währung im Verhältnis zum Dollar; dieser Wert ist nach wie vor stabil ist. Wir müssen auch unterstreichen, dass wir, vor allem unsere deutsche Wirtschaft, stark vom Euro profitieren. Es gehört an einem solchen Tag auch dazu, festzuhalten: Wenn wir in Deutschland das Zinsniveau der letzten Jahre beibehalten hätten und wir uns weiterhin zu diesem Zins hätten rekapitalisieren müssen, dann hätten wir Jahr für Jahr 15 Milliarden bis 17 Milliarden Euro mehr zahlen müssen.
Das heißt, die Turbulenzen sind im Augenblick dafür verantwortlich, dass unsere Haushalte an dieser Stelle entlastet werden. Deswegen halte ich es für nicht ganz daneben, etwas zurückzugeben.
Wir schaffen mehr Stabilität für die Euro-Zone, aber gerade auch für uns. Ich möchte noch einmal kurz die deutsche Wirtschaft beleuchten. Ich glaube, es reicht nicht, wenn allein die Bundesregierung oder wir Parlamentarier davon reden, was uns der Euro gebracht hat. In früheren Zeiten, bevor wir den Euro hatten, war es so, dass Abwertungen ständig unsere deutsche Wirtschaft, die exportorientiert aufgestellt ist, unter Druck gesetzt haben. Das bedeutet, über Nacht wurden unsere Produkte um den Faktor der Abwertung teurer; damit wurden unsere Chancen und unsere Wettbewerbsfähigkeit beschränkt. Das ist nicht mehr der Fall. Deswegen wünsche ich mir, dass gerade in den Unternehmen deutlicher kommuniziert wird, wie sehr jeder einzelne Arbeitsplatz davon abhängt.
Die Situation in Europa und in der Euro-Zone ist natürlich nach wie vor schwierig. Ja, es ist auch wahr, dass der Weg, der vor uns liegt, steinig ist. Aber wir werden ihn gemeinsam gehen, weil wir nur gemeinsam von einem geeinten Europa profitieren können.
Die jetzigen Entwicklungen können uns allesamt nicht egal sein. Es geht darum, Vertrauen herzustellen und zurückzugewinnen, Vertrauen zwischen uns in Europa, aber auch in Europa; denn genau daran wird aktuell stark gezweifelt.
Herr Bundesminister Schäuble, es ist ein Erfolg der Verhandlungen, dass die Troika bestehen bleibt; denn so mancher in der Welt fragt sich, was denn der IWF in Europa verloren hat, der normalerweise in ganz anderen Teilen dieser Welt agiert. Auch das ist ein Erfolg. Wir sollten ihn dadurch honorieren, dass wir dem heutigen Antrag zustimmen und damit ein gutes, vertrauensbildendes Signal nach Europa senden.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu der Regierungserklärung. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11706? Ich bitte um Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen einschließlich der Anlagen auf Drucksachen 17/11647, 17/11648, 17/11649 und 17/11669 mit dem Titel „Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland - Änderung der Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages“. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Zu der Abstimmung liegen zahlreiche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.*)
Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer die Plätze eingenommen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung und bitte, die Karten einzuwerfen.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich den Wahlgang. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen nach der Auszählung bekannt gegeben.
Wir setzen die Abstimmung fort und kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 17/11731? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD und Zustimmung der Grünen.
Ich rufe Zusatzpunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edgar Franke, Christine Lambrecht, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen
- Drucksachen 17/3685, 17/9587 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Edgar Franke Beschlussfassung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Heinz Lanfermann von der FDP-Fraktion.