Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv > Interview Sarrazin
Der europapolitische Sprecher der von Bündnis 90/Die Grünen, Manuel Sarrazin, warnt vor einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone: „Die Vorstellung, wir würden dann weniger zahlen, ist naiv“, sagt er in einem am Montag, 5. März 2012, veröffentlichten Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". Zu häufig werde in der Euro-Krise rein ökonomisch argumentiert. Der Verbleib Griechenlands beim Euro sei aber ist eine „politische Wertentscheidung“. Das Interview im Wortlaut:
Warum soll Griechenland Euro-Mitglied bleiben?
Weil ein Austritt Griechenland die Probleme nicht löst. Die Vorstellung, wir würden dann weniger zahlen, ist naiv. Ungarn zum Beispiel ist nicht Mitglied der Eurozone, bedroht aber wegen eigener wirtschaftlicher Probleme das Rating des Nachbarn und Euro-Landes Österreichs. Ich glaube auch, dass bei der Euro-Rettung zu oft rein ökonomisch argumentiert wird. Ein Verbleib Griechenlands beim Euro ist eine politische Wertentscheidung. Mit einer Rückkehr Griechenlands zur Drachme würde die Idee der Europäischen Einigung an Kraft verlieren. Und wer meint, dem Land würde es mit einer Abwertungspolitik außerhalb des Euros besser gehen, verschweigt, dass dies eine verlorene Generation mit sich bringen würde.
Schon bald stehen die nächsten Entscheidungen im Bundestag an, zum Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und die Ratifizierung des Fiskalpakts. Wird Ihre Fraktion im Zweifel wieder der Bundeskanzlerin den Rücken freihalten wie vergangene Woche beim zweiten Hilfspaket für Griechenland?
Wir halten der Kanzlerin nicht den Rücken frei. Wir treiben sie parlamentarisch vor uns her. Wir haben früh Forderungen wie die nach der Finanztransaktionssteuer erhoben, lange bevor die Union das aufgriffen hat. Die Grünen haben die Euro-Rettungspolitik überhaupt erst ins Plenum gezogen. Wir haben 2010 einen Antrag ins Plenum gebracht, weil wir es für richtig hielten, Irland unter den Rettungsschirm EFSF zu holen, öffentlich über diese Frage zu debattieren und nicht im Haushaltsausschuss sondern im Plenum darüber zu entscheiden.
Eurobonds, „Marshallplan“ und ein Schuldentilgungsfonds: Fürchten Sie nicht, dass mit Ihren Vorschlägen der Reformeifer in Krisenländern erlahmt?
Das Prinzip „carrot and stick“, also Zuckerbrot und Peitsche, hat sich bei EU-Beitrittsverfahren bewährt. Man muss die Instrumente so ausgestalten, dass sie einen Anreiz bieten und gleichzeitig zu stärkerer Disziplin verpflichten. Die Menschen in Griechenland und anderen Krisenländern haben nichts gegen eine solide Haushaltspolitik. Sie sind auch bereit, Sparmaßnahmen mitzutragen. Sie haben aber Zweifel, ob allein ein hartes Sparprogramm ihr Land voranbringt.
Wie könnte ein Wachstumsprogramm denn aussehen?
Man kann mit den bereits existierenden EU-Strukturmitteln viel in Griechenland erreichen und etwa durch die Förderung über eine Mittelstandsbank kleine und mittlere Unternehmen stützen, die jetzt Schwierigkeiten haben, an Kredite kommen. Man kann in der nächsten mehrjährigen Finanzplanung des EU-Haushaltes andere Akzente setzen und Mittel effizienter einsetzen. Und es muss auch darum gehen, private Investoren zu mobilisieren. Hier gibt es den Vorschlag von EU-Kommission und Europäischer Investitionsbank, sogenannte „Project Bonds“ einzurichten, also Anleihen für konkrete nachhaltige Infrastrukturprojekte, deren Risiko durch staatliche Bürgschaften reduziert werden. Nur: Wenn die Politik nicht klarstellt, dass Griechenland Euro-Mitglied bleibt, wird kein Investor auch nur einen Cent im Land investieren. Es ist absurd, Debatten über einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone zu befeuern und dann von Wachstumsstrategien zu sprechen oder wie Wirtschaftsminister Philipp Rösler eine Wirtschaftsdelegation nach Griechenland zu führen.
Kann der am Donnerstag in Brüssel beschlossene Fiskalpakt den Euro dauerhaft absichern? Hat der Pakt „Zähne“, um gegen Schuldensünder wirksam zu sein?
Wenn wir über die Zeit nach 2020 reden, kann der Fiskalpakt gewisse Auswirkungen haben. Aber in der aktuellen Krise wohl eher nicht. Der Fiskalpakt ist eine politische Vereinbarung. Er hat nicht den „Biss“, dass er solide Haushaltsführung wirklich durchsetzen kann.
Dann bleibt die Europäischen Zentralbank als Feuerwehr?
Die EZB ist in der Euro-Krise facto der Geldgeber der letzten Instanz. Es ist bemerkenswert, dass sie damit häufig abseits der öffentlichen Wahrnehmung steht. Die Brandmauer, von der die Bundeskanzlerin so oft spricht, ist offenbar nur dafür da, dass man den Feuerwehrmann dahinter nicht sieht. Und genau das ist ein Demokratieproblem. Ich meine, dass man die konkrete Ausgestaltung, also auf welche Weise man die EZB einbezieht, gerechter machen könnte und mit weniger Risiko für den Steuerzahler. Durch eine Banklizenz für die Rettungsschirme EFSF und ESM zum Beispiel. Und mit klar definierten politischen Verantwortlichkeit der Rettungsmaßnahmen. Die EZB hat im Dezember 2011 und erneut vergangene Woche den Finanzinstituten insgesamt eine Billionen Euro an Krediten zur Verfügung gestellt. Das heißt: Sie gibt Banken, darunter auch maroden Banken, spottbillig Kredite, damit diese dann mit deutlichen Zinsgewinnen dieses Geld unter anderem wieder an Staaten verleihen. Der Steuerzahler übernimmt die Risikoabsicherung und er zahlt zugleich die Risikoaufschläge, die der Staat den Banken zahlen muss.
Am vergangenen Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht das sogenannte Neunergremium in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Stärkerung des Parlaments oder Einschränkung der Handlungsfähigkeit in der Eurokrise?
Das Gericht hat sich klar in einem entscheidenden Punkt hinter das Neunergremium gestellt, nämlich bei der Frage der Sekundärmarktrückkäufe. Und genau bei diesen Rückkäufen kommt es auf Vertraulichkeit an, kann also auch glaubwürdig argumentiert werden, dass nicht der Bundestag als ganzes, sondern ein kleineres Gremium seine Berechtigung hat. Genau das hat Karlsruhe ermöglicht. Das Gericht stellt sich mit diesem Urteil hinter den Bundestag und es stützt die Handlungsmöglichkeit des Parlaments bei der Euro-Rettung.
Sind die Mitspracherechte des Bundestages in der Eurokrise gewährleistet?
Die Bundesregierung weigert sich, den ESM als eine Angelegenheit der EU im Sinne von Artikel 23 des Grundgesetzes zu behandeln. Was dazu führt, dass die Abgeordneten am Ende den ESM abnicken sollen, sich während des Beratungsprozesses - im Sinne einer informierten Mitwirkung – aber nicht beteiligen können. Dagegen haben wir als Fraktion in Karlsruhe Klage eingereicht.
Erleben wir den Beginn einer Entwicklung, dass nationale Parlamente einen Teil der Budgethoheit abgeben?
Wir werden stärker in bei den Haushalten in Europa kooperieren. Das heißt aber nicht, dass der Bundestag in seinen Rechten beschnitten wird. Eine stärkere Koordination in Europa bedeutet sogar ein Zugewinn an Souveränität, weil das einzelne Land Einfluss nehmen kann auf eine Grundlinie vernünftiger und nachhaltiger Haushaltspolitik auch bei seinen Nachbarn. Und deren Haushalte – siehe Griechenland – haben immer Auswirkungen auf den eigenen.
Stichwort „Vereinigten Staaten von Europa“: Ist das für Sie ein Fernziel, ein Nahziel – oder womöglich gar kein Ziel?
Diese Krise zeigt, dass das Prinzips des Nationalstaats, der Legitimation von Herrschaft durch eine Nation, zumindest in Europa an seine Grenzen stößt. Eine Aufgabe dieses Prinzips bereits heute würde das Europäische Projekt überfordern. Deshalb habe ich durchaus Sympathie für den Begriff Vereinigten Staaten von Europa, weil er eben nicht eine komplette Aufgabe der Nationen bedeutet. Ich würde sagen: Die Vereinigten Staaten von Europa sind ein fernerer Schritt auf dem Weg zu einem noch besseren Ziel: dem vereinten Europa.
(ahe)