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Am Mittwoch, 12. Dezember 2012, entscheidet der Bundestag nach 90-minütiger Aussprache über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beschneidung von Jungen sowie über einer Gesetzesinitiative von 66 Oppositionsabgeordneten zum gleichen Thema. Mit der Verabschiedung eines Gesetzes würde für Juden und Muslime in Deutschland wieder Rechtssicherheit herrschen, ob und unter welchen Auflagen sie ihre Söhne beschneiden lassen dürfen. Jüdische und muslimische Religionsgemeinschaften gehörten zu Deutschland, also müsse die Beschneidung des männlichen Kindes auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden: Darüber hatte bereits in der Plenardebatte zur ersten Lesung im November interfraktionelle Einigkeit geherrscht. Nicht jedoch über die Ausgestaltung des neuen Gesetzes.
Die Debatte wird ab 13 Uhr live Im Parlamentsfernsehen, im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen.
Zwei Vorschläge stehen zur Wahl, die in der kommenden Sitzungswoche in zweiter und dritter Lesung beraten werden sollen: der Gesetzentwurf der Bundesregierung über "den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes" (17/11295) und ein von 66 Abgeordneten der Oppositionsfraktionen initiierter Gesetzentwurf mit fast wortgleichem Titel (17/11430). Zu beiden Vorlagen liegt eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vor (17/11800, 17/11814).
Die Koalition will die sogenannte Zirkumzision im Kern erlauben. Die 66 Oppositionsabgeordneten auch, aber erst ab dem vollendeten 14. Lebensjahr. Der Regierungsentwurf hingegen sieht keine Altersbeschränkung vor.
Bis vor Kurzem sei dieses Ritual überhaupt nicht infrage gestellt worden, hatte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zu Beginn der ersten Plenardebatte gesagt. Das Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012 (Aktenzeichen: 151 Ns 169/11) allerdings habe die Rechtmäßigkeit erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik angezweifelt. In diesem Urteil hatte das Gericht die Auffassung vertreten, bei der religiös begründeten, aber nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern vorgenommenen Beschneidung eines minderjährigen Jungen handele es sich um eine rechtswidrige Körperverletzung.
Der Bundestag hatte daraufhin mit Beschluss vom 19. Juli 2012 betont, dass jüdisches und religiöses Leben in Deutschland weiterhin möglich sein müsse. Auf Antrag von CDU/CSU, SPD und FDP (17/10331) hatte das Parlament die Bundesregierung mit breiter Mehrheit aufgefordert, "unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist".
Danach hatte auch der Deutsche Ethikrat am 23. August 2012 das Thema Beschneidung aufgegriffen. Einmütig empfahl das 27-köpfige Gremium, rechtliche Standards für eine Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen zu etablieren und dabei folgende Mindestanforderungen umzusetzen: umfassende Aufklärung und Einwilligung der Sorgeberechtigten, qualifizierte Schmerzbehandlung, fachgerechte Durchführung des Eingriffs sowie Anerkennung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des betroffenen Jungen. Darüber hinaus forderte der Ethikrat, fachliche Standards für die Beschneidung mit Betroffenen und beteiligten Gruppen zu entwickeln und zu evaluieren.
Mit ihrem Gesetzentwurf will die Bundesregierung für die Zukunft Rechtssicherheit schaffen. Vorgesehen ist, dass im Recht der elterlichen Sorge im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) klargestellt wird, dass die Personensorge der Eltern grundsätzlich auch das Recht umfasst, bei Einhaltung bestimmter Anforderungen einer medizinisch nicht erforderlichen Beschneidung ihres "nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes" zuzustimmen. Dies soll nur dann nicht gelten, wenn im Einzelfall durch die Beschneidung – auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks – das Kindeswohl gefährdet wird. In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Sohnes sollen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen die Beschneidung vornehmen dürfen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und wie eine Ärztin oder ein Arzt zur Beschneidung befähigt sind.
Im Entwurf der 66 Abgeordneten ist vorgesehen, im BGB klarzustellen, dass die Personensorge der Eltern grundsätzlich auch das Recht umfasst, bei Einhaltung bestimmter Anforderungen in eine nicht medizinisch veranlasste Beschneidung ihres Sohnes einzuwilligen.
Voraussetzung dafür sei "wegen der Schwere und Irreversibilität des Eingriffs" die Einwilligung des "einsichts- und urteilsfähigen Sohnes", der das 14. Lebensjahr vollendet haben müsse. Dies solle nur dann nicht gelten, wenn im Einzelfall durch die Beschneidung – auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks – das Kindeswohl gefährdet wird. Die Beschneidung solle nur von einer Ärztin oder einem Arzt "mit der Befähigung zum Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie" vorgenommen werden dürfen.
Der Bundestag stimmt nach der Aussprache namentlich erst über den Gesetzentwurf der 66 Oppositionsabgeordneten, danach über Änderungsanträge der SPD-Abgeordneten Burkhard Lischka und anderer (17/11815), des Grünen-Abgeordneten Jerzy Montag und anderer (17/11816) sowie der SPD-Abgeordneten Dr. Carola Reimann und anderer (17/11835) ab, die sich auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung beziehen.
Der Lischka-Änderungsantrag zielt auf eine gesetzliche Klarstellung im neuen Paragrafen 1631d Absatz 1 des BGB ab, wonach es bei einer Beschneidung aus nicht medizinischen Gründen in jedem Fall einer ärztlichen Aufklärung über Art, Umfang und Folgen des Eingriffs bedarf. Eine solche Aufklärung sei erforderlich, damit die Eltern eine "sachgerechte und fundierte Entscheidung" über die Beschneidung ihres Sohnes treffen können. Präzisiert werden sollten dem Änderungsantrag zufolge auch die fachliche Qualifikation nichtärztlicher Beschneider sowie Anforderungen und Modalitäten des Eingriffs wie eine angemessene Schmerzbehandlung.
Der Montag-Änderungsantrag will im Gesetz ausdrücklich festhalten, dass eine Einwilligung der Eltern in eine Beschneidung ihres nichts einsichts- und urteilsfähigen Sohnes gegen dessen "ernsthaft und unmissverständliche zum Ausdruck gebrachten Willen" nicht möglich sein soll. Eine Beschneidung durch Nichtärzte ohne Narkose soll auf den Zeitraum von zwei Wochen nach der Geburt beschränkt bleiben. Der Regierungsentwurf lässt dafür eine Zeitspanne von einem halben Jahr nach der Geburt zu.
Der Änderungsantrag von Carola Reimann (SPD) und anderer zielt darauf ab, diesen Halbjahreszeitraum nicht auf 14 Tage, sondern auf zwei Monate zur verkürzen. Danach wird namentlich über den Gesetzentwurf der Bundesregierung abgestimmt. (ver/11.12.2012)