"Afghanistan braucht auch nach 2015 Hilfe"

Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert empfängt Dr. Sima Samar, die Trägerin des

Die Trägerin des Alternativen Nobelpreises, die afghanische Menschenrechtlerin Dr. Sima Samar, hat sich für einen Verbleib internationaler Truppen in ihrem Heimatland auch nach 2015 ausgesprochen. Im Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" von Montag, 17. Dezember 2012, sagt die 55-Jährige, diese Unterstützung sei auch nach dem geplanten Truppenabzug nötig, "um in Afghanistan eine demokratische Gesellschaft aufzubauen und zu festigen". Unmittelbar, nachdem sie in Stockholm den Alternativen Nobelpreis erhalten hatte, empfing Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert Sima Samar in Berlin. In ihrer Heimat kämpft sie für Frauen- und Menschenrechte und leitet die von ihr gegründete Menschenrechtskommission in Kabul. Das Interview im Wortlaut:


Frau Samar, herzlichen Glückwunsch zum Alternativen Nobelpreis. Was bedeutet diese Ehrung für Sie?

Dieser Preis ist eine Anerkennung für unsere Bemühungen, die Frauen- und Menschenrechte in Afghanistan zu stärken. Ich freue mich, dass diese Auszeichnung hilft, ein positives Licht auf mein Land zu werfen, abseits der leider regelmäßigen Berichte über Mord und Hinrichtungen. Der Alternative Nobelpreis ist für mich persönlich, aber auch für alle Frauen in Afghanistan von großer Bedeutung.

Wie hat sich die Wahrung der Menschenrechte und der Rechte der Frauen in den vergangenen Jahren entwickelt?

Nun, in einem Land, in dem Menschenrechte ein Tabu-Thema waren, ist es schon ein großer Fortschritt, wenn eine Menschenrechtskommission eingesetzt wird. Insofern ist eine Verbesserung zu verzeichnen. Trotzdem sind noch immer Tötungsdelikte, Gewalt und Kriminalität, vor allem auch gegenüber Frauen, an der Tagesordnung. Positiv ist zu verzeichnen, dass die Menschen inzwischen die Bedeutung von Recht und Gerechtigkeit erkannt haben und bereit sind, sich dafür einzusetzen.

Bis 2015 werden die internationalen Truppen Afghanistan weitgehend verlassen haben. Ist das der richtige Zeitplan?

Unsere nationalen Sicherheitskräfte sind inzwischen gut geschult. Dennoch brauchen wir noch weitere Unterstützung, allerdings womöglich nicht in dem Maße, wie bisher. Aber: Um in Afghanistan eine demokratische Gesellschaft aufzubauen und zu festigen, wäre es hilfreich, internationale Hilfe auch nach 2015 im Land zu behalten.

Ist der Truppenabzug eine Gefahr für den Aufbau der Zivilgesellschaft?

Ich hoffe nicht. Die Menschen in Afghanistan wollen die Veränderungen, so langsam sie auch gehen, nicht rückgängig machen. Deshalb wird es nicht mehr so sein wie vor dem Krieg. Aber Afghanistan braucht noch Begleitung und Kontrolle von internationaler Seite, Unterstützung für die Bildung und Ausbildung von Jungen und Mädchen und den Aufbau einer sinnvollen Strategie, um zu verhindern, dass wir wieder in die Hände der Taliban fallen.

Welche Rolle spielen die Taliban?

Die Taliban können durchaus an den demokratischen Prozessen beteiligt werden. Wenn Sie vom Volk gewählt werden, muss man das akzeptieren. Es wäre allerdings nicht hilfreich für die Zukunft des Landes, wenn die Taliban außerhalb eines demokratischen Prozesses Macht erlangen würden.

Haben die Taliban denn Chancen bei einer Wahl?

Ich glaube nicht, dass die Taliban tatsächlich auf Rückhalt in der Bevölkerung zählen können. Die Menschen wissen noch sehr gut, dass die Taliban für eine Regierung der Gewalt und Unterdrückung stehen.

Wie stehen die Chancen für einen Versöhnungsprozess in der afghanischen Gesellschaft?

Für einen Versöhnungsprozess sind einige Voraussetzungen unabdingbar. Die erste ist Transparenz. Zweitens muss die Wahrung der Menschenrechte über eine verlässliche Justiz abgesichert sein. Drittens muss die ganze Bevölkerung, insbesondere auch Frauen und Opfer von Verstößen gegen die Menschenrechte, bei einem Versöhnungsprozess einbezogen werden. Andernfalls werden wir keinen stabilen Frieden erreichen. Das haben die vergangenen Jahre schmerzlich bewiesen. Und lassen Sie mich das an dieser Stelle besonders betonen: Vor allem für Mädchen und junge Frauen brauchen wir einen freien und von der Gesellschaft akzeptierten Zugang zu Bildung.

(jbi/ahe/17.12.2012)