Plenarprotokoll 17/42 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 42. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 I n h a l t : Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Zusatztagesordnungspunkt 1: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zu den Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (Drucksache 17/1685) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktion DIE LINKE: Kreditausfallversicherungen (CDS) und deren Handel vollständig verbieten (Drucksache 17/1733) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) Birgit Homburger (FDP) Dr. Barbara Hendricks (SPD) Birgit Homburger (FDP) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Volker Kauder (CDU/CSU) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Norbert Barthle (CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) Klaus Ernst (DIE LINKE) Leo Dautzenberg (CDU/CSU) Norbert Barthle (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 3: Fragestunde (Drucksachen 17/1694, 17/1738) Dringliche Frage 1 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Übernahme des britischen Verkehrskonzerns Arriva durch die Deutsche Bahn AG Antwort Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dringliche Fragen 2 und 3 Dagmar Ziegler (SPD) Qualitätspakt für die Hochschullehre; Wettbewerbliche Vergabeverfahren bei der Förderung qualitativer Lehre Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Mündliche Frage 1 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zeichnung des revidierten Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Zusatzfragen Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 2 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bedingungen der vom Deutschen Bundestag beschlossenen Griechenlandhilfe Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Fragen 5 und 6 Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vorschlag von Bundesbankpräsident Axel Weber für den Vorsitz der Europäischen Zentralbank Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 8 Hans-Joachim Hacker (SPD) Schaffung dauerhafter gerichtsfester Regelungen zu Ladenöffnungszeiten am Sonntag vor dem Hintergrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Greifswald über die Aufhebung der sogenannten Bäderregelung Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfrage Hans-Joachim Hacker (SPD) Mündliche Frage 11 Manfred Nink (SPD) Vorschläge und Konzepte hinsichtlich einer stärkeren Koordinierung und Steuerung der Wirtschaftspolitik zur Umsetzung der für die EU beschlossenen Leitziele Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfrage Manfred Nink (SPD) Mündliche Frage 12 Manfred Nink (SPD) Umsetzung der vom Europäischen Rat in der neuen Strategie für die Europäische Union beschlossenen Leitziele und Bewertung der vorgeschlagenen Sanktionsmaßnahmen bzw. Belohnungssysteme Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfrage Manfred Nink (SPD) Mündliche Frage 15 Doris Barnett (SPD) Auswirkungen eines etwaigen Herauslösens von kleinen und mittelständischen Unternehmen aus dem Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA) Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfragen Doris Barnett (SPD) Brigitte Zypries (SPD) Mündliche Frage 16 Doris Barnett (SPD) Datenschutzrechtliche Vorkehrungen hinsichtlich der Datenübertragung und -verwaltung von Arbeitnehmerdaten an Dritte und Möglichkeiten der Einsichtnahme durch die Arbeitnehmer Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfragen Doris Barnett (SPD) Mündliche Frage 17 Garrelt Duin (SPD) Gewährleistung der vollständigen Auszahlung der Umweltprämie Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfragen Garrelt Duin (SPD) Mündliche Frage 19 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Berücksichtigung der Interessen der Westsahara in den Verhandlungen über eine mögliche Verlängerung des Fischereipartnerschaftsabkommens zwischen der EU und Marokko Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfragen Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Mündliche Frage 22 Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Situation von Frauen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich zu Männern Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Zusatzfrage Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 23 Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Geschlechtsspezifisch differenzierte Erfassung der monatlichen Arbeitslosenzahl schwerbehinderter Menschen und Ausweis im Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Zusatzfragen Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 29 Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Identifizierung der Opfer des Luftschlags bei Kunduz/Afghanistan vom 4. September 2009 Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Zusatzfragen Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 36 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Berücksichtigung von Barrierefreiheit bei der Restaurierung sowjetischer Gedenkstätten in Berlin-Tiergarten und Berlin- Treptow Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Zusatzfragen Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Mündliche Frage 37 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Regelungen hinsichtlich der Aufbewahrung sowie der Zugänglichkeit der Akten und elektronischen Daten bei der Conterganstiftung für behinderte Menschen Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Zusatzfragen Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Mündliche Frage 42 Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) § 35 Abs. 1 Nr. 4 des Baugesetzbuchs als Auffangtatbestand für atypische Fälle Antwort Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 43 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sicherheitsbedenken gegen die Genehmigung von Sichtflügen Mitte April dieses Jahres durch die Flugaufsicht und Verantwortung für Schadensfälle Antwort Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 48 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aufhebung der Haushaltssperre für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien beim Wärmebedarf bis 2020 Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 49 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vorlage eines CCS-Gesetzes Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Fragen 58 und 59 Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Ausgestaltung des angekündigten Bildungslotsenprogramms zur Betreuung von Hauptschülern Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Ute Kumpf (SPD) Mündliche Frage 61 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Abgabe von Zusicherungen zur Stärkung der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs im Rahmen der Konferenz zur Überprüfung etwaiger Änderungen des Römischen Statuts Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Zusatzfragen Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Unterschiedliche verfassungsrechtliche Auffassungen in der Bundesregierung zur Verlängerung von Atomkraftwerkslaufzeiten Ulrich Kelber (SPD) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Dorothée Menzner (DIE LINKE) Michael Kauch (FDP) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Klaus Breil (FDP) Dr. Michael Paul (CDU/CSU) Christine Lambrecht (SPD) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Marco Bülow (SPD) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 2: Befragung der Bundesregierung: Gesetzentwurf zur Änderung wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Heidrun Dittrich (DIE LINKE) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Markus Grübel (CDU/CSU) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Harald Koch (DIE LINKE) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Rainer Arnold (SPD) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Sönke Rix (SPD) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Heidrun Dittrich (DIE LINKE) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Sönke Rix (SPD) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Mündliche Frage 3 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Bisher ergriffene Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte auf internationaler Ebene seit September 2009 Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 3 Mündliche Frage 4 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Zeitpunkt der Information der Bundesregierung und insbesondere des Bundesministers des Auswärtigen über die beim Europäischen Rat am 7. Mai 2010 diskutierten Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 4 Mündliche Frage 7 Günter Gloser (SPD) Höhe der Bundesmittel für die private Altersversorgung, insbesondere für die Riester-Rente, sowie zukünftige Ausgabenentwicklung Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 5 Mündliche Frage 9 Heinz Paula (SPD) Maßnahmen und Projekte zur Unterstützung eines nachhaltigen und klimafreundlichen Tourismus Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 6 Mündliche Frage 10 Heinz Paula (SPD) Maßnahmen zur Bekämpfung des Sextourismus und der Kinderprostitution auf nationaler und internationaler Ebene Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 7 Mündliche Frage 13 Michael Groß (SPD) Folgen der geplanten prioritären Einstufung von Zink für zinkerzeugende und -verarbeitende mittelständische Betriebe Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 8 Mündliche Frage 14 Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Verschärfung der Genehmigungspraxis von Rüstungsexporten gegenüber finanziell angeschlagenen Staaten wie Griechenland Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 9 Mündliche Frage 18 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einigung bei den Nachrüstkosten im Zusammenhang mit Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken sowie etwaige Gutachtervorschläge dazu Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 10 Mündliche Frage 20 Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Einbeziehung der Tarifpartner sowie weiterer Interessenverbände in die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 11 Mündliche Frage 21 Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Teilnahme von Schulabgängern an Maßnahmen zur Unterstützten Beschäftigung nach § 38 a SGB IX und Gewährleistung der Berufsbegleitung durch das Integrationsamt bei noch nicht ausgestelltem Schwerbehindertenausweis Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 12 Mündliche Frage 24 Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Etwaige Nichtberücksichtigung von Kommunen mit beabsichtigter alleiniger Trägerschaft der Grundsicherung bei den Bewerbungen zum Modellprojekt Bürgerarbeit Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 13 Mündliche Frage 25 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Einordnung des Modellprojekts Bürgerarbeit in die arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente des SGB II Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 14 Mündliche Frage 26 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Zusammensetzung der zwischen 2005 und 2009 zur Anwendung gekommenen arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente und Neuordnung für die Zukunft Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 15 Mündliche Frage 27 Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Regelungslücken und Änderung der Meldepflichten angesichts der Verschleppung von Informationen bei Dioxinfunden in Eiern Antwort Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin BMELV Anlage 16 Mündliche Frage 28 Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Geplante Änderungen im Kontrollsystem für Futtermittelimporte Antwort Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin BMELV Anlage 17 Mündliche Frage 30 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Befassung des Kabinetts mit rechtlichen Änderungen zur Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 18 Mündliche Frage 31 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Optionale Verlängerung des Zivildienstes im Zuge der Neuregelungen zur Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 19 Mündliche Frage 32 Caren Marks (SPD) Auswirkungen der vorgeschlagenen Neuregelungen zur Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 20 Mündliche Fragen 33 und 34 Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Überprüfung der finanziellen Ausstattung des Kita-Ausbaus sowie geplante Sparmaßnahmen im Bereich der Kinderbetreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 21 Mündliche Frage 35 Christian Lange (Backnang) (SPD) Einsparungen im Bereich der Kinderbetreuung; Betreuungsplatzgarantie für Kinder unter drei Jahren ab 2013 Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 22 Mündliche Fragen 38 und 39 Erika Steinbach (CDU/CSU) Missbrauchsfälle in Jugendwerkhöfen in der Zeit der zweiten deutschen Diktatur sowie für diesen Themenbereich am runden Tisch teilnehmende Sachverständige Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 23 Mündliche Fragen 40 und 41 Dr. Marlies Volkmer (SPD) Gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen zur Einrichtung von Spitzenverbänden in den einzelnen Bundesländern sowie Auswirkungen auf die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen Antwort Annette Widmann-Mauz, Parl. Staats- sekretärin BMG Anlage 24 Mündliche Frage 45 Michael Groß (SPD) Einstufung von Zink als prioritär in der EU-Wasserrahmenrichtlinie Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 25 Mündliche Fragen 46 und 47 Ulrich Kelber (SPD) Anzahl und Investitionsvolumen der beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle vorliegenden und infolge der Haushaltssperre nicht bearbeiteten Anträge auf Zuschuss zur Nutzung erneuerbarer Energien im Rahmen des Marktanreizprogramms Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 26 Mündliche Fragen 50 und 51 Dr. Hermann Scheer (SPD) Verbesserung der Netz- und Systemintegration von Windenergieanalagen durch die neue Verordnung zu Systemdienstleistungen durch Windenergieanlagen und die entsprechende Regelung im Erneuerbare-Energien-Gesetz sowie Stand der Umsetzung Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 27 Mündliche Frage 52 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Rechtliche Grundlage für die Einleitung von radioaktiven Abwässern in die Ostsee am Standort Lubmin zwischen 1992 und 2009 Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 28 Mündliche Fragen 53 und 54 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bedienung entstehender Schäden bei einem Reaktorunglück aus der Deckungsvorsorge, insbesondere Haftung für landwirtschaftliche Ernteausfälle Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 29 Mündliche Fragen 55 und 56 René Röspel (SPD) Förderung der Evaluierung von Open-Access-Veröffentlichungen und von Online-zeitschriften sowie des Aufbaus und der Vernetzung von Repositorien Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 30 Mündliche Frage 57 Christian Lange (Backnang) (SPD) Erhöhung der Ausgaben für Schulen und Hochschulen auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 31 Mündliche Frage 60 Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bereitstellung der auf dem G-8-Gipfel 2006 beschlossenen Hilfe zur weltweiten Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria sowie zur Stärkung der Gesundheitssysteme bis 2013 Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 32 Mündliche Frage 62 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dialog mit Äthiopien über die dortige Menschenrechtslage Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 33 Mündliche Frage 63 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Teilnahme an der Überprüfungskonferenz des Internationalen Strafgerichtshofs in Uganda vom 31. Mai bis 11. Juni 2010 und Abschluss eines "relocation agreement" Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 34 Mündliche Frage 64 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Unter Beteiligung von Bundeswehrsoldaten im Jahr 2010 in Afghanistan festgenommene und an US-Stellen übergebene Aufständische; Behandlung der Aufständischen in "Geheimgefängnissen" von US-Stellen Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 35 Mündliche Frage 65 Inge Höger (DIE LINKE) Zugrunde liegendes Szenario der in Süddeutschland abgehaltenen gemeinsamen Luftübung amerikanischer und israelischer Streitkräfte und Einbindung deutscher Behörden oder Institutionen Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 36 Mündliche Frage 66 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Wiederaufnahme der Ausbildungs- und Ausrüstungsmaßnahmen der KFOR Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA 42. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich. Die Sitzung ist eröffnet. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die heutige Tagesordnung um eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin sowie den Antrag der Fraktion Die Linke für ein Verbot von Kreditausfallversicherungen zu erweitern. Beides soll jetzt gleich, zusammen mit der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus, aufgerufen werden. Außerdem ist vorgesehen, nach der Unterbrechung der Sitzung um 13 Uhr zunächst mit der Fragestunde zu beginnen, anschließend die von der Fraktion der SPD verlangte Aktuelle Stunde zur Laufzeit von Atomkraftwerken aufzurufen und erst danach die Befragung der Bundesregierung durchzuführen. Sind Sie mit diesen Änderungen einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 auf: ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zu den Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro 1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus - Drucksache 17/1685 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sahra Wagenknecht, Michael Schlecht, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kreditausfallversicherungen (CDS) und deren Handel vollständig verbieten - Drucksache 17/1733 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist keine zwei Wochen her, dass der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit die Stabilisierungsmaßnahmen für Griechenland beschlossen hat. Mit dem am 7. Mai verabschiedeten Paket haben wir ökonomisch genauso wie politisch-rechtlich deutlich gemacht: Wir helfen Griechenland, weil wir so der Stabilität unserer gemeinsamen Währung insgesamt helfen. Wir schützen das Geld der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes - nicht mehr und nicht weniger ist der Auftrag der Bundesregierung genauso wie des Hohen Hauses hier. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Heute sind wir zusammengekommen, um eine Entscheidung zu fällen, die für die Zukunft Deutschlands und Europas noch bedeutender ist; denn jeder von uns spürt: Die gegenwärtige Krise des Euro ist die größte Bewährungsprobe, die Europa seit Jahrzehnten, ja wohl seit Unterzeichnung der Römischen Verträge im Jahre 1957 zu bestehen hat. Diese Bewährungsprobe ist existenziell, und ich füge hinzu: Sie muss bestanden werden. Bringen wir es auf den Punkt. Der Euro, der zusammen mit dem Binnenmarkt das Fundament für Wachstum und Wohlstand auch in Deutschland darstellt, ist in Gefahr. Wenden wir diese Gefahr nicht ab, dann sind die Folgen für Europa unabsehbar, und dann sind auch die Folgen über Europa hinaus unabsehbar. Eine Ahnung von dem, was dann geschehen könnte, haben wir am Donnerstagabend vor unserer Griechenland-Debatte mit den schon fast hysterisch anmutenden Turbulenzen auf den internationalen Märkten bekommen. Was dort sichtbar wurde - Sie alle haben es mitverfolgt -, war dramatisch. Deshalb gab es zur Sicherung der Stabilität des gesamten Euro-Finanzsystems wenige Tage später keine vernünftige Alternative. Die Ultima Ratio war erreicht; das heißt nichts anderes, als dass der Euro insgesamt in Gefahr war. Aber das, was sich in jenen Tagen abspielte, war nur die ökonomische Ahnung dessen, was auf Deutschland, Europa und die Welt zukäme, wenn nicht oder falsch gehandelt würde. Die politischen Folgen dagegen sind noch nicht einmal in Gedanken vorstellbar. Legen wir deshalb einen Moment die technischen Eckdaten des vorliegenden Gesetzentwurfs beiseite: die Kredite in Höhe von 750 Milliarden Euro, die notfalls zur Verfügung stehen, von denen 60 Milliarden Euro von der Europäischen Union gedeckt werden, für die die Euro-Staaten anteilig für bis zu 440 Milliarden Euro bürgen und Deutschland wiederum für 123 Milliarden Euro, gegebenenfalls 20 Prozent mehr. Der Internationale Währungsfonds will zusätzlich einen Betrag von mindestens der Hälfte des europäischen Anteils tragen. Das wären bis zu 250 Milliarden Euro. Das sind die Zahlen und Eckdaten. Aber legen wir sie kurz beiseite; denn wir wissen: Es geht um viel mehr als um diese Zahlen; es geht um viel mehr als um eine Währung. Die Währungsunion ist eine Schicksalsgemeinschaft. Es geht deshalb um nicht mehr und nicht weniger als um die Bewahrung und Bewährung der europäischen Idee. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist unsere historische Aufgabe; denn scheitert der Euro, dann scheitert Europa. Wenden wir diese Gefahr aber ab, dann werden der Euro und Europa stärker als zuvor sein. Wir müssen zweierlei schaffen: die Bewältigung der akuten Krisensituation zum einen und die Vorsorge für die Zukunft zum anderen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das muss man konkreter machen!) Dazu will ich, dass wir erstens gemeinsam mit unseren Partnern dafür sorgen, dass sich ganz Europa einer neuen Stabilitätskultur verschreibt, einer Stabilitätskultur, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Dann fangen Sie zu Hause damit an!) die für die Konsolidierung der Staatshaushalte und für die langfristige Stabilität unserer gemeinsamen Währung sorgt. Ich will zweitens, dass wir über Europa hinaus gemeinsam mit allen G-20-Staaten durch die Regulierung der Finanzmärkte Vorsorge dafür treffen, die Weltwirtschaft vor einer erneuten Krise zu schützen. Ich will drittens, dass die Europäische Union ihre eigenen strukturellen Schwächen schonungslos aufdeckt und sich dann auf die großen Aufgaben konzentriert, um unsere gemeinsame Zukunft zu gestalten. Herr Präsident, meine Damen und Herren, in den Beratungen der Staats- und Regierungschefs am 7. Mai und der Finanzminister der Europäischen Union am 9. Mai bestand in Europa - zurückhaltend gesagt - nicht sofort Einigkeit darüber, wie der Rettungsweg aus der aktuellen Krise aussehen könnte. Es wurden Vorschläge diskutiert, die ich als deutsche Bundeskanzlerin und die Bundesregierung insgesamt nicht bereit waren mitzutragen. Konkret drohte der Weg zu einer Transferunion, in der eine unmittelbare und verbindliche Haftung aller für selbstverantwortete Entscheidungen einzelner Mitgliedstaaten eingeführt worden wäre. Das galt es zu verhindern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wäre das nicht gelungen, dann hätte Europa eine fatale Fehlentscheidung getroffen. Die Folgen lägen auf der Hand: In einem solchen Modell wären die Anreize für notwendige Eigenanstrengungen zur Haushaltskonsolidierung und zu Strukturreformen äußerst gering gewesen. Wirtschaftlich erfolgreichere Mitgliedstaaten wären geschwächt worden, ohne dass die schwächeren wirklich stärker geworden wären. Das aber wäre weder rechtlich haltbar noch ökonomisch vernünftig gewesen. Von daher wäre es politisch unverantwortlich gewesen. Deshalb war ein solcher Weg mit Deutschland zu keinem Zeitpunkt machbar, weder in der Frage Griechenland noch jetzt. Der Preis für unsere Haltung war, als zögerlich oder langsam gescholten zu werden. Aber diesen Preis, meine Damen und Herren, zahlt die Bundesregierung gerne, wenn am Ende die richtigen Entscheidungen stehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eine andere Entscheidung hätte nie wieder gutgemacht werden können. Deutschland hätte seine Zustimmung - - (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ist ja albern! - Weitere Zurufe von der SPD) - Ich bin, ehrlich gesagt, baff. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Haben Sie Freitag nichts gewusst? - Weitere Zurufe von der SPD) Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, dass Sie, wenn Sie in einer solchen Lage gewesen wären, sehenden Auges etwas gemacht hätten, was rechtlich nicht akzeptabel ist und gleichzeitig uns alle ökonomisch nicht vorangebracht hätte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie aber gemacht! - Sigmar Gabriel [SPD]: Das haben Sie doch gemacht!) Insofern hat Deutschland seine Zustimmung zum umfassenden Paket zur Wahrung der Finanzstabilität in Europa in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai erst gegeben, als das Paket so gestaltet war, dass es unseren ökonomischen wie rechtlichen Grundsätzen entspricht, und zwar nicht, weil wir überheblich geworden wären, sondern weil wir überzeugt sind, dass es sich um Grundsätze handelt, die der Sache dienen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Da lautet der erste Grundsatz: Wir helfen unter der Bedingung, dass sich der betroffene Staat zu umfassenden Eigenanstrengungen verpflichtet. Damit leisten wir Hilfe zur Stabilisierung unserer gemeinsamen Währung und nicht, um Defizitsünder aus der Pflicht zu nehmen. Durch die Einbindung des Internationalen Währungsfonds ist gewährleistet, dass die Länder, die Kredite beantragen, ein wirkungsvolles Sanierungsprogramm anwenden. Damit haben wir die beste Gewähr, dass sie bei der Umsetzung effektiv überwacht werden. Zweiter Grundsatz. Wir helfen unter der Bedingung, dass wir über jeden Einsatz der Mittel selbst entscheiden, soweit es um bilaterale Mittel der Staaten geht. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht der Bundestag!) Es gibt keinen Automatismus europäischer Kredite. Für den größeren Teil des Rettungspaketes bürgen anteilig die Euro-Staaten. Sie behalten die volle Kontrolle. Die Kredite der Eurostaaten werden über eine Zweckgesellschaft technisch abgewickelt. Die Eckpunkte dieser Zweckgesellschaft kennen Sie: einstimmige Entscheidungen, Befristung, eine Gründung nach luxemburgischem Recht. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie doch den Vertrag vor! - Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - An dem Vertrag - das wissen Sie; das haben wir Ihnen in der Unterrichtung gesagt - wird gearbeitet. Er konnte bis jetzt noch nicht fertiggestellt werden. Aber wenn es gewünscht wird, werden wir Mittel und Wege finden, dass kein Geld fließt, bevor der Vertrag über die Zweckgesellschaft nicht bekannt ist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann? - Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Parlament wird in die Entscheidungen eingebunden. Der Mechanismus für die Kredite der Euro-Staaten ist somit so gestaltet, dass der Budgethoheit des Bundestages in vollem Umfang Rechnung getragen wird. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! - Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die Katze im Sack ist das!) Grundlage und Voraussetzung für eine in Brüssel einstimmig zu treffende Entscheidung über die Vergabe eines Kredits ist eine Einschätzung des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission. Die Vergabe ist also an strenge Konditionen geknüpft. Diese Kredite der Euro-Staaten kommen aber erst zum Einsatz, wenn das neue Gemeinschaftsinstrument nicht mehr ausreicht; denn für Kredite im Umfang von insgesamt 60 Milliarden Euro bürgt die Europäische Union selbst. Dabei handelt sie auf Grundlage des Art. 122 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Unionshandeln auf dieser Rechtsgrundlage ist jetzt möglich, weil einige Mitgliedstaaten von einer sich ausbreitenden Kettenreaktion und damit von außergewöhnlichen Ereignissen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, ernstlich bedroht sind. Dritter Grundsatz. Wir helfen unter der Bedingung, dass die beschlossenen Maßnahmen für langfristige Stabilität sorgen. Deutschland tritt für dauerhafte Stabilität in Europa ein. Das war so bei der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion, und das ist auch heute so und wird in Zukunft so sein. Niemandem in Europa werden wir das ersparen. Ich sage: Im Kern der Auseinandersetzung, die wir um jedes Detail führen, geht es um genau diese Stabilitätskultur. Ich glaube, es ist wichtig und richtig, dass wir darum kämpfen, dass sich die Vorstellungen, die bei der Gründung des Euro angelegt waren, auch langfristig durchsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dazu gehört natürlich auch die Verteidigung der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Sie wurde nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank geschaffen und garantiert seitdem erfolgreich die Preisstabilität im Euro-Raum. Die Sicherung der Preisstabilität ist und bleibt das oberste Gebot der Europäischen Zentralbank. Das macht den Kern ihrer Glaubwürdigkeit aus. Ich habe daher keine Zweifel, dass sie diese Aufgabe weiterhin mit derselben Konsequenz wie bisher erfüllen wird. Mit unserem Paket zur Stabilisierung des Euro (Zuruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) und mit der Vereinbarung, die Staatsfinanzen entschlossen zu konsolidieren, erleichtern wir der Europäischen Zentralbank ihre Rolle, (Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]) einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Stabilität des Euro-Raums zu leisten. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja eine schöne Formulierung dafür, dass Sie die an die Kette gelegt haben! - Sigmar Gabriel [SPD]: Glauben Sie Ihre Rede eigentlich selber?) Langfristige Stabilität ist ohne gesunde Staatsfinanzen undenkbar. So einfach ist das. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Zugleich ist es so schwer; denn wir alle kennen die Realität unserer Länder. - Es ist wirklich komisch, wie schnell man in ein paar Monaten vergessen kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Ja, weil Sie es anders machen!) - Hören Sie doch einfach einmal zu. Zu viele wettbewerbsschwache Mitglieder der Euro-Zone haben über ihre Verhältnisse gelebt und sind damit den Weg in die Schuldenfalle gegangen. Das ist die eigentliche Ursache des Problems. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb müssen wir das Problem bei den Wurzeln packen. Auf meinen Vorschlag hin haben sich die Staats- und Regierungschefs am 7. Mai 2010 dazu verpflichtet, ihre Haushalte im Rahmen des Stabilitätspaktes beschleunigt zu konsolidieren. Spanien und Portugal haben dazu in der letzten Woche bereits zusätzliche Maßnahmen vorgestellt. Ich begrüße das, und ich ergänze, erstens: Das war unverzichtbar. Und zweitens: Die Maßnahmen müssen jetzt auch konsequent umgesetzt und überprüft werden. Es ist meine feste Überzeugung: Alle Mitgliedstaaten müssen die Konsolidierung der nationalen Haushalte beschleunigen. Erst dann können die Rettungsversuche wirken. Denn die Fortsetzung der Verschleierung der wahren Ursache der Krise würde Europa langfristig nicht helfen. Das würde allen Mitgliedstaaten nur schaden. Damit muss Schluss sein. Ich will gar nicht darum herumreden: Auch wir Deutschen haben - im Übrigen nicht erst seit gestern, sondern seit über 40 Jahren - mehr Schulden gemacht, als uns guttut. Auch wir leben auf Pump. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Aber wir haben die Kraft gefunden, diesen Kreislauf zu durchbrechen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo das denn? - Sigmar Gabriel [SPD]: Wo denn?) Wir haben die Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen. Genau das wird sich bei der Vorlage des Haushaltes für 2011 niederschlagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie wissen ja, dass die Haushaltsberatungen im Parlament jährlich im September stattfinden. Der Haushalt wird im Juni, Anfang Juli vorgelegt. (Sigmar Gabriel [SPD]: Ich sage nur: Mövenpick!) Wir werden genau das beherzigen. Wir werden dann, wenn die Schuldenbremse umfassend wirkt, nur das ausgeben, was wir auch haben. (Sigmar Gabriel [SPD]: Aber an die Falschen!) Das bedeutet: Wir müssen von 2011 an sparen, und zwar mit Verstand (Joachim Poß [SPD]: Die Mövenpick-Steuer wieder einsammeln!) und so, dass wir solide Finanzen haben und gleichzeitig die Zukunft unseres Landes gestalten können und Wachstum erzeugen. Das wird der Grundsatz sein, nach dem wir unsere Haushaltsberatungen führen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Mövenpick!) All dies wird aber noch nicht ausreichen, um tatsächlich langfristige Stabilität zu sichern. (Sigmar Gabriel [SPD]: Der erste wahre Satz!) Ohne Maßnahmen, mit denen wir Vorsorge für die Zukunft treffen, werden wir keinen Erfolg haben. Mit solchen Maßnahmen wird der Euro nach der Krise aber stärker sein als zuvor. Europa braucht eine neue Stabilitätskultur. Erreichen werden wir sie aber nur, wenn wir die wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung und die gegenseitige Überwachung verbessern, und zwar für alle Mitgliedstaaten. Ich will noch einmal daran erinnern, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht nur für die Euro-Staaten gilt, sondern für alle Mitgliedstaaten. Deshalb kommt der Verabschiedung der Wachstumsstrategie EU 2020 im Juni dieses Jahres eine erhebliche Bedeutung zu. Es wird darum gehen, dass wir an dieser Stelle deutlich machen, wohin wir dieses Europa entwickeln wollen. Es versteht sich von selbst, dass wir natürlich darauf achten werden, dass der Grundsatz der Stabilität erst einmal eingehalten wird. Deshalb finde ich die Vorschläge der Kommission, die eine frühzeitige Vorlage der Haushaltsentwürfe auch in Brüssel vorsehen, richtig; denn das schränkt nicht die Budgethoheit der nationalen Parlamente ein, gibt der Europäischen Kommission aber die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Es bleibt unumgänglich: Wir müssen das nachholen, und zwar endlich, was bislang versäumt wurde, was weder mit dem Maastricht-Vertrag noch mit dem Lissabon-Vertrag geschafft wurde: die notwendige wirtschaftliche Verzahnung der Europäischen Union. Sie muss der Währungsunion folgen. Ohne sie wird die Währungsunion auf Dauer nicht bestehen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn ich das feststelle, ergänze ich aber auch unmissverständlich: Erfolgreich wird eine solche stärkere Verzahnung nur sein, wenn die Bedingungen für diese Verzahnung stimmen. Konkret: Die Regeln dürfen sich nicht nach den Schwächsten richten, sondern sie müssen sich nach den Starken richten. Ich weiß, dass das eine harte Botschaft ist. Ökonomisch ist sie aber ein absolutes Muss. Sonst kämen wir vom Regen in die Traufe. Das wird auch Folgerungen für die Aufgaben der Europäischen Union insgesamt haben. Ich glaube, wir werden weniger Richtlinien über den Salzgehalt im Brot, die Umbenennung des Apfelweins oder die Obstverteilung in Schulen haben und uns mehr mit einer vernünftigen Infrastruktur, mit Forschungspolitik und der Zukunftsfähigkeit des europäischen Kontinents insgesamt befassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich sage Ihnen voraus, dass es auch bei dieser Frage am Anfang wieder wenige Unterstützer geben wird und wir uns wieder hart einsetzen werden. Doch weder kann noch wird das das Kriterium für die Bundesregierung sein, wenn es darum geht, zu entscheiden, ob wir unseren Grundsätzen folgen oder nicht. Dazu steht viel zu viel auf dem Spiel, wie wir an der heutigen Debatte sehen. Es ist nicht zuletzt die Stabilitätskultur der Währung wie auch der Staatsfinanzen, die seit ihrer Gründung immer zum Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland gehört hat und gehört. Das allein wäre aber noch kein ausreichendes Argument. Viel wichtiger ist: Unsere Stabilitätskultur hat sich mehr als bewährt, und weil sie sich bewährt hat, werde ich davon, so zäh, so mühsam, so langwierig und so zeitraubend die Debatten in Brüssel auch immer sein mögen, kein Jota abweichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb brauchen wir auch eine umfassende Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Die Verschärfung der Spielregeln muss vor allem einem Ziel dienen: Die Mitgliedstaaten müssen ihrer Eigenverantwortung für eine solide Haushaltsführung gerecht werden. Das ist der Dreh- und Angelpunkt aller Anstrengungen und kann gar nicht oft genug gesagt werden. Weil wir hier schon ein wenig kontrovers diskutieren, will ich darauf hinweisen: Die Veränderung und Abschwächung des Stabilitätspakts im Jahr 2004 war ein großer Fehler. Heute gilt es, auch das einmal zu sagen. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Thomas Oppermann [SPD]: Das war gerade der Schwerpunkt Ihrer Rede! - Sigmar Gabriel [SPD]: Macht Sie das nicht nachdenklich, dass die nur dabei klatschen?) Ich messe daher der Gruppe der Finanzminister unter dem Vorsitz von Präsident Van Rompuy große Bedeutung zu. Bundesminister Schäuble wird bereits am Freitag, bei der ersten Sitzung der Gruppe, umfangreiche deutsche Vorschläge unterbreiten. Notwendig sind aus Sicht der Bundesregierung unter anderem folgende Maßnahmen: eine schnellere und straffere Anwendung von Sanktionen gegen Euro-Mitgliedstaaten, die ihren Verpflichtungen zur Senkung des Defizits nicht nachkommen. Zu diesen Sanktionen zählt zum Beispiel, Strukturmittel aus dem EU-Haushalt einzubehalten. Notwendig sind auch zusätzliche Konsolidierungsanstrengungen von Mitgliedstaaten mit hohen Schuldenständen; denn diese bergen besondere Risiken für die Krisenanfälligkeit. Notwendig ist ein vorübergehender Entzug des Stimmrechts von notorischen Defizitsündern, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird nie verabschiedet! Albern!) und vor allem notwendig ist die Entwicklung eines Verfahrens für eine geordnete staatliche Insolvenz. Damit würden wir einen wichtigen Anreiz für die Euro-Mitgliedstaaten schaffen, ihre Haushalte in Ordnung zu halten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn ich dies sage, bin ich mir natürlich bewusst: Wirkliche Reformen hin zu einer neuen Stabilitätskultur in ganz Europa erfordern Vertragsänderungen. Der Weg dorthin wird - wie immer in Europa - nicht kurz sein; aber das kann doch kein Argument sein, darauf zu verzichten, das Richtige zu tun. Deshalb wird sich die Bundesregierung weiter für Vertragsänderungen einsetzen. Meine Damen und Herren, bei all den Maßnahmen und Prinzipien, die wir anwenden müssen, geht es im Grundsatz noch um etwas anderes, um etwas viel Wichtigeres. Bankenkrise, Wirtschaftseinbruch, Konjunkturprogramme und jetzt die Währungskrise, bei all dem geht es im Grunde um die Frage: Wie können wir das Primat der Politik durchsetzen? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der SPD: Ach? - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wenden Sie sich plötzlich dieser Frage zu!) Wir sehen nach der Bankenkrise von 2008 erneut, wie durch das Fehlen von Grenzen und Regeln ein durch bloßes Gewinnstreben geprägtes Verhalten auf den Finanzmärkten zerstörerisch sein kann, wie es zu einer existenziellen Gefahr für die Finanzstabilität in Europa, ja weltweit werden kann. (Thomas Oppermann [SPD]: Das wissen wir schon länger!) Der Markt allein - um das ganz klar zu sagen - wird diese Fehlentwicklungen nicht korrigieren. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nein! Ich denke, bei Ihnen gilt: "Privat vor Staat"!) Es ist deshalb die Aufgabe der Politik - der Parlamente und Regierungen -, einzugreifen, zu regeln, im Zweifel zu verbieten, um die Risiken beherrschbar zu halten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Noch einmal: Die Ursachen für die Finanzierungskrise liegen wahrlich nicht nur an den Finanzmärkten; doch die Finanzmärkte haben wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Um Schlimmeres zu verhindern, um das Funktionieren unserer arbeitsteiligen Wirtschaft zu sichern, mussten die Länder des Euro-Raums handeln. Nutznießer dieses Handelns sind nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern alle Teilnehmer am Wirtschaftsleben, also auch jene Finanzmarktakteure, die zur Verschärfung der Krise erst beigetragen haben. Das mag ökonomisch alles erklärt werden können, für die Bürger ist es jedoch kaum nachvollziehbar. Sie wollen schlichtweg eines - ich finde, da haben sie recht -: Sie wollen, dass es gerecht zugeht. Genau das, meine Damen und Herren, müssen wir erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das macht den Geist und das Wesen der sozialen Marktwirtschaft aus: In der sozialen Marktwirtschaft ist der Staat seit jeher der Hüter der Ordnung, und als solcher greift er ein. Deshalb verfolgen wir zwei Ziele: erstens eine schärfere Regulierung und Aufsicht und zweitens eine verursachergerechte Lastenteilung, die den Finanzsektor an den Kosten der Krisenbewältigung beteiligt. (Sigmar Gabriel [SPD]: Auf einmal!) Den Worten zur Finanzmarktregulierung müssen Taten folgen, (Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Sigmar Gabriel [SPD]: Guten Morgen!) mehr Taten und entschlossenere Taten als bisher. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es ist wahr: Wir haben bereits einiges erreicht - da auch Vertreter von Ihnen, die Sie jetzt in der Opposition sind, dabei waren, würde ich das an Ihrer Stelle nicht diskreditieren -: Vergütungen im Finanzsektor werden künftig stärker am langfristigen Erfolg des Unternehmens ausgerichtet. In Deutschland sind entsprechende Regelungen schon seit dem vergangenen Jahr, zunächst durch die Finanzaufsicht, vorgeschrieben. Bundestag und Bundesrat werden ihre Beratungen über den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom Februar voraussichtlich im September abschließen. Ratingagenturen werden in Europa künftig der Finanzaufsicht unterworfen. Es wird an einer europäischen Finanzaufsicht gearbeitet. Die Debatten finden im Augenblick im Europäischen Parlament statt. Die Einlassungen des Europäischen Parlaments widersprechen leider in manchem den Einlassungen der nationalen Parlamente. Deshalb sind wir gefordert, hier schnell eine gemeinsame Regelung zu finden; denn die Ratingagenturen können keiner Aufsicht unterstellt werden, sofern nicht eine europäische Finanzmarktaufsicht beschlossen ist. Das ist jetzt die Hauptaufgabe auf diesem Gebiet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aber natürlich ist noch nicht genug erreicht. Deshalb ist der wichtigste nächste Schritt die Vorlage einer Richtlinie, mit der wir eine verstärkte Transparenz und Beaufsichtigung der Derivatemärkte erreichen und durch die die Rolle von Ratings und Ratingagenturen festgelegt wird. Beim gestrigen Treffen des Finanzministerrats ist der Zeitplan dafür von der Kommission vorgelegt worden. In den Bereichen, in denen ein nationaler Alleingang Deutschlands keinen Schaden hervorruft, werden wir auch im nationalen Alleingang handeln. Sie haben das daran gesehen, dass die BaFin durch eine Allgemeinverfügung seit heute Mitternacht bestimmte Geschäfte verboten hat: ungedeckte Leerverkäufe in Aktien der zehn bedeutendsten deutschen Finanzunternehmen, (Sigmar Gabriel [SPD]: Nachdem Sie sie erst einmal erlaubt hatten!) ungedeckte Leerverkäufe von Staatsanleihen der Euro-Zone, den Kauf von Credit Default Swaps auf Staatsanleihen des Euro-Raums, sofern der Käufer kein begründetes Absicherungsinteresse hat. - Dies alles wird so lange in Kraft bleiben, bis anderweitige Regelungen auf der europäischen Ebene gefunden wurden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dort, wo wir national nicht handeln können, brauchen wir natürlich europäische oder internationale Regelungen. Es ist gestern durch einen Beschluss des Ecofin-Rates gelungen, eine strengere Kontrolle und mehr Transparenz bei Hedgefonds festzulegen. Der Rat der EU-Finanzminister hat den Durchbruch erzielt und den Weg für eine rasche Einigung mit dem Europäischen Parlament frei gemacht. Fondsmanager - nicht nur von Hedgefonds, sondern auch von Private-Equity-Gesellschaften - werden künftig einer Aufsicht unterstellt und bestimmten Verhaltensvorschriften unterliegen. Sie müssen vor allen Dingen ihre Anlagestrategien offenlegen, was ein ganz wichtiger Schritt ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Außerdem müssen wir sicherstellen - auch dazu werden erste Überlegungen angestellt -, dass eine Abwicklung und Restrukturierung von Banken möglich wird. Damit schließen wir aus, dass der Staat von großen Banken erpresst werden kann und der Steuerzahler in Zukunft wieder zur Kasse gebeten wird. Daneben brauchen wir natürlich auch eine Beteiligung an den Kosten. Deshalb muss die Branche in Zukunft durch eigene risikobasierte Abgaben einen Fonds speisen, mit dem solche Restrukturierungen von Banken finanziert werden können. Im März haben wir im Kabinett in Anwesenheit auch der französischen Finanzministerin zu beidem Eckpunkte verabschiedet. Der Gesetzentwurf wird folgen, und dann können wir hier darüber debattieren. Darüber hinaus müssen die Finanzinstitute nach unserer Auffassung zur Bewältigung der Kosten der Krisenbewältigung beitragen. (Thomas Oppermann [SPD]: Endlich!) Wir haben - ich hatte das schon dargestellt - den Internationalen Währungsfonds um Vorschläge dazu bis zum nächsten Gipfel im Juni gebeten. Ich will hier nicht wieder, wie in der letzten Debatte, die Vorteile und Nachteile der Finanzaktivitätsteuer und der Finanzmarkttransaktionsteuer beleuchten; sie sind uns allen bekannt. Ich habe aber den Auftrag der Koalitionsfraktionen sehr wohl wahrgenommen, die sagen: Wir brauchen eine Besteuerung der Finanzmärkte, sei es durch eine Finanzmarkttransaktionsteuer, sei es durch eine Finanzaktivitätsteuer. (Zurufe von der SPD: Oh!) Für eine solche Besteuerung der Finanzmärkte werden wir uns europäisch und international einsetzen. Das sage ich den Koalitionsfraktionen und hinsichtlich der Finanzmarkttransaktionsteuer auch den Oppositionsfraktionen zu. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wissen, dass es bei der Diskussion über die Finanzmarkttransaktionsteuer schon lange nicht mehr nur um die technischen Details der Steuer geht. Es geht den Menschen vielmehr um die Frage, wie hier im Hinblick auf diejenigen, die bei all diesen Exzessen auf den Märkten die großen Gewinne gemacht haben, Gerechtigkeit erreicht werden kann. (Sigmar Gabriel [SPD]: Ja! - Thomas Oppermann [SPD]: Das ist der Punkt!) Wenn die Menschen um ihren Arbeitsplatz bangen, wenn sie Sorgen um die Stabilität der Währung haben und wenn sie natürlich auch Sparmaßnahmen ertragen müssen, (Sigmar Gabriel [SPD]: Das haben wir Ihnen schon vor zehn Tagen gesagt!) dann fragen sie sich, was wir tun, um wenigstens ein Stück Gerechtigkeit bei dieser Lastenteilung zu erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Ja! Das fragen sie zu Recht!) - Zu Recht fragen sie das, ganz genau. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das fällt Ihnen spät ein!) Es nützt aber nichts, dass sie das zu Recht fragen. Vielmehr müssen wir auch etwas tun, damit daraus etwas wird. Deshalb werde ich mich und wird sich die ganze Bundesregierung auf dem G-20-Treffen dafür einsetzen, dass wir mit einer gemeinsamen europäischen Haltung zu der Finanzmarktbesteuerung auftreten. Daher wurde die Finanzmarkttransaktionsteuer gestern unter den Finanzministern schon diskutiert. Wenn wir dort keine Einigung über eine internationale Steuer erreichen sollten - das wird nicht an Deutschland liegen -, dann werden wir in Europa diese Diskussion führen: Wie können wir den Beitrag der Finanzbranche so gestalten, dass die Menschen dieses Stück Gerechtigkeit auch empfinden? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, ich habe an dieser Stelle vor nicht ganz zwei Wochen gesagt: Europa steht am Scheideweg. - Das gilt unverändert. Europa steht am Scheideweg, und es liegt jetzt an uns, den richtigen Weg einzuschlagen, um die existenzielle Bewährungsprobe zu bestehen, in der Europa sich befindet. Wir wissen, dass wir Europa brauchen, um die großen Zukunftsaufgaben, die wir als Mitgliedstaaten nicht alleine bewältigen können, mit Erfolg anzugehen. Ein Weg zurück aus Europa ist in Zeiten der Globalisierung kein Weg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die europäische Einigung war, ist und bleibt die bestechendste, die großartigste und die verheißungsvollste Idee, die Europa je gesehen hat. Sie ist das Vermächtnis der politischen Generationen vor uns. Der Auftrag unserer politischen Generation heute ist es, dieses Vermächtnis zu schützen und das 21. Jahrhundert zu Europas Jahrhundert zu machen. Unsere heutige Entscheidung ist ein weiterer unabdingbarer Schritt auf diesem Weg, auf dem Weg zu einer langfristig stabilen Europäischen Union, die den Menschen nicht nur eine sichere Währung, sondern auch Wohlstand und Frieden garantieren kann. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Über einen Mangel an Regierungserklärungen kann sich die Opposition in diesen Tagen nicht beklagen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: An Inhalten!) Das Problem ist nur - da mögen sich Bundeskanzlerin und Vizekanzler in Blazer und Krawatte noch so sorgfältig abstimmen -: (Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/CSU: Was ist das für ein Niveau?) Hinterher weiß man nicht recht, was erklärt worden ist. Mir ist es jedenfalls nach der letzten Regierungserklärung, Frau Bundeskanzlerin, nicht ganz klar geworden, an welcher Stelle Sie in Ihrer Regierungserklärung um die Mehrheit in diesem Hause geworben haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Heute bin ich mir bei manchen Passagen Ihrer Regierungserklärung vorgekommen wie im falschen Film. Ich kritisiere niemanden, der Einsicht zeigt - auch wenn Sie die Regierungsfraktionen bei der Frage, ob Lehren aus der Finanzkrise gezogen werden sollen, erst zum Beifall auffordern mussten -; (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) aber vielleicht können Sie nachvollziehen, dass das für die Opposition schwer auszuhalten ist: Wir haben vor zwei Wochen in diesem Hause gefordert, (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Was habt ihr davor gemacht?) dass die Bewältigung der Finanzkrise nicht allein auf den Schultern der kleinen Leute abgeladen wird und dass die Finanzbranche einen substanziellen Beitrag zur Bewältigung der Kosten zu leisten hat. Sie haben uns von diesem Pult aus - und in den Tagen danach Ihre Matadore aus den Regierungsfraktionen - Naivität und auch Unverstand vorgeworfen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) und heute, zwei Wochen später, tun Sie so, als wären unsere Forderungen nahezu das Selbstverständlichste von der Welt. Ich ahne schon, dass Sie, wenn Sie am Freitag hier reden, am Ende so tun werden, als wären sie von Ihnen erfunden worden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genauso ist es!) Das zieht einem die Schuhe aus, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nun könnte ich es mir als Vertreter der Opposition leicht machen (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sie machen es sich viel zu leicht!) und mit Blick auf das, was Sie eben zu den Finanzmärkten und dem von ihnen zu leistenden Beitrag gesagt haben, sagen: Besser spät als nie. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Wir sind hier nicht auf dem Jahrmarkt!) - Ich weiß, dass das wehtut. - Aber was wir in den letzten sieben Monaten von dieser Regierung erlebt haben, lässt kaum jemanden in Deutschland ruhig schlafen. Der Verdacht, den wir anfangs geäußert hatten, wird von Tag zu Tag zur Gewissheit, nämlich dass diese Regierung weder Linie noch Richtung und vor allen Dingen keinen Mut hat. Das kann nicht so weitergehen in Deutschland, nicht in dieser schwierigen Situation, in der wir sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Bundeskanzlerin, aus den letzten Wochen bleibt der Eindruck, dass auch Sie selbst bei jeder der schwierigen Entscheidungen, die zu fällen waren, im Grunde genommen zum Jagen getragen werden mussten, am Ende sogar, wie wir heute gemerkt haben, von der eigenen Partei. Das wirkt ratlos; das wirkt kraftlos. Mitten in einer Krise, die der Präsident der EZB vor kurzem als die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet hat, wirken Sie selbst eher wie eine Getriebene, wie eine Getriebene der Märkte, wie eine Getriebene von Europa, wie eine Getriebene von der FDP und am Ende sogar wie eine Getriebene von der eigenen Partei. Das könnte einer Opposition egal sein. Aber so kommen wir aus der Krise nicht heraus. Das ist dramatisch für unser Land. (Beifall bei der SPD) Wir kommen so nicht nur nicht heraus; das ist nicht allein das Problem. Vielmehr haben wir in den letzten Wochen gesehen, dass man auf diese Weise noch tiefer in die Krise hineingeraten kann. Herumlavieren, wie wir es erlebt haben - darüber haben wir auch kritisch disku-tiert -, das Taktieren mit Wahlterminen, mit dem in Nordrhein-Westfalen, das alles hat uns doch in Wahrheit in Europa ein Stückchen tiefer in die Krise hineingetragen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jeder Ökonom - auch der von Ihnen so sehr geschätzte IWF erst am letzten Wochenende - sagt Ihnen, früheres Handeln hätte ein Übergreifen der Krise auf die Nachbarstaaten verhindert. Sie haben seit fünf Wochen nichts getan, geleugnet und verschleppt. Das ist der Fehler, den wir Ihnen vorwerfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fünf Wochen? Fünf Monate!) Am 22. März - ich darf das in Erinnerung rufen -, drei Tage vor dem Grundsatzbeschluss der Europäischen Union zur Griechenland-Hilfe, haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, öffentlich erklärt, dass es nicht um aktuelle Hilfen für Griechenland geht. Einen Tag vor der Sitzung des Rates erklärt der Parlamentarische Staatssekretär beim BMF, Herr Koschyk, hier im Parlament - ich zitiere -: Der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, hat das von Ihnen genannte Thema nicht für die Tagesordnung des Europäischen Rates am 25./26. März 2010 vorgesehen. Es kam, wie wir alle wissen, völlig anders. Der Grundsatzbeschluss für die Griechenland-Hilfe wurde just auf dieser Sitzung des Rates gefällt. Es ist immer dasselbe Muster: Entscheidungen verschleppen, hier im Bundestag verschleiern, was genau verhandelt wird. Keiner rückt mit der Sprache wirklich heraus. Stattdessen wurde über Wochen der Boulevard munitioniert, mit den Folgen, die wir jetzt erleben. (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) Den vorläufigen Höhepunkt haben wir in der vorletzten Woche erlebt. Da erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion unmittelbar vor der Abstimmung und voller gespielter Empörung, wie ich in Erinnerung habe - ich zitiere -: Es bleibt bei den 22,4 Milliarden Euro, die der Bundestag heute mit dem Gesetzentwurf beschließen wird. Es wird kein einziger Cent mehr. (Heiterkeit bei der SPD) Sie haben recht gehabt: Es ist kein Cent mehr geworden. Allerdings sind 750 Milliarden Euro daraus geworden. Das ist die ganze Wahrheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Fricke, Sie wissen, dass ich Sie persönlich schätze. Deshalb ein Wort dazu: Man muss vorsichtig sein, wenn man sich in diesen bewegten Zeiten so festlegt, nur um kurzzeitig einmal Applaus von der eigenen Fraktion zu bekommen. Man gefährdet so aber das Vertrauen des ganzen Parlamentes. Vertrauen werden Sie von den Regierungsfraktionen zukünftig dringender brauchen als in den vergangenen Monaten. (Beifall bei der SPD) Wir reden uns hier im Parlament die Köpfe über die 22 Milliarden Euro heiß. Sie beschimpfen uns, als wir sagen, das werde nicht das Ende der Fahnenstange sein. Fünf Stunden später, am Nachmittag desselben Tages, ist die Dimension der europäischen Rettungspakete dann 20-mal größer als das, was wir vormittags hier verhandelt haben. Vielleicht begreifen Sie - wir alle haben einmal hier auf unterschiedlichen Stühlen gesessen -, dass der Bundestag und vermutlich am Ende nicht nur die Oppositionsfraktionen Vermutungen anstellen, wer was gewusst und wer die Abgeordneten möglicherweise bewusst im Unklaren gelassen hat. Ich will gar nichts unterstellen. (Widerspruch bei der CDU/CSU) - Passen Sie auf! - Ich will nicht unterstellen, dass hier jemand bewusst die Unwahrheit gesagt hat; aber die andere Variante, die dann allerdings bleibt, ist nicht die schönere für die Koalitionsfraktionen und die Regierung. Die andere Variante ist aus meiner Sicht die schlimmere. (Zuruf von der SPD: Ja!) Vieles spricht doch in der Tat dafür, dass die Regierung, die gesamte Mannschaft, nach Brüssel gefahren ist, ohne zu wissen, was die Kommission möglicherweise im Verbund mit den Vertretern größerer Mitgliedstaaten bereits vorbereitet hatte. Das müssen Sie sich einmal vorstellen: Die fundamentale europäische Frage wird ohne Deutschland vorbereitet, vielleicht sogar an Deutschland vorbei und am Ende gegen Deutschland. - Das hat sich in dieser Europäischen Union verändert, und das ist die Bilanz nach sieben Monaten Ihrer Regierungszeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Damit wir uns richtig verstehen: Die Entscheidungen, die am 8. oder 9. Mai gefallen sind - es waren weitreichende Entscheidungen zur Rettung des Euro -, waren richtig. Es war richtig und notwendig, den Angriff der Spekulanten auf den Euro abzuwehren; es war auch richtig, Tabus über Bord zu werfen. Aber seien Sie, meine Damen und Herren, nicht zu stolz darauf. Diesen Mut haben andere in Europa gehabt, nicht die deutsche Bundeskanzlerin und die deutsche Bundesregierung. Was ist aus der deutschen Führungsrolle in Europa geworden? Sie sind vom Führerstand in das Bremserhäuschen umgestiegen, aber das ist die falsche Richtung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das wären schon Probleme genug. Etwas anderes - das kann ich Ihnen nicht ersparen - finde ich noch empörender als das eben Beschriebene, nämlich den Satz, der in einer öffentlichen Rede der Frau Bundeskanzlerin gefallen ist: Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt. - Frau Merkel, das ist ein verräterischer Satz, verräterisch deshalb, weil dieser Satz belegt, woran diese Koalition täglich scheitert, nämlich an der Realität, (Widerspruch bei der CDU/CSU) und zwar nicht nur, weil sie nicht nach den Erfordernissen der Realität handelt, sondern weil sie sich sogar weigert, sie zu benennen. (Birgit Homburger [FDP]: Elf Jahre SPD-Finanzminister!) Frau Merkel - das sage ich auch Ihnen, Frau Homburger -, nicht wir alle haben über unsere Verhältnisse gelebt. Die Wahrheit ist: Diejenigen, die über die Verhältnisse gelebt haben, wissen nicht einmal, wie die Verhältnisse für die Mehrzahl der Menschen in Deutschland sind. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber im Ernst: Auch Sie wollen doch nicht sagen, dass der Wachmann, der jeden Morgen vor der Tür von Frau Merkel steht, mit seinen 1 200 Euro im Monat über seine Verhältnisse gelebt hat. Dasselbe gilt für die Verkäuferin in der Bäckerei oder in der Fleischerei, in denen wir einkaufen, oder die bei Schlecker, Lidl oder Aldi. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) - Ich habe den Satz nicht gesagt. Damit müssen Sie zurechtkommen. Ich habe nicht gesagt, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. - Aber dass die über ihre Verhältnisse gelebt hätten, ist doch wirklich ein zynischer Satz. Man muss sich wirklich wundern, dass darüber nicht mehr Aufregung in diesem Lande herrscht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Solche Sprüche macht der, der Hartz IV erfunden hat! Sauber! Sie haben Hartz IV erfunden!) Die Realität, der Sie auf der Regierungsseite sich verweigern, ist eine ganz andere, und das wissen die Menschen. Zum Zusammenbruch im September 2008 kam es nicht deshalb, (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Furchtbar!) weil wir über unsere Verhältnisse gelebt haben, sondern weil die Akteure auf den Finanzmärkten in Unvernunft und Verantwortungslosigkeit jedes Jahr das Rad noch ein Stückchen weitergedreht haben. Dabei sind sie vom Zeitgeist in den Wirtschaftsinstituten unterstützt und getrieben worden. Das ist die ganze Wahrheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ging so lange, bis es zum Knall kam und sich alle vom Acker gemacht haben, was dazu führt, dass die Kosten nun genau von denjenigen getragen werden müssen, von denen Sie sagen, sie hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Das darf man nicht machen. Man muss sagen, was ist. Damit fängt jede Verantwortung in der Politik an. Sie wollen nicht sehen und nicht sagen, was ist. Das ist meine Bewertung Ihrer öffentlichen Reden aus den letzten Tagen. (Beifall bei der SPD) Indem Sie sich dieser Realität verweigern, werfen Sie - das kann ich zumindest in Ihre Richtung sagen - gleich auch noch ein Stück eigene Regierungsgeschichte mit über Bord. Warum? Frau Merkel, Sie hatten in der Großen Koalition einen Finanzminister, der die Konsolidierung des Haushalts betrieben hat, was ihm ohne die Pleite von Lehman Brothers und das, was danach passierte, auch gelungen wäre. (Lachen bei der FDP) Ohne die Gier und die Maßlosigkeit auf den Finanzmärkten hätte es keine wachsende Neuverschuldung gegeben. Sie wissen das; Sie haben das doch mitgetragen. Warum beschweren Sie sich also? (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) In anderen Zeiten haben Sie das gelobt. Eine Nettoneuverschuldung von null in 2011 wäre realistisch gewesen. (Beifall bei der SPD) Dass es anders kam, werfe ich doch niemandem persönlich vor, auch der Bundeskanzlerin nicht. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP - Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind aber großzügig!) Aber der von Peer Steinbrück beschrittene Pfad wurde von denselben 82 Millionen Deutschen beschritten, von denen Sie heute sagen, sie hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Da kann doch irgendetwas nicht stimmen. (Beifall bei der SPD) Es ist doch ganz offenbar, dass nicht dieses abstrakte "wir", sondern nur einige, die wir benennen können, die Verhältnisse ins Chaos gestürzt haben. Deshalb bleibt nur ein einziger richtiger Schluss: Diejenigen dürfen jetzt nicht ungeschoren davonkommen. Dafür müssen wir in diesem Hause sorgen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum Gesetzentwurf selbst und zu den Einzelheiten wird Carsten Schneider gleich noch ein paar Worte sagen. Unser wichtigstes Anliegen - - (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) - Wollen Sie unsere Zustimmung (Zuruf von der FDP: Nein! - Gegenrufe von der SPD: Ah!) möglicherweise erwerben oder nicht? - (Christian Lindner [FDP]: Wir sind nicht käuflich!) Die Geschäftsbedingungen haben wir in der vorvergangenen Woche geklärt. Das sind nicht nur unsere. Sie wissen: Bei einer reinen Kreditermächtigung kann es nicht bleiben. Mit Blick auf die Regierungserklärung am heutigen Morgen sage ich: Ich erkenne an, dass es in einigen Fragen offenbar Bewegung gibt, vielleicht sogar die Bereitschaft, sich Anliegen zu eigen zu machen, die wir in der vorletzten Woche hier vorgetragen haben. Aber ebenso klar muss für die nächsten Tage bis zur Abstimmung bleiben: Bloße Ankündigungen - auch das ist das Ergebnis der letzten Woche und des verloren gegangenen Vertrauens - werden nicht ausreichen. (Beifall bei der SPD) Der Bundestagspräsident hat erst vor wenigen Tagen an das Recht des Parlaments erinnert, Gesetzesvorschläge zu sehen und klare Erwartungen an die Bundesregierung zu richten. Ein Verfahren wie das, das wir in der vorletzten Woche hatten und in dieser Woche haben, mag mit Blick auf die Krise notwendig und unvermeidlich sein. Aber dass ein Verfahren wie dieses - das ist nicht nur die Auffassung der Opposition - am Selbstverständnis des Parlaments rührt, muss uns allen doch klar sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die Selbstachtung des Parlaments verlangt es, dass wir hier nicht nur Reden austauschen, sondern dass wir uns, wenn Sie wirklich die Erwartung haben, etwa bei der Kontrolle der Finanzmärkte und auch bei der finanziellen Beteiligung der Finanzmärkte annähern. Wir sollten uns darüber nicht nur in Reden austauschen, sondern wenn wir uns hinsichtlich einer effektiveren Aufsicht über die Finanzmärkte, der Notwendigkeit einer Regulierung, der Einhegung der Hedgefonds, des Verbots schädlicher Finanzmarktprodukte sowie der Aufsicht über Ratingagenturen und erster Schritte hin zu europäischen Ratingagenturen bis hin zur Frage der Finanzmarkttransaktionsteuer einig sein sollten, dann sollte dies auch schwarz auf weiß in einem Text stehen; das ist geübtes parlamentarisches Verfahren. Das ist keine Holschuld der Opposition, das ist eine Bringschuld der Regierung. Ich fordere Sie auf, das zu erledigen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie können jedenfalls sicher sein - und das abschließend -: Meine Fraktion weiß um die politische Verantwortung für dieses Land wie für Europa. Wir wissen, dass es um riesige, fast unvorstellbare Größenordnungen geht: um 750 Milliarden Euro, davon 500 Milliarden Euro von der EU, 440 Milliarden Euro von den Euro-Ländern. Wir wissen, dass es nicht nur um Kreditermächtigungen und Geld geht, sondern dass mehr auf dem Spiel steht: der künftige Weg Europas und die Zukunft unserer Demokratie. Viel steht auf dem Spiel. Entweder gelingt es uns (Patrick Döring [FDP]: Ihr macht ja nicht mit!) - wartet ab -, die Verhältnisse wieder in Ordnung zu bringen, die Märkte neu zu ordnen und die Lasten fair zu verteilen, oder wir untergraben in der Tat das Vertrauen in Europa und seine Mitgliedstaaten und auch das Vertrauen in die Politik und die Demokratie. Weil am Ende sehr viel auf dem Spiel steht - wir wissen das -, erfordert das eine sehr sorgfältige und ernsthafte Debatte hier im Hause. Wir werden klar entscheiden; verlassen Sie sich darauf. Aber wie wir uns entscheiden, hängt davon ab, ob die heutigen Ankündigungen wirklich ernst gemeint sind und ob, wie Sie versprochen haben, den Worten tatsächlich Taten folgen. Die Regierung hat das in der Hand. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zurufe von der SPD: Oh!) Birgit Homburger (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage ist ernst. (Zurufe von der SPD: Oh!) Es geht nicht um einzelne Länder. Es geht nicht um Griechenland, es geht auch nicht um Spanien oder Portugal. Es geht um Europa insgesamt. Es geht um die EU und damit um die Basis unseres Friedens und unseres Wohlstands. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Als wir vor zwei Wochen erstmals über ein Hilfspaket für die Stabilität des Euro diskutierten, hatten viele von uns große Sorgen, wie sich die marode Haushaltssituation in vielen Ländern der Europäischen Union auf Dauer entwickeln und auswirken würde. Wir haben deshalb klargemacht, dass man nicht bei einer Krisenbewältigung stehen bleiben kann, sondern dass es zu einer Krisenprävention kommen muss. Wir haben in einem umfangreichen Entschließungsantrag Vorschläge gemacht. Die Lage hat sich in bis dahin unvorstellbarer rasanter Geschwindigkeit weiterentwickelt und verschärft. Diese Lage stellt Europa vor die größte Herausforderung in seiner Geschichte. Es geht hier um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die gemeinsame Währung. Diese Glaubwürdigkeit und dieses Vertrauen sind der Lebensnerv des Euro. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger darf nicht verspielt werden. Ich sage an dieser Stelle: Gegen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger darf nicht spekuliert werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dafür werden wir sorgen. Ich sage an dieser Stelle ebenfalls: Wir teilen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, und wir nehmen sie ernst. Herr Steinmeier, Sie haben in Ihrer Rede eben hier Vorwürfe gemacht und Allgemeinplätze verkündet, aber keinen einzigen Lösungsvorschlag genannt. (Sigmar Gabriel [SPD]: Sie greifen doch gerade unsere Lösungsvorschläge auf!) Das, was Sie hier abgeliefert haben, Herr Steinmeier, war unterirdisch und der SPD schlicht nicht würdig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Sigmar Gabriel [SPD]: Glauben Sie eigentlich, was Sie da sagen?) Es geht um die Sicherung und Stabilisierung unserer Währung. Es geht um die Sicherung und Stabilisierung des Wirtschaftsraums, und es geht um die Sicherung des Wohlstands. Darüber hinaus hat die Politik die Bewährungsprobe zu bestehen, ob sie das Heft des Handelns zurückgewinnt. In drei Bereichen müssen Maßnahmen durchgeführt werden: Erstens muss ein Sofortpaket geschnürt werden, zweitens müssen Regulierungen am Finanzmarkt durchgeführt werden, drittens braucht Europa einen neuen Stabilitätspakt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wenn heute ein Stabilitätspaket mit einem riesigen Umfang vorgelegt wird, dann wirkt dieses Paket wie ein Schutzschirm für den Euro und für die Sparerinnen und Sparer. Wir handeln im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Ich sage ganz deutlich: Wir werden alles dafür tun, dass die Krise des Euro nicht zur Vertrauenskrise im Hinblick auf das gesellschaftliche und das politische System in Europa wird. (Beifall bei der FDP - Fritz Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es mal konkreter, bitte!) Europa und der Euro sind eine Erfolgsgeschichte. Der gemeinsame Währungsraum hat für wirtschaftlichen Erfolg und Stabilität gesorgt. 63 Prozent unserer Exporte gehen in europäische Länder, hängen also von Europa ab. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Rede hätten Sie vor vier Jahren halten können, aber nicht heute!) Ein Viertel der Arbeitsplätze hängt vom Export ab. Deshalb ist die Stabilisierung des Euro von herausragender Bedeutung, und deshalb haben wir dieses Sofortpaket auf den Weg gebracht. Die Bundeskanzlerin hat es beschrieben. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten doch konkret werden!) Ich glaube, es ist ein starkes Signal an die Märkte. Wir haben darüber hinaus deutlich gemacht, dass es dieses Sofortpaket nicht ohne Bedingungen gibt. Diese Bedingungen sind: dass die Hilfe kein Selbstläufer wird, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch keine Bedingung!) dass der IWF weiter eingebunden ist, dass es harte Sparauflagen für diejenigen gibt, die die Hilfe in Anspruch nehmen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie uns lieber etwas über die Zukunft!) dass Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen, dass die Existenz der Stabilitätsgesellschaft auf drei Jahre befristet ist, dass es keine gesamtschuldnerische Haftung gibt, dass es eine klare Einbeziehung des Parlaments gibt und dass präventive Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. Mit diesen Bedingungen gehen wir in die Zukunft. Damit wird vermieden, dass es zukünftig erneut Situationen wie diese gibt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht um die Regulierung der Finanzmärkte. Es geht darum, die Exzesse zu beseitigen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber mal konkret!) Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Woche einen Entschließungsantrag beschlossen. Im Raum stand die Frage, ob der Bundestag überhaupt die Möglichkeit hat, Einfluss zu nehmen, und ob durch seine Einflussnahme überhaupt etwas bewegt würde. Ich stelle fest: Es hat sehr wohl etwas bewegt, dass wir, der Deutsche Bundestag, mit Blick auf das Hilfspaket für Griechenland klargemacht haben, dass wir erwarten, dass in Europa weitere Schritte in Richtung einer entsprechenden Regulierung der Finanzmärkte gegangen werden. Gestern ist - die Bundeskanzlerin hat darüber berichtet - die europäische Richtlinie zur Regulierung der Hedgefonds auf den Weg gebracht worden. Ich will Ihnen jetzt etwas zitieren: Hedgefonds sollen gegenüber herkömmlichen Investmentfonds nicht mehr diskriminiert werden. Weiter: Private Anleger werden von höheren Renditen der Hedgefonds profitieren können. - Dies sagte, meine sehr verehrten Damen und Herren, am 6. März 2003 der damalige Bundesminister Eichel in einer Rede an der Goethe-Universität in Frankfurt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Zurufe von der FDP: Aha!) Er hat deutlich gemacht, dass man hier Hedgefonds zulassen will. Am 1. Januar 2004 ist unter rot-grüner Verantwortung das Investmentmodernisierungsgesetz in Kraft getreten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD) - Sie brauchen sich überhaupt nicht aufzuregen. Sie versuchen draußen den Eindruck zu erwecken, dass es das alles, wenn es nach Ihnen gegangen wäre, überhaupt nicht gegeben hätte, dass dann alles längst reguliert wäre. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Es verhält sich doch ganz anders: Sie tragen eine Mitverantwortung. Geben Sie das doch endlich zu! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Sigmar Gabriel [SPD]: Sie haben gar nicht verstanden, dass das ein Begrenzungsgesetz war, Frau Homburger! - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Haben Sie denn damals widersprochen oder zugestimmt?) Vor diesem Hintergrund sage ich ganz deutlich: Ich begrüße die Entscheidung, die die BaFin getroffen hat, nämlich ungedeckte Leerverkäufe zu verbieten. Wir sind bereit, das gesetzlich abzudecken. Wir sind bereit, alles zu tun, was diese hochspekulativen Geschäfte verhindert. Was wir national tun können, tun wir national. Jetzt geht es tatsächlich darum, endlich zu handeln. Und diese Regierung handelt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gegen die Spekulation mit Staatsanleihen werden allerdings nur europa- und weltweite Lösungen helfen. (Johannes Kahrs [SPD]: Ausreden!) Es ist ja angekündigt, dass die EU im Juli eine Regelung zu Leerverkäufen und zu Derivaten treffen wird. Was uns unterscheidet, Herr Steinmeier, ist: Wir haben in den letzten Wochen mehr erreicht als die SPD in all den Jahren, in denen sie die Regierung stellte. Das ist die Wahrheit, die Sie zur Kenntnis nehmen müssen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD - Johannes Kahrs [SPD]: Selber nichts hingekriegt und jetzt hier Phrasen dreschen! - Sigmar Gabriel [SPD]: Das muss den Wählern in Nordrhein-Westfalen entgangen sein!) Es braucht weitere Schritte: eine Regulierung des grauen Kapitalmarkts, die Gründung einer europäischen Ratingagentur und vor allen Dingen auch eine Kontrolle der Ratingagenturen. (Johannes Kahrs [SPD]: Ihnen ist gar nichts eingefallen! Steuererhöhungen standen bei Ihnen auch nicht im Programm!) Es braucht außerdem auch eine klare Finanzmarktaufsicht. Wir wollen, dass all das auf den Weg gebracht und europaweit umgesetzt wird. Wir erwarten auch, dass sich in Europa etwas bewegt. Wir haben noch einen weiteren Punkt - den will ich hier ganz klar ansprechen -, (Sigmar Gabriel [SPD]: Endlich mal etwas Klares!) nämlich die Beteiligung der Finanzmärkte an den Kosten der Krise. Das ist aus unserer Sicht eine Gerechtigkeitsfrage. (Zurufe von der SPD: Oh!) Wir haben seit langem deutlich gemacht: Wer in der Hoffnung auf Absicherung der eigenen Ausfälle durch die Steuerzahler spekuliert, muss an den Kosten der Krise beteiligt werden. Diese Forderung setzen wir auch um. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Sigmar Gabriel [SPD]: Wird Ihnen bei Ihren Pirouetten nicht langsam schwindlig?) Im Übrigen werden wir dabei darauf achten, dass nicht die kleinen Sparer belastet werden, sondern diejenigen, die tatsächlich Anteil an der Krise haben. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie erhöhen jetzt die Steuern!) Wir wollen ein Insolvenzrecht für Staaten. Das bedeutet Umschuldung. Umschuldung wiederum bedeutet, dass zielgenau diejenigen zur Übernahme der Kosten herangezogen werden, die sie auch hervorgerufen haben. Wir wollen uns in Europa und im Rahmen der G 20 für ein abgestimmtes Vorgehen bei der Beteiligung des Finanzmarktsektors einsetzen. Auch das ist schon im Deutschen Bundestag beschlossen worden. Wir haben die Einführung einer Bankenabgabe in Deutschland auf den Weg gebracht. Die SPD hat während ihrer Regierungszeit - (Johannes Kahrs [SPD]: Den Haushalt konsolidiert, gnädige Frau, und Steuern gesenkt!) da war im Übrigen die Finanzmarktkrise schon da, wenn Sie das einmal zur Kenntnis nehmen wollen, Herr Steinmeier - immer nur Konsequenzen gefordert. Wir dagegen ziehen die Konsequenzen und handeln. Das ist der Unterschied. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen eine neue Verantwortungsethik in der Wirtschaft und auch auf den Finanzmärkten. Was in vielen Familienbetrieben, was im Mittelstand Normalität ist, dass man nämlich für Entscheidungen, die man trifft, haftet, und zwar auch mit dem eigenen Vermögen, ist ein ethisches Fundament der sozialen Marktwirtschaft. Die Geltung dieses Prinzips wollen wir auch auf den Finanzmärkten und bei Kapitalgesellschaften um- und durchsetzen. Es muss so sein, dass Unternehmen und auch ihre Manager für die Folgen ihrer Entscheidungen haften. Nur das sorgt für verantwortliches Handeln. Haftung und Risiko müssen zusammengebracht werden, Verantwortung muss gestärkt werden. Wir wollen, dass das Bild eines ehrbaren Kaufmanns wieder Gültigkeit hat, (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Dann fangen Sie damit doch einmal an! - Sigmar Gabriel [SPD]: Dann müssen Sie Ihren Vorsitzenden auswechseln!) auch im Wirtschaftsbereich und auf den Finanzmärkten. Wenn man das umsetzen will, dann muss man klar handeln. Auch das haben wir getan. (Zuruf von der SPD: Seit wann? - Johannes Kahrs [SPD]: Lesen Sie doch mal Ihr Wahlprogramm!) Wir haben eine Richtlinie umgesetzt, mit der wir dafür sorgen wollen, dass bei Managervergütungen andere Maßstäbe angelegt werden, (Thomas Oppermann [SPD]: Jetzt aber nicht durcheinanderkommen!) dass mehr auf die Langfristigkeit geachtet wird (Johannes Kahrs [SPD]: Was steht dazu denn in Ihrem Wahlprogramm?) und dass nicht in jedem Fall Boni gezahlt werden dürfen, (Thomas Oppermann [SPD]: Sie sind ja eine richtige Regulierungspartei!) sondern dass man auch mit einem Gehaltsabschlag zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn es schlecht läuft; (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müsste Ihr Gehalt jetzt aber ganz schön stark gekürzt werden!) auch das muss möglich sein. Wir werden darüber hinaus die zivilrechtlichen Verjährungsfristen verlängern, (Johannes Kahrs [SPD]: Sie fallen noch unter 5 Prozent, wenn Sie so weitermachen!) um zu erreichen, dass diejenigen, die Schuld haben, auch zur Verantwortung gezogen werden können. All das haben wir in kurzer Zeit auf den Weg gebracht, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Thomas Oppermann [SPD]: Ich bin beeindruckt!) Daran wird deutlich, dass wir daran arbeiten, einen Rahmen zu setzen, der eine neue Verantwortungsethik in der Wirtschaft möglich macht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Johannes Kahrs [SPD]: Das glaubt ja nicht mal Ihre eigene Fraktion!) Jetzt ein Wort zur Finanzmarkttransaktionsteuer. (Zurufe von der LINKEN: Oh! Doch noch! - Endlich!) Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, tragen dieses Thema wie eine Monstranz vor sich her. (Sigmar Gabriel [SPD]: Nein! Die CSU macht das derzeit! - Thomas Oppermann [SPD]: Wir? Ihr Koalitionspartner macht das!) Das Einzige, was ich von Ihnen bisher zur Lösung der Probleme gehört habe, ist, dass man angeblich eine solche Steuer braucht; das ist Ihre eierlegende Wollmilchsau. Wenn man diese Steuer einführte, dann sei alles in Ordnung. (Johannes Kahrs [SPD]: Lesen bildet, Denken hilft!) Das ist natürlich nicht so. Seit Wochen hören wir von Ihnen keinen vernünftigen Vorschlag. Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Es ist ein Armutszeugnis, wie sich die SPD hier darstellt. (Thomas Oppermann [SPD]: Und die CSU! - Sigmar Gabriel [SPD]: Wir zittern vor Angst!) Sie sind zu einer Einthemenpartei verkommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie machen ganz kleines Karo. Ich fordere Sie auf: Kehren Sie endlich dazu zurück, Verantwortung in Deutschland zu übernehmen! (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird der Satz des Jahres! Sie sind ja ganz wild, Frau Homburger! Was ist denn los? - Sigmar Gabriel [SPD]: Wir zittern schon richtig!) Dazu gehört eine klare Analyse der Ursachen. Zur Analyse der Ursachen gehört auch Ehrlichkeit, Herr Steinmeier. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, verantwortlich seien die Finanzmärkte. (Johannes Kahrs [SPD]: Ja! Und die FDP vielleicht noch! - Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wollen Sie etwa ein "Weiter so"?) Verantwortlich für die Krise ist zuallererst die Tatsache, (Sigmar Gabriel [SPD]: Dass Sie nichts getan haben!) dass Staaten über ihre Verhältnisse gelebt haben. (Thomas Oppermann [SPD]: Sie wollten doch gerade erst noch mehr haben! - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten doch auch daran verdienen!) Zu dem, was Sie, Herr Steinmeier, vorhin ausgeführt haben, will ich Ihnen eines ganz klar sagen: Nicht der Bäcker und der Polizist haben über ihre Verhältnisse gelebt. (Caren Marks [SPD]: Genau! - Johannes Kahrs [SPD]: Nein! Ihre Klientel!) Nein, SPD-Finanzminister haben in den mehr als elf Jahren, in denen sie Verantwortung hatten, über ihre Verhältnisse gelebt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Als der Euro eingeführt wurde, haben wir für den Stabilitäts- und Wachstumspakt gestritten. Wir haben deshalb für ihn gestritten, weil wir wollten, dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen in diese Währung haben. (Johannes Kahrs [SPD]: Dann kam die FDP! - Thomas Oppermann [SPD]: Deshalb Mövenpick?) Dieser Stabilitäts- und Wachstumspakt ist im Jahre 2005 auf Betreiben der rot-grünen Bundesregierung auf europäischer Ebene ausgehöhlt und verschlechtert worden. Auch dies hat dazu beigetragen, dass jetzt nicht rechtzeitig in Europa gehandelt wurde und dass man die Situation der betroffenen Staaten nicht in den Griff bekommen hat. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wir haben mit demselben Stabilitätspakt Schulden abgebaut!) Dies müssen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, schlicht und ergreifend einmal zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Johannes Kahrs [SPD]: Wollen Sie etwa noch mehr Schulden machen?) - Nein, es ist genau anders herum: Wir wollen nicht noch mehr Schulden machen; das, was Sie hier erzählen, ist doch völliger Unsinn. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie sind doch die Schuldenpartei! - Thomas Oppermann [SPD]: Was ist denn mit Ihren Steuersenkungen?) Wir haben deutlich gemacht, dass Haushaltskonsolidierung eine der zentralen Notwendigkeiten dieser Legislaturperiode ist. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das von der FDP! Ich sage nur: 80 Milliarden Euro Schulden! - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mövenpick!) Wir sind aber auch der Meinung, dass wir mit einer klugen liberalen Wirtschaftpolitik Impulse für Wachstum in diesem Land setzen müssen; auch dies gehört dazu. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Renate Künast [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Geben Sie mal das Geld für Mövenpick an den Bundeshaushalt zurück!) Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige wenige Punkte nennen, (Johannes Kahrs [SPD]: Etwa, wie Sie die Steuern erhöhen wollen?) die für uns auf dem Weg zu einer Stabilisierung der Währungsunion von zentraler Bedeutung sind. Dazu gehört ein Frühwarnsystem. Falsche Angaben müssen früher erkannt werden. (Sigmar Gabriel [SPD]: Aha! Wie im Koalitionsvertrag, ja? Da sind nämlich jede Menge falsche Angaben drin!) Eurostat, das europäische Amt für Statistik, und der Europäische Rechnungshof müssen mehr Kompetenzen bekommen. Die Zeit des Tricksens und Täuschens muss in Europa beendet werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Johannes Kahrs [SPD]: Das würde bei der FDP schon reichen! - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los, Frau Homburger! - Thomas Oppermann [SPD]: Da sind Sie ja Experten!) Wir werden uns dafür einsetzen, dass Sanktionen zukünftig früher greifen, dass Defizitverfahren beschleunigt werden. Länder, die eine krisenhafte Überschuldung haben, müssen damit rechnen, dass man ihnen Vorgaben macht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, zum Beispiel keine Steuersenkungen!) Wir plädieren hier für einen EU-Sonderbeauftragten. Wir wollen wirksamere Sanktionen einführen - auch das ist ein zentraler Punkt -: Entzug der Stimmrechte, Sperrung von EU-Direktzahlungen und automatische Sanktionen. Wir wollen eine Insolvenzordnung für Staaten, sodass eine Umschuldung möglich ist und Hilfskräfte früher aktiviert werden können. Wir wollen, dass die Währungsunion nicht zu einer Transferunion wird. Dafür hat die Bundesregierung mit Erfolg in Brüssel gestritten; aber wir müssen daran weiterarbeiten. Es ist dringend notwendig, die Entstehung einer Transferunion zu verhindern. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, ich sage auch: Ihre Politik, nach der man alles viel früher - ohne Sparzusagen der anderen - und umfassender hätte machen müssen, (Johannes Kahrs [SPD]: Nicht so viel Schulden!) hätte uns längst in eine Transferunion geführt, zulasten der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dieses Parlament wird die Bundesregierung bei der weiteren Arbeit, vor allen Dingen auf europäischer Ebene, intensiv begleiten. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wird es nicht! Mit Ihrem Vorschlag schalten Sie den Deutschen Bundestag aus!) - Herr Trittin, der Deutsche Bundestag wird nicht ausgeschaltet. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich!) Der Deutsche Bundestag wird die Arbeit intensiv begleiten. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gegen die Verfassung verstoßen, gnädige Frau!) Die Tatsache, dass wir hier vor allen Dingen Bemühungen um eine Regulierung der Finanzmärkte und einen Stabilisierungspakt gefordert haben, hat zu einer erheblichen Bewegung geführt. Wir werden dafür sorgen, dass Druck auf Europa gemacht wird. Wir brauchen eine neue Stabilitätskultur in Europa. Diese Koalition wird alles dafür tun, dass das erreicht wird. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Sigmar Gabriel [SPD]: Gute Besserung!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Hendricks das Wort. (Zuruf von der FDP: Die Insolvenzverwalterin der SPD!) Dr. Barbara Hendricks (SPD): Frau Kollegin Homburger, es ist in der Tat schwierig, sich ernsthaft und sachlich mit Ihnen auseinanderzusetzen. (Widerspruch bei Abgeordneten der FDP) Es gibt eine Vielzahl von Angriffspunkten, von denen ich im Rahmen einer Kurzintervention natürlich nicht alle ansprechen kann. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Ja, die Sündenliste ist zu lang!) Ich muss aber bedauerlicherweise feststellen - ich will das ganz bewusst zu Protokoll geben -: Sie haben sich offenbar mit keinem Wort darum bemüht, um die Gemeinsamkeit der Demokraten zu werben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Jetzt will ich auf einen sachlichen Punkt eingehen, den ich gerne richtigstellen möchte, zumal Sie sich bei der Unrichtigkeit Ihrer Behauptungen zu diesem sachlichen Punkt mit der Fraktion der Linken treffen: die Zulassung von Hedgefonds. Ich war in der Tat dabei; es geschah in der Verantwortung von Rot-Grün. (Zurufe von der FDP: Ah!) Es gibt da nichts zuzugeben: Hier geht es nämlich nicht um einen Straftatbestand, sondern um ein normales Gesetzgebungsverfahren. Wir haben in der Tat - Sie haben das richtig zitiert - mit Wirkung zum 1. Januar 2004 Hedgefonds in Deutschland zugelassen, streng reguliert. Dies hat bis heute dazu geführt, dass sich in Deutschland 25 Hedgefonds angemeldet haben; sie müssen sich nämlich anmelden und sind streng reguliert. In diesen 25 Hedgefonds sind 2 Milliarden Euro gesammelt. Das ist viel Geld. Zugleich ist aber in nichtregulierten Hedgefonds in London deutsches Geld in einem Volumen von etwa 90 Milliarden Euro gesammelt. Menschen haben also ihr Geld dorthin gegeben, wo Hedgefonds unreguliert sind. Sie wollen ihr Geld also nicht den in Deutschland zugelassenen regulierten Hedgefonds geben; denn bei den unregulierten Hedgefonds ist die Gewinnchance - natürlich auch das Risiko - selbstverständlich noch höher. Das ist das Ergebnis der Regelung, die wir getroffen haben. Wären alle Hedgefonds in Europa und in der Welt so reguliert wie die deutschen, hätten wir weltweit kein Problem mit den Hedgefonds. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/ CSU) Das, was gestern auf europäischer Ebene beschlossen worden ist, erfüllt noch nicht einmal den Standard, der in Deutschland für Hedgefonds schon immer gilt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis und hören Sie auf, Rot-Grün - wie das die Linke ebenfalls macht - unter Verdacht zu stellen! (Otto Fricke [FDP]: Die Linke ist davon frei!) Im Übrigen darf ich Ihnen aus dem Gesetzgebungsverfahren berichten - ich war neun Jahre lang Parlamentarische Staatssekretärin und habe an jeder Sitzung des Finanzausschusses für die Bundesregierung teilgenommen -: Bei diesem Gesetz, wie praktisch bei allen Finanzmarktgesetzen, ging der FDP die Liberalisierung nicht weit genug. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Hendricks, ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie die für Kurzinterventionen zulässige Zeit längst überschritten haben. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Dr. Barbara Hendricks (SPD): Ich möchte nur noch einen Satz sagen. - Alle Finanzmarktgesetze, die wir damals unter Rot-Grün und auch in der Großen Koalition beschlossen haben, wurden von der FDP im Regelfall abgelehnt, weil Ihnen die Regelungen zu streng waren. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zur Erwiderung, Frau Kollegin Homburger. (Johannes Kahrs [SPD]: Na, das kann ja was werden!) Birgit Homburger (FDP): Frau Kollegin Hendricks, zunächst bedanke ich mich bei Ihnen dafür, dass Sie meine Aussage bestätigt haben. (Beifall bei der FDP - Lachen bei der SPD) - Es ist so. - Sie haben darauf hingewiesen, dass Hedgefonds in Deutschland streng reguliert werden, aber nicht in Europa. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In England hat sie gesagt! Sie müssen zuhören!) Ich mache darauf aufmerksam - Sie haben selbst ausgeführt, dass Sie als Staatssekretärin dabei waren -, dass Sie über Jahre hinweg die Möglichkeit gehabt hätten, eine solche Regulierung auf europäischer Ebene auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das haben wir jetzt getan. Sie sagen nun, dass das immer noch nicht ausreicht. Man wird sich darüber unterhalten müssen, ob man noch mehr tun muss oder mehr tun kann. In diesem Punkt finden Sie uns an Ihrer Seite. Aber Fakt ist, dass wir an dieser Stelle klar handeln. Das kommt sehr deutlich zum Ausdruck. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie etwas zur Begründung!) Zum Schluss möchte ich sagen: Ich bedanke mich ausdrücklich für Ihre Wortmeldung und dafür, dass Sie im Gegensatz zu Ihrem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Steinmeier, der vorhin gesprochen hat, bereit waren, die Verantwortung der SPD anzuerkennen. Es wäre gut gewesen, wenn das auch Herr Steinmeier getan hätte. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Immer mehr Menschen in Deutschland kommen zu der Überzeugung, dass diese Bundesregierung nicht regierungsfähig ist, wir auch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Regierungsfähig heißt, dass man in der Lage ist und den Willen hat, die Interessen der Menschen in einem Land mit demokratischen Mitteln in praktische Politik umzusetzen. Doch Sie als Regierung kämpfen nur mit Ihrer inneren Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit. Deshalb haben Banken, Spekulanten und Lobbyisten auch so ein leichtes Spiel, die Regierung vor sich herzutreiben und ihr ihre Bedingungen zu diktieren. Ist das etwa Ihr Verständnis von Demokratie, Frau Merkel? (Beifall bei der LINKEN) Hinzu kommt, dass die Kanzlerin mit der FDP die gleichen schrecklich teuren Fehler wiederholt, die sie bereits 2008 mit einem anderen Partner gemacht hat. Erstes Beispiel. Der damalige SPD-Finanzminister ging davon aus, dass die Finanzkrise 2008 kein Problem Deutschlands, sondern der USA sei. Er tat erst einmal nichts, und das war falsch. Die Kanzlerin ging 2010 davon aus, dass die Euro-Krise kein Problem Deutschlands, sondern ausschließlich Griechenlands sei. Sie tat erst einmal nichts, und auch das war falsch. Innerhalb von zwei Jahren wurde zweimal der gleiche Fehler gemacht. Das zeugt von einer katastrophalen Lernunfähigkeit, Frau Merkel. (Beifall bei der LINKEN) Zweites Beispiel. Der damalige Finanzminister ging davon aus, dass die Finanzkrise 2008 auch ohne Konjunkturpaket zu lösen wäre. Erst auf Druck der Linken und der realen Verhältnisse wurde ein Konjunkturprogramm beschlossen, das allerdings unsinnigerweise in diesem Jahr ausläuft. Die Kanzlerin ging 2010 davon aus, dass die Euro-Krise alleine mit einem zweiten Bankenrettungsschirm und ohne ein Konjunkturpaket gelöst werden könne. Das ist doch abenteuerlich! Sie, Frau Merkel, müssen sich einfach einmal die Frage stellen, warum die Finanzkrise 2008 nicht zum Kollaps der Realwirtschaft geführt hat. Es war doch die Kombination mit dem Konjunkturprogramm, die den ökonomischen Totalschaden verhindert hat. Aber Sie haben wieder nichts aus Ihren alten Fehlern gelernt. Statt Konjunkturprogrammen verlangen Sie Kürzungsprogramme. Damit drosseln Sie die Binnennachfrage und schwächen Sie die Konjunktur in Europa. Das ist doch ökonomischer Wahnsinn! (Beifall bei der LINKEN) Schaut man sich die Entwicklung in Griechenland an, dann weiß man, wie es in Portugal, Spanien, Frankreich, Italien und auch in Deutschland in den nächsten Monaten weitergeht. Darum sagen wir als gute Europäer: Solidarität mit diesen Ländern ist auch Solidarität mit den Lohnabhängigen, Rentnern und Arbeitslosen bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der LINKEN) Frau Merkel, Sie wussten bereits vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen, dass Griechenland mit diesen Auflagen komplett überfordert sein wird, und hofften, dass Sie mit dieser Strafaktion gegen Griechenland bei den Wählerinnen und Wählern in Nordrhein-Westfalen punkten könnten. Doch das ist Gott sei Dank gründlich misslungen. Gut, dass diese Strategie nicht aufgegangen ist. (Beifall bei der LINKEN) Schon vor der Wahl war klar, dass die Griechenland-Krise eigentlich eine Euro-Krise ist. Sie haben überhaupt keine Strategie zur Lösung dieser Euro-Krise. Sie mussten sich erst von den Vertretern der anderen EU-Länder zwingen lassen, darüber etwas gründlicher nachzudenken. Das gleiche neoliberale Rezept, das Griechenland weiter in die Krise treibt, wurde jetzt Spanien und Portugal verschrieben. In Portugal wird das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre sowie die Mehrwert- und Einkommensteuer erhöht. Spanien wird seine Ausgaben bis zum Jahre 2011 um 15 Milliarden Euro kürzen. Dafür werden in diesem Jahr die Gehälter im öffentlichen Dienst um 5 Prozent gekürzt und im nächsten Jahr eingefroren. Die Renten werden nicht erhöht. Die Entwicklungshilfe wird abgesenkt und der sogenannte Babyscheck von 2 500 Euro pro Neugeborenen ersatzlos gestrichen. Die öffentlichen Investitionen werden heruntergefahren. Allerdings erklärt niemand den Spaniern und den Portugiesen, wie sie auf diese Weise aus der Krise kommen sollen. Angeblich würden diese Kürzungen die Märkte beruhigen und Vertrauen bei Anlegern schaffen. Doch wie soll - das soll mir einmal jemand erklären - durch diese Maßnahmen wieder Wachstum entstehen? (Beifall bei der LINKEN) Die Linke hat bereits vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen darauf hingewiesen, dass die Kanzlerin in Griechenland nur ihr neoliberales Waffenarsenal testen wollte, um es dann in Deutschland einzusetzen. Bei Ihnen, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, war damals die Empörung groß. Doch kaum waren die Stimmen in Nordrhein-Westfalen ausgezählt, startete Ministerpräsident Koch - der gehört ja wohl der CDU an - den ersten Angriff auf Kinder, Jugendliche und Familien. Sein Schlachtruf lautete - der Kollege Steinmeier ist auch schon darauf eingegangen -: "Wir leben über unsere Verhältnisse!" Diesen Schlachtruf hören wir nun schon seit 20 Jahren, und ich frage mich: Wer ist eigentlich "wir"? Wer lebt hier über seine Verhältnisse? Das sind doch nicht die Arbeitnehmer, Rentner, Familien und Arbeitslosen. Diese Menschen, an denen die Bundesregierung überhaupt kein Interesse hat, leben nicht über ihre Verhältnisse. Es sind die Spekulanten, die Banker und auch diese Bundesregierung, die an diesen Menschen überhaupt kein Interesse hat. (Beifall bei der LINKEN) Herr Koch schlägt vor - das wird ja von der Bundesregierung wohlwollend geprüft -, weniger Geld für Krippen und Kindergärten auszugeben. Das ist ein Frontalangriff auf die Generation, die einmal die hohe Beamtenrente von Herrn Koch erarbeiten soll. Das ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch absolut ökonomischer Unsinn! (Beifall bei der LINKEN) Wir sollten hier nicht nur über die Regulierung des Finanzmarkts und über die Euro-Stabilisierung reden, sondern uns vor allen Dingen auch die Frage stellen, wie hochverschuldete Länder aus der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder herausgeführt werden können. Wir brauchen, um Staatsbankrotte zu verhindern, jetzt keine drakonischen Kürzungspläne, sondern wir brauchen, wie es die Linke schon seit Jahren fordert, endlich ein europäisches Konjunkturprogramm, in dem sich jeder Staat verpflichtet, mindestens 2 Prozent des Bruttosozialproduktes pro Jahr aufzuwenden, um den wirtschaftlichen Niedergang zu bremsen. Für dieses europäische Konjunkturprogramm sollten Sie sich in Brüssel einsetzen und nicht für weitere drakonische Kürzungsmaßnahmen, Frau Merkel. (Beifall bei der LINKEN) Ich gehe hier deshalb stark auf die ökonomische Bewältigung der Krise ein, weil wir uns im Augenblick - das ist richtig - um die Regulierung der Finanzmärkte kümmern. Wir müssen aber darüber hinaus auch darüber reden, wie wir die gigantischen Staatsschulden endlich loswerden und wie wir gleichzeitig die europäische Wirtschaft stärken können. Das ist unsere Aufgabe. Die Finanzmarkttransaktionsteuer wird ja nun augenscheinlich von allen unterstützt. Ich hoffe nur, dass sie auch endlich umgesetzt wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Setzten wir sie um, dann hätten wir allein für Deutschland 12 Milliarden Euro mehr pro Jahr in der Kasse; das ist mehr, als der Bund für Bildung und Forschung im Jahr 2010 ausgeben wird. Ich frage Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion: Warum ist Herr Koch eigentlich nicht auf die Idee gekommen, statt bei der Bildung zu sparen, die Finanzmarkttransaktionsteuer von der Kanzlerin zu fordern? Vielleicht sollten Sie einmal mit ihm darüber diskutieren. (Beifall bei der LINKEN) Die reale Gefahr besteht darin, dass für die Rettung des Euro jetzt alles aufgegeben werden soll, was Europa nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht hat. Wer jetzt mit drakonischen Kürzungsplänen den Arbeitnehmern, Familien und Rentnern die Luft zum Atmen nimmt, setzt nicht nur die konjunkturelle Erholung aufs Spiel, sondern auch den sozialen Frieden in Europa. Wir als proeuropäische Partei sagen: Wir wollen ein friedliches, gerechtes und soziales Europa. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich glaube, es muss noch einmal auf das hingewiesen werden, was heute und am Freitag dieser Woche im Deutschen Bundestag geschieht. Es geht darum, dass wir in einer ernsten Situation für unsere Währung und für Europa die richtigen Entscheidungen in diesem Haus zu treffen haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen sollten wir uns miteinander darauf besinnen, was notwendig ist und was gemacht werden muss. Ich finde - an die Kolleginnen und Kollegen der SPD das Wort gerichtet -, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fraktion, Herr Kauder!) dass es darauf ankommt, was wir vorhaben, was wir machen wollen. Wissen Sie, in einer Situation wie der jetzigen ist es richtig, miteinander darüber zu reden, was wir machen müssen und können. Es kommt nicht darauf an, den Blick zurückzuwerfen und kleinteilige Abrechnungen vornehmen zu wollen. Das führt uns überhaupt nicht weiter. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Joachim Poß [SPD]: Darum geht es doch gar nicht! Es geht um die richtigen Lösungen!) Der Präsident der Europäischen Zentralbank hat in mehreren dramatischen Sätzen darauf hingewiesen, in welcher Situation wir sind. Ich finde, wir sollten in der Debatte darüber und bei der Antwort darauf dieser dramatischen Situation gerecht werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Joachim Poß [SPD]: Das wird Zeit!) Jetzt reden wir einmal darüber, was ansteht. Wir haben in der letzten Sitzungswoche am Freitag über ein Rettungsprogramm für den Euro und damit auch für die Stabilität des Euro und für die Sparguthaben der Menschen in unserem Land entschieden. Es geht jetzt doch gar nicht um abstrakte Diskussionen. Alles hat einen konkreten Hintergrund. So wie damals, in der Zeit der Großen Koalition, als von der Regierung der Satz gesagt wurde: "Wir garantieren die Spareinlagen der Menschen in unserem Land", (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da gab es noch einen ordentlichen Finanzminister!) so geht es auch jetzt darum, Zukunftschancen für unser Land und die Menschen in unserem Land zu garantieren. Um nicht mehr, aber auch um nicht weniger geht es. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da hatten Sie noch die SPD! Und jetzt stehen Sie da mit Ihrem Wunschkoalitionspartner!) Wir können in dieser schwierigen Situation tatsächlich handeln. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Machen Sie doch mal!) Die Bundesregierung hat klar und deutlich gesagt, was sie tun wird. Die Regierungskoalition unterstützt die Bundesregierung. Ich würde mich natürlich darüber freuen, wenn dieses Parlament in einer so schwierigen Situation - der Präsident der EZB, Trichet, sagt, es sei die schwierigste Situation nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland - zeigen könnte, dass es gemeinsam die Herausforderung annimmt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja unverschämt! Wir treiben Sie schon seit Wochen und Monaten! - Joachim Poß [SPD]: Wenn die Voraussetzungen gegeben sind!) Der Euro ist nicht der Euro der Regierungskoalition. Der Euro ist unsere Währung, und wir tragen miteinander Verantwortung dafür, dass dieser Euro stabil bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht!) Es gibt Situationen in unserem Land, wo auch aus der Opposition heraus Verantwortung übernommen werden muss. (Joachim Poß [SPD]: Machen wir! - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal Herrn Fricke! - Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das der Kanzlerin!) Wir haben in der Opposition, wenn es um Schicksalsfragen unseres Landes ging, beispielsweise beim Einsatz der Bundeswehr, aus der Opposition heraus die Regierung unterstützt und diese Maßnahmen mitgetragen. Ich würde mir wünschen, dass jetzt auch die SPD-Bundestagsfraktion diese Verantwortung wahrnehmen würde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir wissen, dass dieses Programm ein ambitioniertes Programm ist, und man kann natürlich darüber reden, ob es eine Alternative dazu gibt. Aber wir sind felsenfest davon überzeugt, dass eine Alternative zu dem, was wir heute vorschlagen, eine schlechtere Lösung wäre. Herr Kollege Steinmeier, Ihrer Rede habe ich entnommen, dass Sie diese Aussage mittragen, dass auch Sie der Auffassung sind, dass das, was hier gemacht wird, richtig ist und Sie nur um Zustimmung ringen, weil Sie erwarten, dass das eine oder andere von der Regierung klar und deutlich zugesagt wird. Ich sage Ihnen noch einmal, was ich am Freitag der letzten Sitzungswoche schon einmal gesagt habe: Wir werden Ihnen klar sagen, was wir machen. (Bettina Hagedorn [SPD]: Da warten wir drauf!) Ich sage Ihnen aber auch: Wenn ich der Meinung bin, dass das, was jetzt vorgeschlagen wird, richtig ist, dann muss ich doch unabhängig von anderen Fragen die Zustimmung dazu geben. Wenn etwas richtig ist, dann ist es richtig, dann muss man auch Ja sagen, Herr Steinmeier, und Sie haben gesagt: Es ist richtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir wollen natürlich auch, dass die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land wissen, dass nicht ausschließlich der Staat und die Steuerzahler mit Bürgschaften für die Stabilität eintreten, sondern auch diejenigen an den Kosten beteiligt werden, die als Spekulanten mit dazu beigetragen haben, dass die Situation so schwierig geworden ist. Deshalb sagen wir: Wir fordern die Bundesregierung auf, dass sie europaweit, am besten global eine Finanzmarktsteuer einführt. Wir sagen: Die Transaktionsteuer oder die Finanzaktivitätsteuer, eine von beiden muss neben der von uns bereits beschlossenen Bankenabgabe kommen. (Mechthild Rawert [SPD]: Welche? - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche denn nun?) Herr Kollege Steinmeier, die Bundeskanzlerin hat an diesem Rednerpult ausdrücklich gesagt, dass sie sich dafür einsetzen wird, dass dieses auch so geschieht, der Bundesfinanzminister hat das ebenfalls zugesagt. Die Bundesregierung hat eine klare Zusage gemacht; dafür sagen wir herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen aber nicht übersehen - ich glaube, da sind wir uns alle einig -, dass die Ursache für diese schwierige Situation nicht die Spekulanten sind. Aber die Spekulanten haben an der Schraube gedreht. Deswegen müssen auch sie herangezogen werden, deswegen brauchen wir Kontrollen, deswegen muss die Regulierung bei Hedgefonds intensiver und dichter werden als bisher. Man kann Wolfgang Schäuble nur dafür danken, dass es gelungen ist, über das Votum der Briten hinweg zu erreichen, dass auch Hedgefonds reguliert werden. Das ist ein großartiger Erfolg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es ist auch richtig - und zeigt im Übrigen die Handlungsfähigkeit dieser Regierung -, dass die Leerverkäufe seit Mitternacht verboten sind und damit ein Teil der Spekulationsmöglichkeiten abgeschafft worden ist. Diese Regierung und diese Koalition handeln, sie machen genau das, was in der konkreten Situation richtig und möglich ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Bundeskanzlerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir mit diesen ganzen Maßnahmen, die von den Summen her nicht nur den Menschen in diesem Land, sondern auch uns gigantisch erscheinen, nur dann Erfolg haben werden, wenn wir das Übel an der Wurzel packen: Das ist die hohe Staatsverschuldung, die wir überall haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland haben mit der Neuverschuldung von über 80 Milliarden Euro, die wir in diesem Jahr zu verantworten haben, ein schweres Paket zu tragen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch alle, warum wir das getan haben: Wir mussten Schutzschirme für die Sparerinnen und Sparer, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für die mittelständische Wirtschaft aufspannen. Ich kann nur sagen: Am Aufspannen dieser Schutzschirme war die SPD in der Großen Koalition beteiligt. Die neue Koalition hat richtige Maßnahmen ergriffen und fortgeführt. Wir haben dadurch verhindert, dass aus Kurzarbeit Arbeitslosigkeit wird. Wir sind besser durch die Krise gekommen als viele andere in Europa. Dafür hat sich der Einsatz dieser Mittel gelohnt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jetzt geht es darum, die Konsolidierung durchzuführen. Das wird kein einfacher Weg. Wir müssen den Menschen sagen, dass wir für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, für die Zukunft der jungen Generation die Konsolidierung durchführen müssen. Die Botschaft muss sein - auch an viele draußen in der Welt, die uns manches gar nicht mehr zutrauen -, dass wir es organisieren können und werden, dass auch in einer älter werdenden Gesellschaft jugendliche Dynamik steckt. Das muss erreicht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen bleiben Forschung, Bildung und Innovation trotz Konsolidierung des Haushalts zentrale Themen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir werden im weltweiten Wettbewerb getrieben von Staaten wie China und Indien. Diesen Wettbewerb werden wir bestehen. Wir brauchen dazu eine qualifiziert ausgebildete junge Generation. Wir brauchen dazu jeden, der in diesem Land lebt. Deswegen geht es bei Bildung auch um Integration. Wir haben in der Integration noch nicht das erreicht, was notwendig ist; aber wir werden dies mit unseren Maßnahmen für Bildung, Innovation und Forschung vorantreiben. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt Herr Koch dazu?) Durch die Entscheidung, die wir in dieser Woche fällen, wird viel über die Zukunftsfähigkeit in diesem Land ausgesagt werden. Wir wissen, dass diese für uns alle nicht einfach ist, und wir wissen, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern auch erklären müssen, warum wir so handeln. Wir können das erklären: Es geht um die Stabilität unserer Währung, unserer Grundlage und unserer Zukunft und auch um den Erhalt Europas. Ich gehöre einer Generation an, die nach einem grässlichen Krieg und einer verbrecherischen Diktatur in Deutschland zum ersten Mal in Frieden aufwachsen durfte. Ich habe allen Grund, diesem Europa jenseits von Angebot und Nachfrage, jenseits von Cent und Euro, Dank dafür zu sagen, dass dieses Europa die größte Friedenssicherung nach dem Zweiten Weltkrieg geworden ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb sollten wir alle miteinander Interesse daran haben, dieses Europa trotz der Schwierigkeiten, die wir jetzt überwinden müssen, in eine gute Zukunft zu führen. Es mag banal klingen, aber trotzdem ist es eine ganz einfache Aussage: Jede Generation ist in eine bestimmte Aufgabe hineingestellt. - Wir haben jetzt die Aufgabe, den Euro zu stabilisieren und zu retten und die Zukunft Europas zu gestalten. An der Bewältigung dieser Aufgabe sollten wir alle in diesem Haus uns beteiligen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Joachim Poß [SPD]: Eine Rede der Verlegenheit! Ausdruck der Verlegenheit und Unklarheit in dieser Koalition! Keine konkreten Angebote!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Bundeskanzlerin, hinsichtlich eines Befundes will ich Ihnen zustimmen. Sie haben gesagt, die gegenwärtige Krise des Euro sei die größte Bewährungsprobe, die Europa seit Jahrzehnten zu bestehen habe. - Das ist richtig. Ich kann Ihnen deshalb aber eine einfache Frage nicht ersparen: Warum musste erst der US-Präsident Barack Obama am 7. Mai 2010 bei Ihnen anrufen, damit Sie diese Krise bemerken? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) Es wäre leicht, an dieser Stelle zu sagen, es habe vielleicht an der NRW-Wahl gelegen. Das wäre auch richtig, aber der andere Teil der Wahrheit ist: Obama hat auch bei Nicolas Sarkozy angerufen. - Deswegen stehen wir vor einem, wie ich finde, erschreckenden Befund. Wir sind nicht nur in einer großen Krise dieses Europas, sondern wir haben auch den Ausfall der klassischen Führungsmächte dieses Europas zu konstatieren: den Ausfall Deutschlands und den Ausfall Frankreichs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Was hätte es denn geheißen, dieser Krise entgegenzuwirken? Sie hätten all das machen müssen, wofür Sie sich jetzt, Frau Homburger, Herr Kauder, beginnen, auf die Schulter zu klopfen. Seit gestern Nacht sind ungedeckte Leerverkäufe von Staatsanleihen in Deutschland verboten. Warum erst seit gestern? Warum haben Sie diese in unserem Land überhaupt wieder zugelassen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Seit gestern liegt ein Regelungsvorschlag des Rates zur Regelung von Hedgefonds vor, der mit Mehrheit im Rat beschlossen wurde. Warum erst seit gestern? Die Mehrheit, die es dafür gab, gab es auch schon vorher. Aber bisher war Deutschland nicht bereit, sich an dieser Mehrheit zu beteiligen. Das ist die Wahrheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Volker Kauder [CDU/ CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist falsch!) Frau Bundeskanzlerin, ich wäre an Ihrer Stelle vorsichtig mit einem Zwischenruf, in dem jemand der Unwahrheit geziehen wird. Sie müssten dem Hohen Haus dann auch erklären, worin in der Frage einer europäischen Finanzmarktaufsicht die Differenz besteht. Warum kommen der Rat, also die Regierung, und das Europäische Parlament hier nicht zu einer gemeinsamen Schlussfolgerung? Es gibt viele Gründe. Ein Grund soll aber sein, dass die deutsche Bundesregierung im Rat Maßnahmen der europäischen Finanzaufsicht gegenüber deutschen Behörden ablehnt. Das wäre aber eine zahnlose Finanzaufsicht. Deswegen sollten Sie sich an die eigene Nase fassen, bevor Sie in dieser Frage auf das Europäische Parlament verweisen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Ganze hat zu einem beispiellosen Schlingerkurs geführt. Noch am 9. Mai haben Sie persönlich in diesem Hause in namentlicher Abstimmung alle Anträge der Grünen, der SPD und der Linken für die Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer abgelehnt. Zwei Tage später haben Sie in Brüssel einem Ratsbeschluss zugestimmt, in dem es heißt, die Möglichkeiten einer globalen Transaktionsteuer sollten nun geprüft werden. Heute legt uns die Koalition einen Gesetzentwurf vor, der besagt: Wir wissen nicht recht, ob wir eine neue Umsatzsteuer oder Einkommensteuer einführen wollen, aber wir schreiben irgendwas hinein. - Das ist das Gegenteil von Führung und Handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn Sie diese Krise bekämpfen wollen, dann brauchen Sie eine Finanzmarkttransaktionsteuer. Sie ist zielgenau, und anders als die Aktivitätsteuer ist sie auch in der Lage, die Volumina zu generieren, die Sie brauchen, um endlich mit solchen Krisen fertig zu werden. Hören Sie auf, mit Peanuts auf Krisenfragen zu antworten! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Mag sein, dass Sie das nicht gerne von Grünen hören. Aber Sie sind nicht einmal mehr in der eigenen konservativen Parteienfamilie wirklich in der Mehrheit. Hören Sie doch auf Magister Josef Pröll, den österreichischen Finanzminister, der sich für eine europäische Finanzmarkttransaktionsteuer einsetzt! (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Weltweit!) - Nein, er möchte eine europäische, und zwar klar und deutlich. Hören Sie doch auf Ihren christdemokratischen Parteifreund Jean-Claude Juncker, der als Vorsitzender der Euro-Zone sagt: Wir brauchen diese europäische Finanzmarkttransaktionsteuer, weil ohne sie international nichts geht! Fangen Sie also an, in Europa zu handeln, damit sich auch international endlich etwas bewegt! Das ist die richtige Reihenfolge. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Hören Sie auf, Deutschland permanent in eine Sonderrolle zu drängen! Da sind wir nämlich inzwischen. Fragen Sie sich doch einmal, warum aus Europa 2020 nichts wird! Daraus wird nichts, weil diese Bundesregierung europäische Bildungsstandards europaweit blockiert. Das kann ich verstehen, wenn ich Herrn Koch in meinen Reihen habe. Aber es ist nicht europäisch, und es ist nicht zukunftsgewandt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es ist diese Bundesregierung, die bei Europa 2020 europäische Standards bei der Armutsbekämpfung blockiert. Auch das kann ich verstehen, wenn ich Menschen wie die in der FDP in meinen Reihen habe, denen die Hoteliers wichtiger sind als die Armen in diesem Lande. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Zuruf von der FDP: Frechheit!) Aber eine vernünftige europäische Politik ist das nicht. Mit dieser Haltung haben Sie sich mittlerweile in dieselbe Situation gebracht wie ein Kind, das bockig in der Ecke sitzt und regelmäßig dazu gebracht werden muss, mitzuspielen. Ich finde, das ist der größten Nation, dem größten Mitgliedsland innerhalb der Europäischen Union nicht angemessen. Wir müssen endlich wieder gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten Europa gestalten und aus der Ecke der Bockigkeit herauskommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Trittin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barthle? Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte. Norbert Barthle (CDU/CSU): Herr Kollege Trittin, Sie haben gerade mehrfach die CDU/CSU-FDP-geführte Bundesregierung angegriffen, zuerst mit der Aussage, dass eine Kontrolle der Finanzen durch die Europäische Kommission von der Regierung nicht zugelassen werde, danach sind Sie auf die europäischen Standards eingegangen. Gestehen Sie mir zu, dass die Bundesregierung im Auftrag dieses Parlaments handelt und dass dieser Auftrag schon in den vergangenen Legislaturperioden an die Regierung gerichtet wurde? Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Herr Kollege Barthle, mir kommt es fast vor, als hätten Sie den weiteren Verlauf meiner Rede antizipativ vorweggenommen. Das freut mich für Sie. Aber es wird für Sie am Ende außerordentlich unangenehm. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! Oh!) Denn Sie haben Deutschland mittlerweile nicht nur in der europäischen Politik in die Isolation geführt. Die Bundesregierung hat mit dem Vorgehen, das sie an dieser Stelle praktiziert hat, nichts anderes gemacht, als gegen das Grundgesetz zu verstoßen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Alles deutsche Interessen!) - Lieber Herr Kollege, das Grundgesetz steht nie im Widerspruch zu deutschen Interessen. Es ist die Grundlage deutscher Interessen, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Sie haben einfachgesetzliches Recht gebrochen, und Sie haben sich auf eine Vertragsregelung der Europäischen Union berufen, auf die Sie sich nicht hätten berufen dürfen. Ich will Ihnen das gerne durchbuchstabieren, wenn Sie wollen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein bisschen mehr Bescheidenheit!) Ich verweise auf Art. 23 des Grundgesetzes. - Herr Kollege Barthle, ich bin noch immer bei der Beantwortung Ihrer Frage. Sie haben gesagt, die Bundesregierung handele im Auftrag des Bundestages. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Trittin, da Sie freundlicherweise darauf hingewiesen hatten, dass das ohnehin ein Bestandteil Ihrer sorgfältig vorbereiteten Rede ist, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) setze ich das Einvernehmen des Plenums voraus, dass sich der Kollege Barthle setzen darf und Sie im Rahmen Ihrer Redezeit Ihre Ausführungen vervollständigen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Kollege Barthle geht also wieder in den Sitzstreik, okay. Art. 23 des Grundgesetzes ist völlig eindeutig. Vor dem Setzen von Rechtsakten im Rat ist der Deutsche Bundestag zu befassen. Dies ist bei der infrage stehenden Rechtsverordnung nicht geschehen. Die nachträgliche Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden ist keine Befassung des Deutschen Bundestages. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Daher sage ich Ihnen: Sie haben das Recht und die Verfassung mit Ihrem Vorgehen gebrochen. Sicherlich musste man schnell handeln. Ich bin bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren, wie man künftig mit solchen Fällen umgehen soll. Ich bin hier für jedes Gespräch zu haben. Aber es geht nicht, dass Sie, nachdem Sie diesen Rechtsbruch begangen haben, dieses Hohe Haus, den Deutschen Bundestag, mit weiteren Zumutungen belästigen. Sie erwarten von uns, dass wir eine Kreditermächtigung in Höhe von über 148 Milliarden Euro erteilen. Das entspricht fast dem Volumen eines halben Bundeshaushaltes. Auf die Frage, wie dieses Geld ausgegeben werden soll, haben wir gestern vom Bundesfinanzminister ein Term Sheet als Antwort bekommen, ein einseitiges Blatt Papier mit den geplanten Konditionen. Das ist nichts anderes als eine unverbindliche Absichtserklärung, in der darauf verwiesen wird, dass man eine Zweckgesellschaft nach luxemburgischem Recht gründen möchte. Ich bin froh, dass es wenigstens keine Liechtensteiner Stiftung ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber ganz im Ernst - das sage ich besonders an die Adresse der Parlamentarier auf der Regierungsseite -: Können Sie sich ernsthaft vorstellen, 148 Milliarden Euro auszugeben, ohne dass Sie das Vertragswerk kennen und geprüft haben? Ich kann mir das als Parlamentarier nicht vorstellen. Ich wünsche mir auch aufseiten der Regierung Parlamentarier, die sich dies nicht vorstellen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Parlament ernst zu nehmen, hieße, dies zusammen mit dem Deutschen Bundestag zu machen, anstatt mit einem solchen Verfahren weiter fortzuschreiten. Ich erwarte von Ihnen auch, dass bei der Freigabe der einzelnen Mittel ein Missstand beseitigt wird, der geradezu absurd ist. Wenn Sie das Recht der Beteiligung des Bundestages ernst nehmen, dann kann der Deutsche Bundestag zu jeder Kreditermächtigung über die 60 Milliarden Euro EU-Mittel künftig einen Vorbehalt einlegen. Das haben wir gemeinsam so geregelt. Aber zu den 148 Milliarden Euro werden wir lediglich unterrichtet, wenn nichts anderes dem entgegensteht. Alle Vierteljahre darf dann Alex Bonde prüfen, ob Sie das Ganze ordentlich rechnungsmäßig verbucht haben. Das, was Sie uns mit diesem Vorschlag unterbreiten, ist eine Brüskierung des Bundestages. Diese Brüskierung des Bundestages kann auch von Ihnen nicht ernsthaft akzeptiert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, wenn Sie das tun wollen, was die Bundeskanzlerin zu Recht gesagt hat, nämlich dass Sie dieses Verfahren durchführen und dabei der Budgethoheit des Bundestages in vollem Umfang Rechnung tragen wollen - so ist das gesagt worden -, dann müssen Sie erstens dafür sorgen, dass uns vor der Entscheidung hier im Bundestag dieser Vertrag vorgelegt wird, und Sie müssen zweitens dafür sorgen, dass der Bundestag künftig entscheiden kann und nicht nur unterrichtet wird. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Erzählen Sie uns hier nicht, das sei wegen der Eilbedürftigkeit nicht machbar. Erstens. Die 60 Milliarden Euro stehen schon jetzt zur Verfügung. Zweitens. Ohne Zweckgesellschaft fließt sowieso kein Geld. Welchen Grund gibt es also, uns, bevor dieser Vertrag vorliegt, zu nötigen, hier einen Gesetzentwurf zu verabschieden? Einen solchen Grund vermag ich nicht zu erkennen. Deswegen sage ich Ihnen: Ändern Sie das, tun Sie etwas in dieser Richtung! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, Europa muss zusammenstehen. Die überschuldeten Staaten müssen eine Chance für eine nachhaltige und sozial ausgewogene Konsolidierung bekommen. Ja, wir brauchen Konsolidierung, wir brauchen auch eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik in Europa, wir brauchen streng regulierte Finanzmärkte, wir brauchen eine Finanztransaktionsteuer. Wir müssen konsolidieren, koordinieren und regulieren, wollen wir aus dieser Krise heraus. Das geht aber nur mit dem Deutschen Bundestag und nicht gegen den Deutschen Bundestag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Volker Wissing das Wort. Dr. Volker Wissing (FDP): Herr Kollege Trittin, Sie haben viel gesagt, Sie haben viel Klein-Klein gesagt, Sie haben auch über die Finanztransaktionsteuer gesprochen, aber leider haben Sie nichts über die Ursache der gegenwärtigen Krise gesagt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat Ihnen Frau Homburger die Redezeit gestohlen?) Diese Krise ist nämlich im Kern eine Schuldenkrise. Ich will Ihnen etwas über die Ursache dieser Schuldenkrise sagen, was Sie ruhig hätten ansprechen können. Ich will aus einem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen aus dem Jahr 2004 auf Drucksache 15/3957 zitieren. Darin haben Sie damals festgestellt, dass die Erfahrung mit der Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zeige, dass eine Anwendung der finanzpolitischen Regeln zu starr auf die kurzfristige Einhaltung quantitativer Vorgaben ausgerichtet sei. (Joachim Poß [SPD]: Vernünftig! - Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Das war der Bruch des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. (Joachim Poß [SPD]: Nein, das war eine vernünftige Entscheidung!) Hätten wir eine Finanztransaktionsteuer gehabt, wir stünden genau da, wo wir heute stehen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr wollt sie doch nicht!) Hätten wir diesen politischen Sündenfall von Rot-Grün nicht gehabt, wir hätten keine Euro-Krise. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Joachim Poß [SPD]: Quatsch mit Soße!) Deswegen können Sie sich, Herr Kollege Trittin, zwar in Ihrem Klein-Klein verlieren; Sie können aber die Verantwortung der Grünen nicht loswerden. (Günter Gloser [SPD]: Eine Lachnummer ist das!) Herr Kollege Trittin, nicht nur an dieser Stelle war auf Sie kein Verlass. Als wir früh erkannt haben, dass wir eine neue Schuldenregel brauchen, und die Verfassung entsprechend geändert haben, haben die Grünen nicht mitgestimmt. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Zu Recht!) Herr Steinmeier hat heute gesagt, er kritisiere niemanden, der Einsicht zeige. Es stünde den Grünen gut an, einsichtig zu sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zurufe von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh! - Günter Gloser [SPD]: Die FDP bleibt kraftlos, saftlos wie immer!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zur Beantwortung Kollege Trittin. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren! Lieber Herr Wissing, Sie haben völlig richtig zitiert. Wenn Sie sich selbst gegenüber ehrlich sind, dann sind auch Sie ganz froh darüber, dass wir damals so entschieden haben. Denn wo wären Sie heute im Konflikt mit der Europäischen Kommission bei einem Etat, der mit 80 Milliarden Euro plus ungefähr 50 Milliarden Euro verdeckten Schulden in Sondervermögen der BaFin finanziert ist? Ich finde, dass man, bei aller Ernsthaftigkeit, nicht den Weg der Verschuldung gehen kann, wie es in Griechenland, Portugal und anderswo - auch, füge ich hinzu, in Deutschland - geschehen ist. Dagegen haben Sie von mir eben nichts gehört. Aber es gibt einen weiteren Punkt, in dem der Entschließungsantrag richtig ist (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das war immer falsch!) und bei dem wir immer noch nicht weiter sind. In einer gemeinsamen Währungsunion kann es nicht unterschiedliche Wirtschaftspolitiken geben. Das ist der Kern. Sie können doch nicht ernsthaft glauben, Deutschland könne auf Dauer in Saus und Braus leben (Zuruf von der SPD) - ja, so will auch ich es nicht formulieren -, davon profitieren, dass es Güter in Länder verkauft, in denen eine überbordende Nachfrage kreditfinanziert vorhanden ist. Das war jahrelang der Fall. Wir brauchen also nicht nur eine Kultur der Stabilität, sondern wir brauchen auch eine veränderte Wirtschaftspolitik in Europa. Wir müssen endlich dahin kommen, dass die Ungleichgewichte in Europa abgebaut werden. Das wird nicht allein mit bloßem Sparen gelingen - auch das ist notwendig -, sondern es wird nur gelingen, wenn zum Beispiel auch die viel zu niedrige Binnennachfrage in Deutschland endlich behoben wird, indem Geringverdiener einen gesetzlichen Mindestlohn bekommen wie im Rest Europas, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und dafür gesorgt wird, dass die Kaufkraft hier gestärkt wird. Das ist das beste Konsolidierungsprogramm, das ich mir vorstellen kann. Es spart nämlich Steuern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Widerspruch bei der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Carsten Schneider ist auch bei der Koalition!) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute hier über ein sehr ernstes Thema. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundeskanzlerin zu Beginn ihrer Regierungserklärung gesagt hätte, welche Erkenntnisse sie am Freitag vorletzter Woche vor der Abstimmung über die Griechenland-Hilfe hatte, die dazu geführt haben, dass am Freitagnachmittag die Staats- und Regierungschefs das Paket, das wir in dieser Woche beschließen sollen, vorgelegt haben. Denn Sie haben nicht am Freitagmorgen im Bundestag das Wort ergriffen und uns an diesen Erkenntnissen teilhaben lassen. Im Gegenteil, es war sogar so, dass Herr Fricke hier öffentlich der Vermutung, dass es eventuell mehr sein könne, widersprochen hat - maximal 22,4 Milliarden Euro und kein Cent mehr, hat er gesagt -, und Herr Bundesminister Schäuble in der Pressekonferenz am Donnerstag, nachdem die Steuerschätzung veröffentlicht worden war, mich mehr oder weniger als vaterlandslosen Gesellen hingestellt hat, weil ich das infrage gestellt habe. Frau Bundeskanzlerin, es geht bei diesem Gesetz um die Euro-Stabilisierung. Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Vertrauen entsteht, glaube ich, nur, wenn die Regierung klar sagt, was ist, uns an ihren Erkenntnissen teilhaben lässt und auch klare Lösungsvorschläge macht. (Abg. Otto Fricke [FDP] verlässt seinen Platz - Zurufe von der SPD: Hierbleiben!) All dies ist bisher nicht geschehen, im Gegenteil. Wir haben hier viele Reden gehört. Die von Herrn Kauder war die einzige seitens der Koalition, die werbend war. Die FDP hat klar gesagt, sie wolle keine Zustimmung der Opposition. Ich kann mir gut vorstellen, warum. Weil sie sich nicht im Rahmen eines Entschließungsantrages an die Frage binden will, wer die Zeche für die hohen Schulden, die wir jetzt aufnehmen müssen, zahlt, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nämlich die Spekulanten über die Finanztransaktionsteuer. Das will sie nicht. Deshalb scheint sie unser Angebot nicht annehmen zu wollen. (Beifall bei der SPD) Man kann kein Vertrauen zu einer Regierung haben, die heute hü und morgen hott sagt. Auf dem DGB-Bundeskongress am Sonntag haben Sie gesagt: Wenn der DGB die Finanztransaktionsteuer durchsetzt, dann werde ich mich dem nicht entgegenstellen. - Zwei Tage später haben Sie gesagt: Ich werde natürlich dafür kämpfen. - Das ist doch nicht ernst zu nehmen. (Beifall bei der SPD) Unser Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier hat auf zwei Varianten hingewiesen, was das Geschehen am Freitag, als es um Griechenland ging, betrifft: Entweder haben Sie nicht gewusst, was in Brüssel passiert, und Herr Sarkozy hat die Agenda in Europa bestimmt, oder Sie haben es gewusst und uns nicht die Wahrheit gesagt. Welche Variante schlimmer ist, sei einmal dahingestellt. Ich hätte aber schon erwartet, dass Sie darüber aufklären. Es ist richtig, dass es bei solch großen politischen Entscheidungen gut ist, wenn man eine breite Mehrheit im Parlament hat. Aber eine breite Mehrheit bedeutet, dass man die Ideen der Opposition einbindet. Dies bedeutet, dass wir Vertrauen zu Ihrem Regierungshandeln im Europäischen Rat, im Ecofin haben müssen. Ich muss Ihnen ganz klar sagen: Ich habe kein Vertrauen zu mündlichen Zusagen, sondern nur zu Dingen, die schwarz auf weiß auf dem Tisch liegen. (Beifall bei der SPD) Das ist bisher nicht der Fall. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir stehen zur Verfügung, wenn Sie sich dazu bekennen, schriftlich mit uns festzulegen, dass es neben dem Rettungsschirm für die Staaten auch ein klares Bekenntnis dafür gibt, wer die Zeche zahlt, nämlich die Spekulanten über eine Finanztransaktionsteuer. Es darf kein Oder und kein Ausweichen geben. Nur dann sind wir bereit, mitzumachen. Anderenfalls ist das nicht zu akzeptieren. (Beifall bei der SPD) Herr Kauder hat vorhin gesagt, es sollte nicht so viel Nabelschau und rückwärtsgewandte Diskussionen geben. Das hat die FDP die ganze Zeit gemacht. Herr Wissing hat in diesem Zusammenhang ein Argument vorgebracht, das den Stabilitätspakt betrifft. Nicht nur, dass Sie den heute mit einer Rekordneuverschuldung von 80 Milliarden Euro brechen würden. (Birgit Homburger [FDP]: Ich wäre ruhig an Ihrer Stelle! Die haben Sie verursacht!) Ihre Position bei der Einführung der Schuldenbremse im vorigen Jahr war: Nullverschuldung. Was würden Sie denn eigentlich tun, wenn Sie sich mit Ihrer Position der Nullverschuldung durchgesetzt hätten? Hätten Sie dann den Rentenzuschuss auf null gesetzt und die Beiträge zur Sozialversicherung auf 30 Prozent erhöht? Das ist die Wirtschaftspolitik der FDP. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich bin froh, dass wir damals im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu einer antizyklischen Vorgehensweise gekommen sind. Dieser bildet im Übrigen sehr genau die Schuldenbremse ab, der Sie zugestimmt haben und die im Grundgesetz verankert wurde. Es ist von Folgendem auszugehen: "close to balance or surplus", das heißt, in guten Zeiten einen ausgeglichenen Haushalt zu schaffen und Überschüsse zu erwirtschaften. Das ist europäisches Recht, das wir als Sozialdemokraten gemeinsam mit den Grünen durchgesetzt haben. So funktioniert in etwa die Schuldenbremse in Deutschland. Ist Ihnen das eigentlich bekannt, oder geht es Ihnen nur darum, die Schuld für Ihre Positionen einer fatalen Finanz- und Steuerpolitik in den vergangenen Jahren bei anderen zu suchen? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich finde, den Staaten an sich die Verantwortung für die Finanzkrise und die Euro-Schwäche in die Schuhe zu schieben, ist falsch. (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) Man muss sich die Frage stellen: Warum ist es überhaupt dazu gekommen? Wir hatten 2008 keinen überschuldeten Haushalt in Deutschland. Wir hatten einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Haben Sie das vergessen? (Beifall bei der SPD) Wir haben eine Krise der Staatsfinanzen, weil wir uns bereit erklärt haben, antizyklisch zu investieren, gegen die Wirtschaftkrise nicht anzusparen und auf dem Finanzmarkt dafür zu sorgen, dass Stabilität herrscht und nicht einzelne Banken zusammenbrechen. Das haben wir gemeinsam - im Übrigen zusammen mit Ihnen - beschlossen. Jetzt geht es darum, wieder langsam davon herunterzukommen. Ich finde es besonders dreist, dass Sie sich hier als Hort der Stabilität darstellen. (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) Was an Gesetzentwürfen haben Sie bis jetzt im Bundestag vorgelegt? Es waren vier oder fünf. Einer betraf den Bundeshaushalt 2010. Da haben Sie eine Rekordneuverschuldung beschlossen. Die hätte 10 Milliarden Euro niedriger sein können, (Bettina Hagedorn [SPD]: Richtig!) wenn Sie nicht Ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Ihr Klientelgeschenkegesetz, beschlossen hätten. Das ist Fakt, und deswegen brauchen Sie sich gegenüber anderen Ländern nicht als Sittenwächter, was die Haushaltspolitik betrifft, aufzuspielen. Sie sind das Gegenteil. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will auf ein weiteres Thema zu sprechen kommen. Kollege Trittin hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, vorgeschlagen, die Mittel in Höhe von 148 Milliarden Euro zu sperren. Wenn Herr Schäuble in der heutigen Ausgabe der FAZ richtig wiedergegeben ist, dann hat auch er sich auf europäischer Ebene dafür eingesetzt, dass der Bundestag bei jeder Entscheidung ein Vetorecht bekommt. Ich greife diesen Vorschlag sehr gern auf. Ich halte die jetzige Veranschlagung nämlich für nicht etatreif, weil die Grundlage und die Bestimmtheit dieser Gewährleistung nicht geklärt sind. Es ist unverantwortlich, dieses Geld jetzt blanko zu verteilen. Das geht meines Erachtens nicht. Deswegen schlage ich Ihnen vor: Lassen Sie uns diese Mittel heute im Haushaltsausschuss sperren. Sobald das Vehikel steht, sobald die Verträge da sind und sobald die ersten Anfragen vorliegen, sind wir bereit, die Mittel binnen 24 Stunden freizugeben; auch bei dem Vorgehen, das Sie vorschlagen, wären wir nicht schneller. Dann hätte der Bundestag ein Mitbestimmungsrecht. Das hielte ich für richtig. (Beifall bei der SPD) Ich will auf meinen letzten Punkt zu sprechen kommen: auf die Verunsicherung der Märkte hinsichtlich des Euro. Retten wir hiermit eigentlich den Euro? Ich bin da sehr skeptisch. Wie wir wissen, ist der Wert des Euro in den letzten Wochen und Tagen gesunken. Ich glaube, dass das Paket zwar eine Beruhigungswirkung hat, dass es aber einen fatalen Fehler beinhaltet: den realen Angriff auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Ich finde es bemerkenswert, dass die deutschen Vertreter dort, sowohl Herr Weber als auch Herr Stark, überstimmt worden sind. Ich finde es auch bemerkenswert, dass das Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, kein Wort wert war. Ich denke, Sie als deutsche Bundeskanzlerin hätten am Freitag und am Sonntag letzter Woche auftreten und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank vor dem Zugriff durch Präsidenten anderer großer Länder schützen müssen. Das ist offenbar nicht gelungen. Das ist bedauerlich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn es um Fragen der Stabilität geht, auf die Sie sich ja gern berufen, ist das geradezu grotesk. Ich fordere Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass kein europäischer Nationalstaat Einfluss auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank ausübt! Denn dann wäre der Inflation Tür und Tor geöffnet. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Johannes Kahrs [SPD]: Gute Rede! - Volker Kauder [CDU/CSU]: Der richtige Satz kam ganz zum Schluss! Immerhin!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte als Allererstes klarstellen: Herr Trittin, zwei Behauptungen, die Sie hier aufgestellt haben, entsprechen nicht den Tatsachen. Erstens haben Sie behauptet, die Verordnung der Europäischen Union gemäß Art. 122 sei ohne die Zustimmung und Beteiligung des Deutschen Bundestages in Kraft gesetzt worden. Das ist nicht wahr. Am letzten Wochenende sind die Einzelheiten dieser Verordnung besprochen und konzipiert worden. (Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie persönlich, Herr Trittin, wurden am Montagnachmittag über Einzelheiten dieser Verordnung in Kenntnis gesetzt. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bestätigen Sie es ja noch!) Erst am Dienstag ist diese Verordnung in Kraft getreten. Ich kann mich nicht erinnern, dass einer der Partei- oder Fraktionsvorsitzenden bei der Erörterung dieser Verordnung oder bei der Besprechung von Einzelheiten dieser Verordnung widersprochen hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es sogar schriftlich, Herr Kollege!) Zweitens haben Sie behauptet, die deutsche Regierung habe die Hedgefonds-Richtlinie auf europäischer Ebene verschoben, behindert und verzögert. Auch dies entspricht nicht den Tatsachen. Tatsache ist, dass die britischen Sozialisten zusammen mit den spanischen Sozialisten diese Richtlinie von der Tagesordnung des Ecofin-Rates genommen haben. Deswegen konnten wir nicht zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jörg van Essen [FDP]: Die Sozialisten mal wieder!) Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn man hört, was die Experten an den Finanzmärkten und in den Zentralbanken sagen, kann man ohne Übertreibung sagen: Vor zwölf Tagen stand Europa, vielleicht die ganze Welt, vor einer zweiten Finanzmarktkrise. Als an dem Freitag, als wir im Bundestag über die Rettung Griechenlands bzw. über das Griechenland-Paket diskutiert haben, die Börsen in den USA geöffnet haben, hat sich herausgestellt, dass in Europa plötzlich keine Anleihen der europäischen Nachbarländer mehr gekauft wurden und dass es erste Störungen im Handel zwischen den Banken gab, also genau das, was wir nach der Pleite von Lehman Brothers im Jahre 2008 erlebt haben. Es gab erste Symptome, die selbst nach Südamerika übergegriffen und darauf hingewiesen haben, dass über diese Finanzmarktkrise hinaus möglicherweise ein völliger Zusammenbruch der Finanzmärkte in Europa bevorsteht. Deswegen war es notwendig, dass Europa handelt, und Europa hat gehandelt. Nun wurde gesagt - Herr Steinmeier hat es vorhin in seiner Rede angesprochen -: Noch als wir hier im Parlament waren, wurden draußen Dinge in die Wege geleitet. Es wurde gefragt, was wir davon gewusst haben, ob es einen Zusammenhang gab zwischen den Entscheidungen zu Griechenland und dem, was die Märkte draußen gemacht haben. Ja, ich glaube, dass es einen solchen Zusammenhang gibt. Unsere Antwort auf die über Wochen und Monate betriebenen Versuche der Spekulanten, Griechenland aus dem Euro-Raum herauszubrechen, war: Wir Europäer lassen es nicht zu, dass ein Land - das schwächste - herausgebrochen wird. Das war eines der wesentlichen Argumente: Wenn wir Griechenland jetzt nicht helfen, dann werden die Märkte als Nächstes gegen Portugal, Spanien und andere vorgehen. Es hat sich bestätigt, dass es richtig war, klarzumachen, dass Europa, die Euro-Zone, nicht bereit ist, die schwächeren Mitglieder auf der Strecke zu lassen und den Finanzmärkten auszusetzen. Dann haben die Finanzmärkte etwas gemacht, was aus ihrer Sicht logisch und konsequent war: Sie haben Europa insgesamt - den gesamten Verbund - angegriffen. Das nahm am Freitag seinen Anfang und hätte am Montag zur Katastrophe geführt, wenn Europa nicht geantwortet hätte. Europa hat geantwortet. Die Antwort lautet: Wir stellen euch Spekulanten den kompletten Block der volkswirtschaftlichen Kraft Europas entgegen. Diese Antwort findet ihren Ausdruck im geplanten 750-Milliarden-Euro-Schutzschirm. Es ist die richtige Antwort auf die Versuche der Spekulanten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine Damen und Herren, jetzt ist es wichtig, dass wir gemeinsam die Antwort geben: Wir sind bereit, unsere Währung, den Euro, zu verteidigen. Wir dürfen dabei die Grundprinzipien der Währungsunion, die Theo Waigel und Helmut Kohl mit dem Stabilitätspakt konzipiert haben, nicht aufs Spiel setzen. Es gehört zu den Grundprinzipien, mithilfe der Kriterien der Nettoneuverschuldung im Laufe eines Haushaltsjahres und der Gesamtverschuldung die Stabilität unserer Volkswirtschaften insgesamt und die Seriosität der öffentlichen Haushalte im Euro-Raum zu sichern. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wir stellen fest, dass der Stabilitätspakt zwar auch in seinen Einzelheiten richtig ist, aber bei der Frage der Durchsetzung der einzelnen Aspekte noch keine ausreichend scharfen Regelungen getroffen sind. Das wird nachgeholt; diesen Auftrag hat die Bundesregierung auf den Weg nach Brüssel mitbekommen. Dort wird daran gearbeitet, die Überwachung durch Eurostat und die europäischen Aufsichtsbehörden zu verbessern sowie ein Frühwarnsystem einzuführen. Zudem wird ein automatisches Defizitverfahren auf den Weg gebracht, das es unmöglich macht, dass politisch Einfluss genommen wird und Sanktionen abgewendet werden - das ist 2005 unter rot-grüner Regie geschehen; das muss in Zukunft vermieden werden -, wenn ein Defizitsünder in Brüssel auf die Anklagebank gesetzt wird. Wir brauchen Sanktionen, die schon im Vorfeld - nicht erst, wenn das Land schon völlig überschuldet ist - wirksam sind: Aussetzung von Stimmrechten oder Sperrung bestimmter europäischer Mittel und Zuschüsse, wenn sich ein Land nicht ordentlich verhält. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir haben in diesem Haus mit der Unterstützung der SPD und der FDP unter Federführung der Koalitionsfraktion der CDU/CSU die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben. Mit dieser Schuldenbremse haben wir per Verfassung das Haushaltsrecht künftiger Parlamente auf Seriosität beschränkt. Das war ohne Frage ein sehr weitgehender Schritt, der sich auf die strukturelle Verschuldung richtet und zugleich Möglichkeiten lässt, konjunkturell zu reagieren. Der Mechanismus, der jetzt im Grundgesetz steht - Herr Poß, er wurde von uns gemeinsam vereinbart -, nimmt die Kriterien des europäischen Stabilitätspakts in unser Grundgesetz auf. Deswegen ist die deutsche Schuldenbremse sofort, unverzüglich auf andere Länder in Europa übertragbar. Ich denke, das ist ein wichtiges Thema, über das wir reden müssen; denn - es wurde hier mehrfach angesprochen - das Grundübel, mit dem wir es zu tun haben, ist doch die Verschuldung der öffentlichen Haushalte in ganz Europa und darüber hinaus. Jeder weiß: Wer Schulden macht, macht sich von denjenigen abhängig, die das Geld verleihen. Man macht sich von Geldgebern abhängig, die Bedingungen stellen. Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Die Geldgeber, die Finanzmärkte, stellen den Staaten jetzt Bedingungen, so wie jeder Geldgeber seinem Schuldner Bedingungen stellt. Deswegen ändern wir als europäische Staaten die Bedingungen und machen deutlich: Wir geben euch als europäischen Partnern Kredite, die euch die Finanzmärkte zu unzumutbaren Bedingungen geben würden, aber wir knüpfen das an politische Bedingungen. Was sind diese politischen Bedingungen? Erstens. Wir wollen, dass der IWF - der weiß, wie man mit Staaten umgeht, wenn ein Staat Geld braucht - ein Sanierungsprogramm vorlegt, das auch durchgesetzt wird. Kredite dürfen nur dann Zug um Zug bereitgestellt werden, wenn es Fortschritte bei der Sanierung gibt. Lassen Sie mich ein Beispiel vom Wochenende nennen. Spanien und Portugal wurde deutlich gemacht: Sie müssen sofort handeln, sonst kommen sie nicht unter den Schirm. Was war das Ergebnis? Die Spanier haben sofort gehandelt und ein Sanierungsprogramm in Höhe von 15 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Ich habe großen Respekt vor den Regierungen, die diese Maßnahmen durchsetzen müssen. Wir sollten sie in diesem Punkt unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir brauchen einen Sonderbeauftragten für jedes Land, das Kredite in Anspruch nimmt. Er muss den nationalen Parlamenten, uns und auch dem Haushaltsausschuss über den Fortschritt berichten, der in den jeweiligen Regionen erreicht wird. Warum machen wir das? Warum zwingen wir insbesondere unsere südeuropäischen Nachbarn dazu, Sanierungen durchzuführen? Warum zwingen wir sie zur Einhaltung der Stabilitätskriterien? Doch nicht nur, weil wir unsere Kredite, falls sie in Anspruch genommen werden, zurückgezahlt bekommen wollen, sondern weil die Leistungsfähigkeit jeder einzelnen Volkswirtschaft in Europa - der griechischen, spanischen, italienischen usw. - den Wert unserer Währung, des Euro, bestimmt. Deswegen müssen wir gemeinsam die betroffenen Länder stabilisieren. Das ist unsere Aufgabe. Das macht diese Bundesregierung. Meine Damen und Herren, es wird viel über die Einbeziehung der Finanzmärkte gesprochen, weil die Akteure auf den Finanzmärkten durch eine undurchsichtige Verschleierung von Risiken dazu beigetragen haben, dass 2008 die Finanzmarktkrise mit allen Konsequenzen für die Realwirtschaft eintreten konnte. Deswegen muss man auf den Finanzmärkten für Ordnung sorgen. Man muss den internationalen Finanzmärkten die Ordnung geben, die auf nationalen Märkten vorhanden ist. Dieser Aufgabe stellen wir uns. Die Ratingrichtlinie und die Derivaterichtlinie sind bereits auf dem Weg. Europa handelt also auch in dieser Hinsicht. Wir haben in Deutschland beschlossen, eine Bankenabgabe zu erheben. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Beschlossen ist sie noch nicht! - Joachim Poß [SPD]: Vage Eckpunkte, nicht mehr!) Sie dient dazu, insolvente Banken zu sanieren und künftig dafür zu sorgen, dass durch Sanierungsprogramme eine Systemgefährdung vermieden werden kann. Dafür wollen wir keine Steuermittel verwenden, sondern Geld, das die Banken vorher in einen Fonds einzahlen. Ich halte das für die richtige Maßnahme. Es ist wichtig, dass wir uns überlegen, wie wir auf internationaler Ebene den Risikohunger der Spekulanten eindämmen können. Was passiert? Es gibt dort Derivate im Wert von mehreren Hundert Milliarden Euro, die mit relativ geringen Renditen von einem Kontinent zum anderen überwiesen werden: von den USA nach Asien, von Asien nach Afrika, von Afrika nach Südamerika und wieder zurück an die Wall Street. Wenn wir nur eine minimale Transaktionsteuer für diesen Transfer von Hunderten von Milliarden Euro erheben, dann haben wir den Risikohunger gehemmt, weil bereits ein minimaler Steuersatz ausreichen würde, all diese Transaktionen unrentabel zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Bettina Hagedorn [SPD]: Erkenntnisgewinn! - Joachim Poß [SPD]: Aber hallo!) Aber hören Sie bitte auf, den Menschen in unserem Lande weismachen zu wollen, dass wir mit dieser Steuer deutsche Steuerkassen füllen könnten. Die Transaktionen von der Wall Street nach Tokio, Südamerika und sonst wohin finden doch nicht in Deutschland statt. Erzählen Sie also den Leuten nicht, dass sich bei uns die Kassen füllen. Wir müssen versuchen, die Finanzhaie und die Spekulanten einzudämmen, und dürfen den Leuten nicht erzählen, dass dort die eierlegende Wollmilchsau gefunden wäre, die man anzapfen könnte, sodass dann alle Probleme gelöst wären. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Joachim Poß [SPD]: Sie waren jetzt halb gut!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Wir spannen einen Euroschutzschirm über unsere Währung, (Joachim Poß [SPD]: Was wollen Sie jetzt konkret? Wollen Sie die Steuer, oder wollen Sie sie nicht in Europa?) aber auch über unsere Arbeitsplätze in Deutschland. Diese Regierung ist dabei, eine dauerhafte Stabilität unseres Euros sicherzustellen. (Joachim Poß [SPD]: Eiern Sie nicht weiter so rum!) Darüber hinaus werden wir die Verschuldung in Deutschland und in Europa beenden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Joachim Poß [SPD]: Sagen Sie klar, was Sie wollen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein wenig reibe ich mir bei dieser Debatte die Augen. Am 17. Mai 2010 sagte unser Bundestagspräsident: Spätestens vor anderthalb Jahren haben wir beim drohenden Kollaps der internationalen Finanzmärkte erkannt, dass wir Regelungen für zulässige internationale Finanzgeschäfte durchsetzen müssen. "Vor anderthalb Jahren haben wir ... erkannt"! Wen meint der Präsident des Deutschen Bundestages mit "wir"? Offensichtlich nicht Sie von der Koalition, denn Sie haben es nicht erkannt, (Beifall bei der LINKEN) sonst hätten wir heute nicht die Situation, dass wir immer noch darüber reden: Gibt es jetzt eine Finanzmarkttransaktionsteuer oder nicht? Müssen wir regeln oder nicht? - Die FDP würde am liebsten überhaupt nicht regeln. Die schwimmt ja nur mit dem allgemeinen Mainstream mit. Das ist doch die Realität. Herr Köhler sagte am 29. April: Die Politik muss ihr Primat über die Finanzmärkte zurückgewinnen. Sie hat den Interessen der Finanzmarktakteure zu viel Raum ohne Regeln überlassen. Als Oskar Lafontaine das an diesem Tisch vor zwei Jahren gesagt hat, hat sich hier keine Hand gerührt. Sie haben darüber nur den Kopf geschüttelt. (Beifall bei der LINKEN) Ich reibe mir auch deshalb die Augen, weil vor zwölf Jahren der Rücktritt von Lafontaine auch damit zusammenhing, dass nicht einmal seine eigene Partei die Regulierung der Finanzmärkte mitmachen wollte. Das ist die Realität! Und jetzt diskutieren wir endlich über das, was notwendig ist. (Beifall bei der LINKEN) Herr Friedrich, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Am 12. Mai haben Sie in der Süddeutschen Zeitung gesagt: Wir verlangen harte und umgehende Konsequenzen für die Regulierung der Finanzmärkte. Da stimmen wir Ihnen zu. Aber Sie sind eine Regierung und keine Appellierung. Sie müssen handeln und nicht nur immer fordern, was die anderen zu tun haben. (Beifall bei der LINKEN) Vollkommen zu kurz in dieser Debatte kommt die Frage nach den Ursachen für diese Krise. Da wird natürlich von den Finanzmärkten gesprochen. Aber ich sage Ihnen: Die eigentlichen Probleme haben wir als Bundesrepublik Deutschland zum großen Teil mitverursacht. Wir haben ein Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft von 1967. In diesem Gesetz steht, dass wir Maßnahmen zur Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu organisieren haben, vor allem der Bund und die Länder. Dort heißt es: Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen. Wo ist eigentlich das "außenwirtschaftliche Gleichgewicht"? Ist Ihnen entgangen, dass wir von 2000 bis 2008 Außenhandelsüberschüsse von circa 1,3 Billionen Euro gegenüber anderen Ländern angehäuft haben? Was heißt das? Das heißt, wir verkaufen viel mehr, als wir importieren. Das bedeutet natürlich, dass den Ländern, die bei uns kaufen, irgendwann das Geld ausgeht, wenn sie nicht gleichzeitig ihre Waren oder Dienstleistungen an uns verkaufen können. Warum können sie nicht an uns verkaufen? Weil Sie diese Außenhandelsorientierung damit durchgesetzt haben, dass Sie bei uns permanent die Löhne gedrückt haben, dass Sie bei uns permanent die Arbeitsbedingungen so verschlechtert haben, dass die Löhne billiger wurden. Im Ergebnis ist die bundesrepublikanische Nachfrage natürlich nicht mehr so hoch, um die Importe entsprechend gewährleisten zu können. Das ist unser Problem. Das nehmen Sie nicht einmal zur Kenntnis. Das Ganze hätte nur funktioniert, wenn die Löhne bei uns mit der wirtschaftlichen Entwicklung mitgehalten hätten und wir aufgrund dieser Tatsache zum Beispiel mehr griechischen Wein, spanische Oliven oder portugiesische Sardinen gekauft hätten, wenn wir also tatsächlich dazu beigetragen hätten, mit unserer Kaufkraft Importe zu fördern. Das konnten wir nicht. Ihre Lohnsenkungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland ist eine Ursache dafür. (Beifall bei der LINKEN) Die sinkenden Löhne sind verantwortlich für die Ungleichgewichte in Europa. Die deutschen Arbeitnehmer, die deutschen Rentner, die deutschen Studenten und auch die deutschen Arbeitslosen haben letztendlich das finanziert, was bei den Exporteuren, bei den Unternehmen gelandet ist. Das ist unter anderem die Ursache für die Ungleichgewichte in Europa. Was machen Sie jetzt? Jetzt schlagen Sie vor, dass die Länder bitte schön mehr sparen sollen als bisher. Wie sollen die das machen? Jeder weiß, dass die Maßnahmen, die Griechenland ergreifen muss, zusammen mit unseren Forderungen dazu führen, dass das Wachstum in Griechenland abstürzen wird. Jeder weiß, dass das, was wir von Portugal und von Spanien fordern, dazu führen wird, dass das Wirtschaftswachstum dort abstürzen wird. Ebenso weiß jeder, dass das, was Sie den Griechen, den Portugiesen und den Spaniern zumuten, auch bei uns in der Bundesrepublik geplant ist. Auch bei uns wollen Sie die Sanierung letztendlich auf diese Art und Weise durchsetzen. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb fordere ich an dieser Stelle von der Bundesregierung eine ganz klare Aussage zu folgendem Punkt: Geben Sie eine Garantie ab, dass die Milliarden von Geldern, die wir für die Rettung des Euro bereitstellen, nicht durch Kürzungen bei den Sozialhaushalten in der Bundesrepublik Deutschland finanziert werden. (Beifall bei der LINKEN) Diese Garantie fordern wir von Ihnen. Geben Sie die Garantie nicht ab, dann wird offensichtlich das zur Realität, was einige von Ihnen - zumindest sind sie ehrlich - schon sagen. Herr Seehofer in Bayern sagt zum Beispiel, eine Kürzung der Haushalte um 10 Prozent sei gar nicht so schlecht. Herr Koch sagt: Gehen wir halt an die Bildung oder an die Anzahl der Plätze in Kindertagesstätten. Wenn Sie diese Garantie nicht abgeben, heißt das, dass die Bürger Deutschlands zweimal für die Ungleichgewichte, die wir in Europa haben, zahlen. Sie zahlen zum einen durch sinkende Löhne, durch sinkende Renten, durch sinkende Transfereinkommen, und sie zahlen zum anderen durch die Zerstörung ihres Sozialstaates. Da werden wir Linken nicht mitspielen. (Beifall bei der LINKEN - Ernst Hinsken [CDU/CSU]: War es das jetzt? Um Gottes willen! Es ist gut, dass er aufgehört hat!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus leisten wir den notwendigen Beitrag, den Euro zu stabilisieren und vor allen Dingen auch ein klares Signal zu senden, dass die Euro-Länder gemeinsam mit der EZB den Euro gegen Angriffe verteidigen und bereit sind, den Euro zu stabilisieren; denn er ist eine wichtige Grundlage gerade für uns in Europa und für die europäische Zusammenarbeit. Was die haushaltsmäßigen Implikationen anbelangt, ist schon vieles gesagt worden. Deshalb möchte ich mich auf einige Bereiche des Finanzmarktes, auf die Regulierung des Finanzmarktes und die Regulierung von Finanzprodukten konzentrieren. Herr Kollege Trittin, das, was Sie eben zum Verbot von Leerverkäufen ausgeführt haben, stimmt natürlich nicht. Die BaFin hat ungedeckte Leerverkäufe in Aktien bei einigen wenigen Finanzinstituten im DAX verboten. Bisher hat es kein Verbot von Leerverkäufen für Staatspapiere gegeben. Dies ist jetzt mit der Veranlassung durch die BaFin seit Mitternacht im Grunde zum ersten Mal auf den Weg gebracht worden, weil man erkannt hat, dass die Hebelwirkung in diesem Bereich gerade durch Leerverkäufe Druck auf den Euro ausgeübt hat. Das war die erste wichtige Maßnahme, die, getragen von den Bundestagsfraktionen, durch das Finanzministerium veranlasst worden ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Von daher geht Ihr Vorwurf fehl, dass es falsch war, dies aufzuheben. Die Aufhebung hing damals ausschließlich mit wenigen DAX-Werten von Finanzinstituten zusammen und stand nicht mit dem in Zusammenhang, was wir jetzt betrachten. Es ist unser Grundsatz, dass innerhalb der sozialen Marktwirtschaft Finanzmärkte und Finanzprodukte eine dienende Funktion für die Wirtschaft, für die Volkswirtschaft und damit für die Menschen haben müssen. Auf diesen Ursprung müssen wir vieles von dem zurückführen, was wir in der jüngeren Vergangenheit an angelsächsischen Finanzierungskulturen und Finanzprodukten manchmal unreflektiert übernommen haben. Das muss teilweise wieder geradegerückt werden. Damit fangen wir auf nationaler Ebene an. Hier geht es um die Frage, wo die Ursachen für die Euro-Schwäche und für die Angriffe auf den Euro liegen. Sie liegen im Grunde in der unsoliden Haushaltspolitik vieler, fast aller Euro-Staaten. Das ist die eigentliche Ursache. Unsicherheiten sind auf den Finanzmärkten natürlich als Beschleuniger der Krise genutzt worden. Das ist aber nicht die eigentliche Ursache. Im Zuge der Ursachenbekämpfung müssen wir natürlich auch darangehen, den Finanzmarkt stärker zu regulieren. Hierzu hat es in der Vergangenheit durch die Große Koalition Maßnahmen gegeben. Diese Arbeit haben wir im letzten halben Jahr in der christlich-liberalen Koalition fortgesetzt. (Joachim Poß [SPD]: Was denn? Angedacht! Nichts gemacht! Nur angedacht!) - Sie müssen unser Eckpunktepapier zur Bankenregulierung, zur Aufsicht, zur Bankenabgabe und zur Restrukturierung von Banken betrachten. (Joachim Poß [SPD]: Alles Diskussionspapiere!) - Kollege Poß, Sie werden sehen, dass Mitte des Jahres schnellstmöglich die Gesetzentwürfe dazu vorliegen und dann auch umgesetzt werden. (Joachim Poß [SPD]: Wann denn?) Das ist das Handeln dieser Regierung und dieser Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU - Joachim Poß [SPD]: Am Sankt-Nimmerleins-Tag!) Es war ein Erfolg unseres Finanzministers - Sie haben immer nur darüber geredet -, bei den Verhandlungen in Brüssel am Montag einen Beschluss des Ecofin-Rates zur Regulierung von Hedgefonds zu erreichen. (Joachim Poß [SPD]: Das war das Verdienst von Juncker, nicht von Schäuble!) Frau Kollegin Hendricks, Ihr Beitrag war der schlagende Beweis dafür. Sie haben natürlich recht, dass wir in Deutschland enge Normen haben. Wir haben das damals gemeinsam getragen. Aber Sie sehen daran auch, dass Alleingänge nicht zum Erfolg führen, weil diese Umsätze jetzt in London gemacht werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir müssen zumindest dahin kommen, dass diese Regulierungsmaßnahmen auf europäischer Ebene stattfinden. (Johannes Kahrs [SPD]: Vorher gibt es kein Geld!) Es war ein erster Erfolg unseres Finanzministers, dass er gestern erreicht hat, dass die Hedgefondsregelung von der Kommission jetzt im Grunde für alle europäischen Staaten auf den Weg gebracht wird. Gleichzeitig hat er erreicht, dass die ursprüngliche Absicht der Kommission, bezüglich der CDS-Produkte auf europäischer Ebene erst im Herbst Vorschläge zu unterbreiten, überdacht wurde und das Vorhaben auf Juni vorgezogen wird. Auch bei diesen Finanzprodukten, bei dieser Problematik dürfen wir das Kind natürlich nicht mit dem Bade ausschütten, sondern wir müssen sehen, dass die Volumina, die rein spekulativ sind und keine Beziehung mehr zum Grundgeschäft haben, eingedämmt werden. Von daher kann das, was der Koalitionsausschuss gestern beschlossen hat, der Auftrag an die Bundesregierung, sich jetzt auch auf europäischer und internationaler Ebene für Finanzmarktsteuern auszusprechen, durchaus ein sinnvoller Beitrag sein. (Joachim Poß [SPD]: Das hat aber lange gedauert! Das hätten wir schon vor drei, vier Monaten haben können!) Es geht darum, dass wir keine nationalen Alleingänge machen. Das muss zumindest im europäischen Konzert abgestimmt werden; denn sonst haben Sie wiederum in allen Bereichen Verwerfungen, die uns keinen sinnvollen Weg in die Zukunft zeigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Bettina Hagedorn [SPD]: Es geht vor allem darum, dass sich die EU an die Spitze der Bewegung setzt!) Vieles befindet sich also schon in der Pipeline. Was Ratingagenturen anbelangt, haben wir vonseiten der Union die Umsetzung der Richtlinie in der letzten Sitzungswoche beschlossen. Das ist ein erster Baustein, von der europäischen Ebene aus Regulierung von Ratingagenturen zu betreiben. Von daher sage ich: Viele Punkte, die hier kritisch angemerkt worden sind, haben wir schon umgesetzt. Was den gesamten Bereich der Regulierung - auch das, was noch international abzustimmen ist - angeht, so kam eben der Vorwurf, mit diesen Maßnahmen würden wir die Unabhängigkeit der EZB gefährden; das sei ein Angriff auf die EZB. (Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!) Das Gegenteil ist der Fall: Wenn Sie das geschichtlich sehen, werden Sie feststellen, dass es, als jedes Land eine eigene Währung und eine eigene Notenbank hatte, grundsätzliches Prinzip war, dass Angriffe, die auf das Land gerichtet waren, immer auch mit Notenbankpolitik abgewehrt wurden. Deshalb ist es selbstverständlich, dass auch die EZB den eigenen Währungsraum mit eigenen Maßnahmen verteidigt. Das ist kein Sündenfall. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie verteidigen den Sündenfall auch noch!) Was jetzt über den Ankauf von Staatsanleihen vom sogenannten Sekundärmarkt bei der EZB vollzogen wird, schafft zunächst einmal mehr Liquidität auf dieser Ebene. Auf der anderen Seite schöpft die EZB diese Liquidität durch die Ausgabe von Papieren wieder ab, sodass der inflationäre Effekt, der hier vielleicht unterstellt wird, im Grunde gar nicht entsteht. (Johannes Kahrs [SPD]: Aber die Bonität der EZB ist in Gefahr!) Wir haben mit diesem Gesetzentwurf eine Grundlage, um den Euro kurzfristig zu stabilisieren. (Johannes Kahrs [SPD]: Und ihn langfristig zu ruinieren!) Zu dieser Verantwortung müssen wir stehen. Auf der anderen Seite haben wir unsere Regierung aufgefordert, Maßnahmen, die auf dem Gesetzesweg direkt umsetzbar sind, jetzt umzusetzen. Von daher haben wir entscheidende Grundlagen, um diesem Gesetzentwurf nach unseren Beratungen zuzustimmen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung von Europa zu leisten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt erteile ich dem Kollegen Norbert Barthle von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Norbert Barthle (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der letzten Sitzungswoche an dieser Stelle über das Rettungspaket für Griechenland gesprochen und darüber abgestimmt. Die Koalitionsfraktionen haben dem natürlich zugestimmt. Angeschlossen haben sich die Grünen; das ist aller Ehren wert. Die SPD konnte sich nicht entscheiden, ob sie dem zustimmen oder es ablehnen sollte; sie hat sich, wahrscheinlich mangels Führung, enthalten. Ich hoffe, am Ende dieser Debatte kommt eine klare Richtung heraus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe damals gesagt: Wenn wir dem Rettungspaket für Griechenland nicht zustimmten, würden wir an dieser Stelle schon bald über Hilfsmaßnahmen mit noch viel größeren Volumina zu entscheiden haben. Keiner von uns hat geahnt, dass trotz der Zustimmung zum Rettungspaket für Griechenland dieser Fall schon kurze Zeit später eintreten würde. (Johannes Kahrs [SPD]: Wir sind uns nicht so sicher, ob das keiner geahnt hat!) Wir diskutieren über eine Kreditlinie von insgesamt 440 Milliarden Euro, mit einem deutschen Gewährleistungsanteil von maximal 123 Milliarden Euro. Nur im Worst Case, Herr Trittin, kann sich der deutsche Anteil auf 148 Milliarden Euro erhöhen: wenn - darauf wird in § 1 Abs. 5 des Gesetzentwurfs verwiesen - ein unvorhergesehener und unabweisbarer Bedarf besteht. Erforderlich ist dann aber die Einwilligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages. Wir haben am Ende dieser Debatte darauf zu achten, dass wir nicht zu viel über die Finanzmärkte reden. Das würde die Kausalitäten auf den Kopf stellen, und damit würden wir auch die Prioritäten nicht richtig setzen. Ich denke, es geht bei dieser Debatte um die Finanzstabilität der Währungsunion als Ganzes und damit im Kern um Europa als Ganzes. Wir müssen in dieser Debatte in den Vordergrund rücken, dass der Grundgedanke der europäischen Integration auf dem Spiel steht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wesentliche Triebkräfte für die europäische Einigung waren immer die Zugehörigkeit zu einer Wertegemeinschaft, Friedenssicherung, Stärkung der nachbarschaftlichen Beziehungen, mehr Einfluss in der Außenpolitik, mehr Einfluss in der Sicherheitspolitik. Das sind die Grundkomponenten. Die europäische Gemeinschaftswährung sollte dann der krönende Abschluss des gemeinsamen Marktes sein. Hier und heute entscheiden wir über nicht mehr, aber auch nicht weniger als genau über die Frage, ob wir diese Grundidee von Europa aufgeben oder ob wir sie mit aller Entschlusskraft verteidigen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich denke, Europa und unsere gemeinsame Währung sind es wert, mit aller Kraft verteidigt zu werden. Der Euro ist neben dem US-Dollar die wichtigste Währung der Welt. Der Euro bedeutet die Vollendung des europäischen Binnenmarktes, und dank des Euro hat sich auch der Handel innerhalb der Euro-Zone bis zum Jahr 2007 um nahezu 15 Prozent gesteigert. Der Euro ist also die Hauptquelle ökonomischen Wachstums - und das auch bei uns; denn wir als Exportnation profitieren in erster Linie davon: 60 Prozent unserer Exporte gehen in den Euro-Raum. Was wäre die europäische Integration wert, wenn wir jetzt, bei der ersten wirklich grundlegenden, risikoreichen Debatte und den Problemen, sofort die Flinte ins Korn werfen und alles hinschmeißen würden? Das kann nicht sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wie im sonstigen Leben auch zeigen sich die Qualität einer Beziehung und ihre wahre Stärke gerade in schlechten Zeiten und in Zeiten der Bedrohung von außen. Eine solche Bedrohung von außen erleben wir derzeit. Deshalb gilt es, die Reihen zu schließen und sich entschlossen gegen Spekulanten und Zockerwetten zur Wehr zu setzen, mit denen weltweit auf den Untergang des Euro gesetzt wird. Eines ist dabei - mir jedenfalls - sonnenklar: Entweder schaffen wir es gemeinsam oder gar nicht. Dabei kann sich Deutschland nicht einfach ausnehmen. Wir sind keine Insel der Seligen, sondern wir leben in dieser Wertegemeinschaft. Durch einen Alleingang Deutschlands würden wir letztlich selbst getroffen werden. Deshalb wäre das der völlig falsche Weg. (Beifall bei der CDU/CSU) Aufgrund der Höhe unseres Beitrags sind wir sicher einer der zentralen Träger dieses Schutzschirmes. Wenn wir diesen Schutzschirm jetzt aber loslassen und wegwerfen würden, dann stünden wir selbst im Regen. Im Übrigen: Wir beklagen doch immer wieder die starke Vereinzelung auf allen gesellschaftlichen Ebenen, die Partikularisierung der Gesellschaft und den Egoismus, und wir kritisieren das Zockertum und die einseitig ausgerichtete Gewinnmaximierung. Gerade hier und jetzt, bei diesem Thema, stehen wir selbst vor der Nagelprobe. Wenn wir jetzt aus dem Rettungspaket für den Euro aussteigen würden, dann verhielten wir uns im Grunde genau so, wie wir es den Spekulanten vorwerfen. Dieses Bild darf Deutschland nicht abgeben. (Beifall bei der CDU/CSU - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wollen Sie bei Bildung und Familie kürzen?) Selbstverständlich weiß ich, dass Deutschland derzeit schon vorgeworfen wird, dass wir mit unseren Exportüberschüssen quasi auf Kosten anderer Euro-Länder leben würden, weil wir eben durch unsere wirtschaftliche Stärke in der entsprechenden Lage sind. Herr Kollege Ernst, diese Betrachtung ist aber ausgesprochen eindimensional und vor allem auch interessengesteuert. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Er hat noch nichts vom Binnenmarkt gehört!) Wahr ist: Wir müssen uns zu dieser Wertegemeinschaft der Europäischen Union insgesamt bekennen - auch in schwierigen Zeiten. Die europäische Wertegemeinschaft bedeutet eben auch Stärkung der nachbarschaftlichen Beziehungen, Lösung grenzüberschreitender Probleme und letztendlich auch Solidarität. Die Kollegin Künast hat noch vor zwei Wochen an dieser Stelle das Hohelied der internationalen Solidarität gesungen. (Jörg van Essen [FDP]: Ja, sie kennt das aus der Vergangenheit!) Ich hoffe, sie erinnert sich auch am Freitag noch daran; denn es ist jetzt eben Solidarität nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten gefordert. Um es mit den Worten unseres Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder zu formulieren: Wir handeln mit Verstand und mit Herz - oder mit Herz und Verstand. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Eines ist doch sicher: Europa war und ist ein Kernprojekt der Union. Wir dürfen dieses Kernprojekt nicht infrage stellen. (Jörg van Essen [FDP]: Für uns auch!) - Auch der FDP; das gestehe ich selbstverständlich zu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Eines ist auch klar: Diesem Kernprojekt haben wir nicht zuletzt auch die deutsche Wiedervereinigung zu verdanken. Um es mit Wolfgang Schäuble zu formulieren: Nach der Wiedervereinigung gibt es für uns nichts Besseres, als in die Europäische Gemeinschaft eingebunden zu sein. - Das ist wahr. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) In den letzten Wochen haben wir einige Erkenntnisse gewonnen, sodass wir nun entsprechende Maßnahmen umsetzen. Das bedeutet zunächst eine umfassende Neustrukturierung der Finanzkoordination in der Europäischen Gemeinschaft. Dabei gilt es einiges nachzuholen, was bei Grundlegung dieser Gemeinschaft offensichtlich versäumt worden ist. Es gilt auch, ein deutliches Zeichen in die Welt zu senden, dass die Euro-Länder miteinander im Verbund bereit sind, den Euro zu stützen. Das ist die Grundlage, um den Spekulationen an den Märkten die Basis zu entziehen. Diese Botschaft wird ausgesandt, wenn wir dieses Paket am Freitag abschließend beraten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist mit den Kürzungen bei Bildung und Familie?) Das Paket enthält einige Wirkmechanismen, die wir der erfolgreichen Verhandlung unserer Bundeskanzlerin und unseres Bundesfinanzministers verdanken. Das will ich hervorheben. Bei der Übernahme einer Gewährleistung in jedem Einzelfall entscheiden die Euro-Staaten einstimmig. Das heißt, Deutschland hat immer ein Vetorecht. Die gesamtschuldnerische Haftung konnte verhindert werden. Das halte ich für ganz essenziell. IWF und EZB sind mit im Boot. Auch das ist aus meiner Sicht ausgesprochen wichtig. Außerdem wird bei der Übernahme der Gewährleistungen immer Voraussetzung sein, dass ein Konsolidierungsprogramm des jeweiligen zahlungsunfähigen Landes realisiert wird. Das ist als Kondition daran geknüpft. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist mit Konsolidierung in Deutschland? - Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Haben Sie nicht zugehört? - Gegenruf des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Er ist der haushaltspolitische Sprecher! Er könnte ja auch eine andere Meinung haben!) - Darauf komme ich noch zurück. - Außerdem wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages bei jeder Gewährleistungsübernahme in die Entscheidung eingebunden. Ich will noch einmal betonen, was schon ausführlich zur Sprache kam: Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, sich für eine Finanzmarktsteuer einzusetzen. Damit werden auch die Finanzakteure, die an den Spekulationen mitverdient haben, zur Kasse gebeten. Sie werden an den Kosten dieses Rettungspaketes beteiligt. Auch das ist eine überzeugende Botschaft, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Selbstverständlich werden wir schon in den nächsten Wochen und Monaten die Beratungen des Bundeshaushalts 2011 und die Finanzplanung bis 2014 auf die Tagesordnung setzen. (Johannes Kahrs [SPD]: Da bin ich mal gespannt!) Ich bin überzeugt, dass nicht nur in die europäischen Nachbarländer hinein, sondern auch für uns selber eine positive Wirkung von diesen Ereignissen ausgeht. Die Schuldenbremse wird einzuhalten sein. Wir begeben uns auf den Weg, dies auch umzusetzen. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wie denn?) Deshalb hoffe ich, dass nicht nur in dieser Frage, sondern auch in der Frage der Rettung unserer Währung alle Fraktionen dieses Hauses die Debatte zustimmend begleiten. Wer seine Zustimmung in dieser Debatte an Bedingungen knüpft, bringt damit zum Ausdruck, dass er bei Nichteinhaltung dieser Bedingungen bereit wäre, den Euro aufs Spiel zu setzen. (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist ja absurd! - Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch nicht alternativlos, was Sie hier sagen! Das ist fantasielos!) Ich bitte darum, diesen Mechanismus in der SPD-Fraktion noch einmal ausführlich zu beraten. Lassen Sie mich abschließend noch ein Bild aus der griechischen Mythologie in Erinnerung rufen, bei dem es um den Ursprung Europas geht. Europa war demnach eine phönizische Prinzessin, die von dem in Liebe entbrannten Zeus in Gestalt eines Stieres verführt wurde. Im Börsengeschäft steht der Stier auch für Hausse, also für steigende Aktienkurse. Lassen Sie uns aus Europa eine wehrhafte Amazone machen, die den Stier bei den Hörnern packt und ihm zeigt, wo es langgeht. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1685 und 17/1733 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich unterbreche nun die Sitzung bis 13 Uhr. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch ein Klingelsignal bekannt gegeben. Die Sitzung ist unterbrochen. (Unterbrechung von 11.58 bis 13.00 Uhr) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksachen 17/1694, 17/1738 - Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf. Wir kommen zusätzlich zur dringlichen Frage 1 des Kollegen Anton Hofreiter: Inwieweit kann die Bundesregierung bestätigen, dass die dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG am 21. April 2010 bei der Entscheidung für die Übernahme des britischen Verkehrskonzerns Arriva vorgelegten Informationen zu einem Großteil nur auf mündlichen Aussagen des Managements basierten, dass die Arriva-Führung gleich mit drei Bonusprogrammen ausgestattet ist und der Vorstand das Recht hat, nach Belieben zu kündigen, wie auch Bonuszahlungen zu bestätigen, beispielsweise allein für den Unternehmenschef David Martin 8,6 Millionen Euro (vergleiche Spiegel Online vom 16. Mai 2010), und inwieweit haftet der Bund für mögliche Verluste aus der Arriva-Übernahme? Die dringliche Frage fällt in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung. Bitte schön, Herr Staatssekretär. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beantworte die dringliche Frage des Kollegen Hofreiter wie folgt: Der Vorstand der Deutschen Bahn AG bzw. der DB Mobility Logistics AG hat zur Vorbereitung der Entscheidung der Aufsichtsräte von DB AG und DB ML AG über das Übernahmeangebot für Arriva eine umfangreiche und detaillierte schriftliche Unterlage über die Chancen und Risiken des Kaufs vorgelegt. In diese Unterlage gingen auch mündliche Informationen des Arriva-Managements ein. Weiterhin wurden die Aktienoptionsprogramme für das Management dargestellt. Auf der Grundlage dieser Informationen haben die Kontrollgremien die Offerte gründlich diskutiert, und sie haben die Unternehmensbewertung durch ein unabhängiges Wertgutachten einer Bank überprüfen lassen. In die Unternehmensbewertung sind auch die oben angegebenen Bonusprogramme eingeflossen. Vor dem Hintergrund all dieser Informationen haben die Aufsichtsräte der DB AG und der DB ML AG am 21. April 2010 dem Übernahmeangebot für Arriva zugestimmt. Sollte es zu einer Übernahme von Arriva durch die DB AG kommen, haftet die DB AG bzw. die DB ML AG als Alleineigentümerin für mögliche Verluste im Zusammenhang mit der Arriva-Übernahme. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Hofreiter, Gelegenheit zur Nachfrage. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei einem Übernahmeangebot in der Form muss auch eine Prüfung nach § 65 Bundeshaushaltsordnung stattfinden. Meine Frage dazu lautet: Hat diese Prüfung vor dem Beschluss des Aufsichtsrats oder nach dem Beschluss des Aufsichtsrats stattgefunden? Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Herr Staatssekretär. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Frage beantworte ich wie folgt: Da es sich um ein privatrechtlich geführtes Unternehmen handelt, ist eine solche Prüfung nicht erforderlich. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, ich an Ihrer Stelle wäre sehr vorsichtig mit dieser Antwort. Mir liegen nämlich Informationen darüber vor, dass es diese Prüfung in Ihrem Ministerium, in der Fachabteilung, durchaus gegeben hat und dass massiver Druck auf die Fachbeamten ausgeübt worden ist - namentlich durch die Staatssekretäre Scheurle und Beus -, dem zuzustimmen. Außerdem liegen mir Informationen darüber vor, dass diese Prüfung nach der Aufsichtsratsentscheidung stattgefunden hat und das Prüfungsergebnis unter massivem Druck zustande gekommen ist. Deswegen wäre ich an Ihrer Stelle sehr vorsichtig; ich würde mir die Antwort noch einmal gut überlegen. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sehr geehrter Herr Kollege, herzlichen Dank für die freundlichen Hinweise. - Es ist mir nicht bekannt, dass es bei uns im Hause Diskussionen gegeben hat, die auf Druck oder Ähnliches hinausgelaufen wären. Dass sich die Staatssekretäre, die für uns die Beteiligungen steuern, natürlich vorbereiten und beraten lassen - im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung und auch in der Nachbereitung -, ist überhaupt keine Frage; das ist ein übliches Verfahren. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Beck, bitte. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, es sei Ihnen nicht bekannt, frage ich Sie: Sind Sie bereit, dem Hohen Hause in schriftlicher Form eine umfassende und wahrheitsgemäße Auskunft darüber zuzuleiten, ob und, wenn ja, wann diese Prüfung stattgefunden hat und was die näheren Umstände gewesen sind? Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie dem Parlament zu wahrheitsgemäßer und umfassender Auskunft verpflichtet sind. Das ist der Sinn der Fragestunde. Hier kontrollieren wir die Regierung. Wenn Sie Auskünfte verweigern, dann beschränken Sie unser Interpellationsrecht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Staatssekretär, bitte. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sehr geehrter Herr Kollege, herzlichen Dank für diese freundlichen Hinweise. Wenn das Hohe Haus einen schriftlichen Bericht wünscht, dann werden wir selbstverständlich einen solchen liefern. Das ist für uns überhaupt keine Frage. Aber dass wir nicht wahrheitsgemäß antworten, weise ich natürlich mit aller Schärfe zurück. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie nichts wissen, ist dann das einzig Wahrheitsgemäße! Also, wir bekommen diesen Bericht!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Beck, Sie stellen fest, dass der Bericht kommt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Herr Staatssekretär? Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das habe ich hiermit zugesagt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Dann ist es in Ordnung. - Gibt es weitere Nachfragen dazu? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Helge Braun zur Verfügung. Ich rufe die dringlichen Fragen 2 und 3 der Kollegin Dagmar Ziegler auf: Wie sieht das Konzept der Bundesregierung zu einem Qualitätspakt für die Hochschullehre - insbesondere hinsichtlich der erstmals genannten Rolle "Stiftungen" und einer zu schaffenden "Akademie für die Lehre" als Förderinstitution - konkret aus, über das die Bundesministerin Dr. Annette Schavan auf der gestrigen Nationalen Bologna-Konferenz laut Pressemitteilung vom 17. Mai 2010 (siehe auch dpa-Meldung vom 17. Mai 2010) die Öffentlichkeit informierte, zu dem die Bundesregierung aber in der Fragestunde vom 21. April 2010 noch keine Angaben machen konnte? Aus welchen Überlegungen heraus setzt die Bundesregierung - wie den Pressemeldungen zu entnehmen ist und entgegen den Forderungen der Hochschulen und vieler Länder - hierbei weiterhin allein auf wettbewerbliche Vergabeverfahren bei der Förderung qualitativer Lehre? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ich beantworte die Fragen wie folgt: Auf Vorschlag der Bundesministerin Schavan beraten Bund und Länder in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz derzeit über die Erweiterung des Hochschulpakts um eine dritte Säule für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre. Gefördert werden sollen insbesondere eine bessere Personalausstattung der Hochschulen für die Lehre, für die Beratung und für die Betreuung der Studierenden sowie Maßnahmen zur Qualifizierung des Lehrpersonals. In diesem Zusammenhang wird die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz auch den Vorschlag der Einrichtung einer Akademie für die Lehre als Einrichtung der Hochschulen erörtern. Die Beratungen über die weitere Ausgestaltung der dritten Säule des Hochschulpakts dauern derzeit noch an. Ein Ergebnis soll zur Besprechung der Regierungschefs von Bund und Ländern am 10. Juni vorliegen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Frau Kollegin. Haben Sie Nachfragen? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Halten Sie auch Ihre zweite dringliche Frage für beantwortet? - Gut, dann hat Kollege Rossmann eine Nachfrage. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Staatssekretär, die Ministerin hat anklingen lassen, dass speziell das Projekt einer Akademie in Stiftungsform oder in einer anderen Form im Rahmen einer 90/10-Finanzierung von Bund und Ländern gestaltet werden soll. Darf man aufgrund dessen annehmen, dass sich dieser 90/10-Schlüssel auf den gesamten Pakt für die Lehre bezieht und dass Sie, obwohl der Wissenschaftsrat 1,3 Milliarden Euro jährlich gefordert hat, für Bund und Länder zusammen rund 230 Millionen Euro jährlich für eine gute Lehre für notwendig erachten? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Nein, das können Sie daraus nicht schlussfolgern. Dass der Bund bereit ist, über zehn Jahre jährlich 200 Millionen Euro, also insgesamt 2 Milliarden Euro, in die Hand zu nehmen, ist die größte Offensive seitens des Bundes für die Verbesserung der Qualität der Lehre, die es jemals in Deutschland gegeben hat. Die Frage nach der Beteiligung der Länder ist momentan Gegenstand der Diskussion im Vorfeld der Konferenz der Regierungschefs. Wir wünschen natürlich, dass jeder Euro, den der Bund an dieser Stelle investiert, eine entsprechend hohe Finanzierung der Länder zur Folge hat. Aber den Ergebnissen des Gipfels der Regierungschefs wollen wir nicht vorgreifen. Genau darüber wird dort verhandelt. Vorfestlegungen, wie Sie sie gerade genannt haben, gibt es nicht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön, Herr Kollege. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Bisher war - nicht zuletzt durch den Wissenschaftsrat - die Einrichtung von hochschuldidaktischen Zentren als Unterstützung der Lehre an mehreren Standorten in der Diskussion. Muss man die Äußerungen der Ministerin so verstehen, dass das alternativ ist, oder verfolgt die Regierung weiter eine Strategie, die darauf abzielt, hochschuldidaktische Zentren in intensiver Weise mit aufzubauen, zu unterstützen und zu finanzieren? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Auch das wird Gegenstand der Diskussion über die konkrete Ausgestaltung der Akademie sein. Wir befinden uns in intensiven Gesprächen mit den Ländern. Beide Lösungen sind heute noch denkbar. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. - Weitere Nachfragen hierzu gibt es nicht. Damit sind die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet. Wir kommen nun zu den Fragen auf Drucksache 17/1694 in der üblichen Reihenfolge. Es geht los mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Max Stadler zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Volker Beck auf: Wann beabsichtigt die Bundesregierung die Zeichnung des revidierten Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern vom 27. November 2008 - SEV 202 -, und wie begründet die Bundesregierung, dass eine Zeichnung anderthalb Jahre nach Auflegung noch immer nicht erfolgt ist? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Herr Kollege Beck, die Bundesregierung prüft die Zeichnung des revidierten Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern. Für die Zeichnung sind ein Beschluss des Bundeskabinetts sowie eine Abstimmung mit der Ständigen Vertragskommission der Länder erforderlich. Die Prüfungen der Bundesregierung sind noch nicht abgeschlossen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine Nachfrage? - Bitte. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Können Sie mir erklären, warum bereits 14 Länder dieses Übereinkommen unterzeichnet haben, aber die Bundesrepublik Deutschland nicht, obwohl wir eines der Länder waren, die - damals war Frau Zypries Bundesjustizministerin - den Anstoß zur Überarbeitung dieser Konvention gegeben haben, damit wir die alte Forderung der FDP, die auch wir immer erhoben haben, die gemeinschaftliche Adoption von Lebenspartnerschaften zu ermöglichen, ohne die Konvention zu verlassen, endlich hinbekommen? Ich bin ganz erstaunt, dass das Engagement Ihres Hauses in Ihrer Eingangsantwort so zurückhaltend formuliert war. Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Herr Kollege Beck, wie Sie wissen, dauerte die Regierungszeit der früheren Bundesregierung noch fast ein Jahr an, nachdem im Europarat dieses Übereinkommen beschlossen worden war. Ich bin natürlich nicht in der Lage, Auskunft darüber zu geben, warum die Große Koalition die Zeichnung dieses Übereinkommens nicht veranlasst hat. Seit der Bildung der christlich-liberalen Koalition ist nunmehr etwas mehr als ein halbes Jahr vergangen. Wie ich schon erwähnt habe, dauern die Prüfungen innerhalb der Bundesregierung, ob man das Übereinkommen zeichnet und, wenn ja, gegebenenfalls wann, noch an. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gibt es denn in der Bundesregierung Überlegungen und, wenn ja, von welcher Seite, der Konvention womöglich nicht beizutreten? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Herr Kollege Beck, Ihnen ist sicherlich der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP bekannt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darin steht nichts zur Adoption!) Darin sind eine Reihe von Verbesserungen für eingetragene Lebenspartnerschaften vereinbart. Es sind übrigens auch Verbesserungen im Jahressteuergesetz hinsichtlich der Erbschaftsteuer und der Grunderwerbsteuer vereinbart. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht jetzt aber um die Konvention!) Das ist also eine Thematik, mit der wir sehr wohl befasst sind. Ihnen ist aber auch geläufig, dass genau zu der Frage, die Sie gestellt haben, der Bundesregierung im Koalitionsvertrag kein Auftrag erteilt worden ist. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finde ich erstaunlich angesichts der FDP-Position!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Steffen Kampeter zur Verfügung. Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Welche Angaben macht die Bundesregierung über die Höhe und die konkreten Bedingungen - Zinshöhe, Rückzahlung und deren Rang - der durch staatliche deutsche Garantien abgesicherten Kredite, die im Rahmen der am 7. Mai 2010 vom Deutschen Bundestag beschlossenen "Griechenlandhilfe" bis zum 19. Mai 2010 ausgezahlt werden, und warum stehen diese Kredite im Rang nicht vor den bisherigen Krediten privater Gläubiger? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Frage des Kollegen Ströbele möchte ich gerne wie folgt beantworten: Am 18. Mai wurde die erste Tranche des finanziellen Hilfsprogramms für Griechenland vonseiten der Euro-Mitgliedstaaten mit einem Nennbetrag von 14,5 Milliarden Euro ausgezahlt. Auf Deutschland, für das die Kreditanstalt für Wiederaufbau die Ausreichung vornimmt, entfällt ein Betrag von 4,43 Milliarden Euro. Generell wurden für jedes Jahr als Zinstermine der 15. März, der 15. Juni, der 15. September und der 15. Dezember festgelegt. Der Zinssatz wird generell auf der Grundlage des Drei-Monats-EURIBOR ermittelt. Das ist der Zinssatz, zu dem die Banken sich untereinander innerhalb der Euro-Zone Kredite gewähren. Für die erste sogenannte unterbrochene Zinsperiode, die den Zeitraum vom Auszahlungsdatum, also dem 18. Mai, bis zum 15. Juni, dem ersten regulären Zinstermin, umfasst, wurde hiervon abweichend der Ein-Monats-EURIBOR vom 14. Mai 2010 als maßgeblicher Zinssatz bestimmt. Dazu kommt ein Aufschlag von 300 Basispunkten. Dies ergibt einen Zinssatz von 3,42 Prozent. Darüber hinaus wird vom Auszahlungsbetrag eine Verwaltungsgebühr von einem halben Prozent für die beim Kreditgeber anfallenden Kosten einbehalten. Die Zinszahlungen werden anteilig an die beteiligten Darlehensgeber verteilt. Nach einer tilgungsfreien Zeit von drei Jahren, Herr Kollege Ströbele, wird das Darlehen in acht vierteljährlichen Zahlungen in Höhe von jeweils 1,8125 Milliarden Euro getilgt. Die erste Tilgung wird zum 15. Juni 2013 erfolgen, die letzte zum 15. März 2015. Das heißt, dass die Tilgung in einem Zeitraum von weniger als zwei Jahren nach Ablauf der tilgungsfreien Zeit erfolgen wird. Laut Darlehensvertrag begründet jedes Darlehen eine ungedeckte, direkte, bedingungslose, nicht nachrangige und allgemeine Verbindlichkeitserklärung des Darlehensnehmers und ist mindestens gleichgestellt mit allen anderen gegenwärtigen und zukünftigen ungedeckten und nicht nachrangigen Darlehen und Verbindlichkeiten des Darlehensnehmers. Die Darlehensgeber im Rahmen des finanziellen Hilfsprogramms für Griechenland sind untereinander gleichrangig. Lediglich die Darlehen des Internationalen Währungsfonds haben eine vorrangige Sicherung. Dies entspricht dem seit Gründung des Internationalen Währungsfonds weltweit üblichen Verfahren bei ähnlichen Unterstützungen durch den Internationalen Währungsfonds. Dieser bevorrechtigte Gläubigerstatus wird Einzelstaaten oder einer Gruppe von Einzelstaaten in der bisherigen Rechts- und Kreditpraxis globaler Finanzierungen nicht zugesprochen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Ströbele, bitte. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Präsident. - Das leuchtet mir nicht so ganz ein, Herr Staatssekretär. Die Situation ist doch folgende: Griechenland ist pleite, könnte also die Gläubiger, insbesondere die Großbanken - die deutschen sollen mit über 30 Milliarden Euro beteiligt sein -, nicht bedienen. Wenn die Kredite jetzt also nicht fließen würden, würden sie nichts bzw. im Falle eines Insolvenzverfahrens das bekommen, was noch im Korb ist: 20, 40 oder 50 Prozent. Jetzt springt, nachdem das Parlament das so beschlossen hat, der deutsche Steuerzahler ein, und die Bundesregierung reicht das Geld aus. Dann werden wiederum die Großbanken bedient, mit Rückzahlungen bzw. mit Zinsen, möglicherweise mit Boni oder was auch immer da vereinbart wurde. Halten Sie das für eine gegenüber dem Steuerzahler zu rechtfertigende Lösung? Der Steuerzahler hat ja eigentlich mit der ganzen Geschichte nichts zu tun. Er will auch keine Geschäfte mit Griechenland machen. Eigentlich hätte er, wenn überhaupt, das Geld lieber für andere Zwecke in Deutschland ausgegeben. Nun wird er in die Position eines Gläubigers gebracht und ins Obligo genommen; aber die Großbanken, die volles Risiko gefahren sind und möglicherweise viel Geld damit verdient haben, werden nicht entsprechend zur Verantwortung gezogen. Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung ist der Auffassung, dass der hier gewählte Weg die für den Steuerzahler angemessene Lösung ist, weil es vermutlich die preiswerteste Möglichkeit der Stabilisierung der Euro-Zone insgesamt ist. Der von Ihnen angesprochene Alternativweg, nämlich die Staatsinsolvenz Griechenlands und damit Vergleichsverhandlungen über die Verbindlichkeiten gegenüber der hellenischen Republik, würde über die beteiligten Banken, von denen einige unmittelbar oder indirekt in staatlichem Besitz sind, zu unmittelbaren Nachschusspflichten für den Steuerzahler und die Steuerzahlerin bzw. zur Bilanzbereinigung führen. Die Behauptung, dass die Staatsinsolvenz Griechenlands eine im Vergleich zum gewählten Weg für den Steuerzahler vertretbare Lösung ist, teilt die Bundesregierung nach Abwägung aller Sachargumente nicht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, bitte schön. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da kann ich Ihnen immer noch nicht folgen. Sie haben selber gesagt, es gebe durchaus vorrangig zu bedienende Gläubiger; Sie haben den IWF erwähnt. Können Sie sagen, warum der IWF vorrangig bedient wird und der deutsche, der niederländische oder der französische Steuerzahler nicht? Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Ströbele, um noch einige ergänzende Hinweise zum Verständnis des Sachverhalts zu geben: Grundsätzlich gilt, dass alle Gläubiger gleich bedient werden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das sagten Sie bereits!) Das ist eine Regelung, die ausgehandelt wurde und Bestandteil des Kreditvertrags ist. Das heißt, wir als europäische Beteiligte zahlen den Kredit gemeinsam mit dem IWF aus, und die Rückzahlung dieses bei der Europäischen Union gepoolten Kredits erfolgt entsprechend der Einzahlung. Wenn Sie den Prozess der regulären Bedienung des Kredites betrachten, werden Sie feststellen, dass es zu keiner Benachteiligung des deutschen Steuerzahlers gegenüber den Leistungen, die der Internationale Währungsfonds erhält, kommt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollegin Paus, Sie wollten eine Nachfrage stellen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär Kampeter, Sie haben gesagt, die Bundesregierung habe in Bezug auf die Kosten für den deutschen Steuerzahler Alternativen abgewogen. Außerdem haben Sie implizit angedeutet, dass die Kosten, wenn deutsche Banken betroffen wären, eventuell höher hätten ausfallen können. Ich nehme an, Sie rekurrieren darauf, dass es den SoFFin gibt und dass betroffene deutsche Banken die Möglichkeit hätten, den SoFFin in Anspruch zu nehmen. Gibt es konkrete, bezifferbare Zahlen, die Sie in der Bundesregierung erörtert haben, was möglicherweise auf den SoFFin zugekommen wäre, wäre es zu einem Staatsbankrott Griechenlands gekommen? Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin, nach Ermittlungen der BaFin würden im Rahmen einer Staatsinsolvenz, was die Verbindlichkeiten deutscher Banken und Versicherungen gegenüber Griechenland betrifft, ungefähr 41 bis 42 Milliarden Euro streitig gestellt. Die direkten finanziellen Folgerungen lassen sich nicht beziffern, und zwar deswegen, weil für eine Staatsinsolvenz innerhalb der Währungsunion keine Vergleichswerte vorliegen. Darüber hinaus kann man keine Angaben machen, auf welcher Vergleichsquote etwas gemacht werden könnte. Das maximale Risiko ist mit der Obergrenze beschrieben. Wir gehen davon aus, dass bei einer ordnungsgemäßen Bedienung des Kredits in dem von mir beschriebenen Tilgungszyklus für den deutschen Steuerzahler keine Nachteile entstehen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wenn! Aber wenn nicht?) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. - Die beide nächsten Fragen, die Fragen 3 und 4 des Kollegen Rolf Mützenich, werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zu den Fragen 5 und 6 der Kollegin Lisa Paus: Beabsichtigt die Bundesregierung, den Bundesbankpräsidenten Axel Weber als Nachfolger für Jean-Claude Trichet für den Vorsitz der Europäischen Zentralbank vorzuschlagen, und hat sie dazu bereits Absprachen mit anderen europäischen Staaten getroffen? Wie schätzt die Bundesregierung die Eignung von Axel Weber als Präsident der Europäischen Zentralbank ein angesichts der Tatsache, dass er als Präsident der Bundesbank im Rahmen der laufenden Aufsicht nicht verhindert hat, dass die deutschen Landesbanken zu den weltweit größten Abnehmern von drittklassigen Verbriefungsprodukten gehörten und im Zuge der Krise daher HSH Nordbank, SachsenLB, LBBW und Bayern LB nur mithilfe staatlicher Unterstützungen überleben konnten? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Kollegin Paus, die Bundesregierung möchte Ihre erste Frage wie folgt beantworten: Die Amtszeit des Präsidenten der Europäischen Zentralbank läuft noch bis Oktober 2011. Aus Sicht der Bundesregierung ist es jetzt viel zu früh für eine Nachfolgediskussion. Dies gebietet auch der Respekt gegenüber dem Amtsinhaber und seiner erfolgreichen Arbeit. Wir schätzen Jean-Claude Trichet sehr. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wenn Sie Nachfragen haben, bitte. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kampeter, wie erklärt sich die Bundesregierung dann die Berichterstattung im Handelsblatt vom 12. Mai 2010, nach der dies der Preis der Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm seitens der deutschen Bundesregierung gewesen sein soll? Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Paus, manchmal wundert sich auch die Regierung, was deutsche Zeitungen über die Regierung schreiben. (Vereinzelt Heiterkeit) Von daher kann ich Ihnen keine näheren Erkenntnisse über den Inhalt der Recherche des von Ihnen genannten Publikationsorgans geben. Richtig ist, dass in den deutschen Medien zweifelsohne eine informelle Diskussion über die Nachfolge stattfindet. Aber die Bundesregierung beabsichtigt nicht, sich an dieser Nachfolgediskussion öffentlich zu beteiligen. Wir werden zu einem gegebenen Zeitpunkt - der jetzige wäre zu früh - unsere Gedanken über die Nachfolge und gegebenenfalls auch unsere Vorschläge zur Nachfolge des derzeitigen Präsidenten der Europäischen Zentralbank einbringen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön, Kollegin Paus. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Habe ich Sie richtig verstanden, dass es an diesem Wochenende keine Nebenabsprachen der Bundesregierung gegeben hat? Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin, ich war zwar nicht dabei; aber mir sind keine Nebenabsprachen bekannt bzw. bekannt gemacht worden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Beck, bitte. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich muss unangenehmerweise nachfassen. Es ist uns in Fragestunden hin und wieder aufgefallen, dass den Staatssekretären manches nicht bekannt ist. Können Sie der Kollegin Paus im Nachgang schriftlich mitteilen, ob es tatsächlich keine Gespräche der Bundesregierung mit anderen Staaten der Europäischen Union über eine Nachfolgeregelung gegeben hat? Können Sie, falls, wie es die Kollegin in ihrer Frage formuliert, "bereits Absprachen mit anderen europäischen Staaten getroffen" wurden, schriftlich mitteilen, welche Gespräche dazu mit welchem Staat, bei welcher Gelegenheit und mit welchem Ergebnis geführt wurden? Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Beck, ich glaube, dass die Bundesregierung in umfassender Art und Weise auf die Frage geantwortet hat. Ich will mich selbstverständlich gerne bemühen, der Kollegin Paus in schriftlicher Form ergänzende Hinweise zu geben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahrheitsgemäß und umfassend!) - Wahrheitsgemäß und umfassend. Im Übrigen können Sie mich alles fragen, was Sie wollen; ich freue mich jederzeit, Sie zu sehen und zu sprechen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass wir alles fragen dürfen, ist uns schon aufgefallen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön, Herr Staatssekretär. - Die Frage 7 des Abgeordneten Günter Gloser wird schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Hans-Joachim Hacker: Beabsichtigt die Bundesregierung nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Greifswald über die Aufhebung der "Bäderregelung" zur Sonntags-Ladenöffnung in Mecklenburg-Vorpommern ein konzertiertes Vorgehen mit den Ländern, um im Interesse der Tourismusbranche und der Beschäftigten dauerhafte gerichtsfeste Regelungen zu schaffen? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Sehr geehrter Herr Kollege Hacker, mit dem Inkrafttreten der Föderalismusreform zum 1. September 2006 haben die Länder die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Ladenschlussrecht erhalten. Die Länder können daher jetzt die gesetzlichen Ladenöffnungszeiten in eigener Zuständigkeit regeln. Dies umfasst auch die Frage der Sonntagsöffnungen. Die Länder und Kommunen können unter Berücksichtigung des vom Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 1. Dezember 2009 gesetzten Rahmens in eigener Verantwortung entscheiden, wie sie das gesetzliche Schutzkonzept zur Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe erfüllen. Der Bund hält es für richtig, diesen Handlungsspielraum in vollem Umfang bei den Ländern zu belassen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, haben Sie eine Nachfrage? Hans-Joachim Hacker (SPD): Ja. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön. Hans-Joachim Hacker (SPD): Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Burgbacher, die verfassungsrechtlichen Grundlagen waren mir natürlich bekannt, als ich die Frage stellte. (Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär: Das denke ich!) Meine Frage richtete sich eigentlich darauf, ob die Bundesregierung im Sinne des Mittelstandes, der gerade für den Bereich der Tourismuswirtschaft prägend ist, einen Aktionsplan entwickeln könnte. Vor dem Hintergrund eines sich breitmachenden Wettbewerbsföderalismus in der Tourismusbranche leite ich daraus folgende Frage ab: Wie will die Bundesregierung darauf Einfluss nehmen, dass es bei Fortbestehen unterschiedlicher Regelungen zu den Sonntags-Ladenöffnungszeiten, der sogenannten Bäderregelung, zu keinen weiteren Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Ländern kommt, unter denen insbesondere kleinere Gewerbetreibende zu leiden hätten? Ich stelle die Frage, weil die Bundesregierung in der Vergangenheit und auch gegenwärtig in anderen Bereichen eine Koordinierungsfunktion übernommen hat. Ich nenne nur das Thema DZT, wo klare verfassungsrechtliche Regelungen bestehen, aber trotzdem seitens der Bundesregierung Handlungsbedarf gesehen wird. Herr Staatssekretär, ein solcher Handlungsbedarf müsste doch eigentlich auch hier bestehen. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Sehr geehrter Herr Kollege Hacker, bei der DZT liegt der Sachverhalt anders. Dort wurde versucht, ein gemeinsames Marketing der Länder einzuführen, das von den Ländern getragen wird. Dies wurde damals eingerichtet. Die Regelung der von Ihnen angesprochenen Frage basiert auf der Föderalismusreform. In diesem Hause bestand breiter Konsens darüber, hier zu mehr Wettbewerb zu kommen. Das Recht zur Regelung der Öffnungszeiten wurde ausdrücklich den Ländern übergeben. Deshalb müssen die Länder dies regeln. Sie beklagen, dass hier ein Wettbewerb besteht, unter dem kleine und mittlere Unternehmen leiden. Wenn Sie daran etwas ändern wollen, müssen Sie auf die Landesregierung zugehen; entsprechende Regelungen müssen in den Ländern getroffen werden. Der Bund hält es für falsch, hier von sich aus Vorgaben zu machen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage? - Das ist nicht der Fall. Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Heinz Paula werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Manfred Nink: Welche Vorschläge und Konzepte hat die Bundesregierung hinsichtlich einer stärkeren Koordinierung und Steuerung der Wirtschaftspolitik zur Umsetzung der vom Europäischen Rat in der neuen Strategie für die Europäische Union beschlossenen Leitziele, und wann beabsichtigt sie, mit der Umsetzung ihres Konzeptes zu beginnen? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege Nink, die Antwort auf die Frage 11 lautet: Die Bundesregierung hat sich bereits seit Beginn des Diskussionsprozesses zur Lissabon-Nachfolgestrategie für eine stärkere Rolle des Europäischen Rates zur stärkeren Koordinierung und Steuerung der Wirtschaftspolitik eingesetzt. Dazu liegt eine entsprechende Beschlussfassung - Sie kennen sie sicher - des Europäischen Rates vom 25./26. März dieses Jahres vor. Die Bundesregierung wird bei den anstehenden Treffen des Europäischen Rates - das nächste findet am 17./18. Juni 2010 statt - ihren Beitrag zur Ausfüllung der dem Europäischen Rat zugewiesenen wichtigen Rolle leisten. Die Bundesregierung hält es darüber hinaus für dringlich, Gewicht und die politische Sichtbarkeit der Überwachung von strukturpolitischen Fehlentwicklungen durch ein eigenständiges Verfahren zu erhöhen. Die EU-Kommission hat hierzu in ihrer Mitteilung vom 12. Mai 2010 erste Vorschläge gemacht. Sie werden intensiv zu diskutieren und weiter auszubauen sein. Wir haben schon in der Debatte am Freitag und auch heute wieder erlebt, dass wir über genau diese Dinge sehr intensiv diskutieren. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, bitte schön. Manfred Nink (SPD): Herr Staatssekretär, ich habe noch eine Nachfrage. Wie sehen Sie die zukünftige Beteiligung des Parlamentes an der Meinungsfindung und an der Umsetzung der Ziele? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Wir müssen zwei Ebenen unterscheiden. Selbstverständlich muss der deutsche Bundestag in alle Schritte weiter eingebunden werden. Wir wollen keine europäische Wirtschaftspolitik mit Kompetenzen bei der EU, sondern wir wollen, wie ich das ausgeführt habe, eine stärkere Koordinierung, teilweise auch Steuerung. Selbstverständlich aber bleibt Wirtschaftspolitik mit allen Rechten und Pflichten des Parlaments in nationaler Kompetenz. Eine ganz andere Frage, über die wir heute aber nicht reden, ist natürlich die Beteiligung des Europäischen Parlaments. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Frage 12 des Kollegen Nink: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Mitgliedstaaten der EU zur Umsetzung der Leitziele zu bewegen, und wie bewertet sie die von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy vorgeschlagenen Sanktionsmaßnahmen bei Zielverfehlung bzw. Belohnungssysteme bei Zielerreichung? Bitte schön. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege Nink, die Antwort auf diese Frage ist: Die stärkere Rolle des Europäischen Rates zur stärkeren Koordinierung und Steuerung zielt darauf ab, die erfolgreiche Umsetzung der Ziele der neuen Strategie zu befördern. Die Bundesregierung hält sowohl Sanktionsmaßnahmen bei Zielverfehlungen als auch Belohnungs-systeme bei Erreichung der quantitativen Oberziele der Strategie Europa 2020 für ungeeignet, da sie dem Charakter des partnerschaftlichen Dialoges zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission widersprechen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, bitte schön. Manfred Nink (SPD): Sehen Sie keinen Widerspruch darin, dass wir jetzt beim Schnüren des neuen Finanzpaketes doch Sanktionen verhängen wollen? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege, wir wollen Sanktionen dann verhängen, wenn Länder den Stabilitäts- und Wachstumspakt verletzen. Wir arbeiten darauf hin, ihn eventuell neu zu formulieren. Das ist aber etwas anderes als die Strategie 2020, bei der wir erst dabei sind, quantitative Ziele zu formulieren. Es geht zum Beispiel darum, welchen Prozentsatz die Bildungsausgaben am Haushalt ausmachen oder wie hoch der Beschäftigungsgrad der Personen zwischen 20 und 65 Jahren sein muss. Hierbei können Sie schlecht mit Sanktionen oder Belohnungen arbeiten. Das wäre ein Stück weit Aufgabe unserer Politik und widerspräche, wie gesagt, dem partnerschaftlichen Ansatz, den wir in der Union verfolgen. (Manfred Nink [SPD]: Danke!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage? Manfred Nink (SPD): Nein, danke. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das ist nicht der Fall. Die Frage 13 des Kollegen Michael Groß und die Frage 14 der Kollegin Katja Keul werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Doris Barnett auf: In welchem Rahmen plant die Bundesregierung bezüglich des gerade eingeführten Gesetzes über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises, ELENA, kleine und mittelständische Unternehmen, KMU, zu bevorzugen und von der Meldeverpflichtung zu entbinden, und welche Auswirkungen hätte das Herauslösen von KMU aus dem ELENA-Verfahren auf das System insgesamt? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Frau Kollegin Barnett, ich beantworte die Frage 15 wie folgt: Die Bundesregierung wird eine mögliche Belastung von Kleinst- und Kleinunternehmen durch das ELENA-Verfahren sowie gegebenenfalls geeignete Maßnahmen zur Abhilfe prüfen. Die rechtlichen und faktischen Prüfungen, insbesondere der Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sind hierzu noch nicht abgeschlossen. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich das Ergebnis der Prüfung nicht vorwegnehmen kann, zumal an dem Verfahren drei Häuser beteiligt sind und es dadurch ein Stück komplizierter ist. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage? - Bitte. Doris Barnett (SPD): Bedenken Sie bei Ihren Prüfungen, dass die Datenübertragung an die anderen sozialen Sicherungssysteme bis hin zur Finanzverwaltung möglicherweise ebenfalls betroffen sein könnte? Wären sie ebenfalls aus dem Verfahren herausgelöst, dann müsste das finanziell in irgendeiner Weise abgegolten werden, weil die Daten benötigt werden. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Frau Kollegin, wir sprechen ausschließlich über das ELENA-Verfahren. Wir haben das schon immer isoliert, also ausdrücklich von anderen Verfahren losgelöst, durchgeführt. Das scheint mir auch unter datenschutzrechtlichen Bestimmung sehr wichtig zu sein. Wir übertragen Daten an eine zentrale Speichereinheit zur Erstellung der Nachweise. Darum geht es. Wir wissen - im Ausschuss haben wir das mehrfach diskutiert -, dass es im Augenblick gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen große Probleme gibt. Wir beide bekommen wahrscheinlich eine Menge Briefe zu diesem Thema. Wir prüfen zusammen mit den anderen beteiligten Häusern - BMJ, BMAS und BMI -, ob es weitere Möglichkeiten gibt. Wir befinden uns noch in der Prüfung. Doris Barnett (SPD): Ich habe noch eine Verständnisfrage. Sie haben gesagt, dass Sie ELENA auf mögliche datenschutzrechtliche Probleme prüfen. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie das hingegen nicht prüfen, wenn es um die Massenübermittlung von Daten an die sozialen Sicherungssysteme und an das Finanzamt geht? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Nein, wir haben nicht über das Datenschutzrecht, sondern ich habe über das System ELENA gesprochen. Darüber diskutieren wir. Wir prüfen, ob man kleine und mittlere Unternehmen von der Übermittlung von Daten an die zentrale Speicherstelle ausnehmen kann. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Es gibt eine Nachfrage der Kollegin Zypries. Bitte schön. Brigitte Zypries (SPD): Herr Burgbacher, mich würde interessieren, was genau Sie in diesem Zusammenhang prüfen. Mir scheint es so zu sein, dass es vor allen Dingen einer politischen Entscheidung bedarf, ob man kleine und mittlere Unternehmen von der Meldepflicht entbindet. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Frau Kollegin Zypries, Sie wissen sicherlich, dass es aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine juristische Bewertung hinsichtlich des Datenschutzes geben muss. Wir prüfen ernsthafte Einwendungen verschiedener Unternehmen, die darauf aufmerksam gemacht haben, dass sie mit der derzeitigen Regelung nicht klarkommen. Sie müssen beachten, dass die Übermittlung für große Unternehmen in der Regel kein Problem ist, weil sie die Software haben, um die Daten per Knopfdruck zu übermitteln. Aber viele kleine und mittlere Unternehmen teilen uns mit, dass die Übermittlung der Daten ein hoher Kostenfaktor für sie ist, weil sie es selbst nicht machen können, sondern einen Steuerberater einschalten müssen. Ihre Kosten steigen deshalb. Ich als Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung nehme das besonders ernst. Wir prüfen, wie sich das auf das gesamte System auswirken würde. Das kann man nicht ohne Weiteres vorhersehen. Ich kann Ihnen so viel sagen: Ich habe mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darüber gesprochen, dass es einige Probleme gibt. Ich bitte Sie um Verständnis; denn es macht nicht viel Sinn, während eines Prüfungsprozesses Zwischenergebnisse herauszugeben, die es im Übrigen auch noch nicht gibt. Brigitte Zypries (SPD): Gibt es einen Zeithorizont? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Das Gesetz ist zum 1. Januar in Kraft getreten. Daten werden bereits übermittelt. Das alles wurde vor unserer Zeit verabschiedet. Zum Thema Bürokratieabbau muss man deutlich sagen: Bei kleineren Unternehmen zeigt sich keine entsprechende Wirkung. Wir werden das Herauslösen von KMU so schnell wie möglich prüfen, aber der Vorgang muss mit weiteren Häusern abgestimmt werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Barnett auf: Welcher datenschutzrechtlichen Vorkehrungen bedarf es hinsichtlich der Übertragung und Verwaltung von Arbeitnehmerdaten an Dritte, die die Datenverwaltung für den Arbeitgeber übernommen haben - zum Beispiel Steuerbüros -, und in welchem Umfang können Arbeitnehmer eine Dateneinsicht dort vornehmen? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Der Arbeitgeber hat bei der Übermittlung von Arbeitnehmerdaten an Dritte, zum Beispiel - ich habe es eben ausgeführt - an seinen Steuerberater, unterschiedliche datenschutzrechtliche Anforderungen zu erfüllen. Sofern im konkreten Einzelfall keine bereichsspezifischen Datenschutzvorschriften anzuwenden sind, kommen die Anforderungen des Bundesdatenschutzgesetzes zur Anwendung. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass es sich hierbei um keine spezifisch das ELENA-Verfahren betreffende Datenübermittlung handelt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ihre Nachfrage, bitte. Doris Barnett (SPD): Aber Sie geben mir doch Recht, Herr Staatssekretär, dass die Daten, die an ELENA übermittelt werden, die gleichen sind wie die, die an die Steuerberaterbüros übermittelt werden, die dann die Daten wieder herausrücken müssen? Darüber hinaus haben Sie noch nicht die Frage beantwortet, wie die Arbeitnehmer, anders als bei ELENA, wenn die Daten einmal abgespeichert sind, Einsicht nehmen können, was alles beim Steuerberater abgespeichert ist. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Frau Kollegin Barnett, in Ihrer Frage liegt eigentlich schon ein Teil der Antwort. Dadurch, dass die kleinen Unternehmen Daten an den Steuerberater geben, der diese aufarbeitet, wird deutlich, dass dies andere Daten mit einem anderen Informationsgehalt sind. Es sind ja nicht diese Daten, die weitergeleitet werden, sondern die vom Steuerberater aufgearbeiteten werden an ELENA weitergeleitet. Deshalb macht es keinen Sinn, das zu übertragen. Wir haben - eigentlich müsste man sagen: Sie haben - für ELENA ein sehr striktes Datenregime beschlossen. Für alle anderen Datenübertragungen gibt es das Bundesdatenschutzgesetz mit all seinen Auswirkungen. Wenn es da Bereiche gibt, mit denen Sie nicht einverstanden sind, dann müssen die ganz konkret benannt und dann muss das Bundesdatenschutzgesetz geändert werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage. Doris Barnett (SPD): Die Frage bezüglich der Arbeitnehmer haben Sie immer noch nicht beantwortet. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Ich glaube, ab 1. Januar 2012 - das kann ich Ihnen aber gerne noch genauer sagen - hat der Arbeitnehmer im Rahmen von ELENA das Recht, auf seine Daten zuzugreifen. Was die anderen Datenübermittlungen angeht, so gilt das Bundesdatenschutzgesetz, nicht das strengere Regime von ELENA. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Es gibt keine weiteren Nachfragen dazu. Dann kommen wir zur Frage 17 des Kollegen Garrelt Duin: Sind Medienberichte zutreffend, dass bis Ende April 2010 mehr als 206 Millionen Euro für rund 75 000 Prämienberechtigte der Umweltprämie noch nicht ausgezahlt worden sind, obwohl der Fördertopf seit September 2009 leer ist, und wie will die Bundesregierung eine ordnungsgemäße Abwicklung im Hinblick auf die Vorgabe der entsprechenden Richtlinie, dass die Frist für die Einreichung der vollständigen Unterlagen am 31. Juli 2010 endet, sicherstellen? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege Duin, Sie bezweifeln, dass das Geld reicht, um die Umweltprämie komplett auszuzahlen. Die Antwort: Medienberichte sind zutreffend, wonach das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zum 7. Mai 2010 gut 1,92 Millionen Anträge auf Erhalt einer Umweltprämie bearbeitet und die Prämie ausgezahlt hat. Ein Großteil dieser Anträge wurde nach dem zuletzt gültigen zweistufigen Reservierungsverfahren administriert. Hierbei haben Antragsteller ab Erhalt der Reservierungszusage eine neunmonatige Frist für die Zulassung des Neufahrzeugs und die Verschrottung des Altfahrzeugs. Seit 3. September 2009 nimmt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle keine neuen Anträge auf Erhalt einer Umweltprämie mehr entgegen, weil alle Finanzmittel für zuvor beantragte Umweltprämien gebunden sind. Fahrzeuge müssen spätestens bis zum 30. Juni 2010 zugelassen werden. Die Frist für die Einreichung der vollständigen Unterlagen endet am 31. Juli 2010. Auszahlungszeitpunkt und Ende der gesamten Maßnahme hängen nunmehr wesentlich vom Rücklauf der Reservierungen und damit dem Verhalten der Antragsteller, den Lieferfristen der Hersteller und Ähnlichem ab. Dem BAFA liegt somit der korrekte Umfang gebundener Finanzmittel vor, um die verbleibende Anzahl von unter 80 000 Antragstellern fristgerecht bis spätestens 31. Juli 2010 zu bedienen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage bitte. Garrelt Duin (SPD): Vom Verständnis her, Herr Staatssekretär: Wir können also davon ausgehen, es liegt nicht daran, dass es beim BAFA sozusagen eine Überlastung gibt, sondern dass dort alles seinen geregelten bürokratischen Gang läuft? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Es läuft alles seinen geregelten Gang. Garrelt Duin (SPD): Gut. Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass eines der Probleme darin besteht, dass die Verwertung des Altautos nicht nachgewiesen wird, wenn zum Beispiel Unterlagen nicht vollständig eingereicht worden sind? Oder ist der Grund dafür, dass es zu dieser Verzögerung kommt, in der Tat nur der Lieferzeitpunkt der bestellten Neufahrzeuge? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege Duin, nach meinen augenblicklichen Informationen ist tatsächlich der Lieferzeitpunkt der neuen Autos das Problem. Aber es ist selbstverständlich gewährleistet, dass bei allen genehmigten Anträgen eine Auszahlung erfolgt. (Garrelt Duin [SPD]: Alles klar! Danke!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die Frage 18 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zur Frage 19 der Kollegin Sevim Daðdelen: Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die European Free Trade Association - europäische Freihandelszone, EFTA - im Gegensatz zur EU erneut klargestellt hat, dass Produkte aus den besetzten Gebieten der Westsahara nicht unter das Freihandelsabkommen zwischen der EFTA und Marokko fallen, www.wsrw.org, und inwieweit wird sich die Bundesregierung für eine entsprechende Klarstellung in den Verhandlungen über eine mögliche Verlängerung des laufenden Fischereipartnerschaftsabkommens zwischen der EU und dem Königreich Marokko einsetzen? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Liebe Kollegin Daðdelen, Deutschland ist nicht Mitglied der europäischen Freihandelszone. Daher sind solche Klarstellungen in Verträgen, die die EFTA abschließt, hier nicht bekannt. Zur Frage einer entsprechenden Klarstellung im Zusammenhang mit möglichen Verhandlungen über eine Verlängerung des Fischereiabkommens der EU mit Marokko ist darauf hinzuweisen, dass Handelsfragen nicht Gegenstand des Fischereipartnerschaftsabkommens sind. Außerdem gilt das bestehende Fischereiabkommen bis zum 27. Februar 2011 und verlängert sich automatisch um vier Jahre, wenn es nicht vorher gekündigt wird. Es bezieht sich auf das Gebiet Marokkos und die Gebiete unter der Gerichtsbarkeit Marokkos. Es enthält keine Definition des Rechtsstatus der Meeresgewässer der Westsahara und greift einer Festlegung des Status somit nicht vor. Darüber hinaus verweise ich auf die Antwort der Bundesregierung, übermittelt am 22. April dieses Jahres, auf die Kleine Anfrage, die Sie und Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion auf Bundestagsdrucksache 17/1329 gestellt haben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage? - Bitte schön. Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe natürlich ein paar Nachfragen. Sie sagten, dass die Handelsfragen nicht Bestandteil des Fischereiabkommens sind. Es geht doch hier um Folgendes: Marokko plündert seit Jahren die fischreichen Fanggründe vor der Westsahara. Nicht nur die European Free Trade Association ist der Auffassung, dass die Produkte aus den besetzten Gebieten der Westsahara nicht unter dieses Freihandelsabkommen fallen, das als Begründung für das Fischereiabkommen herangezogen wird, sondern auch der UNO-Rechtsberater Hans Corell hat festgestellt, dass dieses Fischereiabkommen eigentlich rechtswidrig ist. Meine Frage ist: Es geht bei diesem Fischereiabkommen darum, dass jegliche Nutzung von Ressourcen im Einverständnis mit dem Volk der Westsahara und zu dessen Nutzen erfolgen muss. Das Einverständnis hat die Polisario bisher nicht gegeben. Inwieweit sieht die Bundesregierung hier einen Nutzen für die Bevölkerung im völkerrechtswidrig besetzten Teil der Westsahara? Teilt sie sozusagen die Auffassung der Marokkanerinnen und Marokkaner, dass es hier einen Nutzen gibt und damit eine Verlängerung dieses Fischereiabkommens ab Februar 2011 eine Option darstellt? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Frau Kollegin Daðdelen, in der Kleinen Anfrage, die ich erwähnt haben, haben Sie dieselben Fragen gestellt. Diese wurden ausführlich beantwortet. Wir alle hoffen, dass es eine Lösung des Westsahara-Konfliktes geben wird. In der Antwort wurde auch geschrieben, dass in dem Gutachten des Europäischen Parlaments die Auffassung vertreten wird, dass Aktivitäten zur Ausbeutung natürlicher Ressourcen in Gebieten ohne Selbstregierung nur dann im Einklang mit dem Völkerrecht stehen, wenn diese Aktivitäten zum Wohle der Einwohner dieser Gebiete führen oder in Konsultationen mit ihren Vertretern unternommen werden. In diesem Zusammenhang haben wir eine Antwort der Europäischen Kommission auf die Frage der Abgeordneten des Europäischen Parlaments Isabella Lövin zitiert, in der steht, dass dies der Fall ist. Sie haben ausführliche Antworten bekommen. Wir sind mit allen Stellen ständig im Gespräch. Die Europäische Union ist im Gespräch. Das Abkommen gilt, wie ich Ihnen gesagt habe, bis 2011. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Haben Sie eine weitere Nachfrage? Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Ja, das habe ich. - Sie erklärten in den Antworten auf meine Kleine Anfrage, die im Gegensatz zu Ihrer Behauptung meiner Ansicht nach völlig unzureichend sind, dass Deutschland und die EU darauf achten, dass die unveräußerlichen Rechte der Völker der Gebiete ohne Selbstregierung auf ihre natürlichen Ressourcen durch die Abkommen gesichert und garantiert sind. Deshalb möchte ich Sie jetzt fragen: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass der Juristische Dienst des Europaparlaments dem widersprochen hat und die Auffassung vertritt, dass die unveräußerlichen Rechte der Völker der Gebiete ohne Selbstregierung, also der Sahrauis, nicht garantiert werden, dass sie missachtet werden? Nehmen Sie das zur Kenntnis, und was ist die Schlussfolgerung der Bundesregierung? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Frau Daðdelen, ich nehme das so nicht zur Kenntnis, sondern bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass in der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage deutlich wird, worauf das basiert; Sie haben das ja gelesen. Sie greifen jetzt einen Punkt heraus. Ich habe Ihnen gegenteilige Äußerungen gerade schon genannt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ralf Brauksiepe zur Verfügung. Die Fragen 20 und 21 der Kollegin Silvia Schmidt werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Markus Kurth auf: Inwiefern erkennt die Bundesregierung an, dass die Situation von Frauen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich zur Situation von Männern mit Behinderungen - sowohl bezüglich der Arbeitslosen- als auch bezüglich der Erwerbsquote - schlechter ist, und inwiefern widerspricht die Bundesregierung den Informationen der Bundesagentur für Arbeit, BA, die ebendiesen Umstand verneint (siehe Informationen für den Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschussdrucksache 17[11]148 zu 17[11]118)? Bitte schön. Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Vielen Dank. - Herr Kollege Kurth, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die aktuellsten verfügbaren Daten zur Erwerbsquote von Menschen mit Behinderungen ergeben sich aus den Erhebungen des Mikrozensus 2005. Danach liegt, bezogen auf die Altersgruppe der 15- bis 65-Jährigen, die Erwerbsquote der Frauen mit Behinderungen bei 45,9 Prozent. Die vergleichbare Erwerbsquote der Männer mit Behinderungen liegt bei 53,3 Prozent. Dies spiegelt im Wesentlichen die generelle geschlechterungleiche Verteilung zur Erwerbstätigkeit wider. Bei nichtbehinderten Menschen liegt die vergleichbare Erwerbsquote der Frauen nach den Daten des Mikrozensus 2005 bei 68,6 Prozent und die Erwerbsquote der Männer bei 83,2 Prozent. Setzt man die geschlechtsspezifischen Quoten zueinander in Relation, so fällt die Erwerbsquote von Frauen mit Behinderungen gegenüber der von Männern mit Behinderungen weniger stark ab, als dies bei den Nichtbehinderten der Fall ist. Sie erreicht bei Frauen mit Behinderungen eine Größe von 86,1 Prozent der Erwerbsquote der männlichen Bezugsgruppe. Bei Nichtbehinderten liegt der Wert bei 82,5 Prozent. Zur Arbeitslosenquote von Frauen mit Behinderungen ist festzustellen, dass nach den aktuellen Daten der Bundesagentur für Arbeit schwerbehinderte Frauen im April 2010 einen Anteil von 39,9 Prozent an allen schwerbehinderten Arbeitslosen ausmachten. Das entspricht nach den Daten des Mikrozensus 2005 dem Anteil weiblicher Erwerbspersonen mit Behinderungen an allen Erwerbspersonen zwischen 15 und 65 Jahren mit Behinderungen. Nach diesem Datenvergleich ergibt sich für Frauen mit Behinderungen eine gleiche Betroffenheit von Arbeitslosigkeit wie für Männer mit Behinderungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Erwerbsbeteiligung. Eine strukturell schlechtere Situation im Vergleich zu Männern besteht insoweit nicht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Herr Kollege Kurth. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sind der Bundesregierung denn auch neuere Zahlen als die aus dem Mikrozensus 2005 bekannt? Und wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der Bundesagentur für Arbeit? Ich habe Sie ja auch diesbezüglich nach Ihrer Einschätzung gefragt. Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Kollege Kurth, ich habe darauf hingewiesen, dass ich Ihnen die aktuellsten verfügbaren Daten vorgetragen habe. Anhand dieser Daten habe ich deutlich gemacht, dass die Bundesregierung Ihre Darstellung der Situation - Sie weisen darauf hin, dass ein Widerspruch zu den Daten der Bundesagentur für Arbeit besteht - nicht teilt. Von daher gibt es auch keinen Widerspruch zwischen der Position der Bundesregierung und dem, was die Bundesagentur für Arbeit an Informationen herausgegeben hat. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Frage? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur nächsten Frage, zur Frage 23 des Kollegen Kurth: Inwiefern sieht die Bundesregierung durch Art. 6 in Verbindung mit Art. 31 der UN-Behindertenrechtskonvention eine Chance, die geschlechtsspezifische Differenzierung der Statistikdaten nicht mehr als unnötige Bürokratie (siehe Antworten der Bundesregierung auf die mündliche Frage 25 von Markus Kurth am 25. November 2009), sondern als Umsetzung der Konvention in nationales Recht zu betrachten, und inwiefern wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass die monatliche geschlechtsspezifische Arbeitslosenzahl schwerbehinderter Menschen, die von der BA erhoben wird (siehe Informationen für den Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschussdrucksache 17[11]148 zu 17[11]118), auch im aktuellen monatlichen Arbeitsmarktbericht der BA Niederschlag findet? Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Kollege Kurth, ich antworte Ihnen wie folgt: Die derzeit von der Bundesagentur für Arbeit erhobenen Daten zur Arbeitsmarktsituation schwerbehinderter Menschen bieten eine differenzierte, geschlechtsspezifische Datenbasis zur beruflichen Lage der Betroffenen und eine gute Informationsgrundlage für Maßnahmen zur Verbesserung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben. Damit wird auch den Forderungen aus Art. 6 und Art. 31 der UN-Behindertenrechtskonvention entsprochen. Unabhängig davon wird die Bundesregierung bei der Entwicklung des Nationalen Aktionsplans und unter Einbeziehung der Verbände von Behinderten und für behinderte Menschen prüfen, welche Maßnahmen zu einer weitergehenden, noch umfassenderen Umsetzung der Art. 6 und 31 der UN-Behindertenrechtskonvention ergriffen werden können. Die Bundesagentur für Arbeit berichtet monatlich über die Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Menschen in verschiedenen Berichten und Statistikheften. Der monatliche Bericht über den Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland orientiert sich an dem Berichtsziel, die allgemeine Entwicklung des Arbeits- und Ausbildungsmarktes darzustellen. Gruppenspezifische Analysen und Daten zur Arbeitsmarktlage werden in ergänzenden Berichten und Statistikheften angeboten. Angaben zu schwerbehinderten Arbeitslosen nach Geschlecht finden sich zum Beispiel in dem Statistikheft "Frauen und Männer", das monatlich für das Bundesgebiet, für die Länder und die Kreise im Internet angeboten wird. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hält die Bundesregierung es für notwendig, geschlechtsspezifische Daten, etwa zum Zugang zu Arbeitsmarktinstrumenten, zu erfassen? In der Anhörung zum Bericht der Bundesregierung zur Lage der Menschen mit Behinderungen in Deutschland hat eine Sachverständige festgestellt, dass Frauen mit Behinderung weitaus seltener Zugang zu hochwertigen Qualifizierungen haben und auch beim Zugang zu anderen Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik gegenüber Männern benachteiligt sind. Diesen gesamten Komplex greift auch die UN-Behindertenrechtskonvention auf. Insofern frage ich: Besteht nicht das Interesse der Bundesregierung, diese Zusammenhänge durch eine entsprechende statistische Erfassung besser zu beleuchten, auch um im Sinne von Good Governance bessere Maßnahmen ergreifen zu können? Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Kollege Kurth, ich habe darauf hingewiesen, dass geschlechtsspezifische Daten sehr wohl erhoben und auch veröffentlicht werden. Sie wissen, dass wir - unter Beteiligung aller zuständigen Verbände - mit der Erstellung des Nationalen Aktionsplanes beschäftigt sind. In diesem Zusammenhang wird zu prüfen sein, ob die statistische Berichterstattung noch umfassender sein sollte. Den Ergebnissen dieses Abstimmungsprozesses kann und will ich an dieser Stelle nicht vorgreifen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine Nachfrage. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wann könnte eine solche Prüfung abgeschlossen sein, bzw. wann erwartet die Bundesregierung Ergebnisse? Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Der Abstimmungsprozess zum Nationalen Aktionsplan soll im Herbst dieses Jahres stattfinden. Entsprechend ist mit Ergebnissen zu rechnen. Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Danke schön. Die Frage 24 der Kollegin Pothmer wird schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 25 und 26 der Kollegin Zimmermann. Wir sind damit beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Auch die beiden Fragen der Kollegin Ulrike Höfken - Frage 27 und 28 - werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 29 der Kollegin Katja Keul: Warum sieht sich die Bundesregierung erst jetzt und nicht direkt nach dem Luftschlag vom 4. September 2009 dazu in der Lage, dessen Opfer und Verletzte gemeinsam mit einer Versammlung der Dorfältesten zu identifizieren, um im Anschluss deren Angehörige zu entschädigen (vergleiche Spiegel Online vom 8. Mai 2010)? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Keul, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, aus Anlass des Luftangriffs der NATO vom 4. September 2009 schnell und unbürokratisch zu helfen. In Abstimmung mit den örtlichen afghanischen Autoritäten gliedern sich die rechtlich freiwilligen Unterstützungsleistungen in zwei Stufen, und zwar in eine bereits im Februar 2010 geleistete Wintersoforthilfe und sodann in mittel- und langfristige Maßnahmen. Da sich Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte in der Region derzeit aufgrund der Sicherheitslage nicht zügig umsetzen lassen, wird Opfern und Hinterbliebenen flankierend durch landestypische Geld- und Sachleistungen geholfen. Nach unseren Informationen sind bereits vor einiger Zeit von afghanischer Seite Entschädigungsleistungen an Einzelpersonen - nach unserer Kenntnis allerdings nicht an die gesamte Zahl der möglicherweise Betroffenen - geleistet worden. Die Einbindung der örtlichen Autoritäten und unabhängiger afghanischer Organisationen stellt sicher, dass die flankierenden Leistungen in die richtigen Hände kommen und nicht zu Unfrieden führen. Bei der Feststellung des Kreises der Betroffenen, die unsere Leistungen in Anspruch nehmen wollen, ist es zu unterschiedlichen Daten gekommen; dies hat sich im Laufe der letzten Monate von einer bloßen Vermutung zu einer Vermutung mit hoher Wahrscheinlichkeit entwickelt. Das hat uns dazu veranlasst, in der von Ihnen in der Frage angesprochenen Schura eine Identifizierung sowohl der Maßnahmen als auch der betroffenen Personen vorzunehmen. Frau Kollegin, ich darf darauf hinweisen, dass wir auch aus Kreisen des Parlaments in unseren Zweifeln, ob wir über die Daten umfassend informiert wurden, bestärkt worden sind. Ich selbst hatte vor wenigen Wochen die Möglichkeit, mit dem stellvertretenden Leiter des unabhängigen afghanischen Komitees für Menschenrechte ein Gespräch zu führen, wodurch wir letztendlich den Abgleich der Listen in dieser Schura vorbereiten konnten. Diese Schura hat wiederum gezeigt, dass das ein durchaus delikates und sehr schwieriges Unterfangen ist. Man konnte den Eindruck haben, dass eine Parallelveranstaltung eines zeitweise mit der Vertretung einiger der Betroffenen mandatierten Anwalts stattfinden sollte. Nachdem diese Probleme gelöst werden konnten, wurden, so glaube ich, in der Schura aufgrund der vereinbarten bzw. angekündigten Regelungen sowohl hinsichtlich der längerfristigen Leistungen als auch der individuellen Ex-gratia-Leistungen alle wesentlichen Fragen beantwortet. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage? - Bitte schön, Frau Kollegin. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, nun ist es ja so, dass die Betroffenen, die Opfer und die Angehörigen, in den letzten neun Monaten von verschiedensten Seiten - von afghanischen Stellen, von Nichtregierungsorganisationen und auch vom Roten Kreuz - immer wieder befragt worden sind. Verspricht sich die Bundesregierung durch diese nochmalige Befragung nach über neun Monaten neue Erkenntnisse hinsichtlich der Identifizierung der Toten und Verletzten? Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Wir haben sehr viel Hilfe und Unterstützung bei der Identifizierung sowohl der Toten und Verletzten als auch ihrer Angehörigen und bei der Aufklärung der Hintergründe der Betroffenen erhalten. Allerdings wurde die Identifizierung durch die Vielzahl der Informationen in der Tat teilweise erschwert. Ich sage nicht kritisierend, sondern feststellend und eher beschreibend, dass wohl nicht alle Listen übereingestimmt haben. Deswegen war es unsere Intention, sowohl anhand der Listen des IKRK als auch anhand der Listen des AIHRC, des unabhängigen Menschenrechtskomitees, eine Revision durchzuführen, wenn Sie so wollen, um zu sehen, inwieweit wir zielgerichtet an die richtigen Betroffenen herangetreten sind. Dabei ging es uns vor allem um die Betroffenen, die bei den Intentionen, die mit der Zivilbevölkerung nichts zu tun haben, nicht berücksichtigt wurden. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich möchte Sie abschließend fragen, ob Sie mir recht geben, dass es, wenn diese Befragung seitens der Bundesregierung zeitnah nach dem Vorfall erfolgt wäre, möglicherweise einfacher gewesen wäre, zuverlässige Listen zu erstellen und die Toten zu identifizieren. Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Frau Kollegin, eine zeitnahe Entscheidung ist immer die beste. Mir liegt aber doch daran, deutlich zu machen, dass das kein schuldhaftes Versäumnis war. Unter Bezugnahme - wenn Sie das gestatten - auf Ihre und meine Profession als Anwalt sage ich, dass der Umstand, dass anwaltliche Vertretungen mit eingeschaltet sind, nicht immer zu einer Beschleunigung von Entscheidungen führt; ich lasse diese allgemeine Beobachtung einmal so im Raume stehen. Wir hatten auch mit Fragen zu kämpfen, die nicht unmittelbar mit der Identifizierung der Einzelnen zu tun hatten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. - Eine Nachfrage der Kollegin Beck. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, es ist in dieser langen Arie immer wieder hin- und hergegangen, ob die Betroffenen vor Ort Geldleistungen oder Projekte begrüßen würden. Konnte diese Frage in der Schura mit den Betroffenen und ihren Vertretern geklärt werden? Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Die Abstimmung über die geplanten Verfahren wird in einer Fortsetzung der Schura am 22. Mai stattfinden. Soweit es sich bisher abzeichnet, geht es dabei sowohl um individuelle Ex-gratia-Zahlungen und -Leistungen als auch um mittel- und langfristige Projekte, die dann in der Bundesregierung unter Federführung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und des Auswärtigen Amtes angesiedelt sein sollen. Beides soll das Ziel sein. Wir legen nach all den Erfahrungen, die wir in den letzten neun Monaten sammeln konnten, großen Wert darauf, dass die lokalen afghanischen Autoritäten mit einbezogen werden. Das ist auch Gegenstand der Beratungen in der Schura gewesen. Die individuellen Zahlungen werden allerdings auf Wunsch der Betroffenen teilweise in direkter Abwicklung ohne Einschaltung afghanischer Autoritäten erfolgen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Weitere Nachfrage. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, ich würde außerdem gerne wissen, ob es auch eine Kooperation mit IOM geben wird, die familienbezogene Sachleistungen an betroffene Familien liefert. Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Daran ist gedacht. Die IOM ist in die Schura mit einbezogen gewesen. Das halten wir für einen Weg, der Zielsicherheit gewährleistet, damit die Leistungen auch diejenigen erreichen, für die sie gedacht sind. Das ist ein sehr großes Pfund, mit dem wir wuchern könnten und sollten. Über die genaue Ausgestaltung ließe sich, wie gesagt, erst nach dem 22. Mai berichten. Herr Präsident, wenn es gestattet ist, möchte ich, ohne eine Zusatzfrage zu beantworten, die Gelegenheit wahrnehmen, mich für das sehr intensive Engagement von Frau Kollegin Beck in der Verfolgung dieser Angelegenheit, die uns in der Tat vor manche ungeahnten Schwierigkeiten gestellt hat, zu bedanken. Das ist eine dem Haus, dem Parlament und der Bundesregierung und damit auch unserem Lande sehr förderliche Tätigkeit gewesen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident, darf ich kurz antworten, dass ich zwar nicht für dieses Lob in die Fragestunde gekommen bin, mich aber trotzdem bedanke. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das nehmen wir mit Fassung hin. Damit ist dieser Geschäftsbereich beendet. Die Frage 30 des Kollegen Kai Gehring wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Frage 31 des Kollegen Kai Gehring, die Frage 32 der Kollegin Caren Marks, die Fragen 33 und 34 der Kollegin Britta Haßelmann und die Frage 35 des Kollegen Christian Lange werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zu Frage 36 des Kollegen Ilja Seifert: Warum hat die Bundesregierung nicht dafür gesorgt, dass mit der mit Bundesmitteln erfolgten Restaurierung sowjetischer Gedenkstätten in Berlin-Tiergarten und Berlin-Treptow gleichzeitig Barrierefreiheit geschaffen wurde (siehe Antworten der Bundesregierung zu meinen schriftlichen Fragen 103 und 104 auf Bundestagsdrucksache 17/1645), und was wird die Bundesregierung tun, um in diesen und gegebenenfalls weiteren sowjetischen Gedenkstätten in Deutschland künftig auch Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, den für die Befreiung Deutschlands vom Faschismus gefallenen Sowjetsoldaten zu gedenken? Bitte schön, Herr Staatssekretär Kues. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Die Errichtung und Pflege von Gedenkstätten und Denkmalen fallen in die Kulturhoheit der Bundesländer. In Art. 18 des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages vom 9. November 1990 ist allerdings vereinbart worden, dass die auf deutschem Boden errichteten Denkmale, die den sowjetischen Opfern des Krieges und der Gewaltherrschaft gewidmet sind, geachtet, erhalten und gepflegt werden. Auch wenn das primär eine Aufgabe der Bundesländer ist, ist in diesem Fall wegen der herausragenden Bedeutung dieser Ehrenmale in der deutschen Hauptstadt der Bund für die bauliche Grundsanierung der Gedenkstätten Berlin-Treptow und Berlin-Tiergarten verantwortlich und hat hierfür auch Fördergelder zur Verfügung gestellt. Diese Baumaßnahmen werden allerdings von Berlin nach Landesbaurecht und unter Berücksichtigung der denkmalpflegerischen Aspekte geplant und durchgeführt. Darauf nimmt die Bundesregierung nicht unmittelbar Einfluss, auch nicht darauf, inwieweit die beiden hier in Rede stehenden Denkmale für das Publikum zugänglich sind. Ich sage Ihnen allerdings zu, Herr Kollege Seifert, dass wir das zum Anlass nehmen werden, bei der nächsten Bund-Länder-Besprechung zur Kriegsgräberfinanzierung das Thema "Barrierefreiheit bei Kriegsgräbergedenkstätten und Ehrenmalen" als eigenen Tagesordnungspunkt vorzusehen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage? - Bitte, Kollege Seifert. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, erst einmal vielen Dank für die Zusage. Ich würde mich freuen, wenn daraus auch Schlussfolgerungen gezogen würden. Ich danke Ihnen übrigens besonders dafür, dass Sie im Namen der Bundesregierung antworten. Ich habe nämlich vermutet, dass das Thema in den Geschäftsbereich des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien fällt und dass dieser antwortet. Da Sie nun namens der Bundesregierung antworten, möchte ich Sie fragen, wie das denn sein kann; denn auch nach Landesbaurecht ist Barrierefreiheit vorgeschrieben. Wir brauchen von hier aus nur fünf Minuten bis zum Sowjetischen Ehrenmal. Zum 65. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus am 7. Mai dieses Jahres wurden dort wieder Kränze niedergelegt. Auch ich hätte gern eine Blume niedergelegt. Ich konnte das nicht tun, weil dort Treppen sind. Leider war kein einziges Mitglied der Bundesregierung dort, das die fehlende Barrierefreiheit hätte feststellen können. Ich finde schon, dass die Antwort auf meine vorhergehende Frage - Sie sagten, das sei sozusagen nicht nötig - anders hätte ausfallen können. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich kann nur wiederholen: Wir stehen ausdrücklich dazu, dass diese Gedenkstätten in besonderer Weise auch in der Verantwortung des Bundes sind. Aber es ist so, dass das jeweilige Bundesland - in diesem Fall das Bundesland Berlin - für die Umgestaltung zuständig und verantwortlich ist. Ich sage ausdrücklich zu, dass wir das bei der nächsten Sitzung ansprechen werden. Ich nehme an, dass das Thema nicht richtig berücksichtigt worden ist. Anders kann ich mir das nicht erklären. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Darf ich, Herr Staatssekretär, wenn Sie das ansprechen, davon ausgehen, dass das dann auch für alle weiteren Ehrenmale und Gedenkstätten für die Alliierten des Zweiten Weltkrieges gilt? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich kann Ihnen nur zusagen, dass wir es ansprechen werden. Ich kann Ihnen nicht zusagen, dass das auch eingehalten wird, weil nicht wir es konkret sind, die dafür verantwortlich sind. Insofern würde ich Ihnen etwas versprechen, was ich Ihnen gar nicht versprechen kann. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Frage 37 - sie wird auch vom Kollegen Seifert gestellt -: Welche Regelungen gibt es hinsichtlich der Aufbewahrung sowie der Zugänglichkeit der Akten und elektronischen Daten von/über Contergangeschädigte sowie der Stiftung selbst bei der Conterganstiftung für die Betroffenen, die Mitglieder von Gremien der Stiftung sowie für die Firma Grünenthal GmbH? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich will darauf gern antworten. - Der Stiftungsvorstand hat bereits im Jahr 2006 Richtlinien zur Aufbewahrung von Akten und sonstigem Schriftgut der Conterganstiftung beschlossen. Man hat also Regelungen vereinbart. Sie gelten auch für die elektronischen Datenbestände. Sie orientieren sich im Wesentlichen am Bundesdatenschutzgesetz. Bislang wurden noch keine Unterlagen vernichtet. Unterlagen, die die Stiftung selbst betreffen, zum Beispiel zur Errichtung der Stiftung, Vorstands- und Stiftungsprotokolle usw., werden ohne Frist aufbewahrt. Der Zugang zu den Akten und zu den elektronischen Daten ist reglementiert. Zunächst einmal hat jeder Leistungsberechtigte das Recht auf Einsicht in seine eigene Akte. Außerdem haben Aktenzugriff sowohl das Familienministerium im Rahmen der Rechtsaufsicht als auch der Bundesrechnungshof im Rahmen von Prüfungen. Auf Akten und Daten Leistungsberechtigter haben Mitarbeiter der Geschäftsstelle sowie mit der Verwahrung beauftragte Personen Zugriff. Weiterhin erhält der Vorstand im Rahmen seiner Geschäftsführung personenbezogene Informationen. Im Fall von Neu- und Revisionsanträgen erhält die medizinische Kommission auch personenbezogene Informationen. Sofern Unterlagen von Antragstellern oder Leistungsberechtigten aus dem Ausland zu übersetzen sind, werden diese Dokumente an den Sprachendienst der KfW gegeben. Die Firma Grünenthal hat weder zu den Akten noch zu den elektronischen Daten Zugang. Die Protokolle der Sitzungen des Stiftungsrats sind für die Gremienmitglieder zugänglich und, soweit kein anderer Beschluss des Stiftungsrats vorliegt, grundsätzlich öffentlich. Der Status der Vorstandsprotokolle unterliegt zurzeit noch einer rechtlichen Prüfung. Die Überwachung der Einhaltung datenschutzrechtlicher Anforderungen erfolgt durch den Datenschutzbeauftragten der Stiftung. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage? - Bitte. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Erst einmal vielen Dank für die Antwort. - Ich will die Frage der Vorstandsprotokolle jetzt einmal außer Acht lassen. Mir geht es insbesondere um die persönlichen bzw. personenbezogenen Daten zu Behinderungen oder Krankheiten der einzelnen betroffenen Conterganopfer. Es ist sehr stark zu vermuten, dass die Firma Grünenthal bzw. eine Tochter- oder eine Nachfolgefirma und deren Wissenschaftler Zugang zu den personenbezogenen Daten haben oder zumindest hatten; ich meine nicht nur die elektronisch verfügbaren Daten, sondern auch das, was früher auf Papier festgehalten wurde. Können Sie das ausschließen? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich kann das grundsätzlich ausschließen, was die Firma Grünenthal angeht. Ich habe eben gesagt, wer aus welchen Gründen Zugriff hat: Behörden, bestimmte Einrichtungen, der Bundesrechnungshof und natürlich die medizinische Kommission, die sich gegebenenfalls personenbezogene Daten ansehen muss, weil sie zu entscheiden hat. Die Firma Grünenthal hat - das sage ich ausdrücklich - keinen Zugang zu diesen Daten. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Ist es auch garantiert, dass niemand von der Firma Grünenthal in der medizinischen Kommission sitzt? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kollege Seifert, Informationen, die an einen begrenzten Personenkreis gegeben werden, unterliegen natürlich der Vertraulichkeit. Ich gehe davon aus, dass die Vertraulichkeit eingehalten wird. Wenn Sie anderer Auffassung sind, müsste man das an geeigneter Stelle thematisieren. Prinzipiell ist die Firma Grünenthal davon ausgeschlossen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. Die Fragen 38 und 39 der Kollegin Erika Steinbach werden schriftlich beantwortet, genauso wie die Fragen 40 und 41 der Kollegin Marlies Volkmer zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 42 des Kollegen Friedrich Ostendorff auf: Ist es richtig, dass es sich bei § 35 Abs. 1 Nr. 4 des Baugesetzbuchs, BauGB, um einen Auffangtatbestand für atypische Fälle handelt, die in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht erfasst sind? Bitte, Herr Staatssekretär. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geschätzter Kollege Ostendorff, Ihre Frage nach der Privilegierung gemäß § 35 und danach, ob es sich dabei um einen Auffangtatbestand für atypische Fälle handelt, beantworte ich wie folgt: Anders als die Privilegierungstatbestände nach Nrn. 1 bis 3 und 5 bis 7 des § 35 Abs. 1 des Baugesetzbuches, in denen jeweils eine bestimmte Funktion des Vorhabens bezeichnet wird, zum Beispiel einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb oder der energetischen Nutzung von Biomasse dienend, stellt Nr. 4 darauf ab, ob die Verwirklichung des Vorhabens im Außenbereich geboten ist. Im Hinblick auf das gesetzgeberische Ziel des § 35 des Baugesetzbuches, den Außenbereich vor einer unangemessenen Inanspruchnahme zu schützen, ist Nr. 4 nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eher eng auszulegen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Angesichts von 62 000 schweinehaltenden Betrieben und 9 000 Geflügelmastbetrieben, die die Statistik 2007 ausweist, stellt sich die Frage: Was heißt "eng auszulegen", wenn 80 Prozent der Geflügelmastbetriebe nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 - das ist der Auffangtatbestand für atypische Fälle - genehmigt werden, und zwar gerade in den westlichen Bundesländern? Ich darf das eben erklären: Es geht um die Flächenknappheit der Betriebe. Normalerweise gilt eine Flächenbindung in der Tierhaltung. Aber in den westlichen Bundesländern, in denen Flächen eher knapp sind, genehmigt man sehr häufig nach § 35 Abs. 1 Nr. 4. Wie bewertet die Bundesregierung das? Beobachten Sie das mit Sorge, oder sehen Sie dieses Geschehen gelassen? Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das beantworte ich wie folgt: Wir sehen dieses Geschehen nicht gelassen. Wir beobachten das sehr genau und sehen auch die Probleme, die damit verbunden sind. Allerdings ist die Rechtsprechung in dieser Frage bisher sehr eindeutig. In der juristischen Fachliteratur wird das sehr differenziert gesehen, wie Sie sicherlich wissen. Die entscheidende Frage ist, wann die Gerichte gegebenenfalls ihre Rechtsprechung verändern. Derzeit ist es obergerichtlich so entschieden. Wir sehen das Ganze aber mit einer gewissen Sorge und beobachten sehr genau. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dies können wir nun abschließen; denn dazu haben wir eine Gesetzesnovelle in das Hohe Haus eingebracht, über die wir beraten werden. Meine zweite Nachfrage lautet: Wie schätzt die Bundesregierung es ein, dass diese neuen "Massentierhaltungsstallungen", die in der Praxis üblicherweise mit Sondergenehmigungen errichtet werden, sehr häufig weit weg von den eigentlichen landwirtschaftlichen Betrieben im Außenbereich, mitten in der Landschaft - 500 bis 1 000 Meter sind keine Seltenheit -, stehen? Wird auch dieses Geschehen von Ihnen mit Sorge beobachtet? Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das kann ich bestätigen. Auch das sehen wir so. Allerdings haben wir mit der letzten Novellierung des Baugesetzbuches Tatbestände eingeführt, die den Gemeinden Handlungsfreiheit geben. Das heißt: Über die Erstellung von Flächennutzungsplänen kann man sogenannte besondere Gebiete ausweisen, in denen solche Stallanlagen möglich sind, die den Ausschlusscharakter für alle anderen Gebiete in der Gemeindefläche haben. Damit haben die Kommunen nach unserer Auffassung - das kam damals in der Gesetzesberatung zum Ausdruck - eine gute Steuerungsmöglichkeit erhalten. Gleichwohl ist uns bekannt, dass viele Kommunen trotzdem Schwierigkeiten haben, das anzuwenden. Wir werden das bei der neuen Novelle des Baugesetzbuches beraten und überprüfen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Gibt es noch eine Nachfrage? - Bitte schön. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist oft so, dass diese Betriebe nicht von den Kommunen gewollt werden. Ich kann das von meinem Wahlkreis sagen. Es sind landwirtschaftliche Betriebe, die dort bauen. Ich bitte Sie um eine klare Auskunft darüber, wie Sie die Entwicklung zu steuern gedenken, gerade weil die Kommunen diese Entwicklung nicht befördern. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Natürlich bauen die Kommunen nicht die Stallungen. Es wäre ein tolles Ding, wenn die Kommunen in der Landwirtschaft aktiv werden würden. Die Kommunen können über die Bauleitplanung steuern. Das Baugesetzbuch bietet die Möglichkeit, bestimmte Flächen für eine solche intensive Nutzung festzusetzen, die dann Ausschlusscharakter für den Rest des Gemeindegebietes haben. Die Kommunen tun sich naturgemäß schwer, bestimmte Flächen dafür festzusetzen, was dazu führt, dass es keinen Ausschlusscharakter gibt. Damit hat man praktisch die Privilegierung. Dann wird nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und anderen rechtlichen Regelungen entschieden. Das Problem ist uns bekannt, übrigens auch mir selber aus meinem eigenen Wahlkreis. Deswegen werden wir bei der Novellierung des Baugesetzbuches auch prüfen, ob wir hier die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern müssen; denn auch wir sehen diese Entwicklung mit Sorge. Uns sind die Berichte nicht unbekannt, die besagen, wie in einzelnen Gemeinden zum Teil die gesamte Dorfgemeinschaft über die Frage gespalten wird, ob, wie und wo man ansiedeln soll. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke. - Wir kommen damit zur Frage 43 des Kollegen Anton Hofreiter: Wie beurteilt die Bundesregierung die von der DFS Deutschen Flugsicherung GmbH wie auch von Piloten der Lufthansa geäußerten erheblichen Sicherheitsbedenken gegen die Genehmigung von Sichtflügen Mitte April dieses Jahres durch die Flugaufsicht, und wer trägt die Verantwortung für Schadensfälle bei den genehmigten Sichtflügen, beispielsweise aufgrund sehr geringer Flughöhen? Herr Staatssekretär. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege Hofreiter, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Flüge nach Sichtflugregeln sind grundsätzlich zulässig. Sie setzen jedoch voraus, dass die Bestimmungen der Luftverkehrs-Ordnung hinsichtlich der Sichtflugbedingungen, der Einhaltung der Sicherheitsmindestflughöhen und der anzuwendenden Betriebsvorschriften der EU-OPS 1 eingehalten sind. Sichtflüge im kontrollierten Luftraum setzen daher gute Sichtverhältnisse sowie eine geringe Inanspruchnahme des Luftraums voraus. Sollte die Verkehrssituation es nicht zulassen, kann die Flugsicherung Freigaben für entsprechende Flüge verweigern. Die Verantwortung für die sichere Durchführung des Fluges sowie die Einhaltung der Sicherheitsmindesthöhen bzw. der Mindesthöhe bei Überlandflügen nach Sichtflugregeln trägt nach § 6 der Luftverkehrs-Ordnung der Luftfahrzeugführer bzw. der Pilot. Gegenüber einem Dritten haftet im konkreten Schadensfall grundsätzlich der Halter des Luftfahrzeugs gemäß §§ 33 ff. Luftverkehrsgesetz für den angerichteten Schaden. Für Personen und Sachen an Bord des Luftfahrzeugs haftet der jeweilige Luftfrachtführer gemäß §§ 44 ff. Luftverkehrsgesetz. Halter und Luftfrachtführer sind zumeist eine Person. Sie können jedoch auch auseinanderfallen. Regelmäßig ist es aber das Luftfahrtunternehmen, das für den Schaden einzutreten hat. Ein möglicher Regress des Luftfahrtunternehmens gegenüber dem Luftfahrzeugführer bzw. dem Piloten unterliegt keinen besonderen gesetzlichen Regelungen. Ein Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Zulassung von Sichtflugverkehr für Luftfahrzeuge mit Strahltriebwerken in niedrigen Flughöhen käme nur dann in Betracht, wenn hierin eine Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 des Grundgesetzes zu sehen wäre. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage? Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung. - Meine erste Nachfrage ist: Wie kam es während des Ausstoßes der Vulkanasche oder der Verunreinigung im Luftraum, wie auch immer man es nennen mag, zu der massenhaften Genehmigung von Sichtflügen? Wer hat da jeweils die Verantwortung übernommen? Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich habe in meiner Antwort auf Ihre Frage bereits auf die Verantwortlichkeiten hingewiesen. Wenn der Luftraum so weit frei ist, dass Flüge verantwortbar sind, dann sagt unsere Luftverkehrsbehörde, dass sie zulässig sind. Die Entscheidung darüber, ob geflogen wird, treffen aber letztendlich nicht unsere Behörden, sondern unter anderem der Pilot. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Frage war vielleicht nicht präzise genug. Wer hat letztendlich die Verantwortung für die Ausnahmegenehmigungen übernommen? Es ist ja eine große Anzahl gewerblicher Flugzeuge über 14 Tonnen unterwegs gewesen, für die eine Sichtfluggenehmigung nicht erteilt werden durfte; dafür ist eine Ausnahmegenehmigung erforderlich. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das ist mir so im Einzelnen nicht bekannt. Ich würde die Frage gerne schriftlich beantworten, um die Antwort korrekt geben zu können. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. - Die Frage 44 des Kollegen Hofreiter wurde zurückgezogen. Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht Kollegin Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung. Die Frage 45 des Kollegen Michael Groß und die Fragen 46 und 47 des Kollegen Ulrich Kelber werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir bei den Fragen des Kollegen Oliver Krischer. Ich rufe die Frage 48 auf: Befürwortet die Bundesregierung die Forderungen vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, und dem Vizevorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Christian Ruck - die letzte Woche in der Presse zu lesen waren - zur Aufhebung der Haushaltssperre für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien, und, falls nicht, mit welchen alternativen Instrumenten will sie das im IEKP - Integriertes Energie- und Klimaprogramm - formulierte Ziel erreichen, bis zum Jahr 2020 14 Prozent des Wärmebedarfs aus erneuerbaren Energien zu decken? Bitte schön, Frau Staatssekretärin. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Danke, Herr Präsident! - Herr Kollege Krischer, das Bundesumweltministerium hat am 26. April dieses Jahres beim Bundesministerium der Finanzen einen Antrag auf Entsperrung der Haushaltsmittel gestellt. Die dafür im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zum Haushalt 2010 formulierte Voraussetzung, wonach die erwarteten Einnahmen des Bundes aus dem Handel mit CO2-Emissionszertifikaten realisierbar sein müssen, liegt derzeit nicht vor. Überlegungen zu alternativen Instrumenten zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien im Wärmemarkt existieren derzeit nicht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, bitte. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Situation ist ja so, dass der gesamte Bereich erneuerbarer Wärme durch den vollständigen Stopp des Marktanreizprogramms im Moment stillsteht. Nach meinen Informationen aus der Branche und auch von Antragstellern gibt es praktisch keine Investitionen mehr in diesem Bereich, weil niemand weiß, ob die Förderung irgendwann fortgeführt wird oder ob sie dauerhaft eingestellt ist. Meine Frage ist: Was tun Sie, um diese - ich glaube, das ist völlig unstrittig - missliche Situation in irgendeiner Weise aufzulösen, damit hier nicht eine komplette Branche vor die Wand gefahren wird? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir werben nach wie vor beim Bundesfinanzministerium darum, die Mittel zu entsperren, weil wir in der Tat der Auffassung sind, dass das Programm sehr erfolgreich ist. Beim BAFA wurden mittlerweile 22 000 Anträge eingereicht, die wir momentan nicht bedienen können. Weil wir davon überzeugt sind, dass das Marktanreizprogramm das Herzstück unserer Strategie für erneuerbare Wärme ist, werden wir unsere Verhandlungen mit dem Bundesfinanzministerium fortsetzen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei diesen Verhandlungen im Sinne der Sache, damit wir da zu einem Ergebnis kommen. - Sie sprachen eben von alternativen Finanzierungsinstrumenten, über die nachgedacht werde für den Fall, dass man mit den Einnahmen aus dem Emissionshandel nicht vorankommt. Welche Instrumente könnten das sein? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich habe nichts von alternativen Finanzierungselementen gesagt. Klar ist, dass wir das Marktanreizprogramm aus den Einnahmen des Zertifikatehandels finanzieren. Das ist unsere Einnahmequelle. Die Mittel sind im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Gleichwohl sind wir überzeugt, dass das Programm ausfinanziert werden muss. Deshalb sind wir in Verhandlungen mit dem Bundesfinanzministerium und werden von Fachpolitikern - weit über die Kreise der Koalition hinaus; da können Sie unbesorgt sein - unterstützt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen damit zur Frage 49 des Kollegen Oliver Krischer: Wann plant die Bundesregierung, ein CCS-Gesetz - Carbon Dioxide Capture and Storage - im Kabinett zu beschließen bzw. in den Bundestag einzubringen, und handelt es sich dabei um ein Gesetz für einzelne Demonstrationsprojekte - bitte aufschlüsseln nach Anlagen - oder um einen allgemeinen gesetzlichen Rahmen für den Einsatz von CCS? Bitte schön. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Krischer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung plant, das Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf ein Gesetz zur Regelung von Abscheidung, Transport und dauerhafter Speicherung von Kohlendioxid, kurz CCS-Gesetz, noch in diesem Jahr abzuschließen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine Nachfrage? - Bitte. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sagten gerade: noch in diesem Jahr abzuschließen. Ich hatte Sie allerdings nach der Einbringung gefragt. Wann können wir mit einem Kabinettsbeschluss bzw. einem in der Bundesregierung abgestimmten Gesetzentwurf rechnen? Ich entnehme der Presse, dass es entsprechende Gespräche und Diskussionen gibt. Die Verabschiedung eines solchen Gesetzentwurfes wäre Sache dieses Hauses. Vor diesem Hintergrund wiederhole ich meine Frage: Wann können wir mit der Einbringung eines solches Gesetzentwurfes bzw. mit einer Beschlussfassung im Kabinett rechnen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Sie haben völlig richtig dargestellt, dass zurzeit Gespräche zwischen den beiden federführenden Ressorts, dem Bundesumweltministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium, stattfinden. Wir wollen allerdings sorgfältig vorgehen, weil wir in der letzten Legislaturperiode die Erfahrung gemacht haben, dass unser Gesetzentwurf nicht die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung gefunden hat und dass Fragen offengeblieben sind. Deshalb nehmen wir uns jetzt die notwendige Zeit. Wir wissen allerdings auch, dass wir die EU-Richtlinie in einem bestimmten Zeitrahmen umsetzen müssen. Deshalb wollen wir zügig, aber sorgfältig vorgehen. Dazu zählt, dass wir alle einzelnen Schritte - die Frage, wann sie im Kabinett behandelt werden, kann ich Ihnen jetzt seriöserweise nicht beantworten - noch in diesem Jahr abschließen. Dabei den Deutschen Bundestag einzubeziehen, heißt auch, dass man Fristen beachten muss. Insofern wissen wir, dass wir zügig arbeiten müssen. Das tun wir auch. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Treffen Informationen, die ich der Presse entnommen habe, zu, dass die Bundesregierung plant, um die Akzeptanz in betroffenen Regionen und Ländern zu erhöhen, dort Ausgleichszahlungen, in welcher Form auch immer, zu leisten? Ist das Gegenstand der Diskussionen innerhalb der Bundesregierung im Rahmen der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Da wir uns mitten in der Erarbeitung des Gesetzentwurfes befinden, kann ich Ihnen nicht konkret sagen, ob diese Frage überhaupt und, wenn ja, wie sie beantwortet werden kann. Fakt ist aber - das entnehme ich Ihrer Frage -, dass wir ein derartiges Vorhaben nicht ohne die Akzeptanz vor Ort umsetzen können; in diesem Fall bedeutet "wir" nicht die Bundesregierung oder das Parlament, sondern Unternehmen, die ein solches Vorhaben planen. Insofern ist es wichtig, mit größtmöglicher Transparenz vorzugehen und das Vorhaben zu erklären. Dieser Beitrag kann und muss insbesondere seitens der Politik geleistet werden, aber nicht nur. Dazu müssen auch die Unternehmen, die daran Interesse haben - das sind nicht nur Energieversorger, sondern auch Unternehmen des produzierenden Gewerbes -, ihren Beitrag leisten. Wir sind sehr froh, dass auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die im Geoforschungszentrum in Ketzin gewonnen werden, einen Beitrag leisten, Fragen, die die Bürgerinnen und Bürger haben, wissenschaftlich fundiert zu beantworten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. Die Fragen 50 und 51 des Hollegen Hermann Scheer werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 52 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl und auch die Fragen 53 und 54 des Kollegen Hans-Josef Fell. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Der Parlamentarische Staatssekretär Helge Braun steht für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Die Fragen 55 und 56 des Kollegen René Röspel werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 57 des Kollegen Christian Lange. Damit kommen wir zur Frage 58 der Kollegin Daniela Kolbe: Wie viele Hauptschüler/-innen plant die Bundesregierung in ihrem angekündigten Bildungslotsenprogramm einem einzelnen ehrenamtlich tätigen Lotsen zur Betreuung anheimzugeben? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrte Frau Kollegin Kolbe, neben dem Einsatz hauptamtlicher, pädagogisch qualifizierter Mitarbeiter ist im Zuge dieser Initiative auch vorgesehen, weitere 1 000 sogenannter Senior Experts zur Betreuung einzusetzen. Diese sind bedarfsorientiert insbesondere zur Betreuung von Jugendlichen, die in eine Ausbildung übergegangen sind, vorgesehen, und zwar mit dem Ziel einer Stabilisierung des Ausbildungsverhältnisses, wenn dieses bedroht sein sollte. Vorgesehen ist hier ein Betreuungsschlüssel von eins zu eins. Ich diesem Zusammenhang würde ich gerne auch die Frage 59 der Kollegin Kolbe beantworten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Dann rufe ich auch die Frage 59 der Kollegin Daniela Kolbe auf: Welche pädagogischen Anforderungen sollen der Bundesregierung zufolge die angekündigten Bildungslotsen erfüllen, um zur Betreuung von Hauptschülern/-schülerinnen zugelassen zu werden? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Die Voraussetzung für den Erfolg von Berufseinstiegsbegleitung ist fachlich qualifiziertes Personal. Unsere Berufseinstiegsbegleiter sollten daher fest angestellte Arbeitnehmer sein, die aufgrund ihrer Berufs- und Lebenserfahrung für die Begleitung förderungsbedürftiger Jugendlicher besonders geeignet sind. Für den Berufseinstiegsbegleiter sollte ein Berufs- oder Studienabschluss erforderlich sein. Deshalb kämen insbesondere folgende Personengruppen in Betracht: Erstens Personen, die eine Qualifikation als Meister, Techniker oder Fachwirt mit Ausbildereignungsprüfung ausweisen und innerhalb der letzten fünf Jahre über eine mindestens zweijährige Berufserfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen verfügen. Darüber hinaus muss innerhalb der letzten fünf Jahre eine praktische Erfahrung in den dualen Ausbildungsberufen und eine mindestens einjährige Führungserfahrung bzw. Ausbildungserfahrung nachgewiesen werden. Zweitens Personen, die eine Qualifikation als Sozialpädagoge bzw. ein abgeschlossenes Studium der Sozialpädagogik oder der Sozialarbeit nachweisen und innerhalb der letzten fünf Jahre über eine mindestens einjährige Berufserfahrung mit der Zielgruppe verfügen. Drittens Fach- und Führungskräfte, die aufgrund ihrer Berufserfahrung, ihrer guten Kontakte zur regionalen Wirtschaft und ihrer langjährigen Erfahrungen mit der ehrenamtlichen Arbeit mit Jugendlichen besonders geeignet erscheinen, im Einvernehmen mit dem Auftraggeber solch eine Aufgabe wahrzunehmen. Für die ehrenamtlichen Tätigkeiten wird insbesondere eine lange Erfahrung mit der gewerblich-technischen Wirtschaft erwartet. Hier sind Meister und Ingenieure aus Handwerks- und Industrieunternehmen besonders zu berücksichtigen. Die ehrenamtlich Tätigen werden allerdings zunächst im Rahmen einer Weiterbildung mit einem spezifisch auf die Aufgabe ausgerichteten Curriculum gezielt für die Mentorenaufgabe geschult. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Frau Kollegin. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Vielen Dank für die Beantwortung der Frage. - Zunächst einmal möchte ich sagen: Ich begrüße es sehr, dass die Bundesregierung diese Schritte macht. Insbesondere halte ich das Betreuungsverhältnis von eins zu eins bei den Ehrenamtlichen für bemerkenswert. Wenn ich Sie richtig verstehe, bedeutet das: Jeder Ehrenamtliche betreut eine Person. Sie haben konkrete Zahlen dazu genannt, wie viele junge Menschen Sie insgesamt betreuen lassen wollen. Das Betreuungsverhältnis bei den Ehrenamtlichen hat natürlich Auswirkungen auf das Betreuungsverhältnis bei den Hauptamtlichen. Können Sie Aussagen dazu machen, wie viele Berufseinsteiger ein hauptamtlich Tätiger zu betreuen hat und wie die Zusammenarbeit ablaufen soll? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Bei den hauptamtlichen Betreuern gehen wir derzeit von einem Betreuungsschlüssel von etwa eins zu zwanzig aus. Die Arbeit soll so aussehen, dass es quasi vom Abschluss der Schule bis zu einem stabilen, funktionierenden Ausbildungsverhältnis zu regelmäßigen Kontakten zwischen dem zu Betreuenden und dem Betreuer und zu Sachstandsabfragen kommt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Weitere Nachfrage dazu? Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Ja. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Können Sie vielleicht sagen, wie Sie es schaffen wollen, 1 000 Ehrenamtliche zu gewinnen? Die regionale Verteilung der 1 000 Ehrenamtlichen wird Sie vor eine logistische Herausforderung stellen; denn es gibt mehr als 1 000 Hauptschüler, die eine solche Betreuung nötig hätten. Wie wollen Sie also eine gerechte Verteilung der Ehrenamtlichen im Bundesgebiet sicherstellen? Wie wollen Sie dafür sorgen, dass die Ehrenamtlichen entsprechend geschult werden können? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Wir haben dazu intensive Gespräche mit den Kammern und verschiedenen Einrichtungen geführt. Dabei haben wir aus den Bereichen, wo solche Dinge schon modellhaft angeboten werden, gehört, dass es gerade bei pensionierten Handwerksmeistern und bei den übrigen gerade von mir angesprochenen Personengruppen eine große Bereitschaft und ein großes Interesse gibt, so etwas umzusetzen. Uns ist von den betreffenden Kammern signalisiert worden, dass sie davon ausgehen, dass sie Betreuer in dieser Anzahl, vielleicht sogar noch mehr, relativ leicht rekrutieren können. Da wir hier auf Strukturen zurückgreifen, die bundesweit vorhanden sind, sollte uns das flächendeckend gelingen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die Kollegin Kumpf hat dazu noch eine Nachfrage. Ute Kumpf (SPD): Die Projekte mit Bildungslotsen sind keine neuen Projekte. In meinem Wahlkreis, der sehr von Migranten geprägt ist - 39 Prozent der Menschen haben einen Migrationshintergrund -, gibt es diese Form der Begleitung, vor allem beim Übergang von der Hauptschule in den Beruf, schon lange. Ich habe aus vielen Gesprächen mit den Bildungslotsen erfahren, dass sie manchmal sehr frustriert sind, weil ihre Arbeit von den hauptamtlichen Mitarbeitern und vor allem von der Kultusbürokratie nicht die Wertschätzung erfährt, die sie sich wünschen würden. Haben Sie sichergestellt, dass vonseiten der zuständigen Kultusministerien diese Arbeit positiv begleitet wird - ich kann Ihnen den Briefwechsel mit Herrn Kultusminister Rau aus Baden-Württemberg zukommen lassen - und zugleich die Anregungen und die Kritik der Bildungslotsen, die nicht die Ausputzer für eine verfehlte Bildungspolitik sein wollen, in die politische Debatte vor Ort einfließen? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Kollegin, das Thema Bildungslotsen ist in dem Programm "Bildungsketten", das wir als Bundesregierung auf den Weg bringen, nur ein Baustein. Unsere Vorstellung ist nicht, dass die Bildungslotsen alle Probleme im Bildungssystem und bei den Bildungsbiografien von Benachteiligten lösen. Vielmehr wollen wir bereits im Grundschulalter mit den lokalen Bildungsbündnissen beginnen. Wir wollen durch eine Potenzialanalyse in der 7. Klasse und eine Berufsorientierung in der 8. Klasse viele Maßnahmen vorschalten, sodass die Gruppe derer, die Schwierigkeiten haben, einen Abschluss zu erringen und eine entsprechende Ausbildungsreife zu erhalten, möglichst klein ist. Aber da es diese Gruppe gibt, ist es unsere Aufgabe, ihr mit einem wirksamen Instrument zu helfen. Insofern soll auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass Bildungslotsen die ganze Last des Bildungssystems zu tragen haben. Vielmehr befindet sich ihre Aufgabe in einem guten Kontext mit anderen Maßnahmen. Es ist so - das merke ich auch in den Diskussionen, die ich führe -, dass die Anerkennung und die Wertschätzung der Bildungslotsen sowie die Bedeutung des Themas, junge Menschen erfolgreich in Ausbildung zu bringen, steigen. In den letzten Jahren gab es zum Teil einen Mangel an Ausbildungsplätzen. Wir haben festgestellt, dass im letzten Jahr die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland trotz der Wirtschaftskrise um 11 Prozent gesunken ist. Das heißt, der demografische Wandel führt dazu, dass wir in Zukunft keinen Mangel an Ausbildungsplätzen haben, sondern dass es eher einen hohen Bedarf an Bewerbern geben wird. Deshalb hoffe ich, dass alle Beteiligten, einschließlich der öffentlichen Hand, und die gesamte Zivilgesellschaft ein gemeinsames Interesse daran haben, möglichst allen Jugendlichen zu einem entsprechendem Ausbildungsplatz zu verhelfen. Jeder, der sich dieser Aufgabe verschreibt - insbesondere diejenigen, die das ehrenamtlich tun -, verdient hohe Wertschätzung. Ute Kumpf (SPD): In der Schule würde man sagen: Thema verfehlt! Ich habe gefragt, wie die Ehrenamtlichen, also diejenigen, die das gerne tun - ich erlebe viele Betriebsräte, die ihre Kompetenz an junge Menschen, die vielleicht einen anderen Bildungshintergrund haben, weitergeben wollen -, in dieser Beratungskette durch die Institutionen die Wertschätzung erfahren, die sie brauchen. Die Menschen haben keine Lust, Ausfallbürgen für eine verfehlte Bildungspolitik zu werden. Darum geht es. Ich bin Mitglied des Unterausschusses "Bürgerschaftliches Engagement". Alle Parteien haben in der Debatte immer darauf geachtet, dass dieses Engagement aus der Bürgerschaft die notwendige Anerkennung findet. Wichtig ist auch, dass es eine Rückmeldung des entsprechenden Institutes oder des Ministeriums gibt, und zwar nicht nur in Form von warmen Worten. Die strukturellen Erfordernisse von Projekten müssen mitberücksichtigt werden. Ein Schulterklopfen für die Ehrenamtlichen reicht nicht, sondern hier müssen auch die Weiterbildung und die finanziellen Ausstattungen eine Rolle spielen. Die Menschen wollen, dass ihr Engagement richtig wahrgenommen wird und dass ihre Arbeit, vor allem wenn es um die Vermittlung geht, wertgeschätzt wird. Wie wollen Sie das sicherstellen? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Wir legen Wert darauf - das habe ich gerade gesagt -, dass eine entsprechende Aus- und Weiterbildung der Bildungslotsen erfolgt. Wir wollen die Menschen mit Berufserfahrung, die aber eine solche Tätigkeit noch nicht ausgeübt haben, nicht einfach alleine lassen, sondern weiterbilden. Ich habe auch deutlich gemacht - insofern habe ich das Thema doch ganz gut getroffen -, dass gesellschaftliche Wertschätzung von der Bundesregierung nicht per Gesetz beschlossen werden kann. Deshalb ist es unsere Aufgabe, klarzumachen, dass die Bildungslotsen hier eine wichtige Funktion erfüllen. Ich sehe, dass dieses Instrument seitens der Kultusministerien, seitens der Kammern und seitens aller Akteure im Bereich der beruflichen Bildung unglaublich positiv aufgenommen wird. Aus meiner Sicht bekommen die Bildungslotsen diese Wertschätzung, weil ihre Bedeutung immens hoch ist. Ich kann es nicht verordnen, aber ich kann von meiner Seite aus damit beginnen, diese Wertschätzung zu bezeugen. Ute Kumpf (SPD): Dürfte ich kurz noch die Empfehlung aussprechen, sich mit dem Nationalen Forum für Engagement und Partizipation in Verbindung zu setzen? Dort gibt es einen Arbeitskreis zum Thema Bildung und ehrenamtliches Engagement. Es wäre gut, wenn Ihr Haus eine einheitliche Strategie im Sinne der ehrenamtlich und bürgerschaftlich Engagierten entwickelt würde. Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Die Bundesregierung bedankt sich wie immer für Hinweise dieser Art. Ute Kumpf (SPD): Danke schön. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ist damit die Frage 59 erledigt? - Das ist der Fall. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Frage 60 des Kollegen Uwe Kekeritz wird schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich rufe die Frage 61 des Kollegen Volker Beck auf: Welche Zusicherungen - Pledges -, in denen sie konkrete Aktionen zur Stärkung der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs, IStGH, in Aussicht stellen wird, beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen der Überprüfungskonferenz zur Prüfung etwaiger Änderungen des Römischen Statuts des IStGH vom 31. Mai bis 11. Juni 2010 in Kampala, Uganda, abzugeben, und beabsichtigt die Bundesregierung, die EU bei der Erarbeitung und Abgabe einer oder mehrerer Zusicherungen - Pledges - zu unterstützen? Die Frage wird durch Staatsministerin Cornelia Pieper beantwortet. Bitte schön. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Vielen Dank, Herr Präsident! - Sehr geehrter Herr Abgeordneter, die Bundesregierung unterstützt die Pledges, welche die EU auf der Überprüfungskonferenz von Kampala einbringen will. Dabei geht es um folgende Punkte: Erstens. Die EU will ihre Bemühungen fortsetzen, die Universalität des Römischen Statuts zu fördern und seine Integrität zu bewahren. Hierzu gehören beispielsweise EU-Demarchen, um in Drittstaaten für den Beitritt zum Römischen Statut zu werben. Zweitens. Die EU will in ihren Abkommen mit Drittstaaten Klauseln zum Internationalen Strafgerichtshof aufnehmen. Damit bekennen sich die EU-Partner auch in ihren vertraglichen Beziehungen nach außen zum Kampf gegen die Straflosigkeit bei schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren. Drittens. Die EU will ihre finanzielle Unterstützung für diejenigen Zivilgesellschaften und Drittstaaten fortsetzen, die Hilfestellung beim Beitritt zum Römischen Statut oder bei seiner Umsetzung wünschen. Viertens. Die Europäische Union will ihre Instrumente zur Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs auf eventuellen Anpassungsbedarf überprüfen. Dies betrifft in erster Linie den Gemeinsamen Standpunkt zum Internationalen Strafgerichtshof aus dem Jahre 2003 sowie den Aktionsplan aus dem Jahre 2004. Zusätzlich zu den Zusicherungen der EU wird Deutschland auf der Überprüfungskonferenz folgende Zusagen machen: Erstens. Deutschland wird an den Opferschutzfonds des Internationalen Strafgerichtshofs im Jahre 2010 einen freiwilligen Beitrag in Höhe von 300 000 Euro leisten. Zweitens. Deutschland wird in den Jahren 2010 und 2011 die Stelle einer juristischen Fachkraft beim Opferschutzfonds des Internationalen Strafgerichtshofs finanzieren. Drittens. Deutschland plant, im Haushaltsjahr 2010 Mittel in Höhe von 250 000 Euro für Projekte zur Förderung des Beitritts zum Römischen Statut und seiner Umsetzung bereitzustellen. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, dass von diesen Zusagen ein deutliches Signal der Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs und seiner Arbeit ausgeht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Kollege Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin etwas erstaunt, dass Sie ein Thema nicht angesprochen haben. Das zentrale Thema in Kampala wird sein, ob der Tatbestand des Aggressionsverbrechens anerkannt wird. Er ist im Statut eigentlich enthalten, wurde aber mit dem Hinweis, dass sich die Vertragsstaaten noch auf eine Definition verständigen müssen, außer Kraft gesetzt. Dazu haben Sie nichts gesagt. Im Menschenrechtsausschuss hatten wir in der letzten Woche eine Anhörung. Die Sachverständigen haben sich durch die Bank dafür ausgesprochen, dass man diesen Schritt endlich machen soll. Deshalb frage ich Sie, ob die Bundesregierung hier entsprechend tätig geworden ist und solche Forderungen für die Konferenz in Kampala vorbereitet hat. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Zunächst können Sie davon ausgehen, dass die Bundesregierung dieser Überprüfungskonferenz grundsätzlich große Bedeutung beimisst. Wenn das Thema in der Sitzung des Menschenrechtsausschusses, an der ich nicht teilnehmen konnte, behandelt worden ist, dann wird die Bundesregierung sicher die Vorschläge der Abgeordneten berücksichtigen. Darüber hinaus wissen Sie, dass die Bundesregierung kein Relocation Agreement mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Bezug auf den Opfer- und Zeugenschutz abgeschlossen hat, weil sie der Auffassung ist, dass sie den Opferschutz derzeit ohne ein solches Abkommen gewährleisten kann, sodass sich diese Frage nicht stellt. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben mich verwirrt, weil Sie einen Sprechzettel zum falschen Thema vorgelesen haben. Wenn Sie darüber nicht Bescheid wissen, dann können Sie die Antwort ja im Nachgang der Fragestunde liefern. Wir hatten es heute schon ein paar Mal, dass die Staatssekretäre - in dem Fall die Staatsministerin - bekennen mussten, dass sie nicht wissen, was ihr Haus vertritt. Ich frage Sie, ob sich die Bundesregierung aktiv dafür einsetzt - das wird wahrscheinlich für längere Zeit die letzte Gelegenheit sein; dann schließt sich wahrscheinlich das Zeitfenster dafür -, dass der Tatbestand des Aggressionsverbrechens künftig der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs unterliegen wird, wie es bei der Verabschiedung des Statuts beabsichtigt war, aber nicht erreicht worden ist. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Herr Abgeordneter, ich bin darauf nicht eingegangen, weil das nicht der Hintergrund Ihrer ursprünglichen Fragestellung war. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Sie haben dann die Frage nicht vollständig verstanden!) Die ursprüngliche Frage war eine andere als die, die Sie gestellt haben. Sie können davon ausgehen, dass der Menschenrechtsbeauftragte, Herr Löning, der die Leitung der Delegation hat, die Vorschläge des Menschenrechtsausschusses mitnehmen und dort zur Sprache bringen wird. Was die Position des Ausschusses anbelangt, bin ich gerne bereit, auch die Position unseres Hauses nachzuliefern. Ich sagte ja schon, dass ich an der Diskussion leider nicht teilnehmen konnte. Im Moment kann ich sie auch nicht nachvollziehen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieser Punkt ist der zentrale Gegenstand in Kampala. Dass Sie darüber nicht Bescheid wissen! Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. Die Fragen 62 und 63 des Kollegen Tom Koenigs, die Frage 64 des Kollegen Ströbele, die Frage 65 der Kollegin Höger und die Frage 66 der Kollegin Daðdelen werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Schluss unserer Fragestunde. Da der Beginn der Aktuellen Stunde für 15.00 Uhr angesetzt ist und noch nicht alle Kollegen eingetroffen sind, unterbreche ich bis dahin die Sitzung. (Unterbrechung von 14.52 bis 15.02 Uhr) Vizepräsidentin Petra Pau: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Unterschiedliche verfassungsrechtliche Auffassungen in der Bundesregierung zur Verlängerung von Atomkraftwerkslaufzeiten Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ulrich Kelber (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wieder wird Lobbyistenbedienung zum Zentralgestirn schwarz-gelber Politik: (Lachen des Abg. Michael Kauch [FDP]) zu Beginn das sogenannte Mövenpick-Gesetz, Herr Kauch, jetzt der Versuch, Milliardengeschenke an die Atomlobby zu verteilen, sogar indem man windige, verfassungswidrige Konstruktionen in den Gesetzen anstrebt, und das trotz klar erkannter negativer wirtschaftlicher Effekte auf große Teile der restlichen Energiewirtschaft. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das zumindest ist falsch!) Die Liebe zu den Lobbyisten geht so weit, dass aus den Reihen der Union, aus den Reihen der CDU, sogar der eigene Umweltminister zum Rücktritt aufgefordert wird, weil er der Atomlobby nur einen zweistelligen Milliardenbetrag anstatt eines dreistelligen Milliardenbetrages schenken möchte. So weit ist die Verbrüderung an der Stelle schon gegangen. Minister Pofalla hat öffentlich verkündet, er möchte die Gesetzgebung zur Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken ohne eine Beteiligung des Bundesrates machen, also eine windige verfassungsrechtliche Konstruktion zur Lobbyistenbedienung finden; so kann man das Ganze auch nennen. Heute erfahren wir per Tickermeldung, dass die Bundeskanzlerin sich gegenüber der CDU/CSU-Fraktion geäußert hat. Man will dazu jetzt doch bis zum 4. Juni eine Rechtsexpertise von Umweltministerium, Justizministerium und Innenministerium einholen. Da frage ich mich: Hat sich der Minister im Kanzleramt, Pofalla, erst einmal eine Meinung gebildet, und will er sich jetzt die dazu passende Rechtsexpertise einholen? Hat er das also ohne Rechtsexpertise gemacht? Ist die Tatsache, dass Herr Pofalla Jurist ist, vielleicht keine ausreichende Qualifikation mehr, wenn es um entsprechende Gesetzesvorhaben geht? Man muss gar nicht die Opposition oder die Medien zu diesem Vorgehen der schwarz-gelben Koalition befragen, sondern nur die eigenen Leute: Die Ministerpräsidentin von Thüringen nennt den Vorschlag Pofallas ein - Zitat - "Mogelgesetz". Die schleswig-holsteinische Regierung - schwarz-gelb - sagt, dass das so nicht geht. Die saarländische Regierung, auch mit Schwarzen und Gelben in der Regierung, widerspricht; Niedersachsen ebenso. Die abgewählte schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen widerspricht, und am 30. September 2009, also drei Tage nach der Bundestagswahl, schrieben der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger und der hessische Ministerpräsident Koch Bundeskanzlerin Merkel einen Brief, in dem sie darauf verwiesen, dass eine Nichtbeteiligung des Bundesrates an dieser Stelle höchst strittig ist. Das ist übrigens derselbe Herr Koch, der gestern gesagt hat, er habe gar keine Zweifel, dass die Nichtbeteiligung des Bundesrates in dieser Frage machbar sei. Eine Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen ändert also Ihre Auffassung darüber, was verfassungsgemäß ist. Auch das ist bezeichnend für Ihre Politik. Über die Frage, ob leichtfertig mit der Verfassung umgegangen wird, hinaus hat das Ganze zusätzliche Implikationen. Sie haben zugesichert, Sie würden eine Verlängerung der Laufzeiten nur unter höchsten Sicherheitsanforderungen anstreben, also unter der Voraussetzung, dass die Atomkraftwerke entsprechend nachgerüstet werden. Sie wissen genau, dass in dem Augenblick, wo der Bund zusätzliche Sicherheitsanforderungen stellt, die Atomaufsicht der Länder berührt ist und damit die Zustimmungspflicht gilt. Das heißt, wer die Zustimmungspflicht umgehen will, muss auf Sicherheitsauflagen für die Atomkraftwerke verzichten. Das ist Wortbruch Nummer eins, den Sie planen. Wortbruch Nummer zwei. Sie haben gesagt, Sie werden die Gewinne, die die Atomkonzerne machen, zum größten Teil - andere sagen: zur Hälfte - abschöpfen. Wir sind gespannt darauf, wie Ihr Vorschlag aussehen wird - wenn Sie sich am Ende noch trauen. In dem Augenblick, in dem Sie das gesetzlich regeln, sind aber wieder die Länder betroffen, sodass Sie über den Bundesrat gehen müssten. Wenn Sie darauf verzichten wollen, können Sie nur eine freiwillige Vereinbarung mit den Konzernen machen. Das Vorgehen, zu sagen: "Ich mache ein Gesetz zu deinem Vorteil, wenn du mir vorher Geld gibst", nennt man außerhalb dieses direkten Zusammenhangs Korruption und nicht Gesetzgebung. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: He, he, he!) - Sie haben es ja noch nicht gemacht. Vermeiden Sie doch, dass es am Ende als Korruption bezeichnet werden kann! Damit das auch klar ist: Bundesminister Röttgen ist in dieser Frage keine grüne Lichtgestalt, sondern allerhöchstens das beste Fußballteam Grönlands: Auch er will eine windige, verfassungswidrige Konstruktion, auch er versucht den Bundesrat zu umgehen, auch er will den Lobbyisten Milliarden schenken, auch er will Schrottreaktoren wie Biblis A länger laufen lassen, ohne zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zur Auflage zu machen. Sie müssen die Wahrheit sagen, Herr Röttgen: Auch eine um "nur" acht Jahre längere Laufzeit bedeutet mehr Atommüll. Die Zwischenlager an den Reaktoren sind aber nur für die Menge Atommüll, die der im Atomkonsens vereinbarten Restlaufzeit entspricht, zugelassen. Für eine neue atomrechtliche Genehmigung dieser Zwischenlager bräuchten Sie die Bundesländer. Wenn Sie das umgehen wollen, wollen Sie in diesen acht Jahren zusätzliche Atommülltransporte quer durch Deutschland von jedem der 17 Reaktoren. Das müssen Sie hier sagen. Sie können nicht Sonntagsredenminister sein. Sie sind noch nicht einmal Alltagsminister. In dieser Frage sind Sie wirklich ein Trauerstundenminister. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat Bundesminister Dr. Norbert Röttgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst bei der SPD-Fraktion für die Beantragung der Aktuellen Stunde bedanken; sie gibt nämlich die Gelegenheit zu einer Versachlichung der Debatte. Dass der erste Redner der SPD diese Chance nicht voll ergriffen hat, ist bedauerlich; aber es gibt ja auch noch Redner der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion, die die Chance, die Sie eröffnet haben, dann auch nutzen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn Herr Mappus?) Ich will zunächst einmal auf das Thema der Aktuellen Stunde eingehen; es liegt ja nicht so fern, dass man auf das Thema der Debatte eingeht. Die verfassungsrechtliche Frage, um die es geht, lautet: Benötigt eine Bundesgesetzgebung - dass der Bundesgesetzgeber zuständig ist, ist unstrittig - zu einer Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken die Zustimmung des Bundesrates? Meine erste Anmerkung dazu ist: Das ist eine rein verfassungsrechtliche Frage. Nicht nur als Minister, auch als Abgeordneter des Deutschen Bundestages, das heißt, als Teil des Gesetzgebers, plädiere ich ausdrücklich dafür, dass wir diese Frage rein verfassungsrechtlich, so gut wir können, beantworten und sie nicht politisieren. Wir alle haben keinen Vorteil davon, verfassungsrechtliche Fragen zu politisieren. Unser Selbstverständnis als Gesetzgeber muss sein, verfassungskonforme Gesetzgebung zu machen, nicht aber, Risiken einzugehen und dann zu warten, ob man von Karlsruhe korrigiert wird. Unser Selbstverständnis muss sein, die verfassungsrechtliche Frage korrekt zu beantworten. Darum will ich hier auch darlegen, was überhaupt der inhaltliche Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang ist. Warum könnte überhaupt eine Zustimmungsbedürftigkeit der Länder, des Bundesrates, vorliegen? Darüber muss man dann doch auch hier debattieren, weil das nicht nur eine Frage ist, deren Beantwortung wir von Experten entgegennehmen, sondern das Parlament muss sich sein Urteil auch selber bilden. Es geht darum, dass das Atomgesetz in einer besonderen Form durch die Länder vollzogen wird, und zwar nicht in der Normalform der Landeseigenverwaltung - das ist die normale Form, in der die Länder Bundesgesetze vollziehen -, sondern in der Sonderform der sogenannten Bundesauftragsverwaltung. Durch diese Bundesauftragsverwaltung erfolgt ein besonderer Eingriff des Bundes in die Vollzugshoheit bzw. die Staatshoheit der Länder, weil dem Bund, dem zuständigen Minister, ein Weisungsrecht gegenüber den Landesministern und den Ländern beim Vollzug von Bundesgesetzen eingeräumt wird. Es ist also ein Eingriff in die Staatshoheit bzw. Staatsqualität der Länder. Das Atomgesetz bedurfte bei seiner Verabschiedung der Zustimmung des Bundesrates, weil mit diesem Atomgesetz und der Aufgabe, Kernkraftwerke zu beaufsichtigen, dieser Eingriff des Bundes in die Verwaltungszuständigkeit der Länder verbunden war. Darum bedurfte der Ausstieg aus dieser Aufgabe nach meiner Auffassung konsequenterweise auch nicht der Zustimmung des Bundesrates, weil der Eingriff ja gerade beendet wurde. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Jetzt stellt sich die Frage, ob eine Zustimmungsbedürftigkeit dadurch ausgelöst wird, dass der Eingriff durch eine Laufzeitverlängerung fortgesetzt, zumindest aber verlängert wird, weil ja ein an sich schon beendeter Eingriff verlängert und quasi neu begründet wird. Diese verfassungsrechtliche Frage stellt sich. Wir sollten sie so gut wir können beantworten, und zwar nicht politisch, sondern verfassungsrechtlich, weil vom Verfassungsgericht keine politischen Vorstellungen und Argumente gewichtet werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verfassungspolitische Antwort!) - Das ist unser Selbstverständnis. Ich rate als Jurist, aber auch als Parlamentarier dazu, bei verfassungsrechtlichen Fragen nicht zu eifern und zu geifern, sondern sie nach bestem Gewissen und Wissen zu beantworten. Das ist mein Rat dafür, wie wir mit verfassungsrechtlichen Fragen umgehen sollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Bundesregierung wird das tun. Sie haben darauf hingewiesen: Die Verfassungsressorts und die beteiligten Fachressorts werden ihre Auffassung dazu bis Anfang des nächsten Monats darlegen. Dann ist die Position der Bundesregierung klar. Das war meine verfassungsrechtliche Anmerkung zu dem Thema. Ich möchte aber auch noch zwei politische Anmerkungen machen: Erste politische Anmerkung. Die Energiepolitik wird in Zukunft noch mehr, als das in der Vergangenheit auch schon der Fall war, nur dann erfolgreich sein können, wenn eine enge Abstimmung zwischen dem Bund und den Ländern erfolgt. Der Umbau von der bisherigen Energieversorgung zur Energieversorgung mittels erneuerbarer Energien mit den dazu notwendigen Veränderungen - ich nenne nur einmal den Netzausbau - bedarf einer engen Abstimmung und auch einer Kongruenz von Bund und Ländern. Darum ist der faire Umgang zwischen dem Bund und den Ländern an dieser Stelle Voraussetzung für den Erfolg der Energiepolitik für Deutschland. Deshalb lege ich Wert darauf, dass wir die Energiepolitik gemeinsam mit den Ländern gestalten, und zwar, wenn es nach mir geht, auch über parteipolitische Grenzen hinweg, weil es eine grundlegende Aufgabe in Bezug auf die Infrastruktur und entscheidend für die Zukunft unseres Landes ist, die Energieversorgung sicher, klimaverträglich und wettbewerbsfähig zu realisieren. Wir sollten uns diesen Konsens und das Bemühen darum erhalten, bei einigen wichtigen Zukunftsfragen dieses Landes über Parteigrenzen hinweg konsensfähig zu bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweite politische Anmerkung. Die Energiewirtschaft hat durchaus unterschiedliche Interessen - legitimerweise übrigens. Die kommunalen Unternehmen suchen ihre Chance im Markt und sagen: Durch eine Laufzeitverlängerung wird eine Wettbewerbssituation zementiert, in der wir keine Chance haben. - Andere sagen: Wir stehen gerade vor dem Markteintritt und hätten mit Laufzeitverlängerungen die Chance, so viel Gewinne wie noch nie zuvor zu machen. - Andererseits besteht die Notwendigkeit, auf die Energieversorgung mittels erneuerbarer Energien umzusteuern bzw. umzuschalten. Das heißt, in der Energiewirtschaft, die hinsichtlich der erneuerbaren Energien eine mittelständische Branche und hinsichtlich der traditionellen Energieträger oligopolistisch geprägt ist - daneben wird es zu einem Wettbewerbseintritt der kommunalen Unternehmen kommen -, gibt es eine sehr heterogene Interessenlage. Es gibt aber ein gemeinsames Interesse der gesamten Energiewirtschaft. Das ist das Interesse an Klarheit durch die Politik. (Rolf Hempelmann [SPD]: Die hatten wir geschaffen!) Die Energiewirtschaft hat ein berechtigtes Interesse an Klarheit und Sicherheit. Diese müssen wir ihnen bieten, weil das Maß an Unsicherheit, das wir auch durch verfassungsrechtliche Risiken produzieren, zu einer Investitionszurückhaltung der Energiewirtschaft führen würde. (Rolf Hempelmann [SPD]: Seit neun Monaten!) Die können wir uns nicht leisten. Darum werden wir als Koalition diese Klarheit schaffen, damit die Energieversorgungswirtschaft das bekommt, was sie in jedem Fall berechtigterweise erwartet: Klarheit der politischen Entscheidungen, damit Investitionen erfolgen. Wir brauchen in jedem Fall Investitionen. Unklarheit, auch die Belastung mit verfassungsrechtlichen Risiken, bedeutet Investitionszurückhaltung, die sich Deutschland nicht leisten kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Bei einer Bundestagswahl ist das so! - Rolf Hempelmann [SPD]: Ich hoffe, das war als Selbstkritik gemeint!) Sie werden die Klarheit bekommen, und zwar in dem verfassungsrechtlichen Bemühen, diese herzustellen. Eine letzte Bemerkung: Nach meinem Urteil diskutieren wir zu viel über Ausstieg und zu wenig über Einstieg. Das ist das Thema. Ich möchte noch einmal betonen, was der Koalitionsvertrag an dieser Stelle sagt. Das Ziel ist eindeutig definiert. Erneuerbare Energien sind die Energieversorgung der Zukunft: weder atomare noch fossile, sondern erneuerbare Energien. Die wollen wir. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen sie auch aus einer immanenten Notwendigkeit, die gar nicht bestritten wird. In dem Zeitraum von 40 Jahren - das ist der Zeitraum, den wir betrachten - muss das Ziel am Ende in einer zukunftsfähigen Energieversorgung für die nächsten Generationen bestehen. Die Entscheidungen dafür müssen aber heute getroffen werden; denn wir, auch diese Koalition, haben entschieden: Es wird keine neuen Atomkraftwerke geben. Im Koalitionsvertrag steht: Das Verbot, neue Atomkraftwerke zu bauen und zu betreiben, wird aufrechterhalten. (Beifall des Abg. Michael Kauch [FDP] - Ulrich Kelber [SPD]: Da klatscht nur einer!) Wir können zwar über Laufzeitverlängerung reden, es wird aber kein neues Kernkraftwerk geben. Darum ist Kernenergieversorgung keine Option der Zukunft. Das ist ausdrücklich Inhalt des Koalitionsvertrages. Des Weiteren wird - das habe ich schon mehrfach dargelegt - aus klimapolitischen Gründen jedes Indus-trieland und damit auch Deutschland im Interesse der eigenen Zukunftsfähigkeit und Entwicklungsfähigkeit CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent reduzieren müssen. Weil wir ein Industrieland sind und dies, wenn es nach dieser Koalition geht, auch bleiben wollen, heißt das, wir müssen das kleine Budget an CO2-Emissionen für industrielle CO2-Emissionen reservieren und deshalb die Energieversorgung praktisch CO2-frei machen. Aus diesen beiden Gründen - weil wir alle gemeinsam politisch entschieden haben, dass Kernkraftwerke keine Option für die Zukunft sind und weil fossile Energieversorgung wegen der CO2-Emissionen nicht zukunftsfähig ist - können wir schon heute die Knappheit erkennen, die in 30 bis 40 Jahren eintreten wird. Sie ist eindeutig. Unsere Verantwortung besteht nicht darin, abzuwarten, bis die Knappheit eintritt - dann können wir nämlich nicht mehr handeln -, sondern wir müssen die Knappheit gewissermaßen antizipieren, vorwegnehmen und schon heute in eine Wachstumsstrategie integrieren. Wir müssen es schaffen, die Weichen für den Umstieg von den traditionellen Energieversorgungsquellen über einen sich dynamisch verändernden Energiemix hin zu den Erneuerbaren zu stellen. Das ist die entscheidende Aufgabe. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie reden 70 Prozent Ihrer Rede am Thema vorbei! Das Thema der Aktuellen Stunde scheint Ihnen wirklich unangenehm zu sein!) Darum sollten wir über die Frage des Einstiegs reden. Ich möchte diese Koalition damit qualifizieren, diesen Einstieg zu schaffen, weil er die Bedingung für Zukunftsfähigkeit ist und weil er mit neuen Technologien, Märkten und weltweiten Absatzchancen verbunden ist. Das ist die Wachstums- und Sicherheitsstrategie, die diese Koalition verfolgt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dorothée Menzner (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich fand es bezeichnend, dass Sie den Mut hatten, von Klarheit der Politik in Bezug auf Energiepolitik zu reden. Was wir seit Monaten erleben und was die Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen, sind ein Schlingerkurs, Chaos und große Verunsicherung. Nicht umsonst machen auch Menschen gegen die Laufzeitverlängerung Stimmung, die dies bisher nicht so deutlich getan haben. Ich erinnere nur an den Deutschen Städtetag und an die Stadtwerke. Wenn Sie den Einstieg in die Erneuerbaren ernst meinen, dann müssen Sie sich an dieser Stelle die Frage gefallen lassen, ob die unverhältnismäßig starke Kürzung der Förderung durch das EEG hilfreich war. (Beifall bei der LINKEN) Insgesamt kann man nur feststellen: Die Koalition arbeitet zielstrebig an der nächsten Wahlniederlage. Alle Umfragen belegen: Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ist gegen eine Laufzeitverlängerung. Es sind nicht nur die Wählerinnen und Wähler der Parteien, die jetzt in der Opposition sind; auch 52 Prozent der Wählerinnen und Wähler von CDU und CSU sowie 54 Prozent der FDP-Wählerinnen und -Wähler sind gegen längere Laufzeiten. (Ulrich Kelber [SPD]: So viele haben die gar nicht!) Wir kennen das. Diese Koalition macht ja in vielen Bereichen Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Das ist nicht nur beim Atomausstieg so. Ich erinnere nur an die Themen "Rente erst mit 67", "Mindestlohn" oder auch "Kriegseinsatz in Afghanistan". Ich weiß nicht, wie Sie das auf Dauer durchstehen wollen, aber das soll dann Ihr Problem sein. Die Kritik von uns als damals noch PDS an dem sogenannten Atomkonsens war, dass er nicht unumkehrbar ist - das ist das Problem, das wir jetzt haben - und dass große Zugeständnisse an die Konzerne gemacht wurden. Es war ja nicht so, dass die Konzerne ohne Gegenleistung verzichtet und der Laufzeitbegrenzung zugestimmt haben. Ihnen sind zum Beispiel sicherheitstechnische Nachrüstungen erlassen worden. Sie haben bessere Standards für die steuerfreien Rückstellungen bekommen. Weiterhin wurde eine Eignungshöffigkeit von Gorleben attestiert. Jetzt haben wir das Problem. Die Mehrheiten haben sich geändert, und die Konzerne hoffen, dass ihnen - ähnlich wie anderen Sparten oder Konzernen oder Bereichen - Zugeständnisse gemacht werden. Die Laufzeitverlängerung ist nach übereinstimmender Meinung vieler juristischer Gutachten ohne eine Zustimmung des Bundesrates nicht möglich, weil die Länder im Vollzug des Atomgesetzes ganz andere und viel umfangreichere Aufgaben haben würden als jetzt. Aber kurz nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl, als die Mehrheit im Bundesrat dahin war, hörten wir andere Stimmen aus der Koalition. Merkwürdigerweise sagen genau die Länder, die seinerzeit beim Atomkonsens der Meinung waren, es sei eine Bundesratszustimmung nötig, jetzt, es sei keine Bundesratszustimmung nötig. Beim Atomkonsens damals haben Baden-Württemberg, Bayern und Hessen darauf gedrängt, dass der Bundesrat zustimmen müsse. Jetzt, wo es in eine Richtung geht, die ihnen gefällt, die sie befürworten, sagen sie: Das interessiert den Bundesrat gar nicht. (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Das nennt man "Wahrnehmung von Länderinteressen"!) Da scheinen Länder das Grundgesetz irgendwie nach Lage der Dinge auszulegen. Sie scheinen das Grundgesetz nicht als gemeinsame Grundlage und Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu begreifen, das auch in allen Fällen anzuwenden ist, sondern wollen es nach Lage der Dinge und politischer Opportunität auslegen. Das muss man noch einmal Revue passieren lassen: Schon drei Tage nach der Wahl kam - übrigens aus Ministerien genau der Länder Hessen und Baden-Württemberg - das Papier, das der Kanzlerin deutlich machte: Es geht ohne den Bundesrat. - Ich frage mich: Wieso produzieren Landesumweltministerien Papiere für die Bundesregierung, machen Rechtsgutachten und erstellen ein Strategie- und Schrittfolgepapier, um der Kanzlerin zu sagen, welchen Weg sie zu gehen hat? Das ist meiner Ansicht nach eine deutliche Überschreitung ihrer Kompetenz. (Beifall bei der LINKEN) Wie dreist muss man eigentlich sein, wenn man in diesem Papier eine Laufzeitverlängerung, die weitere Vermehrung von Atommüll, Milliardenprofite der Konzerne und die Sicherheitsrisiken gegenüber den Menschen als "Signalwirkung Atomausstieg" benennt? Das kann ich nur als Wählerinnen- und Wählerverdummung begreifen, und genau so verstehen die Menschen das auch. Genau dagegen wehren sie sich - zu Recht laut, bunt und vielfältig. Das werden wir weiterhin unterstützen. Mit dem Vorhaben werden Sie nicht durchkommen. Wenn die Konzerne jetzt den Atomkompromiss von damals aufkündigen, dann brauchen Sie nicht zu glauben, dass die Antiatombewegung nicht zu der alten Forderung zurückkommt: Sofortiger Atomausstieg! Ich danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Michael Kauch (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, wenn sich hier eine Vertreterin der Linken als Hüterin der Verfassung aufspielt - eine Vertreterin der Partei, deren Landtagsabgeordnete in NRW vom Verfassungsschutz überprüft werden, weil sie genau diese verfassungsmäßige Ordnung abschaffen wollen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) weil sich eine Abgeordnete Ihrer Partei in NRW nicht dazu durchringen kann, zu sagen, dass die Diktatur Ihrer Vorgängerpartei Unrecht war. Das ist doch die Wahrheit. Deshalb sollten Sie hier schweigen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben doch mit der Blockpartei fusioniert!) - Herr Kelber, Sie sind für solche Fragen eigentlich ungeeignet. Ich komme zur SPD, die uns ein verfassungsrechtliches Seminar halten will. Ich weise darauf hin, dass die SPD an Regierungen beteiligt war, denen vom Bundesverfassungsgericht bescheinigt wurde, dass das Gesetz zur Pendlerpauschale verfassungswidrig ist, dass das Gesetz zum Abschuss von Passagierflugzeugen verfassungswidrig ist, dass die Hartz-IV-Kinderregelsätze verfassungswidrig sind und dass die Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig ist. Wir, die FDP, brauchen von der SPD, die in den letzten elf Jahren Schindluder mit der Verfassung getrieben hat, keine Nachhilfe, wie man verfassungsfeste Gesetze macht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Sind Sie nicht aus dem gleichen Landesverband wie Innenminister Wolf?) Die Botschaft lautet klar: Die FDP wird dafür sorgen, dass es eine verfassungsfeste Lösung bei den Laufzeiten von Kernkraftwerken geben wird. Das ist unsere Maßgabe. Das wird diese Bundesregierung sicherstellen, meine Damen und Herren von der SPD. Die Verlängerung der Laufzeiten ist keineswegs - das suggerieren Sie mit dem Titel dieser Aktuellen Stunde - nicht verfassungsgemäß. Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz. Das Einzige, worüber man diskutieren muss - das ist in der Tat eine komplexe juristische Frage -, ist die Zustimmungsbedürftigkeit durch den Bundesrat. Wir wollen festhalten: Keiner hat eine klare Mehrheit im Bundesrat, weder Sie noch wir. Deshalb müssen wir uns anschauen, wie es verfassungsmäßig aussieht. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) - Herr Trittin, ich wüsste nicht, dass die Grünen die Mehrheit im Bundesrat haben. Das wäre eine spannende Interpretation. (Ulrich Kelber [SPD]: Was hat die Mehrheit mit der Verfassung zu tun?) Wir sollten hier nicht nach politischer Opportunität argumentieren. (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie führen die Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit erst, nachdem klar ist, dass wir keine eigene Mehrheit für ein zustimmungspflichtiges Gesetz im Bundesrat mehr haben. (Ulrich Kelber [SPD]: Weil Sie auf einmal Ihre Meinung ändern!) - Herr Kelber, wir haben unsere Meinung überhaupt nicht geändert. - Wir gehen nicht mit verfassungsmäßigen Einschätzungen an die Öffentlichkeit. Die FDP wird diese Frage seriös prüfen. Dafür ist beispielsweise das Bundesministerium der Justiz zuständig. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist dafür bekannt, dass sie die Verfassung verteidigt. Sie hat oft genug gegen Ihre Gesetze erfolgreich geklagt, Herr Kelber. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lauschangriff!) Wie gesagt, es handelt sich hier um eine komplexe juristische Frage. Ich sage insbesondere an die Adresse der sogenannten Südländer: Eine reine Umkehrung der Argumentation - da es damals zustimmungsfrei war, gilt das auch für die Laufzeitverlängerung - reicht als Begründung nicht aus. Es gilt aber auch nicht die Logik, dass es sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, sobald ein bisschen Verwaltungsarbeit auf die Länder zukommt. Beide Argumentationen sind eindeutig nicht tragfähig, wie die Gutachten zeigen, die beispielsweise vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erstellt worden sind. Dementsprechend liegt es an der Ausgestaltung des Gesetzes, ob eine Zustimmungspflicht ausgelöst wird. Ich möchte Ihnen deutlich machen, dass ein Reststrommengenansatz geradezu ungeeignet ist, Ihre juristische Position zu unterstützen, Herr Kelber; denn wenn Reststrommengen gesetzlich vorgegeben sind, weiß man nicht genau, wie lange ein Land seine Verwaltungstätigkeit ausüben muss. Ein Kernkraftwerk kann beispielsweise zwei Jahre stillstehen, weil es abgeschaltet wurde; das ist in der Vergangenheit vorgekommen. Vor diesem Hintergrund bedeutet eine Erhöhung der Reststrommenge nicht automatisch eine Verlängerung der Verwaltungstätigkeit der Länder. Herr Kelber, es ist alles nicht so einfach, wie Sie es der deutschen Öffentlichkeit weismachen wollen. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung beschlossen hat, eine einheitliche Haltung herbeizuführen, und zwar zusammen mit den Ministerien, die für die Verfassung zuständig sind, nämlich dem Justiz- und dem Innenministerium. Das ist der richtige Weg und nicht die populistische Debatte, die Sie heute im Deutschen Bundestag anzetteln. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, dass Sie uns das alles so erklären, Herr Kauch!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl das Wort. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Umweltminister, Herr Kauch, wenn ein Atomkraftwerk zwei Jahre stillsteht, ist das im Allgemeinen kein Anlass für die Atomaufsicht, sich ins Bett zu legen; ganz im Gegenteil: Es hat meistens seine Gründe, wenn ein Atomkraftwerk stillsteht. Die NRW-Wahl ist vorbei. Man merkt, wie sie schmerzt. Schwarz-Gelb ist abgewählt worden, (Zuruf von der CDU/CSU: Rot-Grün hat keine Mehrheit!) und Ministerpräsident Mappus von Baden-Württemberg eröffnet schon einmal den Wahlkampf in Baden-Württemberg, indem er glaubt, er könnte das Rezept von Herrn Röttgen fortführen: Du verlierst einen Wahlkampf dadurch am besten, indem du die Defizite der Bundesregierung aufzeigst. Das ist besonders sinnvoll, wenn sie deine eigene Regierung ist. - (Ulrich Kelber [SPD]: Das war aber Rüttgers und nicht Röttgen in diesem Fall!) - Entschuldigung, NRW und das R haben mich verwirrt. Was nicht ist, kann noch werden. - Es muss jetzt nicht meine Sorge sein, wie man nach Meinung von Herrn Mappus am besten eine Wahl verlieren kann. (Zuruf von der CDU/CSU: Warten wir es ab!) Es muss auch nicht meine Sorge sein, wenn Ministerpräsidenten plötzlich nichts Besseres zu tun haben, als sich mächtig dafür ins Zeug zu legen, dass man die Zustimmungspflicht der Länder beschneidet. Ich bin aber schon besorgt, wenn ich Argumentationen wie die von Herrn Pofalla höre, die rot-grüne Regierung unter Kanzler Schröder habe den Ausstieg ohne den Bundesrat beschlossen und daher sei eine Verlängerung der Laufzeiten jetzt auch nicht an die Zustimmung der Länder gebunden. Das ist, als würde ich eine Autobahnausfahrt nehmen, mich dann entschließen, wieder auf die Autobahn zu fahren, und über dieselbe Ausfahrt wieder auf die Autobahn fahren. Was dabei herauskommt, wissen wir: Geisterfahrten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Kommen wir zum eigentlichen Thema, zur Auftragsverwaltung der Länder. Diejenigen, die jetzt glauben, es gäbe keine Zustimmungspflicht der Länder, gehen davon aus, dass die Auftragsverwaltung lediglich verlängert wird und keine neuen Aufgaben entstehen. Das funktioniert aber nur, wenn man außer Acht lässt, was zumindest Herr Röttgen immer betont hat, nämlich dass es Laufzeitverlängerungen nur unter massiven Sicherheitsauflagen gibt. Diese Sicherheitsauflagen bringen durchaus neue Aufgaben für die Atomaufsicht und damit für die Länder mit sich. Schon daraus ergibt sich, dass eine Zustimmungspflicht der Länder zwingend ist; denn sie werden belastet werden, wenn die Sicherheitsauflagen ernst gemeint sind. Man darf inzwischen wieder zweifeln, wenn man die neuesten Botschaften hört. Ob sich die Summen für die Sicherheitsauflagen eher bei 11 Milliarden Euro, wie Herr Brüderle meint, oder bei bis zu 50 Milliarden Euro bewegen, wie Herr Röttgen meint, ist ungewiss. Ich zumindest habe bisher noch nicht gehört, dass man davon ausgeht, dass man gar keine Sicherheitsauflagen braucht. Wir können gespannt sein, wie weit sie reduziert werden. Eine Möglichkeit, den Bundesrat zu umgehen, besteht darin, dass man die eventuellen Mehrkosten von Bundesseite aus kompensiert. Ich rate nicht, diesen Weg zu gehen. Ich glaube, auf diese öffentliche und auch parlamentarische Debatte kann sich die Opposition freuen. Sie sollten sie eher scheuen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Röttgen, Sie sagten vorhin, es gehe um eine rein verfassungsrechtliche Frage, die man nicht politisieren sollte. Ich zitiere die Bundeskanzlerin, die sagte: Wir werden unsere politische Überzeugung durchsetzen. - Das wird als klare Ansage interpretiert, dass es zu einer Verlängerung kommen werde. Da frage ich mich: Ist es egal, wie die Rechtslage aussieht? Sie scheint in diesem Fall nicht ganz mit Ihnen übereinzustimmen. Aber die Klärung ist ja innerhalb der Koalitionsfraktionen und vor allem innerhalb der Union auf der Tagesordnung. Nichtsdestoweniger - ich will Sie, Herr Umweltminister Röttgen, nicht in Schutz nehmen - wollen auch Sie die Laufzeiten verlängern. Die Frage, ob es acht Jahre, zwölf Jahre oder 28 Jahre sind, ist eigentlich nachrangig. Wir wissen, dass es für den Klimaschutz, den Aufbau einer neuen Energiestruktur und den Umbau hin zu den erneuerbaren Energien wichtig ist, dass es beim Atomausstieg bleibt. Deswegen möchte ich noch einmal ein Zitat von Ihnen, Herr Röttgen, aufgreifen. Sie sagten vorhin: Die Konzerne sehnen sich nach Klarheit. - Ich rate Ihnen: Geben Sie den Konzernen die Klarheit zurück. Hören Sie auf, sich mit der Laufzeitverlängerung ein Verliererthema ans Bein zu binden, das Ihnen weiterhin Ärger mit den Länderregierungen einbringen wird! Bleiben Sie beim Atomausstieg! Dieses Gesetz war gut und richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Dr. Georg Nüßlein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Zunächst einmal möchte ich festhalten: Es ist legitim, sich die Frage zu stellen, ob eine so wichtige Entscheidung mit oder ohne Zustimmung des Bundesrates erfolgen kann. Das sagt erst einmal nichts über die politische Umsetzung aus. Wenn Sie heute einen Juristen fragen, wie die Rechtslage ist, dann wird er Ihnen entweder beschreiben, wie es grundsätzlich ist, oder er wird sagen: Es kommt darauf an. Auf dieses "Es kommt darauf an" kommt es an dieser Stelle ausnahmsweise wirklich an. Die Mehrheit der Gutachten, die mir vorliegen, unter anderem eines des Wissenschaftlichen Dienstes, das ich selber in Auftrag gegeben habe, spricht ganz klar von Gestaltungsspielräumen. (Ulrich Kelber [SPD]: Zitieren Sie mal!) Es kommt also auf die Ausgestaltung durch den Deutschen Bundestag an, ob die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist oder nicht. (Ulrich Kelber [SPD]: Vollständig zitieren!) Mehr sagt das zunächst einmal nicht aus. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Wir müssen also überlegen, wie wir damit umgehen. Für den Bundestag ist es zunächst eine wichtige Botschaft, dass es Gestaltungsspielräume gibt. Da der Kollege Kelber von windigen Konstruktionen sprach, obwohl er noch gar nicht weiß, was da im Raum steht, sage ich Ihnen einmal, was eine windige Konstruktion ist, nämlich das, was in dem Zusammenhang im Nordrhein-Westfalen-Wahlkampf gelaufen ist. Da ist Folgendes passiert: Da hat doch tatsächlich ein Sekretär unseres Umweltausschusses unter dem Label des Wissenschaftlichen Dienstes - was ein Skandal an sich ist - publiziert, diese Entscheidung sei zustimmungspflichtig. Das hat er gemeinsam mit einer Rechtsreferendarin gemacht, und es sieht aus wie ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes. Nun wurde es natürlich fleißig von den Grünen im Wahlkampf instrumentalisiert. Das ist windig. (Michael Kauch [FDP]: Genau! Und welcher Partei gehört er an?) - Das muss man noch dazusagen: Der Sekretär des Umweltausschusses hat für die SPD im Bundestag kandidiert, allerdings erfolglos, darum ist er jetzt immer noch Sekretär. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für ein Schauermärchen?) Diese Parteizugehörigkeit macht deutlich, dass meine Worte keine leeren Worte sind, sondern dass es sich tatsächlich um eine Instrumentalisierung des Themas handelt. Das werden wir auch noch - da gibt mir der Kollege Kauch sicher recht - thematisieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU muss ja wissen, wie Instrumentalisierung funktioniert!) Es bringt nichts, in einer Aktuellen Stunde innerhalb weniger Minuten in einen Gutachterstreit einzutreten und Juristisches taktisch gegeneinander abzuwägen. Wir müssen uns Folgendes vor Augen halten: Erstens ist es richtig, dass unser Energiekonzept deutlich macht, wie wir das Energiethema ökonomisch und ökologisch sinnvoll gestalten wollen. Zweitens ist es richtig, dass der Vorrang erneuerbarer Energien im Gesetz steht. Damit ist es falsch, wenn hier behauptet wird, mögliche Laufzeitverlängerungen gingen zulasten der erneuerbaren Energien. Das ist falsch; denn es steht etwas anderes im Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Das Gesetz ist aber nicht die Realität!) - Wenn Sie sagen, das Gesetz sei nicht die Realität, dann sage ich Ihnen ganz offen: Bei uns sind die Gesetze, die wir machen, durchaus Realität. (Ulrich Kelber [SPD]: Vor allem in Bayern! Bayerisches Landrecht!) Wenn Sie das anders sehen, dann tut es mir leid. Drittens ist richtig, dass mit Blick auf das Thema Klimaschutz der Aufwuchs der erneuerbaren Energien zuerst die Energiequellen ersetzt, die CO2 produzieren, und erst danach die Kernenergie. Es macht Sinn, so vorzugehen. Das war mit Blick auf den Klimaschutz erforderlich. Weil Sie vorhin immer von Klientelpolitik und Lobbyismus gesprochen haben, sage ich: Das ist falsch. Wir wollen im Falle einer Laufzeitverlängerung eine Ökodividende abschöpfen und das Geld, das hier zusätzlich generiert wird, in die dringend notwendige Erforschung erneuerbarer Energien stecken. Das hat nichts mit Klientelpolitik zu tun. Ganz im Gegenteil: Wir bringen das Thema voran; das halte ich für ganz entscheidend. Grundfalsch ist, Ideologie vor Realität zu stellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich erspare Ihnen nicht das übliche ceterum censeo an dieser Stelle: Die Grünen haben von Anfang an immer gesagt, Kernenergie sei unverantwortlich, (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) eine brandgefährliche Technologie, und man müsse sofort aussteigen. Aber was haben Sie im Jahr 2000 gemacht? Sie haben die Laufzeit dieser "unverantwortlichen Technologie" um 20 Jahre verlängert. Das ist unverantwortliche und inkonsequente Politik, meine Damen und Herren. Das müssen Sie sich hier noch lange, lange vorhalten lassen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es schneller! - Ulrich Kelber [SPD]: Das war in der Tat grundfalsch, was Sie gesagt haben! Richtig!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Rolf Hempelmann spricht nun für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Rolf Hempelmann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nüßlein, jetzt habe ich Ihre Logik, warum dieses Mal, genau wie im Jahre 2000, keine Länderbeteiligung notwendig ist, endlich verstanden: weil wir, wie Sie gerade gesagt haben, schon damals eine Verlängerung der Laufzeit um 20 Jahre beschlossen haben. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Zumindest wenn man in Ihrer Logik bleibt, ist das nachvollziehbar. Sie gestatten uns aber, dass wir das ein bisschen anders sehen. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Gegenüber der Forderung der Grünen ist das aber richtig!) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn man sich anschaut, was im letzten guten halben Jahr im Bereich der Energiepolitik dieser Regierungskoalition passiert ist, dann fällt einem eigentlich nur eines auf, nämlich die Ankündigung eines Energiekonzeptes für den Herbst 2010. Das Einzige, was darüber hinaus konkret gesagt worden ist, lautet: Wir wollen die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken. - Ansonsten: Funkstille. (Ulrich Kelber [SPD]: Und eine Kürzung bei den Erneuerbaren!) Wenn man sich die Praxis ansieht, also das, was zwischenzeitlich passiert ist, dann stellt man fest: All das, was erfolgreich durchgeführt worden ist, ist mittlerweile in Gefahr. Beispielsweise läuft das erfolgreiche Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien im Wärmebereich jetzt aus; der Finanzminister ist in einem heftigen Streit mit dem Umweltminister. Die Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm werden nur bis etwa Mitte dieses Jahres ausreichen; anschließend wird auch dieses Programm, jedenfalls zunächst einmal, unterbrochen. Das bedeutet, die Strukturen, die aufgebaut worden sind, die Märkte und Arbeitsplätze, die entstanden sind, werden wieder verloren gehen. Tolle Bilanz nach einem halben Jahr! (Beifall bei der SPD) Was das Thema Laufzeitverlängerung angeht, hat es von Anfang an innerhalb der Union und innerhalb der Koalition eine Dissonanz der Stimmen gegeben. Es hat immer wieder Stimmen gegeben, die darauf aufmerksam gemacht haben, welche Folgen man sich damit eigentlich einkauft. Es wurden, zum Beispiel von den neuen Energieanbietern, Gutachten in Auftrag gegeben, in denen darauf hingewiesen wurde, dass schon getätigte Investitionen gefährdet sind und geplante Investitionen zurückgestellt werden, dass also genau das, was Sie, Herr Minister, eingefordert haben, nämlich Planbarkeit und Zuverlässigkeit, verloren gegangen ist und deshalb Investitionen, die dringend notwendig sind, zurzeit unterbleiben und vermutlich auch in der Perspektive nicht getätigt werden. In den Gutachten wurden auch die wettbewerblichen Folgen einer Laufzeitverlängerung thematisiert. Hier werden Strukturen zementiert, die wir eigentlich zurückbauen wollen. Wir werden nämlich erleben, dass insbesondere die großen Vier gestärkt werden, weil sie die Kernkraftwerke haben, und die anderen ihre Marktposition letztlich nicht werden ausbauen können. Vor diesem Hintergrund und insbesondere in Anbetracht der Ziele, die Sie gerade selbst genannt haben - Klarheit und Investitionssicherheit -, kann man nur an Sie appellieren: Rücken Sie von diesem Kurs ab, der auch in Ihren eigenen Reihen höchst umstritten ist. (Beifall bei der SPD) Das Tüpfelchen auf dem i ist die Frage der Länderbeteiligung. Natürlich kann man hier einen Vortrag halten, wie es der Minister gerade getan hat, und suggerieren, dass jetzt alles sauber und ergebnisoffen geprüft wird. Nur, wie wollen Sie dann erklären, was zurzeit in Ihren eigenen Reihen öffentlich geschieht? Erklären Sie doch dann einmal die Äußerungen der Ministerpräsidenten, in deren Ländern Kernkraftwerke stehen, gleichen Sie diese Aussagen mit den Äußerungen der Ministerpräsidenten ab, die auch betroffen sind, in deren Verantwortungsbereich es aber keine Kernkraftwerke gibt, und kommentieren Sie dann die unterschiedlichen Äußerungen auch von Teilen der Bundesregierung. Wenn das alles so harmlos ist, wenn es hier nur um eine ergebnisoffene Prüfung geht, dann würde mich wirklich interessieren, wie diese Dissonanzen tatsächlich zu erklären sind. Ich will es Ihnen sagen: Es ist nicht nur eine verfassungsrechtliche, sondern durchaus auch eine moralische Frage, ob man die Länder, die eindeutig betroffen sind, beteiligt. Experten sagen sogar: Wenn nur Unklarheit besteht, ob es Konsequenzen für die Länder gibt - zum Beispiel finanzielle Folgen -, löst das automatisch eine Zustimmungspflicht aus. Orientieren Sie sich bitte an diesem Grundsatz! Am besten aber: Kommen Sie von einer falschen Energiepolitik ab! Versuchen Sie, wieder in der Kontinuität dessen zu handeln, was in den elf Jahren zuvor aufgebaut worden ist! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Klaus Breil für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Klaus Breil (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist fehl am Platze, weil sie nicht aktuell ist, sondern gezielt irreführend. (Ulrich Kelber [SPD]: Am Samstag hat der Staatsminister das angekündigt!) Sie führt in die Irre, weil dabei bewusst mit falschen Begriffen hantiert wird. Wenn überhaupt, können wir über eine Normalisierung der Laufzeiten reden. (Lachen bei Abgeordneten der SPD - Ulrich Kelber [SPD]: Wann ist denn Ihre Rede geschrieben worden?) Es handelt sich um eine Normalisierung, weil es hier um international übliche Normen geht, um weltweit Normales und Anerkanntes. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind international nicht ganz auf der Höhe!) Ich will Ihnen das einmal bildlich erklären; dann ist es für Sie einfacher zu verstehen. Vor einigen Jahren hat ein rot-grünes Ehepaar noch in den Flitterwochen dem ungeliebten Stiefkind Leonie aus Missmut das Taschengeld gekürzt. Heute, nachdem die rot-grüne Ehe erfolgreich geschieden ist, will Leonie das Taschengeld natürlich wieder in gewohnter Höhe erhalten, und zwar so, wie es alle Geschwister schon immer bekommen haben. Die Stiefmutter ist ja weg. So weit ist es einleuchtend. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nee! - Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Solche Familienverhältnisse gibt es bei den Grünen nicht! - Ulrich Kelber [SPD]: Das mit dem Geld ist ein gutes Beispiel!) Doch auf einmal soll nun Leonie alle ihre Tanten und Onkel um Zustimmung für ein vernünftiges Anliegen bitten, und das, obwohl die Familie bei der Kürzung gar nicht gefragt wurde. (Lachen der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Diese Logik ist mehr als schräg; sie ist widersinnig. Ihre Kollegin, die Sozialdemokratin und rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad, hat dies eingesehen: Vor drei Monaten beschied ihr Ministerium, dass die Neuordnung der Laufzeiten keiner Zustimmung des Bundesrates bedürfe. Natürlich muss man das genau prüfen. Ich zitiere aus der Zusammenfassung eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes vom 5. Mai dieses Jahres: Es liegt weitgehend beim Bundestag, ein Gesetz so zu beschließen, dass die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist. (Ulrich Kelber [SPD]: Zitieren Sie mal den Satz davor auch noch!) Mit deutlicher Mehrheit haben sich die Wählerinnen und Wähler bei der Bundestagswahl für eine sinnvolle und kontrollierte Harmonisierung der Laufzeiten von Kernkraftwerken entschieden. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben sie aber bekanntlich am 9. Mai in NRW korrigiert!) Sie haben sich so entschieden, weil ein weiterer Betrieb der nach internationalem Standard sichersten Kernkraftwerke unsere ökonomisch und ökologisch sinnvollste Option ist. Mit einer Normalisierung der Laufzeiten schaffen wir die Voraussetzung für den in der Geschichte Deutschlands größten Umbau der Energieversorgung: Wir werden die regenerativen Energien in Deutschland zum tragenden Pfeiler unserer Energieversorgung machen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) In diesem Wandlungsprozess entsteht in Deutschland eine gewaltige Großbaustelle in Sachen Energieinfrastruktur, ein energetischer Eurotunnel in Richtung Zukunft. Das bedeutet 1 000 Kilometer neue Energieautobahnen, die den Strom großer Windanlagen von der Küste quer durch ganz Deutschland transportieren. Investitionsbedarf hier: 40 Milliarden Euro. Das bedeutet die Bereitstellung intelligenter Netze, die Stromeinspeisung und Stromverbrauch intelligent regeln. Das bedeutet innovative Speichertechnologien, um regenerative Energie zwischenzulagern, bis sie gebraucht wird. Bei diesem Drahtseilakt bilden unsere Kernkraftwerke das Netz, das uns absichert, bis der Wandel erfolgreich abgeschlossen ist. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte?) Erst wenn die regenerativen Energien genauso verlässlich Strom liefern wie heute die konventionellen Energieträger, können wir auf Kernenergie und Kohle verzichten. Alles andere ist gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu verantworten. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Paul für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Schon wieder ein Taschengeldvergleich?) Dr. Michael Paul (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, dass ich zur Sache spreche, nämlich zum Thema der Aktuellen Stunde: Ist ein Gesetz zustimmungspflichtig, in dem die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert werden? Das hängt natürlich davon ab, was der genaue Inhalt des Gesetzes ist. Wer von vornherein sagt: "Ein solches Gesetz ist immer zustimmungspflichtig", der liegt genauso falsch wie jemand, der sagt: "Ein solches Gesetz ist nie zustimmungsbedürftig". - Auf den Inhalt kommt es an. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das sieht im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht so. Wie sieht es bei einem Gesetz aus, das eine reine Laufzeitverlängerung beinhaltet? Beim Atomrecht führen die Bundesländer das Gesetz im Auftrag des Bundes aus. Es handelt sich also um eine Bundesauftragsverwaltung; Norbert Röttgen hat bereits darauf hingewiesen. In diesem Bereich der Bundesauftragsverwaltung unterscheidet das Bundesverfassungsgericht drei Fälle von Gesetzen. Im ersten Fall ist ein Gesetz zustimmungsbedürftig, wenn der Bund darin den Ländern erstmals eine neue Aufgabe überträgt. Eine neue Aufgabe wird den Ländern aber bei einer Laufzeitverlängerung sicherlich nicht übertragen. Schließlich üben sie bereits seit Beginn der Nutzung der Kernenergie in Deutschland die Aufgabe aus, den Betrieb der Kernkraftwerke zu beaufsichtigen. Das wird auch in der Zukunft so sein. Im zweiten Fall ist ein Gesetz zustimmungsbedürftig, wenn dadurch den Aufgaben der Landesbehörden "eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite" verliehen wird, so das Bundesverfassungsgericht. Bei einer Laufzeitverlängerung ändern sich die Aufgaben der Behörden aber nicht. Schon gar nicht bekommen die Aufgaben eine andere Bedeutung oder Tragweite. Vielmehr beaufsichtigen die Landesbehörden die Kernkraftwerke auch in der Zukunft so, wie sie es bereits schon heute tun müssen. (Ulrich Kelber [SPD]: Das wissen Sie schon vor der Rechtsexpertise? - Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können wir das schriftlich haben?) Sie beaufsichtigen die Kraftwerke zwar zeitlich länger; das ist richtig. Diese zusätzliche Dauer der Verwaltungstätigkeit ist aber rein quantitativ und hat keine neue Qualität. Das Bundesverfassungsgericht hat schon festgelegt, dass eine solche rein quantitative Mehrung von Verwaltungsaufgaben gerade nicht zur Zustimmungsbedürftigkeit führt. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sicherheitsauflagen!) - Zu Ihrem Einwand mit den Sicherheitsanforderungen, Frau Kotting-Uhl, komme ich gleich. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, ich bin gespannt!) Es handelt sich bei einem Gesetz, in dem die bloße Laufzeitverlängerung geregelt wird, vielmehr um den dritten Fall. Hier werden keine neuen Aufgaben übertragen oder bereits übertragene Aufgaben qualitativ verändert. Die Verlängerung der Laufzeiten, also, um es präzise zu sagen, die Erhöhung der Reststrommengen, verändert bloß den Zeitraum, in dem die Landesbehörden die Aufsicht führen müssen. Ein solches reines Laufzeitverlängerungsgesetz ist nach diesen Kriterien des Bundesverfassungsgerichts deshalb nicht zustimmungsbedürftig. Wenn Sie darauf nun entgegnen, dass sich die Länder darauf eingestellt hätten, die Aufgaben nur zeitlich befristet auszuüben, so kann ich dem Kollegen Kauch an dieser Stelle nur zustimmen: Auch bisher konnten sich die Länder gerade nicht auf ein bestimmtes Enddatum einstellen, an dem die Kraftwerke vom Netz gehen. Sie, die Damen und Herren von SPD und Grünen, haben doch in Ihrer Regierungszeit im Jahr 2002 beschlossen, dass die Betriebszeiten nicht befristet, also mit einem festen Enddatum versehen werden, sondern dass eine Reststrommenge abhängig vom Betrieb der Anlage aufgebraucht werden darf. Damit stand für die Länder nicht fest, wann ihre Aufgabe, nämlich über den Betrieb der Kernkraftwerke die Aufsicht auszuüben, endet. Da ich schon beim Ausstiegsgesetz von 2002 bin: Damals musste der Bundesrat dem Gesetz nicht zustimmen; das haben Sie von SPD und Grünen gesagt. Dabei wurden dort nicht nur die Reststrommengen geregelt. Vielmehr haben Sie neue Pflichten eingeführt, auch bei den Sicherheitsauflagen. Jetzt bin ich bei Ihnen, Frau Kotting-Uhl. Sie haben festgeschrieben, dass Kernkraftwerksbetreiber eine periodische Sicherheitsüberprüfung verbindlich durchführen müssen und diese den Landesaufsichtsbehörden vorzulegen sind. (Michael Kauch [FDP]: Hört! Hört!) Die Behörden müssen zusätzlich zu ihren bisherigen Aufgaben genau dies prüfen. Das heißt, all das ist doch viel eher eine Änderung von Vorschriften, durch die die Qualität der Aufgabe verändert wird, als es bei einer bloßen Laufzeitverlängerung sein würde. Trotzdem haben Sie damals erklärt, das Gesetz sei nicht zustimmungsbedürftig. Heute dagegen sagen Sie, ein Gesetz mit einer reinen Laufzeitverlängerung müsse auf jeden Fall zustimmungsbedürftig sein. Das nimmt Ihnen nun wirklich niemand ab. (Beifall bei der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Haben Sie eigentlich Ihrem Minister vorhin zugehört? Oder war Ihre Rede schon fertig geschrieben?) - Ich habe sehr genau zugehört. Ich sehe auch keinen Widerspruch. Das Grundgesetz gibt nicht vor, dass Laufzeiten in jedem Fall nur mit Zustimmung des Bundesrates verlängert werden können. Ob die konkreten Regelungen eines vorzulegenden Gesetzes zustimmungsbedürftig sind, wird die Bundesregierung sehr genau prüfen. Unabhängig davon, ob der Bundesrat zustimmen muss oder nicht, gilt: Auch in Zukunft werden wir in Deutschland die weltweit strengsten Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke haben. Bei der Sicherheit von Kernkraftwerken wird es keine Kompromisse geben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christine Lambrecht (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede meines Vorredners im Zusammenhang mit der Rede des Ministers gesehen, zeigt wunderbar die Unstimmigkeiten auf, die bezüglich der Einschätzung der hier anstehenden Frage herrschen. Herr Röttgen sagt, tendenziell müsse man die Länder beteiligen. "Tendenziell" - das ist für mich ein neuer Rechtsbegriff. Sie sagen: Das ist völlig unproblematisch, man muss die Länder nicht beteiligen. Ich glaube, das zeigt deutlich, was für ein Tohuwabohu bei Ihnen in der Koalition herrscht. Ich finde, das sollten Sie einmal klären. (Beifall bei der SPD) Herr Röttgen, Sie haben uns aufgefordert, diese Frage verfassungsrechtlich und nicht politisch zu prüfen. Man muss sich überlegen, wie Sie auf diese für mich als Juristin hochspannende Frage gekommen sind. Haben Sie innerhalb der Koalition ein rechtspolitisches Seminar besucht und sich diese Frage vorgenommen? Das war es doch wohl nicht. Ich glaube, die Frage, ob der Bundesrat an der Entscheidung zu Laufzeitverlängerungen beteiligt werden soll, wird erst seit einem politischen Ereignis intensiv diskutiert, nämlich ab dem Moment, ab dem Sie durch die Wahlschlappe in NRW die Mehrheit im Bundesrat verloren haben. Das ist der Hintergrund und nicht Ihr Interesse am Verfassungsrecht. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist sehr wohl eine politische Fragestellung. Sie sagen, wir alle müssten ein Interesse daran haben, dass eine Laufzeitverlängerung verfassungskonform beschlossen werden muss, um nicht angreifbar zu sein. Ich sage Ihnen: Daran haben wir kein Interesse. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben weder ein Interesse daran, dass eine Laufzeitverlängerung mit Beteiligung des Bundesrates beschlossen wird, noch haben wir ein Interesse an dem Beschluss einer Laufzeitverlängerung ohne Beteiligung des Bundesrates. Wir wollen überhaupt keine Laufzeitverlängerung in diesem Bundestag beschließen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sie haben gesagt: Die Konzerne brauchen Klarheit. Das zeigt, dass Sie noch nicht lange in diesem Ressort tätig sind. Ich komme aus dem Wahlkreis Bergstraße. In der Nähe liegt das Kernkraftwerk Biblis. Es gibt regelmäßig Gespräche über die Kernkraft. Für mich als bekennende AKW-Gegnerin sind das nicht immer vergnügungsteuerpflichtige Veranstaltungen gewesen. Als wir im Deutschen Bundestag den Atomkompromiss verabschiedet haben, war ich dort zu Gast. Ich habe mich auf einiges eingestellt und mich gefragt, was wohl kommen wird. Herr Röttgen, wissen Sie, was passiert ist? Ein Kraftwerksbetreiber hat mir sehr zur Überraschung einiger quer durch den ganzen Saal ausdrücklich dafür gedankt - hören Sie gut zu, das können Sie überall nachlesen -, dass jetzt endlich Klarheit darüber herrsche, wie es mit den Kraftwerken weitergehe, dass sie endlich Planungssicherheit hätten. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was?) Dafür hat er mir gedankt. Die Klarheit besteht also längst, und zwar durch den Atomkompromiss. Diese Klarheit heben Sie durch das derzeit von Ihnen veranstaltete Tohuwabohu auf. Wenn Sie Klarheit wollen, dann machen Sie endlich Schluss mit den Debatten über die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken. Dann haben die Kraftwerksbetreiber endlich wieder die Planungssicherheit, die sie vorher schon hatten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben uns aufgefordert, dass wir bitte nicht geifern sollen. Ich glaube, Sie haben nicht uns gemeint. Das ging eher in eine andere Richtung. Sie haben wohl den CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gemeint, der Sie zum Rücktritt aufgefordert hat. Ich kann mir vorstellen, dass er der Adressat war. Leider sitzt er nicht hier. Er hat sich wahrscheinlich nicht getraut, an der Debatte teilzunehmen. Ich muss Ihnen sagen: Das ist schon ein unglaublicher Vorgang. Ich bin seit elf Jahren in diesem Parlament. Aber damit, dass ein CDU-Ministerpräsident einen CDU-Umweltminister zum Rücktritt auffordert, weil dieser in einer Angelegenheit, die die Länder betrifft, die Länder gerne mit beteiligen möchte, haben Sie zwar keine Verfassungsgeschichte, aber wenigstens Geschichte geschrieben. Das ist schon ein toller Vorgang. Ich muss sagen: Respekt! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Man könnte sich in der Opposition eigentlich zurücklehnen und zuschauen, wie Sie sich zerfleischen. Aber das wäre unverantwortlich; denn es geht nicht darum, irgendetwas komisch zu finden - das ist es nämlich schon lange nicht mehr -, sondern es geht unter anderem um das Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Ich habe bereits gesagt, dass in meinem Wahlkreis das Atomkraftwerk Biblis steht. Das ist einer der ältesten Meiler. Die Menschen dort haben sehr große Befürchtungen, was die Sicherheit angeht. (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Aber sie sind mehrheitlich dafür!) Darüber hinaus besteht ein großes Problem in Bezug auf Terrorangriffe. Auch das ist aufgrund der Dicke der Betondecke mittlerweile festgestellt. Dort sehen die Menschen die Verlängerung der Laufzeiten ganz anders. Bei der Großdemonstration am 24. April waren mehr als 20 000 Menschen auf den Beinen, nicht weil sie eine Verlängerung der Laufzeiten wollen, sondern weil sie wollen, dass dieser alte Meiler endlich abgeschaltet wird und nicht noch länger am Netz bleibt, weil diese Unsicherheit nicht noch länger zu akzeptieren ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich finde es unglaublich, mit welcher Arroganz Sie über die Interessen der Menschen vor Ort hinweggehen und sie einfach nicht wahrnehmen. Aber das ist anscheinend Ihre Politik. Sie haben aus der Schlappe bei der Wahl in NRW am 9. Mai nichts gelernt. Sie regieren an den Interessen der Menschen vorbei. Dafür werden Sie auch auf Bundesebene die Quittung bekommen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir eine kurze Vorbemerkung: Wir diskutieren bereits eine Stunde lang über die Mitbestimmung des Bundesrates. Der Bundesrat scheint aber gar kein Interesse daran zu haben. Es ist kein Vertreter eines Landes außer von Baden-Württemberg da, und Baden-Württembergs Meinung ist ja bekannt. Insofern ist dies ein klares Signal des heutigen Tages. (Ulrich Kelber [SPD]: Wo sind der Herr Mappus, der Herr Seehofer und der Herr Koch? Die haben doch eine klare Meinung dazu! - Weitere Zurufe von der SPD) Nächster Punkt - das passt gut zu Ihren Einlassungen -: Die Debatte, die Sie heute führen, und die Aktuelle Stunde, die Sie beantragt haben, zeigen nichts anderes, als dass Sie sich in Ihre ideologischen Schützengräben der letzten Jahre zurückgezogen haben und nicht an einer sachlichen Diskussion interessiert sind. (Ulrich Kelber [SPD]: Ganz im Gegensatz zu Ihnen natürlich!) Ein Ziel der nächsten Monate sollte sein, dass wir über dieses Thema sachlich diskutieren. Genauso wenig wie vor einem Jahr, als Ihr damaliger Umweltminister Sigmar Gabriel mit seinem gelben Bauhelm in jede Kamera gelächelt und versucht hat, das Thema hochzuziehen (Ulrich Kelber [SPD]: Welches Thema?) - das Thema Kernenergie - und die Menschen zu verunsichern, werden Sie es heute schaffen, die Menschen zu verunsichern; denn die Menschen sind schon viel weiter und sehen dieses Thema schon viel pragmatischer. (Ulrich Kelber [SPD]: Meinen Sie eigentlich Asse?) 70 Prozent - es wurden ja schon viele Umfragen zitiert - der Menschen sagen, dass sie davon überzeugt sind, dass wir auch in den nächsten zehn Jahren Kernenergie in Deutschland brauchen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überhaupt nicht wahr!) Und mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland sagt, dass wir es ohne Kernenergie gar nicht schaffen, den Beschluss, den Sie vor acht Jahren gefasst haben, umzusetzen. (Ulrich Kelber [SPD]: Quelle benennen! Das ist eine Umfrage des Atomforums! Sie zitieren Lobbyisten! Peinlich!) Ich meine, dass wir Ihre ideologischen Beschlüsse, die Sie vor acht Jahren gefasst und die keine realistische Grundlage haben, in den nächsten Monaten prüfen müssen. Auf einer sachlichen Grundlage werden wir im Herbst ein Energiekonzept vorlegen, das mit dem Thema Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke objektiv umgeht und die Kernenergie als Brücke zu einem Zeitalter der regenerativen Energie sieht. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schon da ist!) Hier sind noch viele Fragen offen. (Beifall bei der CDU/CSU) An dieser Stelle sage ich klar und deutlich: Die Kernenergie hat für uns keinen Selbstzweck, sondern sie ist dazu da, die Brücke zu einer bezahlbaren, sauberen und sicheren Energieversorgung für die nächsten Jahrzehnte zu bauen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sauber und sicher?) Darum sollte es auch in den nächsten Monaten gehen: Wir müssen die Debatte versachlichen. Uns geht es auf alle Fälle um die Sache. Es ist richtig und wichtig, dass wir in den nächsten zwei Wochen noch einmal die fachliche und rechtliche Grundlage überprüfen, damit in zwei Wochen Klarheit herrscht, wenn es geht, auch über die Handlungsfähigkeit des Bundes und der Bundesregierung, gerade bezüglich der Frage, wie wir die Energieversorgung nicht der nächsten zwei, drei Jahre, sondern der nächsten 40 Jahre sicherstellen wollen. Das ist, glaube ich, ein Thema, das uns allen sehr wichtig sein sollte, weil wir große Ziele haben. Wir haben das Ziel, dass wir in den nächsten zehn Jahren 30 Prozent der Energie aus regenerativen Energien erzeugen wollen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahnsinnig ambitioniert!) Dazu gehört auch, dass wir in den nächsten Jahren die Grundlast sicherstellen müssen. Die Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben es schon dargelegt: Wir brauchen nach wie vor eine Grundlast, die sicher ist. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Güte!) Wir haben einen enormen Anstieg der Energieerzeugung mit fluktuierenden Energieträgern, zum Beispiel Wind. Wir brauchen - das ist ebenfalls eine große Herausforderung - erneuerbare Energie, die grundlastfähig ist. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Erneuerbaren sind schon lange grundlastfähig!) Auch das ist ein Punkt, den wir noch gemeinsam besprechen müssen. Wir werden trotzdem auf grundlastfähige Großkraftwerke nicht verzichten können. Deshalb müssen wir die Frage stellen, wie wir die ambitionierten Klimaschutzziele, die wir uns für die nächsten zehn Jahre vorgenommen haben, erreichen wollen. Eine Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent ist ein Ziel, das sogar Ihre Erwartungen bei weitem übertrifft. Das können wir nur dann schaffen, wenn wir die nächsten Jahre auf Kernenergie bauen und damit zu CO2-Minderungen beitragen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Alles andere wäre aus meiner Sicht ein klimapolitischer Irrflug. Letzter Punkt. Beim Thema Kernenergie ist die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands entscheidend. Ich glaube, die Debatten, die wir heute Morgen hier im Hohen Hause geführt haben, haben gezeigt, dass es im Kern um die Frage geht, wie wir in den nächsten Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sicherstellen, wie wir Wohlstand und Wachstum sowie Arbeitsplätze generieren können. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie machen wir das denn zurzeit?) Auch in diesem Kontext ist die Energiepolitik ein entscheidender Baustein. Es geht darum, den Übergang zu regenerativen Energien sicherzustellen, aber auch darum, bezahlbare und saubere Grundlast für die Zukunft zu gewährleisten. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Atomstrom ist nicht sauber!) Ich kann Ihnen nur raten, einmal Ihre Kollegen in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und Skandinavien zu fragen. All diese Länder bauen die Kernenergie in den nächsten Jahren sogar aus und generieren daraus entsprechende Wettbewerbsfähigkeit. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja, das sehen wir dann mal! Im Moment wird überall abgebaut! - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Großbritannien hat sich schon wieder davon verabschiedet!) In diesem Sinne werden wir ohne große Ideologie und ohne große Verunsicherung in den nächsten Monaten Energiepolitik aus einem Guss machen und an dem Thema weiter arbeiten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Marco Bülow hat nun für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Marco Bülow (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Röttgen ruft zur Versachlichung der Diskussion auf, und auch mein Vorredner aus Baden-Württemberg macht das. Ich finde das gut, aber dann fangen Sie doch einmal in der Union mit der sachlichen Diskussion an. Ich finde es komisch, es sachlich zu nennen, dass ein Unionsministerpräsident einen Unionsumweltminister zum Rücktritt auffordert. Wenn das eine sachliche Diskussion ist, dann können wir gern auf dem Niveau weiterdiskutieren. (Beifall bei der SPD - Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Meinungsfreiheit, Herr Kollege!) Herr Mappus möchte in die Fußstapfen von Franz Josef Strauß steigen. Da braucht man natürlich eine gewisse Rabulistik; das kann ich gut verstehen. Ich glaube aber, dass es der Debatte insgesamt nicht weiterhilft. Schauen wir uns das Demokratieverständnis einmal genauer an. Es gibt drei Bundesländer, die alles tun, damit sie selbst nicht mehr mitreden können, damit sie selbst keinen Einfluss mehr auf eine Diskussion haben können. Das heißt, sie wollen sich selbst entmachten. Das ist im Augenblick das Demokratieverständnis von Bayern, Hessen und Baden-Württemberg; diese Landesregierungen sind unionsdominiert. Ausgerechnet diese drei Länder entdecken auf einmal, dass sie zu dem Thema eigentlich nichts mehr sagen wollen und sich da heraushalten wollen. Gut, wenn sie das wollen, dann können sie sich insgesamt gern aus der Diskussion zurückziehen und auch in Zukunft über alle Angelegenheiten, die mit Atomenergie zu tun haben, schweigen. Ich glaube, wenn sie das bereits früher getan hätten, dann wären wir in der gesamten Diskussion schon einen Schritt weiter. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Lobbyisten haben es geschafft - sie haben in diesem Bereich ganze Arbeit geleistet -, dass es sogar so weit kommt, dass sich diese drei Länder zurückziehen wollen. Ich frage mich allerdings, warum diese drei Länder - sie haben immer noch die gleichen Regierungskonstellationen - gefordert haben, dass sie bei der Atomgesetzgebung, bei der Verlängerung der Laufzeiten im Bundesrat mitbestimmen wollen. Das können Sie sich auf Drucksache 7/1/02 genau anschauen. Diese drei Länder wollten vor acht Jahren genau das Gegenteil von dem, was sie im Augenblick vorbringen. Schauen Sie von der Union sich diese Drucksache einmal genauer an. Dann erklären Sie uns bitte, wie es zu diesem Sinneswandel gekommen ist. Meine Kollegin Frau Lambrecht hat darauf hingewiesen, dass es nur daran liegen kann, dass man nach der NRW-Wahl festgestellt hat, dass das nicht mehr so einfach wird im Bundesrat und man deswegen auf einmal eine andere politische Diskussion herbeiführen und den Bundesrat nicht mehr beteiligen möchte. Aber so einfach wird das nicht sein. Dafür werden wir schon sorgen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sie haben es ohne Bundesrat gemacht!) Zu den Gutachten - korrigieren Sie mich gegebenenfalls -: Wir haben zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes. Scherzhaft könnte man sagen, dass wir noch ein drittes Gutachten machen könnten. Wir könnten den Wissenschaftlichen Dienst beauftragen, zu sondieren, was die Union überhaupt will. (Beifall der Abg. Christine Lambrecht [SPD]) Das ist mir auch in der Diskussion heute nicht klar geworden. Vielleicht sollte man den Wissenschaftlichen Dienst auch da einmal dransetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Prinzip geht es Ihnen wie bei allen Diskussionen, die wir in den letzten Jahren hier über Atompolitik geführt haben, nur um Tricksen, Täuschen und Tarnen. Wie bei Gorleben geht es auch bei der Laufzeitverlängerung nur darum: Augen zu und schnell durch, damit Sie Ihre Laufzeitverlängerung bekommen und der Atommüll möglichst schnell weg ist, egal was danach passiert, egal was die nächsten Generationen aufgrund Ihrer Politik ausbaden müssen. Darum geht es Ihnen. Sie wollen das Ganze gegen die Interessen der Menschen durchsetzen. Sie wollen das möglichst intransparent haben und jetzt auch noch ohne Mitbestimmung und Einmischung der Länder. Ich sage Ihnen: Man kann sich ja darüber streiten und zu unterschiedlichen Auffassungen kommen, aber Sie hätten die Chance gehabt, zumindest die Minderheit der Bevölkerung auf eine seriöse Art und Weise mitzunehmen. Sie hätten fernab von juristischen Entscheidungen sagen können: Wir machen das transparent; wir lassen die Länder natürlich mitentscheiden und mitbestimmen; wir diskutieren öffentlich darüber, wie mit der Laufzeit verfahren werden soll und was mit den Gewinnen und der Gewinnabschöpfung geschehen soll. Wenn Sie das gemacht hätten - einige aus der Union wollen das anscheinend -, hätten Sie unsere Zustimmung zwar trotzdem nicht bekommen, aber Sie hätten die Chance auf eine sachliche Diskussion gehabt und zumindest eine Minderheit in diesem Land mitnehmen können. So aber werden Sie genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir durch den Konsens erreicht haben. Wir haben eine Befriedung dieser Republik erreicht. Die Menschen waren unglaublich aufgestachelt, bevor es den Atomkonsens gab. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wer hat sie denn aufgestachelt?) Sie stacheln die Leute wieder auf. Die Leute werden noch öfter, als das in den letzten Monaten der Fall war, auf die Straße gehen. Den Konflikt werden Sie in dieser Republik sehen. Sie sind dafür verantwortlich, dass er da ist. Wir werden politisch alles tun, damit Sie die Laufzeitverlängerung weder über den Bundesrat noch hier im Bundestag durchsetzen können. Diese Kampfansage können Sie von uns heute bekommen. Sie von der CDU haben vor der NRW-Wahl gesagt: Das ist auch eine Probeabstimmung über die Atompolitik. Die Bürgerinnen und Bürger haben sich am Sonntag, den 9. Mai 2010, entschieden, der Atomenergie keine Zukunft zu geben. Das wird Sie auch im Bund ereilen, wenn Sie nicht umdenken. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Wie viel Prozent hat die SPD denn mehr in Nordrhein-Westfalen? - Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: 6 Prozent seit der letzten Bundestagwahl, Herr Kollege, wenn Sie rechnen können! - Gegenruf des Abg. Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Jetzt müssen Sie sich schon auf die Bundestagwahl beziehen, weil das andere zu peinlich ist!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Thomas Gebhart hat nun für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Beginn will ich ganz offen sagen: Manche Äußerung, die ich in den letzten Tagen in den Zeitungen gelesen habe, hat mich nicht begeistert. (Christine Lambrecht [SPD]: Herr Mappus?) Ich sage auch: Dieser Streit, den die Opposition jetzt zu schüren versucht - das ist völlig klar -, (Rolf Hempelmann [SPD]: Den brauchen wir nun wahrlich nicht zu schüren!) ist in dieser Form überflüssig und bringt uns in der Sache am Ende nicht weiter. (Ulrich Kelber [SPD]: Doch! Wir fordern den Rücktritt von Mappus und Röttgen!) Lassen Sie uns lieber über die Sache diskutieren. Lassen Sie uns über die eigentlich wichtige Sache diskutieren, nämlich über die Frage, wie es mit der Energieversorgung in unserem Land weitergeht. Wie schaffen wir es, die erneuerbaren Energien voranzubringen? Wie geht es weiter, und was macht Sinn im Hinblick auf die Frage der Kernenergie? Wenn es um diese Fragen geht, haben wir eine klare Zielsetzung. Wir haben ein ganz klares Leitbild: Uns geht es um eine nachhaltige Entwicklung. Wir wollen eine Politik betreiben, die über den Tag hinausgeht. Wir wollen Umweltschutz, die wirtschaftlichen Ziele und die sozialen Aspekte in Einklang bringen. Das ist die große Herausforderung. Darum geht es. Zugleich ist das eine große Chance für unser Land. (Beifall bei der CDU/CSU - Rolf Hempelmann [SPD]: Deswegen müsst ihr euch doch nicht so streiten!) Ich will an dieser Stelle ausdrücklich hinzufügen: Wir können froh sein, dass wir mit Norbert Röttgen einen Umweltminister haben, der diese Themen richtig anpackt und nach vorne bringt. Die Politik, die dieser Minister betreibt und verantwortet, schafft am Ende ein gutes Stück Zukunft für unser Land, und darum geht es. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie woanders erzählen!) Wir werden in diesem Jahr ein Energiekonzept vorlegen. Es wird darum gehen, eine Energieversorgung zu schaffen, die verlässlich ist, die sauber ist, die aber auch bezahlbar bleibt. Dies dürfen wir nie vergessen. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es fehlt das Wort "Sicherheit"!) Ich will an dieser Stelle nur ganz kurz wenige, aber wichtige Eckpunkte nennen, um die es am Ende geht: Erster Punkt. Wir werden weiterhin auf Energieeffizienz setzen; das ist völlig klar. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fangen Sie erst einmal an damit!) Zweiter Punkt. Wir werden weiterhin auf Forschung und Entwicklung setzen. Forschung und Entwicklung sind der Schlüssel zur Lösung der Probleme. Wir müssen insbesondere auf Speichertechnologien setzen, wenn wir die Erneuerbaren voranbringen wollen. Auch im Hinblick auf die Elektromobilität müssen wir bei den Speichertechnologien entscheidend vorankommen. (Ulrich Kelber [SPD]: Deswegen hat Norbert Röttgen das Speichergesetz 2008 zu Fall gebracht!) Mein dritter Punkt hängt mit den ersten beiden eng zusammen: Wir wollen und werden die erneuerbaren Energien voranbringen. Wir wollen, dass der Anteil der erneuerbaren Energien Schritt für Schritt ausgebaut wird. Zu dieser Politik stehen wir, und dies werden wir auch umsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber auch hier gilt: Lassen Sie uns mit ökonomischer Vernunft an die Sache herangehen; denn auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien gilt es auf die Effizienz zu achten. Ich komme zu meinem vierten Punkt. Es macht aus unserer Sicht keinen Sinn, wenn wir bei uns Kernkraftwerke abschalten und den Strom, den diese Kernkraftwerke erzeugt haben, durch Importe ersetzen oder ihn in zusätzlichen Kohlekraftwerken erzeugen. Ihr Parteichef Gabriel hat noch vor einem Jahr überall gesagt: Wenn wir aus der Kernkraft jetzt aussteigen, brauchen wir als Ersatz acht bis zwölf neue Kohlekraftwerke. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland ist Stromexportland! - Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben sogar Strom exportiert, als sieben AKWs nicht am Netz waren!) Meine Damen und Herren, das macht keinen Sinn, das wäre ein Rückschritt, und zwar in jeder Hinsicht. Wir würden die Klimaschutzziele in unserem Land mit Sicherheit nicht erreichen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einmal das Gutachten Ihres eigenen Sachverständigenrates!) Deswegen sagen wir ganz klar: Die Kernkraft hat eine Brückenfunktion, sie ist eine Brücke hin zu den erneuerbaren Energien. Wir sind uns in dieser Frage völlig einig; das ist im Koalitionsvertrag entsprechend verankert. Wir brauchen die Kernkraft, bis sie verlässlich durch erneuerbare Energien ersetzt werden kann. Das ist unser Ziel. Das ist, denke ich, insgesamt ein vernünftiger Weg, wesentlich vernünftiger als das, was ich hier an manchen Stellen von Ihnen gehört habe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Deswegen brauchen wir eine Laufzeitverlängerung. Wir müssen die Laufzeiten um ein paar Jahre verlängern. (Zuruf: Wie lange denn?) Klar ist - auch dies wurde deutlich gesagt -: Die Sicherheit hat dabei Priorität. (Rolf Hempelmann [SPD]: Die Verlängerung hat bei euch Priorität!) Wenn es uns am Ende gelingt, die Laufzeiten zu verlängern und gleichzeitig einen guten Teil der Zusatzerlöse in die Forschung und in erneuerbare Energien zu stecken, haben am Ende alle gewonnen; denn dann können wir den Weg zu einer neuen, nachhaltigen Energieversorgung mit einem hohen Anteil Erneuerbarer schneller gehen. Das, meine Damen und Herren, macht insgesamt Sinn und ist Teil einer verantwortbaren nachhaltigen Politik. Dies ist und bleibt unser Maßstab. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Änderung wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister der Verteidigung, Herr Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg. Bitte, Herr Minister. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Beschlussfassung des Kabinetts zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 haben wir einen wichtigen Schritt zu dem im Koalitionsvertrag festgehaltenen Ziel, den Wehrdienst und in der Folge auch den Zivildienst bis zum 1. Januar 2011 auf sechs Monate zu verkürzen, umgesetzt. (Abg. Agnes Malczak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Frage) - Für Befragungen stehe ich gerne zur Verfügung. Für Fragen, die mit dem Zivildienst im Zusammenhang stehen mögen, ist die Frau Kollegin Schröder zugegen; auch sie ist gerne bereit, entsprechende Fragen zu beantworten. Die getroffene Regelung gilt erstmals für Wehr- und Zivildienstleistende, die ihren Dienst ab dem 1. Juli 2010 antreten werden. Von Beginn an habe ich deutlich gemacht, dass die Verkürzung des Wehrdienstes nicht als Einstieg in den Ausstieg aus der Wehrpflicht missverstanden werden darf. Vielmehr geht es darum, die Wehrpflicht zu erhalten und angemessen fortzuentwickeln. Die Anforderungen der Streitkräfte und die berechtigten Bedürfnisse der jungen Wehrpflichtigen waren hier zu einem Ausgleich zu bringen, und gleichzeitig war der Zivildienst mit seinen Besonderheiten zu berücksichtigen. Wir haben unser Konzept daher von Anfang an eng und vertrauensvoll mit dem Familienministerium abgestimmt, und mit dem Gesetzentwurf liegt nun ein tragfähiges Konzept zur Ausgestaltung des kürzeren Wehrdienstes vor, das auch die Anliegen des Zivildienstes berücksichtigt. Damit haben wir insgesamt eine gute, eine zielführende Lösung gefunden, eine Lösung, zu der ich sagen kann, dass es mich freut, dass wir hinsichtlich des Vorhabens des Familienministeriums, die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes zu schaffen, zu einem abgestimmten Vorgehen gelangt sind. Wir tragen damit auch dem Gedanken Rechnung, dass sich die Struktur der Wehrpflicht auch beim Zivildienst widerspiegeln soll. Ich will, dass dieser Wehrdienst der Zukunft als Angebot verstanden wird. Die jungen Männer von heute sollen die Zeit bei der Bundeswehr in kompakter Form als eine sinnvolle, eine fordernde und damit auch eine attraktive Zeit erleben. Gleichzeitig stellt der Wehrdienst der Zukunft ein Angebot dar, noch schneller ins Berufsleben, ins Studium oder in die weiterführende Ausbildung zu gehen bzw. zurückzukehren. Er soll zum einen zur Verklammerung zwischen der Bundeswehr und der Gesellschaft beitragen und zum anderen den in der Gesellschaft vorhandenen breiten Konsens über die allgemeine Wehrpflicht bekräftigen. Bei der Ausplanung habe ich mich von folgenden Überlegungen leiten lassen: Zum Ersten wird es flexible Einberufungstermine geben, acht pro Jahr. Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, die vorhandene Infrastruktur ohne zusätzlichen finanziellen Aufwand zu nutzen und besser auf die individuelle Lebensplanung einzugehen. Zum Zweiten. Die Möglichkeit der flexiblen Anpassung der allgemeinen Grundausbildung hat das Ziel, zivilberufliche Qualifikationen zu nutzen und die Grundwehrdienstleistenden bis zu vier Monate auf Funktionsdienstposten einzusetzen. Drittens muss sichergestellt sein, dass jederzeit ein problemloser Statuswechsel zum freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst Leistenden oder Soldaten auf Zeit möglich ist. Viertens. Mit einem Grundumfang von 25 000 Grundwehrdienstleistenden erreichen wir durch die Verkürzung eine höhere Einberufungsquote - zukünftig werden 50 000 Grundwehrdienstleistende im Jahr anstatt 40 000 wie derzeit bei W 9 einberufen - und eine Erhöhung der Ausschöpfungsquote, und wir können den Bedarf über 2012 hinaus decken. Bei einem Umfang von 30 000 Grundwehrdienstleistenden aufgrund der demografischen Entwicklung und der Zahl heranziehbarer junger Männer wäre das andernfalls nicht möglich. Wir schaffen damit wesentliche Voraussetzungen für die Umsetzung des verkürzten Wehrdienstes der Zukunft. Dieser muss den sicherheitspolitischen Erfordernissen und den Interessen der Bundesrepublik gerecht werden und im Einklang mit der zunehmenden Einsatzorientierung der Bundeswehr sein. Mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz wird der Rahmen gesetzt, und es kommt nun darauf an, dass die Teilstreitkräfte, die Organisationsbereiche und die Vorgesetzten vor Ort ihren Handlungsspielraum mit Kreativität und Engagement im Sinne des genannten Ziels umsetzen. Eine frühzeitige Planungssicherheit ist für die Streitkräfte genauso wichtig wie für die von der Wehrpflicht betroffenen jungen Männer. Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung. Herzlichen Dank. Vizepräsidentin Petra Pau: Danke, Herr Minister. - Die erste Frage stellt die Kollegin Heidrun Dittrich. Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Minister, da ich zum Zivildienst frage, möchte ich mich an die Familienministerin Frau Schröder wenden. Hat Ihrer Auffassung nach der Zivildienst die Funktion eines Ersatzdienstes für den Wehrdienst, oder könnte der Zivildienst auch einen Versorgungsauftrag im Sozialbereich beinhalten? Denn aufgrund der zahlreichen Klagen der Sozialverbände über bevorstehende Engpässe im Gesundheits- und Pflegebereich muss sich die Regierung fragen, ob der Zivildienst wirklich arbeitsmarktneutral eingesetzt wurde oder Arbeitsplätze vernichtet hat. Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte, Frau Ministerin. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Kollegin, das ist eindeutig geregelt: Der Zivildienst ist Wehrersatzdienst. All das, was wir über die große Bedeutung des Zivildienstes für die Träger wie auch für die Betreuten in den verschiedenen Einrichtungen wissen, ist nicht ausreichend, um den Zivildienst zu begründen. Der Zivildienst ist nichts anderes als Wehrersatzdienst. Die von Ihnen angesprochene Arbeitsmarktneutralität wird vom Bundesamt für den Zivildienst akribisch überprüft. Jede Stelle, die als Zivildienstträger anerkannt werden will, wird sehr genau auf Arbeitsmarktneutralität überprüft, um sicherzustellen, dass keine bestehende Arbeitsstelle ersetzt wird oder wegfällt und kein Einsatz dort stattfindet, wo es sonst eine Arbeitsstelle gäbe. Das wird nicht nur am Anfang, sondern durch Außendienstmitarbeiter des Bundesamtes für den Zivildienst immer wieder überprüft. In Fällen, wo das nicht gegeben ist, wird die Anerkennung als Zivildienstträger aberkannt. Dass es trotzdem Klagen der Zivildienstträger darüber gibt, dass der Zivildienst de facto um ein Drittel verkürzt wird, zeigt, dass die Zivildienstleistenden in den Einsatzstellen eine wichtige Funktion haben; denn sie leisten die Dinge, für die sonst nicht immer Zeit ist, und werden unterstützend tätig. Insofern zeigt es die Bedeutung des Zivildienstes, aber es ändert nichts an dem Charakter des Wehrersatzdienstes und der Arbeitsmarktneutralität. Vizepräsidentin Petra Pau: Ein kurzer Hinweis, bevor ich die nächste Frage aufrufe: Wie Sie alle erkannt haben, stehen aufgrund der Thematik Ministerin Schröder und Minister zu Guttenberg zur Beantwortung der Fragen zu diesem Gegenstand der heutigen Kabinettsitzung zur Verfügung. Das Wort zur nächsten Frage hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels. Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Diese Frage richtet sich an den Minister. Sie haben ausgeführt, dass in Zukunft auf 25 000 Dienstposten W 6 die Möglichkeit der Einberufung von 50 000 Wehr-pflichtigen besteht. Das sind 10 000 Wehrpflichtige mehr als nach dem alten Modell der 30 000 Dienstposten W 9 mit 40 000 Einberufungsmöglichkeiten. Das heißt aber, dass Sie in der Struktur der Bundeswehr mit 252 000 Uniformierten 5 000 Dienstposten nicht mehr besetzt haben. Es gibt nicht mehr 30 000, sondern nur noch 25 000 Dienstposten für Grundwehrdienstleistende. Soll das kompensiert werden? Wird an anderer Stelle in diesem Umfang Kapazität aufgebaut? Oder ist das der Einstieg in die Verringerung des Umfangs der Bundeswehr aus Haushaltsgründen? Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Dr. Bartels, Haushaltsgründe dürfen nicht maßgeblich sein, um eine Entscheidung dieser Tragweite zu treffen. Diese Entscheidung hat andere Gründe, die ich auch versucht habe darzulegen. Es ist richtig, dass wir im Rahmen einer solchen Zahl etwas aufzufangen haben. Da geht der erste Versuch - das ist auch der naheliegendste - zunächst einmal dahin, dass wir dies über jene, die ihren Dienst freiwillig länger leisten, bzw. über Soldaten auf Zeit aufzufangen wissen. Es hat wiederum haushalterische Auswirkungen, wenn man dann einen gewissen Betrag auffangen muss. Das ist in einigen Bereichen auch unzweifelhaft teurer. Derzeit findet noch eine genaue Überprüfung statt, in welchen Bereichen das über einen gewissen Dienstpostenansatz hinaus darzustellen ist. Es sind aber keine haushalterischen Gründe. Vielmehr muss es aufgefangen werden, und es wird aufgefangen werden. Gleichzeitig befasst sich, wie wir wissen, in diesem Jahr eine Strukturkommission mit den künftigen Strukturen der Bundeswehr. Sie hat den Gesetzentwurf zur Verringerung der Wehrpflicht auf sechs Monate zur Grundlage und kann sicherlich im Hinblick darauf noch an der einen oder anderen Stelle daran feilen. Vizepräsidentin Petra Pau: Die nächste Frage stellt der Kollege Kai Gehring. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich würde Ihnen gerne eine Frage zur optionalen Verlängerung des Zivildienstes stellen, die wir politisch und fachlich für falsch, für zustimmungspflichtig im Bundesrat und verfassungsrechtlich sehr fragwürdig erachten. Dazu wären meine Fragen: Welche Kosten werden durch die optionale Verlängerung konkret anfallen - es ist die Rede von rund 75 Millionen Euro im Haushalt -, an welcher Stelle im Familienhaushalt wollen Sie diese Mittel einsparen - das muss ja sozusagen gegenfinanziert werden -, und woher sollen angesichts der aktuellen Haushaltslage die Haushaltsmittel für den Ausbau der Freiwilligendienste kommen, den Sie und andere Regierungsmitglieder seit Monaten ankündigen? Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kollege Gehring, zunächst eine Bemerkung zu Ihrer Aussage, unsere freiwillige Verlängerung sei verfassungswidrig, weil der Bund gar nicht zuständig sei. Der Bund ist zuständig für die Verteidigung, damit für die Wehrpflicht und damit auch für den Zivildienst. Der Bund ist auch dann zuständig, wenn es um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis des Bundes geht. Beides ist hier der Fall. Zu den Kosten; Sie haben den Betrag von 75 Millionen Euro angesprochen. Das ist eine Schätzung. Sie geht davon aus, dass 30 Prozent der Zivildienstleistenden die Möglichkeit einer freiwilligen Verlängerung ergreifen würden. Wir haben unterschiedliche Umfragen gemacht. Bei diesen Umfragen haben sogar 50 Prozent der Zivildienstleistenden erklärt, an einer solchen freiwilligen Verlängerung interessiert zu sein. Aber da es doch immer einen Unterschied zwischen Absicht und Praxis gibt, halten wir den Wert von 30 Prozent für eine ganz realistische Grundlage. Woher kommt das Geld? Durch die Verkürzung des Zivildienstes fallen zunächst einmal 180 Millionen Euro weniger an Kosten an. Dadurch, dass die Zivildienstzeit ein Drittel kürzer wird, fallen entsprechend weniger Kosten an, nämlich 180 Millionen Euro weniger. Die freiwillige Verlängerung würde, wenn sich ein Drittel dazu entschließt, rund 75 Millionen Euro kosten. Diese Mittel würden wir gern in den Haushalt einstellen. Es ist dann die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, ob er sie uns auch gewährt. Also: 180 Millionen Euro weniger an Kosten, davon 75 Millionen für die freiwillige Verlängerung. Wir sind uns einig, dass es einer Stärkung der Freiwilligendienste bedarf; denn um den Wegfall an Zivildienstzeit aufzufangen, bedarf es schon zweierlei, einerseits der Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes und andererseits der Stärkung der Freiwilligendienste. Deswegen sagen wir, dass mindestens die Mittel, die durch die Streichung des § 14 c Abs. 4 ZDG frei werden, den Freiwilligendiensten direkt zur Verfügung gestellt werden sollten. Wir sind uns einig, dass es darüber hinaus noch einer Stärkung bedarf. Deshalb wird Mitte Juni ein Konzept zur Stärkung der Freiwilligendienste vorgelegt. Vizepräsidentin Petra Pau: Die nächste Frage stellt der Kollege Markus Grübel. Markus Grübel (CDU/CSU): Frau Bundesministerin, können Sie uns sagen, wie die großen Träger des Zivildienstes - Caritas, Diakonie, Parität, Deutsches Rotes Kreuz - auf die geplante freiwillige Verlängerung, so wie sie jetzt im Gesetzentwurf ausgestaltet ist, reagiert haben? Dann noch eine Frage zu den Übergangsregelungen, die viele interessieren. Ich weiß nicht, ob die Bundeswehr zum 1. Mai einberufen hat, aber zum Zivildienst wurde zum 1. Mai einberufen. Was passiert mit denen, die am 1. Mai ihren Dienst begonnen haben, mit denen, die am 1. Juni, am 1. Juli oder am 1. August ihren Dienst beginnen werden? Können Sie, Herr Bundesminister zu Guttenberg, oder Sie, Frau Bundesministerin Schröder, diese Frage kurz beantworten? Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Zunächst zur Reaktion der Träger des Zivildienstes. Sie haben fast ausnahmslos positiv reagiert. Sie haben uns in den letzten Monaten auch sehr deutlich gemacht, dass die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung ihnen ein großes und wichtiges Anliegen ist. Deswegen war die Reaktion von Caritas, Diakonie und Parität gestern auch uneingeschränkt positiv. Zur Frage der Übergangsregelungen. Zunächst gilt ganz klar: Wer ab dem 1. Januar 2011 seinen Zivildienst antritt, hat nur noch ein halbes Jahr abzuleisten. Der Zivildienst von jemandem, der zum 31. Dezember 2010 im Minimum sechs Monate abgeleistet hat, endet auch. Das heißt: Wer zum 1. Mai anfängt, hat noch acht Monate Zivildienst zu leisten. Zum 1. Juni sind es entsprechend sieben Monate, und zum 1. Juli sind es sechs Monate, die noch abzuleisten sind. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Das gilt - große Überraschung - analog auch für die Bundeswehr. Zum 1. Mai ist allerdings nicht eingezogen worden. Aber um noch einmal den Grundgedanken zu erläutern: Der 1. Januar 2011 ist der Stichtag. Es soll gewährleistet werden, dass jemand, der am 1. Juli einberufen wird, sechs Monate abzuleisten hat. Wir mussten seitens der Bundeswehr genau überprüfen, ob das leistbar ist; denn man ist in den Planungen noch von einem drei Monate längeren Grundwehrdienst ausgegangen. Diese Verkürzung ist aber zu handhaben und abzufedern. Insofern können wir mit dem 1. Juli gut leben. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort für die nächste Frage hat der Kollege Harald Koch. Harald Koch (DIE LINKE): Meine Frage richtet sich an den Herrn Verteidigungsminister. Die Bundesregierung begründet die Notwendigkeit dieser Gesetzesreform damit, dass die Wehrgerechtigkeit verbessert, der Wehrdienst sinnvoller ausgestaltet und die zivile Qualifikation der Wehrpflichtigen besser genutzt werden sollen. Wie soll eine bessere Berücksichtigung der zivilen Qualifikationen der Wehrpflichtigen gewährleistet werden? - Danke schön. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Vielen Dank für die Frage, Kollege Koch. - In den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es diesbezüglich Defizite. Man hat manchmal nicht ausreichend nach den zivilen Fähigkeiten und der Ausbildung der jungen Menschen gefragt, um sie in der Bundeswehr zielgerichtet einzusetzen. Die erste Möglichkeit, nach Fähigkeiten und Qualifikationen zu fragen sowie die Dienstposten entsprechend einzuteilen, haben die Kreiswehrersatzämter. Dafür ist das Wechselspiel zwischen Kreiswehrersatzämtern und den verschiedenen Truppenteilen zu verbessern. Auf Funktionsdienstposten und in bestimmten Teilbereichen gereicht eine gewisse Vorausbildung zum Nutzen beider Seiten, sowohl zum Nutzen der Bundeswehr als auch zum Nutzen des jungen Menschen, der entsprechend seinen Fähigkeiten eingesetzt wird; das ist ein wesentlicher Punkt. Das ist ein sehr sinnvoller Ansatz; denn damit kann einer gewissen Neigung zur Willkür entgegengewirkt und eine entsprechende Begabung genutzt werden. Da Sie auch auf die Wehrgerechtigkeit abgehoben haben, möchte ich ergänzend hinzufügen: Ich erinnere daran, dass sich das Prinzip des Wehrdienstes und der Wehrpflicht in Deutschland nicht auf dem Gedanken der Wehrgerechtigkeit gründet, wiewohl wir bei der Ausschöpfungsquote durch das jetzige Konzept ein wenig weiterkommen. Vizepräsidentin Petra Pau: Die nächste Frage stellt die Kollegin Agnes Malczak. Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Herr Minister, der Wehrdienst stellt einen sehr extremen Eingriff in das Leben und die Lebensplanung junger Männer dar und muss eigentlich immer wieder legitimiert werden. Deshalb möchte ich Sie gern mit einem Zitat von Roman Herzog konfrontieren: Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. ... Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet werden können. Ich habe in den Monaten, in denen über diese Reform intensiv diskutiert wurde, eine fundierte sicherheitspolitische Begründung vermisst. Vielleicht können Sie mir heute eine geben. - Vielen Dank. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Herzlichen Dank, Frau Kollegin. - Zu einer sicherheitspolitischen Begründung zählt natürlich weiterhin die Funktionsfähigkeit der Armee, auch im Hinblick auf die Betriebs- und Schutzfunktionen im Inland. Das ist Grundvoraussetzung dafür, dass Einsätze auch im Ausland funktionieren. Um diese Funktionsfähigkeit zu gewährleisten, sind wir weiterhin darauf angewiesen, zielgerichtet auf Wehrpflichtige zurückzugreifen. Das passt sehr wohl zum großen Bogen der sicherheitspolitischen Herausforderungen und damit zur Begründung. Vizepräsidentin Petra Pau: Die nächste Frage stellt der Kollege Ralph Lenkert. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Frau Ministerin Schröder, die Bezahlung, die finanzielle Entschädigung der Zivildienstleistenden ist nicht unbedingt üppig. Wenn ein Zivildienstleistender freiwillig seinen Zivildienst verlängert, kann er dann wenigstens mit Kündigungsschutz für diese Zeit rechnen? Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ja, denn es handelt sich um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis des Bundes. Hier gelten die gleichen Kündigungsvorschriften. Vizepräsidentin Petra Pau: Die nächste Frage stellt der Kollege Rainer Arnold. Rainer Arnold (SPD): Herr Minister, Sie sprachen vorhin von der Reduzierung der Zahl der Dienstposten bei den Wehrpflichtigen auf 25 000. Können Sie uns den Gesamtumfang der Bundeswehr nennen und sagen, wie er sich in Wehrpflichtige, freiwillig länger Wehrdienst Leistende und Zeit- und Berufssoldaten aufgliedert? Können Sie uns die Kosten in direkte Kosten und die notwendige Erhöhung der Regiekosten durch die Erhöhung der Einberufungstermine aufgliedern? Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Das ist eine fordernde Frage. Herr Kollege Arnold, ich habe die Zahlen jetzt hier nicht vorliegen. Wenn es machbar ist, würde ich die Zahlen gerne schriftlich nachreichen. Ich will nur sagen: Die Zahl unserer Soldatinnen und Soldaten beträgt weiterhin 250 000. Die entsprechende Aufgliederung lasse ich Ihnen gerne zukommen, auch mit Blick auf diese Gestaltung und mit Blick auf die künftig neu einzuberufenden Wehrdienstleistenden. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir halten fest: Die Angaben erfolgen schriftlich. Die nächste Frage stellt die Kollegin Dagmar Enkelmann. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Meine Frage geht an die Kollegin Schröder. Es geht um die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass Menschen, die sich bereit erklären, freiwillig den Zivildienst zu verlängern, statt eines Stundenlohns von 1,12 Euro, die sie in dem halben Jahr bekommen, in der Verlängerung wenigstens den Mindestlohn bekommen sollten, der in der Pflege gezahlt wird, nämlich 7,50 Euro im Osten und 8,50 Euro im Westen? Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Der Vergleich mit dem Mindestlohn in der Pflege führt insofern vollkommen in die Irre, weil er suggeriert, es gehe hier um normale Pflegekräfte. Es ist gerade das Wesen des Zivildienstes, dass er kein Ersatz für normale Pflegekräfte ist, sondern dass er arbeitsmarktneutral ist und dass keine regulären Arbeitsverhältnisse ersetzt werden. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: 1,12 Euro ist ein bisschen wenig!) Ich kann Ihnen keine Gegenfrage stellen, aber ich kann rhetorisch fragen, ob Sie auf die Idee kommen würden, zu fordern, dass auch bei Freiwilligendiensten, beispielsweise beim Freiwilligen Sozialen Jahr, ein Mindestlohn gezahlt wird. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die fordern bei allem den Mindestlohn!) Vielleicht fordern Sie auch dies. Das zeigt aber doch, dass es um eine andere Kategorie geht und es deswegen ein Systemfehler wäre, beides gleichzusetzen. Insofern führt dieser Vergleich in die Irre. Vizepräsidentin Petra Pau: Gut, das lässt sich durch weitere Nachfragen noch auflösen, wenn gewünscht. Jetzt hat der Kollege Sönke Rix zu einer Frage das Wort. Sönke Rix (SPD): Frau Ministerin, schönen Dank, dass auch Sie zur Verfügung stehen, um Fragen zu beantworten. - Ich möchte an das anknüpfen, was Frau Enkelmann gesagt hat. Sie haben vorhin klargestellt, dass der Zivildienst ein Wehrersatzdienst ist. Aber bei einer freiwilligen Verlängerung ist er eigentlich kein Wehrersatzdienst mehr, weil er dem Wehrdienst nicht mehr entspricht. Es handelt sich vielmehr um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis. Daher stellt sich schon die Frage, warum nur 3,50 Euro für eine Tätigkeit gezahlt werden. Wenn er tatsächlich ein anderer Dienst ist, dann stellt sich auch die Frage, was mit dem Zivildienst als Lerndienst in dieser Zeit geschieht. Gibt es Bildungsangebote auch für die Zeit der Verlängerung, oder sind solche Angebote nur für sechs Monate vorgesehen? Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Was den besonderen Charakter der freiwilligen Verlängerung angeht: In der Tat ist der Dienst bei einer freiwilligen Verlängerung kein Wehrersatzdienst, sondern es ist ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis eigener Art, wie wir es übrigens auch bei der freiwilligen Verlängerung des Wehrdienstes haben. (Sönke Rix [SPD]: Nein!) Auch das ist kein Wehrdienst mehr. (Sönke Rix [SPD]: Das sind Soldaten!) Was die Frage des Zivildienstes als Lerndienst angeht, will ich erst einmal grundsätzlich sagen, dass auch durch die Verkürzung der Dauer des Zivildienstes der Zivildienst als Lerndienst unberührt bleibt. Wir wollen die Seminarangebote, die es im Rahmen des Zivildienstes als Lerndienst gibt, vollkommen beibehalten, jedoch mit einer einzigen Ausnahme, nämlich dass wir die Teilnahme an den Seminaren zur Sozialkompetenz, die 2011 angeboten werden sollten, nicht mehr obligatorisch, sondern freiwillig machen wollen. Aber es besteht ein Rechtsanspruch auf diese Seminare. Ansonsten bleibt der Zivildienst als Lerndienst unberührt. Entsprechend wird es auch bei einer freiwilligen Verlängerung die Möglichkeit geben, solche Seminarangebote wahrzunehmen. Vizepräsidentin Petra Pau: Bevor wir zu weiteren Nachfragen kommen, kommen wir zurück zur Frage des Kollegen Rainer Arnold. Der Herr Bundesminister kann jetzt die Zahlen vortragen. So sind sie dann Bestandteil des Protokolls unserer heutigen Sitzung und damit für alle nachzulesen. Bitte, Herr Minister. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Arnold, das Haus arbeitet schnell. Ich freue mich, Ihnen die Zahlen vortragen zu dürfen. Zunächst zu den Zahlen nach dem Personalstrukturmodell 2010: Berufssoldaten: 57 725, Soldaten auf Zeit: 137 275, freiwillig länger Dienende: 25 000, Grundwehrdienstleistende: 30 000 - das ist bekannt -; in der Summe: 250 000. Die Iststärke Stand April sieht folgendermaßen aus: Berufssoldaten: 55 973, Soldaten auf Zeit: 132 524, freiwillig länger Dienende: 27 940, Grundwehrdienstleistende: 37 729; in der Summe: 254 166. Jetzt kommen wir zur Planung; das war ja der wesentliche Punkt: Berufssoldaten: 57 725, Soldaten auf Zeit: 139 633, freiwillig länger Dienende: 27 000, Grundwehrdienstleistende, wie bereits gesagt: 25 000; in der Summe sind das 249 358. Vizepräsidentin Petra Pau: Danke. - Die nächste Frage stellt die Kollegin Heidrun Dittrich. Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Frau Ministerin, ich habe noch eine Frage zur Klarstellung. Sie haben erklärt, es handele sich um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis. Welchen Status haben denn die Zivildienstleistenden nach ihren sechs Pflichtmonaten? Besteht nach der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes weiterhin die Möglichkeit einer Disziplinarstrafe bei unentschuldigtem Fernbleiben? Nach § 43 Zivildienstgesetz hat die Dienststelle die Möglichkeit, einen Zivildienstleistenden bei Krankheit zu entlassen. Insofern hat er keinen Kündigungsschutz; den gibt es nur bei Arbeitnehmern in einem tariflichen und gesetzlichen Arbeitsverhältnis. Soll der Zivildienstleistende also seine Zivildienstzeit freiwillig verlängern, oder wollen Sie ein neues öffentlich-rechtliches Arbeitsverhältnis schaffen, das aber genauso strukturiert ist wie die Zivildienstzeit, und soll dieses neue öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnis vielleicht später auch auf die Jugendfreiwilligendienste, das Freiwillige Soziale Jahr, wo auch junge Frauen arbeiten, übertragen werden können? Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Wir haben uns bemüht, die freiwillige Verlängerung des Zivildienstes möglichst unbürokratisch und einfach zu gestalten. Aus unserer Sicht ist es am besten, wenn die äußeren Rahmenbedingungen in Bezug auf die Vergütung und die sozialversicherungsrechtliche Absicherung für den Zivildienstleistenden, der freiwillig verlängert, weitestgehend beibehalten werden. Es ist wichtig, das niedrigschwellig zu gestalten. Aber sozusagen die besonderen Zwangsmaßnahmen, die Sie angesprochen haben, die mit dem Zivildienst als Pflichtdienst verknüpft sind, laufen selbstverständlich nicht weiter. Klar ist: Es handelt sich um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis, und deshalb gilt das Disziplinarrecht wie in jedem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis. Das ist quasi das Pendant zur Privatwirtschaft, wo es entsprechend Konventionalstrafen gibt. Aber der besondere Zwangscharakter ist bei der freiwilligen Verlängerung selbstverständlich nicht mehr vorhanden. Der zweite Unterschied zum Zivildienst ist, dass die freiwillige Verlängerung jederzeit abgebrochen werden kann. Aufgrund persönlicher, beruflicher oder anderer Gründe kann jederzeit ein Antrag auf Entlassung gestellt werden. Diese Gründe werden explizit nicht nachgeprüft. Das heißt de facto, die freiwillige Verlängerung des Zivildienstes kann jederzeit beendet werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Die nächste Frage stellt der Kollege Kai Gehring. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. - Frau Ministerin, ich würde Sie als Kabinettskollegin von Herrn Minister zu Guttenberg gerne fragen, wie Ihre Auffassung war, als der Minister laut darüber nachgedacht hat, künftig auch Frauen in die Wehrpflicht einzubeziehen. Das war ja ein Vorschlag, der offen in den Raum gestellt wurde. Wie ist dazu Ihre Auffassung als Kabinettskollegin? Ich möchte außerdem explizit nachfragen: Stimmen Sie mir zu, dass, wenn es sich tatsächlich um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis handelt, eine Zustimmungspflichtigkeit im Bundesrat besteht? Wenn das der Fall ist, was meinen Sie, wann sich der Bundesrat damit beschäftigen wird? Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Zum Ersten. Da der Kollege zu Guttenberg, wie er mir gegenüber sehr überzeugend bekundet hat, gar nicht laut darüber nachgedacht hat, auch Frauen in die Wehrpflicht einzubeziehen, kann ich mich dazu leider nicht äußern. Zum Zweiten. Wir gehen davon aus, dass keine Zustimmungspflichtigkeit vorliegt, sodass eine Antwort entsprechend entfällt. Vizepräsidentin Petra Pau: Die nächste Frage stellt die Kollegin Agnes Malczak. Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Bundeswehr muss eine Menge leisten; denken wir zum Beispiel an den Transformationsprozess und an die Anforderungen in den Einsätzen. Deshalb möchte ich die Frage stellen, wie gewährleistet wird, dass die Verkürzung des Wehrdienstes und die Flexibilität bei den Einberufungsterminen nicht zu einer Belastung der Einsatzfähigkeit führen. Außerdem würde mich interessieren, warum dieser Punkt aus dem Koalitionsvertrag, der im Hinblick auf die Struktur der Bundeswehr meiner Meinung nach essenziell ist, schon im Vorfeld beschlossen wurde und nicht Teil der Arbeit der Bundeswehrstrukturkommission ist, die evaluieren soll. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Vielen Dank, Frau Kollegin. - Die Strukturkommission wird, wie ich vorhin schon angedeutet habe, auf der Entscheidung, den Wehrdienst zu verkürzen, aufbauen. Sie wird diese Entscheidung in ihre eigenen Überlegungen aufnehmen. Das traue ich dieser Strukturkommission aufgrund ihrer Zusammensetzung auch zu. Das ist etwas, was sie tatsächlich tun wird. Die Entscheidung des Koalitionsvertrages wurde so getroffen, wie sie getroffen wurde. Sie liegt uns vor und ist die Grundlage, auf der wir, die wir Regierungsverantwortung tragen, zu arbeiten haben. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht die freiwillige Verlängerung aber nicht drin!) Wir haben die Entscheidung so umzusetzen, wie sie getroffen wurde. Zu Ihrer ersten Frage. Es wäre letztlich natürlich fatal, wenn keine Einsatzfähigkeit gewährleistet wäre und wenn auch die Möglichkeit des Einsetzens auf dem jeweiligen Dienstposten nicht dargestellt würde. Wäre das der Fall, hätte man das so nicht umsetzen können. Das ist eine Aufgabe der Ausplanung, allerdings in den jeweiligen Truppenteilen. Die jeweiligen Truppenteile und Teilstreitkräfte haben deutlich gemacht, dass das möglich ist und dass ihnen die Flexibilität sogar entgegenkommt. Die Flexibilität der Einberufungstermine ermöglicht nämlich, in gewissen Bereichen, in denen teilweise auch starre Defizite herrschen, gezielt etwas mehr vorzuhalten und somit Möglichkeiten zu haben, auf den Funktionsdienstposten an der einen oder anderen Stelle Lücken zu schließen, die man bislang nicht schließen konnte. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Sönke Rix. Sönke Rix (SPD): Frau Ministerin, Sie gehen davon aus, dass wohl ein Drittel der Zivildienstleistenden freiwillig verlängert. Meine Fragen: Wie kommen Sie auf dieses Drittel, und wie gehen wir in der weiteren Haushaltsplanung damit um? Woher sollen die Mittel dafür kommen, da die Tendenz jetzt doch eher dahin geht, Dinge einzusparen? Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Wir haben Befragungen von Zivildienstleistenden durchgeführt. Wir haben sie gefragt, ob sie sich, wenn sie eine solche Möglichkeit hätten, vorstellen könnten, den Dienst freiwillig zu verlängern. Teilweise haben sogar bis zu 50 Prozent der Befragten geantwortet, sie könnten sich das vorstellen. Da man aber mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass es einen Unterschied zwischen "sich etwas vorstellen können" und "etwas tatsächlich tun" gibt, halten wir 30 Prozent für realistisch. Garantieren können wir das natürlich nicht. Denn das sind nun einmal keine Erfahrungswerte, die wir haben, sondern diese Zahlen basieren auf Studien. Was die Haushaltsmittel angeht, habe ich bereits ausgeführt, dass die Verkürzung des Zivildienstes zunächst einmal dazu führt, dass 180 Millionen Euro Haushaltsmittel weniger benötigt werden. Wir gehen davon aus, dass die freiwillige Verlängerung eines Drittels der Zivildienstleistenden 75 Millionen Euro kosten wird. Insofern würden wir vorschlagen, wenn der Haushaltsgesetzgeber dem zustimmt - er hat das letzte Wort -, 75 der 180 Millionen Euro für die freiwillige Verlängerung zu verwenden. Vizepräsidentin Petra Pau: Danke, Frau Ministerin und Herr Minister. Gibt es weitere Fragen zur heutigen Kabinettsit-zung? - Das ist nicht der Fall. Gibt es darüber hinaus Fragen an die Bundesregierung? - Das ist auch nicht der Fall. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, zu beachten: Entgegen der Amtlichen Mitteilung berufe ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 20. Mai 2010, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 16.55 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.05.2010 Binder, Karin DIE LINKE 19.05.2010 Bollmann, Gerd SPD 19.05.2010 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 19.05.2010 Fischer (Karlsruhe-Land), Axel E. CDU/CSU 19.05.2010* Glos, Michael CDU/CSU 19.05.2010 Goldmann, Hans-Michael FDP 19.05.2010 Groth, Annette DIE LINKE 19.05.2010 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 19.05.2010 Hintze, Peter CDU/CSU 19.05.2010 Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.05.2010 Pflug, Johannes SPD 19.05.2010 Reichenbach, Gerold SPD 19.05.2010 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 19.05.2010 Steinbach, Erika CDU/CSU 19.05.2010 Süßmair, Alexander DIE LINKE 19.05.2010 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 3): Welche Maßnahmen und Initiativen hat die Bundesregierung auf der internationalen Ebene zur wirksamen Regulierung der Finanzmärkte seit dem G-20-Gipfel im September 2009 ergriffen, und welche Ressorts waren hieran beteiligt? Die Bundesregierung hat über ihre Mitgliedschaft in den G 20 sowie anderen relevanten internationalen Gremien, insbesondere dem Financial Stability Board (FSB), die wirksame Regulierung der Finanzmärkte seit dem G-20-Gipfel in Pittsburgh im September 2009 aktiv vorangetrieben. Mit zahlreichen Initiativen hat die Bundesregierung dabei dazu beigetragen, das Momentum der Reform aufrechtzuerhalten und neue Aufsichts- und Regulierungsinitiativen auf die Agenda zu setzen. So hat das Bundesfinanzministerium seine Prioritäten zur Reform der Finanzmarktregulierung fest in der G-20-Agenda verankert. Hierzu gehören Verbesserung des Eigenkapital- und Liquiditätsregimes, Lösung des "too-big-to-fail"-Problems, Verbesserung der Vergütungssysteme, Stärkung der Aufsicht und Regulierung über OTC-Derivatemärkte, Hedgefonds und Ratingagenturen sowie Kampf gegen nicht kooperative Jurisdiktionen. Die morgige internationale Finanzmarktkonferenz auf Einladung von Bundesfinanzminister Dr. Schäuble wird dazu beitragen, die Diskussion zu aktuellen Themen der Finanzmarktregulierung weiter voranzubringen. Mit deutschen Initiativen hat die Bundesregierung die internationale Diskussion maßgeblich beeinflusst. Innerhalb der Bundesregierung finden zur Vorbereitung der G-20-Gipfel sowie der Treffen der G-20-Finanzminister und Notenbankgouverneure, einschließlich der Fragen der Finanzmarktregulierung, eine regelmäßige und enge Abstimmung statt. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 4): Seit wann wusste die Bundesregierung, dass beim Europäischen Rat in Brüssel am 7. Mai 2010 weitreichende Finanzmaßnahmen zur Stabilisierung des Euro debattiert werden, und zu welchem Zeitpunkt war der Bundesminister des Auswärtigen in dieses Wissen einbezogen? Die Bundesregierung hatte bereits im Vorfeld des Treffens der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Raumes am 7. Mai 2010 auf Fortschritte bei den Arbeiten zur dauerhaften Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion, insbesondere im Rahmen der Arbeitsgruppe des Präsidenten des Europäischen Rates Van Rompuy, gedrungen. Die Beratung zusätzlicher Maßnahmen zur unmittelbaren Sicherung der Finanzstabilität des Euro-Raumes wurde insbesondere auf der Basis des Vortrags des Präsidenten der Europäischen Zentralbank über die aktuelle Lage bzw. Risiken für die Euro-Zone bei dem Treffen selbst erforderlich. In Bezug auf die Griechenland-Krise und die weiteren Bemühungen zur Stabilisierung der Euro-Zone steht der Bundesminister des Auswärtigen mit der Bundeskanzlerin und dem Bundesminister der Finanzen seit Ausbruch der Krise in ständigem Kontakt. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage des Abgeordneten Günter Gloser (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 7): Wie viele Mittel aus dem Bundeshaushalt fließen jährlich in die Unterstützung bzw. Kofinanzierung der privaten Altersversorgung im Allgemeinen und für die Riester-Rente im Besonderen, und wie wird sich diese Belastung des Bundeshaushaltes aus Sicht der Bundesregierung in den nächsten Jahren entwickeln? Im Bundeshaushalt gibt es keinen Ausgabetitel mit der Zweckbestimmung "Förderung der privaten Altersvorsorge". Bei der sogenannten Riester-Rente handelt es sich um eine steuerlich geförderte Altersvorsorge. Diese besteht insbesondere aus einem entsprechenden Sonderausgabenabzug bzw. einer Zulagengewährung. Die Zulagen fungieren als Vorauszahlung auf die sich aus dem Sonderausgabenabzug ergebenden Steuervorteile. Ergibt sich im Rahmen einer Günstigerprüfung, dass der Sonderausgabenabzug für den Steuerpflichtigen günstiger ist als die Zulage, dann erhält der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung noch den über die Zulage hinausgehenden Steuervorteil. Die bereits gewährte Zulage wird insoweit gegengerechnet. Die Zulagen sind nicht im Bundeshaushalt veranschlagt, sondern werden von der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen, ZfA, aus dem Lohnsteueraufkommen an die Förderberechtigten ausgezahlt. Somit tragen der Bund 42,5 Prozent, die Länder 42,5 Prozent und die Gemeinden 15 Prozent gemäß dem Einkommensteuer-Verteilungsschlüssel. Die Höhe der ausgezahlten Zulagen betrug im Jahr 2008 1,3 Milliarden Euro und im Jahr 2009 2,4 Milliarden Euro. Die über die Zulage hinausgehende Steuerersparnis aus dem Sonderausgabenabzug wird im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung ermittelt. Über die Steuer-ersparnis können daher erst nach Abschluss der Einkommensteuerveranlagungen statistische Angaben erhoben und aufbereitet werden. Die aktuellste Datenbasis ist daher der Veranlagungszeitraum 2005. Die in diesem Veranlagungsjahr über die Zulagenförderung hinausgehende steuerliche Förderung betrug nach Angaben des statistischen Bundesamtes circa 141 Millionen Euro. In den nächsten Jahren ist von einer weiteren Zunahme der Altersvorsorgezulagen auszugehen. Auf der Grundlage der Ergebnisse des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" vom 4. bis 6. Mai 2010 steigen die auszuzahlenden Zulagen bis zum Jahr 2013 auf circa 4 Milliarden Euro. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache 17/ 1694, Frage 9): Welche Maßnahmen und Projekte plant die Bundesregierung, um einen nachhaltigen und klimafreundlichen Tourismus zu unterstützen, und auf welche Anregungen der Internationalen Messe für anderes Reisen, die im April 2010 in Berlin stattfand, greift sie dabei zurück? Die Bundesregierung verfolgt entsprechend des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt und der EU-Charta für einen nachhaltigen Tourismus seit vielen Jahren kontinuierlich die Ziele eines nachhaltigen und klimafreundlichen Tourismus und wird an dieser Entwicklung festhalten. Seit 2006 unterstützt die Bundesregierung die von ihr initiierte Beratungsstelle für Tourismus und Biologische Vielfalt bei der Welttourismusorganisation, UNWTO, mit Sitz in Bonn (siehe Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen vom 18. Dezember 2009 - Bundestagsdrucksache 17/341). Standen zunächst Projekte im Rahmen der Tsunami-Hilfe im Vordergrund, stehen das Know-how und die bisher gesammelten Erfahrungen nun allen UNWTO-Mitgliedstaaten zur Verfügung. Derzeit werden durch die Bundesregierung mehrere Projekte zum nachhaltigen Tourismus in Deutschland durchgeführt. Dazu gehört das Entwicklungs- und Erprobungsvorhaben "Erlebnis Grünes Band", das beispielhaft in drei Modellregionen Elbe-Altmark-Wendland, Harz sowie Thüringer Schiefergebirge/Frankenwald unter anderem die naturverträgliche Erschließung und Entwicklung von touristischen Destinationen entlang des Grünen Bandes zeigen will. Das laufende Projekt "Nationalpark-Partner" hat zum Ziel, Unternehmen in den Nationalparks als Partner der Schutzgebiete zu gewinnen, die eng mit den Schutzgebietsverwaltungen zusammenarbeiten, die Gäste besser informieren und für Naturschutzbelange sensibilisieren sowie ihr Angebot entsprechend bundesweit einheitlicher Qualitäts- und Umweltstandards gestalten. Noch in diesem Jahr soll ein Forschungsvorhaben starten, das in einem partizipativen Prozess die Grundlagen für eine umwelt- und naturverträgliche räumliche Planung touristischer Destinationen in Deutschland zur Anpassung an den Klimawandel und entsprechend den Anforderungen an den Erhalt der biologischen Vielfalt entwickelt. Im Rahmen der Erarbeitung des Aktionsplans "Anpassung an den Klimawandel" der Bundesregierung werden in einem Forschungsvorhaben zurzeit konkrete Handlungsmöglichkeiten und Maßnahmen unter anderen für den Sektor Tourismus evaluiert. Dabei soll insbesondere geklärt werden, welche Anforderungen unter volkswirtschaftlichen Aspekten an eine Maßnahmenauswahl zu stellen sind (Priorisierung, Kriterienkatalog, Kosten-Nutzen-Analyse). Die Bundesregierung unterstützt einen nachhaltigen und klimafreundlichen Tourismus auch im Rahmen ihrer entwicklungspolitischen Arbeit. Die entwicklungspolitischen Vorhaben im Bereich Tourismus und nachhaltige Entwicklung tragen dazu bei, dass die Potenziale des Tourismus zur Armutsbekämpfung, zur Herstellung von sozialer Gerechtigkeit, zur Ressourcensicherung und zum Klimaschutz, Milleniums-Entwicklungsziele 1, 3 und 7, mobilisiert und ökologische und soziokulturelle Schäden vermieden bzw. minimiert werden. Eine Hauptaufgabe des Sektorvorhabens liegt in der Unterstützung eines breiten Dialogs zur Rolle von Tourismus für nachhaltige Entwicklung in enger Zusammenarbeit mit anderen deutschen und internationalen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, mit der Tourismuswirtschaft, wissenschaftlichen Institutionen, Nichtregierungsorganisationen sowie VN-Organisationen, insbesondere UNWTO, IJNEP, UNDP). Kooperationen mit der Tourismuswirtschaft in Form von Entwicklungspartnerschaften, develoPPP-Vorhaben, haben sich bewährt und werden fortgeführt. Die Bundesregierung bringt die Themen des nachhaltigen und klimafreundlichen Tourismus auch aktiv bei internationalen Messen und Veranstaltungen ein, ITB Berlin, CMT Stuttgart, World Travel Market London etc. Bei der angesprochenen "Messe für Anderes Reisen" - Reisepavillon im April 2010 in Berlin hat die Bundesregierung wie bereits seit vielen Jahren das "Tourismus Forum International" organisiert und setzt nicht nur die dort erhaltenen Anregungen um, sondern ist selbst der wichtigste Initiator der dortigen entwicklungsländerbezogenen Veranstaltungen und Foren, von denen diese Anregungen ausgehen. Jüngste Beispiele sind das Aufgreifen von Themen wie Klimawandel, Fischerei und Management von Meeresressourcen im Tourismus, Jagdtourismus etc. im April in Berlin. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache 17/ 1694, Frage 10): Welche Schritte wird die Bundesregierung einleiten, um dem Sextourismus und der Kinderprostitution in ärmeren Ländern zu begegnen, und welche konkreten Präventionsmaßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene plant bzw. unterstützt die Bundesregierung? In Umsetzung der Koalitionsvereinbarung wird die Bundesregierung den Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung zügig weiterentwickeln. Damit sollen Maßnahmen umgesetzt werden, die insbesondere in Nachfolge des III. Weltkongresses gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen im November 2008 in Rio de Janeiro entwickelt wurden. Entsprechende nationale und internationale Nachfolgekonferenzen fanden in Deutschland 2009 statt. Die Weiterentwicklung des Aktionsplans II erfolgt als ein Gesamtkonzept, das mit den Nichtregierungsorganisationen, dem Privatsektor und den Verbänden abgestimmt wird. Der Aktionsplan wird eine systematische Grundlage zur Bekämpfung der sexuellen Gewalt und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen bilden. Er wird sich auf folgende Schwerpunkte konzentrieren: - Prävention - Intervention - Sexualisierte Gewalt und Ausbeutung in den digitalen Medien - Bekämpfung des Handels mit Kindern und Jugendlichen zum Zweck der sexuellen Ausbeutung im In- und Ausland - Bekämpfung von sexueller Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen durch reisende Sexualtäter - Wissen genieren, Lücken schließen - Internationale Kooperation stärken Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung im Tourismus wird also Schwerpunktthema des Aktionsplans II sein. Im Rahmen der Mitgliedschaft Deutschlands in der Welttourismusorganisation (UNWTO) beteiligt sich die Bundesregierung an der Arbeit der UNWTO-Task Force zum Schutz von Kindern im Tourismus, die sich ebenfalls insbesondere der Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern im Tourismus verschrieben hat. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage des Abgeordneten Michael Groß (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 13): Was wird die Bundesregierung tun, um die Situation mittelständisch geprägter zinkerzeugender und -verarbeitender Betriebe am Industriestandort Deutschland zu verbessern, die durch die voraussichtliche Einstufung von Zink als prioritär nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen, wie zum Beispiel dem Verlust von Aufträgen und damit verbunden dem Verlust von Arbeitsplätzen, konfrontiert werden? Es ist derzeit noch nicht entschieden, ob Zink als prioritärer Stoff eingestuft wird. Sie haben dazu eine weitere Frage gestellt, die ausführlich durch das BMU beantwortet wird. Ich möchte dem nicht vorgreifen. Deshalb hier nur so viel: In jedem Fall wird die Bundesregierung sich für eine ausgewogene Entscheidung einsetzen, die die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der zinkverarbeitenden Industrie angemessen berücksichtigt. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage der Abgeordneten Katja Keul (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage 14): Beabsichtigt die Bundesregierung, bestehende Rüstungsexportgenehmigungen, die Rüstungsexporte an Griechenland erlauben, zu überprüfen und zu widerrufen bzw. zukünftig die Genehmigungspraxis gegenüber Griechenland sowie anderen finanziell angeschlagenen Staaten restriktiver als bisher zu handhaben, um einer weiteren Verschärfung ihrer finanziellen Notlage vorzubeugen? Die Bundesregierung trifft ihre Entscheidungen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung aus dem Jahr 2000. Danach ist der Export in NATO-Länder grundsätzlich nicht zu beschränken. Exportkontrollpolitische Entscheidungen zu diesen Partnerstaaten haben sich an den sicherheitspolitischen Interessen im Rahmen des Bündnisses zu orientieren. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage 18): Welche Gutachtervorschläge zu Nachrüstkosten im Zusammenhang mit der Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken lagen der Bundesregierung bis Mitte April 2010 vor - bitte insbesondere mit Angabe der Verfasser und der von ihnen vorgeschlagenen oder prognostizierten Kostenhöhe -, und welche Einigung zu den Nachrüstkosten wurde Mitte April 2010 zwischen Bundeskanzleramt, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Leitungsebene - bitte mit Angabe des genauen Datums, an dem die Einigung erzielt wurde - erzielt? Wie bereits in der Antwort auf die Schriftliche Frage mit der Arbeitsnummer 5/53 - Frage vom 6. Mai 2010 - erläutert, sind die Bundesregierung und die begutachtenden Institute über die zugrunde liegenden Annahmen in einem fortlaufenden Austausch, der nach wie vor andauert. Angesichts dieses laufenden Arbeitsprozesses wird die Bundesregierung zu den Annahmen derzeit nicht Stellung nehmen. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 20): Wurden Verbände bzw. Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in die Verbändebeteiligung im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe und ihrer Unterarbeitsgruppen zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe einbezogen, und auf die Abstimmung mit welchen Verbänden legt die Bundesregierung besonderen Wert, um einen möglichst breiten Konsens für eine Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe insbesondere hinsichtlich der beruflichen Teilhabe herbeizuführen? Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe" hat frühzeitig im Vorfeld der Ausarbeitung des Eckpunktepapiers für die ASMK 2009 umfassend Sozialverbände, Wohlfahrtsverbände und Verbände behinderter Menschen beteiligt und ihre Vorstellungen in die Eckpunkte für eine Reform der Eingliederungshilfe einfließen lassen. Auch in die aktuellen Beratungen zur Umsetzung der im vergangenen Jahr von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe" erarbeiteten und von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz 2009 gebilligten "Eckpunkte" werden die mit der Sachmaterie unmittelbar befassten Verbände gleichgewichtig einbezogen. Dabei sollen die Verbände ihre berechtigten Anliegen zur Geltung bringen können, um den von der Bundesregierung angestrebten breiten Konsens als Voraussetzung für eine Gesetzesinitiative des Bundes in dieser Legislaturperiode zu ermöglichen. Verbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zählen für die Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe" zu dem erweiterten Kreis der Ansprechpartner in Fragen der Eingliederungshilfe. Aus Gründen der Arbeitsökonomie wird die Mitarbeit in Arbeitsgruppen oder Workshops zur Ausarbeitung des Eckpunktepapiers auf Sozialverbände, Wohlfahrtsverbände und Verbände behinderter Menschen beschränkt. Eine Beteiligung von Verbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurde erst zu einem noch nicht feststehenden späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 21): Wie bewertet die Bundesregierung das Ergebnis der Mitgliederbefragung der Bundesarbeitsgemeinschaft Unterstützte Beschäftigung, nach der nur 8,3 Prozent der Teilnehmer an Maßnahmen zur Unterstützten Beschäftigung gemäß § 38 a des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, SGB IX, aus dem Personenkreis der Schulabgänger kommen, und kann in allen Fällen davon ausgegangen werden, dass die Berufsbegleitung durch das Integrationsamt auch dann gewährleistet sein wird, wenn noch kein Schwerbehindertenausweis für den Teilnehmer ausgestellt wurde? Die Bundesregierung nimmt in einem ersten Schritt zu dem Ergebnis der Mitgliederbefragung der Bundesarbeitsgemeinschaft Unterstützte Beschäftigung Stellung: Die Bundesarbeitsgemeinschaft Unterstützte Beschäftigung, BAG UB, hat in ihrer Mitgliederbefragung unter anderem nach der "letzten Berufs-/Schulsituation der Teilnehmenden vor Eintritt in die Maßnahme UB" gefragt. In ihrer Auswertung hat die BAG UB festgehalten, dass bei 8,3 Prozent der Teilnehmenden Schulbesuch, bei 3,8 Prozent eine Ausbildung, bei 0,3 Prozent ein Studium vorausging. Eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit übten 0,5 Prozent aus, während 44,5 Prozent der Teilnehmenden arbeitslos waren und dabei SGB-II- oder SGB-III-Leistungen bezogen. 0,8 Prozent waren in einer Werkstatt für behinderte Menschen und 22 Prozent in berufsvorbereitenden Maßnahmen. 9,8 Pro-zent wurden in der Kategorie "Sonstiges" benannt. Zu 10,3 Prozent der Teilnehmenden liegen keine Informationen vor. Da nach der letzten Situation vor Eintritt in die Maßnahme gefragt worden war, beziehen sich die in der Frage genannten 8,3 Prozent auf behinderte Menschen, die nahtlos von der Schule in die Unterstützte Beschäftigung gewechselt sind. Aus dieser Feststellung kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, die Unterstützte Beschäftigung, die in erster Linie als Angebot für die Abgängerinnen und Abgänger von Förderschulen gedacht war, verfehle in der Praxis die Zielgruppe. Denn auch hinter den anderen genannten Situationen stehen in der Regel Schulabgängerinnen und Schulabgänger: Bei jungen behinderten Menschen, die zuvor in einer Ausbildung waren, 3,8 Prozent, hat sich vermutlich erwiesen, dass sie den Anforderungen der Ausbildung nicht gerecht werden konnten. Sie gehören dann zur Zielgruppe der Unterstützten Beschäftigung. Schulabgängerinnen und Schulabgänger sind auch in der Gruppe derjenigen enthalten, die unmittelbar vor Eintritt in die Maßnahme arbeitslos gemeldet waren, 44,5 Prozent. Hier sind nämlich auch diejenigen behinderten Jugendlichen erfasst, die sich nach Ende der Schulzeit arbeitslos melden, um die Zeit bis zum Beginn des folgenden Ausbildungsabschnitts zu überbrücken und hierdurch auch Ansprüche auf Leistungen, etwa auf Kindergeld, zu sichern. Auch diese Personengruppe ist sachlich dem Personenkreis der Schulabgängerinnen und Schulabgänger zuzurechnen, bei denen die Maßnahme Unterstützte Beschäftigung die erste Station der beruflichen Teilhabe ist. Das Gleiche gilt für diejenigen behinderten Menschen, die vor Beginn der Unterstützten Beschäftigung eine berufsvorbereitende Maßnahme durchlaufen haben, 22 Prozent. Auch diese gehören zur Zielgruppe der Unterstützten Beschäftigung, wenn sich zeigt, dass an die berufsvorbereitende Maßnahme aufgrund der Behinderung keine Berufsausbildung anschließen kann. Unter "Sonstiges", 9,8 Prozent, sind nach Angaben der BAG UB insbesondere Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Maßnahme "Diagnose der Arbeitsmarktfähigkeit besonders betroffener behinderter Menschen, DIA-AM" enthalten. Auch diese gehören zur Zielgruppe der Unterstützten Beschäftigung. Denn Ziel der Maßnahme DIA-AM ist es ja gerade festzustellen, ob die Unterstützte Beschäftigung oder eine Werkstatt für behinderte Menschen der richtige Weg ist. Schließlich dürften sich auch in der Rubrik "Informationen liegen nicht vor", 10,3 Prozent, noch junge Menschen in einer der oben genannten Situationen verbergen. In diesem Licht betrachtet legt die Erhebung der BAG UB eher den Schluss nahe, dass die Zielgruppe in einem hohen Maße erreicht wird. Dass die Auswertung der BAG UB dennoch zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt, ist bedauerlich. Dies gilt umso mehr, als die Ergebnisse nicht repräsentativ sind, da die Erhebung nach eigenen Angaben der BAG UB nur 12 der 16 Länder und nur rund 20 Prozent der Fälle umfasst. Die Bundesregierung nimmt in einem zweiten Schritt zu den Leistungen der Integrationsämter Stellung: Ein Schwerbehindertenausweis wird erteilt, wenn der Grad der Behinderung wenigstens 50 Prozent beträgt. Die für die Leistungen der Berufsbegleitung im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung zuständigen Integrationsämter erbringen die Leistungen nicht nur für schwerbehinderte Menschen, Grad der Behinderung von wenigstens 50, sondern auch für andere behinderte Menschen, wenn diese schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Die Gleichstellung erfolgt durch die Bundesagentur für Arbeit, wenn sie anderenfalls einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Brigitte Pothmer (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage 24): Beabsichtigt die Bundesregierung, Kommunen, die zum 1. Januar 2012 die Grundsicherung in alleiniger Trägerschaft wahrnehmen wollen, bzw. Grundsicherungsstellen, die aufgrund einer Kreisgebietsreform zum 1. Januar 2011 zur Option übergehen, bei der Auswahl der Bewerbungen zum Modellprojekt "Bürgerarbeit" nicht zu berücksichtigen und damit den Überlegungen des Fachkonzepts "Bürgerarbeit", Grobkonzept, der Bundesagentur für Arbeit zu folgen, und wie begründet die Bundesregierung ihre Entscheidung? Der Aufruf zur Interessenbekundung vom 19. April 2010 richtet sich bundesweit an alle Grundsicherungsstellen. Die Auswahl der eingereichten Konzepte geschieht unabhängig davon, ob eine Kommune zukünftig die Grundsicherung in alleiniger Trägerschaft wahrnehmen will oder ob eine Grundsicherungsstelle aufgrund einer Kreisgebietsreform zum 1. Januar 2011 zur Option übergehen wird. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE ) (Drucksache 17/1694, Frage 25): Wie ist das Modellprojekt "Bürgerarbeit" bzw. die darin enthaltene Beschäftigungsphase gemäß der Bekanntmachung des Interessenbekundungsverfahrens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 19. April 2010 in das bestehende arbeitsmarktpolitische Förderinstrumentarium des SGB II einzuordnen, insbesondere hinsichtlich der Zielgruppe des Instrumentes in Abgrenzung zu anderen Fördermöglichkeiten wie Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung und Beschäftigungszuschuss? Das Modellprojekt "Bürgerarbeit" beschreibt einen Prozess aus den Komponenten Beratung/Standortbestimmung, Vermittlungsaktivitäten, Qualifizierung/Förderung und der eigentlichen "Bürgerarbeit" einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, ohne Arbeitslosenversicherungspflicht. Es soll erreicht werden, einen möglichst hohen Anteil der arbeitslosen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen durch qualitativ gute und konsequente Aktivierung, Mindestdauer sechs Monate, in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren und nur die arbeitslosen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bürgerarbeit zu beschäftigen, deren Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt während der Aktivierungsphase nicht gelingt oder in absehbarer Zeit nicht möglich erscheint. Das Modellprojekt "Bürgerarbeit" bietet erstmals den Rahmen für eine umfängliche Evaluation, die aufzeigen soll, welche Wirkungen sich durch konsequente Umsetzung des Grundsatzes "Fördern und Fordern" ergeben. Dem Aufruf zur Interessenbekundung zufolge sollen arbeitslose erwerbsfähige Hilfebedürftige, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, in das Modellprojekt "Bürgerarbeit" einbezogen werden. Darüber hinaus gibt es seitens des BMAS keine weiteren zielgruppenspezifischen Vorgaben; gegebenenfalls ergeben sich regionale Besonderheiten aus den eingereichten Konzepten. Im Rahmen der Aktivierungsphase sollen die Grundsicherungsstellen auch auf das bestehende Instrumentarium im SGB II und somit beispielsweise auf Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung zurückgreifen können. Aus Sicht der Bundesregierung kann dies jedoch nicht für den Beschäftigungszuschuss im Rahmen der Leistungen zur Beschäftigungsförderung gemäß § 16 e SGB II, JobPerspektive, gelten, da dieser auf eine dauerhafte Förderung ausgerichtet ist. Aufgrund der gesetzlichen Regelungen im § 16 e SGB II hinsichtlich der zu fördernden Personengruppe ist nicht davon auszugehen, dass es nennenswerte Überschneidungen in der Zielgruppe geben wird. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE ) (Drucksache 17/1694, Frage 26): Wie stellt sich die Bundesregierung zukünftig den Einsatz der insgesamt im Bereich des SGB II zur Verfügung stehenden verschiedenen arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente vor, bezogen auf die jeweiligen Teilnehmerzahlen und die Verteilung der Mittel, und wie stellte sich die anteilige Zusammensetzung der insgesamt im Bereich des SGB II zur Anwendung gekommenen arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente in den Jahren 2005 bis 2009 dar, nach jeweiligen Teilnehmerzahlen und ausgegebenen Mitteln? Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist darauf ausgerichtet, den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen - unter Berücksichtigung der jeweiligen lokalen und regionalen Rahmenbedingungen - eine an ihren individuellen Bedürfnissen orientierte Aktivierungs- und Eingliederungsstrategie anzubieten. Entscheidungen dazu können nur vom jeweiligen Fallmanager vor Ort getroffen werden. Das SGB II sieht deshalb in den §§ 3 Abs. 1 und 14 vor, dass die Erbringung der aktivierenden Leistungen jeweils an den konkreten Bedarfen und Gegebenheiten im Einzelfall auszurichten ist. Vor diesem fachlichen Hintergrund steht den Grundsicherungsstellen das gesetzliche Instrumentarium zur Verfügung; dieses wird ergänzt durch zeitlich begrenzte Sonderprogramme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Darüber hinaus macht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales keine Vorgaben zu Teilnehmerzahlen und Mittelverwendung mit Blick auf die Anwendung der gesetzlich geregelten Eingliederungsleistungen im SGB II. Angaben zu den Teilnehmerzahlen und ausgegebenen Mitteln für arbeitsmarktpolitische Instrumente in den Jahren 2005 bis 2008 können den Eingliederungsbilanzen der Bundesagentur für Arbeit entnommen werden. Eingliederungsbilanzen für 2009 sind derzeit noch nicht verfügbar. Von 2005 bis 2008 haben sich die Ist-Ausgaben für Eingliederungsleistungen von rund 2,6 Milliarden Euro auf gut 4,8 Milliarden Euro erhöht. Der Anteil beschäftigungsbegleitender Maßnahmen, wie zum Beispiel Eingliederungszuschüsse, hat sich in diesem Zeitraum von 11,5 auf 17,7 Prozent erhöht, während gleichzeitig das Gewicht Beschäftigung schaffender, im wesentlichen auf den zweiten Arbeitsmarkt zielender Maßnahmen abnahm, von 57,3 auf 38,6 Prozent. Die vollständigen Eingliederungsbilanzen lassen sich im Onlinestatistikangebot der Bundesagentur für Arbeit abrufen. Besonders interessierende Tabellen daraus können, falls gewünscht, schriftlich nachgereicht werden. Anlage 15 Antwort der Parl. Staatssekretärin Julia Klöckner auf die Frage der Abgeordneten Ulrike Höfken (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage 27): Welche Regelungslücken sieht die Bundesregierung angesichts der Verschleppung von Informationen bei den aktuell bekannt gewordenen Dioxinfunden in Eiern, und welche konkreten Änderungen wird die Bundesregierung bei den Meldepflichtigen vornehmen? Die Bundesregierung sieht bei den aktuell bekannt gewordenen Dioxinfunden in Eiern keine Regelungslücken im Hinblick auf eine Unterrichtung der zuständigen Behörden. Art. 19 und 20 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 legen dem Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmer spezifische Meldepflichten auf. Erkennt hiernach ein Unternehmer oder hat er Grund zu der Annahme, dass ein von ihm eingeführtes, erzeugtes, verarbeitetes, hergestelltes oder vertriebenes Lebensmittel oder Futtermittel die Anforderungen an die Lebensmittel- oder Futtermittelsicherheit nicht erfüllt, hat er unverzüglich Verfahren einzuleiten, um das betreffende Lebens- oder Futtermittel vom Markt zu nehmen. Ferner ist eine Unterrichtung der zuständigen Behörden hiervon erforderlich. Kann zudem ein von einem Unternehmer in den Verkehr gebrachtes Lebensmittel möglicherweise die Gesundheit schädigen oder entspricht ein von einem Unternehmer in den Verkehr gebrachtes Futtermittel möglicherweise nicht den Anforderungen an die Futtermittelsicherheit, so muss der Unternehmer unverzüglich dies den zuständigen Behörden mitteilen und diese Behörden über die von ihm getroffenen Maßnahmen zur Risikoabwehr unterrichten. Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, die Europäische Kommission zu einer Änderung dieser Regelungen aufzufordern. Sofern es zu einer Verschleppung von Informationen durch den Unternehmer kommt, ist es Aufgabe der zuständigen Überwachungsbehörde, dies festzustellen und zu sanktionieren. Für Zuwiderhandlungen sieht das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch eine Geldbuße bis zu 10 000 Euro vor. Anlage 16 Antwort der Parl. Staatssekretärin Julia Klöckner auf die Frage der Abgeordneten Ulrike Höfken (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage 28): Welche Änderungen im Kontrollsystem für Futtermittelimporte plant die Bundesregierung angesichts der Problematik belasteter Importe auch bei Einzelfuttermitteln, und welche Strategie verfolgt die Bundesregierung insgesamt zur Vermeidung von Lebens- und Futtermittelkontaminationen mit Dioxin? Das Importkontrollsystem bei Lebensmitteln und Futtermitteln ist im Gemeinschaftsrecht verankert. Auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 sind die Mitgliedstaaten angehalten, risikoorientierte Einfuhruntersuchungen bei der Einfuhr dieser Erzeugnisse aus Drittstaaten durchzuführen. Sofern es aufgrund bekannter oder neu auftretender Risiken bei bestimmten Lebensmitteln oder Futtermitteln nicht tierischen Ursprungs geboten erscheint, kann die Europäische Kommission diese Erzeugnisse durch Aufnahme in den Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 669/2009 einer verstärkten Überwachung unterwerfen. Zur Vermeidung von Lebensmittelkontaminationen mit Dioxinen gelten entsprechend der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 EU-weit Höchstgehalte seit 2002 für Dioxine und seit 2006 zudem Höchstgehalte für die Summe von Dioxinen und dioxinähnlichen polychlorierten Biphenylen, PCB, in verschiedenen Lebensmitteln. Die Bundesregierung sieht zurzeit keine Veranlassung aufgrund des vorliegenden Ereignisses, die Europäische Kommission zu Änderungen dieser Regelungen aufzufordern. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage des Abgeordneten Kai Gehring (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage 30): Inwiefern und mit welchem Ergebnis hat sich das Kabinett mit rechtlichen Änderungen zur Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes befasst? Die rechtlichen Änderungen zur Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes sowie die damit im Zusammenhang stehenden weiter notwendigen gesetzlichen Änderungen sind im Entwurf eines Wehrrechtsänderungsgesetzes 2010 zusammengefasst. Das Bundeskabinett hat am 19. Mai 2010 dem Entwurf des Wehrrechtsänderungsgesetzes 2010 zugestimmt. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage des Abgeordneten Kai Gehring (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage 31): In welcher Form plant die Bundesregierung im Zuge der Neuregelungen zur Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes auch eine optionale Verlängerung des Zivildienstes zu regeln? Entsprechend der Einigung innerhalb der Regierungskoalition sollen Zivildienstleistende künftig im Einvernehmen mit ihrer Dienststelle im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses einen freiwilligen zusätzlichen Zivildienst von mindestens drei Monaten und höchstens sechs Monaten leisten können. Dieser soll frühestens zwei Monate nach Beginn des Zivildienstes beantragt werden können. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 32): Wie bewertet die Bundesregierung die Befürchtung der "Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle", USK, wonach die vorgeschlagenen Neuregelungen zur Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages dazu führen, dass unterschiedliche Alterskennzeichnungen im Internet zum Einsatz kommen und dadurch möglicherweise ein wirksamer Jugendmedienschutz unterlaufen wird? Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass der Vierzehnte Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages beinhaltet, noch nicht einmal unterzeichnet ist. Die Unterzeichnung ist in der Ministerpräsidentenkonferenz am 10. Juni 2010 geplant. Danach ist der Durchlauf durch die Länderparlamente vorgesehen. Eine Prognose, wie ein Regelungswerk - das erst in mehr als 7 Monaten in Kraft treten soll - in der Praxis ausgestaltet wird, ist schon dem Grunde nach überaus schwierig. Festgestellt werden kann jedenfalls, dass der Staatsvertragsentwurf in § 12 Satz 2 die Festlegung auf ein einheitliches Kennzeichen ausdrücklich vorsieht. Nach dieser Vorschrift legen: - die anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle, - die Kommission für Jugendmedienschutz, - die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, - das ZDF und - das Deutschlandradio im Benehmen mit den obersten Landesjugendbehörden einheitliche Kennzeichen und auch die technischen Standards für deren Auslesbarkeit (für Jugendschutzprogramme) fest. Darüber hinaus trifft der geltende Jugendmedienschutz-Staatsvertrag Vorkehrungen, um eine einheitliche Beurteilungspraxis in der Sache zu gewährleisten. Dazu gehören die Anforderungen an Unabhängigkeit, Qualifikation, Organisation und Anbieterrepräsentanz der Selbstkontrolleinrichtungen (§ 19 Abs. 3 JMStV) wie auch das Abstimmungserfordernis der Selbstkontrolleinrichtungen untereinander über die einheitliche Anwendung des Staatsvertrags (§ 19 Abs. 6 JMStV). Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fragen der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Fragen 33 und 34): Plant die Bundesregierung, die finanzielle Ausstattung des Kita-Ausbaus zu überprüfen? Plant die Bundesregierung Sparmaßnahmen, die den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr betreffen, der 2013 in Kraft treten soll? Zu Frage 33: Nein. Die Bundesregierung steht zu den Vereinbarungen des sogenannten Krippengipfels vom 2. April 2007 und der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Betreuungsausbau vom 28. August 2007. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder vom vollendeten ersten bis zum dritten Lebensjahr ist mit dem unter Zustimmung des Bundesrates zustande gekommenen Kinderförderungsgesetz (KiföG) bereits erlassen und tritt zum 1. August 2013 in Kraft. Zu Frage 34: Nein. Die Bundesregierung steht zu den Vereinbarungen des sogenannten Krippengipfels und der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Betreuungsausbau. Sie unterstützt den Ausbau der Betreuungsangebote bis 2013 mit insgesamt 4 Milliarden Euro für Investitions- und Betriebskosten, ab 2014 dann mit jährlich 770 Millionen Euro für zusätzliche Betriebskosten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Bund den Ländern zur Bewältigung der Herausforderungen der Wirtschafts- und Finanzkrise mit dem Konjunkturpaket II insgesamt 6,5 Milliarden Euro für Investitionen in die Bildungsinfrastruktur zur Verfügung gestellt hat. Diese können ausdrücklich auch für die frühkindliche Infrastruktur eingesetzt werden. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage des Abgeordneten Christian Lange (Backnang) (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 35): Plant die Bundesregierung Einsparungen im Bereich der Kinderbetreuung und hält die Bundesregierung an der Garantie eines Betreuungsplatzes für Kinder unter drei Jahren ab 2013 noch fest? Nein, die Bundesregierung plant keine Einsparungen im Bereich der Kinderbetreuung. Sie steht zu den Vereinbarungen von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden auf dem sogenannten Krippengipfel am 2. April 2007 und der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Betreuungsausbau vom 28. August 2007. Die Bundesregierung unterstützt den Ausbau der Betreuungsangebote bis 2013 mit insgesamt 4 Milliarden Euro für Investitions- und Betriebskosten, ab 2014 dann mit jährlich 770 Millionen Euro für zusätzliche Betriebskosten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Bund den Ländern zur Bewältigung der Herausforderungen der Wirtschafts- und Finanzkrise mit dem Konjunkturpaket II insgesamt 6,5 Milliarden Euro für Investitionen in die Bildungsinfrastruktur zur Verfügung gestellt hat. Diese können ausdrücklich auch für die frühkindliche Infrastruktur eingesetzt werden. Ja. Die Bundesregierung steht zu den Vereinbarungen von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden auf dem sogenannten Krippengipfel am 2. April 2007 und der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Betreuungsausbau vom 28. August 2007. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder vom vollendeten ersten bis zum dritten Lebensjahr ist mit dem unter Zustimmung des Bundesrates zustande gekommenen Kinderförderungsgesetz (KiföG) bereits erlassen und tritt zum 1. August 2013 in Kraft. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fragen der Abgeordneten Erika Steinbach (CDU/CSU) (Drucksache 17/1694, Fragen 38 und 39): Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Missbrauchsfälle in Jugendwerkhöfen in der Zeit der zweiten deutschen Diktatur, etwa in der Einrichtung in Torgau? Welche Sachverständigen nehmen für den Themenbereich sexueller Missbrauch im Bereich der Jugendwerkhöfe am Runden Tisch gegen sexuellen Missbrauch teil? Zu Frage 38: Aus offiziellen Statistiken, verpflichtenden Meldungen oder repräsentativen Studien liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse über Missbrauchsfälle in Jugendwerkhöfen der DDR vor. Zu Frage 39: Jungen Menschen ist in Einrichtungen in der DDR unsägliches Leid angetan worden. Mit dieser schrecklichen Erkenntnis wird sich auch der Runde Tisch gegen sexuellen Missbrauch auseinandersetzen. Für uns gilt: Das Leid der Opfer ist unteilbar. Obwohl die Auswirkungen des Unterdrückungssystems der DDR bereits Gegenstand umfangreicher materieller und immaterieller Rehabilitierungsmaßnahmen sind, wird es Aufgabe des Runden Tisches sein, zu überlegen, ob mehr zu tun ist. Ausgangspunkt bei der Auswahl der Teilnehmenden des Rundes Tisches war es, alle gesellschaftlichen Gruppen zu Wort kommen zu lassen. Daher spielte in unseren Überlegungen die Seite der Opfer von Anfang an eine große Rolle. Wir haben uns entschlossen, zentrale Kinderschutzverbände und -organisationen und bundesweite Zusammenschlüsse von Beratungseinrichtungen für Opfer sexueller Gewalt einzuladen. Sie und andere bringen mit ihren Beratungsstellen nicht nur eine große Expertise mit ein, sondern leisten auch eine unverzichtbare Arbeit. Ferner sind Vertreterinnen und Vertreter von Familienverbänden, Schul- und Internatsträgern, der freien Wohlfahrtspflege, und der beiden großen christlichen Kirchen, des Rechtswesens, der Politik und aus Bund, Ländern und Kommunen geladen. In der jetzigen Zusammensetzung finden einerseits alle relevanten Gruppen und Positionen Gehör, andererseits ist die Arbeitsfähigkeit des Runden Tisches sicher gestellt. In den Arbeitsgruppen haben wir die Möglichkeit, weitere Expertinnen und Experten hinzuzuziehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Anlage 23 Antwort der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf die Fragen der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer (SPD) (Drucksache 17/1694, Fragen 40 und 41): Wie beurteilt die Bundesregierung die Initiative der Länder Sachsen und Bremen, die Krankenkassen in den Bundesländern gesetzlich zur Einrichtung von Spitzenverbänden auf Landesebene zu verpflichten, die als Rechtsperson verantwortlich die Aufgaben der Krankenkassen im jeweiligen Land übernehmen? Welche Auswirkungen hätte die Einrichtung von 16 neuen Krankenkassenverbänden für die Verwaltungsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen? Zu Frage 40: Der Vorschlag ist aus der Sicht der Bundesregierung insbesondere aus folgenden Gründen abzulehnen: Aus der Sicht der Bundesregierung gehört zu einem funktionsfähigen Kassenwettbewerb auch, dass die im Wettbewerb stehenden Krankenkassen eigenverantwortlich entscheiden können, wie sie die zur Verfügung stehenden organisationsrechtlichen Möglichkeiten nutzen. Gesetzliche Regelungen im Bereich des Organisationsrechts sollten daher nur dann erfolgen, wenn dies erforderlich ist, um die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs zu erhalten oder zu verbessern. Bei dem vorgenannten Vorschlag ist jedoch nicht ersichtlich, inwieweit er zu einer Verbesserung der Aufgabenwahrnehmung auf Landesebene führen könnte. Außerdem würde er zu einem erheblichen Bürokratieaufbau führen, da alle bundesweit tätigen Krankenkassen Mitglied in 16 Spitzenverbänden auf Landesebene sein müssten. Dies ist den Ländern auch bekannt. Zur Vermeidung des mit der Bildung eines Spitzenverbandes "Land der Krankenkassen" verbundenen erheblichen bürokratischen Aufwands hat die Amtschefkonferenz daher am 5./6. Mai 2010 einstimmig beschlossen, den Ministerinnen und Ministern, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder als Alternative eine gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen zu empfehlen, wonach diese für jede Kassenart einen Bevollmächtigten zu bestimmen haben, der mit Abschlussbefugnis für gemeinsam und einheitlich zu treffende Entscheidungen und Verträge auf Landesebene verantwortlich ist. Die Bevollmächtigten sollen eine Landesarbeitsgemeinschaft bilden, die der Länderaufsicht unterliegt. Nach Auffassung der Bundesregierung ist jedoch nicht erkennbar, inwieweit dieser Vorschlag, der der bestehenden Regelung für die Bevollmächtigung der Ersatzkassen nach § 212 Abs. 5 Satz 4 des Fünftes Buches Sozialgesetzbuch, SGB V, nachgebildet ist und dieses Modell auf die anderen Kassenarten überträgt, zu einer Verbesserung der Aufgabenwahrnehmung auf Landes-ebene führen kann. Vielmehr reichen die insoweit bestehenden organisationsrechtlichen Strukturen aus. Zu Frage 41: Die Bundes- und Landesverbände der Krankenkassen sind im Wesentlichen umlagefinanziert. Die Verbandsumlagen für den GKV-Spitzenverband und der Verbände der Kassenarten auf Landesebene sind Teil der Verwaltungsausgaben der Mitgliedskrankenkassen. Da weder die genaue Zusammensetzung und Funktion der vorgeschlagenen Spitzenverbände auf Landesebene feststeht noch ihr genauer Aufgabenumfang, lassen sich die mit dem Vorschlag verbundenen zusätzlichen Verwaltungskosten nicht näher beziffern. Anhand der bisherigen Erfahrungen ist jedoch zu erwarten, dass Spitzenverbände in allen 16 Bundesländern in der Summe zu jährlichen Verwaltungsausgaben in dreistelliger Millionenhöhe führen können, wenn ihre organisatorische Ausgestaltung dem GKV-Spitzenverband auf Bundes-ebene entspricht. Anlage 24 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Michael Groß (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 45): Teilt die Bundesregierung die Ansicht der EU-Kommission zur EU-Wasserrahmenrichtlinie, die vorsieht, den Stoff Zink als prioritär einzustufen, vor dem Hintergrund der bereits vorhandenen Risikobewertung, darunter die Empfehlung der EU-Kommission für Risikobegrenzungsmaßnahmen für Zink, 2008/464/EG, und wie bewertet sie aktuelle, vom neutralen INERIS-Institut überprüfte und ausgewertete Daten zu Zink aus den Mitgliedstaaten der EU, die ausdrücklich gegen eine solche Einstufung sprechen? Entsprechend Art. 16 Abs. 4 der Wasserrahmenrichtlinie überprüft derzeit die Kommission turnusgemäß die Liste der prioritären Stoffe und die aufgrund der Vorschläge des Europäischen Parlaments in die Umweltqualitätsnormenrichtlinie 2008/105/EG aufgenommenen elf Stoffe in Anhang III hinsichtlich einer möglichen Einstufung als prioritäre Stoffe. Die Kommission muss entsprechend den Regelungen dieser Richtlinie dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 13. Januar 2011 über das Ergebnis der Überprüfung berichten und einen Vorschlag für eine entsprechende Richtlinie vorlegen. Zur Überprüfung der Liste der prioritären Stoffe hat die EU-Kommission eine Kommissionsarbeitsgruppe eingesetzt, in der die Mitgliedstaaten und NGOs und unter anderem der Europäische Metallverband, Eurometaux, vertreten sind, um die vorhandenen Informationen zusammenzustellen. Die Auswertung erfolgt durch ein Prioritätensetzungsverfahren, in das alle NGOs von Anfang an eng eingebunden sind. In einem wissenschaftlich fundierten Verfahren sollen diejenigen Stoffe herausgefiltert werden, bei denen aus wasserwirtschaftlicher Sicht ein europaweiter Handlungsbedarf besteht, das heißt wenn in mindestens vier Mitgliedstaaten ein Stoff als relevant angesehen wird. Bislang ist aus einer Zusammenstellung der europaweit verfügbaren Gewässerkonzentrationen von Stoffen eine Kandidatenliste von 41 Stoffen für eine vertiefte Prioritätensetzung erarbeitet worden. Auf dieser Kandidatenliste befindet sich auch Zink. Im weiteren Verfahren der Kommission geht es zunächst um die Erstellung von Stoffdossiers auf einer vergleichbaren Informationsbasis für die verbleibenden Kandidaten der Prüfliste. Selbstverständlich werden, wie von der Wasserrahmenrichtlinie gefordert, die Risikobewertungen nach dem Chemikalien-, Pflanzenschutz- und Biozidrecht herangezogen und die Auswertungen des von der Kommission beauftragten INERIS-Instituts berücksichtigt. Diese Informationen stellen eine sehr wichtige, aber nicht die ausschließliche Informationsquelle dar. Es ist davon auszugehen, dass nach Abschluss des Verfahrens etwa 10 bis 15 Stoffe von der Kommission für die Erarbeitung eines Vorschlags für eine Richtlinie, der Anfang 2011 zu erwarten ist, ausgewählt werden. Die Entscheidung, welche Stoffe in die Liste der prioritären Stoffe aufgenommen werden, erfolgt im europäischen Rechtsetzungsverfahren. Auf der Grundlage der dann zur Verfügung stehenden Informationen wird auch die Bundesregierung ihr Votum abgeben. Anlage 25 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Fragen des Abgeordneten Ulrich Kelber (SPD) (Drucksache 17/1694, Fragen 46 und 47): Wie viele Anträge auf Zuschuss im Rahmen des Marktanreizprogrammes zur Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmebereich, bitte aufgeschlüsselt nach den einzelnen Fördertatbeständen, liegen derzeit beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle vor, die zurzeit aufgrund der Haushaltssperre nicht bearbeitet werden, und um welches Fördervolumen handelt es sich dabei ungefähr? Wie hoch sind nach Einschätzung der Bundesregierung die privaten Investitionen, die aufgrund dieser Haushaltssperre nicht getätigt werden können, und wann wird das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit einen Antrag auf Entsperrung der Mittel stellen? Zu Frage 46: Vor dem Programmstopp am 3. Mai 2010 wurden überschlägig rund 22 000 Anträge beim BAFA eingereicht, die aufgrund der Haushaltssperre aus Mitteln des Haushaltsjahres 2010 nicht mehr positiv beschieden werden könnten. Deren potenzieller Haushaltsmittelbedarf liegt bei circa 47 Millionen Euro. Eine Angabe, wie sich dieser Bestand nach Technologien aufschlüsselt, ist derzeit aus bearbeitungstechnischen Gründen noch nicht möglich. Zu Frage 47: Derzeit werden monatlich 12 000 Förderanträge für Investitionen gestellt, die ein Investitionsvolumen von überschlägig 180 Millionen Euro umfassen. Der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, wie hoch der Anteil der ohne Förderung nicht getätigten Investitionen sein wird. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat am 26. April 2010 einen Antrag auf Aufhebung der Haushaltsperre beim Bundesministerium der Finanzen gestellt. Anlage 26 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Hermann Scheer (SPD) (Drucksache 17/1694, Fragen 50 und 51): Welche Bedeutung hat nach Einschätzung der Bundesregierung die Einführung der Verordnung zu Systemdienstleistungen durch Windenergieanlagen, SDLWindV, und der entsprechenden Regelung im Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG, für bestehende wie auch neue Anlagen für die verbesserte Netz- und Systemintegration von Windenergieanlagen - wie zum Beispiel die Aufrechterhaltung der Netzstabilität durch Windkraftanlagen -, und wie ist nach Einschätzung der Bundesregierung der aktuelle Stand der Umsetzung der SDLWindV bei Herstellern, Gutachtern und Zertifizierern? Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass möglichst viele bestehende Windkraftanlagen hinsichtlich der Vorgaben der SDLWindV umgerüstet werden, um somit die Systemstabilität des deutschen Stromnetzes zu erhöhen, und wie bewertet sie dahin gehend eine mögliche Fristverlängerung der Regelung in § 66 Abs. 1 Nr. 6 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG 2009, für Bestandsanlagen? Zu Frage 50: Mit der Einführung der Verordnung zu Systemdienstleistungen durch Windenergieanlagen, SDLWindV, sowie der Übergangsregelung nach § 66 Abs. 1 Nr. 6 Erneuerbare-Energien-Gesetz sollte für Windenergieanlagen ein Mindeststandard für die verbesserte Netzintegration und an das Verhalten im Fehlerfall geschaffen werden. Mit den verbesserten Netzeigenschaften von neuen und alten Windenergieanlagen soll die Systemsicherheit unterstützt werden. Derzeit sind die Hersteller von Windenergieanlagen wegen der begrenzten Anzahl von zugelassenen Zertifizierern und Verzögerungen bei der Erstellung der Richtlinien für die Zertifizierung nicht in der Lage, bis zum Stichtag 30. Juni 2010 sicher nachzuweisen, dass die Anforderungen der SDLWindV am Netzverknüpfungspunkt erfüllt werden. Die Bundesregierung will daher durch eine Verlängerung der Stichtagsregelung im Rahmen einer Änderung der SDLWindV vermeiden, dass es zu einem faktischen Ausbaustopp der Windenergie in der zweiten Hälfte 2010 kommen könnte. Zu Frage 51: Bis zum 31. Dezember 2010 können Bestandsanlagen freiwillig nachgerüstet werden. Bei Nachweis der Erfüllung der in der SDLWindV vorgeschriebenen Netzeigenschaften für Bestandanlagen erhalten die Betreiber einen Bonus von 0,7 ct/kWh über einen Zeitraum von fünf Jahren. Ab dem 1. Januar 2011 ist eine Aufrüstung nicht mehr bonusfähig. Die Netzbetreiber halten eine Verlängerung der Frist grundsätzlich für sinnvoll. Die Bundesregierung steht dem Vorschlag aufgeschlossen gegenüber. Anlage 27 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage 52): Auf Grundlage welcher Genehmigungen wurden im Zeitraum 1992 bis 2009 radioaktive Abwässer am Standort Lubmin - Atomkraftwerk Greifswald und Zwischenlager Nord - in die Ostsee eingeleitet - bitte mit Angabe des Datums der Genehmigung -, und welche maximalen Abwassermengen, die jährlich abgeleitet werden dürfen, sind in diesen Genehmigungen jeweils festgelegt? Das Kernkraftwerk Greifswald ist seit Dezember 1990 außer Betrieb. Bis zur Erteilung der Stilllegungsgenehmigung am 30. Juni 1995 galt die ursprüngliche Dauerbetriebsgenehmigung für das Kernkraftwerk Greifswald gemäß dem Einigungsvertrag fort. Für die Ableitung mit dem Abwasser aus dem Kernkraftwerk Greifswald waren im Zeitraum von 1992 bis 30. Juni 1995 für sonstige radioaktive Stoffe 1,85 x 1011 Bq und für Tritium 7,4 x 1013 Bq als Abgabegrenzwerte genehmigt. Für die Ableitung mit dem Abwasser aus dem in Stilllegung befindlichen Kernkraftwerk wurden ab dem 30. Juni 1995 für sonstige radioaktive Stoffe 4,0 x 109 Bq und für Tritium 7,4 x 011 Bq durch das Umweltministerium Mecklenburg-Vorpommern genehmigt. Für die Ableitung mit dem Abwasser aus dem Zwischenlager Nord, ZLN, wurden ab dem 20. Februar 1998 durch das Umweltministerium Mecklenburg-Vorpommern für sonstige radioaktive Stoffe 8,0 x 07 Bq und für Tritium 7,0 x 010 Bq genehmigt. In den vorgenannten Genehmigungen sind somit Ableitungsgrenzwerte für die mit dem Abwasser abzuleitende Aktivität enthalten, die Abwassermenge selbst ist nicht begrenzt. Die Überwachung der Einhaltung der Grenzwerte obliegt der hierfür zuständigen Landesbehörde. Anlage 28 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Fragen des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Fragen 53 und 54): Wie ist geregelt, in welcher Reihenfolge Schäden aus der Deckungsvorsorge bedient würden, sollte es in Deutschland zu einem Reaktorunglück kommen? Wer würde im Falle eines Reaktorunglücks für die Kosten für landwirtschaftliche Ernteausfälle haften, sollten die Deckungsvorsorge sowie das Vermögen des betroffenen Atomkraftwerksbetreibers und der Unternehmensmutter dafür nicht ausreichen, und für wie viele Jahre gilt dies? Zu Frage 53: Eine Deckungsvorsorge gewährleistet die Erfüllung berechtigter Haftungsansprüche von Geschädigten gegenüber dem Haftungsgegner und dem Deckungsvorsorgepflichtigen. Daher stellt sich grundsätzlich nicht die Frage, in welcher Reihenfolge Schäden aus der Deckungsvorsorge bedient werden, sondern in welcher Reihenfolge mehrere Haftungsansprüche vom Haftungsgegner reguliert werden müssen, deren Erfüllung ihrerseits von einer Deckungsvorsorge gewährleistet sind. Ein Bedürfnis für eine Festlegung der Reihenfolge der auszugleichenden Schäden ergibt sich in diesem Fall nur dann, wenn die Schadensersatzverpflichtungen aus einem Schadensereignis die zur Erfüllung der Schadensersatzverpflichtungen zur Verfügung stehenden Mittel übersteigen. Für diesen Fall sieht § 35 des Atomgesetzes vor, dass die Verteilung der Mittel durch Gesetz bis zum Erlass eines solchen Gesetzes durch Rechtsverordnung geregelt wird. Der deutsche Gesetzgeber hat außerdem in § 15 des Atomgesetzes für bestimmte Schadensfälle eine nachrangige Befriedigung aus der vorhandenen Deckungsvorsorge angeordnet. Das gilt dann, wenn der haftpflichtige Inhaber der Kernanlage und der Geschädigte Konzernunternehmen desselben Konzerns sind. In diesem Fall darf die Deckungsvorsorge zur Befriedigung von Ansprüchen des geschädigten Konzernunternehmens nur herangezogen werden, wenn dadurch die Ansprüche konzernunabhängiger Geschädigter nicht beeinträchtigt werden. Es gilt ferner auch dann, wenn der Schaden an einer industriellen Anlage in der Nähe der Kernanlage entstanden ist, sofern sich die geschädigte Industrieanlage nur deshalb an diesem Standort befindet, um aus der Kernanlage stammende Energie für Produktionsprozesse zu nutzen. Zu Frage 54: Für Drittschäden, die durch ein nukleares Ereignis verursacht werden, haftet ausschließlich der Betreiber des Reaktors gemäß dem Pariser Atomhaftungsübereinkommen in Verbindung mit §§ 25 ff. des Atomgesetzes. Die Verjährungsfrist für Ersatzansprüche beträgt drei Jahre ab Kenntnis oder Kennenmüssen des Schadens und des Ersatzpflichtigen, unabhängig davon 30 Jahre. Bei der gesetzlichen Regelung nach § 35 Abs. 1 des Atomgesetzes bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, zusätzlich Beträge der öffentlichen Hand zur Deckung der Schäden im Rahmen des Verteilungsverfahrens vorzusehen. Auch außerhalb des Verteilungsverfahrens kann die öffentliche Hand aus Billigkeitserwägungen weitere Mittel einsetzen. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Fragen des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/ 1694, Fragen 55 und 56): Mit welchen Maßnahmen fördert die Bundesregierung die Evaluierung von Open-Access-Veröffentlichungen und von Onlinezeitschriften mit dem Ziel der Erhaltung der Standards wissenschaftlicher Qualitätssicherung und guter wissenschaftlicher Praxis? Mit welchen Maßnahmen oder Projekten fördert die Bundesregierung den Aufbau und die Vernetzung von Repositorien? Zu Frage 55: Die deutschen Wissenschaftsorganisationen stehen den Bemühungen um Transparenz des Wissenschaftsbetriebs und insbesondere dem Ziel der Open-Access-Bewegung, wissenschaftliche Literatur und wissenschaftliche Materialien für alle Nutzerinnen und Nutzer kostenlos im Internet zugänglich zu machen, sehr aufgeschlossen gegenüber. Die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen hat 2008 dazu die Schwerpunktinitiative "Digitale Information" gestartet. Beim Open Access bezieht diese Initiative sowohl die Nachnutzung von Verlagsprodukten als auch die Onlinepublikation auf der Grundlage neuer Geschäftsmodelle ein. Ein wesentliches Element dieser Initiative sind digitale Zugänge zu Inhalten, die durch einen Peer-Review-Prozess qualitätsgesichert sind und den Standards guter wissenschaftlicher Praxis unabhängig von der Publikationsform entsprechen. Solange die Qualität von Publikationen durch geeignete Indizes und Metriken aus der Wissenschaft selbst fortlaufend bewertet wird, ist eine Evaluation sowohl konventioneller wissenschaftlicher Verlage als auch von Open-Access-Veröffentlichungen bzw. von Onlinezeitschriften zur Bemessung ihrer Qualität aus Sicht die Bundesregierung nicht erforderlich. Zu Frage 56: Die von Bund und Ländern institutionell geförderte Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, hat im Bereich Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssytem, LIS, innerhalb des Förderprogramms Elektronische Publikationen im wissenschaftlichen Literatur- und Informationsangebot ein eigenes Segment zur Förderung von Projekten im Bereich Open Access. Unter den geförderten Projekten befinden sich unter anderem Open-Access-Zeitschriften und Open-Access-Repositoren. Die Forschungseinrichtungen, die sich in der Open-Access-Initiative über die Allianz organisiert haben, betreiben aus deren Grundfinanzierung finanzierte Repositorien für die von ihren jeweiligen Gremien beschlossenen Zwecke. Eine direkte Förderung durch die Bundesregierung findet derzeit nicht statt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert vor allem bei der Deutschen Nationalbibliothek und weiteren Partnern Verbundvorhaben zur Langzeitarchivierung und Langzeitverfügbarkeit digitaler Dokumente. Dazu gehörte die Entwicklung dauerhafter elektronischer Standorte von digitalen Dokumenten, sogenannte persistente Identifier, im Projekt "EPICUR", dessen Ergebnisse heute Grundlage der dauerhaften Speicherung digitaler Werke bei der Deutschen Nationalbibliothek sind. Außerdem wurden sowohl technische Lösungen zur Langzeitarchivierung digitaler Werke untersucht als auch ein Kompetenznetzwerk aufgebaut. Die Entwicklung neuartiger technischer Möglichkeiten für Repositorien wird derzeit unter anderem im Verbundprojekt "WIKINGER" gefördert. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten Christian Lange (Backnang) (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 57): Plant die Bundesregierung, den Zeitrahmen für das zwischen Bund und Ländern gesteckte Ziel zu verlängern, 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Schulen und Hochschulen auszugeben? Die Bundeskanzlerin sowie die Regierungschefin und Regierungschefs der Länder haben bei ihrem Treffen am 16. Dezember 2009 das Ziel des Qualifizierungsgipfels vom 22. Oktober 2008 bekräftigt, bis zum Jahr 2015 in Deutschland die Investitionen in Bildung und Forschung auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Die Bundesregierung plant keine Verschiebung der Frist zur Erfüllung des 10-Prozent-Ziels. Anlage 31 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage des Abgeordneten Uwe Kekeritz (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage 60): Wie wird die Bundesregierung den auf dem G-8-Gipfel im Jahr 2008 gefassten Beschluss umsetzen, innerhalb von fünf Jahren, also bis 2013, 60 Milliarden US-Dollar zur weltweiten Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria sowie zur Stärkung der Gesundheitssysteme bereitzustellen, und wie wird sie dazu ihren nach dem G-8-Gipfel im Jahr 2007 aufgestellten Zeitplan anpassen, der vorsieht, den deutschen Anteil von 4 Milliarden Euro bis 2015 zu leisten? Bei dem G-8-Gipfel in Heiligendamm im Jahr 2007 wurden für den Kampf gegen Infektionskrankheiten und die Stärkung von Gesundheitssystemen 60 Milliarden US-Dollar zugesagt. Die Bundesregierung verpflichtete sich daraufhin, bis 2015 jährlich 500 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, das heißt insgesamt 4 Milliarden Euro. Erst bei dem G-8-Gipfel in Toyako wurde ein Zeitziel - fünf Jahre - eingeführt. Nach derzeitigem Stand besteht kein Anlass zu Zweifeln, dass das gemeinsame G-8-Ziel, 60 Milliarden US-Dollar bis Ende 2012 zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten und für die Stärkung von Gesundheitssystemen zur Verfügung zu stellen, erreicht werden kann. Die tatsächlichen deutschen Zusagen lagen 2007 bei 590 Millionen Euro und 2008 bei 737 Millionen Euro. Anlage 32 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage 62): Wie beurteilt die Bundesregierung die Menschenrechtslage in Äthiopien vor den Wahlen, insbesondere die Rechte Oppositioneller, von Journalistinnen und Journalisten und Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern, und in welcher Form und mit welchen Inhalten findet zwischen der Bundesregierung und Äthiopien ein Dialog über konkrete Menschenrechtsfragen statt? Die Bundesregierung verfolgt mit großer Aufmerksamkeit die innenpolitische Entwicklung in Äthiopien. Sie setzt sich gemeinsam mit ihren europäischen Partnern konsequent dafür ein, dass das Land auf dem Weg zu einem demokratischen Rechtsstaat voranschreitet. Die Vorbereitungen für die nächsten Parlamentswahlen am 23. Mai 2010 sind nach Kenntnis der Bundesregierung auf technischer Ebene zufriedenstellend verlaufen. Die Opposition klagt jedoch über Behinderung ihrer Anhänger. Einer EU-Wahlbeobachtung hat die äthiopische Regierung zugestimmt. Die Bundesregierung wird den Bericht sehr sorgfältig analysieren und prüfen, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Die EU hat im Rahmen des politischen Dialogs Menschen- und Bürgerrechtsfragen gegenüber Premierminister Meles Zenawi immer wieder, zuletzt am 29. März 2010, angesprochen. Die EU-Bemühungen haben unter anderem dazu geführt, dass verschiedentlich Inhaftierte freigelassen wurden. Anlage 33 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage 63): Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Tatsache, dass die Delegation der Bundesrepublik Deutschland bei der Überprüfungskonferenz des Internationalen Strafgerichtshofs in Kampala, Uganda, vom 31. Mai bis zum 11. Juni 2010 nicht durch hochrangige Regierungsmitglieder vertreten ist, obwohl dies in Anbetracht der notwendigen Unterstützung für den Internationalen Strafgerichtshof und die internationale Strafgerichtsbarkeit erforderlich ist, und hat die Bundesregierung ein "Relocation Agreement" mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Bezug auf den Opfer- und Zeugenschutz abgeschlossen? Die Bundesregierung misst der Überprüfungskonferenz des Internationalen Strafgerichtshofs, die vom 31. Mai bis 11. Juni 2010 in Kampala stattfindet, große Bedeutung bei. Die Leitung der deutschen Delegation liegt beim Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Markus Löning. Damit unterstreicht die Bundesregierung ihr bereits im Koalitionsvertrag niedergelegtes Verständnis vom Internationalen Strafgerichtshof als "unentbehrliches Instrument im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen". Zum zweiten Teil der Frage: Nein, die Bundesregierung hat bisher kein solches "Relocation Agreement" mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Bezug auf den Opfer- und Zeugenschutz abgeschlossen. Der Abschluss eines solchen Abkommens erfordert ein aufwendiges Verfahren unter Einschluss der Länder. Dem stehen bisher nur relativ wenige Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegenüber. Die Pflicht Deutschlands zur Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof ergibt sich unmittelbar aus dem Römischen Statut. Ersuchen des Gerichtshofs um Zeugen- oder Opferschutz können jederzeit auch ohne ein solches Abkommen erledigt werden. Die Bundesregierung behält sich aber vor, die Frage eines solchen Abkommens zu gegebener Zeit im Lichte der gemachten Erfahrungen erneut zu prüfen. Anlage 34 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1694, Frage 64): Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl der Aufständischen, die bisher im Jahr 2010 unter Beteiligung von Soldaten der Bundeswehr oder mit deren Unterstützung festgenommen, festgehalten oder in Gewahrsam genommen und an US-Stellen übergeben oder überlassen wurden, und deren weiteres Schicksal, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass ganz offensichtlich in Afghanistan und insbesondere in Bagram neben einem neuen US-Gefängnis, das als vorbildlich ausländischen Besuchern präsentiert wird, nach wie vor "Geheimgefängnisse" von US-Stellen unterhalten werden, in denen Gefangene, die verdächtigt werden, Aufständische zu sein, unmenschlicher Behandlung ausgesetzt werden, wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz jetzt gegenüber dem britischen Sender BBC bestätigte (Spiegel Online vom 11. Mai 2010)? Die Bundeswehr hat keine Aufständischen an US-amerikanische Stellen übergeben. Der Bundesregierung liegen über die angebliche Unterhaltung von "Geheimgefängnissen" durch US-Stellen keine Erkenntnisse vor. Anlage 35 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksache 17/1694, Frage 65): Welches Szenario liegt der laut Medienberichten in der vergangenen Woche in Süddeutschland abgehaltenen gemeinsamen Luftübung amerikanischer und israelischer Streitkräfte zugrunde, und in welcher Weise waren deutsche Behörden oder Institutionen eingebunden? Im Zeitraum vom 1. bis zum 7. Mai 2010 nahmen zwei Angehörige der israelischen Streitkräfte an einer Hubschrauberausbildung in Einrichtungen der in Deutschland stationierten US-Streitkräfte in Hohenfels und Grafenwöhr teil. Wie in solchen Fällen üblich, erging der hierzu erforderliche Antrag der hiesigen US-Botschaft über das Bundesministerium der Verteidigung an das Auswärtige Amt zur Prüfung in stationierungsrechtlicher und politischer Hinsicht. Anlage 36 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/1694, Frage 66): Inwieweit wurden die Ausbildungs- und Ausrüstungsmaßnahmen der Kosovo Force - NATO-Sicherheitstruppe Kosovo Force, KFOR -, mittels derer die unter dem Kommando des ehemaligen UCK-Kämpfers Sylejman Selimi befindliche und ganz überwiegend ebenfalls aus ehemaligen UCK-Kämpfern bestehende Kosovo Security Force unter Beteiligung des deutschen KFOR-Kontingentes zu einer Mischung aus Katastrophenschutzeinheit und Armee des Kosovo aufgebaut werden soll, wieder aufgenommen, nachdem sie ausgesetzt wurden, weil sich die Kosovo Security Force bewaffnet an einer Gedenkveranstaltung für die UCK beteiligt hat, und ist die Bundeswehr auch weiterhin hieran beteiligt? Die Kosovo-Truppe, KFOR, hat die Zusammenarbeit mit der Kosovo Sicherheitstruppe, KSF, am 6. März 2010 ausgesetzt und am 10. März 2010 wieder aufgenommen. Die Bundeswehr ist im Rahmen ihres vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Mandats und im Rahmen der im Bündnis vereinbarten Aufgaben vor Ort daran beteiligt. II Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 III Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 4214 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4213