Plenarprotokoll 17/51 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 51. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2010 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Rainer Arnold und Rainer Brüderle Absetzung des Tagesordnungspunktes 1 Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Nachträgliche Ausschussüberweisung Zusatztagesordnungspunkt 1: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Aufschwung für Deutschland Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi Garrelt Duin (SPD) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Norbert Geis (CDU/CSU) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Dr. Hermann Otto Solms (FDP) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) Klaus Barthel (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Ernst Hinsken (CDU/CSU) Peter Friedrich (SPD) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Alexander Bonde, Priska Hinz (Herborn), Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haushalt zukunftsfest machen - Nachhaltig sanieren - Ökologisch und sozial investieren (Drucksache 17/2327) Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Norbert Barthle (CDU/CSU) Joachim Poß (SPD) Otto Fricke (FDP) Florian Toncar (FDP) Steffen Bockhahn (DIE LINKE) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) Steffen Bockhahn (DIE LINKE) Nicolette Kressl (SPD) Johannes Kahrs (SPD) Otto Fricke (FDP) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Otto Fricke (FDP) Alois Karl (CDU/CSU) Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 23: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Änderungsprotokoll vom 21. Januar 2010 zum Abkommen vom 11. April 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern sowie des dazugehörigen Schlussprotokolls in der Fassung des Zusatzabkommens vom 5. November 2002 (Drucksache 17/2255) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Februar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Syrien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (Drucksache 17/2251) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Februar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malaysia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (Drucksache 17/2252) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abkommen vom 25. Januar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bulgarien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 17/2253) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 17/2254) f) Antrag der Abgeordneten Michael Frieser, Erika Steinbach, Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Marina Schuster, Pascal Kober, Serkan Tören, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Todesstrafe weltweit ächten und abschaffen (Drucksache 17/2331) g) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitäreinrichtungen: Versorgung weltweit verbessern (Drucksache 17/2332) h) Antrag der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller, Anette Kramme, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Arbeitsmarktpolitik erfolgreich umsetzen und ausbauen (Drucksache 17/2321) i) Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unabhängige Patientenberatung in Regelangebot überführen (Drucksache 17/2322) j) Antrag der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung von Wildtieren im Zirkus grundsätzlich verbieten (Drucksache 17/2146) Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Deutschen Bundestag bei der Reform der Umsatzsteuer beteiligen (Drucksache 17/2333) b) Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Katrin Göring-Eckardt, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das "Parlament der Bäume gegen Krieg und Gewalt" muss dauerhaft geschützt werden (Drucksache 17/1580) Tagesordnungspunkt 24: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schaffung eines Naturwalderbes vorbereiten und Moratorium für die Privatisierung von Bundeswäldern erlassen (Drucksachen 17/796, 17/1823) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Friedrich Ostendorff, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hofabgabe als Voraussetzung für den Bezug einer Altersrente für Landwirte abschaffen (Drucksachen 17/1203, 17/2266) c)-n) Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114 und 115 zu Petitionen (Drucksachen 17/2151, 17/2152, 17/2153, 17/2154, 17/2155, 17/2156, 17/2157, 17/2158, 17/2159, 17/2160, 17/2161, 17/2162) Zusatztagesordnungspunkt 3: Befragung der Bundesregierung: Gesetzentwurf zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Karl Lauterbach (SPD) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Kathrin Vogler (DIE LINKE) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Marlies Volkmer (SPD) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Erwin Lotter (FDP) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Elke Ferner (SPD) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Harald Weinberg (DIE LINKE) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Carola Reimann (SPD) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Tagesordnungspunkt 3: Fragestunde (Drucksachen 17/2285, 17/2323) Dringliche Frage 1 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Datenübermittlung des BKA an die pakistanische Polizei im Fall des deutschen Staatsbürgers Rami M. Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Zusatzfragen Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 1 Dr. Bärbel Kofler (SPD) Durch Mittel der Fast-Start-Initiative im Bereich des internationalen Klimaschutzes vom BMU finanzierte Projekte Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Bärbel Kofler (SPD) Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Matthias Miersch (SPD) Mündliche Frage 2 Dr. Bärbel Kofler (SPD) Auswirkungen des Marktanreizprogramms auf Investitionen und Steuereinnahmen als Beitrag für einen wirtschaftlichen Aufschwung; Fortsetzung von Marktanreizprogramm und internationaler Klimaschutzinitiative im Jahr 2011 Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Bärbel Kofler (SPD) Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Matthias Miersch (SPD) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 6 Dr. Matthias Miersch (SPD) Beurteilung der im Rahmen der Verhandlungen über die Novelle der IVU-Richtlinie vereinbarten Übergangsfrist für die Umrüstung oder Abschaltung veralteter Kraftwerke und Großfeuerungsanlagen Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Mündliche Frage 7 Dr. Matthias Miersch (SPD) Auswirkungen des seit fast 20 Jahren aus einem explodierten Bohrloch der Exxon Mobil in der Nordsee ausströmenden Methangases auf Umwelt und Klima Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Matthias Miersch (SPD) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 12 Oliver Kaczmarek (SPD) Stand der Erarbeitung der Grundwasserverordnung und Beteiligung des Deutschen Bundestages Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Oliver Kaczmarek (SPD) Mündliche Frage 13 René Röspel (SPD) Beitrag der Grünen Gentechnik zur Welternährung nach Ansicht der Bundesministerin Dr. Annette Schavan Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Mündliche Frage 14 Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Umstrukturierung der medizinischen Forschung und Lehre in Schleswig-Holstein Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfrage Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) René Röspel (SPD) Tagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des § 33 des Gerichtsverfassungsgesetzes (Drucksachen 17/1462, 17/2350) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Dr. Peter Danckert (SPD) Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) Jens Petermann (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Dr. Peter Danckert (SPD) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Matthias Miersch, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Keine Patente auf Pflanzen und Tiere (Drucksache 17/2016) b) Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Priska Hinz (Herborn), Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Patentierung von Pflanzen, Tieren und biologischen Züchtungsverfahren stoppen (Drucksache 17/2141) Dr. Matthias Miersch (SPD) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Stephan Thomae (FDP) Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Matthias Miersch (SPD) Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Tagesordnungspunkt 6: Bericht des Petitionsausschusses: Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag; Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 2009 (Drucksache 17/2100) Kersten Steinke (DIE LINKE) Günter Baumann (CDU/CSU) Stefan Schwartze (SPD) Stephan Thomae (FDP) Ingrid Remmers (DIE LINKE) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gero Storjohann (CDU/CSU) Klaus Hagemann (SPD) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Roland Claus, Jörn Wunderlich, Dr. Dietmar Bartsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes (Drucksache 17/2150) Roland Claus (DIE LINKE) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Marco Buschmann (FDP) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung: Stellungnahme des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung - Peer Review der deutschen Nachhaltigkeitspolitik (Drucksachen 17/1657, 17/2061 Nr. 1.1, 17/2314) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) Michael Kauch (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Tankred Schipanski (CDU/CSU) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Daniela Raab (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine soziale Revision der Entsenderichtlinie (Drucksache 17/1770) Josip Juratovic (SPD) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Jutta Krellmann (DIE LINKE) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) (Drucksache 17/2249) Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Dr. Carsten Sieling, Manfred Zöllmer, Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gesamtkonzept zur Stärkung des Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen vorlegen (Drucksache 17/2136) Dr. Carsten Sieling (SPD) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Harald Koch (DIE LINKE) Dr. Erik Schweickert (FDP) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) Kerstin Tack (SPD) Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung - zu dem Antrag der Abgeordneten Axel Knoerig, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann (Lausitz), Dr. Peter Röhlinger, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Brücken bauen - Grundlagenforschung durch Validierungsförderung der Wirtschaft nahebringen - zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Innovationslücke schließen - Zügig ein tragfähiges Konzept zur Stärkung der Innovations- und Validierungsforschung vorlegen (Drucksachen 17/1757, 17/1958, 17/2368) Axel Knoerig (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: UN-geführte Untersuchung des israelischen Angriffs auf den Gaza-Hilfstransport - Sofortige Aufhebung der Blockade (Drucksache 17/2259) b) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ereignisse um die Gaza-Flottille aufklären - Lage der Menschen in Gaza verbessern - Nahost-Friedensprozess unterstützen (Drucksache 17/2328) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Dr. Rolf Mützenich (SPD) Dr. Rainer Stinner (FDP) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Ekin Deligöz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze im Bereich des Adoptionsrechts (Drucksache 17/1429) b) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Katja Dörner, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die revidierte Fassung des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern unterzeichnen (Drucksache 17/2329) Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Crone, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Illegalen Holzeinschlag und Holzhandel durch eine durchgreifende EU-Verordnung wirksam verhindern (Drucksachen 17/1962, 17/2315) Alois Gerig (CDU/CSU) Petra Crone (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten René Röspel, Priska Hinz (Herborn), Dr. Petra Sitte, Kerstin Andreae und weiterer Abgeordneter: Einrichtung eines Parlamentarischen Beirats zu Fragen der Ethik (Ethikbeirat) (Drucksache 17/1806) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) Rudolf Henke (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterstützung für Alleinerziehende verbessern (Drucksache 17/2330) Dorothee Bär (CDU/CSU) Nadine Müller (St. Wendel) (CDU/CSU) Christel Humme (SPD) Miriam Gruß (FDP) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Ingrid Nestle, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Steinkohlesubventionen jetzt überprüfen (Drucksache 17/2142) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Paul K. Friedhoff (FDP) Ulla Lötzer (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Berichtigung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und Folgeresolutionen (49. Sitzung, Tagesordnungspunkt 9 b) Anlage 3 Mündliche Frage 3 Gerd Bollmann (SPD) Zeitplan für die Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie der EU in nationales Recht Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 4 Mündliche Frage 4 Dr. Hermann Scheer (SPD) Regionale Wertschöpfung und Akzeptanz von Windenergieanlagen bei Kommunen nach Einführung des besonderen Gewerbesteuersplittings und Bedeutung für den weiteren Ausbau der Onshore-Windenergie Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 5 Mündliche Frage 5 Dr. Hermann Scheer (SPD) Anreize für Gemeinden zur Ausweisung von Flächen zur Windenergienutzung in § 29 Abs. 1 Nr. 2 des Gewerbesteuergesetzes auch nach der möglichen Abschaffung der Gewerbesteuer Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 6 Mündliche Frage 8 Ute Vogt (SPD) Beurteilung der Forschungsergebnisse zu den Stickstoffoxidemissionen von Euro-5-LKWs Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 7 Mündliche Frage 9 Frank Schwabe (SPD) Kenntnisse der Bundesregierung über eine Studie aus dem Jahr 2005 zur Klimarelevanz von Dieselruß Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 8 Mündliche Frage 10 Frank Schwabe (SPD) Konkretes Minderungsziel für Dieselruß als Bestandteil der nationalen Klimaschutzpolitik Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 9 Mündliche Frage 11 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Verpackung abgebrannter Brennstäbe des Forschungsschiffes "Otto Hahn" auf dem Gelände des Atomkraftwerks Krümmel; Bevorzugung kurzer Transportwege für radioaktive Stoffe Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 10 Mündliche Frage 15 Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Befassung des Wissenschaftsrats mit dem laut Presseinformationen geplanten Wechsel des Forschungszentrums Borstel von der Leibniz-Gemeinschaft in die Helmholtz-Gesellschaft Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 11 Mündliche Frage 16 Sönke Rix (SPD) Beabsichtigte Schließung der Wirtschaftsstudiengänge in Flensburg und der Medizinischen Fakultät in Lübeck Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 12 Mündliche Frage 17 Sönke Rix (SPD) Maßnahmen zur Sicherung der Hochschulstandorte Lübeck und Flensburg Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 13 Mündliche Frage 18 Dagmar Ziegler (SPD) Gespräche zwischen der Bundesministerin für Bildung und Forschung und dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein über die Rücknahme der eingeführten Mehrwertsteuersubvention für Hoteliers Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 14 Mündliche Frage 19 Dagmar Ziegler (SPD) Gespräche zwischen dem Bund und dem Land Schleswig-Holstein über eine Abwendung der drohenden Schließung von Spitzenuniversitäten wie der Universität Lübeck Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 15 Mündliche Frage 20 Florian Pronold (SPD) Konsequenzen aus dem zunehmenden Rückzug der Länder aus mit dem Bund vereinbarten Programmen im Bereich Bildung und Forschung Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 16 Mündliche Frage 21 Florian Pronold (SPD) Einschätzung der Hochschulrektorenkonferenz zur Schließung des Medizinstudiengangs an der Universität Lübeck und Schlussfolgerungen der Bundesregierung Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 17 Mündliche Fragen 22 und 23 Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Vereinbarkeit der Schließung der Hochschulen in Flensburg und Lübeck mit der Einrichtung von 275 000 neuen Studienplätzen bis 2015 im Rahmen des Hochschulpakts; Verhinderung weiterer Kürzungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich auf Länderebene Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 18 Mündliche Frage 24 Michael Gerdes (SPD) Hochschulpolitische Situation in Schleswig-Holstein und Pläne zur Einrichtung einer Bildungsrepublik Deutschland Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 19 Mündliche Frage 25 Michael Gerdes (SPD) Erhalt der Universität Lübeck nach dem Modell des Karlsruher Instituts für Technologie Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 20 Mündliche Fragen 26 und 27 Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Schließung der Medizinischen Fakultät der Universität zu Lübeck vor dem Hintergrund des drohenden Ärztemangels; Finanzierung wissenschaftlicher Exzellenz durch die Länder Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 21 Mündliche Fragen 28 und 29 Swen Schulz (Spandau) (SPD) Reduzierung von Staatsaufgaben zulasten von Bildung und Wissenschaft; wirksames Verhindern eines Gegeneinanderausspielens von Hochschulstandorten Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 22 Mündliche Fragen 30 und 31 Willi Brase (SPD) Modelle zur Rettung der Universität Lübeck und Beitrag des Bundes zum Erhalt der von Schließung bedrohten Universitäten Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 23 Mündliche Fragen 32 und 33 Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sicherstellung der auf dem G-8-Gipfel zugesagten Mittel ohne Kürzungen in anderen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit sowie geleisteter bzw. zu leistender Anteil an den deutschen Zusagen für Mütter- und Kindergesundheit Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 24 Mündliche Frage 34 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Abschaffung der Rundfunkgebührenbefreiung für Menschen mit Behinderungen und gemeinnützige Einrichtungen für Behinderte Antwort Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin Anlage 25 Mündliche Frage 35 Erika Steinbach (CDU/CSU) Kenntnis der Bundesregierung über die Anzahl der in den letzten drei Jahren ermordeten Journalisten Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt Anlage 26 Mündliche Fragen 36 und 37 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Äußerungen der Staatsministerin im Auswärtigen Amt Cornelia Pieper zur polnischen Präsidentenwahl; Einmischung in Wahlauseinandersetzungen europäischer Partnerstaaten Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt Anlage 27 Mündliche Fragen 38 und 39 Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nachweis von Deutschkenntnissen beim Nachzug türkischer Ehegatten mit einem Hoch- oder Fachhochabschluss; Verzicht auf diesen Nachweis bei erkennbar geringem Integrationsbedarf Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt Anlage 28 Mündliche Fragen 40 und 41 Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einsatz von Polizisten im Rahmen der OSZE zur Stabilisierung der politischen Lage in Kirgistan Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt Anlage 29 Mündliche Frage 42 Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Konsequenzen für die Finanzierung der Bildungsaufgaben im Aufgabengebiet des BMI durch die Beschlüsse zur Haushaltskonsolidierung Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 30 Mündliche Frage 43 Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Bundesgesetzlicher Änderungsbedarf im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit unbegleiteter minderjähriger Asylbewerber infolge der Rücknahme des Vorbehalts zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 31 Mündliche Frage 44 Peter Friedrich (SPD) Werbung rechtsextremer Gruppierungen wie die NPD über Google-Anzeigen in Blogs und Onlineangeboten von Tageszeitungen Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 32 Mündliche Frage 45 Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deutsche Enthaltung bei der Abstimmung im EU-Ministerrat zum SWIFT-Abkommen mit den USA Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 33 Mündliche Fragen 46 und 47 Dr. Eva Högl (SPD) Verhalten der Bundesregierung bei der Abstimmung über das SWIFT-Abkommen und Bedeutung des im Koalitionsvertrag formulierten Ratifizierungsvorbehalts für das Inkrafttreten Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 34 Mündliche Frage 48 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Verabschiedung einer Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ohne Zustimmung des Bundesrates Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 35 Mündliche Frage 49 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Beteiligung von EULEX Kosovo an der Abschiebung von mehr als 100 Menschen nach Pristina am 22. Juni 2010 Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 36 Mündliche Frage 50 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Verweigerung der Bereitstellung von Dokumenten zum Bosnien-Krieg für den Karadzic-Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien durch die Bundesregierung Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 37 Mündliche Frage 51 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Steuermindereinnahmen durch die geplante Verlängerung der Steuerbegünstigung für Agrardiesel in den nächsten fünf Jahren und Kompensation der Einnahmeverluste Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 38 Mündliche Frage 52 Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Steuerrechtliche Abschreibungsmöglichkeiten in den Bereichen Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 39 Mündliche Frage 53 Peter Friedrich (SPD) Vereinbarkeit der Bereitstellung abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufbereitung in Russland mit dem erklärten Einsatz für eine Stilllegung der RBMK-Reaktoren Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 40 Mündliche Frage 54 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inhaltliche Argumente der Vertreter der vier großen deutschen Energiekonzerne zu einer Brennelementesteuer und einer eventuellen Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 41 Mündliche Frage 55 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Alternativvorschläge zu einer Brennelementesteuer Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 42 Mündliche Fragen 56 und 57 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusammenhang zwischen der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke und der Einführung der Brennelementesteuer sowie Gespräche zwischen BMF und Atomkraftwerksbetreibern über Alternativen zu dieser Steuer Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 43 Mündliche Frage 58 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Rechtsrahmen für CCS-Projekte gemäß CCS-Gesetz Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 44 Mündliche Frage 59 Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Verankerung qualifizierter Reha-Berater bei den SGB-II-Trägern für die Aufgaben nach § 104 SGB IX; Erhöhung des Betreuungsschlüssels für Schwerbehinderte im SGB II Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 45 Mündliche Frage 60 Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Einschränkung der Arbeitsförderungsleistungen durch Umwandlung von Pflicht- in Ermessensleistungen für Schwerbehinderte im Rahmen des Sparpakets Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 46 Mündliche Fragen 61 und 62 Klaus Brandner (SPD) Auswirkungen des beabsichtigten Wegfalls des Zuschusses an die Rentenversicherung beim Arbeitslosengeld II und von Erstattungen einigungsbedingter Leistungen an die Rentenversicherung Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 47 Mündliche Fragen 63 und 64 Werner Dreibus (DIE LINKE) Entwicklung der mit der örtlichen Prüfung von Leiharbeitsunternehmen befassten Mitarbeiter bei der Bundesagentur für Arbeit sowie von Verstößen gegen das vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz betroffene Leiharbeitnehmer seit 2005; Regelung und Ergebnisse der Nachkontrolle beanstandeter Leiharbeitsunternehmen Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 48 Mündliche Fragen 65 und 66 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Entwicklung der seit 2005 verhängten Bußgelder aufgrund von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz; politischer Handlungsbedarf Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 49 Mündliche Frage 67 Jutta Krellmann (DIE LINKE) Einsatzbranchen mit den meisten Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz; Anzahl der von Verstößen betroffenen Beschäftigten seit 2005 Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 50 Mündliche Frage 68 Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Konsequenzen aus den rückläufigen Anmeldezahlen von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden bei den Berufsbildungswerken Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 51 Mündliche Frage 69 Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Umsetzung der im Rahmen der UN-Behindertenkonvention empfohlenen Einrichtung von Focal Points Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 52 Mündliche Frage 70 Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aktivitäten auf nationaler und europäischer Ebene zur Einführung einer Tierschutzkennzeichnung Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 53 Mündliche Frage 71 Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kürzungen im Agraretat zur Gegenfinanzierung der Beibehaltung der Steuerermäßigung für Agrardiesel Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 54 Mündliche Fragen 72 und 73 Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auswahlkriterien für die Schließung kleinerer Kasernen sowie Beteiligung betroffener Städte und Gemeinden Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 55 Mündliche Frage 74 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Schicksal der auf der Joint Priority Effects List der NATO-Truppen für Nordafghanistan verzeichneten Personen Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 56 Mündliche Frage 76 René Röspel (SPD) Pflicht zur Veröffentlichung und Registrierung aller klinischen Studien im Rahmen des geplanten Arzneimittelneuordnungsgesetzes Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 57 Mündliche Frage 77 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Neubewertung der Suchtgefahr bei Soziallotterien in der anstehenden Novellierung des Glücksspiel-Staatsvertrages Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 58 Mündliche Fragen 78 und 79 Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wirtschaftliche Situation freiberuflicher Hebammen sowie Gewährleistung der Versorgung mit Hebammen insbesondere im ländlichen Raum Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 59 Mündliche Fragen 80 und 81 Dirk Becker (SPD) Kriterien für die Leistungsbestimmung von Biogasanlagen und Beibehaltung der Leistungsbegrenzung von 500 kW im Außenbereich Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 60 Mündliche Frage 82 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nichtverwendung des durch die Materialforschungs- und -prüfanstalt an der Bauhaus-Universität Weimar im Jahr 1992 empfohlenen Alkalikieselsäurereaktionsverfahrens beim Straßenbau durch die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und Bau GmbH sowie eventuell geschädigte Autobahnabschnitte Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 61 Mündliche Frage 83 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Finanzierungsvereinbarung für den zweiten S-Bahn-Tunnel in München und Beteiligung des Bundes Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 62 Mündliche Frage 84 Michael Groß (SPD) Auswirkungen der geplanten Streichung des Heizkostenzuschusses auf die kommunalen Finanzen und vorgesehene Kompensation Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 63 Mündliche Fragen 85 und 86 Uwe Beckmeyer (SPD) Verkehrsaufkommen von Lkw mit einem Gewicht von über 12 Tonnen auf vier- und mehrspurigen Bundesstraßen; Einnahmen aus einer Lkw-Maut auf Bundesstraßen und geschätzte Systemkosten Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 64 Mündliche Fragen 87 und 88 Christian Lange (Backnang) (SPD) Vorgesehene Einsparungen bei den Infrastrukturinvestitionen für die Jahre 2011 bis 2014 sowie Auswirkungen auf die Länderfinanzen und auf zugesicherte Verkehrsprojekte Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 65 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) (Tagesordnungspunkt 10) Olav Gutting (CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Dr. Daniel Volk (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 66 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: - Brücken bauen - Grundlagenforschung durch Validierungsförderung der Wirtschaft nahebringen - Innovationslücke schließen - Zügig ein tragfähiges Konzept zur Stärkung der Innovations- und Validierungsforschung vorlegen (Tagesordnungspunkt 12) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 67 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: - Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze im Bereich des Adoptionsrechts - Antrag: Die revidierte Fassung des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern unterzeichnen (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Ute Granold (CDU/CSU) Johannes Kahrs (SPD) Stephan Thomae (FDP) Michael Kauch (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 51. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2010 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich in einem Plenarsaal, dessen Möblierung noch nicht ganz dem Üblichen entspricht, aber in dem die Zahl der Stühle über Nacht auf die tatsächliche Zahl der Mitglieder des Bundestages zurückgeführt worden ist; damit werden wir vermutlich bei der Abwicklung der heutigen Tagesordnung gut auskommen. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kollegen Rainer Arnold zu seinem 60. Geburtstag gratulieren. (Beifall) Der Kollege Rainer Brüderle hat seinen 65. Geburtstag gefeiert, wozu ich besonders herzlich gratuliere. (Beifall) Alle guten Wünsche für die nächsten Jahre! Der zunächst vorgesehene Tagesordnungspunkt 1 mit Anträgen zur Religionsfreiheit wird für heute abgesetzt. Wir beginnen gleich mit einer Regierungserklärung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie. Darüber hinaus ist beabsichtigt, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Aufschwung für Deutschland ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 23 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Deutschen Bundestag bei der Reform der Umsatzsteuer beteiligen - Drucksache 17/2333 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Katrin Göring-Eckardt, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das "Parlament der Bäume gegen Krieg und Gewalt" muss dauerhaft geschützt werden - Drucksache 17/1580 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ZP 3 Befragung der Bundesregierung Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Ich mache auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 43. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen - Drucksachen 17/1719, 17/2280 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Sind Sie damit einverstanden? (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ja, Herr Präsident!) - Das ist gut so; das erspart uns weitere Verzögerungen. Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Aufschwung für Deutschland Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich erteile das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Rainer Brüderle. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist wieder da, nicht nur sportlich, sondern auch wirtschaftlich und politisch. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) Die Bundesbank sieht das Wachstum für dieses Jahr bei 1,9 Prozent, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sogar bei 2,3 Prozent. Auch 2011 wird sich die Erholung allen Prognosen zufolge fortsetzen. Das alles geschieht bei historisch niedrigen Zinsen und hoher Geldwertstabilität. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotz der Regierung!) Die Auftragsbücher der Industrie haben sich im Frühjahr deutlich gefüllt. Die Produktionstätigkeit hat sich kräftig belebt. Die Auslastung der Kapazitäten nimmt wieder zu. Die Perspektiven für den Welthandel, die Weltwirtschaft haben sich deutlich aufgehellt. Der Internationale Währungsfonds rechnet mit einer Zunahme des Welthandelsvolumens um 7 Prozent in diesem Jahr und 6 Prozent im nächsten Jahr. Wir müssen dabei sein, und wir werden dabei sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das sind ermutigende Signale. Das ist genau die Entwicklung, die wir mit unserer wachstums- und arbeitsplatzfreundlichen Politik erreichen wollen. Die Wachstumsbeschleunigung findet statt, so wie wir sie im gleichnamigen Gesetz zum Jahresanfang angedacht haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Davon haben die Bürger konkret etwas. Die Nettoreallöhne steigen seit Jahren erstmals wieder. Die Zahlen zeigen auch: Wir sind eine exportorientierte Wirtschaft, und darauf können wir stolz sein. Wir können stolz darauf sein, dass die ganze Welt unsere hochwertigen Waren und Dienstleistungen nachfragt, (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schwacher Euro!) dass wir in Deutschland hochqualifizierte und hochmotivierte Arbeitskräfte haben, dass wir die Konjunkturlokomotive für die gesamte Europäische Union sind und dass wir in vielen Zukunftsbranchen an der Spitze der technologischen Entwicklung stehen. Ich nenne beispielhaft: Pharmabereich, Biotechnologie, Nanotechnologie, Medizintechnik, Umwelttechnologie, die erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Vergessen wir auch nicht die klassischen Stärken unserer Exportwirtschaft: den Maschinen- und Anlagenbau, Chemie und Elektrotechnik. Auch bei der Automobilindustrie brummt es wieder. Nicht nur bei Daimler, Audi und BMW gibt es Sonderschichten, auch viele Mittelständler fahren die Kapazitäten hoch. Die internationalen Export- und Importströme sind übrigens sehr viel komplexer, als mancher behauptet. Der Anstieg des deutschen Exports geht vor allem auf die starke asiatische Nachfrage zurück. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und auf den schwachen Euro!) Diese Länder produzieren ihrerseits Exportüberschüsse. Sie leiden also nicht unter der deutschen Exportstärke und an ihren Importen, sondern sie nutzen den Import hochwertiger deutscher Produkte, um wirtschaftlich erfolgreicher zu sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auch die Vereinigten Staaten haben das offensichtlich erkannt. Präsident Obama hat im Februar eine Außenwirtschaftsoffensive gestartet. Nun gibt es einige, die unser erfolgreiches Exportmodell infrage stellen. Sie fordern: Erhöht drastisch die Löhne, macht noch mehr Konjunkturprogramme! Aber das ist der falsche Weg. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das wäre eine Art schleichende "Griechenlandisierung" der deutschen Wirtschaftspolitik. Das machen wir nicht. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Es werden hundertprozentige Sofortabschreibungen vorgeschlagen, sozusagen eine Abwrackprämie für alte Maschinen. Das ist kurzsichtig. Das ist kurzatmig. Das ist aktionistische Strohfeuerpolitik. Natürlich ist eine starke Binnenkonjunktur wichtig. Natürlich sind die sie stärkenden Investitionen wichtig, aber dafür brauchen wir eine klare Politik mit langen Linien und kein kurzes Denken. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn kurzes Denken?) Wir müssen die Unternehmen auch in Deutschland investieren lassen. Technologiefeindlichkeit und ein rückwärtsgerichtetes Denken schaden unserem Land. Die Binnennachfrage wird stärker gefördert, wenn wir die Selbstblockaden etwa bei der Kernenergie (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) oder der Gentechnik auflösen. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Blockade ist bei Ihnen!) Ich verweise auf den Transrapid in der Vergangenheit. Ich nenne die CCS-Technologie mit großen Chancen für unsere Wirtschaft, aber auch für den Klimaschutz. Wer nicht in Deutschland investieren darf, wird zum Export gezwungen. Im schlimmsten Fall geht er ganz. So stärkt man die Binnennachfrage nicht. Man stärkt sie, indem man Beschäftigung schafft. Jeder Arbeitslose, der einen Job bekommt, macht sein eigenes Konjunkturprogramm. Er hat mehr Einkommen und damit mehr Konsummöglichkeiten. Sie kennen die Faustformel: 100 000 Arbeitslose weniger bedeuten allein für den Staat rund 2 Milliarden Euro mehr. Die gestiegenen privaten Konsumausgaben, die damit verbunden sind, sind hierbei nicht eingerechnet. Ich will lieber Hunderttausende kleine private Konjunkturprogramme haben als staatlichen Dirigismus. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir erleben in Deutschland ein gar nicht so kleines Jobwunder. Die Erwerbstätigkeit nimmt zu, die Arbeitslosigkeit nimmt ab. Wir können bald die Marke von 3 Millionen Arbeitslosen unterschreiten. Im Juni gab es noch 3,15 Millionen Arbeitslose. Das sind fast 260 000 weniger als im Vorjahr. Erfreulich ist auch die Lage in Ostdeutschland. Dort ist die Arbeitslosigkeit das erste Mal seit Jahren unter 1 Million gefallen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) In ganz Deutschland hat sich die Zahl der Kurzarbeiter seit dem Höhepunkt im Mai letzten Jahres etwa halbiert. Die Bundesagentur für Arbeit sieht hierin Signale für weitere Entspannung. Es gibt erste Schätzungen, dass wir Ende des Jahres die Zahl auf 100 000 zurückführen können. Im internationalen Vergleich steht Deutschland mit einer ILO-Arbeitslosenquote von 7,1 Prozent deutlich besser da als die Vereinigten Staaten mit 9,9 Prozent und liegt unter dem Durchschnitt des Euro-Raums mit über 10 Prozent. Für dieses Jobwunder gibt es eine Formel: Flexibilität und Sicherheit. Diese Entwicklung haben zu zwei Dritteln betriebliche Bündnisse und flexible Strukturen ermöglicht - und nur zu einem Drittel die staatliche Arbeitsmarktpolitik. Meine Damen und Herren, wir können die Weichen für weiteren wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland stellen. Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Die christlich-liberale Koalition hat diesen Kompass. In der sozialen Marktwirtschaft geht es um die richtige Balance von Staat und Markt, von eigenverantwortlichen Entscheidungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger und kollektiven Entscheidungen des Staates. In diesem Zusammenhang ist das Prinzip von Eigenverantwortung und Haftung von zentraler Bedeutung. Der Einzelne haftet für die Folgen seines Handelns im Positiven wie im Negativen. Das heißt, er muss die Früchte seiner Leistung ernten können, aber er muss auch für die Verluste, von Fehlentscheidungen ausgelöst, einstehen und dafür haften. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Im Zuge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise ist dieses Prinzip durch zahlreiche Rettungsschirme für Banken und Unternehmen und sogar für Staaten notgedrungen verletzt worden. Wir hatten eine heftige keynesianische Situation mit großer Deflationsgefahr und der Gefahr der Liquiditätsfalle, was bedeutet, dass selbst weitere Liquidität nicht zu Impulsen führt. Karl Schiller sagte es einmal so: Wenn die Pferde nicht saufen, dann funktioniert das nicht. (Thomas Oppermann [SPD]: Das waren noch Zeiten, als Karl Schiller Finanzminister war!) Aber jetzt kommt der Unterschied zu den Politikansätzen der Opposition. Es lohnt sich immer, auch das zweite Kapitel von Keynes zu lesen: Im Aufschwung müssen staatliche Programme zurückgefahren werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Im Aufschwung müssen die Staatsschulden wieder reduziert werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) - Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht mal!) Wir müssen also wieder zu einer bewussten Gestaltung des Ordnungsrahmens kommen. Wir bezeichnen das als Exit-Strategie. Der Fall Opel ist ein Beleg dafür, dass wir es mit der sozialen Marktwirtschaft ernst meinen. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht; aber General Motors hat wenige Tage nach unserer Entscheidung alle Anträge auf Staatshilfen in Europa zurückgezogen. General Motors übernimmt die volle unternehmerische Verantwortung - übrigens mit einem historischen Börsengang im Rücken. Dort stehen Zahlen von 80 bis 90 Milliarden US-Dollar im Raum. Wir haben dem deutschen Steuerzahler einen Haufen Geld gespart. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auch in anderen europäischen Staaten wird man mit der Entwicklung in Deutschland, was dieses Thema angeht, nicht unzufrieden sein. Der Fall Opel zeigt auch: Die Unternehmen sollten ihren Gehirnschmalz und ihre Ressourcen in neue Ideen und Produkte stecken. Viel Zeit und viel Geld für Subventionsberater, Anwälte und Lobbyisten auszugeben, ist weder marktwirtschaftlich noch unternehmerisch. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zum konsequenten Rückzug des Staates aus den Krisenmechanismen gehört, dass wir den Wirtschaftsfonds Deutschland nicht willkürlich verlängern; sonst drohen Gewöhnungseffekte. Bis zum 31. Dezember 2010 können noch Anträge gestellt werden. Derzeit sehe ich keinen Grund, den Fonds darüber hinaus weiterlaufen zu lassen. Die Euro-Krise hat uns gezeigt: Wettbewerbsfähigkeit und klare, saubere ordnungspolitische Grenzen sind auch in Europa unabdingbar. Auch in Europa brauchen wir eine ordnungspolitische Diskussion. Denn in Europa gibt es unterschiedliche Philosophien und Ansätze, etwa das skandinavische Wohlfahrtsmodell, das zentralistische Modell der Franzosen, die Freihandelstradition der Engländer und die soziale Marktwirtschaft in Deutschland. Diese unterschiedlichen Kulturen müssen im Bereich der Wirtschaftspolitik wirkungsvoll koordiniert werden. Dabei kann es nicht um eine zentrale Detailsteuerung von Einzelmaßnahmen der Mitgliedstaaten durch einseitige Vorgaben der EU gehen; so verstehen jedenfalls wir den Begriff "Wirtschaftsregion" nicht. Wir brauchen vielmehr ein strukturpolitisches Frühwarnsystem. Die tiefer liegenden strukturellen Fehlentwicklungen müssen früher, klarer, wirkungsvoller erkannt und angegangen werden. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Und wie machen Sie das?) Letztlich steht hinter den Fehlentwicklungen und den Defiziten mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Die tiefe Ursache der griechischen Misere ist mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nicht nur der Blick auf die finanzpolitischen Indikatoren wie Defizitquote und Schuldenstand ist wichtig, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen. Zukünftig muss auch die Entwicklung weiterer Kennzahlen sorgfältig beobachtet werden, zum Beispiel die Entwicklung von Löhnen, Preisen und Produktivität. Wir brauchen ein neues, effektiveres Verfahren der wirtschaftspolitischen Begleitung und Überwachung. Es müssen rechtzeitig die richtigen politischen Signale gesendet und die notwendigen Reformprozesse angestoßen werden. Dazu gehört auch der notwendige Nachdruck. Ein solches Verfahren muss über klare Strukturen, Regeln und eventuell auch Sanktionsmöglichkeiten verfügen. Wir sollten dabei auf vorhandene Strukturen - ich denke etwa an den Wettbewerbsfähigkeitsrat - aufbauen. Ein solcher Rat - Stichwort "ECO-COMP" - könnte die Mitgliedstaaten sturkturpolitisch begleiten und zusätzlich als Frühwarnsystem dienen. Als überzeugter Europäer sage ich: Wir müssen unsere eigenen Hausaufgaben machen. Unsere Zusage zur Öffnung des Arbeitsmarktes ab April nächsten Jahres werden wir einhalten. Wir sollten auch nicht durch neue Schutzzäune neue Barrieren durch die Hintertür aufbauen, nur weil sich einzelne Branchen vor Wettbewerb fürchten. Meine Damen und Herren, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in geordnete Staatsfinanzen gehört zu den unverzichtbaren Voraussetzungen für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist kein Selbstzweck. Die Beschlüsse des G-20-Gipfels vom vergangenen Wochenende zeigen, dass die Einsicht in die Zusammenhänge auch international gewachsen ist. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber national wird nichts umgesetzt!) Die Industriestaaten haben sich bei diesem Treffen verpflichtet, ihre Defizite bis 2013 zu halbieren. Die Bundesregierung ist also keineswegs international isoliert, wenn wir ab dem kommenden Jahr den Ausstieg aus den in der Krise angewachsenen Staatsdefiziten einleiten. Die sogenannten nichtkeynesianischen Effekte der Haushaltskonsolidierung können ihre Wirkung entfalten. Die Menschen können darauf vertrauen, dass die Schulden von heute nicht die Steuern von morgen sind. Deswegen setzen wir an der Ausgabenseite an. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Für den Etat des Wirtschaftsministeriums bedeutet das zum Beispiel weniger Subventionen für die Steinkohle. Bemerkenswert ist, dass die Grünen einen Antrag zu diesem Thema auf die heutige Tagesordnung haben setzen lassen, allerdings ohne Aussprache. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sorry! Aber auch Sie wissen, woran das liegt!) Schade! Dazu hätte man nämlich manches sagen können. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha! Was denn? Sagen Sie doch mal etwas dazu!) Mit ihrem Sparpaket sendet die Bundesregierung ein Signal der Stabilität und Klarheit. Wir kommen ohne Erhöhung der Einkommensteuer und der Mehrwertsteuer aus. Wir wollen durch Sanieren wachsen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stoltenberg und Lambsdorff ist es Anfang der 80er-Jahre gelungen, gleichzeitig die Nettokreditaufnahme zu halbieren, die Staatsquote zu senken und dabei auch noch neues Wachstum zu produzieren. Im zweiten Schritt wollen wir durch Wachstum die Haushalte sanieren. Mit unserem Sparpaket schaffen wir den Spielraum für zukünftig niedrigere Steuern und Abgaben. Wir schaffen den Spielraum für bessere Kreditbedingungen. Nimmt sich der Staat bei der Kreditaufnahme zurück, haben die Unternehmen ein größeres Kreditangebot zur Verfügung. Eine steuerliche Entlastungsperspektive hilft Wachstumskräften. Ein einfaches Steuerrecht, Strukturreformen und Entlastungsperspektive gehören zusammen. Wir werden nicht den Fehler von Grün-Rot wiederholen und ein monströses Steuervergünstigungsabbaugesetz vorlegen, das die Entlastungsperspektive vollkommen außer Acht lässt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Kerstin Andreae [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr macht erst einmal eine Ausnahme für Hotels!) Das ist damals ökonomisch und politisch gescheitert. Die Bevölkerung war tief verunsichert und die Wirtschaft gelähmt. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn 4 Prozent?) Heute heißt es Maßhalten, damit morgen die Entlastung kommen kann. Um Maß und Mitte geht es auch bei der Energiepolitik. Die christlich-liberale Koalition sorgt für eine verlässliche, klimafreundliche und kostengünstige Energieversorgung. Deshalb werden wir die Laufzeiten für Kernkraftwerke verlängern. Kernenergie ist eine Brücke ins Zeitalter der erneuerbaren Energien. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Thomas Oppermann [SPD]: Habt ihr euch schon verständigt, um wie viele Jahre?) Im Herbst werden wir dazu die Eckdaten vorlegen. Der Bundestag wird in der Folge über die Änderung des Atomgesetzes abstimmen. Die Verfassungsressorts prüfen das gerade, übrigens auch im Blick auf die kürzlich ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz. Ich persönlich gehe davon aus, dass das ohne Beteiligung des Bundesrats geht, da auch der Ausstieg aus der Kernenergie ohne Beteiligung des Bundesrats möglich war. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war etwas ganz anderes!) Bezahlbare Energie ist für Wirtschaft und Verbraucher wichtig. Mindestens genauso wichtig sind bezahlbare Rohstoffe. Das wird ein Megathema der nächsten Jahre werden. Die großen Aktivitäten der Investmentbanken auf diesem Feld geben erste Hinweise. Die Kartellbildung nach Vorbild der OPEC setzt jetzt etwa auch bei Eisenerz an. In zwölf Monaten haben sich die Preise für Eisenerz mehr als verdoppelt. Uns muss es darum gehen, dass Deutschland weiterhin verlässliche und kostengünstige Rohstoffe zur Verfügung hat. Klar ist: Der Staat wird nicht selbst in den Markt eingreifen und etwa Rohstoffe einkaufen. Wir helfen dort, wo Kooperation von Wirtschaft und Politik einen Mehrwert bringt. Die Bundesregierung baut derzeit in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe eine Rohstoffagentur auf. Sie wird der Wirtschaft helfen können, konkrete Informationen über Vorkommen zu erlangen und Möglichkeiten anzupacken. Auf dem Rohstoffgipfel im Wirtschaftsministerium - die zweite Runde hat schon stattgefunden - haben wir vereinbart, dass gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt, dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Rohstoffpartnerschaften mit Entwicklungsländern auf den Weg gebracht werden können. Die Wirtschaft selbst wird bis Mitte Juli Vorschläge dazu vorlegen. Die Märkte werden jetzt weltweit neu verteilt. Da muss Deutschland als Exportnation dabei sein. Wir sind auf einem guten Weg. Der Aufschwung geht weiter. Der Kurs der Regierung hat sich bestätigt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 4 Pro-zent!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Garrelt Duin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Garrelt Duin (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Brüderle, das hatten Sie sich so schön gedacht, als Sie - ich glaube, für das ganze Haus überraschend - diese Regierungserklärung zum Thema Aufschwung für den heutigen Morgen auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ihre Vorstellung war so: Ich verkünde am Montag, dass der Aufschwung da ist, am Mittwoch führen wir eine glanzvolle Bundespräsidentenwahl durch, und am Donnerstagmorgen kann ich hier noch einmal kraftvoll sagen, wie erfolgreich diese Bundesregierung ist. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat leider nicht geklappt!) Das hat nicht ganz funktioniert: Nachdem Sie angekündigt hatten, wie groß der Aufschwung ist, ist der DAX um 1,5 Prozent eingebrochen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat doch damit gar nichts zu tun! Sie reden wie der Blinde von der Farbe! - Weitere Zurufe von der CDU/ CSU) Der gestrige Tag hat eines gezeigt: Ihnen von der Koalition ist es gestern nicht gelungen, in der regulären Spielzeit einen Sieg zu erringen; es ist Ihnen nicht gelungen, in der Verlängerung einen Sieg zu erringen; es ist Ihnen erst im Elfmeterschießen gelungen - unter tätiger Mithilfe der Linken in diesem Parlament -, einen Sieg zu erringen. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Diese Regierung geht auf dem Zahnfleisch. Das wird leider gerade in der Wirtschaftspolitik deutlich. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Kleine Mathematik! Rechnen lernen!) Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, eines will ich noch sagen, bevor ich auf die Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers eingehe. Wir hatten in der vergangenen Woche einen Weltwirtschaftsgipfel, nämlich den G-20-Gipfel. Vorher gab es einen G-8-Gipfel. Wenn uns in diesem Hause und die deutsche Öffentlichkeit insgesamt - jeden Bürger und jede Bürgerin - in den letzten eineinhalb bis zwei Jahren eine Frage beschäftigt hat, dann ist es die: Wie kriegen wir es hin, die richtigen Lehren aus dieser Finanzmarktkrise, die eine reale Wirtschaftskrise geworden ist, zu ziehen? Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, ich hätte erwartet, dass Sie nach Ihrer Rückkehr aus Toronto eine Regierungserklärung darüber abgeben, wie Sie gedenken, weltweit gegen die Finanzmarktakteure vorzugehen und sie an den Kosten dieser Krise zu beteiligen. Das wäre heute hier Ihr Platz gewesen. Stattdessen kümmern Sie sich nur darum, Ihre Koalition mit Ach und Krach zusammenzuhalten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Thomas Oppermann [SPD]: Merkele statt Brüderle!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Herr Wirtschaftsminister hat gesagt, der Aufschwung sei da und diese Bundesregierung habe so viel dafür getan. Es wäre ja schön, wenn der Aufschwung tatsächlich selbsttragend wäre. Davon sind wir aber leider noch ein gutes Stück entfernt, weil die Akteure auf den Märkten auch nach wie vor verunsichert sind. Das gilt ganz besonders für den Binnenmarkt. Wenn Sie sich vor Augen führen, dass das Ifo-Institut die Geschäftsentwicklung in den kommenden sechs Monaten sehr zurückhaltend einschätzt, wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass das IMK sagt, dass die Wirtschaftsdynamik bereits in der zweiten Jahreshälfte deutlich nachlassen wird, wenn Sie sich den Konjunkturbericht des Bankenverbandes anschauen, in dem ebenfalls steht, dass es viele Gründe gibt, die gegen die Erwartung sprechen, dass es im zweiten Halbjahr ein deutlich positiveres Gesamtbild geben wird, (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das hättet ihr gern!) dann ist es notwendig, mehr zu sagen als der Bundeswirtschaftsminister. Er hat heute nur gesagt: Wir machen eine Exit-Strategie. - Das kann nicht die Antwort auf diese Herausforderung sein. Lassen Sie uns doch endlich eine Debatte darüber beginnen, welche Instrumente, die wir unter anderem mit den beiden Konjunkturpaketen auf den Weg gebracht haben und die sehr hilfreich waren - das wird inzwischen auch von der FDP nicht mehr bestritten, auch wenn sie damals laut dagegen vorgegangen ist -, über das Ende dieses Jahres hinaus fortbestehen müssen, damit wir einen dauerhaften, selbsttragenden Aufschwung in Deutschland bekommen können. Warum kommen Sie überhaupt auf die Idee - es ist wirklich aberwitzig -, das erfolgreichste Programm, das wir in den letzten Jahren gehabt haben, nämlich das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, so einzudampfen, wie Sie das vorhaben? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Absolut unglaublich!) Das ist der größte Fehler, den man überhaupt machen kann, weil doch gerade durch dieses Programm den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit eröffnet wird, die eigenen Energiekosten zu senken. Auch für das Handwerk war es sehr erfolgreich, weil es ihm viele Aufträge verschafft hat. Wie kann man in einer solchen Situation denn nicht wenigstens einmal darüber nachdenken, ob man die Regelung, die wir für die Absetzbarkeit der Handwerkerrechnungen in der letzten Wahlperiode gemeinsam getroffen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, noch einmal fortsetzt, weil sie so eine positive Wirkung gehabt hat und weil mit ihr vermieden wurde, dass Arbeit wieder in der Grauzone, also in der Schwarzarbeit, verschwindet? Dass ordentlich abgerechnet wurde, war gut für die Bürgerinnen und Bürger und für die Handwerksbetriebe in unserem Land. (Beifall bei der SPD) Es gäbe also eine ganze Reihe von Punkten, die man ganz konkret anfassen könnte. Aber das ist natürlich von diesem Wirtschaftsministerium, von dieser Bundesregierung nicht zu erwarten. Über einige Themen sind Sie heute locker hinweggegangen, zum Beispiel darüber, dass die Zahl der Insolvenzen in Deutschland trotz der konjunkturellen Erholung gestiegen ist. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres haben 17 360 Unternehmen einen Insolvenzantrag gestellt. Das sind 7,1 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Sie haben kein Wort zu dieser Entwicklung gesagt. In der letzten Woche haben wir eine sehr schwerwiegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Grundsatz der Tarifeinheit zur Kenntnis nehmen müssen. Ich hätte erwartet, dass sich der Bundeswirtschaftsminister hier und heute, in einer solchen Regierungserklärung, wenigstens ansatzweise zu diesem Thema geäußert und gesagt hätte: Wir müssen gemeinsam mit dem DGB und der BDA das weiterführen, was diese beiden hierzu schon entwickelt haben. - Sie glauben noch immer an das seligmachende Instrument der betrieblichen Bündnisse. Nein, es kommt darauf an, dass wir Frieden in den Betrieben haben, und das geht nur über die Tarifeinheit in Deutschland. Deswegen wäre es eine Herausforderung für dieses Parlament, gemeinsam mit der BDA, dem DGB und anderen Partnern dafür zu sorgen, dass wir das nach diesem Urteil auch in Zukunft sicherstellen können, Herr Fuchs. Durch die Bewältigung dieser Aufgabe könnten wir gemeinsam etwas voranbringen. (Beifall bei der SPD) Sie setzen stattdessen auf eine völlig falsche Sparstrategie ohne jeglichen Impuls für ein wirklich nachhaltiges Wachstum in Deutschland. Das, was Sie hierzu vorlegen, ist zu wenig. Sie verzetteln sich in Kleinigkeiten, anstatt eine klare Linie für Deutschland auch mit Blick auf die internationalen Verflechtungen der deutschen Wirtschaft zu entwickeln. All das gibt es bei Ihnen nicht. Deswegen bin ich genötigt, Herr Bundestagspräsident Lammert, mit Ihrer Genehmigung, die ich jetzt einmal voraussetze, auf das zurückzukommen, was Sie gestern gesagt haben. Sie haben es natürlich auf das Amt des Bundespräsidenten bezogen, als Sie, wie ich fand, sehr nachvollziehbar gesagt haben: Man muss in einer Demokratie kein Amt übernehmen; aber wenn man denn gewählt ist, dann muss man das Amt mit aller Kraft ausüben und ausführen. - Sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister Brüderle, das und nicht mehr verlangen wir auch von Ihnen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aufgrund eines spürbaren Aufschwungs in der Wirtschaft und ganz besonders - und das ist sehr erfreulich - auf dem Arbeitsmarkt erleben wir momentan ein Sommermärchen. Nein, es ist kein Märchen, es ist real. Gott sei Dank ist das so. Wir sind aus der Krise heraus, und zwar schneller, als wir alle uns das gedacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir haben die Folgen dieser Krise gut gemeistert. Dazu haben alle Programme, die wir in diesem Hohen Hause gemeinsam erarbeitet haben, beigetragen. Herr Duin, ich gebe Ihnen recht: Die Konjunkturprogramme haben gewirkt. Alles andere, was Sie zur Wirtschaftspolitik von sich gegeben haben, waren aber eher Klein Fritzchens Wirtschaftsweisheiten, die nicht ganz nachvollziehbar sind. Auch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat gewirkt. Zum 1. Januar dieses Jahres haben wir die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in einem Gesamtumfang von rund 23 Milliarden Euro entlastet. Ein Konjunkturprogramm in dieser Größenordnung hat es selten gegeben. In allen Bereichen wurden Wirkungen erzielt. Mit Sicherheit ist das einer der Gründe dafür, dass die Wirtschaft mittlerweile wieder boomt und dass neu eingestellt wird. Bei einer Konjunkturumfrage des Ifo-Instituts haben alle befragten Unternehmen gesagt, dass sie davon ausgehen, dass sich der Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte eher verstetigen und verstärken wird. Herr Duin, Sie haben hierzu etwas Falsches gesagt. Man sollte die entsprechenden Statistiken eben lesen, bevor man etwas behauptet. (Klaus Barthel [SPD]: Was lesen Sie denn für Statistiken?) Wir haben mit den Rettungsschirmen für Griechenland und den Euro auch auf dem europäischen Finanzmarkt richtig reagiert. Der Euro steht heute bei 1,23 Dollar. Das ist überhaupt kein Drama. Im Gegenteil: Die deutsche exportierende Wirtschaft ist nicht unzufrieden damit, weil dadurch unsere Chancen im dollarabhängigen Ausland, in das immerhin rund 40 Prozent unserer Exporte gehen, verstärkt werden. Das sollte man in diesem Zusammenhang sehen. Der Euro hat schon einmal bei 85 Cent und auch bei 1,55 Dollar gestanden. Das war jeweils zu handhaben; auch das gehört zur Wahrheit. Ich denke, dass die Bundesregierung richtig gehandelt hat, als sie diese Krise jetzt für beendet erklärt hat. Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister für diese Aussage dankbar. Es ist völlig richtig, dass wir die Lehre von Keynes vollständig betrachten müssen. Der Keynesianismus muss so verstanden werden, wie er von Keynes gedacht war: Im Aufschwung müssen Maßnahmen sofort zurückgefahren und Sparmaßnahmen eingeleitet werden, damit die Kosten der deflatorischen Phase wieder ausgeglichen werden können. Ich bin davon überzeugt, dass die Sparpakete, die wir bis jetzt beschlossen haben, richtig sind. Dass wir nicht so stark in das Soziale einschneiden, will ich an zwei Beispielen klarmachen. Der Bereich Soziales macht ungefähr 55 Prozent des Bundesetats aus, aber der Anteil des Bereichs Soziales an unserem Sparpaket beträgt rund 30 Prozent. Er ist also unterproportional, weil wir uns unserer Verantwortung gegenüber den sozial Schwächeren in der Republik bewusst sind. Das zeigt unser Sparpaket sehr deutlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich halte es für richtig, dass wir in bestimmten Bereichen Einsparungen vorgenommen haben. Ich will einen Bereich nennen: Wenn wir beim Elterngeld Einsparungen vorgenommen haben, dann haben wir das deswegen getan, weil das Elterngeld bei Hartz-IV-Familien falsch angesetzt ist. Wir müssen uns über eines im Klaren sein: Das Elterngeld war und ist eine Lohnersatzleistung und nichts anderes. Wenn heute eine Hartz-IV-Familie mit zwei Kindern inklusive Elterngeld rund 1 870 Euro netto erhält, dann führt das dazu, dass sich sehr viele dem ersten Arbeitsmarkt nur relativ zögerlich zur Verfügung stellen. Das muss korrigiert werden, und das wollen wir tun. Präsident Dr. Norbert Lammert: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann? Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Warum nicht? Präsident Dr. Norbert Lammert: Na, also. - Bitte schön, Frau Haßelmann. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Fuchs, da Sie dankenswerterweise ausgeführt haben, dass das Elterngeld für Hartz-IV-Berechtigte gestrichen werden soll, weil es sich dabei um eine Lohnersatzleistung handelt und das nicht der Intention des Elterngeldes entspricht, frage ich Sie: Wenn Sie diese Argumentation durchgängig beibehalten wollen, warum kürzen Sie bei Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern das Elterngeld, nicht aber bei Studierenden und bei Hausfrauen bzw. Hausmännern, die in einer Familienkonstellation leben, wo eine Person ein volles Gehalt bezieht und die andere Person nicht arbeitet? Ich finde das insgesamt nicht richtig. Wo aber greift das Argument der Lohnersatzleistung bei diesen beiden Gruppen? Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Ich bin der Meinung, dass die Lohnersatzleistung gerade bei Hartz-IV-Empfängern, die dem Arbeitsmarkt ja nicht zur Verfügung stehen - jedenfalls zurzeit nicht -, nicht angebracht ist. Es ist richtig, dass wir das Elterngeld dort kürzen. Ich habe des Weiteren gesagt, dass jemand, der Hartz IV bezieht und Elterngeld empfängt, rund 1 870 Euro netto hat. Wissen Sie, wie viel das brutto ist? Das sind knapp 3 000 Euro brutto. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht die Frage!) Das bedeutet schlicht und ergreifend, dass der Hartz-IV-Empfänger dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht. Das ist einer der Gründe, warum wir diese Maßnahme ergriffen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Situation unseres Landes hat sich deutlich verbessert. Der Außenhandel gewinnt an Fahrt. Ich habe eben schon gesagt, dass dazu der Euro-Kurs beiträgt. Die Auftragsbücher der Industrie füllen sich. Der Bundeswirtschaftsminister hat vollkommen recht: Das gilt für fast alle Branchen. Vor allen Dingen beim Maschinenbau, der im letzten Jahr eine unserer kritischen Branchen war, geht es jetzt wieder nach oben. Der IWF rechnet damit, dass die Weltwirtschaft in diesem Jahr um 4 Prozent wächst. Wir müssen sehen, dass wir davon unseren Teil abbekommen. Dafür müssen wir kämpfen, dafür müssen wir alles einsetzen. Ich glaube, dass wir dazu in der Lage sind. Es ist richtig, wenn wir uns auf den asiatischen Raum fokussieren. China wird in diesem Jahr um annähernd 10 Prozent wachsen. Da werden unsere Hightechprodukte gebraucht. Das zeigt sich gerade in der letzten Zeit. Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister dankbar dafür, dass er China in den Fokus genommen hat. Dass seine erste Auslandsreise dorthin führte, hat sicherlich dazu beigetragen. Viele Maßnahmen, die wir ergriffen haben, sind richtig. So haben wir das Kurzarbeiterprogramm verlängert. Allerdings kann man die Frage stellen, ob es aufgrund der wesentlich verbesserten Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht unter Umständen schon früher zurückgeführt werden kann, um Kosten zu sparen, damit wir in unseren Sparprogrammen vorankommen. Herr Duin, es ist festzustellen, dass die von uns umgesetzten Programme richtig waren. Wenn sie allerdings auf dem Arbeitsmarkt in dieser Form nicht mehr benötigt werden, dann ist eben Sparen angesagt. Das Sparpaket - lassen Sie mich das noch einmal betonen - war richtig. Die Bundeskanzlerin hat in der jetzigen Weltmeisterschaftsphase das wichtige Auswärtstor geschossen, indem sie Herrn Obama dazu gebracht hat, zu erkennen, dass zusätzliche Maßnahmen falsch sind und dass Sparen angesagt ist. Dazu möchte ich ihr herzlich gratulieren. Es war alles andere als einfach, das in Toronto umzusetzen und durchzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Garrelt Duin [SPD]: Das war ein Eigentor!) Auf dem G-20-Treffen in Toronto wurde beschlossen, die Neuverschuldung bis zum Jahre 2013 zu halbieren und bis zum Jahre 2016 auf null zu setzen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Ich hoffe erstens, dass das umgesetzt wird, und zweitens, dass dadurch ein neues Denken in der Welt einsetzt, das dazu führt, dass endlich wirklich mit dem Sparen begonnen wird, und zwar in allen Bereichen; denn nur eine Politik, die dazu führt, dass die Haushalte sich nicht mehr neu verschulden, sondern im Gegenteil in die Lage versetzt werden, Schulden abzutragen, wird eine langfristige und nachhaltige Politik - daran müsste gerade den Grünen gelegen sein - sein. Dafür kämpfen wir. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen das mit der Nachhaltigkeit ein bisschen besser!) Dazu gehört für mich, dass die Wirtschaft ein wenig umdenken muss. Ich finde es schon bedenklich, wenn immer wieder neue Forderungen an die Politik gestellt werden. Einige dieser Forderungen aus den letzten Wochen will ich einmal aufzählen. Zum Beispiel erklären die Airlines: Da war Asche am Himmel; jetzt brauchen wir Asche von der Politik. - "Asche für Asche" ist eine Politik, die ich nicht besonders amüsant finde. Dabei handelt es sich um ein originäres Risiko einer Airline. Das kann nicht von der Politik gelöst werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich habe auch ein Problem damit, dass wir jetzt eine Anschubfinanzierung für den Kauf von Elektromobilitätsfahrzeugen leisten sollen. Es ist wiederum eine Aufgabe der deutschen Industrie und der deutschen Automobilwirtschaft, solche Dinge ohne staatliche Hilfen zu machen. Der Staat kann nicht an allen Stellen eingreifend wirken und versuchen, die Fehler, die in der Vergangenheit in den Unternehmen vielleicht gemacht worden sind, überall zu korrigieren. Im Übrigen finde ich es hervorragend, dass der Bundeswirtschaftsminister verhindert hat, dass Opel zusätzliches Geld bekommt. Dass General Motors in der Lage ist, das alles selbst zu finanzieren, hat uns dieses Unternehmen drei Tage nach dem Entscheid des Bundeswirtschaftsministers bestätigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, eigentlich ist es schon eine ziemlich große Unverschämtheit, das Ministerium über Monate mit allen möglichen Anträgen zu beschäftigen - ich wüsste gerne einmal, wie viele Manntage dafür draufgegangen sind - und anschließend zu sagen: April, April! Wir brauchen euch gar nicht; wir können es alles selber. - Das ist schon höchst ärgerlich. So sollte man mit der Bundesregierung und dem Bundeswirtschaftsministerium nicht umgehen. (Beifall bei der FDP) Einen letzten Punkt will ich erwähnen. Ich halte es für richtig, dass wir uns sehr intensiv mit dem Thema Energiepolitik beschäftigen. Dazu gehört für mich, dass die Kernenergie eine Brückentechnologie in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ist. (Klaus Barthel [SPD]: Brückentechnologie?) Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass bei den erneuerbaren Energien nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen können. Wenn in der Zeitschrift Photon - wahrlich kein Parteiblatt der CDU/CSU - jetzt festgestellt wird, dass der Strompreis nächstes Jahr nur aufgrund der Fotovoltaik um bis zu 12 Prozent steigen wird, dann ist das mehr als bedenklich. Nächstes Jahr wird es im Rahmen des EEG mit Sicherheit zu einer Verdoppelung der Sätze kommen. Heute ist ein Aufschlag auf den Strompreis von ungefähr 2,04 Cent pro Kilowattstunde erforderlich; nächstes Jahr werden es über 4, annähernd 5 Cent pro Kilowattstunde sein. Was bedeutet das? Das bedeutet für einen Vierpersonenhaushalt, der ungefähr 3 500 Kilowattstunden im Jahr verbraucht, dass er allein im Rahmen des EEG bis zu 200 Euro zahlen muss. In die Richtung wird das gehen. Jeder, der da zusätzliche Forderungen aufstellt, sollte genau wissen, was er tut. Er sollte wissen, dass er damit die Wirtschaft und natürlich auch die Familien, die Haushalte überbelastet. Das ist meines Erachtens gefährlich. Da müssen wir jetzt einschreiten. Ich wünsche mir, dass der Bundesrat in der nächsten Woche eine kluge Entscheidung trifft, damit das Gesetz endlich in Kraft treten kann. Wir müssen schnell absenken. Das ist absolut notwendig. Für mich gehört noch etwas dazu: Bei dem Sparpaket müssen wir darauf achten, dass im Bereich der Stromsteuer keine Fehler gemacht werden; denn wir wollen die Industrie in Deutschland behalten. Meines Erachtens ist Deutschland ein Industrieland. Wir sind nur deshalb so gut aus der Krise herausgekommen, weil die Industrie in Deutschland schnell wieder angepackt hat, weil es schnell wieder vorangegangen ist. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in der City of London erzeugt werden. Nicht in der Finanzwelt liegt die Chance für unser Land, sondern in der deutschen Industrie. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Gregor Gysi erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Bundestagspräsident! Meine Damen und Herren! Herr Brüderle, ich habe Ihnen sehr genau zugehört, auch Ihren Ausführungen zur Atomenergie. Ich habe an Sie die Bitte, einmal ganz im Ernst über Folgendes nachzudenken: Eine Technologie muss man beherrschen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Man muss sie auch im Falle eines Unfalls beherrschen können. Wenn uns je ein Atommeiler um die Ohren fliegt, können Sie - wie wir alle - nichts einschätzen. Sie wissen nicht, wie viele Tote es gibt. Sie wissen nicht, ob man unser Land noch bewohnen kann. Sie wissen nicht, wie viele Generationen das betrifft. Ich sage Ihnen: Lassen Sie die Finger von einer Technologie, die wir alle nicht beherrschen! Kein Mensch in unserem Land hat verdient, dass Sie da umgekehrt vorgehen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie haben mit Stolz verkündet, dass die Wirtschaft wächst. Ich sage: trotz der Politik der Bundesregierung, nicht etwa wegen dieser Politik. Dann schauen wir uns einmal die drei Gründe dafür an: Der erste Grund ist, dass die Exporte nach China und Südostasien steigen. Warum? Weil die Chinesen ein gewaltiges Konjunkturprogramm gestartet haben, also das tun, was Sie für Deutschland gerade ablehnen. Dadurch können wir dorthin natürlich mehr exportieren. Der zweite Grund liegt in der Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar und anderen Währungen. Dadurch werden unsere Produkte billiger. Das hat noch nichts mit Qualität zu tun; sie werden erst einmal billiger und lassen sich leichter verkaufen. Der dritte Grund ist, dass die Löhne in Deutschland in den letzten zehn Jahren real um 11 Prozent gesunken sind. Dadurch haben Sie den Export erhöht. Das Problem ist nur, dass die anderen Länder das merken. China will jetzt nicht mehr wie Deutschland das Land mit dem berühmten Exportüberschuss sein. China versucht, das zum Ende des Jahres hin zu korrigieren. Aber die Bundesregierung hier in Deutschland korrigiert das überhaupt nicht. Sie von der Bundesregierung haben nicht begriffen, wie wichtig der Binnenmarkt, die Binnenwirtschaft für Deutschland sind; Sie setzen allein auf den Export, was falsch ist. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen ist das Ganze eine Ausnahme im Jahr 2010. Das setzt sich im Jahr 2011 nicht fort, und das hat einen Grund. Als die Krise begann, hatten Sie eine andere Logik. Da hat Frau Merkel gesagt: Ich will auf gar keinen Fall ein Sparprogramm; ich will ein Konjunkturprogramm. - Jetzt, mitten in der Krise, ändern Sie Ihre Logik. Sie haben übrigens nie erklärt, warum, warum also damals das Konjunkturprogramm richtig gewesen sein soll und warum es jetzt plötzlich richtig sein soll, dramatische Sozialkürzungen - ich werde darauf noch eingehen - vorzunehmen. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Jeweils antizyklisch, Herr Gysi!) - Ja, ja. Der Punkt ist, dass Sie auch andere Länder zu solchen Kürzungsprogrammen, die Sie fälschlich immer "Sparpaket" nennen - da wird nichts gespart; Sie kürzen schlicht und einfach -, gezwungen haben, nämlich Griechenland, Spanien, Portugal, Irland, Großbritannien und Frankreich. Was ist Ihres Erachtens die Folge, wenn dort all diese Kürzungsprogramme durchgeführt sind? Die Folge ist, dass Deutschland dorthin weniger exportieren kann; denn die Kaufkraft nimmt ab, und deshalb werden weniger Produkte verkauft. Schon damit ist Ihr Boom beendet. Da Sie selbst in Deutschland ein solches Sparprogramm, ein solches Kürzungsprogramm, durchführen, wird es hier entsprechende Folgen geben, worauf ich noch eingehen werde. Ich sage Ihnen: Die reine Export-orientierung muss weg. Wir brauchen eine deutlich stärkere Binnenwirtschaft. (Beifall bei der LINKEN) Sie sagen in dem Zusammenhang, Herr Brüderle, dass es falsch wäre, wenn wir höhere Löhne in Deutschland hätten und ein Konjunkturprogramm durchführten. Ich habe an der Stelle auf zwei Sätze gewartet, in denen Sie das erklären oder begründen. Sie kamen nicht. Sie sagen einfach, es sei falsch. Wieso ist das falsch? Wieso ist es eigentlich falsch, unsere Binnenwirtschaft zu stärken? Wieso ist es falsch, mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen? Wieso ist es falsch, die Löhne endlich wieder an die Produktivitätsentwicklung anzupassen und damit zu steigern? Wieso ist es falsch, diejenigen, die Werte schaffen, daran finanziell zu beteiligen? Dafür habe ich von Ihnen keine Erklärung bekommen. (Beifall bei der LINKEN) Was machen Sie jetzt? Sie schlagen ein Kürzungsprogramm vor. Ein erster Vorschlag ist die Umwandlung von Pflichtleistungen in Ermessensleistungen bei Arbeitslosen. Wenn ich mich recht erinnere, hieß doch der Slogan "Fordern und Fördern". Das Fördern soll jetzt gestrichen werden, wenn ich das richtig verstehe. Schließlich wollen Sie 16 Milliarden Euro bis 2014 einsparen. Das heißt, die ganzen Ausbildungsprogramme und die Trainingsprogramme, all das, was es sonst noch gibt, müssen von den Jobcentern gestrichen werden. Was bieten Sie denn dann den Arbeitslosen? Alle Programme sollen doch jetzt Ermessensleistungen werden. Ich weiß gar nicht, nach welchem Ermessen entschieden wird. Entscheidet dann ein Angestellter oder eine Angestellte darüber, je nachdem, ob er oder sie Lust hat oder nicht? Ermessen ist für mich Willkür. Nein, diese Leistungen müssen Pflichtleistungen bleiben. Das ist für mich ganz entscheidend. (Beifall bei der LINKEN) Ein anderer Punkt ist die geplante Streichung des Zuschlages beim Übergang von Arbeitslosengeld I in Arbeitslosengeld II. Das ist grob ungerecht. Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Ein erwerbsloser Ingenieur bekommt Arbeitslosengeld I. Bisher war es so: Bevor dieser Ingenieur ALG II erhielt, bekam er ein Übergangsgeld, damit er sich auf diesen Bruch, auf diese Veränderung seines Lebensstandards einstellen konnte. Jetzt aber wollen Sie diesen Zuschlag einfach streichen. Sie weigern sich, vom Millionär einen halben Cent mehr zu nehmen; aber dem ALG-II-Empfänger streichen Sie das Übergangsgeld. Das können Sie nicht erklären. Mit der Vokabel "Gerechtigkeit" hat das Ganze überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt komme ich zum Elterngeld; darüber hat auch Herr Fuchs gesprochen. Beginnen wir der Ehrlichkeit halber ganz von vorne: Am Anfang war die Große Koalition. Was hat diese Große Koalition beim Elterngeld gemacht, auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD? Stellen Sie sich doch einmal selbstkritisch hierhin und erklären Sie: Das war ein Fehler. - Bis dahin bekam die ALG-II-Empfängerin bzw. der ALG-II-Empfänger zwei Jahre lang Elterngeld in Höhe von monatlich 300 Euro. (Zuruf von der CDU/CSU: Erziehungsgeld!) - Ja, Sie haben es anders genannt. Aber faktisch gab es dieses Geld, und zwar 24 Monate lang. - In der Großen Koalition ist entschieden worden, die Dauer des Bezugs zu halbieren, also 12 Monate zu streichen, und zwar nur aus dem einen Grund, damit man in der Regel der besserverdienenden Frau - gelegentlich auch dem besserverdienenden Mann - nicht mehr 300 Euro, sondern bis zu 1 800 Euro zahlt. Das heißt, die Sozialdemokratie Deutschlands hat zugestimmt, für ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger die Dauer des Bezugs von Elterngeld zu halbieren, (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig! Das ist die Wahrheit!) damit die Bestverdienenden einen Betrag von 1 800 Euro bekommen können. Das ist völlig antisozialdemokratisch. Sagen Sie doch einmal ehrlich, dass das ein Fehler war. (Beifall bei der LINKEN) Dass die Union das macht, passt zu ihrer ideologischen Logik. Aber bei der SPD kann ich es nicht nachvollziehen. Jetzt passiert das, was immer passiert und was mich wirklich ärgert. Sie haben einen Schritt gemacht und die Dauer des Bezugs für ALG-II-Empfänger halbiert. Jetzt sagen Union und FDP: Gut, wenn die Tür schon einen Spalt geöffnet ist, dann machen wir sie ganz auf und streichen das Geld für ALG-II-Empfänger gänzlich. - Das ist die Folge. Ich sage Ihnen: Sie hätten sich das nicht getraut, wenn die SPD in der Großen Koalition nicht zugestimmt hätte, die Dauer des Bezugs zu halbieren. Sie hätten sich nicht getraut, das Geld für diese Menschen ganz zu streichen. Aber genau das machen Sie jetzt. Logisch, Herr Brüderle und Herr Fuchs, ist Ihre Argumentation überhaupt nicht. Sie erklären, man könne den ALG-II-Empfängern das Geld nicht zahlen, weil es eine Lohnersatzleistung sei. Es ist doch ganz egal, was es ist. Die Menschen bekamen dafür, dass sie Kinder haben, zusätzliches Geld - das war entscheidend und wichtig -, und zwar über einen bestimmten Zeitraum. Dieses Geld nehmen Sie ihnen jetzt einfach weg. Der Gattin des Millionärs, die ständig zu Hause ist und auch keine Lohnersatzleistung bekommt, sagen Sie, dass sie weiterhin Elterngeld bekommt; denn für sie wird es nicht gestrichen. Erklären Sie das einmal der ALG-II-Empfängerin! Gehen Sie zu ihr und erklären Sie, warum die Frau des Millionärs Elterngeld bekommt und sie nicht! In beiden Fällen soll es doch keine Lohnersatzleistung sein. Sie bringen keine Logik in Ihre Politik hinein. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt 7 Millionen Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger. Es geht also um sehr viele Menschen. Dann wollen Sie die Heizkostenpauschale für Geringverdiener streichen. Was sagen Sie diesen Menschen, wovon sie die Heizkosten bezahlen sollen? Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Gysi, Herr Geis möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ja, bitte. Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Kollege, würden Sie mit mir die Unterscheidung zwischen Elterngeld auf der einen Seite und Erziehungsgeld auf der anderen Seite machen? Erziehungsgeld wurde seit 1986 gezahlt, unabhängig davon, ob nun eine Frau zur Arbeit gegangen ist oder nicht. Das wurde als Erziehungsleistung abgegolten, weil die Frau eine bestimmte Erziehungsleistung erbracht hat. Diese Erziehungsleistung erbringt sie nach wie vor, unabhängig davon, ob sie arbeitet oder nicht. Wegen dieser Erziehungsleistung bekommt sie die 300 Euro. Diese sollen erhalten bleiben. Was haben Sie dagegen? (Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ich habe etwas dagegen, dass Sie die Erziehungsleistung der ALG-II-Empfängerin nicht anerkennen. Das ist mein Problem. Diese leistet doch auch Erziehungsarbeit. Warum bekommt sie kein Geld? Das können Sie nicht erklären. (Beifall bei der LINKEN - Abg. Norbert Geis [CDU/CSU] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage) - Er möchte noch eine Frage stellen, Herr Präsident. Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie möchten offenkundig auch, dass er eine weitere Frage stellt. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würde ich an seiner Stelle auch! Das ist ja entlarvend!) Dann stehe ich dem nicht im Wege. - Bitte schön. Norbert Geis (CDU/CSU): Stimmen Sie mit mir überein, dass es dadurch, dass die ALG-II-Empfängerin in Form von aufgestuftem Kindergeld eine Ersatzleistung bekommt (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das wird doch angerechnet! - Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - lassen Sie mich doch meine Frage beenden -, möglich ist, die 300 Euro zu streichen, weil in diesem Fall das Erziehungsgeld über das Kindergeld läuft? (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Zurufe von der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Nein. Das kann ich Ihnen deshalb nicht zubilligen, weil ja das Kindergeld, von dem Sie hier sprechen, jetzt nicht erhöht wird. Sie streichen vielmehr 300 Euro, weil Sie sagen, es sei eine Leistung, die nicht gerechtfertigt ist. Es ist ja nicht so, dass Sie zugleich das Kindergeld um 300 Euro erhöhen. Wenn das der Fall wäre, dann könnten wir darüber diskutieren. Aber genau das machen Sie ja nicht. Deshalb handelt es sich um eine Schlechterstellung, und es bleibt dabei: Die Hausfrau des Millionärs bekommt weiterhin Geld - Sie nennen es hier nun Erziehungsgeld -, aber die ALG-II-Empfängerin bekommt nichts. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Kindergeld wird verrechnet bei Hartz IV!) - Richtig, es kommt noch hinzu, dass das Kindergeld bei Hartz-IV-Empfängern verrechnet wird. Diese bekommen gar kein Kindergeld, weil sie den Zuschlag für Kinder bekommen. Darüber haben wir uns schon immer aufgeregt. Wir halten das für eine völlig falsche Herangehensweise. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt möchte ich gerne fortsetzen. Das Problem ist doch folgendes: Wir haben eine Krise. Es gibt einige, die die Schuld für diese Krise tragen. Die Schuldigen sind nämlich die Banker, die Spekulanten und diejenigen, die für bestimmte politische Entscheidungen verantwortlich sind. Als Ergebnis Ihres sogenannten Sparpaketes kommt nun heraus, dass weder die Banker noch die Spekulanten noch die Verantwortlichen in der Politik die Folgekosten dieser Krise bezahlen; vielmehr sollen diese die ALG-II-Empfänger und die Geringverdiener in Deutschland bezahlen. Erklären Sie denen einmal, was daran gerecht sein soll. Nichts haben Sie bisher unternommen, damit die tatsächlich Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden. Die Einkommen aus Unternehmenstätigkeit werden übrigens im nächsten Jahr um 7,1 Prozent steigen. Ihr Vorgehen hat, wenn Sie schon nicht sozial denken, auch wirtschaftliche Auswirkungen: Eine ALG-II-Empfängerin gibt all das Geld aus, das sie bekommt. Wenn Sie jedoch Herrn Ackermann 100 Euro mehr geben, dann kauft er nicht für 100 Euro mehr ein, sondern er spekuliert mit diesen zusätzlichen 100 Euro. Wenn Sie einer ALG-II-Empfängerin 10 Euro mehr geben, kauft sie dafür ein. Das heißt, die ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger wie auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Geringverdiener würden die Binnenwirtschaft stärken, wenn sie mehr Geld hätten. Die wirklich Reichen und Vermögenden spekulieren bloß, wenn sie mehr Geld bekommen, aber stärken nicht die Binnenwirtschaft. Dieser Unterschied muss doch einmal deutlich hervorgehoben werden. (Beifall bei der LINKEN) Ich stehe mit meiner Meinung nicht alleine da. Der Wirtschaftsrat der CDU hat verlangt, endlich einmal für eine gerechtere Steuerbelastung zu sorgen. Millionäre stellen sich hin und erklären sich bereit, höhere Einkommensteuern zu zahlen. Es ist doch wirklich grotesk: Nur die FDP und die Union weigern sich und handeln konsequent dagegen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo bleiben Sie denn da?) - Ja, ich auch. Man sollte nur Politikern trauen, deren Vorschläge dazu führen, dass auch sie selber mehr Steuern zahlen müssen. Sie dagegen machen immer Vorschläge, die dazu führen, dass Sie selber weniger Steuern zahlen. Das macht mich ungeheuer stutzig. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]) Jüngst haben Sie zusammen mit der SPD die Schuldenbremse eingeführt. Aufgrund dieser Schuldenbremse müssen bis 2014 knapp 96 Milliarden Euro eingespart werden. Sagen Sie mir doch einmal, wie. Sie sagen, die Hälfte solle durch Leistungskürzungen eingespart werden. Aber die Länder sind doch am Ende, und die Kommunen sind schon kaputt. Wohin soll das noch führen? Schleswig-Holstein zum Beispiel hat die Schuldenbremse in die eigene Verfassung übernommen. Wozu führt das dort? Um die Schuldenbremse einzuhalten, muss man dort 5 300 Stellen, mehrheitlich im Schulbereich, streichen. An den Hochschulen werden bestimmte Studiengänge dichtgemacht. Die Landeszuschüsse für die Schülerbeförderung werden gestrichen. Es wird also in allen Bereichen der Bildung gespart. Wenn das alles nicht reichen sollte, dann sollen auch noch Schwimmbäder geschlossen und die Zahl der Kultureinrichtungen reduziert werden. Ich frage Sie: Was ist das Ziel? Wohin soll das in diesem Land noch führen? (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das haben Sie in Berlin doch auch alles gemacht! - Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Die Verschuldung in Berlin haben Sie doch zu verantworten!) - Ja, dass es Berlin schlecht geht, weiß ich. Im Unterschied zu Ihnen, Herr Lindner, kümmern wir uns darum. (Beifall bei der LINKEN) Meine Frage an die in der Bundespolitik Verantwortlichen lautet: Wohin soll das in diesem Land führen? Soll die kommunale Selbstverwaltung beseitigt werden und Zwangsverwaltung eingeführt werden? Wollen Sie keine Schwimmbäder und keine Kultureinrichtungen mehr haben? Das kann doch nicht der richtige Weg sein. Wir brauchen endlich eine klare Kurskorrektur. (Beifall bei der LINKEN) Sie sind stolz darauf, dass Sie die Zahl der Arbeitslosen reduzieren. Sagen Sie doch einmal die Wahrheit: Der DGB hat ermittelt, dass wir 1,6 Millionen weniger Vollzeitstellen haben und die Zahl der sogenannten prekären Beschäftigungsverhältnisse um 1,7 Millionen zugenommen hat. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Sie wollen mir wahrscheinlich sagen, dass ich zum Ende kommen soll. Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein, Sie wissen doch, dass ich mit Ihnen besonders großzügig umzugehen pflege. Der Kollege Lindner möchte ebenfalls durch eine Zwischenfrage Ihre Redezeit verlängern. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Na gut, Herr Lindner. Obwohl Sie mich schon in die Psychiatrie schicken wollten, höre ich mir Ihre Frage an. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Sie können jetzt ja beweisen, dass Sie da nicht hingehören. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ob ich Sie überzeugt bekomme? Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Sie verweisen darauf, dass in Schleswig-Holstein Stellen im Schuldienst abgebaut werden. Erklären Sie uns doch einmal, wie es dazu kommen konnte, dass Ihre Partei in der rot-roten Landesregierung von Berlin insgesamt 30 000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut hat, das gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen GSW an die böse "Heuschrecke" Cerberus und die Investmentbank Goldman Sachs verkauft hat und vor wenigen Monaten auch noch dem Börsengang der GSW zugestimmt hat, der von Goldman Sachs und Cerberus betrieben wird. Wie kommt es, dass Sie hier in Berlin das Blindengeld gekürzt haben? Wie kommt es, dass Sie gerade im Bereich des Schuldienstes gekürzt haben? Herr Gysi, wie kommt es dazu, dass Sie uns hier den puren Sozialismus predigen, aber dort, wo Sie mitregieren, das vollkommene Gegenteil machen? Wie kommt es, dass von Ihnen eine ganz andere Politik verantwortet wird? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Beifall für eine Frage heißt ja, dass Sie gar keine Antwort hören wollen. (Jörg van Essen [FDP]: Weil wir sie schon kennen!) Im Klartext: Der Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft war meines Erachtens ein Fehler. Allerdings muss ich sagen, dass FDP, Union und Grüne daran beteiligt waren. Ich werde Ihnen auch sagen, warum. (Christian Lindner [FDP]: Ich dachte, Sie wollen eine andere Politik machen!) - Ich werde es Ihnen erklären. Sie sind zum Landesverfassungsgericht gegangen und haben gesagt: Der Haushalt ist verfassungswidrig. Dann hat das Landesverfassungsgericht gesagt: Das stimmt. Es hat gesagt: Ihr müsst entweder die Einnahmen erhöhen oder bei den Leistungen kürzen. Weil man bei den Leistungen nicht kürzen wollte, ist man diesen Weg gegangen. Trotzdem sage ich: Er war falsch. Das war aber nicht in dieser Legislaturperiode, sondern in der vorigen. Dafür sind wir schon ausreichend bestraft worden. In dieser Legislaturperiode machen wir das wesentlich besser. (Beifall bei der LINKEN - Fritz Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich!) Zweitens. Was die Stellenkürzung betrifft, können Sie Schleswig-Holstein und Berlin nicht gut vergleichen. Diese Politik wurde schon von der Union eingeleitet. Das hing damit zusammen, dass zwei öffentliche Dienste zusammengekommen sind, nämlich der öffentliche Dienst von Westberlin und der öffentliche Dienst von Ostberlin. Dadurch bedingt war vieles doppelt vorhanden. Das war wirklich eine Sondersituation. Eine solche Sondersituation hat Schleswig-Holstein nicht zu bewältigen. Es hat in Berlin nicht eine einzige betriebsbedingte Kündigung gegeben, und dabei wird es auch bleiben. (Beifall bei der LINKEN) Mit dieser Ausnahme in Berlin streiten wir überall dafür, dass wir mehr Stellen im öffentlichen Dienst bekommen. (Beifall bei der LINKEN) Weiter mit dem Thema "prekäre Beschäftigung". Sie haben Vollzeitbeschäftigung abgebaut und stattdessen die Bereiche der Teilzeitarbeit, der Leiharbeit und der 400-Euro-Jobs erweitert, und Sie haben den Kreis der Aufstockerinnen und Aufstocker und vor allem der befristetet Beschäftigten erweitert. Das war schon unter SPD und Grünen so, ist von der Großen Koalition fortgesetzt worden und wird jetzt weiter fortgesetzt. Was glauben Sie, wie dadurch das Land verändert wird? Immer weniger Vollzeitbeschäftigung bedeutet eine Schwächung der Gewerkschaften - das wissen Sie natürlich -, aber das schwächt auch die Betroffenen. Es gibt immer mehr 400-Euro-Jobs und immer mehr befristete Arbeitsverhältnisse. Das, was Sie in diesem Zusammenhang organisieren, ist alles nicht hinnehmbar. Zum Schluss muss ich kurz auf den G-20-Gipfel in Toronto eingehen. Was haben Sie dort verkündet? Sie haben gesagt: Die öffentlichen Schulden der Länder sollen bis 2013 halbiert werden. Das ist doch ein Scherz. Die meisten Länder können das überhaupt nicht. Das ist nichts weiter als das Verkünden einer Illusion. US-Präsident Obama und sein Finanzminister haben Frau Merkel dringend gebeten, ihren harten Sparkurs in Deutschland einzustellen. Aber sie denkt gar nicht daran und hat dem widersprochen. Warum? Obama will eine Ankurbelung der Weltkonjunktur, während Sie organisieren, dass die Weltkonjunktur abstirbt. Dort ist ein tiefer Gegensatz entstanden. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Obama hat doch zugestimmt! Lesen bildet!) Wenn ich an die Bankenabgabe und andere Dinge denke, muss ich sagen: In letzter Zeit hat Obama in der Regel recht und Sie unrecht. Es ist schon merkwürdig, welche Entwicklung wir hier zu verzeichnen haben. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt frage ich Sie: Was haben Sie bei der Regulierung der Finanzmärkte erreicht? Präsident Dr. Norbert Lammert: Mit dieser Fragestellung müssen Sie es dann auch fast bewenden lassen. Die Antwort darauf müssen andere geben. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Das ist sehr bedauerlich. Herr Präsident, sehen Sie einmal, was Sie versäumen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ja, Sie können mir das Manuskript Ihrer Rede gerne zur Verfügung stellen. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Als Letztes sage ich Ihnen: Ihr Versuch, zulasten der sozial Schwachen die Krise zu lösen, ist ungeheuerlich, ist ungerecht und muss schiefgehen. Sie müssen endlich einmal den Mut haben, bei den wirklich Vermögenden, bei den Bestverdienenden die Steuern zu erhöhen oder entsprechende Steuern einzuführen. Dafür stehen Sie nicht. Deshalb setzt sich jetzt der schwarze Tag von gestern als schwarzer Tag für die Bevölkerung fort. Hoffen wir, dass es bald einmal einen roten Tag gibt. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN - Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schwarze Monate!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Hermann Otto Solms ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Unterhaltungsleistung von Herrn Gysi lässt nicht nach, die inhaltliche Substanz seiner Ausführungen ist so dünn wie immer. Das beweist sich an den praktischen Beispielen: Als er in der Verantwortung stand, konnte er nichts liefern. (Zuruf des Abg. Dr. Michael Fuchs [CDU/ CSU]) Im Namen der FDP-Fraktion möchte ich dem Wirtschaftsminister für den ermutigenden Bericht, den er hier vorgelegt hat, danken. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Bundesregierung, die ja für Fehler in der volkswirtschaftlichen Entwicklung haftbar gemacht wird, muss belobigt werden, wenn es gut läuft. Denn es ist ja nicht ganz ohne ihr Zutun, dass wir eine so positive wirtschaftliche Entwicklung haben. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wenn Sie das in den Zusammenhang mit den sozialpolitischen Aufgaben stellen, die wir zu bewältigen haben, so ist es das ehrgeizigste, das vornehmste Ziel der Sozialpolitik, Menschen, die von Transfereinkommen abhängig sind, wieder in Lohn und Brot zu bringen, damit sie eigenständig und eigenverantwortlich handeln können, ihre Familie ernähren können und nicht von anderen abhängig sind. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade in diesem Bereich haben wir jetzt die größten Erfolge erzielt; das zeigen die Daten. Die Arbeitslosigkeit geht unerwartet stark zurück. Wir stellen fest: Wir haben schon wieder Knappheit an Facharbeitern. Wenn die Prognosen stimmen, werden wir im nächsten Jahr im Durchschnitt die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1991, also seit der deutschen Einheit, erreichen. Das hätte im letzten Jahr niemand erwartet. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Maßnahme, die diese Bundesregierung gerade am Anfang ihrer Tätigkeit geleistet hat, nämlich das Wachstumsbeschleunigungsgesetz gegen den geballten Widerstand der Opposition und der Journaille durchzusetzen, hat wesentlich dazu beigetragen. 22 Milliarden Euro wurden seit 1. Januar 2010 für die Bürger freigegeben. Die Bürger nutzen das, wo immer sie können. Durch Konsum und durch Investitionen stärken sie diesen Wachstumsprozess und tragen dazu bei, dass der Wachstumsprozess ein dauerhafter ist. Die Wirtschaftskrise ist überwunden. Deswegen müssen wir von kurzfristigen Wirtschaftskrisebekämpfungsmaßnahmen zu dauerhaften, ordnungspolitisch sauber angelegten Maßnahmen der Wirtschaftspolitik kommen. Der Wirtschaftsminister hat hier an die Ordnungspolitik deutscher Prägung erinnert; denn es ist ganz wichtig, dass wir diese ordnungspolitischen Prinzipien wieder einhalten. Der Staat setzt die Regeln und achtet darauf, dass die Regeln eingehalten werden. Aber er darf nicht mitspielen; denn wenn er mitspielt, verletzt er die marktwirtschaftlichen Prinzipien, verletzt er den Wettbewerb. Das hat das Fußballspiel gegen Serbien gezeigt: Wenn der Schiedsrichter einseitig eingreift und den besten Spieler einer Mannschaft vom Feld stellt, kann kein neutrales Ergebnis, kein vernünftiges Wettbewerbsergebnis erzielt werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Klaus Barthel [SPD]: Ihr würdet die Regeln alle abschaffen! - Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der beste Spieler war Herr Klose aber nicht!) Genau so muss der Staat in Zukunft vorgehen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP fordert die Abschaffung des Schiedsrichters! Toll!) Das hat Rainer Brüderle in der Causa Opel genau vorgeführt. Gegen den Widerstand auch in der eigenen Regierung hat er ordnungspolitisch saubere Politik durchgesetzt. Binnen kürzester Zeit - das haben wir alle nicht erwartet - hat sich gezeigt, dass das tatsächlich die richtige Maßnahme war. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen kann ich ihn nur ermutigen, genauso fortzufahren, also eine ordnungspolitisch saubere Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik zu betreiben. Das wird allen in Deutschland helfen. Nun kommt es zu Aussagen wie von Herrn Gysi, die Löhne seien gesunken. Sie sind nicht gesunken, aber die Lohnstückkosten, auf die es im Wettbewerb ankommt, sind in Deutschland sehr maßvoll gestiegen. Das beklagen nun unsere Wettbewerbsländer. Dazu kann man nur sagen: Macht es doch nach! (Klaus Barthel [SPD]: Lohndrückerei!) Wir haben dadurch erreicht, dass wir unter allen Industriestaaten weltweit den höchsten Anteil des produzierenden Gewerbes am Sozialprodukt haben. Wir werden von allen Ländern beneidet. Bei uns beträgt der Anteil des produzierenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt 22 bis 23 Prozent. Wenn wir die Bauwirtschaft mit einbeziehen, sind es knapp 27 Prozent. Das liegt noch über dem Niveau von Japan. In anderen europäischen Staaten dagegen ist der Anteil stark gesunken. Wir überwinden diese Krise deswegen besser und nachhaltiger, weil wir uns in Deutschland eine so gute Struktur mit kleinem und mittelgroßem Gewerbe, produzierendem Gewerbe, Dienstleistungsgewerbe und Ähnlichem erhalten haben. Darum werden wir beneidet. Dies hat Paul Volcker vor kurzem in einem Zeitungsbeitrag festgestellt. Er hat gesagt, es wäre gut, wenn sich die Vereinigten Staaten an Deutschland orientieren und größeren Wert auf das produzierende Gewerbe gelegt hätten. Auf Großbritannien will ich jetzt gar nicht eingehen. Dort ist es noch viel dramatischer. Jetzt kommt es darauf an, die Aufgaben, die sich uns stellen, möglichst schnell und klar zu lösen. Wir brauchen klare Konzepte in der Energiepolitik. Die Bundesregierung hat angekündigt, das bis zum Herbst zu leisten. Ich bitte auch darum, dass die unterschiedlichen Ansichten innerhalb der Bundesregierung selbst geklärt werden statt in der Öffentlichkeit, sodass wir dann gemeinsam handeln können. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh je! Gemeinsam handeln mit euch! Die nächste Drohung!) Wir brauchen klare Konzepte in der Gesundheitspolitik. Wir alle wissen, dass Gesundheit durch den medizinischen Fortschritt und die längere Lebenserwartung der Bevölkerung immer teurer wird. Das ist unvermeidlich. Nun müssen wir dafür sorgen, dass das System so effizient wie möglich arbeitet. Deswegen brauchen wir in diesem Bereich mehr Wettbewerb - daran führt kein Weg vorbei -, (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der Kopfpauschale?) um die Effizienzreserven zu heben. Aber die steigenden Kosten müssen auch getragen und verteilt werden. Hier geht es darum, mehr Eigenverantwortung und Mitwirkung der Betroffenen, der Patienten, aber selbstverständlich auch der Dienstleister im Gesundheitssystem zu erreichen. Wir brauchen endlich Entscheidungen, die nach vorne gerichtet sind, statt an der überkommenen, aber nicht mehr tragfähigen Gesundheitspolitik festzuhalten, wie wir sie erlebt haben. (Beifall bei der FDP - Fritz Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist jetzt mit der Kopfpauschale?) Ich empfinde die Wahl des Bundespräsidenten gestern als eine symbolische Handlung. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch! - Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es gefährlich!) - Ich werde es Ihnen erläutern. Zugegeben, die Koalition hat am Anfang geschwächelt. Sie hat sich im zweiten Wahlgang deutlich gesteigert und dann, als es darauf ankam, die absolute Mehrheit erreicht. (Beifall bei der FDP - Lachen bei der SPD und der LINKEN - Garrelt Duin [SPD]: Weit unter Ihren Möglichkeiten! - Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso hat die FDP 4 Prozent?) Die linke Seite konnte sich bis zum letzten Wahlgang nicht einigen. Die SPD schiebt nun die Verantwortung auf die Linken. Das ist völlig grundlos; denn man hat sich vorher nicht einigen können. Außerdem ist es auch noch mathematisch falsch. Die Linken sind nicht verantwortlich, sondern wir haben unsere Mehrheit selbst erreicht. (Beifall bei der FDP - Lachen bei der LINKEN) Die Bundesregierung hat in ihrer Arbeit in allen Bereichen am Anfang etwas geschwächelt. Jetzt nimmt sie Fahrt auf. Wir sind mitten in der Wahlperiode. Ich sage Ihnen voraus: Je näher wir der nächsten Bundestagswahl kommen, desto stärker werden wir. Machen Sie sich darauf gefasst. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mit meiner wirtschaftspolitischen Rede beginne, will ich kurz auf Sie eingehen, Herr Solms. Wenn Sie den Verlauf der Wahl gestern so darstellen, wie Sie es gerade getan haben, dann hätte ich auch gerne eine Erklärung, warum die FDP in den Umfragen inzwischen bei 4 Prozent gelandet ist. Ich zitiere gern die taz, die, wie ich finde, sehr deutlich getitelt hat: "Einfach, niedrig und gerecht". Das beschreibt, wo Sie gerade stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Herr Brüderle, der Aufschwung ist nicht Ihr Verdienst. Sie haben in den letzten Monaten nichts dafür getan, dass dieser Aufschwung kommt. Das Schlimme ist: Die Maßnahmen, die Sie jetzt ergreifen, werden diesen Aufschwung abwürgen. Ich werde das im Einzelnen darlegen. Die Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent. Aber schon im kommenden Jahr soll das Wirtschaftswachstum nur noch 1,5 Prozent betragen. Jetzt werden die Weichen gestellt: Entweder wir schaffen es, diesen Aufschwung zu verstetigen, oder aber wir würgen ihn ab. Der Aufschwung steht auf zwei Beinen. Viele meiner Vorredner haben über die Auslandsnachfrage gesprochen. Die Auslandsnachfrage ist in weiten Teilen abhängig von einem schwachen Euro. Das kann sich wieder ändern. Die Stabilität des Euros können wir nur wenig beeinflussen. Aber der Wirtschaftsminister muss durchaus die Entwicklung des Euros beobachten. Auf dem Bein "Stabilität des Euros" allein können wir nicht stehen. Allein auf dem zweiten Bein können wir aber auch nicht stehen. Der Aufschwung ist in weiten Teilen verursacht durch die Konjunkturprogramme. Weltweit sind über 1 Billion Euro in Konjunkturprogramme investiert worden. Diese Programme laufen aus. Das heißt, auch dieses Bein bricht weg. Wir von den Grünen sind der Ansicht, dass diese Konjunkturprogramme ein Ende haben müssen. Staatliche Stützungsprogramme in dieser Größenordnung können wir gar nicht dauerhaft finanzieren. Über die eine oder andere Maßnahme muss man reden; aber in dieser Größenordnung kann nicht weiter finanziert werden. Wir haben heute eine Rekordneuverschuldung von 65 Milliarden Euro. Eines der Worte, die ich in den letzten Monaten bei Ihnen, aber auch in der Debatte insgesamt völlig vermisst habe, ist das Wort "Generationengerechtigkeit". Diese Neuverschuldung ist ein Angriff auf die Generationengerechtigkeit, und da machen die Grünen nicht mit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wie das denn?) Was ist jetzt zu tun? Drei Sachen: Sie müssen sparen, ohne den Aufschwung abzuwürgen. Sie müssen die Einnahmen verbessern, und vor allem müssen Sie in die Zukunft investieren - in Klima, in Effizienz bei Ressourcen und in Bildung. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Ja, machen wir doch!) Auf die damit verbundenen Fragen können Sie die richtigen oder die falschen Antworten geben. Sie geben die falschen Antworten. Ich erkläre Ihnen das im Einzelnen. Was wäre denn "richtig sparen"? Sparen Sie endlich unsinnige Verkehrsprojekte ein. Bei mir in Süddeutschland gibt es eines der unsinnigsten Verkehrsprojekte überhaupt: Stuttgart 21. Sie verbuddeln dort Milliarden Euro, indem Sie einen Bahnhof unter die Erde legen. Beerdigen Sie dieses Projekt! Das wäre eine sinnvolle Sparmaßnahme. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jörg van Essen [FDP]: Typisch Grüne!) Aber Sie sollten auch einmal Ihre Förderprogramme durchforsten; allein das Wirtschaftsministerium hat 55. Wir Grüne werden eines machen: Wir werden uns Stück für Stück jedes einzelne dieser Förderprogramme anschauen und im Hinblick auf seine ökologische Ausrichtung - die fast nicht vorhanden ist - untersuchen. Wir werden Ihnen sagen: Wir können mit weniger und mit klareren Programmen mehr erreichen als mit dieser verstückelten Wirtschaftsförderungspolitik. Wir werden zeigen, wo Sie Geld sparen können und wie Sie das eingesparte Geld richtig einsetzen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass Sie falsche Antworten geben, zeigt sich auch daran, dass Sie bei den Ärmsten sparen. Teilweise verstehen Sie gar nicht, was man Ihnen vorwirft. Der Disput zwischen Herrn Gysi und Herrn Geis war ziemlich interessant. Auf einmal wurde klar, welche fachlichen Lücken (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Löcher!) in der Koalition zuweilen vorhanden sind. Sie wissen ja gar nicht, worüber Sie reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dennoch treffen Sie auf diesem Gebiet Entscheidungen. Wenn das eine Standbein "Auslandsnachfrage" und das andere Standbein "Konjunkturprogramme" zumindest nicht ganz auf festen Füßen stehen und der Aufschwung daher gefährdet ist, dann brauchen wir ein drittes Standbein. Dieses dritte Standbein sind die Binnennachfrage und die Binnenkonjunktur. Notwendig ist also eine Investitionsoffensive im Inland im Bereich Bildung und im Bereich Klima. Notwendig ist natürlich auch, die Binnennachfrage derjenigen zu stärken, die wenig Geld haben. Sie haben gesagt: Wir wollen zahlreiche Konjunkturprogramme auflegen, um Arbeitslose wieder in Arbeit zu bringen. D'accord; das klingt gut. Warum kürzen Sie dann aber 16 Milliarden Euro bei Qualifizierung und Umschulung, also bei genau denjenigen Maßnahmen, durch die Arbeitslosen geholfen wird, sich auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Natürlich müssen Sie die Einnahmen verbessern. Mit Sparen allein werden Sie nicht hinkommen; das wissen Sie aber auch. Ich fand es niedlich, dass das Nachdenken über eine Anhebung des Spitzensteuersatzes in der FDP als Steuerrebellion empfunden wird. Ich weiß nicht, was Sie unter Rebellion verstehen. Über eine solche Anhebung ist nur nachgedacht worden. Entsprechende Überlegungen sind gleich wieder eingesammelt worden, an vorderster Front von Ihnen von der FDP, wie wir haben lesen dürfen. Dabei werden Sie zum Jagen getragen. Die Leute sagen Ihnen: Erhöhen Sie den Spitzensteuersatz! (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Was habt ihr denn damals gemacht?) Wir alle, die wir hier sitzen, sind von Ihrem Sparprogramm in keiner Weise betroffen. Im Gegenteil: Durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben diejenigen von uns, die Kinder haben, noch mehr bekommen. Das ist sozial ungerecht; das schafft eine Schieflage. So geht es nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es wäre auch richtig, klimaschädliche Subventionen zu streichen. Das Umweltbundesamt spricht von Subventionen in Höhe von 48 Milliarden Euro jedes Jahr. Wenn Sie anfangen, klimaschädliche Subventionen zu streichen, machen Sie dreierlei: Erstens helfen Sie der Wirtschaft, umzusteuern - das ist notwendig -, zweitens machen Sie etwas für das Klima, drittens machen Sie etwas für die Haushalte. Streichen Sie Steuervorteile für große Dienstwagen! Schaffen Sie Ökosteuersubventionen für energieintensive Unternehmen sukzessive ab! (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Vertreiben Sie Unternehmen aus Deutschland!) Sie sagen natürlich, dass Sie bei der Steinkohle streichen. Machen Sie aber einmal einen konkreten Vorschlag! Wir bringen einen konkreten Vorschlag ein, der in die Ausschüsse geht. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Und in Nordrhein-Westfalen schreiben Sie das in den Koalitionsvertrag!) Ich bin sehr gespannt, wie Sie von der Koalition sich dazu verhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre Antworten reichen nicht aus. Ihre Politik ist unsozial und ökologisch blind. Warum müssen wir uns jetzt Einnahmen und Ausgaben anschauen? Warum müssen wir darauf achten, dass der Staat handlungsfähig bleibt? Weil wir in die Zukunft investieren müssen. Wie lautet die richtige Antwort? Sie sagen, die Krise sei vorbei. Die Kanzlerin hat immer gesagt, es sei wichtig, dass wir nach der Krise wieder so dastehen wie vor der Krise. Das ist ganz gefährlich. Entscheidend ist doch, dass wir jetzt die Weichen richtig stellen. Die Weichen liegen bei der Ökologie: Die Ökologie ist die beste Ökonomie des 21. Jahrhunderts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Jeder Platz in der Solarindustrie wird mit 153 000 Euro gefördert!) In zehn Jahren - wir alle werden es hoffentlich erleben - werden vier von zehn neu zugelassenen Autos in Europa einen Elektromotor haben. Gestern schrieb das Handelsblatt, dass die Börse das Elektroauto feiert. Die Börse feiert aber in Amerika; nicht bei uns. Wenn wir die Chancen auf diesem Markt nicht nutzen, dann verschlafen wir einen Riesenmarkt. Was machen Sie? Sie lassen sich für Ihren Umgang mit Opel feiern. Helfen Sie lieber der Automobilindus-trie, auf neuen Pfaden zu gehen! Schaffen Sie ein Marktanreizprogramm für schadstoffarme Autos! Geben Sie mehr Forschungsmittel für Speicher, Werkstoffe und Antriebe aus! Entwickeln Sie intelligente Verkehrskonzepte! Dann bewegen Sie sich in einem Zukunftsmarkt; das wäre richtig. Vielleicht werden Sie dann dafür gefeiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben in Deutschland 18 Millionen Wohnungen. Wir fordern eine Sanierungsquote von 3 Prozent. Das heißt: 540 000 Wohnungen sollen jedes Jahr saniert werden. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was kostet das denn?) Das ist dringend notwendig, für das Klima, aber auch für die Arbeitsplätze im Handwerk. Was glauben Sie, welch enormen Impuls Sie geben können, wenn Sie ein gescheites, vernünftiges Gebäudesanierungsprogramm auf den Weg bringen! Das lohnt sich auch noch, weil jeder Euro doppelt und dreifach zurückkommt, zum einen durch Steuern und Abgaben, zum anderen, weil öffentliche Investitionen private Investitionen nach sich ziehen. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, die Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm zu erhöhen. Was macht die Koalition? Sie hat es abgelehnt. Das ist ökonomisch blind. Die Zukunft der Wirtschaft - - (Patrick Döring [FDP]: Da klatscht keiner im Saal! Denken Sie einmal darüber nach!) - Ach! Ich bin mir sicher, dass ganz schön viele im Saal klatschen werden, wenn ich sage, dass die Koalition ökologisch blind ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Zurufe von der FDP: Oh!) Vor 20 Jahren betrug der Ölpreis 18 Dollar pro Barrel. Damals ist prognostiziert worden, dass er in 20 Jahren 50 Dollar pro Barrel beträgt. Heute liegen wir bei 76 Dollar pro Barrel. Dieser Preis ist relativ niedrig; vor zwei Jahren war der Preis schon deutlich höher. Wenn wir es nicht schaffen, den Unternehmen zu helfen, sich auf sinkende Rohstoffmengen und steigende Rohstoffpreise einzustellen, dann haben wir nicht begriffen, wie wir unsere Wirtschaft umstellen müssen. Deswegen sagen wir: Sie geben in diesem zarten Aufschwung die falsche Antwort, weil Sie den Unternehmen nicht helfen, sich umzustellen. Wir geben die richtigen Antworten. Die Effizienzrevolution im Bereich der Materialeffizienz und der Energieeffizienz ist einer der entscheidenden Punkte. Da müssen wir hin: unsere Kreativität, unser Mut und unsere Entschlossenheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Nietzsche hat gesagt: "Den Stil verbessern, das heißt den Gedanken verbessern". Ihr Stil steht seit Monaten zu Recht in der Kritik. Der Grund sind Ihre Ideen und der Streit, den Sie aufgrund dieser Ideen haben. Ich sage Ihnen: Grüne Ideen sind besser und, glauben Sie mir, unser Stil ist es auch! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Klaus Barthel ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. - Nein, das ist gar nicht wahr. Zuerst ist der Kollege Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion dran und dann der Kollege Barthel. Das entspricht offenkundig auch den beiderseitigen Erwartungen, sodass wir Irritationen vermeiden sollten. Bitte schön. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Mittelpunkt der heutigen Regierungserklärung steht das Thema Aufschwung. Es ist in der Tat sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, was hinter uns liegt. Es wurde bereits angesprochen: Es ist noch keine zwei Jahre her, dass wir in den Abgrund geblickt haben. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: So ist es!) Es wurden 5 Millionen Arbeitslose prognostiziert. Im letzten Jahr hatten wir einen noch nie da gewesenen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 5 Prozent, von den Turbulenzen auf den Finanzmärkten ganz zu schweigen. Keiner wusste genau, was zu tun ist, weil diese Situation kein historisches Vorbild hatte. Die Politik hat national, auf europäischer Ebene und international gehandelt. Die Finanzmärkte wurden mit Rettungsschirmen stabilisiert. Weltweit wurden Konjunkturprogramme initiiert. In Deutschland wurden Konjunkturpakete mit einem Gesamtvolumen von 50 Milliarden Euro geschnürt, was in der Krise zu Stabilität, Sicherheit und Vertrauen geführt hat. In diesem Jahr - wir hatten bereits die Hoffnung, dass es aufwärts geht - haben wir die Bürger mit dem Bürgerentlastungsprogramm und dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz nochmals um rund 23 Milliarden Euro entlastet. Das ist die größte Entlastung, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je gab. Das sind die Fakten, die man sich vergegenwärtigen sollte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Fakten sprechen eine klare und deutliche Sprache. Die Finanzmärkte sind wieder stabiler. Am heutigen Tag wird das von der Europäischen Zentralbank gewährte Jahresgeld in Höhe von 442 Milliarden Euro - das war die größte Summe, die jemals für ein Jahr gewährt wurde -, geräuschlos zurückgezahlt werden können. Das zeigt: Es ist wieder Vertrauen in die Märkte vorhanden. Die Banken leihen sich gegenseitig wieder Geld. Wir können also hoffen, dass die Finanzmärkte wieder stabiler sind. Wir müssen und werden nun mit weiteren Instrumenten dafür sorgen, dass sich eine solche Krise nicht wiederholt. Auch auf den Gütermärkten, die vor allem durch staatliche Aktivitäten stabilisiert wurden - Stichwort: Umweltprämie; zu nennen sind auch die Bereiche energetische Sanierung und Handwerk -, wurde das Vertrauen gefestigt und Umsatz geschaffen. Das ist nicht allein auf staatliche Stimulanzien zurückzuführen, sondern wir haben einen selbsttragenden Aufschwung, der dazu führt, dass sich die Wirtschaft weiter stabilisiert. Die Automobilindustrie und die Maschinenbauindustrie sind erfreulicherweise wieder gut ausgelastet. Aufträge sind vorhanden. Zum Teil werden wieder Sonderschichten gefahren. Wir können also von einem selbsttragenden Aufschwung sprechen. Das Szenario von 5 Millionen Arbeitslosen ist nicht eingetreten. Erfreulicherweise bewegt sich die Arbeitslosigkeit auf einem Niveau von 3 Millionen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Keiner hat uns das zunächst zugetraut. Nun spricht die ganze Welt vom "German Jobwunder". (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) 2 Millionen weniger Arbeitslose zu haben, bedeutet - die Zahlen wurden eben genannt -, dass mehr in die Sozialkassen eingezahlt wird. 100 000 Arbeitsplätze bringen mehr als 80 Millionen Euro an zusätzlichen Einnahmen für die Bundesagentur für Arbeit. Wären sie weggefallen, wären Kosten für Arbeitslosengeld I usw. in Höhe von 1,6 Milliarden Euro angefallen. Uns ist insgesamt ein Betrag von 40 Milliarden Euro erspart geblieben. Und "uns" heißt in dem Fall dem Steuerzahler, weil er keine Steuern dafür aufbringen muss, und dem Beitragszahler, weil er keine höheren Sozialversicherungsbeiträge aufbringen muss. Das ist die beste Art und Weise, dieses selbsttragende Wachstum weiter zu beschleunigen und anzuheizen. (Beifall bei der CDU/CSU) Was werden wir weiter tun? Wir werden das Wachstum stabilisieren und beschleunigen, und wir werden intelligent sparen und konsolidieren. (Garrelt Duin [SPD]: Was heißt das denn?) Wie wollen wir das Wachstum beschleunigen? Wir wollen mehr Wettbewerb durch moderne und wettbewerbsfördernde Regulierungen in den Gütermärkten. Beispielsweise werden wir das Telekommunikationsgesetz und das Postgesetz novellieren und dafür sorgen, dass es mehr Wettbewerb gibt, der dann auch mehr Arbeitsplätze schafft, und dass wir einen Infrastrukturwettbewerb bekommen. Bei den vor- und nachgelagerten Diensten in diesen Bereichen wollen wir neue Dienstleistungen ermöglichen und damit neue Arbeitsplätze schaffen, wodurch zusätzliches Wachstum entsteht. Wir werden weiter entbürokratisieren. Das bringt der Wirtschaft etwas und kostet nichts. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Wir haben uns vorgenommen, Schwellenwerte zu vereinheitlichen und Aufbewahrungsfristen zu verkürzen. Jeder Freiberufler, jeder Unternehmer muss heute seine Rechnungen zehn Jahre lang aufbewahren. Die elektronische Rechnungserstellung funktioniert noch nicht richtig. Der Normenkontrollrat hat ausgerechnet, dass allein diese Aufbewahrungsfristen fast 7 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Wenn wir vernünftige Regelungen umsetzen und beispielsweise die Aufbewahrungsfristen halbieren, dann können wir auch hier Wachstum schaffen und sinnvolle neue Ansätze bringen, ohne dass wir uns deswegen verschulden müssten. Wir werden auch im Energiebereich Wachstumspotenziale mobilisieren. Energieeffizienz ist in der Tat unser Thema. Wir wollen die Energieeffizienz bis zum Jahr 2020 noch einmal verdoppeln. Wir hatten das schon einmal - von 1970 bis 1990 - geschafft. Das ist eine große Herausforderung; aber wir werden es angehen, die entsprechenden Instrumente zu schaffen. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsst was machen!) Wir werden einen Energiemix schaffen und die Potenziale, die dort vorhanden sind, heben. Wir wollen den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Gegenüber heute wollen wir sie im Strombereich bis zum Jahre 2020 auf über 30 Prozent, vielleicht sogar 35 Prozent steigern. Der Strom muss dann aber immer noch zu 60, 65 oder 70 Prozent von irgendwo anders kommen. Der kommt ja nicht vom Mond, Herr Kuhn, auch bei Ihnen nicht. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von der Sonne! - Renate Künast [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Mond hat doch keinen Strom! Er ist ein Planet, Sie Irrlicht! Er ist ein Planet, kein Stern!) - Oder aus der Steckdose. - Die volkswirtschaftlichen Folgen der Fotovoltaik hat der Kollege Fuchs vorhin schon angesprochen. Deshalb werden wir auch die volkswirtschaftlichen Potenziale der Kernenergie nutzen. Nicht wir, sondern das Öko-Institut und das RWI haben ausgerechnet, dass dort ein volkswirtschaftlicher Nutzen in einer Höhe von 250 Milliarden Euro verloren gehen würde. Deshalb werden wir die Laufzeiten substanziell verlängern und dafür sorgen, dass dieses nicht allein den großen Vier zugute kommt. Vielmehr werden wir eine den Wettbewerb stimulierende Lösung finden, sodass der Wettbewerb weiter vorankommt. Diese Potenziale werden der gesamten Wirtschaft und letztlich auch dem Bürger zugute kommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte, weil das auch heute wieder erwähnt wurde, das Thema Binnennachfrage und Lohn ansprechen. Es wurde gesagt, die Löhne würden zurückgehen. Das stimmt überhaupt nicht. Wir haben immer noch mit die höchsten Lohnkosten in Europa. Es ist in der Tat aber so: Wenn man den Unterschied zwischen Lohnstückkosten und Lohnkosten nicht kennt, wird es schwierig. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wie mit dem Unterschied zwischen Kindergeld und Elterngeld!) Herr Solms hat ja versucht, Ihnen das darzulegen. Es hat sich in den letzten 20 Jahren empirisch erwiesen: Jedes Prozent Reallohnanstieg führt zu einer Steigerung der Binnennachfrage von 0,3 Prozent. Jedes Prozent Beschäftigungsanstieg dagegen führt zu einer Steigerung der Binnennachfrage von 0,8 Prozent. Das heißt, die beste Förderung der Binnennachfrage besteht in einer guten Beschäftigungspolitik bzw. in der Erweiterung des Arbeitsvolumens. (Klaus Barthel [SPD]: Das Beste wäre: Alle würden arbeiten und kein Geld dafür bekommen! - Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So ein Quatsch! - Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Aber nur, wenn es ordentlich bezahlt wird! Wir brauchen vernünftige Löhne!) Wir haben dazu einiges in Bezug auf den Arbeitsmarkt getan. Es ist beispielsweise gelungen, vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2008 die Erwerbsbeteiligung der Älteren - der 55- bis 64-Jährigen - von unter 40 Prozent - 37,6 Pro-zent - auf 54 Prozent konsequent zu steigern. Daran werden wir auch weiterhin arbeiten. Beim Elterngeld - es ist vorhin schon angesprochen worden - wollen wir Wahlfreiheit für Familien und Alleinerziehende. Wir können es uns auch angesichts der demografischen Situation nicht leisten, zukünftig auf dieses volkswirtschaftliche Asset zu verzichten. Dieses Jahr werden wir am Ausbildungsmarkt einen Wendepunkt erleben. Der Ausbildungspakt wird neu gestaltet werden. Bisher ging es darum, genug Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Das wird zukünftig nicht mehr die Herausforderung sein. Es wird zukünftig mehr Ausbildungsplätze geben, als Bewerber vorhanden sind. Die Facharbeiter- bzw. Fachkräftelücke zeichnet sich schon ab. Diese Entwicklung ist der Demografie geschuldet. (Garrelt Duin [SPD]: Da wäre eine moderne Einwanderungspolitik vonnöten!) Unser Ziel ist, vor allem die Bereiche, in denen noch etwas zu tun ist, besser zu fördern. Als Beispiele nenne ich Migranten und Menschen, die schlecht ausgebildet sind oder keinen Abschluss haben; beide Gruppen sind häufig identisch. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Für die streichen Sie die Förderprogramme!) Diese Klientel müssen wir ganz besonders in den Blick nehmen und effektiver fördern. Das werden wir beispielsweise beim Ausbildungspakt tun. Wenn wir all dies machen, dann gelingt es uns tatsächlich, stärker aus der Krise hervorzugehen, als wir in die Krise hineingegangen sind. Das ist unser Ziel. Abgerechnet, meine Damen und Herren, wird zum Schluss. Ich bin mir sicher: Wir haben einen klaren ordnungspolitischen Kompass - das ist heute schon vorgetragen worden -, unsere Instrumente werden wirken, und am Ende dieser Legislaturperiode wird Deutschland durch die Arbeit dieser bürgerlichen Koalition von CDU, CSU und FDP besser dastehen, (Garrelt Duin [SPD]: Als jetzt! Schlechter geht es ja auch nicht!) als Deutschland nach sieben Jahren Rot-Grün dagestanden hat, und es wird auch besser dastehen als nach vier Jahren Großer Koalition. Davon bin ich überzeugt. Lassen Sie uns die entsprechenden Zahlen, Daten und Fakten dann zusammentragen. Dem sehen wir gelassen entgegen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Pfeiffer pfeift im Walde!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat der Kollege Klaus Barthel für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Klaus Barthel (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe es ja gerne zu: Wir haben zumindest zwei Dinge nicht erwartet. Wir haben das, was gestern passiert ist, nicht erwartet, (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Gehen Sie doch mal auf heute ein! Heute ist schließlich McAllister gewählt worden! Ist das nicht toll?) und wir haben nicht erwartet, dass es auf dem Arbeitsmarkt einen so starken Aufschwung gibt. Das geben wir unumwunden zu. Wir freuen uns über beides. Über den Aufschwung am Arbeitsmarkt freuen wir uns allerdings mehr. Zwischen beiden Dingen gibt es aber einen entscheidenden Unterschied: Für das, was gestern passiert ist, konnten Sie etwas. Aber für den Aufschwung am Arbeitsmarkt kann diese Koalition nichts. (Beifall bei der SPD - Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Aha! Interessant!) Wir müssen uns einmal mit den Ursachen dieser Entwicklung befassen. Binnenwirtschaftlich betrachtet zehren wir im Moment von den Rettungsschirmen für das Finanzsystem, die Stabilisierung des Geldkreislaufs, die Kreditversorgung und die Unternehmen. All das hat die Große Koalition gemacht. Herr Brüderle - Sie werden sich an Ihre Reden vielleicht nur ungern erinnern -, wer war dagegen? Die FDP. Das Konjunkturprogramm mit einem Volumen von 81 Milliarden Euro für 2009 und 2010 entfaltet in diesem Jahr seine volle Wirkung. Wer war dafür, und wer war dagegen, Herr Brüderle? (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Die FDP hat zugestimmt!) Den betrieblichen Bündnissen hat die FDP zugegebenermaßen zugestimmt. Aber was ist bei der Arbeitsmarktpolitik? Kurzarbeitergeld, betriebliche Bündnisse und Arbeitszeitkonten, das alles funktioniert auf der Grundlage sicherer Arbeitsverhältnisse und starker Betriebsräte und Gewerkschaften. Das funktioniert aber nicht auf der Grundlage Ihrer Vorstellungen vom Arbeitsmarkt, von "Hire and Fire" und von sogenannter Flexibilität, der Sie seit Jahren das Wort reden. (Beifall bei der SPD) Einen weiteren Beitrag zu dieser Entwicklung leistet die Niedrigstzinspolitik der EZB, gegen die die FDP auch immer heftig polemisiert hat. Außerdem hilft uns im Moment die Entwicklung, dass die Weltwirtschaft doppelt so schnell wächst wie die Wirtschaft in Deutschland, nämlich um über 4 bis 5 Prozent. Woher kommt dieses Wachstum, das das Volumen unserer Exporte in diesem Jahr um 8 bis 9 Prozent nach oben treiben wird? Es kommt aus Ländern, die in der Wirtschaftspolitik das genaue Gegenteil von dem machen, was diese schwarz-gelbe Koalition seit einem halben Jahr predigt. In Ländern wie China und Brasilien zum Beispiel wird sozialer Ausgleich betrieben. In China unterstützt die Regierung streikende Arbeiter gegen internationale Konzerne. In Brasilien wird seit Jahren eine binnenwirtschaftlich orientierte Nachfragepolitik gemacht. Im Weltmaßstab ist Deutschland als eine der größten Volkswirtschaften leider nicht die Lokomotive, sondern eher der Bremsklotz des Aufschwungs; auch das weisen die aktuellen Zahlen aus. Sie schmücken sich also mit fremden Federn. Dieser Aufschwung kommt aus Quellen, mit denen Sie überhaupt nichts zu tun haben; vielmehr haben Sie alles bekämpft. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das heißt bei all unseren Erfolgen aber auch: Die schwarz-gelbe Wirtschaftspolitik ist nun wirklich kein Exportartikel. Statt Investitionsförderung zu betreiben, sparen Sie. Bei der Gebäudesanierung, die dem Mittelstand helfen würde, sparen Sie. Bei der Solarförderung kürzen Sie. Ich weiß nicht, was Atomwerke mit Mittelstand zu tun haben. (Beifall der Abg. Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]) Sie machen Steuergeschenke statt Modernisierung. Und das nennen Sie Mittelstandspolitik. Sie schwächen die Binnenkonjunktur durch Abkassieren bei den kleinen Einkommen und durch Kürzungen bei den Sozialleistungen; dazu haben wir heute schon etwas gehört. Sie versagen bei der europäischen Politik und bei G 20. Es gibt keine verbindlichen Verabredungen zur Regulierung. Es gibt keine Refinanzierungsinstrumente gegen die Krise wie die Finanztransaktionsteuer. Da stellt sich Frau Merkel, kurz bevor sie nach Toronto fliegt, hin und sagt: Wahrscheinlich haben wir keine Mehrheit für die Finanztransaktionsteuer. Aber es ist gut so. Wir führen die Entscheidung herbei; dann wissen wir wenigstens, woran wir sind. - Es ist doch politischer Masochismus pur, zu sagen: Schlagt uns; dann wissen wir, dass wir auf dem falschen Dampfer sind. Denn eigentlich wollten wir es ohnehin nicht. (Beifall bei der SPD) Das heißt - das ist das eigentliche Problem -, die Lunte für die nächste Krise ist gelegt. Die Krise ist eben nicht überwunden, Herr Solms. Die weltweiten Ungleichgewichte im Handel erfahren jetzt einen neuen Schub; das weisen die Zahlen aus. Die Überschüsse in Deutschland und in China steigen weiter, und die Defizite der Schuldnerländer gehen weiter in den Keller. Die Geldvermögen sind schon wieder so groß wie vor der Krise und treiben die Spekulation an. Gegen Finanzblasen gibt es keine Regelungen. Deswegen sind auch die Institute für 2011 äußerst skeptisch. Wenn Sie den Instituten nicht glauben, dann schauen Sie sich einfach an, wie es an den Börsen jeden Tag rauf und runter geht. Dies zeigt eine hochgradige Nervosität, und die hat mit dieser Situation zu tun. Wir sind längst nicht durch die Krise durch. Wir brauchen eine Strategie für die Euro-Zone. Hier ist nichts gelöst. Die Ungleichgewichte bestehen in der Euro-Zone bzw. in der EU fort. Wir brauchen eine Finanzierung der Krisenlasten, die nicht nur im sozialen Sinne gerecht, sondern auch volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Das heißt, man darf nicht da kürzen, wo mit dem Geld Binnenkaufkraft gestärkt wird, sondern muss die belasten, die das große Geld haben und bei denen etwas zu holen ist. Belastet werden müssen also Finanztransaktionen und große Vermögen. Schließlich brauchen wir eine Umkehr bei der Lohnentwicklung, das heißt eine Bekämpfung der Prekarisierung. Ich fordere die Koalition dringend auf - da gab es unterschiedliche Äußerungen; ich bin gespannt darauf, wie Sie das angehen -: Tun Sie gesetzlich etwas, um die Auswirkungen der verheerenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einzugrenzen! Wir müssen das Prinzip "ein Betrieb, eine Branche, ein Tarifvertrag" retten. Sonst wird der Druck auf die Löhne zunehmen, und das können wir in der jetzigen wirtschaftlichen Situation überhaupt nicht gebrauchen. (Beifall bei der SPD) Herr Solms und Herr Pfeiffer, das, was Sie hier über Lohnstückkosten erzählen, ist purer Unsinn. Herr Pfeiffer sagt, Löhne schaden eher; wir brauchen Beschäftigung. - Wenn man das von der Logik her zu Ende denkt, dann hieße das: Am besten wäre es, alle arbeiten und bekommen kein Geld dafür. - Das wäre der volkswirtschaftliche Gipfel der Erkenntnis. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Geh, Herr Kollege!) Herr Pfeiffer, Sie sagen, die Lohnstückkosten bei uns stärken die Wettbewerbsfähigkeit im Export. Schauen Sie sich doch einmal die Stundenlöhne und die Lohnstückkosten in der Exportwirtschaft an. Sie sind, volkswirtschaftlich gesehen, relativ hoch. Das Problem ist nur: Es gibt andere Sektoren, in denen die Löhne immer weiter sinken. Dazu gehören der Dienstleistungsbereich und andere nicht exportstarke Sektoren. Daher hat die Anhebung der Löhne im Dienstleistungsbereich mit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Exportartikel - Maschinen usw. - überhaupt nichts zu tun. Sie sind dabei, dem Aufschwung, über den wir hier reden, die Grundlage zu entziehen. Herr Brüderle, Sie haben bisher das Richtige bekämpft. Was andere Regierungen getan haben, bekämpfen Sie. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das können Sie jetzt aber nicht mehr im Einzelnen darstellen. Klaus Barthel (SPD): Was die frühere Bundesregierung auf diesem Gebiet getan hat, bekämpfen Sie. Sie haben das Falsche gefordert, und Sie nennen das Ordnungspolitik. Herr Brüderle, ich kenne Sie ja schon länger. Sie sind als durchaus pragmatisch und flexibel bekannt. Mein Appell zum Schluss ist: Wenden Sie sich von dieser Art von Wirtschafts- und Ordnungspolitik ab, und machen Sie etwas ganz anderes! (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält der Kollege Martin Lindner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Herr Kollege Barthel, ich glaube, das wird der Bundeswirtschaftsminister ganz sicher nicht machen. Er wäre auch verrückt. (Beifall bei der FDP) Jedes größere Wirtschaftsinstitut attestiert, dass hier eine vernünftige Wirtschaftspolitik gemacht wird. Sich davon abzuwenden, wäre vollkommen wahnsinnig. Wenn man Führungskräfte der Wirtschaft fragt, was für nachhaltigen Aufschwung und nachhaltige Wirtschaftspolitik entscheidend sei, nennen sie überwiegend alle als einen der wichtigsten Punkte, (Thomas Oppermann [SPD]: Eine andere Regierung!) dass eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte von elementarer Bedeutung ist. Da hat die Bundesregierung mit dem Entwurf eines Sparpakets einen richtigen und wegweisenden ersten Schritt gemacht: (Beifall bei der FDP - Garrelt Duin [SPD]: Wie kommen Sie denn darauf? - Thomas Oppermann [SPD]: Aber viele Luftbuchungen!) sozial ausgewogen, mit klaren Schwerpunkten - Bildung und Forschung. (Thomas Oppermann [SPD]: Ja, klar!) Wenn, auch unter Berücksichtigung dieser Sparanstrengungen, 55 Prozent der Ausgaben des Bundes für Soziales getätigt werden und Sie, Herr Kollege Barthel, uns für Sozialpolitik China und Brasilien als Vorbild empfehlen, zeigt das, wie ver-rückt Ihr Koordinatensystem in sozialpolitischen Belangen ist. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das geht doch völlig an der Realität vorbei. Es gibt kaum ein Land, das so unbeschränkt und nachhaltig Sozialleistungen gewährt wie Deutschland. (Thomas Oppermann [SPD]: Was haben Sie denn in Brasilien gemacht? - Klaus Barthel [SPD]: Es geht um die Entwicklung der letzten Jahre!) Zu den anderen Themen. Natürlich ist Forschung etwas, was mittelfristig wirtschaftspolitische Bedeutung hat. Deswegen ist es vernünftig, dort nicht zu sparen, sondern auf dem Wachstumspfad zu bleiben. Bildung ist natürlich auch ganz elementar. Das wirkt langfristig. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung hier nicht spart. Die Konsolidierungsanstrengungen, die sich ja hauptsächlich auf den Bereich Luftverkehrsabgabe, Bankenabgabe und auf das zusätzliche Belasten von Kernkraftwerksbetreibern beziehen, müssten genau in Ihrem Sinne sein. Deswegen verstehe ich nicht, warum Sie hier nicht viel deutlicher Beifall klatschen, als wir das tun. (Beifall bei der FDP - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso "zusätzliches Belasten von Kernkraftwerksbetreibern"? - Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß nicht, wie viele Brennelemente Sie in Ihrem Keller liegen haben!) Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Steuern sagen, weil auch von Kollegen Gysi das einfache Motto ausgegeben wird: Man muss nur bei den Stärkeren ein wenig zugreifen. - Schauen Sie sich doch einmal die steuerpolitische Entwicklung der letzten 40 Jahre an. 1958 hat ein Lediger eine Eingangssteuer von 20 Prozent, umgerechnet etwa 860 Euro pro Jahr, bezahlt. Den Spitzensteuersatz von 53 Prozent hat ein Lediger mit 110 000 DM im Jahr - heute umgerechnet 56 000 Euro - bezahlt. (Garrelt Duin [SPD]: Da wollen Sie wieder hin!) Wenn Sie das inflationsbereinigt fortschreiben würden, dann müssten Sie heute als Lediger bei etwa 2 400 Euro 20 Prozent Steuern bezahlen und den Spitzensteuersatz mit 160 000 Euro pro Jahr. Tatsächlich aber zahlen Sie den Spitzensteuersatz bereits bei 53 000 Euro und den Eingangssteuersatz von 14 Prozent bei 8 000 Euro. (Klaus Barthel [SPD]: Das ist doch Unsinn! Der Spitzensteuersatz ist doch nicht der effektive Steuersatz! - Thomas Oppermann [SPD]: Aber doch nicht für den ganzen Betrag! Erklären Sie doch das Steuersystem mal richtig!) Daran sehen Sie doch ganz deutlich, wenn Sie nicht ideologisch verblendet sind, dass die starken Schultern und vor allen Dingen die mittleren Einkommen immer mehr belastet wurden. Darum geht es dieser Bundesregierung: Wir müssen die mittleren und auch die kleinen Einkommen entlasten, um den Sozialstaat, den wir hier alle wollen, finanzieren zu können. Deswegen ist es vernünftig, wie hier vorgegangen wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Thomas Oppermann [SPD]: Wann fangen Sie denn damit an? Wann geht es endlich los? Wann folgen Ihren Ankündigungen auch Taten?) Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen wird auch entscheidend davon abhängig sein, inwieweit wir die Anforderungen an die Wirtschaft in sozialpolitischer, arbeitsrechtlicher und ökologischer Hinsicht optimieren. (Thomas Oppermann [SPD]: Alles nur Sprücheklopferei!) Ich sage Ihnen an dieser Stelle ganz klar: Ich halte nichts davon, die hohen Standards, die wir in Deutschland haben, blind nach unten zu ziehen. Ich glaube auch, dass viele deutsche Produkte ihre Geltung in der Welt und ihr hohes Niveau auch dadurch erhalten haben, dass wir in Deutschland höhere Standards haben als beispielsweise in China, Korea oder sonst irgendwo. Ich glaube, dass man hier das Optimum erreichen muss, denke aber, dass wir uns in vielen Bereichen weg vom Optimum und hin zu einem Maximum an Anforderungen bewegen, wodurch deutsche Produkte national und international schlechter wettbewerbsfähig sind. Mit der pharmazeutischen Industrie haben wir ein gutes Beispiel dafür. Wir waren einmal die Apotheke der Welt. Im Laufe der Jahre haben wir uns über Ethikkommissionen, andere Anforderungen, das Verbot von Tierversuchen und Ähnlichem von dem Optimum an Produktsicherheit und Ethik hin zu einem solchen Maximum bewegt, dass für die Entwicklung eines Produkts eine Investition von mindestens 1 Milliarde Euro nötig ist, wodurch die Unternehmen mit ihren Produkten nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Wir müssen hier - das ist die Anforderung an diese Bundesregierung und diese Koalition - zu einem vernünftigen Level kommen. (Garrelt Duin [SPD]: Sollen die ethischen Fragen bei Ihnen künftig keine Rolle mehr spielen? Ich glaube, man muss unter dem Begriff "Bürokratieabbau" versuchen - das greift ja in der Regel zu kurz -, das in den nächsten Jahren vernünftig zu erreichen. Dazu gehören auch die Exportvorschriften. Natürlich müssen wir auch diese überprüfen. Es ist wichtig, die Exportwirtschaft in Deutschland weiter zu stärken. Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Linke des Hauses das jedes Mal in einen Gegensatz zur Binnennachfrage stellt. Wir brauchen eine starke Exportwirtschaft. Alles andere ist verrückt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das hat was mit Gleichgewicht zu tun!) Wir werden weiter daran arbeiten müssen, und natürlich müssen auch die Löhne und Gehälter international konkurrenzfähig sein. Damit, dass Sie hier, genau wie in der Sozialpolitik, Gespenster in die Welt setzen, gehen Sie völlig am echten Leben vorbei. Natürlich hat es in Deutschland in den letzten Jahren auch bei den Löhnen und Gehältern eine gewisse Konsolidierung gegeben, aber es kann doch nicht Ihr Ernst sein, hier zu erzählen, das seien Dumpinglöhne, Herr Gysi. Im verarbeitenden und für die Exportwirtschaft relevanten Gewerbe stehen wir innerhalb der Europäischen Union noch immer an vierter Stelle von oben. (Klaus Barthel [SPD]: Und mit einem Niedriglohnsektor!) Es ist Ausdruck der völligen Unkenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten, hier von Dumpinglöhnen zu reden. Wir brauchen wettbewerbsfähige Löhne und Gehälter. Dabei sind wir in Deutschland auf einem guten Weg, und zwar auch dank der Vernunft von Gewerkschaften und vor allen Dingen auch dank der betrieblichen Vereinbarungen in den Unternehmen. Dafür danken wir. Natürlich ist man auch dort mit Vernunft vorgegangen. Das war wegweisend, und es zeigt sich in diesen geringen Arbeitslosenzahlen ganz deutlich, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) dass man hier eben nicht Ihren ideologischen Phantasmagorien gefolgt ist, sondern Vernunft hat obwalten lassen. Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz auf die ordnungspolitische Klarheit dieser Bundesregierung am Beispiel Opel eingehen. Ich freue mich wirklich, dass diese Bundesregierung - federführend der Bundeswirtschaftsminister Brüderle -, anders als viele Vorgänger, egal, welcher Couleur, in dieser Frage standhaft geblieben ist. Ich denke an die Maxhütte, an Philipp Holzmann und an KarstadtQuelle und höre noch die "Gerhard, Gerhard"-Rufe. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Lindner, all die vielen Fälle, die sich jetzt vielleicht nennen ließen, lassen sich nach abgeschlossener Redezeit nicht mehr unterbringen. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Ich binde das in einem Satz zusammen und sage: Es ist jeweils gescheitert. Herr Duin, eine Stunde bevor GM seine Förderanträge zurückgezogen hat, haben Sie Seite an Seite mit Ihrem linken Bruder noch immer gefordert, Brüderle solle weich werden und deutsche Steuergelder für GM ausgeben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist dann die Bilanz von dem Mann? Ich lache mich tot!) Das ist der große ordnungspolitische Unterschied zwischen Ihnen und uns. Sie wären weich geworden und hätten deutsche Steuergelder nach Amerika gegeben. Ich bin froh, dass er standhaft geblieben ist und einen klaren ordnungspolitischen Kurs hat. Sie können schreien, soviel Sie wollen: Die Bundesregierung und diese Koalition werden diesen ordnungspolitischen Kurs unbeirrt fortsetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Ernst Hinsken für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Andreae, "Wasser predigen, aber Wein trinken" heißt ein schönes Sprichwort. Heute Morgen bin ich mit meinem Fahrrad zum Büro gefahren. Ich wurde von drei Dienstlimousinen überholt; in jeder saß ein Grüner. Sie aber fordern die Abschaffung der Dienstlimousinen. Fordern: Ja! Nutzen: Ja! (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: So sind sie halt!) - So sind sie halt. - Das alles passt nicht mehr zusammen. Ich wollte das bei dieser Gelegenheit ganz kurz erwähnen, damit ich der Öffentlichkeit das sage, was ihr auch glaubwürdig überbracht werden kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll ich Ihnen das erklären? - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Vergleich zu Ihnen scheine ich schon öfter Fahrrad gefahren zu sein!) Verehrter Herr Kollege Duin, im Gegensatz zu Herrn Wirtschaftsminister Brüderle haben Sie meines Erachtens kein realistisches Bild gezeichnet; denn es steht doch unbestritten fest: Kein Land hat die Krise besser bewältigt als wir. Die jetzige christlich-liberale Bundesregierung und ihre Vorgängerin - das betone ich ausdrücklich - in der Großen Koalition haben doch in den letzten zwei Jahren eine richtige Politik betrieben. Diese führte zum Erfolg. Ich meine, wir sollten uns alle darüber freuen, anstatt uns gegenseitig zu beschimpfen und das Leben schwer zu machen. Gemeinsam an einem Strang ziehen, ist das Gebot der Stunde. Wir sind zwar über den Berg, aber trotzdem ist nicht alles eitel Sonnenschein. Die konjunkturelle Frühjahrsbelebung ist stärker als sonst. Die Auftragsbücher des Mittelstandes und des Handwerks füllen sich. Der Export gewinnt an Fahrt. Jedes zweite produzierte Auto geht in den Export. Die Arbeitslosigkeit liegt in verschiedenen Regionen sogar unter 4 Prozent. Davon haben wir alle noch vor einem Jahr geträumt. Es ist Wirklichkeit geworden, wie Kollege Fuchs vorhin bereits ausgeführt hat. Aufgrund sehr guter Exportmöglichkeiten können unsere Unternehmen ihre Mitarbeiterzahl nahezu unverändert halten. Die Dienstleistungsbranche plant sogar, Arbeitnehmer einzustellen. Noch auf anderen Gebieten sind wir spitze. Die tariflichen Monatsverdienste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft sind im letzten Jahr um durchschnittlich 2,7 Prozent gestiegen, in Frankreich nur um 2,2 Prozent. Herr Gysi, Sie haben vorhin einen Vergleich gezogen. Ich möchte deshalb besonders darauf verweisen, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, was Verdienstmöglichkeiten anbelangt, sehr viel mehr und Besseres geleistet haben als die Nachbarländer, die in etwa mit uns vergleichbar sind. Auch in dieser Hinsicht sind Sie widerlegt. Das, was gemacht worden ist, hat den Staat viel Geld gekostet. Das war in der Wirtschaftskrise richtig. Unbestritten ist, dass unser soziales Netz spitze ist. Wir müssen uns aber grundsätzlich die Frage stellen, ob das alles noch bezahlbar ist. Haben wir nicht in den letzten Jahren und vielleicht Jahrzehnten ein bisschen über die Verhältnisse gelebt? (Klaus Barthel [SPD]: Wer denn?) Ich setze auf die Bürger. Die Bürger, Kollege Barthel, sind mündiger als viele Kolleginnen und Kollegen auf Ihrer Seite des Deutschen Bundestages. Sie sind mündig und wissen, was machbar und was nicht machbar ist. Deshalb muss die Devise jetzt lauten, dass gespart werden muss; denn die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Was ist deshalb zu tun? Wir müssen auf dem Gebiet Leitgedanken entwickeln. Erstens: Haushaltskonsolidierung über die Ausgabenseite vornehmen. Zweitens: keine Steuererhöhungen. Drittens: Zukunftsinvestitionen fortführen. Viertens: selbsttragenden Aufschwung unterstützen. Fünftens: Binnenkonjunktur ankurbeln. Sechstens: inflationäre Tendenzen im Keim ersticken. Schließlich ist Inflation Diebstahl am kleinen Bürger. Für den wollen wir ganz besonders da sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen und werden jetzt einen dauerhaften Wachstumsprozess anstoßen, der ohne staatliche Hilfe auskommt. (Klaus Barthel [SPD]: Dann brauchen Sie ihn ja nicht anzustoßen! - Heiterkeit der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Was wollen wir? Erstens: mehr netto - und das trotz Sparpakets. Zweitens: die Sozialversicherungsbeiträge stabil halten. Das hilft den Beschäftigten, Arbeitgebern und auch Rentnern. (Garrelt Duin [SPD]: Führen Sie die Kopfpauschale ein?) Drittens: der Jugend eine Zukunft geben. Ich möchte Sie, Herr Minister Brüderle, ergänzen. Was die Jugendarbeitslosigkeit anbelangt, steht die Bundesrepublik Deutschland als absolutes Spitzenland da. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Deutschland bei 9,5 Prozent, in der gesamten EU bei 20,6 Prozent, in Frankreich bei 22,2 Prozent, in Spanien bei 40,3 Prozent und in den USA bei 19,6 Prozent. Wir müssen für die Jugend, die uns so ans Herz gewachsen ist, schon jetzt die Weichen stellen, damit sie sich auch einmal so entfalten kann, wie wir das jetzt tun können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Viertens. Gerade diese Bundesregierung fördert den Mittelstand, und zwar zu Recht; denn dort, wo der Mittelstand stark ist, ist die Arbeitslosigkeit mit am niedrigsten. Herr Brüderle, gerade hier haben Sie einige Akzente gesetzt, die in die richtige Richtung gehen. Mit dem Wirtschaftsfonds Deutschland hilft die Bundesregierung zielgenau vor allem mittelständischen Unternehmen bei der Bewältigung der durch die Krise entstandenen Finanzierungsprobleme. (Joachim Poß [SPD]: Damit hat er doch nichts zu tun! - Weiterer Zuruf von der SPD: Das hat er doch noch bekämpft!) In diesem Zusammenhang müssen wir natürlich berücksichtigen, dass es in der Bundesrepublik Deutschland verschiedene Gebiete gibt, die nicht so stark sind wie bestimmte Ballungsräume. Es ist daher erforderlich, eine Politik aufzulegen, die dem ganzen Land dienlich ist. Herr Minister Brüderle, ich bitte Sie, dafür zu sorgen, dass an der regionalen Wirtschaftsförderung so weit wie irgend möglich festgehalten wird; denn das hat sich bewährt. Allein in den letzten 20 Jahren haben wir auf diesem Gebiet durch subsidiäre Hilfe des Staates (Garrelt Duin [SPD]: Das ist doch kein Sparen!) über 1 Million Arbeitsplätze schaffen und darüber hinaus über 1,8 Millionen Arbeitsplätze erhalten können. Das, was sich bewährt hat, gilt es hier fortzuführen. (Garrelt Duin [SPD]: Der Minister hat aber angekündigt, dort sparen zu wollen!) Ich bitte Sie deshalb, sich dafür einzusetzen, dass das erfolgt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss darauf hinweisen, dass die Energie ein bedeutender Faktor ist. Wenn man nur 50 Kilometer von Temelin entfernt wohnt, macht man sich natürlich schon Gedanken darüber, wie wir vorgehen und wie andere vorgehen. Die Schweden zum Beispiel steigen aus dem Ausstieg aus der Kernenergie aus. Bei uns nimmt man das - zumindest auf der linken Seite - überhaupt nicht zur Kenntnis. Man negiert, dass allein in Europa fast 200 Kernkraftwerke in Betrieb sind - Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Redezeit. Ernst Hinsken (CDU/CSU): - ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin -, dass in Deutschland 17 Kernkraftwerke betrieben werden und dass in der europäischen Zone 14 neue Kernkraftwerke gebaut werden. Das wird alles beiseitegeschoben. Um in diesem Bereich wettbewerbsfähig zu sein, muss nun einmal auch der Energiepreis stimmen. Der stimmt bei uns nicht. Deshalb sind wir für Kernkraftwerke als Brückentechnologie. Wir brauchen sie, solange wir sie nicht durch alternative Energieerzeugung ersetzen und den Strom anderweitig preisgünstig produzieren können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Peter Friedrich. (Beifall bei der SPD) Peter Friedrich (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf den Anlass der Debatte zurückkommen, nämlich die Regierungserklärung von Herrn Minister Brüderle. Herr Brüderle, die Schlüsselworte Ihrer Rede waren "könnte" und "müsste". Darum hat sich alles gedreht. Ich habe bei intensivstem Nachdenken und Nachforschen, welche wirtschaftspolitischen Aktivitäten Sie bisher in Ihrem Amt entfaltet haben, genau drei Punkte gefunden. Das Erste war der Kreditmediator; darauf gehe ich gleich noch ein. Das Zweite war das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Das Dritte war der Opel-Entscheid. Mehr gab es nicht. Welche Ihrer Nicht-Aktivitäten ist jetzt genau für das Jobwunder verantwortlich? Sie profitieren von den Ergebnissen einer vernünftigen und guten Konjunkturpolitik sowie von den Ergebnissen einer vernünftigen und guten Arbeitsmarktreform, die Rot-Grün angestoßen hat und die wir in der Großen Koalition fortgesetzt haben. Auf dieser Welle schwimmen Sie - und auf sonst nichts. So etwas nennt man Trittbrettfahrertum. Mit konzeptioneller Wirtschaftspolitik hat das aber überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Hinsken, Sie haben den Deutschlandfonds angesprochen und ihn mit Herrn Brüderle in Verbindung gebracht. Noch vor einem halben Jahr hätte Herr Brüderle es sich verbeten, in einem Satz mit dem Deutschlandfonds zitiert zu werden. (Garrelt Duin [SPD]: Ja!) Damals hat er bei dem, was wir in der Großen Koalition zusammen auf den Weg gebracht haben, ordnungspolitisch noch Sodom und Gomorrha ausgerufen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jetzt wird es als Erfolg abgefeiert. Man sollte zumindest so ehrlich sein, das Copyright mit anzugeben, wenn man sich auf Erfolge bezieht, die andere zu verantworten haben. (Beifall bei der SPD - Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Schon Adenauer hat gesagt - -) - Ich weiß. Adenauer hat auch gesagt: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Aber nun zu dem Bild des selbsttragenden Aufschwungs, das Sie alle heute Morgen bemühen: Vielleicht ist es so. Wir haben Glück, wenn es so ist. Aber das, was Sie politisch jetzt einleiten, läuft darauf hinaus, dass das, was an selbsttragenden Elementen vorhanden ist, kaputtgemacht wird. Ihr Sparpaket betrifft genau die Anreize, die wir gesetzt haben. Wir wollten, dass es mit der Konjunktur wieder aufwärts geht. Sie aber entziehen den Kommunen exakt die Mittel, die wir ihnen vorher gegeben haben, damit sie investieren. Über das, was Sie an Kürzungen im Sozialbereich planen, entziehen Sie den Menschen exakt die Gelder, die wir ihnen vorher im Rahmen von Entlastungen gegeben haben. Sie machen die Rolle rückwärts und würgen den selbsttragenden Aufschwung ab. Er trägt nicht. Er erträgt nämlich nicht Ihre Politik. Das werden Sie erleben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Schauen wir uns doch einmal nur einen Punkt aus dem an, was Sie "Wachstumspolitik" nennen! Sie haben 1 Milliarde Euro - ich weiß, dass Sie das nicht mehr hören mögen - darauf verwendet, die Hotels zu subventionieren. 1 Milliarde Euro! (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sinnlos!) Sie haben damit die bombastische Investition von 100 Millionen Euro ausgelöst. (Otto Fricke [FDP]: Woher wissen Sie das?) - Das ist die Behauptung des Fachverbandes. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Es stimmen weder die Milliarde noch die 100 Millionen!) Ich nenne Ihnen einmal ein anderes Beispiel. Im Bereich des Marktanreizprogramms haben Sie 144 Millionen Euro gesperrt, haben das abgewürgt, obwohl Sie da nach eigener Darstellung das 7,2-Fache an Investitionen auslösen. Bei den Hotels geben Sie 1 Milliarde Euro aus für 100 Millionen Euro Investitionen, und in dem anderen Bereich kürzen Sie rund 100 Millionen Euro, womit Sie gut 700 Millionen Euro Investitionen abwürgen. Das ist Ihre Wirtschaftspolitik in diesem Land! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Herr Brüderle hat gesagt: Die Kapazitäten werden wieder hochgefahren. - Wir können uns hier über das Thema Binnennachfrage austauschen. Ich finde den Gegensatz, der immer hergestellt wird, interessant. Es kommt immer von Ihrer Seite, dass Export und Binnennachfrage ein Gegensatz sind. Wir betrachten das ausdrücklich nicht so. Wir wollen, dass beides funktioniert, dass beides gut läuft. Wir brauchen in einem ganz bestimmten Bereich auch Binnennachfrage. Wir müssen nämlich wieder für mehr Investitionen sorgen. Alle Firmen, alle Mittelständler, alle Handwerksbetriebe haben ihre Investitionen in der Krise geschoben. Sie haben aus der Substanz gewirtschaftet. Sie stehen vor großen Ersatzinvestitionen, weil man eben nicht beliebig lange aus der Substanz leben kann. Sie müssen jetzt also Ersatzinvestitionen tätigen. Sie wollen auch in Kapazitätserweiterungen investieren. Das ist gut. Das wollen wir auch. Erleben werden wir in diesem Herbst aber, dass der steigende Bedarf an Kreditmitteln für Investitionen auf die Bankenregulierung trifft, die wir ja auch wollen. Wir stehen dazu: Wir wollen, dass die Banken die Risiken vernünftiger prüfen. Wir wollen, dass mehr Eigenkapitalunterlegung vorhanden ist. Wir wollen auch, dass Basel III zu einem vernünftigen Ergebnis geführt wird. - Da trifft also etwas aufeinander, was sich nicht verträgt, nämlich ein wachsender Kreditbedarf auf der einen Seite und ein zurückgehendes Kreditangebot wegen der Restriktionen, die wir in der Regulierung vornehmen, auf der anderen Seite. Der Minister aber sagt: Das Problem gibt es nicht. Der Kreditmediator hat seine Tätigkeit etwas süffisant mit den Worten kommentiert, er müsse ein Problem herbeireden, weil er nichts zu tun habe. Aber dass sich ein Problem aufbaut, hat Ihr Staatssekretär, Herr Brüderle, uns auf eine Anfrage hin bestätigt. Der Kreditmediator - ich nehme an, dass er für Sie eine Autorität ist - bestätigt Ihnen das auch. Aber Sie sagen: Das Problem gibt es nicht. Darum müssen wir uns nicht kümmern. Das Problem sind die Energiepreise. Das Problem ist nicht mehr die Kreditversorgung. Das, Herr Brüderle, heißt: Sie führen Unternehmen, die in den Aufschwung gehen wollen, die etwas dazu beitragen wollen, jetzt sehenden Auges in eine Versorgungsklemme hinein, was den Kreditbereich angeht. Ich sage Ihnen: Wir brauchen Instrumente. Ich weiß, dass Sie das prüfen. Wir haben es im Ausschuss jede Woche mit Prüfaufträgen zu tun. Uns würde einmal interessieren: Was tun Sie dafür, dass die deutsche Wirtschaft in den Aufschwung hinein investieren kann, dass Investitionen bei uns ausgelöst werden und dass es sich lohnt, die Kapazitäten auf einen Aufschwung hin auszurichten? Die Diskussion zum Sparpaket ist bei Ihnen ja nicht beendet. Ich weiß, es gibt immer wieder Appelle des Zusammenhalts, es sei ausgewogen, jetzt müsse die Diskussion aber auch beendet sein. Nach den vielen Prüfaufträgen, sei es zum Thema Gewerbesteuer, sei es zum Thema Mehrwertsteuer, hatte ich mir heute ein bisschen Klarheit darüber erhofft, wohin Sie wirtschaftspolitisch wollen. Sie haben wieder davon gesprochen, dass Sie eine Nettoentlastung wollen. Wir erleben aber eine Nettolüge. Wir erleben, dass die Kommunen die Kindergartengebühren erhöhen müssen, dass die kommunalen Gebühren überall steigen, dass Sie das Geld, das Sie auf der einen Seite - angeblich - geben wollen, um den Aufschwung zu stärken, letzten Endes wieder vereinnahmen wollen. Aber einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. Die Kommunen stehen finanziell schon längst am Abgrund. Sie vergrößern das Problem mit Ihrer Politik noch. Ich möchte noch einen Hinweis zur Schuldenbremse geben, weil Herr Gysi das Thema angesprochen hat. Herr Gysi, ich teile Ihre Einschätzung: Man kann das Thema Konsolidierung nicht nur über die Ausgabenseite angehen, sondern muss auch die Einnahmeseite sehen. (Otto Fricke [FDP]: Wie immer bei euch!) Was ich aber nicht verstehe, ist: Als Linker muss ich doch dafür sein, die Staatsverschuldung möglichst gering zu halten. Die Staatsverschuldung führt doch nur zu einem Effekt: Der Staat leiht sich Geld bei Menschen, die genug haben, um es zu verleihen, und zahlt ihnen dann über die Zinsen eine erhebliche Rendite. Staatsverschuldung sorgt für die stärkste Form der Umverteilung. Deswegen können Sie sich doch als jemand, der angeblich linke Politik machen will, nicht hier hinstellen und der Staatsverschuldung das Wort reden. Das passt doch nun wirklich nicht zusammen. Der Generalsekretär der FDP hat schon zugegeben, dass der Kompass nicht funktioniert habe. Herr Brüderle hat behauptet, seiner funktioniere noch. Wissen Sie was? Wenn Sie einen funktionierenden Kompass haben, dann benutzen Sie ihn, um eine Bewegung nach vorne zu erzeugen. Bisher haben Sie ihn nicht eingesetzt. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist der 1. Juli. Vor genau 20 Jahren wurde in Ostdeutschland die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion eingeführt. Damit wurde über Nacht die windelweiche Aluminiumwährung gegen die starke und harte D-Mark eingetauscht. Das war natürlich auch für die Wirtschaft eine Schocktherapie; das muss man ganz klar sagen. Seitdem ist der wirtschaftliche Aufschwung in Gesamtdeutschland natürlich mit dem Aufschwung in Ostdeutschland unmittelbar verbunden. Wenn man heute Meinungen hört und Zeitungsartikel darüber liest, wie das damals gewesen ist und was die letzten 20 Jahre für Ostdeutschland gebracht haben, dann stellt man fest: Das ist so ähnlich wie in der heutigen Debatte. Es wird in Deutschland immer alles schlechtgeredet. Der Aufschwung findet gar nicht statt. Das, was die Regierung macht, ist sowieso Mist. (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!) Die Zahlen, denen nicht so einfach widersprochen werden kann, werden zwar hingenommen, aber trotzdem negativ kommentiert. Genauso ist es mit dem wirtschaftlichen Aufbau in Ostdeutschland. Ein großes Politikmagazin hat in dieser Woche einen mehrseitigen Artikel zu diesem Thema veröffentlicht. Es fehlte bloß noch - das hat man schon 1990 gemacht -, dass man die Bilder nachträglich schwärzt, um die wirtschaftliche Situation Ostdeutschlands noch düsterer darzustellen. Diese Darstellung ist einfach unfair, und zwar gegenüber beiden Seiten: unfair gegenüber den Menschen in den alten Bundesländern, die mit einer großen solidarischen Anstrengung den wirtschaftlichen Aufbau in Ostdeutschland in großen Teilen mitfinanziert haben, unfair aber auch gegenüber den Menschen in Ostdeutschland, die nämlich diese Schocktherapie über sich haben ergehen lassen und deren gesamtes Lebensumfeld sich änderte. Ihnen wird jetzt suggeriert: Das, was ihr gemacht habt, war sowieso nur Mist. Lasst es doch einfach sein. Wenn wir so weitermachen, dann haben wir die übliche deutsche Stimmung. Das Ausland denkt aber ganz anders darüber. Das Ausland sieht, dass Deutschland trotz der Finanzierung der deutschen Einheit, trotz der großen Lasten, die aufgrund des wirtschaftlichen Aufbaus in Ostdeutschland zu schultern waren, heute, nach 20 Jahren, die Konjunkturlokomotive in Europa ist. Andere Länder wie Frankreich sagen: Es kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen, dass wir nicht so schnell wie Deutschland sind. - Meine Damen und Herren, das ist doch eigentlich ein großes Lob für uns. Wir müssen doch stolz darauf sein, dass wir nach zwei Jahren Wirtschaftskrise wieder die Lokomotive in Europa sind, obwohl wir in Ostdeutschland noch weitere Probleme zu lösen haben. Werfen wir doch einmal einen Blick auf die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft der letzten 20 Jahre und den heutigen Stand. Das Wachstum der ostdeutschen Wirtschaft ging in der Wirtschaftskrise nicht so stark zurück wie das der gesamtdeutschen Wirtschaft; der Rückgang war nur halb so groß. Der Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes wird für dieses Jahr vom Ifo-Institut mit 1,6 Prozent prognostiziert. Ein Blick in die einzelnen Sektoren der Volkswirtschaften zeigt - ich spreche einmal die Zahl Sachsens an, weil ich sie sehr genau kenne -, dass im verarbeitenden Bereich, also in genau dem Bereich, in dem wir in Gesamtdeutschland besonders stark sind, seit über zehn Jahren zweistellige Wachstumsraten zu verzeichnen sind. Hätte nicht die Bauwirtschaft in den letzten Jahren ständig negative Beiträge zum Bruttoinlandsprodukt erbracht, läge die Gesamtwachstumsrate in Ostdeutschland deutlich höher. Das ist doch eine Leistung, die wir in Gesamtdeutschland erbracht haben. Der Aufschwung in Ostdeutschland trägt nämlich unmittelbar auch zum Aufschwung in Westdeutschland bei. Ich möchte auch auf die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen verweisen. Wir sind dabei, die Arbeitslosenzahlen in Ostdeutschland zu halbieren. Es kann doch nicht geleugnet werden, dass große Erfolge beim Aufbau der Wirtschaft in Ostdeutschland zu verzeichnen sind. In besagtem Artikel wird geschrieben, man habe es in 20 Jahren nicht einmal geschafft, dass eines der 100 größten Unternehmen in Deutschland seinen Sitz in Ostdeutschland hat. Meine Damen und Herren, das ist doch kein Wunder. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass Sie von der SPD oder von den Grünen sich dafür eingesetzt hätten, dass Audi wieder nach Zwickau zurückgeht, wo es eigentlich hingehört; denn Audi ist ursprünglich kein Unternehmen aus Ingolstadt, sondern aus Sachsen. Oder haben Sie sich dafür eingesetzt, dass andere Unternehmen, die früher ihren Sitz in Ostdeutschland hatten, ihre Konzernzentralen wieder zurückverlegt haben? Ich habe davon nichts mitbekommen. Deshalb darf man sich doch heute nicht beklagen, dass von den 100 größten deutschen Unternehmen keines in Ostdeutschland seinen Sitz hat. In Ostdeutschland ist aber ein neuer Mittelstand entstanden, und es gibt hocheffiziente Unternehmen, die auf modernste Technologien setzen. In Ostdeutschland wird genau auf die Technologien ein Schwerpunkt gelegt, auf die Sie - ich schaue jetzt einmal in Ihre Richtung, Frau Andreae - ganz stark setzen. Es handelt sich um die Bereiche regenerative Energien, Nanotechnologie, eigentlich um alle neuen Technologien. Wenn Sie Ihre Blockade aufgeben würden, würde Ostdeutschland auch bei Grüner und Weißer Gentechnologie eine Spitzenposition einnehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich plädiere dafür, genauer hinzuschauen, wenn man nach 20 Jahren eine Bilanz zieht. Damit Deutschland auch in Zukunft weiterhin positiv dasteht, gilt es nun, den beginnenden Aufschwung weiter zu verstetigen. Herr Duin hat im Ausschuss gesagt, er verstehe nicht viel von Wirtschaft, dafür aber viel von Fußball. Das hat man auch an seiner heutigen Rede gemerkt. Weil das so ist, trägt Ihre Partei auch keine Regierungsverantwortung mehr. Wir jedenfalls werden im nächsten Haushalt die Kräfte unterstützen, die das Wachstum auch weiterhin wirkungsvoll befeuern. Hier geht es zunächst einmal um das Thema "Forschung und Entwicklung". In diesem Punkt, Frau Andreae, sind wir ja nicht so weit auseinander. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Für regionale Wirtschaftsförderung im Rahmen von GRW und für die Mittelstandsinnovationen (Zuruf von der LINKEN: Gekürzt!) geben wir in einem Jahr allerdings noch nicht einmal so viel aus wie in einem halben Jahr für die Steinkohle. Das ist schon ein Problem. Trotzdem werden in den Haushaltsansätzen, die wahrscheinlich nächste Woche im Bundeskabinett verabschiedet werden, die Themenbereiche FuE und Innovationsförderung für den Mittelstand an erster Stelle stehen. Dann müssen wir Fortschritte beim Thema "freier Handel" erreichen. Wir müssen die sogenannte Doha-Runde weiterentwickeln und (Zuruf von der LINKEN: Gescheitert!) dafür sorgen, dass freier Welthandel weiterhin möglich ist und somit auch die deutsche Industrie freien Zugang zu den internationalen Märkten hat. Wir müssen auch die Rohstoffbasis sichern. Auf diesen Punkt ist der Minister schon eingegangen. Wir begrüßen das ausdrücklich. Auch wenn der Staat gar nicht so viele Möglichkeiten hat, hier tätig zu werden - es ist eine Aufgabe der Wirtschaft, für die Erschließung von Rohstoffen zu sorgen -, wollen wir hier am Ball bleiben. Auch die Infrastruktur muss weiter ausgebaut werden. Hierbei geht es nicht bloß um den Ausbau von Straßen, sondern genauso um den Ausbau von Breitbandinfrastruktur, Wissenschaftsinfrastruktur und Bildungsinfrastruktur. Das Thema Bildung ist in jedem Fall ein sehr wichtiger Punkt - das ist schon mehrfach angesprochen worden -: Bildung in der Schule, Bildung in der Hochschule und natürlich auch Berufsausbildung. Angesichts der zurückgehenden Zahl an Schulabgängern müssen wir - das sehe jedenfalls ich persönlich so - die Qualität in der Berufsausbildung steigern. (Beifall der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/ CSU]) Meine Damen und Herren, zusammenfassend kann ich Ihnen versichern: Der neue Bundeshaushalt wird darauf ausgerichtet sein, den Aufschwung, den wir brauchen und im Moment auch erleben, weiterhin zu unterstützen. Sie können dabei mithelfen, indem Sie Ihre Stimme in die Haushaltsberatungen einbringen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Alexander Bonde, Priska Hinz (Herborn), Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haushalt zukunftsfest machen - Nachhaltig sanieren - Ökologisch und sozial investieren - Drucksache 17/2327 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Fritz Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Debatte beantragt, weil wir der Regierung das, was sie vor der Sommerpause als sogenanntes Sparpaket vorgelegt hat, nicht durchgehen lassen wollen. Mit dem, was Sie vorgelegt haben, erreichen Sie das Ziel eines zukunftsfesten Haushalts nicht. Im Wesentlichen liegt das daran, dass Ihr Sparpaket nicht sozial gerecht ist, dass Sie in ökologischer Hinsicht völlig blind sind und Sie eine Vielzahl von Luftbuchungen vorgenommen haben. Sie haben Vorschläge niedergeschrieben, die sich nicht realisieren lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Der erste Punkt: Wie kann man eigentlich in einer Zeit, in der man Milliarden Euro zur Rettung der Banken ausgibt und die Bevölkerung fragt, ob dies sinnvoll, notwendig und richtig ist, die Haushaltskonsolidierung bzw. die Sparpolitik in der Form betreiben, dass die kleinen Leute belastet und diejenigen, die mehr haben, verschont werden? Wo ist das soziale Gewissen dieser Koalition? Im Sparpaket schlägt es sich jedenfalls nicht nieder. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich sage Ihnen: Sie können der Bevölkerung die Haushaltskonsolidierung nur dann zumuten, wenn Sie ihr auch klarmachen können, dass es dabei gerecht zugeht. "Gerecht" heißt, dass diejenigen, die mehr haben, die starke Schultern haben, mehr schultern müssen als diejenigen, die wenig haben. Sie machen es aber so: Diejenigen, die wenig haben, tragen die Hauptlast, und diejenigen, die viel haben, tragen gar nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es war eine hohe Stunde der Peinlichkeit, als Frau Merkel bei der Vorstellung des Sparpakets auf die Frage, woran man die Gerechtigkeit erkenne, sagte, dass auch die Wirtschaft belastet würde, und die Brennelementesteuer als Beispiel nahm. Wer diesen Punkt als Ausweis sozialer Gerechtigkeit ins Feld führt, hat nicht verstanden, worum es geht. Im Übrigen nimmt sie den Atomkonzernen vielleicht 2 Milliarden Euro ab, schenkt ihnen aber 6 bis 8 Milliarden Euro durch die Laufzeitverlängerung, die Sie vorhaben. Das ist Zynismus pur. So können Sie Haushaltskonsolidierungspolitik nicht betreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Warten Sie einmal ab, Herr Kuhn! - Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Klassenkampfgequatsche!) Der zweite Punkt: Sie streichen Mittel im Haushalt und vergrößern gleichzeitig die "ökologische Verschuldung" unseres Landes. Ich will ein Beispiel nennen: Gegenwärtig wird 1 Prozent aller Gebäude in Deutschland pro Jahr energetisch saniert. Das heißt im Klartext: Wir brauchen 100 Jahre, bis wir einmal durch sind. Schon allein aufgrund dieser Schwäche können wir das Klimaschutzziel - 2050 95 Prozent weniger CO2-Ausstoß - gar nicht erreichen. Deswegen sagen wir: Wir müssen auf eine Quote von 3 Prozent kommen, und dafür müssen wir investieren. Aber was machen Sie? Beim Gebäudesanierungsprogramm streichen Sie kontinuierlich: 2009 standen 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung, 2010 sind es noch 1,5 Milliarden Euro und 2011 werden es nur noch 880 Millionen Euro sein. An den Stellen, an denen Sie investieren müssen, um die "ökologische Verschuldung" abzubauen, streichen Sie die Mittel. Die dadurch entstehenden ökologischen Schäden kosten uns viel Geld, und das kostet uns Arbeitsplätze in wichtigen Zukunftsbereichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wo ist bei dem, was Sie anregen, eine solide und seriöse Konsolidierungspolitik zu erkennen? Wir müssen uns auch endlich von dem Gedanken verabschieden, dass es nur die Alternative "Investieren oder Sparen" gibt. Der Gegensatz, der beim G-20-Gipfel zwischen Obama und Merkel aufgebaut wurde, ist doch völlig falsch. Jeder, der in einem Betrieb oder einem privaten Haushalt konsolidieren will, weiß, dass es Felder gibt, auf denen man sparen, und andere, auf denen man investieren muss. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das tun wir doch! - Otto Fricke [FDP]: Und im Saldo?) Das ist der Fehler Ihres Sparpakets. Sie investieren nicht richtig in ökologische Bereiche. Sie haben gar nicht erkannt, dass soziale Gerechtigkeit in der sozialen Marktwirtschaft eine Produktivkraft entfalten kann. Sie glauben, es ist am besten für die Wirtschaft, wenn es wenig soziale Ausgaben gibt. Aber dass soziale Gerechtigkeit Zufriedenheit, Sicherheit und die Fähigkeit der Menschen, Teilhabe zu praktizieren, beinhaltet, das vergessen Sie, wie das, was Sie bisher vorgelegt haben, zeigt. Deswegen sage ich noch einmal: Wenn Sie dabei bleiben, wird es mit Ihnen politisch weiter bergab gehen. Machen Sie die Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers rückgängig, heben Sie den Spitzensteuersatz an, zeigen Sie den Menschen, dass Sie sich langsam an soziale Gerechtigkeit gewöhnen! Kümmern Sie sich auch um die Einnahmeseite des Haushalts; denn diese vernachlässigen Sie sträflich. So kommen Sie nicht weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Letzter Punkt, den ich noch ansprechen möchte: Ihr Sparpaket ist voller Verschiebebahnhöfe; das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Sie wollen den Zuschuss zur Rentenversicherung für Arbeitslosengeld-II-Empfänger streichen; das macht 1,8 Milliarden Euro aus. Die Große Koalition hatte diesen schon halbiert. Was bedeutet das? Sie sparen heute im Haushalt, was zu anwachsender Altersarmut führt, für die in zehn Jahren zu zahlen sein wird. (Norbert Brackmann [CDU/CSU]: 2 Euro im Monat!) Wer wird das zahlen müssen? Die Gemeinden werden dafür zahlen, weil sie für die Grundsicherung im Alter zuständig sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Otto Fricke [FDP]: Sind die Gemeinden dafür allein zuständig?) Wer mit solchen primitiven Verschiebebahnhöfen der Bevölkerung und dem Parlament weismachen will, dies wäre Konsolidierungspolitik, der hat mit Zitronen gehandelt. Da muss sich die FDP nicht wundern, dass sie laut Umfragen inzwischen bei 4 Prozent gelandet ist. (Otto Fricke [FDP]: Oh!) Das wird so weitergehen, wenn Sie sich nicht ändern. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Otto Fricke [FDP]: Danke, Papi! - Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Das ist eine Rede aus dem letzten Jahrhundert gewesen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Norbert Brackmann [CDU/ CSU]: Jetzt kommt endlich etwas Wegweisendes!) Norbert Barthle (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gibt uns Gelegenheit, darüber nachzudenken, wo wir stehen. Ich finde im Antrag - im Gegensatz zu der wirklich sehr polemischen Schaufensterrede des Kollegen Kuhn - sehr viel Übereinstimmung in der Analyse. (Beifall der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/ CSU]) Wir in Deutschland und die Staatengemeinschaften weltweit stehen vor finanzpolitischen Herausforderungen, wie man sie sich vor einigen Jahren noch nicht hat vorstellen können. Die Wirtschaftskrise hat bewirkt, dass sich die Schulden aller Nationen von 2001 bis 2009 verdoppelt haben: von 20,4 auf 41,5 Billionen Dollar. Der Schuldenberg in Deutschland ist auf 1,7 Billionen Euro angestiegen; allein im Bundeshaushalt sind es 1,065 Billionen Euro. Die Verschuldung des Bundes, der Länder und der Kommunen ist also derzeit auf dem höchsten je erreichten Stand. Diese immense Verschuldung der Staatshaushalte gefährdet nicht nur die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit des Staates, sondern destabilisiert auch unser internationales Währungssystem. Das durften wir jüngst beim Euro erfahren. Deshalb ist eine Rückkehr auf einen soliden, stabilen Konsolidierungs- und Wachstumspfad dringend geboten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Einerseits brauchen wir das Vertrauen der Finanzmärkte, andererseits zwingt uns unsere Schuldenbremse, die ich sehr begrüße, zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik. Deshalb ist eine solche Politik der Grundpfeiler christlich-liberaler Politik und auch, Herr Kuhn, ein Kernelement der sozialen Marktwirtschaft. Das sichert uns auch für die Zukunft Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. Zu dem Thema komme ich gleich noch. Nun zu Toronto. Ich bin der Auffassung, dass unsere Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister beim G-20-Treffen in Toronto einen wirklich großen Erfolg erzielt haben. Denn die G-20-Staaten haben sich darauf geeinigt, dass die großen Industrieländer bis 2013 ihre Verschuldung halbieren und ab dem Jahr 2016 mit dem Schuldenabbau beginnen. Damit hat sich im Kern die deutsche Stabilitätskultur, sprich: die deutsche Schuldenbremse, als internationales Vorbild empfohlen und durchgesetzt. Das ist ein Riesenerfolg. (Beifall bei der CDU/CSU) An der Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass es richtig war, dass sich die Bundeskanzlerin nicht dem Druck der USA gebeugt und die Verschuldungsspirale weiter hochgetrieben hat. Sie macht genau das Gegenteil, und das ist vollkommen richtig. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Sehr gut!) Das Ergebnis dieses Treffens zeigt auch, dass Ziel und Umfang unseres Sparpakets richtig sind. Es ist ein Mix aus moderaten Ausgabenkürzungen und wachstumsfördernden Investitionen. Es ist sozial ausgewogen und geeignet, die Defizite maßvoll zurückzuführen und ein nachhaltiges Wachstum zu sichern. Denn nur mit diesem durchgreifenden Konsolidierungskurs verschafft sich der Staat die notwendigen Spielräume, um zu gestalten und die Bürger zu entlasten. Nur ein robustes, nachhaltiges Wirtschaftswachstum ist ein Garant, um Armutsrisiken zu vermeiden, Arbeitslosigkeit zu verringern und Wohlstand für alle zu sichern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was das Sparpaket angeht, sind mir vier Schwerpunkte besonders wichtig: erstens Vorrang für wachstumsfördernde Zukunftsinvestitionen insbesondere im Bereich Bildung und Forschung, zweitens Überprüfung von Transferleistungen auf ihre Effizienz und Zielgenauigkeit, drittens Rückführung ineffizienter Doppelleistungen im Sozialbereich und viertens Subventionsabbau und ökologische Neujustierung. Das sind die Kernbotschaften dieses Pakets. Sie sehen: Wir legen - das ist mir besonders wichtig - den Schwerpunkt nicht auf die Erhöhung der Einnahmen, sondern auf die Kürzung der Ausgaben. Zahlreiche Ökonomen bestätigen uns aus den Erfahrungen der Vergangenheit, dass Sparpakete, die die Priorität auf höhere Steuern oder Investitionskürzungen legen, keinen Erfolg versprechen. Diejenigen Staaten, die Steuern erhöhten, waren nach drei Jahren noch genauso verschuldet wie vorher. Die Erfolgsaussichten sind dann besonders gut, wenn bei den Sozialtransfers und beim Personal im öffentlichen Dienst gespart wird. Das zeigen die Erfahrungen. Auf mittlere Sicht hemmen Steuererhöhungen das Wirtschaftswachstum, was wiederum die Steuereinnahmen senkt und letzten Endes die Konsolidierung gefährdet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unser Sparpaket setzt deshalb die richtigen Schwerpunkte. Wir haben aus den Erfahrungen der Vergangenheit, auch in anderen Ländern, gelernt, und jetzt sind wir auf dem richtigen Weg. In der öffentlichen Debatte ist immer wieder die Leier zu hören - auch Herr Kuhn hat es wieder vorgetragen -, die Gutverdiener müssten zusätzlich belastet werden. Man sollte an dieser Stelle eines bedenken: Das obere Drittel der Steuerpflichtigen trägt bereits heute rund 80 Prozent der Einkommensteuer. Das untere Drittel der Einkommen erhält fast 60 Prozent aller Transferleistungen, zahlt aber nur 5 Prozent der Steuern und Sozialabgaben. Das heißt doch de facto: Schon heute tragen die starken Schultern den Löwenanteil der sozialen Lasten. Auch das muss immer wieder gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Im Zusammenhang mit der Steuererhöhungsdebatte sollte auch immer bedacht werden, inwieweit durch Steuererhöhungen möglicherweise auch Anreize zur Schaffung von Arbeitsplätzen vernichtet werden und damit das Wachstum behindert wird. Das darf nicht außer Acht gelassen werden. Zudem würde durch Steuererhöhungen zwar kurzzeitig zusätzliches Geld in die öffentlichen Kassen gespült, dies würde aber nicht die chronische, also strukturelle Unterfinanzierung des Staatshaushalts beseitigen. Das ist mit dem Satz gemeint, der in den vergangenen Wochen an dieser Stelle mehrfach bewusst oder vielleicht auch unbewusst fehlinterpretiert worden ist, nämlich dass wir in der Vergangenheit über unsere Verhältnisse gelebt haben. Das mag vielleicht für den Einzelnen so nicht gelten - das ist keine Frage -, aber für unsere Gesellschaft als Ganzes gilt das sehr wohl. An dieser Stelle gilt es, umzusteuern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Allein ein Blick auf die Sozialausgabenquote macht dies deutlich: Die Sozialausgaben im Bundeshaushalt 2010 belaufen sich auf mehr als 170 Milliarden Euro und machen damit rund 54 Prozent der gesamten Bundesausgaben aus. Im Jahr der deutschen Wiedervereinigung lag der Anteil noch bei 34 Prozent. So hat sich das inzwischen entwickelt. Auch in dem Antrag der Grünen wird wie auch eben von Herrn Kuhn wieder der Vorwurf zum Ausdruck gebracht, das Sparpaket sei sozial unausgewogen, und es werde auf dem Rücken der Arbeitslosen und der Familien gespart. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Das ist falsch. Es ist unverantwortliche Polemik, dies immer wieder so vorzutragen. Entweder Sie verstehen den Kerngedanken des Sparkonzepts nicht, oder Sie wollen ihn nicht verstehen. Ich werde ihn Ihnen nochmals erklären: Soziale Gerechtigkeit ist keine Einbahnstraße. (Joachim Poß [SPD]: Das erklärt alles!) An der ganzen Gerechtigkeitsdebatte stört mich eines fundamental: dass diese Debatte ausschließlich aus einer einzigen Blickrichtung geführt wird, nämlich aus der Sicht der Leistungsempfänger. Gerechtigkeit ist aber nicht eindimensional, sondern muss stets im Hinblick auf andere betrachtet werden. Das steht auch im Einklang mit dem im Grundgesetz verankerten Solidaritätsprinzip. (Beifall bei der CDU/CSU) Mir stellt sich die Frage, ob es tatsächlich ein Ausweis sozialer Kälte ist, wenn eine immer kleiner werdende Gruppe in unserer Gesellschaft, die mit ihren Steuerbeiträgen eine immer größer werdende Gruppe von Transferempfängern unterstützt, danach fragt, ob die erbrachten Leistungen den gewünschten Effekt erzielen. Genau dem werden wir an dieser Stelle gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU) Angesichts unserer demografischen Entwicklung - Sie alle kennen sie - wird sich das Verhältnis der Transferzahler zu den Transferempfängern weiter verschärfen. Deshalb muss eine Gerechtigkeitsdebatte auch vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit geführt werden. Das blenden Sie auf der linken Seite dieses Hauses immer aus. Das geht nicht. Wer sich das Sparpaket genau anschaut, der wird sehr schnell feststellen, dass insofern eine Ausgewogenheit besteht, als Verwaltung, Unternehmen und Sozialleistungsempfänger an den Lasten in etwa gleichermaßen beteiligt werden. Was die Sozialleistungen in diesem Sparpaket angeht, fällt mir auf: Dort wird sogar unterproportional gekürzt. Würden wir den von vielen immer geforderten Rasenmäher anwenden, also proportional gleichmäßig sparen, würde das bedeuten, dass wir im sozialen Bereich gut das Doppelte von dem einsparen müssten, was wir jetzt einsparen. Das sei auch an die Adresse derer gerichtet, die von einem Kettensägenmassaker oder Ähnlichem gesprochen haben. Wer so spricht, urteilt völlig jenseits der Realität. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zu dem gleichen Ergebnis kommt man, wenn man sich anschaut, in welchen Bereichen der Sozialleistungen Kürzungen vorgesehen sind: Im Bereich der Eingliederungsleistungen für Arbeitsuchende sollen durch Erweiterung des Handlungsspielraums die Arbeitsvermittler in die Lage versetzt werden, zielgenauer als bisher zu fördern. Unser Ziel ist es, Anreize zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu setzen. Das ist der Kerngedanke dieser Maßnahme; darum geht es. Auch die geplante Anrechnung des Elterngeldes bei den Beziehern von Arbeitslosengeld II ist richtig. Dadurch wird für mehr Gerechtigkeit in diesem Land in Bezug auf den Niedriglohnsektor gesorgt. Es geht darum, Doppelleistungen zu vermeiden. Die zusätzliche Gewährung von Elterngeld für Bezieher von Arbeitslosengeld II verringert den Lohnabstand. Sie müssen sich einmal die Berechnungen der verschiedenen Wirtschaftsforschungsinstitute anschauen. Darin kommt man klar zu dem Ergebnis: Ein verheirateter Alleinverdiener, der Vollzeit arbeitet, muss mindestens einen Stundenlohn von 11 Euro brutto erzielen, um ohne Transferleistungen auf das gleiche verfügbare Einkommen zu kommen, das er ohne Erwerbsarbeit erhalten würde. (Bettina Hagedorn [SPD]: Dann sorgen Sie dafür!) Das ist mehr, als im Niedriglohnsektor gezahlt wird. Auch dieser Tatsache muss man ins Auge schauen. Eine Aufstockung der Regelsätze, wie im Antrag der Grünen gefordert, würde - das haben Sie verschwiegen, Herr Kuhn - dieses Problem noch verschärfen. Erklären Sie einmal einem Arbeitnehmer, der keine üppig bezahlte Vollzeitstelle hat, warum er eigentlich noch arbeiten soll, warum er in das Sozialsystem einzahlen soll und warum er mit seinen Beiträgen unser Land stützen soll, wenn sich jemand, der nicht arbeiten geht, finanziell besserstellt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist nicht zu erklären. Das, was wir hier machen, ist also gerecht. Nochmals: Wir gehen nicht mit der Rasenmähermethode vor. Wir setzen zielgenau dort an, wo es möglich ist, zu sparen. Wir schaffen Wachstumspotenziale. Wir sanieren den Bundeshaushalt. Mit all dem sind wir hier genau auf dem richtigen Weg. Eines sei noch hinzugefügt: Wir Haushälter werden es mit Sicherheit nicht zulassen, dass an dem Sparpaket geschliffen, dass es aufgeschnürt oder abgemildert wird. Wer meint, angesichts einer besseren Konjunktur müsse man weniger sparen, ist auf dem Holzweg; denn hier geht es um konjunkturelle Effekte. Wir müssen jedoch strukturell sparen. Das ist die Aufgabe; sie bleibt uns erhalten. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Joachim Poß. (Beifall bei der SPD) Joachim Poß (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Barthle, ich finde es schon erschreckend, dass Ihnen, seit die Große Koalition nicht mehr existiert, wohl innerhalb weniger Monate das soziale Empfinden gänzlich weggerutscht ist (Beifall bei der SPD - Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Im Gegenteil! - Zuruf von der FDP: Taschentuch!) und dass Sie sich im Zusammenhang mit diesem Sparpaket offenkundig zum politischen Gefangenen dieser kleinen, radikalen, neoliberalen Partei haben machen lassen. (Otto Fricke [FDP]: Vorsicht! Was heißt "radikal"?) Dieser Vorgang ist bei den Parteien der Union zu beobachten, bei denen zum Beispiel der sozial verpflichtete Katholizismus bisher immer eine Rolle spielte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist erschreckend, wie das aus dem Ruder läuft. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke? Joachim Poß (SPD): Aber selbstverständlich. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Fricke, bitte. Otto Fricke (FDP): Herr Kollege Poß, Sie haben gerade meine Partei als eine "radikale" Partei bezeichnet. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN - Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Als "kleine" Partei!) - Ich finde es sehr bemerkenswert, dass unter Demokraten, zu denen sich die Grünen angeblich zählen, so auf ein solches Wort reagiert wird. Herr Kollege Poß, ich würde Sie bitten, entweder den Begriff zurückzunehmen oder hier zu erklären, warum Sie der Meinung sind, dass Sie im Zusammenhang mit der FDP von einer radikalen Partei sprechen können. (Nicolette Kressl [SPD]: Da liegen die Nerven aber blank!) Joachim Poß (SPD): Sie leugnen die Notwendigkeit eines finanziellen und sozialen Ausgleichs in dieser Gesellschaft konsequent und radikal. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Damit waren Sie in dieser Koalition leider erfolgreich. Das ist eine aktuelle Zustandsbeschreibung. Es handelt sich bei der FDP um eine Partei, die sich zum Beispiel bis Mitte Mai vehement dagegen gewehrt hat, dass der Finanzbereich einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens entrichtet. Wir haben mehrere Stunden mit Ihnen verhandelt. In einer gewissen Situation ist eine solche Haltung eben vernagelt. Man kann auch "vernagelt" sagen, wenn man nicht "radikal" sagen möchte; (Otto Fricke [FDP]: Sagen Sie weiter "radikal" oder nicht?) aber es gibt da nichts zurückzunehmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die FDP ist in der Tat eine radikale Partei. Herr Fricke, ich würde nie auf den Gedanken kommen, sie als extremistische Partei zu bezeichnen; das liegt mir fern. Die FDP ist aber eine radikale Partei in dem Sinne, dass sie radikal die Notwendigkeit des sozialen Ausgleichs in dieser Gesellschaft leugnet und den größeren Koalitionspartner bis Mitte oder Ende Mai - bis in manchem Bewegung entstanden ist - zum politischen Gefangenen gemacht hat, zum Nachteil dieses Landes. Das ist erschreckend. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Ich habe doch eben die Fakten genannt! Nehmen Sie das mal zur Kenntnis!) Wenn es beim sogenannten Sparpaket im Hinblick auf die betroffenen Individuen auch keinen sozialen Ausgleich gibt - ich werde gleich noch darauf eingehen -, dann zeigt dies, dass der Einfluss der FDP weiterhin groß ist. Sie haben sehr wahrscheinlich weitergehende Überlegungen aus der Union, teilweise auch aus der FDP, zur Anhebung des Spitzensteuersatzes und zu anderen Maßnahmen konsequent abgeblockt. Das Ergebnis dessen wurde von Ihrem Parteivorsitzenden gemeinsam mit Frau Merkel ziemlich ratlos vorgestellt. Sie sind nach eigenem Bekunden dabei, sich neu aufzustellen, weil wohl viele, die Sie aus Versehen gewählt haben, erkannt haben, welch unheilvollen Einfluss Sie in der bundesdeutschen Politik ausüben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auch das spricht für meine Ansicht. Herr Kollege Barthle, wenn das Mindestelterngeld für die Ehefrau eines Spitzenverdieners erhalten bleibt, das von Hartz-IV-Empfängern aber gestrichen wird, stellt sich die Frage: Was hat das denn mit Ordnungspolitik oder mit dem Lohnabstandsgebot zu tun? (Otto Fricke [FDP]: Wer hat das denn eingeführt?) Das ist doch eine haarsträubende Begründung, die Sie da gebracht haben, und sie zeigt, woran es Ihnen mangelt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gestern ist der Versuch einer Neuaufstellung gescheitert. Das Sparpaket war der vorletzte Versuch einer Neuaufstellung dieser Koalition. (Otto Fricke [FDP]: Sie haben Schwierigkeiten, Ergebnisse von Wahlen zu akzeptieren!) Auch das ist kräftig danebengegangen. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Hatten wir die absolute Mehrheit oder nicht?) - Herr Barthle, ich wundere mich, dass Sie überhaupt nicht zu den gemeinsamen Erfolgen der Großen Koalition stehen. Sie weisen nicht auf das hin, was wir gemeinsam an Wichtigem für unser Land erreicht haben. (Patrick Meinhardt [FDP]: Können Sie etwas Sinnvolles sagen?) Das hätten Sie in der Tat tun können. Dem Regierungssprecher und Frau Merkel ist es lediglich gelungen, aus Toronto in die Wohnzimmer der deutschen Fernsehzuschauer den Eindruck zu vermitteln, dass eine Protokollerklärung der Gipfelteilnehmer, die den guten Willen der dort Versammelten zum Schuldenabbau ausdrückt, ausreicht - in sehr unrealistischer Weise, wenn man sich, was 2013 und 2016 angeht, die Länder und deren Verschuldung im Einzelnen ansieht -, um Veränderungen herbeizuführen. Beim bundesdeutschen Publikum wurde der Eindruck erweckt, das sei die Hauptfrage des G-20-Gipfels gewesen. Dadurch wollte man davon ablenken, dass man auch auf internationaler Ebene gescheitert ist, vernünftige Maßnahmen in Sachen Finanzmarktregulierung zu vereinbaren, weil die deutsche Bundesregierung in dieser Koalition nicht aufgestellt war - dort saßen die radikalen Bremser - und (Beifall bei der SPD) weil Instrumente wie die Finanzmarkttransaktionsteuer nicht durchgesetzt werden konnten. Sie haben vorher schon den Kampf darum aufgegeben. Durch Ihren Spin wurde davon abgelenkt, dass Frau Merkel ihren durchaus vorhandenen guten Ruf, den sie in Europa und auch weltweit genoss, in der Griechenlandkrise hoffnungslos verspielt hat. Das ist der Vorgang, der tatsächlich stattgefunden hat und von dem abgelenkt wurde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Norbert Barthle [CDU/CSU]: Im Ausland sieht man das anders! Man muss nur Ihre Parteipostillen lesen!) Dem sogenannten Sparpaket fehlt das Gestaltungsziel, der Kompass. Es fehlt der Wachstumsimpuls für die Zeit nach dem Auslaufen der Konjunkturpakete. Im Moment haben wir zwei Elemente der Wirtschaftsentwicklung. Der Export läuft super - wir alle finden das gut, das hat auch etwas mit dem Euro-Dollar-Verhältnis zu tun -, und die Investitionen werden vorangetrieben. Wir werden in diesem Jahr erleben, dass bis zum Auslaufen der Konjunkturpakete noch ungefähr 10 Milliarden Euro an öffentlichen Investitionen in Bewegung gesetzt werden. Im letzten Jahr sind nur 3 Milliarden Euro der Investitionen abgeflossen. Aber es stellt sich folgende Frage: Was ist danach? Sie haben nicht einmal versucht, eine Antwort darauf zu geben. Sie haben keine Antwort gesucht. Sie haben ein jämmerliches Bild abgegeben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe mir die Pressekonferenz von Frau Merkel und Herrn Westerwelle am 7. Juni angesehen. Es war nicht nur körperliche Erschöpfung, die sich da niedergeschlagen hat, sondern offenkundig auch geistiges Ausgebranntsein (Beifall bei der SPD) und das Eingeständnis, dass man die Kraft zur Führung unseres Landes nicht mehr hat. Was ist mit einer Soforthilfe für die Kommunen? Die Kommunen können doch nicht auf irgendwelche Maßnahmen warten. Ihnen brennt bereits jetzt der Pelz. Der Bund muss gemeinsam mit den Ländern - in erster Linie ist es die Aufgabe der Länder - helfen, und zwar schnell. Auf diese zentrale Frage geben Sie keine Antwort. Diese Antwort sind Sie schuldig geblieben. Stattdessen soll die Gewerbesteuer - eine alte Obsession von Herrn Schäuble; es wird spekuliert, ob das ein Zugeständnis an die FDP im Zusammenhang mit dem Präsidentenpoker war - abgeschafft werden. Das heißt, 30 bis 40 Milliarden Euro, die jetzt die Wirtschaft tragen muss, sollen bzw. werden in welcher Form und nach welchem Modell auch immer auf Verbraucher und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlagert. Das ist eine gewaltige, zusätzliche Umverteilungsmaßnahme. (Beifall bei der SPD) Ich hoffe, dass die politischen Verhältnisse in diesem Land - auch nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen - inzwischen so sind, dass eine solche Maßnahme nicht mehr Platz greifen kann. Es fehlt in Ihrem Konzept - Kollege Kuhn hat darauf hingewiesen - die Streichung der neu geschaffenen Privilegien für Hotels und für Unternehmenserben. Sie haben ja wieder eine aktuelle Auseinandersetzung in Ihren Reihen. Man fasst sich an den Kopf, wenn man sieht, welche Auseinandersetzung da bei Ihnen stattfindet. Man fragt sich, ob Sie nach Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise nicht die Kraft finden, um auch mal Dinge zu korrigieren, die offenkundig schiefgelaufen sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Und dann stellen Sie sich hin, Herr Lindner, und verteidigen die Streichungen bei Hartz IV und anderen sozial Schwachen, sagen aber kein Wort zu diesen unzumutbaren Privilegien, die kein Mensch in dieser Republik mehr versteht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Lassen Sie sich auch etwas Neues einfallen!) Die von Ihnen behauptete Beteiligung der Wirtschaft an der Konsolidierung besteht aus Luftbuchungen und Hoffnungswerten. Da, wo es zur Sache geht - bei sozial Schwachen -, wird konkret gekürzt. Das ist das Ganze. Und dann sagen Sie: Na ja, wir haben doch einen sozialen Ausgleich. Frau von der Leyen sagt das lächelnd, wie es ihre Art ist. Ich finde, das ist manchmal etwas sehr kalt lächelnd. Sie sagt: Das ist doch sozial ausgewogen, wenn wir bei Behinderten und bei Leistungen für Rentner nicht gestrichen haben. Das war die Begründung von Frau von der Leyen, warum das Paket sozial ausgewogen ist. Man stelle sich das vor. Ich habe es selbst im Fernsehen gesehen und es fast nicht glauben mögen. Wenn ich das gelesen hätte, hätte ich noch einmal nachgelesen. Es ist eine unhaltbare und fast zynische Begründung, die Frau von der Leyen zur Rechtfertigung dieses Pakets abgegeben hat. Frau Merkel und Herr Schäuble argumentieren mit einer Drittelbelastung. Das Paket sei ausgewogen, weil zu je einem Drittel die Sozialausgaben, die Wirtschaft sowie Beamte und Verwaltung betroffen sind. Das sind hohle Aussagen, mit denen Sie - weder hier im Parlament noch bei den Menschen - nicht durchkommen werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind die Fakten!) Seit wann sind denn Unternehmen und die Verwaltung der soziale Gegenpol zu den Arbeitslosengeld-II-Empfängern oder den Wohn- und Elterngeldempfängern? Der soziale Gegenpol, meine Damen und Herren, falls es noch nicht in Ihre Köpfe vorgedrungen ist, zu wirtschaftlich schwächeren Individuen sind nicht irgendwelche Institutionen, sondern wirtschaftlich stärkere Individuen wie Spitzenverdiener und Vermögende. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist das Diktat Westerwelles und dieser radikalen Partei, der FDP. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sie dividieren die Gesellschaft auseinander!) Die wirtschaftlich Stärkeren spielen in Ihren Belastungsüberlegungen gar keine Rolle. Das ist das Skandalöse. Unklar ist, ob die Belastungen der Wirtschaft, die Sie vorsehen, überhaupt den Sommer überleben werden. Ich gehe davon aus, dass Frau Merkel vor der Atomlobby noch völlig einknicken wird. Vermutlich werden wir gar keinen Gesetzentwurf für eine Brennelementesteuer oder Ähnliches von der Regierung vorgelegt bekommen. (Otto Fricke [FDP]: Wenn es nach Ihnen ginge, wäre die Welt noch eine flache Scheibe!) Die behauptete Beteiligung des Bankensektors ist ebenfalls unklar. Ich hoffe, dass, wie angekündigt, um die Transaktionsteuer in Europa wirklich gekämpft wird. Wenn das nicht kommt, müssen wir eben über eine nationale Lösung nachdenken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich hoffe, dass die 2 Milliarden Euro, die dafür in 2012 als erste Scheibe vorgesehen sind, nicht gänzlich aus Ihrem Gedächtnis entschwinden werden. Alles in allem: Wenn man zusammenfasst, was Sie da mit diesem sogenannten Sparpaket vorgelegt haben, dann ist das nicht "intelligentes Sparen", sondern Ausdruck einer eher dummen, kurzsichtigen und einfallslosen Finanz- und Regierungspolitik. Obwohl Sie Ihren Kandidaten für das Bundespräsidentenamt dann doch noch durchgebracht haben, war das - wie auch ich fürchte - nicht der Beginn professioneller und guter Regierungsarbeit. Sie werden sich - so ist es zu erwarten - in der Koalition weiter blockieren und den Problemen und Herausforderungen dieses Landes überhaupt nicht gerecht werden. Wir alle werden deshalb Schaden erleiden. Es ist das Bedauerliche, dass offenkundig keine Möglichkeit besteht - es sei denn über den Bundesrat -, den größten Schaden abzuwenden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Da klatschen ja nicht mal die Eigenen richtig!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Florian Toncar (FDP): Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist gut, dass wir über die Sparpolitik diskutieren. Aber, Kollege Poß, bei allem Verständnis dafür, dass Sie Ansatzpunkte für Kritik suchen, muss ich sagen, dass der Tonfall und der Duktus Ihrer Rede etwas Beschämendes hatten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich kann nur sagen: Ich wünsche mir, dass viele Wähler diese Rede gehört haben (Joachim Poß [SPD]: Ich hoffe das auch!) und sie unter anderem im Zusammenhang mit den vermeintlichen Bemühungen Ihrer eigenen Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen sehen, Koalitionen zu bilden, die offensichtlich - wenn man Ihnen zuhört, bekommt man diesen Eindruck - nicht ernsthaft gewollt, sondern eher ein Akt der Wählertäuschung sind. (Lachen der Abg. Iris Gleicke [SPD]) Das, was Sie heute geboten haben, war aufschlussreich. Dafür danken wir Ihnen herzlich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Iris Gleicke [SPD]: Backen Sie mal lieber kleine Brötchen! Das Wort "Wählertäuschung" sollten Sie lieber nicht in den Mund nehmen! - Johannes Kahrs [SPD]: Von Wählertäuschung verstehen Sie ja etwas! Wulff hat sich gestern von den Linken tolerieren lassen!) Die Koalition wird den Haushalt in dieser Wahlperiode nachhaltig sanieren. Dazu gehören zwei Aspekte: erstens eine gute Wirtschaftsentwicklung und zweitens die Verringerung der staatlichen Defizite. Das geht bei dieser Koalition Hand in Hand. Das gebietet nicht nur die Einhaltung der Schuldenbremse, unser Verfassungsrecht, sondern das gebieten auch die Handlungsfähigkeit des Staates in künftigen Jahren und unsere Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Genau deswegen schlägt die Regierung diesen Kurs ein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das bedeutet erstens, dass wir uns um die Wirtschaftsentwicklung kümmern müssen. Das ist ein Aspekt, der mir in der Debatte bisher zu kurz kommt, übrigens auch in dem Antrag, den Sie eingebracht haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Wir müssen uns überlegen, wie wir es schaffen, dass die Wirtschaft wieder ins Laufen kommt. Das hat diese Koalition getan, indem sie Steuerentlastungen für Mittelstand und Familien durchgesetzt hat, sie hat es dadurch getan, dass sie die Sozialversicherungsbeitragssätze stabil gehalten hat, und nicht zuletzt auch dadurch, dass sie mit großen Anstrengungen den Euro, die europäische Währungsunion stabilisiert hat. (Otto Fricke [FDP]: Ja! Anders als Rot-Grün!) Auch das gehört dazu, wenn man dafür sorgen will, dass die Wirtschaft wieder läuft, dass Arbeitsplätze entstehen können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben zum Zweiten ein Konsolidierungspaket vorgelegt, das einen Umfang von 80 Milliarden Euro hat, das die Eckwerte für den Haushalt 2011 markiert, aber darüber hinaus auch eine Finanzplanung bis 2014 beinhaltet. Das heißt, wir haben uns gleich auf vier Jahre verständigt. Das ist, wie ich glaube, eine der besten Botschaften der Klausur der Bundesregierung. Es ist nicht nur über ein Jahr gesprochen worden, sondern es wurde ein Fahrplan verabredet, der mittelfristig gilt und uns Orientierung gibt. (Johannes Kahrs [SPD]: Leider steht da nichts drin!) Nicht alles, was da drinsteht, ist einfach, auch für unsere Bevölkerung nicht; das wissen wir. Aber es ist notwendig, wenn wir verhindern wollen, dass der Staat in Zukunft nicht mehr handlungsfähig ist. Die Einsparungen betreffen den gesamten Verwaltungsbereich, und zwar massiv; sie werden zu deutlichen Veränderungen führen. Sie betreffen selbstverständlich auch die Unternehmen und gerade den Finanzsektor, entgegen allem, was in der Diskussion immer wieder behauptet wird. Im Sozialbereich kommt es zu Einsparungen; das stimmt. Sie machen ungefähr ein Drittel des Sparvolumens dieses Paketes aus. Bei einem Sozialausgabenanteil am Haushalt in Höhe von 55 Prozent ist das unterproportional. (Bettina Hagedorn [SPD]: Na, na!) - Das ist so. Zahlen lügen nicht, Frau Kollegin Hagedorn. 33 Prozent sind weniger als 55 Prozent. Das möchte ich für das Protokoll festhalten. (Beifall bei der FDP - Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! Aber da sind über 50 Milliarden Euro Rente mit dabei! - Gegenruf des Abg. Otto Fricke [FDP]: Aha! Frau Hagedorn will also bei der Rente kürzen!) Ich möchte darauf hinweisen: Dabei wurde noch nicht berücksichtigt, dass wir es dieses Jahr trotz Sparanstrengungen und Schuldenbremse schaffen, 2 Milliarden Euro extra für die gesetzliche Krankenversicherung bereitzustellen, die Sie in einem Zustand hinterlassen haben, der wahrhaftig empörend ist. Man muss doch sagen: Was Sie den gesetzlich Versicherten durch die Gesundheitspolitik der letzten Jahre zugemutet haben, das ist empörend, das ist sozial gefährlich, und das werden wir korrigieren. (Widerspruch bei der SPD) Dafür stellen wir in diesem Haushalt 2 Milliarden Euro extra zur Verfügung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wenn es um die Frage: "Welche Einsparungen werden letzten Endes im Sozialetat vorgenommen?" geht, muss man sagen: Der Großteil der Einsparungen wird nicht im Leistungsbereich, sondern im administrativen Bereich vorgenommen, insbesondere bei den Instrumenten, die die Arbeitsverwaltung hat, um Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern. (Bettina Hagedorn [SPD]: Aha! Bei welchen denn?) Das wird mit einem neuen Konzept, das treffsicherer als die bisherige Lösung ist, verbunden sein. (Bettina Hagedorn [SPD]: Sie wollen doch Pflicht- in Ermessensleistungen umwandeln!) Wenn Sie sich nur den schieren Geldbetrag, um den es geht, anschauen - das machen Sie ja -, stellen Sie fest: In Zukunft wird für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen pro Kopf mehr Geld zur Verfügung stehen, als es 2005 der Fall gewesen ist. (Nicolette Kressl [SPD]: Oh nein! - Bettina Hagedorn [SPD]: Das glauben Sie doch nicht ernsthaft! - Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Ich habe Angst, dass Sie das selbst glauben, Herr Toncar!) Die Kritik, die Sie an dieser Stelle äußern, ist unglaubwürdig, weil Sie selber, als Sie Verantwortung getragen haben - das gilt auch für die Grünen -, keinen Euro mehr pro Kopf zur Verfügung gestellt haben, als das in den nächsten Jahren der Fall sein wird. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist wahr! Aber das wollen die nicht hören!) Jetzt möchte ich auf einen weiteren Aspekt eingehen - ich kann nicht alle Punkte ansprechen; aber der Kollege Otto Fricke wird meine Ausführungen nachher vielleicht noch ergänzen -: (Otto Fricke [FDP]: Gerne! - Zuruf von der LINKEN: Der redet auch noch?) Im Antrag der Grünen geht es um ökologisch schädliche Subventionen. Das ist für Sie eine der ganz großen Maßnahmen, mit denen Sie die Einnahmen erhöhen möchten. Ich kann nur sagen: Wenn ich lese, was Sie in Ihrem Antrag aufgeschrieben haben, dann empfinde ich das als eine schonungslose Abrechnung mit der Politik, die Sie unter Rot-Grün gemacht haben. (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Fast schon radikal!) Sie haben kein einziges Beispiel dafür nennen können - vielleicht kann das der Kollege Kindler noch -, dass Rot-Grün eine der von Ihnen kritisierten ökologisch schädlichen Subventionen abgebaut hätte. Ich würde gerne wissen, wo das der Fall war. Vielleicht können Sie mir noch eine nennen. Einige dieser Subventionen wurden von Rot-Grün sogar eingeführt. Ob Stromsteuergesetz, Energiesteuergesetz oder Spitzenausgleich, das alles sind Gesetze von Rot-Grün, die unter maßgeblicher Mitwirkung von Jürgen Trittin zustande gekommen sind. Dass Sie ihm in Ihrem Antrag quasi so einen mitgeben, finde ich erstaunlich, aber in Teilen sicherlich auch berechtigt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie schreiben in Ihrem Antrag, wenn diese Koalition nun Missbrauchsmöglichkeiten bei der Strom- oder der Energiesteuer beseitige, dann sei das eine Selbstverständlichkeit. Ich hätte es für eine Selbstverständlichkeit gehalten, wenn Sie in Ihrer Regierungszeit Gesetze gemacht hätten, die handwerklich so sauber gewesen wären, dass es überhaupt keine Missbrauchsmöglichkeiten gegeben hätte. Das wäre selbstverständlich gewesen. Aber wir gehen jetzt das Problem, das Sie uns hinterlassen haben, an und leisten damit einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen bei allem, was wir tun, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und insbesondere die Zukunftschancen des Mittelstandes im Blick haben; denn dort entstehen Arbeitsplätze und nicht durch Beschlüsse von Parlamenten oder durch Programme von Parteien. Deswegen genügt es meines Erachtens nicht, dass Sie in Ihrem Antrag aufzählen und benennen, dass es große Potenziale im Umweltbereich und beim Energiesparen gibt. Das ist im Grunde eine Erkenntnis, die weitgehend unumstritten ist. Ich bestreite sie jedenfalls nicht. Es genügt aber nicht, Zukunftsbranchen aufzuzählen. Hinzu muss die Erkenntnis kommen, dass Arbeitsplätze dort nur entstehen können, wenn Unternehmen investieren und wenn Menschen etwas riskieren. Dafür müssen sie die entsprechenden Bedingungen vorfinden. Das, was Sie zum Spitzensteuersatz schreiben, der im Kern bei allen Personengesellschaften und Familienunternehmen erhoben wird, konterkariert das völlig. Es reicht nicht, zu sagen: Umwelttechnologie ist gut. - Wir müssen auch die Bedingungen dafür schaffen, dass Menschen es wagen, dort mit eigenem Geld einzusteigen. Dazu gehört vieles, selbstverständlich auch attraktive steuerliche Rahmenbedingungen. Wir werden uns darum kümmern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn der vorliegende Antrag einen politischen Wert hat, dann den, dass er deutlich macht, dass es in diesem Parlament zu dem Kurs dieser Regierung, der darauf abzielt, Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Haushaltskonsolidierung zu verbinden, im Grunde keine vernünftige Alternative gibt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kollege Steffen Bockhahn. (Beifall bei der LINKEN) Steffen Bockhahn (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe gerade gelernt, dass die FDP es für radikal-sozial hält, wenn künftig im Gesundheitswesen ein Bankdirektor den gleichen Zuschlag zahlt wie eine Angestellte an der Kasse bei Lidl oder Schlecker. (Zuruf von der FDP: Das ist falsch!) Das ist die Sozialpolitik der FDP. Das finde ich total schlau. Aber mit sozial hat das ganz sicher nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN - Florian Toncar [FDP]: Das hat auch keiner gesagt! Sie müssen zuhören!) Wir reden gar nicht so sehr über das Sparpaket der Bundesregierung, sondern über einen Antrag, bei dem es um die Frage geht, wie der Haushalt saniert und zukunftsfähig gemacht werden kann. Diese Fragestellung ist völlig richtig; denn man muss diesen Haushalt sanieren. Es ist auch klar: Dieser Haushalt stellt definitiv nicht die richtigen Weichen, um etwas Besseres für die Zukunft zu erreichen. Wir müssen diesen Haushalt also konsolidieren. Das geht nur dann, wenn man einerseits streicht und andererseits klug investiert und sich Gedanken über Einnahmeerhöhungen macht. Bei all dem muss aber der Ausgleich durch einen verantwortlichen Umgang mit Steuergeldern und der Erfüllung der Aufgaben des Staates gewährleistet werden. Das ist gegenwärtig mit Sicherheit nicht der Fall. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen Investitionen in gesellschaftlich notwendige Arbeit, die keine Profite bringt. Warum sage ich das? Weil wir momentan, wenn wir über Investitionen reden, eher selten an soziale Bereiche denken, und weil wir eher selten daran denken, wie wir Menschen in Bereichen in Arbeit bringen können, für die es keinen Markt gibt. Aber es gibt Bereiche in dieser Gesellschaft, in denen es zwingend erforderlich ist, dass man sich um sie kümmert und dass dort Arbeit geleistet wird. Diese Arbeit muss finanziert werden. Ich glaube, es gibt in diesem Hause niemanden, der den Spruch "Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren" falsch findet. Es scheint mir aber tatsächlich so, dass es unterschiedliche Ideen dazu gibt, wie man das richtig macht. Wir schlagen Ihnen an der Stelle nachdrücklich vor, einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor einzurichten. Da kann man dann vernünftige Dinge tun, wie zum Beispiel eine Fahrgastbegleitung im öffentlichen Personennahverkehr einzurichten. Das hat es zum Beispiel in einigen Städten in Mecklenburg-Vorpommern gegeben, als Rot-Rot regiert hat und wir mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds - vom Bund gab es nichts dafür - einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor eingerichtet haben und dort beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr älteren Damen und Herren dabei geholfen haben, ihre Station zu finden, Touristinnen und Touristen geholfen haben, den richtigen Weg zu finden, wo wir Menschen mit Behinderung geholfen haben, die Nahverkehrsmittel ordentlich nutzen zu können. Das ist Arbeit, die Sinn macht. Da wissen die Leute, warum sie aufstehen und warum sie zur Arbeit gehen. Sie bekommen dafür einen existenzsichernden Lohn aus öffentlichen Geldern. Wir haben dadurch große Vorteile: Zum einen haben wir einen gesellschaftlichen Nutzen, weil gute und notwendige Arbeit geleistet wird, und zum anderen haben wir Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert. (Beifall bei der LINKEN) Das hat natürlich weitere Vorteile: Diese Menschen, die dann nicht mehr arbeitslos sind, sondern vernünftige und sinnvolle Arbeit tun, zahlen auch wieder in die Sozialsysteme ein. Sie sind keine Belastung für die Sozialsysteme, sondern sie stärken sie. Dies sind keine Investitionen, die wir tätigen müssen - quasi als Ansparabschreibung -, damit diese Menschen irgendwann auch Rente bekommen, sondern sie tun selbst etwas dafür, dass sie Rente bekommen können, und zwar eine vernünftige Rente auf einem vernünftigen Niveau. Das lohnt sich, und damit sollte man weitermachen. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt noch viele andere Bereiche. Ich möchte hier nur Seniorenbetreuung oder Integrationslotsen nennen. Hier in Berlin, unter einer rot-roten Regierung, gibt es diese Integrationslotsen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Das ist eine notwendige und sinnvolle Arbeit, und da wird deutlich mehr getan und geschaffen, als es mit vielen anderen Programmen des Bundes momentan der Fall ist. Insofern lohnt sich auch so etwas. Hören Sie endlich auf damit, Ihre ideologischen Blockaden dagegen aufrechtzuerhalten, und fangen Sie an, mit uns über konkrete Projekte zu diskutieren. Wir haben da gute Vorschläge zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt dabei noch einen zweiten ganz wichtigen Aspekt, den man im Bereich dieser sozial vernünftigen und auch notwendigen Arbeit nicht außer Acht lassen sollte: Zurzeit müssen wir noch immer sehr viel Geld in den Ausgleich von Schäden durch gesellschaftliche Fehlentwicklungen investieren. Wie viel müssen wir in Programme investieren, um benachteiligte Jugendliche und benachteiligte Frauen und Männer in den Arbeitsmarkt zu integrieren, um sie überhaupt erst fähig zu machen, wieder etwas tun zu können? Wie viel haben wir mit Gewaltprävention und Ähnlichem zu tun? Ich sage Ihnen - Sie wissen es selbst eigentlich ganz genau -: Wenn wir mehr im Bereich der Prävention, wenn wir mehr im Bereich gesellschaftlich notwendiger Arbeit tun, dann werden die Kosten dafür radikal sinken. Das entlastet die Haushalte und gibt uns Gestaltungsspielraum. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass wir das Gewähren von Subventionen überprüfen und teilweise ändern müssen. Wenn man sich anschaut, was Sie für Geschenke an die Atomkraftlobby machen, kann einem nur schlecht werden. Sie sagen immer, wir brauchen diese Technologie, damit der Strom aus der Steckdose auch rauskommt. Ich sage Ihnen: Die Investition in Atomenergie behindert erstens eine ökologische Kehrtwende, und zweitens verhindert sie die Schaffung vieler neuer, produktiver Arbeitsplätze. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist richtig, dass in jedem Kernkraftwerk Menschen arbeiten, die dafür gebraucht werden, das Kraftwerk sicher und in Betrieb zu halten. Aber schauen Sie sich bitte einmal die Belegschaften in den Atomkraftwerken an, und schauen Sie sich an, wie viele Menschen dagegen bei Unternehmen der Fotovoltaik-Branche, im Bereich der Windenergie usw. beschäftigt sind. Wenn Sie sich allein diese Beschäftigungszahlen anschauen, müssten Sie begreifen, dass Sie momentan auf dem falschen Weg sind, dass wir Investitionen und Förderung von erneuerbaren Energien brauchen und nicht alte Dinosaurier weiter füttern müssen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Klaus-Peter Willsch [CDU/ CSU]: Die Kosten pro Arbeitsplatz sind höher als bei der Kohle!) Insofern kann ich Ihnen nur empfehlen, Grundlagenforschung im Bereich der erneuerbaren Energien zu unterstützen und zu fördern. Das schafft einen Technologievorsprung, den wir brauchen, um uns weiter am Weltmarkt behaupten zu können. Ich finde es immer ganz erstaunlich, dass gerade CDU/CSU und FDP sagen, es dürfe keine Bestandsgarantien und Ewigkeitsgarantien im Bereich der Sozialleistungen geben. Wenn das so ist, frage ich mich natürlich, warum Sie diese Bestandsgarantien gerade bei Ihren Lobbygruppen immer wieder aufrechterhalten wollen. Das kann so nicht sein. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen natürlich genauso einen Abbau von Subventionen bei energieintensiven Produktionen. Es ist einfach unsinnig, jemanden zu fördern, der sehr viel Energie verbraucht. Viel mehr Sinn würde es doch machen, die Unternehmen dafür zu belohnen - auch wenn sie energieintensive Produktionen betreiben -, wenn sie diesen Energieverbrauch runterfahren und so etwas für die ökologische Wende in Deutschland tun. Da können Sie etwas ändern. Das können Sie subventionieren: den Rückgang von Energieverbrauch. Aber einfach zu akzeptieren, dass viel Energie gebraucht wird, hilft nicht. Das muss man nicht weiter fördern. Genauso ist es nicht notwendig, Flugbenzin nicht zu besteuern. Allein die Steuerfreiheit für Flugbenzin hat den Bund seit 2005 8,7 Milliarden Euro an Einnahmeausfällen beschert. Ich finde das nicht logisch. Ich finde das nicht begründbar. Sie können es mir bestimmt nachher erklären. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ich glaube nicht, dass sie das erklären können!) Ein ganz wichtiger Punkt ist natürlich, die Investitionsfähigkeit der öffentlichen Hand sicherzustellen, insbesondere die Investitionsfähigkeit der Kommunen. Da es so gewollt ist - ich finde das im Grunde auch in Ordnung -, dass der Bund über die Struktur der Einnahmen in Deutschland entscheidet, welche Einnahmen also die Kommunen, die Länder und der Bund bekommen, muss man sich natürlich auch Gedanken darüber machen, wie man sicherstellen kann, dass die Kommunen und die Länder überhaupt in der Lage sind, zu investieren. Ich darf Sie hier an das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erinnern, in dem festgelegt ist, dass wir alle gemeinsam die Verantwortung dafür haben, gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland zu schaffen. Das funktioniert nur, wenn die Kommunen überall in Deutschland in der Lage sind, zu investieren. Der Wettbewerbsföderalismus, den Sie momentan betreiben, ist hier definitiv der falsche Weg. (Beifall bei der LINKEN) Ich darf Ihnen sagen, dass die Halbierung der Mittel für die Städtebauförderung, die Sie jetzt vorhaben, zu einem gigantischen Problemfall für die Kommunen in ganz Deutschland wird. Schauen Sie sich einfach nur die Investitionsplanungen der Kommunen an. Egal ob in Baden-Württemberg oder in Mecklenburg-Vorpommern: Alle Kommunen ächzen darunter, dass aufgrund Ihrer Halbierung der Mittel für die Städtebauförderung zuverlässige Zusagen zurückgenommen wurden. Das ist im Übrigen städteplanerisch nicht sinnvoll, und das ist auch ökonomisch nicht sinnvoll, weil Sie dadurch den Handwerksbetrieben, die hier zum Zuge kommen würden, die Grundlage für ihre wirtschaftliche Tätigkeit entziehen. Daneben wollen Sie im nächsten Jahr die Mittel im Bereich der energetischen Gebäudesanierung von 700 Millionen Euro auf 450 Millionen Euro kürzen. Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen das bekannt ist; deswegen sage ich Ihnen das noch einmal: Jedem einzelnen Euro, den Sie im Bereich der Gebäudesanierung investieren, folgen neun Euro an Folgeinvestitionen. - Es ist ökonomischer Unfug, so etwas abzuschaffen. Hören Sie auf damit! (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich muss natürlich auch noch etwas zur Schuldenbremse sagen; denn es ist ganz klar: So, wie Sie das momentan planen, werden Investitionen verhindert. - Sie sagen: Ja, in besonderen ökonomischen Situationen kann man auch mehr Schulden machen. - In diesem Haus hat niemand irgendwann einmal bestritten, dass man gerade im Bereich der Wirtschaftsförderung antizyklisch handeln muss. Wir alle wollen Wirtschaftsförderung betreiben, aber wir brauchen ein antizyklisches Handeln. Das tut ja selbst die Koalition. Sie sagen: Wir haben jetzt eine Krise und müssen etwas tun, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. - Wir gehen aber unterschiedliche Wege. Ich sage Ihnen: Wenn Sie antizyklisch handeln und investieren wollen, dann können Sie sich eine Schuldenbremse nicht leisten. So, wie das gegenwärtig geplant ist, wird das nicht helfen. (Florian Toncar [FDP]: Doch, sie hat auch eine Konjunkturkomponente!) - Herr Toncar, die Konjunkturkomponente habe ich gerade eben angesprochen. Dass Sie das nicht gehört haben, verzeihe ich Ihnen. Wir müssen natürlich auch die Einnahmeseite berücksichtigen. Ich finde es gut, dass die Grünen sagen, sie wollen den Spitzensteuersatz wieder erhöhen. Ich kann es Ihnen aber nicht ersparen, zu fragen: Wer hat ihn denn reduziert? - Das waren zuletzt doch Sie. (Otto Fricke [FDP]: Und Sie sagen auch nicht, auf wie viel!) Eine wichtige Sache ist auch die Abgeltungsteuer, bei der wir uns wieder völlig einig sind. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der Millionen und Abermillionen Euro durch Zinsen oder Spekulationsgewinne verdient bzw. bekommt - verdienen kann man das schlecht -, darauf nur 25 Prozent Steuern bezahlt, während jemand, der sich in einem Jahr 1 Million Euro hart erarbeitet hat - damit spreche ich Sie von der Koalition an -, dafür Steuern gemäß dem Spitzensteuersatz bezahlen muss. Das kann selbst aus Ihrer Sicht nicht sozial gerecht sein. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir brauchen natürlich auch eine andere Finanzierung der Sozialsysteme. Mit der Kürzung der Zuschüsse für die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung betreiben Sie einfach ökonomischen Wahnsinn, weil Sie damit nichts anderes tun, als eine Last, die heute bekannt ist, den Generationen aufzubürden, die Sie eigentlich angeblich entlasten wollen. Wer soll denn die Grundsicherung und die Rente für diejenigen bezahlen, die heute keine Rentenansprüche mehr erwerben, weil Sie die Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge für diese gestrichen haben? Das, was Sie hier machen, ist Wahnsinn und verrückt. Ihre Arbeitsmarktpolitik, bei der es immer wieder um Mini- und Midijobs geht, ist genau der gleiche Wahnsinn. Sie zerstören damit die Sozialsysteme; Sie stärken sie nicht. Wenn Sie etwas Vernünftiges tun wollen, um die Sozialsysteme und damit auch den Staatshaushalt vernünftig in Ordnung zu bringen, dann sorgen Sie dafür, dass existenzsichernde Beschäftigung geschaffen wird, die sozialversicherungspflichtig ist. Alles andere hilft nicht; alles andere ist kompletter Unsinn. Das können Sie sich sparen. Ich bin froh, dass jetzt ein Antrag vorliegt, über den wir diskutieren können und mit dem uns geholfen wird, gemeinsam Projekte zu entwickeln. Wir werden ihn jetzt beraten und vor der Abstimmung vielleicht noch zu gemeinsamen Ideen kommen. Dadurch wird im Zweifel mehr geholfen, als sich vorher irgendetwas vorzunehmen und sich hinterher zu wundern, dass es nicht geklappt hat. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bockhahn, ehe ich mir von Kommunisten Ratschläge in Sachen Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Gestaltung geben lasse, muss schon viel passieren. 80 Jahre lang hat diese Ideologie Teile des Kontinents, einige Teile glücklicherweise etwas kürzer, mit katastrophalen wirtschaftlichen Auswirkungen in Geiselhaft genommen, Landstriche verwüstet und Menschen unterdrückt. Deshalb brauchen wir Ratschläge von Ihnen wirklich als Allerletztes. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kalte Krieg ist vorbei!) Andere in der Debatte haben geschmeidiger gesprochen. Herr Kuhn, ich will Sie direkt ansprechen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, darf ich Sie, bevor Sie Herrn Kuhn ansprechen, fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bockhahn zulassen? Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Aber klar. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Bockhahn. Steffen Bockhahn (DIE LINKE): Herr Kollege Willsch, ich frage Sie, welche Kenntnisse meiner Biografie Sie zu der Aussage veranlassen, dass ich Menschen unterdrückt oder Landstriche verwüstet hätte? Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Herr Bockhahn, ich nehme Sie in Haftung für die Partei, in deren unmittelbarer Nachfolgerin Sie Mitglied sind. Sie sind in der Nachfolgepartei der SED. Dafür stehen Sie, und für diese sind Sie in Mithaftung zu nehmen. Es gab nie eine Trennung und nie einen Schlussstrich. Die Linke ist die Rechtsnachfolgerin der SED, die unweit von hier - dort hinten stand die Mauer - Menschen brutal unterdrückt und das Land ökonomisch vollständig ruiniert hat. Das müssen Sie sich zurechnen lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das hat mit meiner Biografie aber nichts zu tun!) - Sie hätten sich eine anständige Partei aussuchen können, als Sie angefangen haben, sich zu engagieren. Herr Kuhn, ich habe extra nachgeschaut, was Sie gelernt haben. Sie sind Sprachwissenschaftler. Ich habe jetzt gelernt, dass ein Sprachwissenschaftler es versteht, einigermaßen gefällig für die Zuhörer über Dinge zu sprechen, die er offenkundig nicht versteht. Das war die Quintessenz dessen, was von Ihrem Vortrag bei mir hängen geblieben ist. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine Arroganz!) Der Antrag, den Sie von den Grünen hier gestellt haben, enthält viele Ideen - das kommt auch in der Überschrift zum Ausdruck -, zum Beispiel den Haushalt zukunftsfest zu machen und ihn sozialverträglich zu sanieren, die genau das beschreiben, was wir mit dem Sparpaket tun. Ich verstehe, dass Ihre Haushaltspolitiker, zum Beispiel Alex Bonde, sich mit solchen Positionen nicht identifizieren. Wir führen im Haushaltsausschuss intelligente Diskussionen miteinander, und unsere Positionen sind häufig nicht weit auseinander. Es geht Ihnen darum, mit dem alten Muster - hier die Reichen, da die Armen, die ausgepresst und unterdrückt werden - ein Bild des Klassenkampfes heraufzubeschwören, das mit der Wirklichkeit dieses Sparpakets und der Regierungspolitik der christlich-liberalen Koalition überhaupt nichts zu tun hat. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz schön peinlich!) Wir stehen vor der Herausforderung, dass wir nach 40 Jahren hemmungsloser Schuldenwirtschaft in diesem Land - ich spreche bewusst von 40 Jahren, weil ich die Zeiten, in denen wir regiert haben, einschließe - endlich zu dem Punkt kommen, zu sagen: Das muss ein Ende haben. Wir können nicht eine Bevölkerung, die schrumpft und die im Vergleich zum Jahr 1964, als 1,375 Millionen Geburten zu verzeichnen waren - das war ein Spitzenjahrgang -, jetzt nicht einmal mehr die Hälfte, nämlich nur 765 000 Geburten im Jahr, aufweist, immer mehr belasten. Wir versündigen uns an unseren Kindern. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Ende einer solchen Wirtschaft konnten wir beobachten, als der IWF und die Europäische Union mit der griechischen Regierung über ein Sparprogramm verhandelt und Auflagen erteilt haben. (Otto Fricke [FDP]: Da wollte Rot-Grün ja nicht helfen!) Wenn der Karren so in den Dreck gefahren wird, dann kommt eine Situation wie in Griechenland heraus. Jetzt wird über eine Lohnsenkung von 8 Prozent und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 5 Prozentpunkte innerhalb von drei Monaten gesprochen, weil es anders nicht mehr geht. In eine solche Situation wollen wir mit unserem Land nicht kommen. Sie von den Grünen reden über die Haushaltspolitik und die nachhaltige Finanzpolitik im Ausschuss wie auch im Plenum sehr gefällig. Wenn wir miteinander diskutieren, stellen wir fest, dass wir durchaus gemeinsame Auffassungen haben. Leider steht in krassem Kontrast dazu Ihr konkretes Handeln, wenn Sie Regierungsverantwortung übernehmen sollen. Schauen Sie sich doch einmal an, welchen Wahlbetrug Sie mit Ihrer Minderheitsregierung verüben, über die Sie jetzt in Nordrhein-Westfalen verhandeln. (Zurufe von der SPD: Oh! - Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das ist traurig!) Bei erwarteten Mindereinnahmen von 1,3 Milliarden Euro wollen Sie mit einem Federstrich 1 Milliarde Euro mehr ausgeben. Auf diese Idee muss man erst einmal kommen. Das zeigt, dass bei Ihnen Reden und Handeln weit auseinanderfallen und dass Sie noch nicht so weit sind, dass Sie verantwortlich eine Haushaltskonsolidierungspolitik betreiben könnten. (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Sagen Sie etwas zum Thema! - Bettina Hagedorn [SPD]: Wer hat eigentlich die meisten Schulden aufgenommen?) Der Kern des Sparpakets ist die Senkung der Ausgaben. Wir haben überprüft, an welchen Punkten Einsparungen möglich sind, ohne das Wachstumspotenzial in unserem Land zu gefährden. Gleichzeitig stellen wir sicher, die Aufgabenwahrnehmung und Aufgabenerfüllung gerecht zu verteilen. Der Vorwurf, um den sich hier alles dreht, dass dieses Sparpaket sozial ungerecht sei, ist durch nichts zu rechtfertigen. Die Sozialausgaben in diesem Lande entwickeln sich seit 1952 kontinuierlich nach oben. Inzwischen sind wir bei einem Anteil der Sozialausgaben an den Gesamtausgaben des Staates von 54,17 Prozent angelangt. Vernünftigerweise können Sie deshalb nicht über Einsparungen nachdenken und dabei diesen Bereich vollständig ausklammern. (Bettina Hagedorn [SPD]: Aber ihr spart doch gar nicht! Das ist doch kein Sparen!) Es wäre auch ökonomisch völlig falsch, diesen Bereich auszuklammern, weil eine Ausgabe für einen sozialpolitischen Zweck natürlich nicht per se eine gute Ausgabe ist und nicht per se eine effiziente Ausgabe ist. Es muss immer wieder geschaut werden: Erreichen wir mit dieser Ausgabe überhaupt das, was wir erreichen wollten? (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!) Wird das Steuerzahlergeld, das ein relativ kleiner Anteil der Bevölkerung erbringt - Norbert Barthle hat es dargestellt -, auch wirklich effizient eingesetzt? Solidarität und Subsidiarität sind zwei Schwestern. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die gehören zusammen!) Sie gehören zusammen. Wir müssen immer darauf achten, es bei einer sozialpolitischen Maßnahme nicht so weit zu treiben, dass der paternalistische und für alles sorgende Staat sich um alles kümmert. Es muss immer auch der Anreiz gegeben werden, sich selbst zu helfen nach dem Motto: "Hilf dir selbst; wir geben dir Hilfe dazu, damit du selbst wieder auf die Beine kommst." - Es muss immer das Ziel verfolgt werden, sich als Staat zurückzuhalten und die Verantwortlichkeiten beim Einzelnen oder einer kleinen Gruppe zu lassen, damit dort eigenverantwortlich gehandelt werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Indem man Kindern durch die Kürzung des Elterngeldes die soziale Teilhabe beschneidet! Großartig! Das ist christlich-liberal aus Ihrer Sicht!) - Das ist doch völliger Unfug. Ich will Ihnen das noch einmal kurz erklären. Es geht also um die Frage, warum jetzt kein Elterngeld mehr an Empfänger von Arbeitslosengeld II - vulgo: Hartz-IV-er - bezahlt werden soll. Es war von Anfang an ein Strickfehler, dass das überhaupt gezahlt worden ist. (Bettina Hagedorn [SPD]: Einen Strickfehler nennen Sie das?) Wie wird denn der Bedarf eines Haushalts, der vollständig von öffentlichen Mitteln abhängt und bezahlt wird - wo es sein muss, tun wir das gerne -, ermittelt? Das Statistische Bundesamt erstellt Einkommens- und Verbrauchsstudien. Alle fünf Jahre wird überprüft, wie hoch die Ausgaben der unteren 20 Prozent der Einkommensbezieher - ohne Sozialhilfeempfänger; also nur derjenigen, die für sich selbst aufkommen - sind. Aus diesen Werten wird dann abgeleitet, wie hoch der Bedarf von jemandem ist, der Arbeitslosengeld II erhält. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu hat das Verfassungsgericht aber etwas gesagt!) - Nein, lieber Kollege. Dazu kommen wir auch noch. Das Verfassungsgericht hat gesagt, dass der Satz, den Kinder erhalten, nicht als bloßer Prozentsatz des Erwachsenensatzes ermittelt werden darf. (Bettina Hagedorn [SPD]: Und dass die Bildung ein eigenständiger Bestandteil der Berechnung sein muss!) Das Verfassungsgericht hat ausdrücklich bestätigt, dass der Rechenweg, sich an dem unteren Fünftel der Einkommensbezieher zu orientieren, richtig ist. Das Ganze muss nur für die Kinder auch diskretionär nach einzelnen Ausgabengruppen erarbeitet werden. Das tun wir derzeit. Hier wird also demjenigen, der Hilfe braucht, maßgeschneidert die Hilfe gegeben - nicht üppig, aber ausreichend. So muss es auch sein, damit der Anreiz bestehen bleibt, wieder aus dieser Situation herauszukommen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage - - Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Kleinen Moment; lassen Sie mich den Gedanken gerade zu Ende bringen. - Genau das geschieht auch. Dann ist es Unsinn, das Elterngeld nicht anzurechnen. Es muss genauso angerechnet werden, wie das Kindergeld natürlich auch angerechnet wird, weil der Grundbedarf (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie haben den Sinn des Elterngeldes völlig falsch verstanden! - Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Sie haben Ihre eigene Maßnahme nicht verstanden!) sozusagen anhand des Einkaufszettels diskretionär ermittelt worden ist. Daher ist es Unfug, das Geld obendrauf zu legen. - Jetzt gebe ich gerne die Zwischenfrage frei. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kressl, bitte sehr. Nicolette Kressl (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege Willsch, da Sie jetzt schon behaupten, die Elterngeldzahlung habe etwas mit Existenzsicherung zu tun, was vom Grundsatz her nicht stimmt, würde ich Sie gerne fragen: Was soll das, was Sie vorhaben - Sie wollen nämlich an die nicht erwerbstätige Ehefrau eines Einkommensmillionärs weiterhin 300 Euro im Monat auszahlen -, mit Existenzsicherung zu tun haben? (Beifall bei der SPD - Otto Fricke [FDP]: Das war doch Ihr Beschluss! Das haben Sie doch in der Großen Koalition durchgesetzt!) - Da Herr Fricke immer dazwischenschreit: Frau Gruß hat ja genau dies kritisiert, wenn ich mich nicht irre. (Florian Toncar [FDP]: Sie hat auch recht! - Otto Fricke [FDP]: Ihr habt es doch in der Großen Koalition gemacht!) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Liebe Kollegin - - (Zurufe - Unruhe) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat der Kollege Willsch zur Beantwortung der Frage. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Die Diskussion hellt vielleicht auf. Die können wir gleich noch ein bisschen kreuz und quer laufen lassen, aber ich will jetzt doch gern die Frage beantworten. Ich habe ausdrücklich nicht von der Grundsicherung gesprochen. Ich habe ausdrücklich gesagt: Die Grundsicherung ist da. Es wäre unsinnig, das Elterngeld nicht zu verrechnen, weil ja der Satz hinreichend hoch ist. (Nicolette Kressl [SPD]: Sie kapieren es nicht! - Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Er versteht es einfach nicht!) - Moment! Lassen Sie mich doch einmal ausreden! Bei der Frage, ob das Elterngeld, das ja das Erziehungsgeld abgelöst hat, auch an Haushalte gezahlt wird, in denen nur einer arbeitet - Stichwort "Daheimbleibprämie" -, geht es darum, ein gesellschaftspolitisches Modell, ein familienpolitisches Modell nicht zu bestrafen, das ich zumindest für durchaus positiv halte. (Lachen der Abg. Nicolette Kressl [SPD]) Das betrifft nicht nur den Millionär, sondern genauso den Facharbeiter, der gemeinsam mit seiner Frau entscheidet: "Pass auf, jetzt haben wir Kinder; ich bringe das Geld herbei, und du bleibst zu Hause" oder auch umgekehrt, wenn die Frau mehr verdient. Das kann jeder machen, wie er will. Mit diesem Modell, das nicht nur den Zahnarzt oder den Millionär betrifft, sondern eben auch den ganz normalen Mittelstandsfacharbeiter oder Arbeiter - da sagt man sich: wir müssen nicht zweimal im Jahr in Urlaub; wir brauchen keine zwei Autos; uns ist es wichtig, dass das Kind eine feste Bezugsperson, Mutter oder Vater, zu Hause hat -, wollen wir diese nicht bestrafen, indem wir sagen: Ihr bekommt nichts vom Staat. - Ich glaube, das habe ich jetzt hinreichend deutlich gemacht. Wenn jetzt nicht noch eine Zwischenfrage kommt, fürchte ich, ist meine Redezeit zu Ende. Ich möchte Sie gern dazu ermuntern. Wenn Sie noch Gelegenheit nehmen wollen, den einen oder anderen Punkt mit mir zu vertiefen, können Sie uns dazu in die Lage versetzen, indem Sie mir eine Zwischenfrage stellen. - Leider kommt sie nicht. Dann kann ich nur noch eine Abschlussbemerkung machen - sonst bekomme ich einen Rüffel von der Präsidentin -: Ich fordere Sie auf, seriös zu diskutieren. Wir werden das riesige Problem der aufgetürmten Schulden - es sind 1,7 Billionen Euro; das ist für fast jeden in unserem Land unvorstellbar - nur lösen, wenn wir Ernst machen, die staatlichen Ausgaben intensiv infrage stellen (Bettina Hagedorn [SPD]: Sie müssen nur die richtigen Fragen stellen!) und immer wieder schauen: Gehen wir effizient mit dem Geld um? Gehen wir auch strukturell an die Dinge heran? Wir können uns nicht damit begnügen, in konjunkturell guten Zeiten mehr Geld einzunehmen; wir müssen darangehen, den Staat schlanker zu machen, dem Staat weniger Ausgaben zuzumuten, dem Einzelnen mehr zuzutrauen. Das ist der Weg, den diese christlich-liberale Koalition geht. Sie sind herzlich eingeladen, ihn mit uns zu gehen - zum Wohle unseres Vaterlandes. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: "Sechs", setzen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Johannes Kahrs. (Beifall bei der SPD) Johannes Kahrs (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer sich die Debatte angehört hat, fragt sich, was sie mit dem Antrag zu tun hat. Es wurde aber klar, warum in den letzten acht, neun Monaten in diesem Land nicht viel passiert ist. Wir haben eine Regierung, die gestern, glaube ich, ihren achten oder neunten Neustart probiert hat, und auch den hat sie versemmelt. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber alles christlich-liberal!) Wenn man sich diese Argumentation anschaut, fragt man sich, wie das überhaupt möglich ist. Zuvor noch einen kleinen Einschub: Der Kollege Willsch hat den Kollegen Bockhahn eben als Kommunisten bezeichnet. Kommunisten mag es in der Linkspartei ja geben, aber der Kollege Bockhahn ist nun wirklich keiner. Er ist einer von den wirklichen Realpolitikern dort. (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Jetzt nicht zu doll! - Zurufe von der FDP: Na ja!) Mit Leuten wie dem Kollegen Bockhahn kann man in Mecklenburg-Vorpommern vernünftig regieren. Das mag anderswo nicht gehen. Wenn Sie sich die Rede vom Kollegen Bockhahn angehört haben, werden Sie festgestellt haben: Er hat als einer der wenigen heute sachlich inhaltlich Punkt für Punkt argumentiert. (Otto Fricke [FDP]: Stimmt! Hat Poß nicht!) Man muss nicht jeden Punkt teilen, Kollege Fricke, (Otto Fricke [FDP]: Und Herr Poß war sachlich? War er sachlich? - War er nicht!) aber man muss sich inhaltlich mit ihm auseinandersetzen. Ihn einfach als Kommunisten in die Ecke zu stellen, finde ich - dazu muss ich sagen: ich bin nicht der Linkeste in meiner Partei - ein bisschen unanständig. Das geht eigentlich nicht. Das senkt das Niveau einer Debatte so weit, dass es unerträglich wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zurufe) - "Fundamentalistisch" wäre ärgerlich gewesen. (Otto Fricke [FDP]: Aber "radikal" geht? "Radikal" geht nach Ihrer Meinung?) - Wenn man radikal spart, kann das sogar positiv sein. (Otto Fricke [FDP]: Aha!) Wenn man radikal vernünftig spart, ist es noch besser. "Fundamentalistisch" hätte ich als Beleidigung empfunden. (Joachim Poß [SPD]: Aber zutreffend! Ich muss mich korrigieren!) Ich finde, dass die Reaktion, Herr Fricke, die Sie gezeigt haben, eigentlich nichts mit der Sache zu tun hat; sie zeigt nur, wie dünn das Eis ist, auf dem Sie zurzeit gehen, wie sensibel und angefasst Sie zurzeit sind. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Otto Fricke [FDP]: Ist Ihnen "unsensibel" lieber? Ich bin lieber sensibel!) Die Frage ist, warum das so ist. Ich muss ganz ehrlich zugeben: Als wir am 27. September 2009 so gegen 18 Uhr die Hochrechnungen mit dem Ergebnis für die SPD gesehen haben, war ich ziemlich erschrocken. Ich habe gedacht: Es wird zu einer schwarz-gelben Regierung mit einer schneidigen Wirtschafts-, Finanz-, Verteidigungs- und Innenpolitik kommen, die uns alle an die Wand haut, und dann läuft das, zwar nicht in meinem Sinne, aber es wird wohl laufen, denn es ist ja eine Traumkoalition. Nun stehe ich hier seit acht Monaten mit offenem Mund und großen Augen und schaue mir an, was Sie für ein Trauerspiel geben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da passiert gar nichts. Sie haben zwar von konkreten Punkten gesprochen. Aber ganz ehrlich: Mit Ausnahme der Vergünstigungen für Hoteliers habe ich nicht wirklich viel Konkretes erlebt. (Otto Fricke [FDP]: Kindergelderhöhung! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Was ich gesehen habe, war ein Koalitionsvertrag, der mehr Fragen aufgeworfen hat, als er beantwortet hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) So viele Arbeitsgruppen, Fragezeichen und ungelöste Probleme! Wenn ich Sie einmal beraten darf - als Opposition können wir das machen, weil wir das Interesse unseres Landes im Blick haben -: Wenn man einen Koalitionsvertrag macht, dann muss dieser am Ende so durchdekliniert sein, dass die drei Vertragspartner dasselbe sagen, meinen und wollen. Dann wird er unterschrieben und umgesetzt. Das ist ein Koalitionsvertrag. (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) Das haben wir hervorragend mit der CDU und der CSU hinbekommen. Das haben wir auch mit den Grünen erfolgreich gemacht. Das hat funktioniert. Da kann man in dem einen oder anderen Punkt nölen, aber das Land ist damit gut gefahren. Was Sie zurzeit abliefern, ist ein Haufen von Fragezeichen. Da haben Sie den einen oder anderen Neustart gehabt, Sie haben sich gegenseitig demontiert, Sie sind zurückgetreten oder weggerannt. Im Ergebnis haben Sie jetzt mit Ihrem 80-Milliarden-Euro-Sparpaket den nächsten Neustart gemacht. Da sagt man sich: Das klingt erst einmal gut. Einsparungen von 80 Milliarden Euro sind eine echte Nummer. Kollege Willsch hat hier davon gesprochen, dass man sich 40 Jahre lang radikal verschuldet hat. Er hat auch eingestanden, dass die meiste Zeit die CDU regiert hat. Aber im Ergebnis hat er vergessen, zu sagen, dass Sie in den nächsten vier Jahren weitere 150 Milliarden Euro Schulden machen werden. Was er auch vergessen hat, zu sagen - das finde ich nicht ganz unwichtig -, ist: Dieses 80-Milliarden-Euro-Paket, das Sie auflegen, ist genau wie Ihr Koalitionsvertrag. Es ist nur ein Haufen von Zahlen auf einem Stück Papier. Dahinter stehen keine Beschlüsse, keine Gesetzesvorschläge, nichts, worin sich diese Regierung einig ist, und zwar durchgängig. (Joachim Poß [SPD]: Außer im Sozialbereich! Das ist konkret!) Sie haben sich mit diesem Sparpaket einen Haufen Probleme geschaffen. Sie haben Probleme aufgebaut, die Sie nicht bewältigen können. Als Beispiel nenne ich die Brennelementesteuer. Diese finden wir alle suboptimal. Wenn sie wenigstens funktionieren würde; aber damit ist nicht zu rechnen. Dass man als Opposition dagegen ist, daran ist die breite Öffentlichkeit gewöhnt. Bei der Brennelementesteuer aber sagt der eine Partner: Nein, die gibt es nur bei einer Verlängerung der Laufzeiten. Der andere sagt: Nein, das kommt unabhängig von einer Verlängerung der Laufzeiten. Ob sie überhaupt kommt, ist nicht klar. So geht es mit jedem einzelnen Ihrer Punkte, weil es immer drei Parteien gibt. Darüber hinaus gibt es noch den wirtschaftspolitischen Flügel der CDU/CSU und auch noch andere, die immer wieder anderer Meinung sind. Wenn Sie ein Sparpaket vorgelegt hätten, bei dem Sie sich selber einig gewesen wären, dann könnten wir etwas kritisieren. Aber dazu kommen wir gar nicht; denn wenn wir etwas kritisieren, haben Sie uns darin schon lange übertroffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) So wie die Pläne zur Kopfpauschale kritisiert werden müssen und wir uns als Opposition wirklich anstrengen, zu sagen, die Kopfpauschale dürfe nicht kommen, so muss man anerkennen: Das schafft die CSU doppelt so gut. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wovon reden Sie eigentlich?) Das macht sie mit einer Brutalität, mit der sie Herrn Rösler gegen die Wand fahren lässt, dass man sich fragt, ob das noch eine Koalition ist. Schauen wir uns einmal die sogenannte Bundeswehrreform an, oder was auch immer das sein soll. Wenn ich mir als Oberstleutnant der Reserve anschaue, was Sie aus meiner Bundeswehr machen; das ist nicht tragbar und unverschämt. Was Sie bei der Wehrpflicht vorhaben, geht überhaupt nicht. Was bei der Umsetzung der Pläne in der Realität passiert, ist eine Katastrophe. (Zuruf des Abg. Georg Schirmbeck [CDU/ CSU], in den Reihen der FDP sitzend) - Red doch einmal mit der Truppe. Das geht doch gar nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Außerdem sitzt du bei der falschen Partei. Setz dich zur CDU, wo du hingehörst. (Weiterer Zuruf des Abg. Georg Schirmbeck [CDU/CSU]) - Ganz ruhig bleiben! Du bist auch im Haushaltsausschuss, wir sehen uns da ja. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wenn du mal da bist!) Wenn man das macht, dann muss das alles Sinn und Verstand haben. Das ist durchgehend so: Seit den Zeiten von Theo Waigel - der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an ihn - ist es so, dass Schuldenabbau immer aus drei Säulen besteht: Einnahmeverbesserung, Wachstumsförderung, Einsparung. Dann habe ich hier eben Worte gehört wie "Wirtschaftswachstum fördern", "Vorrang für Wirtschaft" und Ähnliches. Wenn ich mir nun Ihr Papier anschaue, stelle ich fest, dass da auch etwas von ökologischer Neujustierung steht - das ist ja bei der CDU immer ganz gefährlich. (Heiterkeit bei der SPD) In meinem eigenen Wahlkreis - man soll sich ja immer an praktischen Fragestellungen orientieren - liegen Europas größtes Kupferwerk Aurubis und eine Aluminiumhütte. Die Ausnahmen von der Ökosteuer für diese Unternehmen, die wir den Grünen abgerungen haben - das war für die Grünen bitter - und die auch in der Großen Koalition noch Bestand hatten, sollen jetzt abgeschafft werden. Das bedeutet, dass Grundstoffindustrie in Deutschland fast nicht mehr möglich ist; denn es gibt ja einen internationalen Wettbewerb, so etwas wie ein Level-Playing-Field. Wir waren uns hier einmal alle einig, dass solche Unternehmen in Deutschland nach den gleichen Spielregeln wie vergleichbare Unternehmen in Europa bzw. in der Welt behandelt werden sollten. (Otto Fricke [FDP]: Wir wollen doch keine amerikanischen Verhältnisse!) Aber vergleichbare Unternehmen in Kanada, Norwegen, Australien und im Mittleren Osten haben andere Strompreise; unsere können noch so viele Einsparungen vornehmen, sie kämen gegen diese nicht an, wenn man sie nicht von der Ökosteuer ausnimmt. Jetzt kommt aber auf einmal diese großartige Wirtschaftskoalition daher und zerschlägt das. Mit Intelligenz und Sparen, mit dem Schaffen und Sichern von Arbeitsplätzen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat das überhaupt nichts zu tun. (Alois Karl [CDU/CSU]: Sie machen Klientelpolitik! - Otto Fricke [FDP]: Das ist dasselbe Argument wie bei der Steinkohle!) Man sollte die drei von Theo Waigel aufgestellten Punkte beherzigen: Einnahmeverbesserungen, Wachstumsförderung, Einsparungen. Gehen wir Ihre Vorschläge einmal durch. Einnahmeverbesserungen können Sie nur durch Einführung einer Finanztransaktionsteuer und Erhöhung des Spitzensteuersatzes erreichen. Wenn man sich einmal Ihre Pläne anschaut, stellt man fest: alles heiße Luft. Die FDP will es nämlich nicht, die CDU nur ein bisschen, bei der CSU warten wir auf die Erleuchtung. Zum Spitzensteuersatz ist zu sagen: Die Sozialisten Kohl und Genscher haben es geschafft, mit einem Spitzensteuersatz von 53 Prozent zu regieren, und keiner in diesem Land hat "Sozialismus!" geschrien oder irgendjemanden der Verantwortlichen beschuldigt, ein Kommunist zu sein. Jetzt, wo wir davon reden, dass man den Satz wieder der 50-Prozent-Marke annähern sollte, werden wir auf einmal in eine ganz linke Ecke geschoben. Natürlich bin ich gesamtgesellschaftlich ein Linker, aber dass Kohl und Genscher dann links von mir stehen sollen, ist schwer nachvollziehbar. Ich finde, hier sollten Sie an Ihrer Argumentation noch ein wenig feilen. Vielleicht kommt ja dabei etwas Brauchbares zustande. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch bei der Bankenabgabe müssen wir genau schauen, wo die Einnahmen daraus landen. Ich persönlich denke, dass die Einnahmen daraus in den Bundeshaushalt gehören und nicht in irgendwelche Extratöpfe. Der Steuerzahler zahlt für die Rettung, also muss der Steuerzahler auch entlastet werden, wenn entsprechende Einnahmen generiert werden. Das wäre nur vernünftig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Über Wachstumsförderung können wir viel reden. Wenn aber der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - gerade war er noch hier im Plenum; jetzt ist er weg - eine Halbierung der Ansätze für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm vornimmt, sollte er auch bedenken, welche Folgen das hat. Es betrifft nämlich insbesondere die mittelständischen Handwerksbetriebe, die das alles einbauen. (Otto Fricke [FDP]: Das sind die, deren Steuersätze ihr erhöhen wollt! Von denen wollt ihr 50 Prozent Einkommensteuer!) Das kann man durchdeklinieren und sich die Folgen Stadtteil für Stadtteil anschauen. Sie begründen die Reduzierung nun damit, dass das Programm nicht mehr so stark nachgefragt wird. Natürlich wird das Programm nicht mehr so stark nachgefragt, wenn die Zinssätze so stark angehoben werden, dass sie fast das marktübliche Niveau erreichen. Dann funktioniert das nicht mehr. Es sollte ja einen Anreiz dafür schaffen, dass Menschen etwas Sinnvolles tun, indem wir ihnen dabei ein wenig helfen. Wenn Sie die Hilfe faktisch auf null herunterfahren, indem Sie die Zinsen stark anheben, und dann behaupten, es werde nicht mehr so stark nachgefragt, deshalb könne man hier Einsparungen vornehmen, dann fragt man sich doch, was das soll. (Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP]) Für den Mittelstand und für die Wirtschaft, Herr Fricke, haben Sie schon lange nichts mehr gemacht. Die Frau Präsidentin gibt mir ein Zeichen, dass meine Redezeit abgelaufen ist. Ich komme jetzt auch zum Schluss. Ich wünsche mir nur, dass diese Regierung innerlich zu sich selbst findet und auch entsprechend handelt. Dann hätten wir etwas, was wir kritisieren könnten. Im Moment ist uns das gar nicht möglich; denn Sie hauen sich ja nur gegenseitig in die Pfanne. Leidtragende sind das Land und die Menschen, die hart und anständig arbeiten und Steuern zahlen. An diese sollten Sie zur Abwechslung einmal denken. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Alois Karl [CDU/CSU]: Erbärmlich!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Otto Fricke (FDP): Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Warum sparen wir eigentlich? Warum müssen wir das tun? Weil wir dadurch, dass wir in der Vergangenheit in diesem Land nicht gespart haben, eine Verschuldung haben, die es, wenn wir jetzt nicht mit dem Sparen anfangen, unmöglich macht, dass für zukünftige Generationen ein Generationenvertrag mit denselben Grundlagen gilt, die auf mich, Geburtsjahrgang 1965, noch zutrafen. Nun die typisch deutsche Frage: Wer ist daran schuld? Als Antwort darauf muss man der Bevölkerung doch sagen: Alle. Alle sind daran mehr oder weniger beteiligt gewesen. Wenn die SPD jetzt behauptet: "Nein, wir waren das gar nicht, wir machen das alles ganz sozial und vernünftig", (Johannes Kahrs [SPD]: Hat keiner gesagt!) muss man auf Folgendes hinweisen: Wir haben eine Gesamtverschuldung des Bundes - das ist nur das, was in diesem Hause beschlossen worden ist - von 1 000 Milliarden Euro. Das ist die berühmte Billion. Herr Poß, wissen Sie, wie viele Milliarden SPD-Finanzminister in elf Jahren zu verantworten hatten? (Joachim Poß [SPD]: Wir stehen zu unserer Verantwortung!) Sie wissen es nicht mehr. 350 Milliarden Euro haben Sie von der SPD zu diesem Haufen hinzugetan. (Joachim Poß [SPD]: Und Schwarz-Gelb?) Jetzt tun Sie so, als hätten Sie nichts damit zu tun, anstatt zu erkennen, was wir in den letzten Jahrzehnten gemacht haben, um von diesem Schuldenberg herunterzukommen; egal wer an der Macht war. Wir haben eigentlich immer dasselbe gemacht. Wir haben alle gesagt: Wir wollen sparen. Das Ergebnis waren immer Steuererhöhungen. Wie war denn das mit der Mehrwertsteuererhöhung, die die SPD angeblich nicht wollte? Warum haben Sie das denn gemacht? Weil Sie gemerkt haben - damit komme ich zum Antrag der Grünen -, dass es überhaupt nicht nachhaltig ist, wenn man versucht, Haushalte über die Einnahmeseite zu sanieren. (Joachim Poß [SPD]: Wir waren 2008 doch fast beim Haushaltsausgleich!) Die Bürger draußen, die jetzt vielleicht sagen: "Dem von der FDP glaube ich nicht", bitte ich, einmal über Folgendes nachzudenken: Wenn Sie Schulden hätten, die dem Vierfachen Ihres Jahresnettoeinkommens entsprächen, (Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben Schulden! Wir nicht! Peer Steinbrück war da besser!) seien Sie Rentner, seien Sie ALG-II-Empfänger, seien Sie Pensionär, seien Sie Arbeitnehmer, glaubten Sie dann, dass Sie von der Verschuldung herunterkommen könnten, indem Sie schauen würden, woher Sie mehr Geld bekommen? Glauben Sie nicht auch, dass man irgendwann einmal fragen muss: Auf was kann ich, auf was soll ich, auf was muss ich bei mir und bei anderen verzichten? (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Auf die Hotelsubvention! Damit habt ihr doch angefangen! - Gegenruf des Abg. Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Da sind wir wieder bei den Einnahmen!) Darum muss sich eine politische Diskussion drehen. Diese politische Diskussion nimmt diese Koalition mit dem großen Sparpaket auf. Wir kommen nur über die Ausgaben an das Problem heran. Das weiß jeder, der einmal persönlich erlebt hat, was Verschuldung bedeutet. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Es ist immer wieder bemerkenswert, dass dann gesagt wird, das alles sei unsozial. Wir wissen, dass das im politischen Diskurs das Böse ist: Wer unsozial ist, ist ein schlechter Politiker; wer unsozial ist, ist ein schlechter Mensch. Das stimmt so aber nicht. Unsozial ist derjenige, der sagt: "Wir geben dir mehr", der aber fünf Jahre später zurückkommt und sagt: "Tut uns leid, das war alles zu viel; jetzt müssen wir davon wieder herunter." Unsozial ist derjenige, der sagt: "Ich bin sozial und tue in dem und dem Leistungsbereich etwas", nach der nächsten Wahl aber sagt: "Jetzt erhöhe ich die Mehrwertsteuer; tut mir leid." Genau darauf will Rot-Grün bzw. Rot-Rot-Grün wieder hinaus. Sie sagen: Wir geben, wir geben, wir geben, weil es sozial ist. In ein paar Jahren werden sie aber sagen: "Es tut uns leid, wir haben uns wieder einmal verrechnet; wir nehmen, wir nehmen, wir nehmen." Die Koalition geht diesen Weg dieses Mal nicht. Wenn diese Koalition unsozial wäre, (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist sie! Den Konjunktiv können Sie sich sparen!) wie sähe dann die Antwort auf die folgende Frage aus - das muss sich auch jeder Bürger draußen fragen -: Wie viel von dem, was wir einnehmen - der Kollege Barthle hat gesagt, dass die Einnahmen im Wesentlichen von denen, die starke Schultern haben, kommen -, geben wir den Schwächeren? Man muss doch feststellen, wie das nach den ersten vier Jahren von Rot-Grün war. Da hatten sie eine Quote von 44 Prozent. Nach weiteren drei Jahren lag die Quote bei 50 Prozent. Diese Koalition sagt: Wir bleiben über den 50 Prozent von Rot-Grün. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie machen doch mehr Schulden als wir!) Kann man sagen, dass eine Politik unsozial ist, wenn versucht wird, die Dinge neu zu justieren? (Johannes Kahrs [SPD]: Sie machen doch mehr Schulden als wir! Sie sind doch der größte Schuldenmacher!) Ich glaube, das ist nur möglich, wenn man Polemik betreibt. (Beifall bei der FDP - Johannes Kahrs [SPD]: Da klatscht nicht einmal die CDU/CSU!) Man muss beim Haushalt Folgendes erkennen: Sie können sich nicht nur etwas wünschen, sondern Sie müssen auch die Zahlen dazu nennen. Je lauter Sie in den ersten Reihen reden und je weniger Sie zuhören, desto deutlicher zeigen Sie, dass meine Worte zutreffen. Man kann nur eines feststellen: Wir müssen die Ausgaben durchforsten. Wir müssen prüfen, was nicht richtig ist, auf was wir verzichten können. Wir müssen dringend prüfen, auf was wir mit Blick auf die Zukunft verzichten sollten. Als Erstes müssen wir ganz klar definieren, auf was wir verzichten müssen. Sie können das konkret tun. Sie könnten als Opposition doch einmal einen Gegenhaushalt aufstellen. (Johannes Kahrs [SPD]: Wann habt ihr das gemacht?) Die Zuschauer und Zuhörer werden denken, dass Sie einen Gegenantrag eingereicht haben. In dem Antrag der Grünen steht ganz viel drin. Aber was nicht drinsteht, ist das Entscheidende bei der Haushaltspolitik - das ist auch für jeden Bürger wichtig -: Welche Zahl steht wo? (Johannes Kahrs [SPD]: Einigen Sie sich doch erst einmal auf eine Zahl!) Steht auf meinem Konto nachher ein Plus, oder steht auf meinem Konto nachher ein Minus? Zu dem Antrag der Grünen kann ich nur sagen: Es ist sehr viel hineingeschrieben worden. Manche Kritik darin ist vielleicht gerechtfertigt und gehört zum politischen Diskurs in unserer Gesellschaft. Aber immer dann, wenn es konkret werden sollte, wenn Zahlen angegeben werden sollten, dann wird Allgemeines gesagt: Wir wollen hier und da etwas tun; wir wollen bei der Gebäudesanierung und bei der sozialen und kulturellen Teilhabe etwas machen; dann wollen Sie 420 Euro Hartz IV haben. Sie machen aber nicht rechts den Strich, um zu sagen, wie viel das kostet. Man kann das nur grob überschätzen. Das, was Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, umfasst weit über 20 Milliarden Euro. Dazu kommen dann noch die 20 Milliarden Euro, die wir aufgrund der Verfassungsregelung einsparen müssen; das wollen wohl auch Sie. Das sind dann 40 Milliarden Euro. Dies wollen Sie im Wesentlichen über die Einnahmeseite erreichen. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einsparen!) Das wird die SPD nicht anders sehen; die Linken sogar noch ein bisschen stärker. Doch was bedeutet das, wenn Ihnen ein Politiker sagt: "Wir wollen so viel mehr"? Das bedeutet, dass Sie den Spitzensteuersatz um 50 Prozentpunkte erhöhen müssten; Sie müssten ihn also auf über 90 Prozent erhöhen. Wenn Sie die Mehrwertsteuer erhöhen - nur ein Teil davon geht an den Bund -, wären Sie bei 35 Prozent Mehrwertsteuer. (Joachim Poß [SPD]: Quatsch! - Johannes Kahrs [SPD]: Das hat doch keiner gefordert! - Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wirr!) Diese Seite Ihrer Forderungen müssen sie der Ehrlichkeit halber auch darstellen. Machen Sie konkrete Vorschläge, nennen Sie konkrete Zahlen und sagen Sie nicht nur, man wolle ein bisschen wegnehmen. Seien Sie doch einfach ehrlich, und sagen Sie, wo Sie abkassieren wollen, sagen Sie, dass Sie nicht sparen und die Ausgaben nicht senken wollen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Johannes Kahrs [SPD]: Einigen Sie sich einmal in der Koalition, bevor Sie einen Vorschlag machen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Sven-Christian Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zugeben: Mit dem sogenannten Sparpaket spart die Bundesregierung. Sie spart vor allen Dingen an guten und sozial gerechten Vorschlägen, und sie spart sich nachhaltige Vorschläge. Heute wird zwar gekürzt, aber auf Dauer wird nichts gespart. Denn die soziale und ökologische Verschuldung in der Zukunft wird nur vergrößert. Das ist das große Problem an diesem Sparpaket. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir haben heute schon einiges dazu gehört. Ich kann nur sagen: Wir haben im letzten Haushaltsverfahren ein detailliertes Konzept mit konkreten Zahlen und mit konkreten Forderungen bezüglich der Ausgaben- und der Einnahmeseite vorgelegt. Wenn wir Ihren Haushaltsentwurf in der nächsten Woche vorliegen haben, werden wir im Haushaltsverfahren wieder ein konkretes Konzept vorlegen und belegen, wie eine seriöse grüne Haushaltspolitik aussieht. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das war ein Widerspruch in sich!) Wichtig ist, glaube ich, auf zwei Punkte einzugehen: auf die ökologische und die soziale Seite dieses unausgeglichenen Pakets. Unsere Gesellschaft driftet immer weiter auseinander. Mittlerweile besitzen die obersten 10 Prozent 60 Prozent des Vermögens in Deutschland. Die neueste Studie des DIW hat noch einmal gezeigt, dass die Reichen in Deutschland reicher werden, die Armen ärmer und die Mittelschicht schrumpft. Deswegen müssen nicht nur einzelne Maßnahmen im Sparpaket sozial gerecht sein, sondern es muss insgesamt einen Beitrag dazu leisten, dass die soziale Gerechtigkeit in Deutschland wieder größer und die Ungleichheit abgebaut wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Doch mit diesem sogenannten Sparpaket greifen Sie vor allen Dingen den Ärmsten in die Tasche, statt Wohlhabende an der Konsolidierung der Gesellschaft zu beteiligen. Ja, wir brauchen auch Gerechtigkeit auf der Einnahmeseite. Ich wusste, dass es in der FDP - gerade bei Minister Brüderle, bei Otto Fricke oder Florian Toncar - ein ideologisches Dogma ist, dass man keine Steuern erhöhen will. Ich war sehr erstaunt, dass es auch in der FDP schon Stimmen gibt - ich teile ausdrücklich die Meinung der Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger -, dass Steuerpolitik auch Umverteilung heißt, dass Steuern dazu da sind, zu steuern und Geld umzuschichten. Starke sollten stärker belastet werden, und Schwache sollten entlastet werden. (Otto Fricke [FDP]: Ist das heute nicht der Fall?) Die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und höhere Einnahmen aus der Erbschaftsteuer sind ein richtiger Weg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Otto Fricke [FDP]: Erbschaftsteuer geht an die Länder!) Wir brauchen eine Vermögensabgabe und eine Finanztransaktionsteuer, weil den Menschen nicht zu erklären ist, warum die Ärmsten die Folgen der Krise bezahlen sollen und nicht die Banken und die Vermögenden die Lasten der Wirtschafts- und Finanzkrise tragen. Das ist ein wichtiger Punkt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Kindler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke? Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gerne. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte sehr. Otto Fricke (FDP): Herr Kollege Kindler, ich akzeptiere, dass das die Vorstellung Ihrer Partei ist. Aber wenn Sie sagen, dass Sie das konkret berechnet haben, dann können Sie uns doch jetzt hier sagen: Auf wie viel soll die Erbschaftsteuer in etwa erhöht werden? Auf wie viel soll die Vermögensteuer erhöht werden? Wie hoch soll eine Reichensteuer angesetzt werden? Können Sie uns sagen, wie viel das Ihrer Meinung nach ungefähr sein soll? (Joachim Poß [SPD]: Erbschaftsteuer ist eine Ländersteuer!) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, das kann ich Ihnen sagen. Wir wollen vor allen Dingen eine Vermögensabgabe einführen, um die Belastungen (Otto Fricke [FDP]: Wie viel?) - ja, ich komme darauf -, die durch die Krise entstanden sind, einzudämmen und die Verschuldung abzutragen. Dadurch würden die großen Vermögen pro Jahr ungefähr 10 Milliarden Euro dazu beitragen. Wir wollen den Spitzensteuersatz auf 45 Prozent anheben; das macht 2 bis 3 Milliarden Euro aus. Wir wollen auch die Einnahmen durch die Erbschaftsteuer von 4 auf 8 Milliarden Euro verdoppeln. Das ist auch deshalb wichtig, weil die großen Vermögen in den letzten Jahren stark gewachsen sind und auch sie einen Beitrag dazu leisten müssen, dass wir die Haushalte gerecht konsolidieren. Darum geht es. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen, durch den die ökologische Verschuldung vergrößert wird. In den Wortbeiträgen gibt es einige richtige Ansätze. Auf den zweiten Blick wird aber klar, dass das nur Greenwashing ist, um Ihre atomfreundliche und antiökologische Politik zu verkaufen. Ich komme jetzt zu dem Punkt ökologisch schädliche Subventionen. Das Umweltbundesamt hat kürzlich die Zahlen erneuert. Wir haben ökologisch schädliche Subventionen in Höhe von 48 Milliarden Euro, durch die wir Klimazerstörung, Umweltzerstörung und den Verlust der biologischen Vielfalt finanzieren. Das muss abgeschafft werden. Unter Rot-Grün, um auf die Frage von Herrn Toncar zurückzukommen, haben wir eine sehr mutige ökologische Steuerreform durchgeführt, die dazu beigetragen hat, einen ökologisch-ökonomischen Umbau unserer Gesellschaft voranzutreiben. Wir haben dabei sehr große Erfolge erzielt. Dabei haben wir in Verhandlungen mit der Wirtschaft auch Ausnahmen vereinbart. Wir haben jetzt erkannt, dass diese kontraproduktiv sind. Deswegen wollen wir sie abbauen. Wir wollten aber auch andere Subventionen abbauen. Das ist am CDU/CSU-FDP-geführten Bundesrat gescheitert. Wir wollten unter Rot-Grün die Eigenheimzulage abschaffen und die Besteuerung von Kerosin einführen. Das hat leider nicht funktioniert. Die CDU/ CSU hat dann zum Glück unter der Großen Koalition die Eigenheimzulage abgeschafft. Ich fordere Sie auf: Knicken Sie bitte auch bei der Nichtbesteuerung von Kerosin im Flugverkehr ein und schaffen Sie diese endlich ab! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen, mischen Sie sich ein! Nutzen Sie das Recht des Parlaments im Haushaltsverfahren, um Ihre Arbeit zu machen und das einseitig unsoziale Sparpaket in ein gerechtes Sanierungspaket umzuwandeln! Sparen Sie bei den Subventionen! Kürzen Sie Steuervergünstigungen für Gutverdienende! Erhöhen Sie die Einnahmen und investieren Sie in die Zukunft! Dann klappt es vielleicht auch wieder mit den 5 Prozent, liebe FDP. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Alois Karl das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Karl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns heute mit dem Antrag der Fraktion der Grünen "Haushalt zukunftsfest machen - Nachhaltig sanieren - Ökologisch und sozial investieren" befassen, dann erkennt man viele alte Hüte, lieber Herr Kindler. Sie wollen Ihr Heil in der Steuererhöhung suchen. Einseitig sollen die Einkommen höher besteuert und die Vermögen besteuert werden. Auch die Erbschaftsteuer soll erhöht werden. Das Ehegattensplitting soll abgeschafft werden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Kaum ein Segment wird von der Steuererhöhungsorgie ausgenommen. Man könnte fast sagen: Die grünen Steuerwürgeengel gehen um. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die staatliche Eingriffspolitik führt zu mehr staatlicher Bevormundung und weniger Freiheit. Der Staat soll kassieren, und es soll nach sozialistischem Muster umverteilt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Beifall bei der SPD und der LINKEN - Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist eine rückwärtsgewandte, altmodische Politik. Wir stellen ihr unsere eigenen klaren Vorstellungen gegenüber. Unsere Politik verzichtet auf direkte Steuererhöhungen. Wir legen den Schwerpunkt auf die Konsolidierung und auf den Abbau von Subventionen. Wir suchen eine gerechte Verteilung der Lasten. Darüber streiten wir. Meine Damen und Herren, wenn die Wirtschaft um etwa 5 Milliarden Euro und der soziale Bereich um 5 Milliarden Euro zusätzlich belastet werden - von letzterem müssen wir aber die 2 Milliarden Euro abziehen, die zusätzlich als Zuschüsse zur GKV vorgesehen sind - und im öffentlichen Dienst und in anderen Bereichen 3 Milliarden Euro eingespart werden, dann ist in der Tat eine soziale Ausgewogenheit gegeben. Die Menschen draußen im Lande wollen Verschiedenes: Sie wollen solide Staatsfinanzen. Sie wollen einen ausgeglichenen Haushalt, und sie wollen, dass die Währung stabil ist. Darauf haben wir uns verständigt, und das sind Grundpfeiler unserer Politik in dieser Koalition. Wir wissen, dass wir uns auf einen steinigen Weg gemacht haben. Aber wir wissen auch - das ist bereits gesagt worden -, dass in diesem Land über 40 Jahre lang mehr Geld ausgegeben als eingenommen worden ist. Seit 1969 beschreiten wir einen Weg in den sogenannten Wohlstandsstaat. Es ist nicht länger zu verantworten, dass wir etwa 20 Prozent unseres Bundeshaushaltes für den Schuldendienst ausgeben. Es ist geradezu unglaublich, dass der Bundesfinanzminister jeden Tag 100 Millionen Euro für Zinszahlungen aufgrund der Schuldenpolitik in diesem Lande in den letzten 40 Jahren ausgibt. Ich kann uns nicht zumuten und ich kann auch nicht draußen vertreten, dass wir unseren Wohlstand heute weiterhin dadurch sichern, dass wir Schulden für unsere Kinder und Kindeskinder machen, die diese dann in Jahren und Jahrzehnten abbauen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was könnten wir heute mit dem Geld, das zur Schuldentilgung verwendet wird, an Zukunftsinvestitionen tätigen? Wir könnten Steuern problemlos senken. In der Bildungs- und in der Forschungsarbeit könnten wir geradezu alle Wünsche erfüllen, wenn wir nicht diese Schuldendienste zu leisten hätten. (Zuruf der Abg. Bettina Hagedorn [SPD]) Ich komme aus der Kommunalpolitik, Frau Hagedorn. Ich hatte dort die Gelegenheit, Haushalte zu führen, die ausgeglichen waren. Es gibt einem eine unglaubliche Freiheit, wenn man 99,7 Prozent der Einnahmen für anderes als für Schuldendienst verwenden kann. Ich möchte erleben, dass in diesem Land auch die Finanzminister und die Parlamente wieder die Freiheit bekommen, mit den Einnahmen umzugehen, Investitionen zu tätigen und nicht die Schulden zu tilgen, die vor Jahren und Jahrzehnten gemacht worden sind, um den Wohlstand damals und den Wohlstand heute mit Geld zu finanzieren, das wir nicht haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Unsere Politik ist eine Politik, die auf die Zukunft unserer jungen Leute gerichtet ist. Ich bin der Bundesregierung und auch unseren Koalitionsfraktionen dankbar, dass wir diesen Weg, der nicht einfach sein wird - ich habe es gesagt -, beschreiten wollen. Haushaltskonsolidierung schränkt die Menschen und die Politik nicht ein. Im Gegenteil: Sie gibt uns Perspektiven für die nächsten Jahre, und sie gibt uns Freiheit zurück. Wir sind auf einem guten Weg. Steinbrück hat vor einem Jahr einen Haushaltsentwurf mit 86 Milliarden Euro Neuverschuldung vorgelegt. Schäuble hat im Herbst im zweiten Haushaltsentwurf die Neuverschuldung auf 85 Milliarden Euro festgelegt. Tatsächlich wird dieses Haushaltsjahr mit einer Neuverschuldung von 65 Milliarden Euro abgeschlossen. Das ist viel, immer noch zu viel; aber wir sind auf dem richtigen Weg. Diesen richtigen Weg werden wir fortsetzen, auch wenn wir dabei von der Opposition keine Unterstützung erhalten werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Herr Kahrs hat vorhin gesagt, acht Monate lang habe er hier gar nichts erlebt. Ich sage Ihnen eines, lieber Herr Kahrs: Wir haben in den letzten acht Monaten erlebt, dass wir hervorragend aus dieser Wirtschaftskrise herausgekommen sind. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Aber nicht wegen euch!) Wir haben erlebt, dass die Anzahl der Arbeitsplätze in einer Weise angewachsen ist, wie wir es eigentlich gar nicht erwartet hätten. (Bettina Hagedorn [SPD]: Das glaubt doch keiner!) Wir haben erlebt, dass die Arbeitslosenzahlen zurückgegangen sind, in einer Weise, wie wir uns das erwünscht und erträumt hätten, wie wir es aber nicht erwarten konnten. Wir haben heuer, wahrscheinlich im Herbst, weniger als 3 Millionen Arbeitslose. (Bettina Hagedorn [SPD]: Wegen der guten Arbeitsmarktpolitik der Großen Koalition! Ihr schafft das gerade alles ab!) Unter Schröder und Joschka Fischer, liebe Frau Hagedorn, gab es mehr als 5 Millionen Arbeitslose. Das war die Schlussbilanz Ihrer Regierungszeit. Hätten Sie damals unsere Erfolge gehabt, hätten Sie Dankprozessionen veranstaltet, aber Sie hätten nicht in der Weise gesprochen, wie Sie es heute tun. Das, was ich angesprochen habe, ist - ich möchte das in Erinnerung rufen, Herr Kahrs - eine Entwicklung der letzten acht Monate. Meine Damen und Herren, auch der Bundesverkehrsminister investiert. Wir werden seine Mittel für Investitionen in dieser kritischen Zeit nicht streichen. Wir investieren in unsere Kinder. Wir investieren in die Bildung und in die Forschung. Wir werden hierfür 12 Milliarden Euro mehr ausgeben. Es ist vieles gesagt worden über die Konsolidierungsmaßnahmen, über die Brennelementesteuer genauso wie über die Vergünstigung bei der Energiesteuer, die zurückgenommen wird. Der Sozialhaushalt hat am Bundeshaushalt einen Anteil von 54 Prozent; auch das ist gesagt worden. (Bettina Hagedorn [SPD]: Inklusive Rente!) Vor 20 Jahren, bei der deutschen Wiedervereinigung, betrug der Haushaltsansatz für Soziales 34 Prozent. In solch einer Situation zu sagen, dass an den Ärmsten gespart wird - so wird es bei den Grünen gemacht -, ist ein völlig falscher Ansatz. (Bettina Hagedorn [SPD]: An der Arbeitsmarktpolitik! Das ist ein Fakt!) Ich sage Ihnen eines: Wer eine verkehrte Bestandsaufnahme vornimmt, der kann auch nicht die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Wer so an die Haushaltskonsolidierung herangeht, hat keine Chance. Wir werden die Haushaltskonsolidierung in der von uns beschriebenen Weise fortsetzen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Wir werden uns davon auch durch den Antrag der Grünen in gar keiner Weise abbringen lassen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Stefanie Vogelsang für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Am nächsten Mittwoch wird das Kabinett den Entwurf des Bundeshaushalts verabschieden. Als ich den Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen zum Haushalt gesehen habe, habe ich mich zunächst einmal sehr gefreut; denn es ist eine Alternative, mit der man sich auseinandersetzen kann. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen im Herbst werden wir uns damit intensiv im Haushaltsausschuss beschäftigen. Als letzte Rednerin in dieser Debatte - ich meine nicht nur diesen Tagesordnungspunkt, sondern auch die Debatte über die wirtschaftliche Entwicklung beim vorherigen Tagesordnungspunkt - möchte ich nicht alle Argumente, die schon ausgetauscht worden sind, wiederholen. Ich möchte mich auf drei Punkte konzentrieren: erstens auf die Generationengerechtigkeit, zweitens auf die soziale Gerechtigkeit, drittens auf die Position, die Sie, Herr Poß, und auch andere im Hinblick auf die Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland und die Rolle von Frau Merkel in Europa und beim Gipfel der G 20 in Toronto vertreten. Bei den Sparbemühungen, bei der Aufstellung des Haushalts und der Benennung der Eckwerte sowie bei den Debatten über das Verhalten der Bundesregierung gegenüber Griechenland und auf dem Gipfel in Toronto bildete das starke Bewusstsein, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland eine veränderte demografische Entwicklung haben, den Ausgangspunkt. Dieser Gedanke ist Triebfeder; er steht allem Handeln voran. Frau Andreae von den Grünen hat vorhin in ihrer Rede gesagt, dass das Wort "Generationengerechtigkeit" eines der Worte sei, die sie in den letzten Monaten vermisst habe. Für uns, die christlich-liberale Koalition, ist die Generationengerechtigkeit die entscheidende Frage in der Haushaltspolitik. Bei uns geht es eben nicht um Verteilungsgerechtigkeit, sondern um echte Chancengerechtigkeit, damit auch zukünftige Generationen die Möglichkeiten haben, ihre politischen Schwerpunkte zu setzen und ihre politischen Entscheidungen zu treffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir wollen nicht, dass unseren Kindern und Enkelkindern die Möglichkeit genommen wird, die Herausforderungen ihrer jeweiligen Zeit zu bestehen. Deshalb ist der Aspekt der Generationengerechtigkeit bei uns der Maßstab allen Handelns. Da haben Frau Andreae und viele andere wohl nicht richtig zugehört. Zum Zweiten möchte ich auf das Thema soziale Gerechtigkeit kommen. Ich möchte drei Personen anführen, bei denen man sich vielleicht erst wundert. Der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel - Herr Poß ist leider nicht mehr da; vielleicht trägt es Herr Schneider an ihn weiter -, hat im April des Jahres 2010 den Gustav-Heinemann-Preis verliehen. Er hat zusammen mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD sehr lobende Worte für einen Sozialdemokraten gefunden. Sie haben gesagt, dass die Berliner SPD und die Bundes-SPD auf diesen Sozialdemokraten sehr stolz sein können, weil er auch für die eigenen Leute unbequeme Wahrheiten auf den Punkt bringe und sie ausspreche. Ich möchte aus einem Artikel über diesen Preisträger zitieren: Dennoch stieß das Sparpaket in Berlin nicht nur auf harsche Kritik. Neuköllns Bezirksbürgermeister, Heinz Buschkowsky (SPD), - der Preisträger - hält die Kürzung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger für richtig. Damit werde die Grundsicherung nicht angetastet. Das Sozialsystem stoße an seine Grenzen, weil immer weniger Menschen einzahlten ... Weil immer weniger Menschen einzahlten, müsse es auch eine Gerechtigkeit für andere geben. Weiter heißt es in dem Artikel: Wer hier spare, mache sich immer unbeliebt. Das Sparen sei aber notwendig. - Ich teile die Aussagen Ihres Preisträgers. (Beifall bei der CDU/CSU - Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Die SPD teilt das nicht! Es ist so! Wir haben sehr unterschiedliche Auffassungen!) Der dritte Punkt umfasst den Gipfel in Toronto und die Position der Bundesregierung mit Blick auf Griechenland. Wir haben vorhin gehört, dass unsere Bundeskanzlerin noch in der letzten Wahlperiode - so Ihre Aussagen - über großes Renommee in Europa verfügt habe. Wir haben auch gehört, dass sie dieses Renommee in der Debatte über Hilfen für Griechenland verspielt habe. (Zurufe von der SPD: Ja!) Wir haben von Ihnen gehört, dass die Bundeskanzlerin mit ihrer Position isoliert gewesen sei und die Bundesregierung nicht adäquat vertreten habe. (Elke Ferner [SPD]: Genau! - Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: So ist es!) Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wir als christlich-liberale Koalition sind sehr stolz auf die Positionen und auf das Durchhalten der Bundesregierung. (Lachen bei Abgeordneten der SPD - Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das hat man gestern gesehen!) Bei der Griechenlanddebatte haben wir gemerkt, dass es richtig und wichtig war, das Augenmerk auf Haushaltskonsolidierung zu legen. Zu der Aussage, dass wir mit unserer Position alleine dastanden: Wir konnten feststellen, dass wir für unsere Position nicht nur in ganz Europa, sondern auch auf dem G-20-Gipfel in Toronto eine große Mehrheit bekommen haben und dass auch in Zukunft die Haushaltskonsolidierung bei den G 20 ein wesentlicher Maßstab ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat aus dem Tagesspiegel beenden, der am 28. Juni schrieb: Es ist Merkels Verdienst - also das Verdienst dieser Bundesregierung -, dass die G 20 bei den Staatsfinanzen erstmals eine gemeinsame Sprache gefunden haben ... ... in Toronto hat sie eine Klarheit gezeigt, die über den Tag hinausweist. Ich danke Ihnen für Ihren Antrag. Ich danke Ihnen für die Arbeit, die Sie hineingesteckt haben. Ich freue mich auf eine gute Beratung der einzelnen Punkte im Haushaltsausschuss und auf einen abschließenden Meinungsaustausch im November oder im Dezember. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2327 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 j sowie Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: 23 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Änderungsprotokoll vom 21. Januar 2010 zum Abkommen vom 11. April 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern sowie des dazugehörigen Schlussprotokolls in der Fassung des Zusatzabkommens vom 5. November 2002 - Drucksache 17/2255 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Februar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Syrien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen - Drucksache 17/2251 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Februar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malaysia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen - Drucksache 17/2252 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abkommen vom 25. Januar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bulgarien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 17/2253 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 17/2254 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Frieser, Erika Steinbach, Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marina Schuster, Pascal Kober, Serkan Tören, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Todesstrafe weltweit ächten und abschaffen - Drucksache 17/2331 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union g) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitäreinrichtungen: Versorgung weltweit verbessern - Drucksache 17/2332 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller, Anette Kramme, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Arbeitsmarktpolitik erfolgreich umsetzen und ausbauen - Drucksache 17/2321 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Unabhängige Patientenberatung in Regelangebot überführen - Drucksache 17/2322 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung von Wildtieren im Zirkus grundsätzlich verbieten - Drucksache 17/2146 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 2a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Deutschen Bundestag bei der Reform der Umsatzsteuer beteiligen - Drucksache 17/2333 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Katrin Göring-Eckardt, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das "Parlament der Bäume gegen Krieg und Gewalt" muss dauerhaft geschützt werden - Drucksache 17/1580 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Dabei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sie sind damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 n auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 24 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN Schaffung eines Naturwalderbes vorbereiten und Moratorium für die Privatisierung von Bundeswäldern erlassen - Drucksachen 17/796, 17/1823 - Berichterstattung: Abgeordnete Alois Gerig Petra Crone Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Behm Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1823, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/796 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen, dagegen die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, enthalten hat sich die Fraktion der SPD. Tagesordnungspunkt 24 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Friedrich Ostendorff, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hofabgabe als Voraussetzung für den Bezug einer Altersrente für Landwirte abschaffen - Drucksachen 17/1203, 17/2266 - Berichterstattung: Abgeordnete Marlene Mortler Heinz Paula Dr. Edmund Peter Geisen Alexander Süßmair Cornelia Behm Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2266, den Antrag auf Drucksache 17/1203 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Dafür haben die Koalitionsfraktionen gestimmt, dagegen die einbringende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Linke haben sich enthalten. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 24 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 104 zu Petitionen - Drucksache 17/2151 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 24 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 105 zu Petitionen - Drucksache 17/2152 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 24 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 106 zu Petitionen - Drucksache 17/2153 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, FDP und SPD. Dagegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt. Die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Tagesordnungspunkt 24 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 107 zu Petitionen - Drucksache 17/2154 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 24 g Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 108 zu Petitionen - Drucksache 17/2155 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 108 ist angenommen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und bei Zustimmung der übrigen Fraktionen des Hauses. Tagesordnungspunkt 24 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 109 zu Petitionen - Drucksache 17/2156 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dagegen gestimmt. Die übrigen Fraktionen des Hauses haben sich dafür ausgesprochen. Tagesordnungspunkt 24 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 110 zu Petitionen - Drucksache 17/2157 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und SPD. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt. Tagesordnungspunkt 24 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 111 zu Petitionen - Drucksache 17/2158 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dafür haben gestimmt CDU/CSU, FDP und SPD. Dagegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Tagesordnungspunkt 24 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 112 zu Petitionen - Drucksache 17/2159 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. CDU/ CSU, FDP und SPD haben dafür gestimmt. Dagegen hat niemand gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke haben sich enthalten. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nein, wir haben dagegen gestimmt! - Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Entschuldigung! Beide haben dagegen gestimmt. Tagesordnungspunkt 24 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 113 zu Petitionen - Drucksache 17/2160 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Dafür haben gestimmt CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen haben gestimmt die Fraktion Die Linke und die SPD. Enthalten hat sich niemand. Tagesordnungspunkt 24 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 114 zu Petitionen - Drucksache 17/2161 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Dafür haben die Koalitionsfraktionen gestimmt, dagegen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Linke hat sich enthalten. Tagesordnungspunkt 24 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 115 zu Petitionen - Drucksache 17/2162 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Dafür haben die Koalitionsfraktionen gestimmt, dagegen die Oppositionsfraktionen. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Wort für den einleitenden Bericht von fünf Minuten hat der Bundesminister für Gesundheit, Herr Dr. Philipp Rösler. Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wie schon eben erwähnt, hat das Bundeskabinett am 29. Juni einen Gesetzentwurf zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung beschlossen. Mit dem Gesetz verfolgen wir drei wesentliche Ziele: Das erste Ziel ist die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit den innovativsten, mit den bestmöglichen Medikamenten auch in Zukunft. Das zweite Ziel ist es, die Arzneimittelkosten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung im Griff zu behalten. Drittes Ziel ist die Sicherung von Arbeitsplätzen im Industriebereich in Deutschland. Das erste Ziel erreichen wir dadurch, dass auch im ersten Jahr nach Markteinführung nach wie vor die volle und sofortige Erstattungsfähigkeit von neuen Medikamenten gewährleistet bleibt. Damit können wir sicherstellen, dass Patientinnen und Patienten im Krankheitsfall sofort den Zugang zu diesen neuen Medikamenten erhalten können. Dennoch ist uns klar, dass es in Bezug auf die wachsenden Arzneimittelkosten im deutschen Gesundheitswesen bisher immer ein Problem gewesen ist, dass die Industrie vollkommen alleine die Preise festlegen konnte und dass durch die alleinige Festlegung der Preise und durch die Erstattungsfähigkeit im Prinzip jedes Medikament zu jedem Preis - mit den entsprechenden Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung - erstattet werden musste. Diese Möglichkeit gibt es künftig, wenn überhaupt, nur für das erste Jahr. Wir erwarten gleichzeitig, dass mit der Markteinführung ein sogenanntes Dossier hinsichtlich des Nutzens und des Zusatznutzens vorgelegt werden muss. Die Daten hierfür können im Rahmen der Zulassungsstudien erbracht werden. Sie werden als Dossier von der Industrie vorgelegt, jedoch nicht bewertet. Die Bewertung soll der Gemeinsame Bundesausschuss übernehmen, gegebenenfalls unter Hinzuziehung des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Danach wird festgelegt, welchen Nutzen oder Zusatznutzen dieses Medikament hat. Hat es keinen Zusatznutzen im Hinblick auf vergleichbare Medikamente, wird es automatisch in eine Festbetragsgruppe aufgenommen bzw. ist dann nur zu entsprechend vergleichbaren Therapiekosten bei gleichen Krankheiten erstattungsfähig. Gibt es einen Zusatznutzen, soll dieses Dossier als Grundlage für Vertragsverhandlungen dienen - das ist neu und erstmalig so -, und zwar zwischen der Industrie auf der einen Seite und dem Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen auf der anderen Seite, mit dem Ziel, zu Rabatten für die gesetzliche Krankenversicherung zu kommen. Der Listenpreis bleibt also gleich, aber für die gesetzliche Krankenversicherung soll es künftig Rabatterleichterungen und damit auch Kostensenkungen geben. Wir haben erreicht, dass der Preis nicht mehr alleine von der Pharmaindustrie festgelegt werden kann, sondern sich marktwirtschaftlich bildet durch Vertragsverhandlungen auf Grundlage einer wissenschaftlichen Basis, nämlich des Zusatzdossiers. Damit können wir sicherstellen, dass die Kosten, die auch im Arzneimittelbereich dramatisch angestiegen sind, künftig besser kontrolliert werden können, als es bisher der Fall ist. Wir können gleichzeitig sicherstellen - das habe ich eingangs gesagt -, dass die Patientinnen und Patienten auch weiterhin mit guten und hervorragenden Medikamenten versorgt werden können. Das dritte Ziel wird ebenfalls erreicht, nämlich die Sicherung von Arbeitsplätzen gerade in mittelständischen Unternehmen der pharmazeutischen Industrie in Deutschland. Im Rahmen der Rabattverträge sorgen wir auch dafür, dass künftig das Wettbewerbs- und das Kartellrecht Einfluss haben. Es soll nicht mehr möglich sein, dass eine einzelne große Kasse oder gar der Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen alleine verhandelt und ein kleines oder mittelständisches Unternehmen dann keine Möglichkeit hat, auf gleicher Augenhöhe im Rahmen eines fairen Wettbewerbs mitzuhalten. Die Anwendung des Wettbewerbs- und des Kartellrechts auch in diesem Bereich ist eine mittelstandsfreundliche Lösung, wie sie sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben hat. Ebenfalls Teil des Arzneimittel-Neuordnungsgesetzes ist die Neuregelung und Festigung der Unabhängigen Patientenberatung. Hier gibt es bisher einen Modellversuch, der zum 31. Dezember 2010 ausläuft. Es liegt in unserer Verantwortung - diese Aussage findet sich auch im Koalitionsvertrag -, die Unabhängige Patientenberatung auf sichere Beine zu stellen und eine dauerhafte Lösung zu finden. Auch dies ist Teil des Entwurfs eines Arzneimittel-Neuordnungsgesetzes. Darüber hinaus haben wir uns vorgenommen, im Interesse aller Beteiligten Deregulierungen vorzunehmen. Es gibt kaum einen komplexeren - um nicht zu sagen: komplizierteren - Bereich als das deutsche Arzneimittelrecht. Hier wollen wir durch Deregulierung weitere Verbesserungen erzielen, sodass die Leistungserbringer auf der einen Seite und die Patientinnen und Patienten auf der anderen Seite einen Nutzen von diesem Gesetz haben. Gleiches gilt auch für die Kostenträger. In Zukunft ist nämlich eine bessere Kostenkontrolle möglich, als es bisher der Fall ist. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vielen Dank. - Herr Lauterbach zur ersten Nachfrage, bitte. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Vielen Dank. - Das Problem in Deutschland ist, dass die Listenpreise für innovative Arzneimittel besonders hoch sind. Sie sind höher als in den meisten anderen europäischen Ländern. Sie haben gerade eloquent dargestellt, dass Sie daran nichts ändern wollen, dass die Listenpreise also unverändert bleiben sollen. Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, weshalb der größte Abnehmer dieser Arzneimittel in Europa die höchsten Listenpreise zahlen soll. Das ist so ähnlich, als wenn der größte Abnehmer von Fachbildschirmen - als Beispiel nenne ich den Media Markt - den höchsten Listenpreis zahlen soll. Wieso senken Sie nicht die Listenpreise? Das wäre doch viel einfacher, als einen Rabatt einführen, den Sie möglicherweise gar nicht bekommen. Es macht keinen Sinn, dass der größte Abnehmer beim Lieferanten den höchsten Listenpreis zahlt. Der höchste Listenpreis muss von demjenigen bezahlt werden, der die geringste Menge abnimmt. Der hohe Listenpreis in Deutschland ist das Problem. Die Listenpreise könnten in Erwartung des Rabattes sogar steigen, sodass das Problem, nämlich der zu hohe Listenpreis, durch Ihr Gesetz noch verschärft würde. Denn in Erwartung des Rabattes - unabhängig davon, ob er je gewährt wird oder nicht - könnte es sein, dass der Hersteller den Listenpreis noch höher ansetzt, sodass wir in Zukunft nicht nur den höchsten Listenpreis, sondern einen noch höheren Listenpreis als vorher zahlen müssen. Der überhöhte Preis könnte also weiter erhöht werden. Ich verstehe, ehrlich gesagt, den gesamten Ansatz nicht. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das merkt man! Das ist das Problem! - Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das, was Sie da erzählt haben, ist auch nicht zu verstehen!) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Ich beantworte Ihre Frage so, wie ich sie verstanden habe. Ich will deutlich machen: In der Tat bleibt der Listenpreis erhalten. Unser Auftrag ist, etwas für die gesetzlich Versicherten, also für die gesetzliche Krankenversicherung, zu erreichen. Das tun wir, indem wir dafür sorgen, dass nicht der volle Listenpreis gezahlt werden muss. Der größte Abnehmer wird von diesem Listenpreis also gar nicht in Mitleidenschaft gezogen, sondern er wird durch die Rabatte finanziell entlastet. Ich sage es einmal so: Sie bekommen den Rabatt ja nicht als Tablette, sozusagen als Naturalienrabatt, in die Hand gedrückt. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Sie kritisieren ständig, dass möglicherweise die Gefahr besteht, dass die böse Industrie im ersten Jahr mit exorbitanten Listenpreisen in den Markt geht, in der Hoffnung, dass das erste Jahr so ertragreich ist, dass die weiteren 19 Jahre des Patentschutzes nicht mehr so sehr ins Gewicht fallen. Die gute Nachricht ist: Da die Listenpreise auch mit Blick auf andere Staaten gelten - die Listenpreise gelten jeweils für ein Produkt -, können wir durch die Reimportquote - ich glaube, diese ist zu Ihrer Zeit mit ausgebaut worden - sicherstellen, dass die Listenpreise nicht exorbitant steigen. Sonst gäbe es einen deutlichen Unterschied zwischen den deutschen Listenpreisen - Sie selber haben zu Recht gesagt, dass die Medikamente nicht allein für den deutschen Markt produziert werden - und den Listenpreisen in anderen europäischen Staaten. Wie Sie wissen, gibt es die Vorgabe, dass 5 Prozent der abgegebenen Arzneimittel in Deutschland aus Reimporten stammen müssen, sofern sie 15 Prozent oder 15 Euro Preisdifferenz zu einem ausländischen Produkt oder einem im Ausland verkauften Produkt aufweisen. Wenn die böse Industrie die Listenpreise in Deutschland exorbitant in die Höhe treiben würde, dann hätte man sehr schnell den Zustand, dass der Preis in Deutschland eine deutlich höhere Differenz als 15 Prozent oder 15 Euro aufweisen würde. Das würde dazu führen, dass sehr viele Medikamente aus dem Ausland importiert würden. Dann hätte die Industrie mit faulen Eiern gehandelt. Deswegen ist das, was Sie befürchten, aus unserer Sicht nicht zu erwarten. Im Übrigen würde sich nach dem ersten Jahr, nachdem Verhandlungen oder sogar ein Schiedsstellenspruch zum Tragen gekommen wären, deutlich zeigen, dass der erste Preis überhöht gewesen wäre. Es dürfen sowieso nur Medikamente im Rahmen der Wirtschaftlichkeit verschrieben werden. Die von Ihnen geschilderte Gefahr sehen wir also nicht. Eine Entlastung der deutschen Versicherten erreichen wir eben durch Rabatte. Deswegen haben wir künftig in diesem Bereich Rabattverträge. Das hat bisher noch keine andere Regierung hinbekommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nächste Fragestellerin ist Frau Aschenberg-Dugnus für die FDP. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Herr Minister, in den Eckpunkten zur Umsetzung des Teils des Koalitionsvertrages zur Arzneimittelversorgung wurden auch Maßnahmen zur Deregulierung vereinbart. Können Sie bitte kurz darlegen, wie das im Gesetzentwurf umgesetzt worden ist? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Es gibt zwei konkrete Maßnahmen, die im Gesetzentwurf enthalten sind. Die erste Maßnahme ist die Abschaffung der Bonus-Malus-Regelung. Es gibt bisher bestimmte Zielgrößen, die zwischen den Leistungserbringern auf der einen Seite und den Krankenkassen auf der anderen Seite vereinbart werden. Wenn beispielsweise ein Arzt die Zielgrößen bei der Verschreibung nicht erreicht, muss er eine Strafe zahlen. Man erhält also einen Malus. Wenn man unter den Vorgaben bleibt, erhält man einen Bonus. Das halten wir für überflüssig. Ich glaube, diese Regelung ist auch nicht intensiv angewendet worden. Es macht also Sinn, sie zu streichen. Die zweite Maßnahme ist die Abschaffung der sogenannten Zweitmeinungsregelung. Hier gilt die Regel, dass hoch innovative Medikamente nicht von jedem Arzt verschrieben werden können, sondern nur von Ärzten mit einer bestimmten Ausbildung, die in dem entsprechenden Bereich auch zum Tragen gekommen ist. Wenn ein Allgemeinmediziner solche Medikamente verschreiben will, muss er bislang zuerst die Zweitmeinung eines Spezialisten einholen. Das halten wir für sehr bürokratisch. Wir glauben, dass sich die Leistungserbringer in diesen Bereich einbringen können. Eine weitere sinnvolle Maßnahme betrifft die Vereinfachung und Verschlankung von Therapiehinweisen und -richtlinien im Rahmen des Gemeinsamen Bundesausschusses. Wir können so sicherstellen, dass wir nicht nur neue Instrumente im Rahmen der Vertragsverhandlung auf den Weg bringen, sondern gleichzeitig auch zu einer Deregulierung zum Beispiel durch Streichung der eben genannten Vorschriften kommen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Vielen Dank!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Bender. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, Sie haben gesagt, dass die Hersteller zwecks Bewertung des Nutzens bzw. des Zusatznutzens neuer Medikamente ein Dossier, also Unterlagen, vorlegen sollen. Solche Dossiers müssen aber erst beim Inverkehrbringen des Arzneimittels vorliegen. Das heißt, zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Arzneimittel verordnungsfähig ist, haben die Ärztinnen und Ärzte erst eine beschränkte Informationsbasis und wissen nichts über den Nutzen oder den Zusatznutzen des betreffenden Medikaments. Warum schreiben Sie nicht eine Nutzenbewertung parallel zum Zulassungsprozess vor, sodass sie zum Zeitpunkt der Zulassung tatsächlich vorliegt? Warum muss der Hersteller erst auf Verlangen des Gemeinsamen Bundesausschusses die notwendigen Unterlagen beibringen? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass es in jedem Fall durch dieses Gesetz zu einer Verbesserung gegenüber dem heutigen Zustand kommt; denn bisher müssen keinerlei Studien vorgelegt werden, weder nach drei noch nach sechs Monaten oder nach zehn Jahren. Bisher gibt es keine Verpflichtung, solche Nutzen- oder Zusatznutzenstudien zu erstellen. Ich möchte zunächst festhalten: Es war das erklärte Ziel dieser Koalition, dafür zu sorgen, dass die Ärztinnen und Ärzte wissen, welche Medikamente sie zu verordnen haben, und dass wir wissen, was unsere Patientinnen und Patienten bekommen. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt: Selbstverständlich sollen bereits im Rahmen der Phase-III-Studien - gerne auch vorher - die entsprechenden Daten gesammelt werden, um diese Dossiers - also Dossiers zur Anwendbarkeit, zu Nebenwirkungen und ähnlichen Dingen - auf den Weg zu bringen. Es soll darüber hinaus auch ein Konsultationsverfahren geben, sodass der Gemeinsame Bundesausschuss schon vorher in Kontakt mit der Industrie treten kann - und umgekehrt -, um deutlich zu machen, dass man noch weitere zusätzliche Daten braucht, falls diese Regelvorgaben nicht ausreichen. Dann ist es nur fair, dass man die Industrie darüber aufklärt und sagt: Bei diesem speziellen Medikament, bei dieser Indikation brauchen wir noch mehr Daten als die üblichen Daten, die man im Rahmen der Phase-III-Studien erbringen müsste. Auch hier stellen wir sicher, dass die Industrie rechtzeitig weiß, welche Daten erbracht werden müssen, damit die ersten drei Monate sinnvoll genutzt werden können. Wir denken, dass es sinnvoll ist, der Industrie diese Zeit zuzugestehen. Es ist kein Verlust, weil es in jedem Fall nach wie vor eine Verbesserung zum heutigen Zustand ist. Aber die Industrie hat dann die Möglichkeit, zumindest in den ersten drei Monaten die klinischen Erfahrungen mit dem Medikament selbst zu sammeln. Das ist ein sinnvoller Kompromiss zwischen der sofortigen Nutzbarkeit für Patientinnen und Patienten auf der einen Seite und der Sicherheit und Effizienz durch Nutzen- oder Zusatznutzenstudien auf der anderen Seite. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Vogler. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich möchte auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, und zwar auf die Unabhängige Patientenberatung, die Sie an dieses Arzneimittel-Neuordnungsgesetz angehängt haben. Es erschließt sich nicht unmittelbar, was dieses Thema da eigentlich zu suchen hat. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Man kann es Ihnen nicht recht machen!) - Aber Herr Spahn! Wie glauben Sie, sicherstellen zu können, dass die Beratungstätigkeit der unabhängigen Patientenberatungsstellen auch nach dem 1. Januar 2011 sichergestellt werden kann, wo wir doch erst jetzt diesen Vorschlag auf den Tisch bekommen? Dabei gibt es schon jetzt in den Beratungsstellen die Situation, dass die Mietverträge und Arbeitsverhältnisse in absehbarer Zeit auslaufen. Erst wenn wir gegen Ende des Jahres dieses Arzneimittel-Neuordnungsgesetz mit dem Anhang zur UPD verabschiedet haben werden und es in Kraft getreten ist, können die Krankenkassen die notwendigen Ausschreibungen vornehmen. Mir ist eines immer noch nicht ganz klar: Herr Bahr hat uns gesagt, es könne auch ohne gesetzliche Regelung von den Krankenkassen gehandelt werden. Unsere Informationen sind, dass verschiedene Juristen das ganz anders bewerten und sagen, es sei höchstkritisch, wenn die Krankenkassen jetzt schon tätig würden und ohne gesetzliche Grundlage die Fortschreibung des jetzigen Modellversuchs vornähmen. Außerdem möchte ich Sie gern fragen, welche Idee Sie verfolgen, um die privaten Krankenversicherungen an den Kosten zu beteiligen; denn im Gesetz haben Sie nur eine freiwillige Beteiligung vorgesehen. Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Zunächst einmal freue ich mich; denn ich kann Ihren Ausführungen entnehmen, dass Sie eine gewisse Zustimmung für die Unabhängige Patientenberatung und unseren Gesetzentwurf signalisieren. Das finde ich schon einmal gut. Warum ist dieser Teil mit drin? Weil wir - ich finde, zu Recht - gesagt haben, dass wir für Patientinnen und Patienten in Deutschland da sein wollen. Das heißt, wir wollen diese gute Einrichtung auch weiter verlängern. Ich finde nichts Schlimmes daran. Wenn Sie fragen, warum es in einem Gesetz zur Arzneimittel-Neuordnung steht, kann ich nur darauf zurückkommen, was Sie in der Folge ausgeführt haben: In der Tat drängt die Zeit. Zum 31. Dezember 2010 läuft die bisherige vorläufige Erprobungsphase aus. Also muss man handeln, damit ab dem 1. Januar 2011 eine Unabhängige Patientenberatung in Deutschland weiter existieren kann. Wir bringen deswegen diesen Gesetzentwurf ein, damit wir mit Ihnen gemeinsam darüber diskutieren können und damit wir am Ende hoffentlich einen entsprechenden Gesetzentwurf beschließen können. Dann haben die handelnden Akteure die Sicherheit, dass es nach dem 1. Januar 2011 in der Form, wie im Gesetzentwurf beschrieben, weitergehen kann. Der Parlamentarische Staatssekretär Daniel Bahr hat im Ausschuss ausgeführt, dass es selbstverständlich möglich ist, die Verträge auch befristet weiterzuführen, bis das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen ist, und wir dann - die Ausschreibungen sind im Gesetzentwurf enthalten - nach den Ausschreibungen zu einer dauerhaften Einrichtung der Unabhängigen Patientenberatung selbst kommen können. Im Rahmen der Unabhängigen Patientenberatung soll es auch noch einen Beirat geben; denn die gesetzlichen Krankenversicherungen, die diese finanzieren, sollen darauf aus unserer Sicht keinen Einfluss haben. Das wird dann im Einvernehmen mit dem Patientenbeauftragten geschehen, bei dem ein zusätzlicher Beirat gebildet wird. An diesem Beirat sollen gegebenenfalls auch die privaten Krankenversicherungen beteiligt sein, aber nur dann, wenn sie ebenfalls bereit sind, sich finanziell an der Unabhängigen Patientenberatung zu beteiligen. Wir werden also selbstverständlich mit den Kollegen der privaten Krankenversicherungen reden, weil ich glaube, dass auch sie ein Interesse daran haben, dass ihre Versicherten gut informiert sind. Das ist unser Weg. So können wir sicherstellen, dass die gute Einrichtung der Unabhängigen Patientenberatung - die haben Sie in Ihrer Frage auch nicht kritisiert - auch im nächsten Jahr erfolgreich fortbestehen kann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Volkmer, bitte. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Herr Minister, die Bundesregierung plant eine Mehrkostenregelung hinsichtlich der Rabattarzneimittel, also Mehrkosten für die Patienten, die sich für ein nicht rabattiertes Arzneimittel entscheiden. Wie wird eine solche Regelung auf schon bestehende Rabattverträge und auf noch abzuschließende Rabattverträge zwischen den Krankenkassen und der pharmazeutischen Industrie wirken? Halten Sie eine solche Mehrkostenregelung als Modell auch auf andere Leistungsbereiche - Stichwort: Einstieg in die Kostenerstattung - für übertragbar? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Zunächst einmal soll die Mehrkostenregelung für solche Medikamente gelten, die nicht Gegenstand eines Rabattvertrages mit der jeweiligen Krankenversicherung sind. Das führt uns zu dem Problem, das die Patientinnen und Patienten schon heute haben. Nehmen wir an, Sie sind eine chronisch kranke Patientin und gehen in die Apotheke. Sie haben bisher immer ein bestimmtes Medikament genutzt. Plötzlich sagt Ihnen der Apotheker: Es tut mir leid, aber Sie können dieses Medikament nicht mehr ohne eine entsprechende Zuzahlung bekommen - momentan können Sie es sogar gar nicht bekommen, auch wenn Sie eine Zuzahlung leisten wollen -, weil Ihre Krankenkasse keinen Rabattvertrag mehr mit dem Hersteller dieses Medikamentes hat. - Es bleibt Ihnen dann nichts anderes übrig, als zu einem entsprechenden Ausweichpräparat zu greifen, was medizinisch ohne Probleme machbar ist. Trotzdem sagen viele Patientinnen und Patienten zu Recht, sie möchten bei ihrem Medikament bleiben, das sie von der Wirkweise, von der Einnahme und vom Einnahmezyklus her kennen. Sie bestehen in der Apotheke dann häufig darauf, dass sie das Medikament, das sie bisher genutzt haben und kennen, auch weiter erhalten können. Bisher gibt es auch bei entsprechender Bereitschaft, den Differenzbetrag zuzuzahlen, keine Möglichkeit, dieses Medikament zu erhalten. Sie müssen vielmehr das Rabattmedikament nehmen, für das ihre Krankenkasse einen entsprechenden Rabattvertrag abgeschlossen hat. Wir halten das aus Sicht der Patientinnen und Patienten für wenig akzeptabel. Im Gegenteil: Wir wollen hier Wahlfreiheit erreichen. Wir wollen also die Möglichkeit einführen, dass Sie als Patient in dieser Situation sagen können: Auch wenn meine Krankenkasse keinen Rabattvertrag mit diesem Hersteller hat, möchte ich mein altes Medikament haben, und ich bin auch bereit, dafür, dass ich mein altes Medikament weiter bekommen kann, einen entsprechenden Zuschlag zu bezahlen. - Dies ist die Mehrkostenregelung. Wir haben sie nur für diesen speziellen Bereich im Gesetz vorgesehen. Ich glaube, das ist eine vernünftige Lösung, die es den Patientinnen und Patienten künftig gestattet, auf ihr Medikament zurückgreifen zu können. Die Auswirkungen auf die Rabattverträge sehen wir ganz gelassen, weil wir nicht davon ausgehen, dass jetzt sehr viele Patientinnen und Patienten sagen: Wir möchten weiter unser altes Medikament einnehmen und sind bereit, mehr zuzuzahlen. - Manche lassen sich auch aufklären und davon überzeugen, dass, medizinisch gesehen, auch ein anderes Medikament eingenommen werden kann. Für den Fall, dass sie trotzdem eine andere Meinung haben - das soll es ja durchaus geben, und ich finde, sie sollten dann eine entsprechende Wahlmöglichkeit haben -, haben sie künftig eben mehr Wahlmöglichkeiten, als das bisher der Fall war. Ich halte das für einen guten Weg. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Lotter, bitte. Dr. Erwin Lotter (FDP): Herr Minister, Wettbewerb und Wahlfreiheit sind ja wichtige Ziele für Liberale. Können Sie bitte noch einmal erläutern, inwieweit diese Ziele in diesem Gesetzentwurf umgesetzt wurden? (Elke Ferner [SPD]: Manchmal hilft wirklich Lesen! - Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine inhaltsreiche Frage!) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Das war eine sehr inhaltsreiche Frage, weil mir dadurch die Gelegenheit gegeben wird, noch einmal in besonderer Weise auf die Qualitäten gerade dieses Gesetzentwurfes hinzuweisen. An vielen Stellen im Gesetzentwurf finden wir die Grundideen des fairen Wettbewerbs und der Wahlfreiheit für Patientinnen und Patienten verwirklicht. Das fängt beim Wettbewerb mittels der Preisgestaltung an. Dies ist anders als bisher. Der Preis wird nicht mehr seitens der Industrie festgelegt, weil sie ein Monopol hat, sondern der Preis kann sich im Rahmen von Vertragsverhandlungen am Markt bilden. Das ist der wesentliche Kern dieses Gesetzentwurfes, was im Ergebnis zu enormen Einsparungen führen wird. Die zweite Möglichkeit, zu Wettbewerb zu kommen, sind die Rabattverhandlungen. Wir sorgen durch das Wettbewerbs- und Kartellrecht für einen fairen Wettbewerb zwischen den Kassen auf der einen Seite und der kleinen und mittelständischen Industrie auf der anderen Seite, damit nicht eine der beiden Seiten womöglich eine Marktmacht bekommt, die sie ausnutzen kann. Der dritte Punkt ist das eben schon angesprochene Modell der Mehrkostenregelung für Patientinnen und Patienten. Wenn sie mehr Freiheiten bei der Auswahl ihres Medikamentes haben wollen - das ist ein grundlegendes Recht der Patientinnen und Patienten -, werden sie diese künftig in größerem Umfang als bisher haben. Mindestens an diesen drei großen Stellen spüren Sie den liberalen Geist in diesem Gesetzeswerk. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Terpe, bitte. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, ich habe eine Nachfrage zu den Rabattverträgen, die Sie erwarten. Wir haben gerade ein Gesetzgebungsverfahren zur Erhöhung der Zwangsrabatte von 6 Prozent auf 16 Prozent gehabt. Wie schätzen Sie die Möglichkeit zusätzlicher Rabatte, die Sie jetzt vorgesehen haben, bei Verhandlungen ein? Meine zweite Frage, die ich anschließen möchte, ist: Sie wollen im Gesetz die Pflicht zur Rückzahlung von Preisdifferenzen regeln. Sie erfolgt ab dem 13. Monat im Falle eines Schiedsspruchs. Warum regeln Sie das nicht schon für die ersten zwölf Monate? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Die rückwirkende Preisfestsetzung ist, auch juristisch, durchaus heikel. Nun bin ich kein Jurist; aber wir halten es für sinnvoller, dass man erst nach dem Schiedsstellenspruch, wenn man das entsprechende Ergebnis hat, rückwirkend für höchstens drei Monate zu einer Preisbindung kommt. Die Möglichkeit, zu einer vertraglichen Einigung zu kommen, soll nicht bis zuletzt ausgenutzt werden, um dann festzustellen, dass man zu keinem Ergebnis kommt. Wir stellen sicher, dass es gleich zu Beginn zu entsprechenden Vertragsverhandlungen kommen kann. Wenn das nicht der Fall ist, soll die Schiedsstellenlösung greifen. Ich denke, es ist vertretbar, dass man die Preise rückwirkend für drei Monate festlegen kann. Wir haben uns dagegen entschieden, das für das ganze Jahr zu machen. Zu Ihrer ersten Frage: Wir haben im Zusammenhang mit den Rabattverträgen gesehen, dass es bei den Generika teilweise zu erheblichen Preissenkungen gekommen ist, und zwar um bis zu 50 bzw. 70 Prozent. Das ist im hochinnovativen Bereich in dieser Form nicht zu erwarten. Das ist ein anderer Markt. Deswegen kann ich Ihnen nicht sagen, wie viel wir uns konkret davon versprechen und ob es über den Herstellerrabatt - wir nennen das Herstellerrabatt, nicht Zwangsrabatt - von 16 Prozent hinaus zu weiteren Rabatten kommen kann. Es handelt sich um eine Kombination dieser beiden Instrumente. Der Herstellerrabatt und das Preismoratorium sind bereits im GKV-Änderungsgesetz, das vor zwei Wochen verabschiedet worden ist, beschlossen worden. Das war eine Maßnahme, die ordnungspolitisch durchaus strittig diskutiert wurde. Sie macht aber nur dann Sinn, wenn wir jetzt den zweiten Weg über das Arzneimittel-Neuordnungsgesetz wählen, das heute diskutiert wird. Dann hat man die Möglichkeit, über Vertragsverhandlungen von diesem Herstellerrabatt wegzukommen. Das ist eine gute Möglichkeit, auf der einen Seite die Einsparmaßnahmen für die gesetzlichen Krankenversicherungen sicherzustellen und auf der anderen Seite zu wettbewerblicheren Strukturen zu kommen. Das ist unser Ziel, zumal sich die Rabatte nicht allein in Euro-Cent bemessen sollen; im Gesetz ist vielmehr ausdrücklich festgehalten, dass es zu weiteren vertraglichen Ausgestaltungen kommen kann, zu sogenannten Mehrwertverträgen oder Verträgen im Rahmen der integrierten Versorgung. Man soll also umfassende Verträge schließen können. Das hat vor allem einen Vorteil: Wenn es zu Verträgen gekommen ist, werden die Leistungserbringer, also die Ärztinnen und Ärzte, von der Richtgrößenprüfung ausgenommen. Die Medikamente, die unter den Vertrag fallen, sollen dann künftig nicht mehr einbezogen werden. Das ist ein weiterer Punkt im Rahmen der Deregulierung. Die Zielsetzung der Rabattverträge betrifft auch, aber nicht nur das rein Finanzielle. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Ferner. Elke Ferner (SPD): Herr Minister Rösler, ich möchte zum einen auf das Thema "Mehrkosten bei rabattierten Arzneimitteln" zurückkommen. Wenn ein Arzt das bisherige Arzneimittel eines Patienten, das nicht unter die Rabattverträge der Kasse des Patienten fällt, für medizinisch notwendig erachtet und dies begründet, kann er das Medikament zulasten der Krankenkasse verordnen. Insofern wäre das eine Regelung für diejenigen, die nicht einsehen - aus welchen Gründen auch immer, ob angeregt durch den Arzt oder angeregt durch ein entsprechendes Verkaufsgespräch des Apothekers -, dass das rabattierte Medikament die gleiche medizinische Wirkung im Rahmen der Therapie ihrer Krankheit hat, und dann eben etwas draufzahlen müssen. Insofern bleibt das aber bei denen hängen, die sich das auch leisten können. Diejenigen, die sich das nicht leisten können, haben diese Wahlfreiheit nicht. Zum anderen möchte ich nachfragen, inwieweit die bestehenden Rabattverträge, die ja darauf basieren, dass sich die Kasse gegenüber dem pharmazeutischen Unternehmen verpflichtet, eine bestimmte Menge abzunehmen - dagegen steht dann der Rabatt des Unternehmens, das sagt, wenn ihr so viel abnehmt, dann gebe ich euch einen entsprechenden Rabatt -, in Zukunft noch garantiert werden können. Normalerweise ist es so: Je größer die Abnahmemenge ist, desto mehr Rabatt bekomme ich. Wenn ich diese Abnahmemenge aber nicht mehr garantieren kann, dann wird der Rabatt wahrscheinlich geringer werden. Deshalb ist ja wohl davon auszugehen, dass die 2,5 Milliarden Euro, die bisher durch die Rabattverträge eingespart worden sind, in Zukunft nicht mehr zu erzielen sein werden. Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Die zweite Frage hatte ich bereits in Teilen beantwortet. Wir gehen nicht davon aus, dass die Menschen jetzt in enormer Zahl - schon gar nicht entsprechend dem gesamten Einsparvolumen von 2,5 Milliarden Euro im Rahmen der bisherigen Rabattverträge - zur Apotheke laufen und sagen, ich werde künftig bereit sein, mehr für mein altes Medikament zu bezahlen, und damit - das ist ja Ihre Befürchtung - die Gesamtrabattverträge unterlaufen. Davon gehen wir, wie gesagt, nicht aus. Im Gegenteil, es ist ja auch Aufgabe und das explizite Ziel von Apotheken, über die unterschiedlichen Möglichkeiten aufzuklären. Also werden sie aufklären und sagen: Sie können natürlich bei Ihrem Medikament bleiben mit der Möglichkeit der Zuzahlung, Sie können aber auch ein Alternativmedikament nehmen. Dann müssen Sie nichts zuzahlen, dann haben Sie aber ein etwas anderes Medikament. Es heißt anders, und vielleicht ist auch die Einnahmevorgabe etwas anders als bei dem Ihnen bekannten Medikament. - Es spricht ja nichts dagegen, die Patientin, den Patienten aufzuklären. Also nochmals: Wir gehen nicht davon aus, dass Rabattverträge in großen Mengen unterlaufen werden. Ihr erster Punkt ist übrigens sehr spannend. Das zeigt offensichtlich die unterschiedliche Sichtweise von Ihnen und uns bezüglich der Rechte und der Mitwirkungsmöglichkeiten von Patientinnen und Patienten, wenn man vom Bild eines selbstbestimmten Patienten ausgeht. Sie haben zwar völlig recht, dass der Arzt natürlich schon heute durch das Ankreuzen bestimmter Felder auf dem Rezept die Möglichkeit hat, dem Patienten aus medizinisch notwendigen Gründen andere Medikamente zu verschreiben als die Rabattvertragsmedikamente. Diese Möglichkeit stellen wir auch nicht infrage. Das ist Punkt eins. Aber es ist die Sichtweise des Arztes, wenn er aus medizinischen Gründen ein anderes Medikament weiter vorgibt. (Elke Ferner [SPD]: Wer weiß das denn besser, der Arzt oder der Patient?) Aber die Patientin und der Patient haben auch Rechte, jedenfalls nach unserer Sichtweise. Sie sind aufgeklärt und können selbstbestimmt entscheiden, ob sie ein anderes Medikament haben wollen oder nicht. Selbstverständlich müssen sie dann, wenn sie sich außerhalb der Rabattverträge bewegen, mehr bezahlen. (Elke Ferner [SPD]: Die, die es sich leisten können!) Aber sie haben die Wahlmöglichkeit. (Elke Ferner [SPD]: Aber nur, wenn ich das Geld dafür habe!) Diese Wahlmöglichkeit haben sie momentan nicht, Frau Ferner. Sie müssen sie ja nicht nutzen. Ich verstehe nicht, warum Sie sich hier gegen die Freiheitsrechte von Patientinnen und Patienten so vehement aussprechen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Weil das wieder die Freiheit der Wohlhabenden ist!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Weinberg, bitte. Harald Weinberg (DIE LINKE): Herr Minister, die vorgesehenen Regelungen zu Einsparungen betreffen ja in erster Linie den Erstattungspreis im Bereich der ambulanten Versorgung, nicht aber den Krankenhaussektor. Dort erfolgen Abrechnung, Erstattung und Preisgestaltung anders. Wie steht die Bundesregierung zu der Befürchtung, dass die Hersteller wegen eventueller Rabatte im ambulanten Versorgungssektor zur Kompensation höhere Preise im stationären Bereich verlangen werden und letztlich die Einsparungen unter dem Strich geringer ausfallen können? Plant die Bundesregierung auch für den stationären Bereich Regelungen? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Zunächst einmal ist es, glaube ich, ein guter Weg, bevor man sich neue Maßnahmen vornimmt, erst einmal zu sehen, wie die jetzt geplanten Maßnahmen dann, wenn sie in Kraft getreten sind, wirken. Aber in der Tat ist es häufig so, dass Regeln, die geschaffen werden, zu Ausweichbewegungen führen. Dann besteht die Gefahr, dass man gleich wiederum neue Regeln auf den Weg bringt. Selbstverständlich schauen wir uns an, wie sich die Preise in allen anderen Bereichen entwickeln, weil es natürlich die Möglichkeit gibt, dass man einen Verlust, den man auf der einen Seite hat - im ambulanten Bereich, im Bereich der GKV -, durch Kompensation in anderen Bereichen versucht "zurückzuholen". Unser Ziel ist, insgesamt zu Einsparungen im Bereich der GKV zu kommen. Sie können sicher sein, dass wir die Situation sehr genau beobachten werden. Sollte es zu einer Kompensation kommen, dann müssten Gesetzgeber und Bundesregierung gemeinsam handeln. Das würden wir in jedem Fall auch tun. Ich will hier noch auf etwas hinweisen, auch wenn das nicht explizit Teil Ihrer Frage war. Aufseiten der Koalitionsfraktionen wird zu Recht darüber diskutiert, wie man Teile dieses Gesetzentwurfes auch auf den Bereich der privaten Krankenversicherung übertragen kann; denn es kann ja sein, dass solche Kompensationsmöglichkeiten, wie Sie sie im stationären Bereich sehen, auch im Bereich der privaten Krankenversicherung gesucht werden. Beides gilt es aus meiner Sicht zu verhindern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Klein-Schmeink, bitte. Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, Sie unternehmen mit dem Gesetzentwurf den Versuch, im Arzneimittelmarkt mehr Regulierungsregelungen, gerade bei der Preisgestaltung, einzuziehen. Im europäischen Umfeld hat man dafür die Positivliste. Man versucht so, das Ganze zu begrenzen. Sowohl für die Ärzteschaft als auch für die Patienten legt man eine Liste vor, die Qualität und Transparenz miteinander verbindet. Haben Sie ein solches Vorgehen nicht geprüft? Warum haben wir in Deutschland 40 000 zugelassene Medikamente, während es in anderen europäischen Ländern sehr viel weniger gibt? Haben Sie nicht die Notwendigkeit gesehen, da einzugreifen? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: In der Tat gibt es viele Medikamente. Ich will ausdrücklich festhalten, dass wir es sehr positiv finden, dass es viele Medikamente gibt; denn Sinn und Zweck ist ja, mit Medikamenten Menschen in Krankheit und Not zu helfen. (Elke Ferner [SPD]: Dazu muss man wissen, wie sie wirken!) Wir würden uns nicht anmaßen, von vornherein zu sagen, was gut ist und was nicht gut ist, was in dieser Liste erscheinen und was in dieser Liste nicht erscheinen soll. Wir wollen den Menschen in Deutschland Zugang zu den bestmöglichen wirksamen Medikamenten und auch zu Innovationen in diesem Bereich bieten. Solche Positivlisten sind bekanntermaßen sehr innovationsfeindlich. Es muss aber zu Innovationen, zu Neuerungen kommen. Bis die sich auf einer Positivliste wiederfinden, geht meist sehr viel Zeit ins Land. Das wäre zum Nachteil der Patientinnen und Patienten. Deswegen haben wir uns für einen anderen Weg entschieden. Ich sage es noch einmal: Wir sind davon überzeugt, dass wir die richtige Balance zwischen Innovationsfähigkeit auf der einen Seite und Kostenkontrolle auf der anderen Seite gefunden haben. Bei der reinen Positivliste hat man nur die Kostenkontrolle im Blick, aber leider nicht die Interessen der Patientinnen und Patienten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die letzte Frage, die in unser Zeitbudget passt, ist die von Frau Reimann. Dr. Carola Reimann (SPD): Danke, Frau Präsidentin. - Herr Minister, in Ihrem Gesetzentwurf sehen Sie eine umfassende Geltung des Kartellrechts für den Gesundheitsbereich vor. Ich möchte fragen: Welche Konsequenzen erwarten Sie daraus auf Vertragsbeziehungen, auf die gemeinsamen Verträge von Leistungserbringern, auf die im Gesetz eigentlich vorgeschriebenen Verträge zur Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, auf den Gemeinsamen Bundesausschuss und auch auf die Rabattverträge? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Ziel ist insbesondere, das Wettbewerbs- und Kartellrecht bei Rabattverträgen zur Anwendung zu bringen. Wir gehen davon aus, dass wir damit verhindern, dass eine Seite ihre Marktmacht zu einer Monopolstellung ausbaut und damit fairen Wettbewerb verhindert. Einzelne Kassen verhandeln schon mit kleinen mittelständischen Unternehmen. Teilweise haben große Kassen regional bereits ein Monopol. Für kleine mittelständische Unternehmen wird es dann schwierig, in einem solchen Bereich überhaupt noch Fuß zu fassen, weil es de facto keinen echten Wettbewerb der Kostenträger untereinander mehr gibt. Das wollen wir durch diese Maßnahme verhindern. Wir wollen das gezielt auf die Rabattverträge anwenden. Von daher gehen wir nicht davon aus, dass zum Beispiel die Integrierten Versorgungsverträge zwischen Leistungserbringern, Kostenträgern und, wenn das zum Tragen kommt, Industrieherstellern in Mitleidenschaft gezogen werden. Unser Ziel ist, dass für die Rabattverträge, die wir selber ausdrücklich nicht infrage stellen, faire Wettbewerbsregeln gelten; denn auch hier besteht die richtige Balance zwischen Kostenkontrolle auf der einen Seite - die 2,5 Milliarden Euro wurden schon angesprochen - und fairem Wettbewerb auf der anderen Seite. Daran zeigt sich die Mittelstandsfreundlichkeit dieser Regierungskoalition. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksachen 17/2285, 17/2323 - Ich möchte darauf hinweisen, dass für die Fragestunde heute nur eine Stunde angesetzt ist. Wir beginnen gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde mit der dringlichen Frage auf Drucksache 17/2323 zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Inwieweit treffen aktuelle Medienberichte zu (Der Spiegel vom 28. Juni 2010), wonach der von deutschen Ermittlern gesuchte deutsche Staatsbürger Rami M. sich am 21. Juni 2010 in Pakistan in der deutschen Botschaft Islamabad habe stellen und nach Deutschland zurückkehren wollen, die Botschaft ihm dafür einen Passierschein ausstellte mit der Bitte um allseitige behördliche Unterstützung, jedoch das Bundeskriminalamt, BKA - nach einem Disput zwischen Auswärtigem Amt sowie dem Bundesministerium des Innern -, seine Erkenntnisse zu dem Deutschen an die pakistanische Polizei übermittelte und ihn auf dem Hinweg zu dem Besuch der deutschen Botschaft durch die berüchtigte pakistanische Polizei festnehmen ließ, wie diese bestätigte, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine solche Datenübermittlung des BKA an die pakistanische Polizei schon mangels hinreichender Rechtsgrundlage (§ 14 Abs. 7 Satz 5 des Bundeskriminalamtgesetzes) rechtswidrig wäre und den deutschen Staatsangehörigen ohne Not und weitgehend schutzlos einer ungewissen Haft ausliefern würde, wo ihm Folter durch den pakistanischen Geheimdienst droht? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Der Bundesregierung liegen keine bestätigten Informationen zur Festnahme eines deutschen Staatsangehörigen namens Rami M. vor, der in Waziristan verkleidet und schwer bewaffnet durch das pakistanische Militär festgenommen worden sein soll. Das Auswärtige Amt bemüht sich derzeit um Aufklärung. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Ströbele, Sie haben eine Nachfrage. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, liegen denn der Bundesregierung Informationen darüber vor, dass das Auswärtige Amt mit dem Fall zu tun hatte, dass dieser Herr - er wurde in meiner Frage angesprochen - mit der deutschen Botschaft Kontakt aufgenommen hatte und sich am 21. Juni in der deutschen Botschaft seine Papiere abholen wollte - das war fest vereinbart -, um nach Deutschland zurückzukehren und sich hier den Behörden zu stellen? Haben Sie das mit dem Kollegen Stadler, der neben Ihnen sitzt, insbesondere auch deshalb intensiv besprochen, weil sich der Kollege Stadler als Mitkombattant im Untersuchungsausschuss zur BND-Affäre seinerzeit in einer Pressekonferenz in dem parallel gelagerten Fall Zammar sehr drastisch dahin gehend geäußert hat, dass es unzulässig sei, wenn das Bundeskriminalamt Daten an ausländische Dienste weitergebe und diese dann zum Nachteil eines deutschen Staatsbürgers dazu führen könnten, dass dieser in ein Foltergefängnis kommt? (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da war er ganz scharf, der Herr Staatssekretär!) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Welche Daten unter welchen Umständen übermittelt werden dürfen, ist geregelt. Daran müssen sich natürlich die deutschen Sicherheitsbehörden, insbesondere auch das BKA, halten. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof führt gegen mehrere Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, der Islamischen Bewegung Usbekistan, durch, darunter auch gegen einen deutsch-syrischen Doppelstaatler namens Rami M., die Person, die Sie in Ihrer Anfrage gemeint haben. Die Bundesregierung nimmt zu laufenden Ermittlungsverfahren aus grundsätzlichen Erwägungen keine Stellung. Eine Stellungnahme könnte weiter gehende Ermittlungsmaßnahmen erschweren oder gar vereiteln. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich zu diesem ganz konkreten Fall nichts sagen kann. Er wird aber Gegenstand der nächsten Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums sein. Da wird darüber sicherlich ausführlich berichtet werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben noch eine weitere Nachfrage? - Bitte schön. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, können Sie denn bestätigen, dass das Bundeskriminalamt in diesem Fall Informationen an die pakistanischen Behörden, insbesondere an die dortige Polizei oder andere Sicherheitsbehörden, wie zum Beispiel den berüchtigten pakistanischen Geheimdienst, über diesen deutschen Staatsbürger gegeben hat und dass dies, wenn es denn geschehen ist, mit § 14 Abs. 7 letzter Satz des Bundeskriminalamtgesetzes nicht zu vereinbaren ist, weil danach die Übermittlung von Daten dann zu unterbleiben hat, wenn schutzwürdige Interessen des Betroffenen dem entgegenstehen? Das ist hier zweifellos der Fall. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die von Ihnen angesprochene Vorschrift sieht vor, dass Daten natürlich dann übermittelt werden dürfen, wenn dies zur Abwehr von Gefahren erforderlich ist. Wenn beispielsweise schwere Gefahren für Mitglieder der Botschaft drohten, dann dürften Daten, die zur Abwehr dieser Gefahren notwendig sind, selbstverständlich auch übermittelt werden. Es muss im Einzelfall genau abgewogen werden, inwieweit einerseits die berechtigten Interessen desjenigen, dessen Daten übermittelt werden, beeinträchtigt werden bzw. der Datenschutz gewährleistet ist und andererseits die schutzwürdigen Interessen derjenigen, die in Gefahr sind, gewahrt werden können. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Wieland, Sie haben noch eine Nachfrage dazu. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, da ich ja nun nicht den Vorteil habe, im Parlamentarischen Kontrollgremium zu sitzen, und der Kollege Ströbele mich nach wie vor nicht darüber informieren darf, was dort besprochen wird, nun noch einmal ganz konkret gefragt: Laut eines Berichts des Spiegel von dieser Woche werfen Angehörige dieses offenbar inhaftierten deutsch-syrischen Staatsbürgers der Bundesregierung, insbesondere dem Bundesinnenministerium, vor, diesen Menschen an den pakistanischen Geheimdienst bzw. an die pakistanischen Innenbehörden sozusagen verpfiffen zu haben. Die Frage ist: Trifft das zu? Und vor allen Dingen: Trifft die Meldung zu, dass es über diesen Umstand, ob man Informationen an die pakistanischen Sicherheitsbehörden geben soll, eine Kontroverse zwischen Auswärtigem Amt, Ihrem Ministerium und möglicherweise auch dem Justizministerium - der Kollege Stadler war ja schon angesprochen - gegeben hat? Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine CDU-Abgeordnete, die seinerzeit noch Kristina Köhler hieß, die derartige Datenweitergaben sehr kritisch kommentiert und begleitet hat. Kurzum: Wir alle haben seinerzeit gesagt, das, was im Fall "Zammar" geschehen ist, ist sehr kritisch zu sehen. Es steht im Raum, dass es sich bei diesem Fall um einen zweiten Fall "Zammar" handeln könnte. Deshalb frage ich Sie: Glauben Sie wirklich, dass die Auskunft: "Wir sagen nichts, solange das ein schwebendes Verfahren ist", trägt und dass damit die Besorgnis aus der Welt geräumt werden kann? Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Da ich jetzt zum ganz konkreten Fall nichts sagen kann, kann ich natürlich auch Ihre Besorgnis nicht ausräumen. Das ist wohl so. Ich möchte nur, dass Sie zur Kenntnis nehmen, dass eine Datenübermittlung nicht in jedem Fall ausgeschlossen ist, dass eine Datenübermittlung vielmehr dann notwendig ist und die Sicherheitsbehörden hierzu sogar verpflichtet sind, wenn es darum geht, Gefahr für Leib und Leben abzuwenden. Darüber sind wir uns doch alle einig. Es ist in jedem konkreten Einzelfall abzuwägen, inwieweit die Datenübermittlung verhältnismäßig ist, um Gefahr für Leib und Leben abzuwenden. Wir sind uns ja auch einig, dass in dem konkreten Fall, dass Gefahr für Leib und Leben durch Übermittlung von Daten abzuwenden ist, eine solche Datenübermittlung erforderlich und verhältnismäßig ist. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit kommen wir zu den Fragen auf Drucksache 17/2285 in der üblichen Reihenfolge. Es handelt sich zunächst um Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Bärbel Kofler auf: Welche konkreten Projekte im Bereich des internationalen Klimaschutzes hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, in diesem Jahr durch die Mittel der Fast-Start-Initiative finanziert, um die Zusagen der Kopenhagen-Konferenz zu erfüllen, und wie wird zukünftig diese Mittelzusage im Haushaltsentwurf 2011 umgesetzt? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin Kofler, ich beantworte Ihre Frage zur Fast-Start-Initiative wie folgt: Das Bundesumweltministerium wird seinen Anteil an der deutschen Fast-Start-Finanzierung über die Internationale Klimaschutzinitiative, IKI - circa 110 Millionen Euro im Jahr 2010 -, und über den neuen Haushaltstitel "Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern" - das sind 35 Millionen Euro im Jahr 2010 - bereitstellen. Zu konkreten Projekten kann derzeit noch keine Aussage gemacht werden, da die Projektideen fachlich geprüft und mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie dem Auswärtigen Amt abgestimmt werden. Dieser Prozess wird voraussichtlich im August abgeschlossen. Die bereits laufenden IKI-Projekte können Sie auf der Internetseite der Internationalen Klimaschutzinitiative abrufen. Das BMU wird im Zusammenhang mit der Fast-Start-Finanzierung dieses Jahr zudem 10 Millionen Euro für den UN-Anpassungsfonds im Rahmen des Kioto-Protokolls bereitstellen. Die genaue Ausgestaltung der deutschen Fast-Start-Finanzierung im Haushaltsjahr 2011 ist Gegenstand der laufenden Haushaltsaufstellung. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kofler, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Danke für die Antwort, Frau Staatssekretärin. Sie beantworten meine Frage nach den Fast-Start-Mitteln mit der Auskunft, dass die Mittel unter anderem über die Internationale Klimaschutzinitiative, IKI, zur Verfügung gestellt werden. Ich finde das erstaunlich; denn in Kopenhagen wurde im Jahr 2009 zugesagt, in den Jahren 2010 bis 2012 jeweils 420 Millionen Euro einzustellen. IKI gibt es seit 2007 und war 2008 erstmals im Bundeshaushalt enthalten. Stimmen Sie mit mir darin überein, dass das eine Umschichtung von bereits vorhandenen Mitteln ist, also alter Wein in neuen Schläuchen, und nicht das, was versprochen wurde, nämlich zusätzliche Mittel für Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern? Wie bewerten Sie die mittlerweile im Raum stehenden Aussagen, nach denen die Mittel, die eingestellt wurden unter dem Titel "Klimaschutz in Entwicklungsländern", der im Haushalt 2010 das erste Mal aufgeführt wurde - das waren nur 35 Millionen Euro -, im nächsten Haushalt auf null gesetzt werden sollen und mit Buchhaltungstricks beim Climate Investment Fund ausgeglichen werden sollen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin, ich würde Ihnen gerne die Struktur erklären, Ihnen sagen, wie wir unsere Fast-Start-Finanzierung ernst nehmen, wahrnehmen und umsetzen wollen. In der Tat hat sich die Weltgemeinschaft, darin die Europäische Union und selbstverständlich auch Deutschland, im Rahmen des Kopenhagen-Accords, der ein Ergebnis der Klimaverhandlungen von Kopenhagen war, zur Finanzierung verpflichtet. Deutschland hat sich verpflichtet, die von Ihnen eben erwähnten 420 Millionen Euro durchschnittlich pro Jahr zu übernehmen; das ist unser Beitrag. Wir werden unter anderem im Bereich "Waldschutz, Wiederaufforstung, nachhaltiges Waldmanagement" investieren. IKI ist Teil der deutschen Fast-Start-Initiative. Jährlich stehen 120 Millionen Euro für die IKI zur Verfügung. Ich möchte darauf hinweisen, dass der Mechanismus, den wir gewählt haben - Versteigerung von Emissionszertifikaten -, weltweit einmalig ist. In Kopenhagen ist mehrfach positiv erwähnt worden, dass Deutschland das einzige Land ist, das einen direkten Zusammenhang zwischen der Reduktion von CO2-Emissionen und innovativen Finanzierungsmechanismen bzw. Investitionen in Klimaschutz herstellen kann. Das ist in Kopenhagen und darüber hinaus sehr gelobt worden. Dass wir erfolgreich sind, zeigt sich allein daran, dass uns für das Jahr 2010 500 Projektskizzen vorlagen. Sie werden zurzeit bewertet. 60 Projekte sind momentan in der Vorauswahl. Ich finde, das zeigt den Erfolg dieser Initiative. Das Angebot, das wir über die Fast-Start-Initiative machen, ist erfolgreich, transparent und wettbewerbsorientiert. Außerdem orientiert es sich am internationalen Klimaschutz. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bevor Frau Kofler ihre zweite Nachfrage stellt, habe ich zwei weitere Fragende, zunächst Herrn Ott. Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, herzlichen Glückwunsch zum knappen Sieg gestern bei der Bundespräsidentenwahl. Wie komme ich darauf? Die fast missglückte Wahl ist ja nicht das einzige Gurkenspiel Ihrer Mannschaft, das wir in der letzten Zeit gesehen haben. Ein weiteres Feld ist die Klimapolitik, bei der Zusagen, die die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung insgesamt gemacht haben - auch Ihr Ministerium und das Ministerium des Kollegen Niebel -, Schritt für Schritt zurückgenommen werden: von einmal versprochenen 420 Millionen Euro pro Jahr für die Jahre 2010 bis 2012 runter auf 70 Millionen Euro. Jetzt soll das, wenn man den Meldungen des Spiegel glauben darf, auf null gesetzt werden. Meine Frage lautet deshalb: Kämpfen Sie, kämpft das Bundesministerium für Umwelt dafür, dass zumindest diese geringen Mittel in Höhe von 70 Millionen Euro für die Jahre 2011 und 2012 zusätzlich in den Haushalt eingestellt werden? Es gab, wie uns zu Ohren gekommen ist, schon internationale Interventionen aus Ländern des Südens, die deutlich machen, dass Deutschland dabei ist, sein Renommee zu verspielen. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Vielen Dank für die Glückwünsche, die ich Christian Wulff und nicht mir persönlich zurechne. Aber ich nehme sie gern entgegen, Herr Kollege. Zu unseren Verpflichtungen: Wir nehmen sie nicht nur ernst, sondern wir wollen und werden unseren Verpflichtungen nachkommen. Denn uns ist sehr bewusst, dass die Glaubwürdigkeit Deutschlands und auch der Europäischen Union bei Cancún und allen weiteren Verhandlungen davon abhängt, Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, einzuhalten. Insbesondere die Entwicklungs- und Schwellenländer schauen darauf, dass konkrete Projekte ans Laufen kommen. Ich glaube, die Zahlen, die ich hier nur kurz skizzieren kann, zeigen, wie attraktiv, glaubwürdig und nachgefragt die Projekte sind. Die Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2011 laufen. Ich kann Ihnen hiermit sagen, dass wir alles unternehmen werden, um die Zusagen zu halten, die Haushaltsmittel tatsächlich abrufen zu können und zur Verfügung zu stellen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Miersch. Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Staatssekretärin, die Kollegen haben eben schon darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung arge Probleme damit hat, die internationalen Verpflichtungen einzuhalten. Nun konnten wir diese Woche einer Pressemeldung entnehmen, dass Sie offenbar für den internationalen Klimaschutz Kredite geben wollen, dass Sie einen Klimaschutzfonds einrichten wollen, der sich vor allen Dingen an Privathaushalte in Entwicklungs- und Schwellenländern richten soll. In der Pressemitteilung heißt es: Zugang zu Finanzierungsmitteln und Beratungsleistungen wird über die Hausbanken ermöglicht. Ich frage Sie - ich denke dabei an die Entwicklungsländer -: Wäre es nicht sinnvoller, wirkliche Investitionen zu ermöglichen, statt Kredite zu vergeben? An welche Hausbanken in Entwicklungsländern denkt die Bundesregierung? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege, diesen Fonds haben wir bereits in Kopenhagen vorgestellt. Ich nehme an, die Kollegen, die mitgefahren sind, werden Ihnen davon und auch von den Reaktionen darauf berichtet haben. Das Innovative an diesem Fonds ist, dass es sich um einen revolvierenden Fonds handelt. Es ist also kein Fonds, bei dem die öffentlichen Mittel aufgezehrt werden, sondern ein Fonds, bei dem die Mittel immer wieder zurückfließen. Wir wissen, dass wir den gesamten weltweiten Bedarf für Klimaanpassung, für den Aufbau von Kapazitäten zum Klimaschutz, zum Ertüchtigen von Entwicklungs- und Schwellenländern, in erneuerbare Energien zu investieren, allein aus staatlichen Geldern nicht decken können und wir Private dazu brauchen. Private wiederum wollen sich absichern, wenn sie sich in Regionen bewegen, die, vorsichtig gesagt, für sie nicht immer übersichtlich sind; sie gehen dabei ein hohes Risiko ein, sowohl hinsichtlich der Technologie als auch des Investments. Deshalb haben KfW und Bundesumweltministerium diesen Fonds über insgesamt 100 Millionen US-Dollar zusammen aufgelegt. Das BMU stellt das Eigenkapital bereit. Wir übernehmen damit auch einen Teil der wirtschaftlichen Risiken, weil, wie ich eben erwähnt habe, private Investoren einen Anreiz brauchen. Wir haben gehört, dass dieser Fonds nicht nur gut ankommt, sondern auch nachgefragt wird. Zumindest haben wir nach Kopenhagen viele Anfragen dazu bekommen. Auch diese Mittel sind innerhalb der IKI, die ich gerade erläutert habe, angesiedelt. Wir erwarten, dass wir pro eingesetzten Euro ungefähr das Fünf- bis Sechsfache herausbekommen bzw. an Investitionen auslösen können, wie wir es auch schon bei Angeboten innerhalb Deutschlands, aber auch bei anderen internationalen Angeboten umsetzen konnten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kofler. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Ich möchte noch einmal nachfragen, weil ich die Antwort auf die Frage des Kollegen sehr ausweichend fand. Eine Analyse der Zusagen der Kopenhagen-Konferenz zeigt, dass alle Zusagen, die Sie in die Fast-Start-Initiative einrechnen, 2007 und 2008 gemacht bzw. in den Haushalt eingestellt worden sind, nämlich 2008 auf dem G-8-Gipfel in Tokio und auf der UN-Biodiversitätskonferenz und 2007 auf dem UN-Klimagipfel auf Bali. Die einzigen beiden Positionen, die neu in den Haushalt eingestellt worden sind, sind die je 35 Millionen Euro in den Etat des BMU und des BMZ. Stimmt es, dass diese Mittel im Haushalt 2011 auf null gesenkt werden sollen? Wie setzt sich das Umweltministerium dafür ein, dass dies nicht passiert? Wie schätzen Sie die Auswirkungen auf die Verhandlungen in Cancún ein, wenn die Mittel auf null gesenkt werden? Dann stehen nämlich die Glaubwürdigkeit unserer Politik und die Zuverlässigkeit unserer Zusagen auf dem Spiel. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin, ich habe gerade ausgeführt, dass die Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2011 laufen. Wir werden Anfang Juli den ersten Haushaltsentwurf im Kabinett beraten, und wir setzen alles daran, dass wir unsere Zusagen einhalten können. Dass wir insgesamt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten leben, dürfte auch der SPD nicht entgangen sein. Wir haben gerade den Vormittag damit verbracht, über Haushaltsrisiken und die damit verbundenen Schwierigkeiten zu sprechen. Dennoch sind wir uns unserer Verantwortung bewusst und werden die Haushaltstitel, die mit der Fast-Start-Finanzierung zusammenhängen, mit konkreten Projekten ausfüllen, um in Cancún glaubwürdig aufzutreten. Ich glaube, dass es nicht nur um Haushaltstitel geht. Ich finde, dass Sie damit die Debatte ein wenig verkürzen. Bitte vergessen Sie nicht, dass wir auf vielen Wegen unterwegs sind, vor allem um wieder Vertrauen aufzubauen, das offenbar in Kopenhagen zerstört wurde. Wir haben mit der Konferenz auf dem Petersberg mit interessierten und engagierten Entwicklungsländern und Industrieländern einen guten Aufschlag gehabt, um die Verhandlungen für Cancún vorzubereiten. Dabei ist nicht nur das Engagement Deutschlands gewürdigt worden, sondern wir haben auch mitgenommen: Je konkreter Initiativen und die bilaterale und trilaterale Zusammenarbeit laufen, desto überzeugender kann ein Land wie Deutschland oder auch die Europäische Union in Cancún auftreten und hoffentlich die Verhandlungen befruchten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen jetzt zu Frage 2 der Kollegin Kofler: Wie bewertet das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Auswirkungen des Marktanreizprogramms auf Investitionen und Steuereinnahmen als Beitrag für einen wirtschaftlichen Aufschwung, und welche Anstrengungen unternimmt das BMU, damit das Marktanreizprogramm und die Internationale Klimaschutzinitiative im Jahr 2011 fortgesetzt werden? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin, ich möchte Ihnen wie folgt antworten: Das Marktanreizprogramm Erneuerbare Energien setzt Anreize zur Errichtung von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien und stützt so die Nachfrage von Privatpersonen und Unternehmen in diesem Bereich. Selbstverständlich führt das dann auch zu zusätzlichen steuerlichen Effekten in diesen Sektoren. Gesamtwirtschaftlich ist dabei aber zu berücksichtigen, dass dann, wenn öffentliche Mittel anderen Verwendungen entzogen werden, dies auch gegenläufige Effekte auslöst. Dass die Bundesregierung überzeugt ist, dass das Marktanreizprogramm ein sinnvolles Programm ist, zeigt sich darin, dass in dem Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2011 die Finanzierung dieses Programms und der Internationalen Klimaschutzinitiative auf hohem Niveau fortgeführt wird. Zu den Auswirkungen des Marktanreizprogramms auf Steuereinnahmen liegt dem BMU keine eigene Analyse vor. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kofler, eine Nachfrage. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Ihre Formulierung "auf hohem Niveau fortgeführt" klingt zwar schön, ist aber natürlich zu hinterfragen. Können Sie mir bestätigen, dass für die beiden Initiativen im Etat 2011 88 Millionen Euro weniger als im Etat 2010 zur Verfügung stehen? Wenn Ihnen keine Erkenntnisse über Steuereinnahmen vorliegen, wie bewerten Sie die Aussage des Ifo-Instituts zum Thema Marktanreizprogramme, dass allein den Ländern und Kommunen in diesem Jahr 151 Millionen Euro an Steuereinnahmen entgehen, wenn jeder zweite Auftrag wegbricht? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin, Ihre Sorge wegen des Programmstopps, der verhängt werden musste, weil wir nach wie vor eine Haushaltssperre von 115 Millionen Euro haben, teile ich. Wir versuchen derzeit in intensiven Verhandlungen, diese Sperre aufzuheben. In der Tat stehen dann in diesem Jahr weniger Mittel zur Verfügung als ursprünglich geplant. Die Nachfrage ist groß; das haben Sie gerade indirekt bestätigt. In diesem Jahr haben wir bereits 138,5 Millionen Euro für 90 000 Investitionsvorhaben ausgezahlt. Wir müssen außerdem die Förderzusagen im KfW-Programm "Erneuerbare Energien" aus den Vorjahren abarbeiten. Da Mittel reduziert wurden, wir aber die Zusagen einhalten wollen, haben wir einen Programmstopp verhängt. Noch einmal: Konkrete Zahlen steuerlicher Natur kann ich Ihnen nicht geben. Was ich allerdings feststelle, ist eine nach wie vor rege Aktivität bei Handwerksbetrieben, nicht nur aufgrund des Marktanreizprogramms. Diese Aktivität bezieht sich unter anderem auf den Solarbereich, etwa auf die PV-Installation. Mir scheint, dass wir durch die Förderung erneuerbarer Energien auf verschiedenen Wegen insgesamt dafür sorgen, dass wir auf der einen Seite einen höheren Anteil erneuerbarer Energien haben - er steigt erfreulicherweise weiterhin - und dass wir auf der anderen Seite sehr wohl einen Beitrag zur Förderung der Investitionen von Handwerk und Mittelstand leisten. (Jens Ackermann [FDP]: So ist es!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kofler, Sie haben das Wort zu einer weiteren Nachfrage. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Sie haben zum Schluss das Handwerk und den Mittelstand angesprochen. Sie haben darauf hingewiesen, dass das Marktanreizprogramm durchaus sehr attraktiv ist. Können Sie bestätigen, dass trotz dieser Attraktivität eine Kürzung in diesem Haushaltstitel vorgesehen ist? Wie bewerten Sie die Aussagen zahlreicher Handwerksbetriebe, kleiner Unternehmen und Verbände in den verschiedensten Regionen Deutschlands, die schwere wirtschaftliche Einbußen befürchten? Ist es richtig, Mittel für Programme zu kürzen, die ökologisch sinnvoll sind? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin, wie ich gerade gesagt habe, bemühen wir uns seit Wochen und Monaten unter tatkräftiger Mithilfe der Fachpolitiker, diese Haushaltssperre aufzuheben. Ich sage erneut, dass wir nach wie vor über den Haushaltsentwurf 2011 verhandeln. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Ott, bitte. Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich bin der Kollegin Kofler sehr dankbar, dass sie die Frage nach den steuerlichen Wirkungen der Streichung des Marktanreizprogramms gestellt hat. Ich bin etwas enttäuscht über die Antwort. Die Bundesregierung ist sich überhaupt nicht darüber im Klaren, was für negative, schädliche Folgen ihre Handlung auf die Konjunktur hat. Ich möchte den Blick von den Steuereinnahmen ab- und zu den wirtschaftlichen Aktivitäten hinwenden. Ich sehe den Kollegen Peter Hintze aus dem Wirtschaftsministerium bei Ihnen sitzen. Mein Kollege ist er nicht nur als MdB, sondern auch als Wuppertaler Abgeordneter. Haben Sie sich mit dem Kollegen vom Wirtschaftsministerium einmal zusammengesetzt oder haben Sie vor, das zu tun, um die Auswirkungen der Streichungen beim Marktanreizprogramm auf die lokale und regionale Wirtschaft zu untersuchen? Schätzungen gehen nämlich davon aus, dass allein der in Wuppertal ansässigen Wirtschaft, den kleinen und mittelständischen Unternehmen, mehrere 100 000 Euro entgehen werden. Meine Frage ist also: Setzen Sie sich mit dem Kollegen Hintze und anderen zusammen, um die Auswirkungen einer Streichung des Marktanreizprogramms auf die lokale Wirtschaft zu untersuchen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege, zu Ihrer Erbauung, vielleicht auch zu Ihrem Missfallen muss ich Ihnen sagen, dass ich quasi täglich mit Peter Hintze zusammensitze. (Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ein Vergnügen ist, nehme ich an!) - Sehen Sie! Kein Neid auf den Plätzen der Opposition! Weil wir uns gerade mit der Historie und den Entwicklungen der Zukunft beschäftigen, möchte ich einmal darauf hinweisen, dass es zur Zeit von Rot-Grün - da gab es dieses Programm auch schon - ein ständiges Auf und Ab gab und wir deutlich weniger Geld zur Verfügung hatten, als wir es jetzt haben. Wir haben in der Großen Koalition gemeinsam dafür gesorgt, dass die Mittel des MAPs verrechtlicht wurden, und wir haben den entsprechenden Ansatz mehr als verdoppelt, infolge guter Zertifikatserlöse sogar fast verdreifacht. Dieser unmittelbare Zusammenhang zwischen Zertifikatserlösen und MAP war im Haushalt 2009 nicht mehr gegeben. Da hat das Umweltministerium noch unter Minister Gabriel nicht mehr hart genug dafür gekämpft, das Geld zu bekommen. Das Geld für das MAP ist aber geblieben. Wir haben dafür gesorgt, dass über einen langen Zeitraum sehr stabil sehr viel in den Klimaschutz investiert wurde. Noch einmal: Gerade in diesem Bereich sollen die Haushaltsverhandlungen dafür sorgen, dass wir die Investitionen stabil halten; denn wir wissen gerade aus der rot-grünen Zeit, was ein dauerndes Auf und Ab bei Förderprogrammen für die Wirtschaft und die Investoren bedeutet. Sie wissen auch, dass die Zertifikatspreise, die wir in guten Zeiten ansetzen konnten - etwa 20 Euro -, in der Rezession auf mittlerweile knapp 15 Euro gerutscht sind. Auch da fehlt es an Geld. Das müssen und wollen wir kompensieren; wir wollen an der Stelle Sicherheit schaffen. Das weiß auch das Wirtschaftsministerium. Insofern verhandeln wir beim Haushalt 2011 über Finanzsicherheit. Parallel kämpfen wir beim Haushaltsausschuss und beim Finanzminister gemeinsam für die Entsperrung der Mittel. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt der Kollege Miersch. Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Staatssekretärin, Sie haben eben davon gesprochen, dass die Bundesregierung in Kopenhagen viel Lob geerntet habe und dass ich mir darüber von Kollegen hätte berichten lassen können. Ich will Sie darauf hinweisen, dass ich einer der dort anwesenden Kollegen war. Ich konnte allerdings kein Lob vernehmen, sondern viel Entsetzen über das Agieren der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Die Grundsätze des Klimaschutzes und die Glaubwürdigkeit sind beim Marktanreizprogramm doch an eklatanter Stelle verletzt worden. Oder würden Sie allen Handwerkern, Handwerkspräsidenten und Unternehmen, die in den letzten Wochen das BMU kontaktiert haben, nicht recht geben, dass der Förderstopp eine entscheidende Investitionsbremse ist und dass alles getan werden muss, damit sich so etwas im Haushalt 2011 nicht wiederholt? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zum einen: Ich teile Ihre Einschätzung zu Kopenhagen nicht. Zum zweiten - ich wiederhole mich -: Wir finden genau wie die SPD und die Grünen, dass das Marktanreizprogramm wichtig ist. Wir bedauern den jetzigen Förderstopp und arbeiten gemeinsam an der Aufhebung der Sperre. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Fell. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin Staatssekretärin Reiche, ich nehme Ihre Aussage, dass Ihnen der Haushaltsstopp beim Marktanreizprogramm Sorgen macht und Sie negative Auswirkungen befürchten, gerne zur Kenntnis. Diese negativen Auswirkungen sind aber seit langem bekannt: Mit dem Tag des Förderstopps waren am Markt sofort Stornierungen erfolgt. Firmen haben sich hilfesuchend an uns gewandt. Als ich einige Wochen später die Bundesregierung fragte, haben Sie mir für die Bundesregierung schriftlich geantwortet, dass der Bundesregierung keine Auswirkungen des Förderstopps beim Marktanreizprogramm bekannt sind. Ich frage Sie: Inwiefern sind Ihnen inzwischen Auswirkungen bekannt? Haben Sie Zahlen, die belegen, wie massiv der Einbruch der Nachfrage nach Solarwärmeanlagen, Holzpelletsanlagen, Wärmepumpen und anderen Heizungsanlagen war, nachdem diese nicht mehr durch entsprechende Programme gefördert wurden? Wie groß ist der Schaden, der durch den Förderstopp entstanden ist? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Konkrete Zahlen über Absagen oder nicht erfolgte Aufträge kann ich Ihnen nicht nennen. Ich habe bereits Frau Kollegin Kofler geantwortet, dass keine konkreten steuerlichen Daten vorliegen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Frage 3 des Abgeordneten Gerd Bollmann zum Zeitplan für die Umsetzung der EU-Abfallrahmenrichtlinie in nationales Recht. Diese Frage wird schriftlich beantwortet. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Scheer zur regionalen Wertschöpfung und Akzeptanz von Windenergieanlagen werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Kollegen Miersch auf: Wie beurteilt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten im Rahmen der Verhandlungen über die Novelle zur IVU-Richtlinie über eine Übergangsfrist bis Ende 2023 für veraltete Kraftwerke und Großfeuerungsanlagen, innerhalb der diese umgerüstet oder abgeschaltet werden müssen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Miersch, Ihre Frage nimmt offensichtlich Bezug auf Art. 33 der IVU-Richtlinie über Ausnahmen von emissionsbegrenzten Anforderungen an Großfeuerungsanlagen mit einer begrenzten Restlaufzeit. Es handelt sich um die sogenannte Opt-out-Regelung. Im Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 15. Februar 2010 war bereits eine entsprechende Regelung vorgesehen. Sie war aus Sicht der Bundesregierung akzeptabel, weil sie zeitlich bis Ende 2023 und auf insgesamt 20 000 Betriebsstunden begrenzt war. Der gefundene Kompromiss stellt gegenüber dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates aus Sicht des BMU eine Verbesserung dar, weil die Restlaufzeit auf 17 500 Betriebsstunden begrenzt wurde. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dazu gibt es keine Nachfrage. Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Miersch auf: Welche Erkenntnisse hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit über die Auswirkungen des seit fast 20 Jahren aus einem explodierten Bohrloch der Firma Exxon Mobil in der Nordsee ausströmenden Methangases auf die Umwelt und das Klima, und in welcher Weise wird dazu mit der britischen Regierung zusammengearbeitet? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Miersch, ich hätte Ihnen gerne noch etwas zur EU-Richtlinie und zu den Verhandlungen erzählt. Aber ich komme zu Ihrer nächsten Frage. (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Das können Sie mir dann ja schreiben!) - Ja, das schreibe ich Ihnen. Ich möchte Ihnen wie folgt antworten. Vom britischen Umweltministerium, dem Department for Environment, Food and Rural Affairs, wurde dem Bundesumweltministerium im März 2010 auf Anfrage Folgendes mitgeteilt: Bei einer Explorationsbohrung durch Mobil Oil wurde im November 1990 eine vergleichsweise nahe an der Oberfläche liegende, unter hohem Druck stehende Gasblase - shallow gas deposit - getroffen, wodurch es zu einem Blow-out mit Bildung eines großen Kraters kam. Versuche, das Leck zu schließen, verliefen erfolglos. In den 1990er-Jahren hat sich der Gasausstrom so weit reduziert, dass das Leck weder als Gefahr für die Umwelt noch für die Schifffahrt angesehen wurde. Die Stelle wurde aber in Seekarten mit Warnhinweisen markiert. Es gibt Hinweise, dass sich im Bereich der Leckage eine spezielle Ökosystemstruktur ausgebildet hat. Nach den vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, dem IFM-GEOMAR, bestätigten Informationen betrug der Gasaustritt 1994 circa 25 Prozent des gesamten Methanausstoßes der Nordsee. Neuere Messungen aus dem Jahr 2006 zeigten, dass vom Methanstrom aus dem Leck circa ein Drittel an die Wasseroberfläche gelangt und zwei Drittel im Meerwasser gelöst oder von Bakterien oxidiert werden. Dabei ist es im Bereich des Kraters zur Ausbildung eines Ökosystems mit hochspezialisierten Bakterien, Muscheln, Blumentieren und Fischen gekommen. Die Stärke der Quelle ist lokal erheblich. Die Auswirkungen dieser einzelnen Quelle auf das Weltklima sind eher gering. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort zu einer Nachfrage hat Herr Miersch. Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Staatssekretärin, teilen Sie meine Einschätzung, dass wir somit auch vor der Haustür - in der Nordsee - eine Situation haben, wo wir es mit einem Leck zu tun haben - allerdings nicht mit einem Ölleck - und es mit den technischen Möglichkeiten seit 20 Jahren nicht gelingt, es zu schließen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Anders als im Golf von Mexiko - ich glaube, nach dieser Parallele fragen Sie - handelt es sich hier nicht um ein Bohrloch, sondern um einen Krater, der wohl nur mit ganz erheblichen Schwierigkeiten zu verschließen wäre, was in der Vergangenheit auch gescheitert ist. Von der Leckage geht aber - anders als im Golf von Mexiko - keine vergleichbare Umweltgefährdung aus. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass sich verschiedene Institute das angeguckt haben. Noch einmal: Etwa ein Drittel des Methans gelangt an die Oberfläche; zwei Drittel werden im Meerwasser gelöst bzw. von spezialisierten Bakterien, die sich im Bereich der Austrittsstelle angesiedelt haben, verstoffwechselt. Insofern wird auch ein Teil des austretenden Methans eliminiert. Die Bakterien - so sagen uns Ökologen - bilden zudem eine lokale Nahrungsgrundlage für andere Organismen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Miersch. Dr. Matthias Miersch (SPD): Das war - jedenfalls nach meiner Auffassung - nicht meine Frage, aber ich will jetzt meine zweite Nachfrage damit nicht verbrauchen. Wir konnten vernehmen, dass in den letzten Wochen sogar Bundes- bzw. Landesumweltminister die Bundesregierung aufgefordert haben, die Sicherheitsvorkehrungen und die Gesetze in Bezug auf Tiefsee-, aber auch andere Bohrungen zu prüfen. Können Sie mir über die Schritte, die das Bundesumweltministerium diesbezüglich in den letzten Wochen unternommen hat, etwas sagen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zum einen, Herr Kollege, haben Sie völlig recht, wenn Sie bemerken oder in Ihrer Frage implizieren, dass es, wenn man Erdöl oder auch Erdgas ausbeutet, immer gewisse Risiken gibt. Ich habe aber auch schon im Ausschuss erläutert, dass wir sowohl an die Gas- als auch an die Ölexploration, bei dem, was wir in Deutschland zu verantworten haben - Stichwort: Doggerbank -, mit sehr viel höheren Standards, mit sehr viel mehr Überprüfung, Absicherung von Risiken sowie auch mit anderen Erkundungsmethoden herangehen, als das beispielsweise im Golf von Mexiko der Fall gewesen ist. Was tun wir? Es gibt in der Tat einen Austausch mit Fachleuten aus Niedersachsen, die wir hinsichtlich der Förderung in Schleswig-Holstein fachlich mit in Anspruch genommen haben. Auch Bundesumweltminister Röttgen hat kürzlich in einem Interview noch einmal darauf hingewiesen, dass unsere gesamte Politik darauf gerichtet sein muss, weniger Explorationen zu haben; Stichwort: Weg vom Öl, weg vom Verbrauch fossiler Energieträger. Solange wir diese aber brauchen, müssen wir, wo es in unserer Verantwortung liegt, alles unternehmen, die Risiken möglichst zu minimieren. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Fell. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin Reiche, ich will das nur klarstellen, weil sich ansonsten ein interessanter und eigentlich unglaublicher Verdacht entwickeln könnte, nachdem Sie auf die Frage des Herrn Kollegen Miersch eine Antwort gegeben haben, nach der er gar nicht gefragt hatte, nämlich einem Dimensionsvergleich zwischen dem Krater in der Nordsee, aus dem Methan ausgestoßen wird, und dem Leck im Golf von Mexiko. Ich bin mir sicher, dass Herr Miersch nicht gemeint hat, dass dieser Krater in der Nordsee die gleiche Dimension hat. Sie haben es aber auf diese Ebene gehoben und gesagt, solche Auswirkungen gebe es nicht. Sie haben nur entlastende und beschwichtigende Argumente gebracht, die diesen Methangasausstoß eigentlich verharmlosen und verniedlichen. Deswegen will ich noch einmal nachfragen, ob es wirklich Ihre Meinung ist, dass man solche Leckagen und Umweltauswirkungen bei den konventionellen Energieträgern Öl und Gas nur dann als schlimm empfindet, wenn sie Auswirkungen haben, wie sie im Golf von Mexiko durch das dortige Bohrloch entstanden sind. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege, wenn Sie unterstellen, dass die Bundesregierung Havarien oder auch Risiken nicht ernst nehme, dann weise ich dies wiederum zurück. Ich weise noch einmal darauf hin, dass Explorationen hierzulande mit sehr viel höheren Sicherheitsstandards gefahren werden. Sowohl bei der Exploration als auch beim Betrieb überprüfen wir sehr viel mehr. Ferner werden die Mitarbeiter geschult. Das habe ich im Ausschuss erläutert. Das, was ich mündlich vorgetragen habe, habe ich Ihnen auch schriftlich zukommen lassen. Ich bin mir sicher, Sie werden das intensiv gelesen haben. "Verharmlosung" ist nicht das Stichwort, sondern "Minimierung der Risiken", so gut es technisch geht. Ich bin überzeugt, dass sowohl das zuständige Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie des Landes Niedersachsen als auch die Unternehmen daran arbeiten, Möglichkeiten zu entwickeln, um noch genauer hinzuschauen. In der Vorlage, die Ihnen das BMU hat zukommen lassen, finden Sie Angaben dazu, welche Sicherheitsstandards bei uns gelten, welche Überprüfungen bei uns Standard sind und welche Anforderungen es gibt. Insofern möchte ich Ihre Aussage, dass wir Risiken verharmlosen oder erst dann aktiv würden, wenn etwas passiert, zurückweisen. Das ist definitiv nicht der Fall. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Ott. Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. - Ich glaube, ich muss meinen Kollegen Hans-Josef Fell in Schutz nehmen. Er meinte das sicherlich nicht so, dass Sie irgendetwas verharmlosen wollen. Ich muss in Bezug auf die Frage des Kollegen Miersch eine Nachfrage stellen. Gerade im Hinblick auf die Befürchtung, dass auch im Golf von Mexiko die gesamte Kammer einbricht, dort ein Riesenkrater entsteht und sich das gesamte Öl auf einmal in den Ozean ergießt, frage ich Sie: Gibt es im BMU Überlegungen, ob nicht alle Bohrungen unterhalb des Meeresspiegels unterlassen werden sollten bzw. ob zumindest in deutschen Gewässern, auf die wir direkt Einfluss haben, keinerlei Bohrungen mehr erfolgen sollten? Bei einer solchen Bohrung kann immer ein Unfall passieren. Es kann immer passieren, dass Kavernen einstürzen und plötzlich eine Situation entsteht, die überhaupt nicht mehr zu beherrschen ist. Wir haben nur Glück, dass bei diesem Erdgasausstoß anscheinend keine größeren Umwelt- und Menschenschäden zu beklagen sind. Gibt es solche Überlegungen im BMU? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Es gibt keine Überlegungen, laufende Vorhaben zu unterbinden. Außer den 17 Förderbohrungen auf der Mittelplate und der auf der A6-A - Informationen dazu habe ich Ihnen zukommen lassen - sind keine Details zu Explorationsvorhaben oder Planungen bekannt. Weitere sind unserer Kenntnis nach nicht in Planung. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen jetzt zu Frage 8 der Kollegin Ute Vogt, die schriftlich beantwortet wird, ebenso wie die Fragen 9 und 10 des Kollegen Frank Schwabe und die Frage 11 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl. Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Oliver Kaczmarek auf, die jetzt beantwortet wird: Wie ist der aktuelle Stand der Erarbeitung der Grundwasserverordnung innerhalb der Bundesregierung, und in welcher Form plant die Bundesregierung die Beteiligung des Deutschen Bundestages? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Kaczmarek, Sie erkundigen sich nach dem Stand der Erarbeitung der Grundwasserverordnung und insbesondere nach der Beteiligung des Bundestages, was mich nicht verwundert. Der Entwurf einer Verordnung zum Schutz des Grundwassers - so möchte ich Ihnen antworten - ist zurzeit in der Abstimmung zwischen den Ressorts. Es ist geplant, den Entwurf Mitte Juli 2010 dem Kabinett zur Billigung vorzulegen. Im September 2010 soll der Entwurf dann im Bundesrat behandelt werden. Die Konkretisierung des Besorgnisgrundsatzes entsprechend § 48 Wasserhaushaltsgesetz, der der Zustimmung des Bundestages bedarf, wurde im Verlauf der Ressortabstimmungen zunächst aus dem Verordnungsentwurf herausgenommen. Damit bedarf der Verordnungsentwurf nicht mehr der Zustimmung des Bundestages. Die Konkretisierung der Anforderungen aus dem § 48 des Wasserhaushaltsgesetzes soll zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen einer Artikelverordnung zusammen mit der geplanten Ersatzbaustoffverordnung und der Novelle der Bundes-Bodenschutzverordnung geregelt werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kaczmarek, eine Nachfrage? - Bitte schön. Oliver Kaczmarek (SPD): Zunächst einmal, Frau Staatssekretärin, vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage. - Ich beziehe mich auf die Schadstoffeinträge bzw. auf die Vorgaben, die zu erlassen sind. Nach Prognosen wird es so sein, dass knapp die Hälfte der Grundwasserkörper bis 2015 keinen chemisch guten Zustand erreichen wird. Viele Verbände haben darauf hingewiesen, dass die diffusen Einträge aus der Landwirtschaft in dem vorliegenden Entwurf nicht ausreichend berücksichtigt werden, der sich - wie Sie sagen - in der Abstimmung befindet. Deswegen die Frage: Wie beurteilen Sie diese Stellungnahmen? Können Sie sie beurteilen, und können Sie Auskunft darüber geben, ob es in dieser Hinsicht noch Änderungsbedarf gibt? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Das Bundesumweltministerium hatte einen Entwurf geplant, der auf einem Schwellenwertkonzept basiert. Im Laufe der Ressortverhandlungen ist man allerdings zu dem Schluss gekommen, dass ein Schwellenwertkonzept, das wichtig für die Einträge ist, auf die Ihre Frage abzielt, erst in einem nächsten Anlauf, nämlich dann, wenn wir die Ersatzbaustoffverordnung verabschieden, vorgelegt wird. Es war angemahnt worden, dass die Politikfolgenabschätzung für die einzelnen Stoffe, die wir im Blick hatten, noch nicht umfassend genug gewesen ist, dass Materialwerte weiter bewertet werden müssten. Uns als Bundesumweltministerium kommt es darauf an, die Wasserqualität auf höchstem Niveau zu halten. Wir halten das auch mit Blick auf den Ressourcenschutz für wichtig. Da wir fachlich so gut wie möglich arbeiten wollen, haben wir das Schwellenwertkonzept noch einmal zurückgenommen, um die fachliche Arbeit zu erledigen und wissenschaftlich das zu erbringen, was gefordert wurde, und wollen dann im Herbst an die Erarbeitung der Ersatzbaustoffverordnung gehen, die das Schwellenwertkonzept umfassen soll. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Noch eine Nachfrage? - Bitte sehr. Oliver Kaczmarek (SPD): Meine Frage geht in die Richtung, die Sie schon angesprochen haben. Ich beziehe mich auf die Schadstoffeinträge durch Bauprodukte im Grundwasser. Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie in dem ersten Entwurf geregelt, dass die Erlaubnis nach Wasserhaushaltsgesetz dann erteilt wird, wenn die Schwellenwerte insgesamt nicht überschritten werden. Es gibt einen neuen Entwurf, nach dem es möglich sein soll, dass verunreinigtes Grundwasser in einem angemessenen Zeitraum toleriert wird, nämlich im Durchschnitt über einen kurzen Zeitraum und in räumlich begrenztem Volumen. Können Sie sagen, auf welcher Grundlage Sie zu diesen Veränderungen gekommen sind und ob das mit den EU-Vorgaben vereinbar ist? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich fange mit der Frage nach den EU-Vorgaben an. Ja, es ist damit vereinbar. Allerdings sind wir auch unter zeitlichem Druck, weil wir die Verordnung schon längst hätten umsetzen müssen und uns in einem Vertragsverletzungsverfahren befinden. Das Schwellenwertkonzept geht - das haben Sie völlig richtig gesagt - davon aus, dass dann, wenn ein bestimmter Wert unterschritten wird, eine Genehmigung erteilt wird. Die Philosophie dahinter war, einen hohen Umweltschutz, einen hohen Schutz des Gutes Wasser zu haben, allerdings gepaart mit Verfahrenserleichterungen. Dieses Konzept hat noch nicht jeden überzeugt. Deswegen haben wir das Schwellenwertkonzept zunächst he-rausgenommen. Wir wollen es dann in die Ersatzbaustoffverordnung, die in einem unmittelbaren fachlichen Zusammenhang auch mit den von Ihnen erwähnten Bauzusatzstoffen steht, einbringen. Unser Ziel ist es aber zunächst, bei der Europäischen Kommission etwas abzuliefern, was die Richtlinie eins zu eins umsetzt und für einen hohen Wasserschutz sorgt. Wir hoffen, noch in diesem Jahr mit einem auch ein Schwellenwertkonzept umfassenden Entwurf aufwarten können. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vielen Dank. Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Der Kollege Parlamentarischer Staatssekretär Thomas Rachel steht für die Beantwortung zur Verfügung. Wir beginnen mit der Frage 13 des Kollegen Röspel zum Beitrag der Grünen Gentechnik: Ist die Erklärung der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, dass die sogenannte Grüne Gentechnik einen Beitrag zur Welternährung leisten kann (Pressemitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung "Gentechnik kann Beitrag zur Welternährung leisten" vom 8. Juni 2010), dahin gehend zu verstehen, dass die Bundesministerin Dr. Annette Schavan davon ausgeht, dass transgene Pflanzen einen wesentlichen Beitrag zur Lösung des Problems der Welternährung leisten können, und auf welchen wissenschaftlichen Gutachten basiert diese Argumentation? Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Lieber Herr Kollege Röspel, Frau Bundesministerin Annette Schavan geht davon aus, dass die Gentechnik einen Beitrag zur weltweiten Ernährungssicherheit leisten kann. Die Potenziale der Gentechnik werden in einer Vielzahl von Publikationen beschrieben, beispielsweise in der Broschüre Grüne Gentechnik der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie in der dort angegebenen Literatur, aber auch in einer Vielzahl von referierten wissenschaftlichen Publikationen. In dem Zusammenhang verweise ich auf Nature Biotechnology von 2010, Jahrgang 28, Heft 4, Seite 319 bis 321. René Röspel (SPD): Vielen Dank. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann kommen wir zu zwei Fragen der Kollegin Sager. Hier geht es um die Umstrukturierung der medizinischen Forschung und Lehre in Schleswig-Holstein. Zunächst die Frage 14: Wie steht die Bundesregierung zu den Plänen, wie sie in der Presse zu lesen waren, die Medizinerausbildung aus der Universität Lübeck herauszulösen und in das Forschungszentrum Borstel zu integrieren und anschließend das Forschungszentrum Borstel von der Leibniz-Gemeinschaft in die Helmholtz-Gemeinschaft zu überführen, und ist vorgesehen, im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der medizinischen Forschung und Lehre in Schleswig-Holstein zusätzliche Bundesmittel nach Schleswig-Holstein zu transferieren? Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Kollegin Sager, die Universität Lübeck ist eine Hochschule in der Rechtsträgerschaft des Landes Schleswig-Holstein. Maßnahmen zur strukturellen Umgestaltung der Medizinischen Fakultät an der Universität Lübeck fallen demnach logischerweise nicht in die Entscheidungskompetenz des Bundes, sondern in die originäre Zuständigkeit des jeweiligen Landes, in dem Fall Schleswig-Holsteins. Insofern sind auch Aussagen der Bundesregierung zu Finanzierungs- oder Umsetzungsszenarien, wie einer möglichen Integration von Teilbereichen der Universität Lübeck in das Forschungszentrum Borstel oder Überführungen von der Leibniz-Gemeinschaft in die Helmholtz-Gemeinschaft, in Anbetracht des geltenden föderalistischen Kompetenzgefüges und des aktuellen Verfahrensstandes nicht angezeigt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine Nachfrage, Frau Sager. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, Ihre Ministerin Frau Schavan wurde am 16. Juni mit der Aussage zitiert: "Ich will nicht mit ansehen, wie der Studiengang abgewickelt wird" und am 17. Juni mit dem Satz: "Wir prüfen Möglichkeiten einer Hilfe" - alles bezogen auf die Ankündigung, dass im Sparpaket von Schleswig-Holstein die Abwicklung des Studiengangs Medizin an der Universität Lübeck vorgesehen ist. Was haben Ihre Prüfungen in Bezug auf die Möglichkeit einer Hilfe inzwischen ergeben, und in welcher Weise will Frau Schavan der Abwicklung dieses Studiengangs entgegentreten? Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Kollegin Sager, bei der genaueren Betrachtung des Themas wird deutlich, dass die Universität Lübeck und die Frage der Ausgestaltung oder Veränderung der Medizinischen Fakultät in die Entscheidungskompetenz des dafür zuständigen Landes Schleswig-Holstein fallen und insofern auch Schleswig-Holstein entsprechend der eigenen politischen Prioritätensetzung und auch den fachlichen Einsichten in der Frage zu entscheiden hat. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine weitere Nachfrage, Frau Sager. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Darf ich das so verstehen, dass die Aussagen von Frau Schavan: "Ich will nicht mit ansehen, wie der Studiengang abgewickelt wird" und: "Wir prüfen Möglichkeiten einer Hilfe" in Wirklichkeit nur heiße Luft gewesen sind und dass in Wirklichkeit gar nichts geprüft wird? Oder haben Sie Pläne im Zusammenhang mit der angeblichen Zusage, dass Schleswig-Holstein bis zu 100 Millionen Euro als Belohnung dafür bekommen soll, dass es dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz am Ende im Bundesrat doch zugestimmt hat? Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Das dürfen Sie so nicht verstehen. Ich verweise darauf, dass selbstverständlich bei allen Aktivitäten sowohl die Länder als auch der Bund die jeweiligen gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten haben, und auch die Bundesbildungs- und -forschungsministerin wird dies selbstverständlich tun. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr von Notz. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, am 14. Juni 2010 gab es ein Treffen zwischen der Bildungsministerin, Herrn Carstensen und Herrn Kubicki, das genau dieses Thema zum Gegenstand hatte. Die von meiner Kollegin zitierten Sätze sind dort so gesagt worden. Insofern verwundern Ihre Antworten. Vielleicht können Sie mit der folgenden Frage mehr anfangen: Hält es die Bundesregierung für möglich, durch die von der Bundesforschungsministerin angeregte Rücknahme des Mehrwertsteuerprivilegs für Hotels die Einnahmesituation Schleswig-Holsteins so zu verbessern, dass die dortige schwarz-gelbe Landesregierung vom Abbau der Medizinstudienplätze in Lübeck absehen kann? (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Was ihr damit alles bezahlen wollt!) - Das hat die Ministerin angeregt. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Die Ministerin ist eine hervorragende Fachkraft!) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Kollege, mit Ihrer Frage beziehen Sie sich auf die Frage 17 des Kollegen Sönke Rix. - Die Mehrwertsteuerhöhe wird in einer Kommission noch einmal in Ruhe behandelt werden. Insofern wäre es zu früh, heute abschließende Aussagen dazu zu machen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist natürlich schade! Darf ich noch eine Frage stellen?) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nein, da Sie nicht die Ursprungsfrage, sondern nur eine Nachfrage gestellt haben. Ich gebe jetzt noch drei Nachfragenden zu dieser Frage das Wort. Danach ist die Zeit für unsere Fragestunde abgelaufen. - Herr Rossmann, bitte. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Kollege Rachel, ist es richtig, dass der Bund in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz vertreten ist? Wenn das so ist und wenn sich diese Gemeinsame Wissenschaftskonferenz aktuell damit befasst, einen Gesamtplan hinsichtlich des Bedarfs an und der Versorgung mit Medizinstudienplätzen für Deutschland mit zu erarbeiten: Macht es dann nicht doch Sinn, dass sich auch der Bund dazu stellt? Meine konkreten Fragen lauten: Wie stellt sich der Bund dazu, dass in Lübeck real hochqualifizierte Studienplätze, die zu einer Bestbewertung der Medizinischen Fakultät an dieser Hochschule beigetragen haben, abgebaut werden sollen, was nicht nur für Schleswig-Holstein, sondern hinsichtlich der gesamten Versorgung mit Studienplätzen der Medizin in Deutschland einen gravierenden Einschnitt bedeuten könnte? Können Sie bestätigen, dass dies von der Ministerin durchaus auch sehr kritisch wahrgenommen worden ist, weshalb sie sich ja dafür engagiert hat? Von daher ist es umso unverständlicher, dass Sie davon jetzt weder etwas wissen noch die Ministerin in ihrem Bemühen stützen wollen, dieser besonderen Universität Lübeck für den medizinischen Bereich eine Unterstützung zu geben - egal, auf welchem Weg. Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Kollege Dr. Rossmann, die Studienplätze für Medizin in der Bundesrepublik Deutschland sind Gegenstand in den Gesprächen zwischen den Bundesländern und der Bundesregierung in den dafür vorgesehenen Gremien. Eine Einzelbetrachtung eines Hochschulstandortes kann für die dafür zuständige Landesregierung besonders relevant sein, die dort auch in der Verantwortung ist. Die Länder haben generell die Möglichkeit, eine Unterstützung des Bundes im Rahmen des Hochschulpakts 2020 zu erhalten, wenn sie zusätzliche Studienplätze im Bereich Medizin zur Verfügung stellen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Darf ich noch eine zweite Frage stellen?) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Hiller-Ohm, bitte. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Herr Staatssekretär, durch die Schließung der Medizinerausbildung an der Universität Lübeck ist auch der Bestand der gesamten Universität Lübeck stark gefährdet. Ich frage Sie, welche Schlussfolgerungen die Bundesregierung aus den Befürchtungen zieht, dass mit der Schließung der Universität Lübeck auch Forschungseinrichtungen in der Region Schaden nehmen könnten? Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft hat zum Beispiel geäußert, dass das Borsteler Leibniz-Zentrum gezwungen sein könnte, sich anders, beispielsweise in Richtung Hamburg, zu orientieren. Meine Frage dazu: Wie plant die Bundesregierung zu verhindern, dass durch die Schließung der Medizinischen Fakultät in Lübeck auch vom Bund mitfinanzierte Einrichtungen Schaden erleiden? Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrte Frau Kollegin, die Frage, welche weitere Existenz, welche Veränderungen oder Nichtveränderungen Hochschulstandorte haben, fällt nach unserem Grundgesetz ausschließlich in die Zuständigkeit des jeweiligen Bundeslandes. Insofern ist die Frage von der zuständigen Landesregierung zu beantworten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die letzte Frage stellt der Kollege Röspel. Bitte René Röspel (SPD): Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Medienberichten zufolge die Landesregierung von Schleswig-Holstein eine Bewerbung der Universität Lübeck im Rahmen der Fortsetzung der dritten Exzellenzinitiative als nicht erwünscht abgelehnt und jegliche Unterstützung seitens des Landes Schleswig-Holstein abgelehnt hat, um die Bewerbung der Universität Kiel in gleicher Sache nicht zu gefährden, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus für die weitere Ausgestaltung und Bewertung der Exzellenzinitiative? Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Kollege Röspel, die Exzellenzinitiative hat sich bisher als außerordentlich interessante und erfolgreiche Stimulierung der Forschung an den deutschen Hochschulen herausgestellt. Wir haben bereits in den ersten Monaten und Jahren feststellen können, dass sie eine dynamische Entwicklung an den Hochschulen und eine engere Kooperation zwischen den Hochschulen und außeruniversitären Forschungspartnern bewirkt hat. Wir als Bundesregierung sind sehr gespannt, welche Bundesländer und welche Hochschulstandorte sich in der dritten Runde der Exzellenzinitiative bewerben werden. Die Bundesregierung wird weder die Initiative ergreifen, damit sich einzelne Regionen bewerben, noch wird sie einzelne Regionen davon abhalten, sich zu bewerben. Es ist ausschließlich Aufgabe der zuständigen Hochschulinstitutionen, dies gegebenenfalls im Zusammenwirken mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen und gegebenenfalls in einer Diskussion mit dem zuständigen Land zu tun. Die Bewertung der anschließend eingehenden Vorschläge wird ausschließlich auf wissenschaftlicher Grundlage und anhand wissenschaftlicher Expertise erfolgen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Darf man noch eine Frage stellen?) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nein. Wir sind bereits sechs Minuten über die Zeit. - Deswegen beende ich jetzt die Fragestunde.1 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des § 33 des Gerichtsverfassungsgesetzes - Drucksache 17/1462 - Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) - Drucksache 17/2350 - Berichterstattung: Abgeordnete Ansgar Heveling Christine Lambrecht Jörg van Essen Jens Petermann Jerzy Montag Zwischen den Fraktionen ist verabredet, hierzu eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Bundesministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf sollen zwei unterschiedliche Probleme gelöst werden, und zwar in der Art und Weise, dass im Ergebnis der Rechtsstaat gestärkt wird. Mit der Ergänzung des Schöffenrechts greifen wir einen Vorstoß der Länder auf. Niemand kann - darüber sind wir uns einig - an einem Strafprozess als Schöffe sinnvoll mitwirken, wenn er die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrscht. Er kann in diesem Fall dem Lauf der Verhandlung nicht richtig folgen, und er kann bei der abschließenden Beratung des Gerichts nicht richtig mitwirken. Es hat in der Vergangenheit Einzelfälle gegeben, in denen genau das der Fall gewesen ist. Dieser Missstand wird mit diesem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 33 des Gerichtsverfassungsgesetzes aufgegriffen. Es geht um die Gründe für die Nichtberufung in das Amt des Schöffen. Es soll festgeschrieben werden, dass künftig niemand zum Schöffen berufen werden soll, der die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrscht. Das richtet sich zunächst an die Institutionen, die die Schöffen wählen, aber es wird auch eine gesetzliche Grundlage geschaffen, damit jemand von der Schöffenliste gestrichen werden kann. Wichtig ist - das betone ich hier ausdrücklich, weil es in den Beratungen des Rechtsausschusses eine Rolle gespielt hat -, dass die Anforderungen an die Sprachkenntnisse nicht überspannt werden dürfen. Es geht nicht darum, das gesamte juristische Fachvokabular zu beherrschen, sondern es geht darum, zu verstehen, was vorgetragen wird, der Verhandlung zu folgen und die Beratung nicht nur mitverfolgen, sondern auch sich selbst einbringen zu können. Das ist in den Beratungen des Rechtsausschusses betont und auch von uns erklärt und so zu Protokoll gegeben worden. Das gilt natürlich auch bei der Anwendung. Ich denke, mit dieser Ergänzung des Gerichtsverfassungsgesetzes sind wir auf einem guten Weg. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Schöffen sollen möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen repräsentieren, also auch Zuwanderer. Gerade Migranten mit deutschem Pass sollen künftig öfter zu Schöffen berufen werden. Gerade weil wir wollen, dass es mehr Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Amt gibt, gilt natürlich die Anforderung, dass dieses Amt nur dann sinnvoll ausgefüllt werden kann, wenn die deutsche Sprache ausreichend beherrscht wird. Auch unter diesem Aspekt ist die Ergänzung richtig. Aber es gibt noch einen zweiten Gegenstand, der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingebracht worden ist und nicht schon Gegenstand des Gesetzentwurfs des Bundesrats gewesen ist. Hintergrund ist die Entwicklung in den letzten Monaten, die Sie alle kennen, und zwar die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Hinblick auf die Änderung des Gesetzes zur Sicherungsverwahrung im Jahr 1998, mit der die Befristung auf zehn Jahre rückwirkend aufgehoben wurde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kam hier anders als früher das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass es sich in diesen Fällen um eine unzulässige Rückwirkung handele. Jetzt geht es in einem ersten Schritt - wir haben im Kabinett mehrere Schritte vereinbart - darum, den Gerichten eine Hilfe an die Hand zu geben. Wir wissen, dass es 75 bis 85, vielleicht auch 90 Menschen in Sicherungsverwahrung gibt - ganz genau kann man das nicht sagen -, für die diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zutreffen kann. Wir erleben jetzt in der Praxis, dass die Gerichte unterschiedliche Entscheidungen treffen - es kommt zu Entlassungen; es kommt zur Ablehnung des Antrags auf Entlassung -, weil man sich an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in diesem Punkt nicht gebunden fühlt. Im Moment enden die Verfahren beim Oberlandesgericht. Wir wollen nun mit der Divergenzvorlage eine Ergänzung in unser System aufnehmen. Die Vorlagepflicht an den Bundesgerichtshof, wenn die Oberlandesgerichte von der Rechtsprechung eines anderen Gerichts abweichen wollen, hat sich in anderen Fällen bewährt. Das ist also nicht neu. Wir wollen dieses Instrument jetzt auch für den Fall der Sicherungsverwahrung und der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus einführen. Die Umsetzung eilt. Deshalb bedanke ich mich sehr dafür, dass es möglich gewesen ist, diese Änderung mit in dieses Gesetzgebungsverfahren aufzunehmen. Es passt inhaltlich ganz gut zusammen; denn es geht in beiden Fällen um das Gerichtsverfassungsgesetz. Das ist jetzt also nicht ein abwegiger Omnibus, der da gewählt wird, was von Rechtspolitikern immer zu Recht kritisiert wird, sondern es passt inhaltlich zusammen. Außerdem kommt aus allen Bundesländern, noch einmal auf der Justizministerkonferenz in der letzten Woche ausdrücklich bekräftigt, der Wunsch, diese Regelung zu haben. Wer davon Gebrauch macht, das können wir nicht beurteilen; aber hier angesichts einer sich unterschiedlich entwickelnden Rechtsprechung einen Beitrag zu leisten, damit es durch eine Vorlage an den Bundesgerichtshof zu einer Einheitlichkeit in diesen wichtigen Fragen der Entscheidungsfindung kommt, ist geboten, richtig und angemessen. Alle verantwortlichen Landesjustizminister haben sich dafür ausgesprochen. Das ist nur ein Aspekt im Zusammenhang mit den schwierigen Fragen der Sicherungsverwahrung. Es gibt zwei weitere Aspekte, die heute nicht zur Beratung anstehen: die Änderung der Führungsaufsicht, die wir Ihnen vorschlagen werden, und auch die grundlegende Ausrichtung der Sicherungsverwahrung. Das hat jetzt nichts mit dem Fall Mücke vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu tun. Wir wollen ein in sich möglichst widerspruchsfreies System und Konzept schaffen. Dazu sind Eckpunkte Grundlage der Beschlussfassung im Bundeskabinett gewesen. Die Eckpunkte - ich habe sie dem Rechtsausschuss zugeleitet - sehen eine deutliche Verlagerung vor, nämlich weg von der nachträglichen hin zu der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung, und natürlich den Erhalt der primären Sicherungsverwahrung. Dazu gibt es viele Fragen, auch wichtige Fragen der Ausgestaltung. Das ist aber nicht Gegenstand des jetzigen Gesetzgebungsverfahrens, sondern wird Gegenstand eines weiteren Verfahrens sein, mit dem wir uns hoffentlich sehr zügig nach der Sommerpause befassen. Ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Danckert von der SPD-Fraktion. Dr. Peter Danckert (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundesministerin, das ist in der Tat heute nicht Gegenstand, aber Sie haben das Stichwort "Sicherungsverwahrung" und die Eckpunkte angesprochen. Wir von der SPD-Fraktion sind bereit, dabei konstruktiv mitzuarbeiten. Die große Linie stimmt. Ich persönlich würde aus heutiger Sicht sagen: Wenn die vorbehaltene Sicherungsverwahrung sozusagen eine Art Regelfall würde, nach dem Motto "Vorsichtshalber behalten wir uns mal die Sicherungsverwahrung vor", dann wäre das nicht der richtige Weg. Aber wir sind ja noch dabei, das auszuformulieren. Das Thema Führungsaufsicht wird eine Rolle spielen. Wir sind also bereit, dabei mitzuarbeiten. Auf den ursprünglichen Gesetzentwurf ist etwas draufgesattelt worden. Danach sollen die Oberlandesgerichte die Möglichkeit haben, zur Vereinheitlichung ihrer Rechtsprechung eine Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen. Diese Möglichkeit zu schaffen, ist völlig richtig. Das ist eine praktische Notwendigkeit, wie wir aus Hinweisen, die wir zum Bereich der Gesamtrechtsprechung der Oberlandesgerichte bekommen haben, erkennen können. Hier ist eine Vereinheitlichung erforderlich. Deshalb tragen wir das Gesetz insgesamt mit. Unser Kritikpunkt betrifft die Änderung des § 33 Gerichtsverfassungsgesetz. Das ist ein Anliegen der Bundesländer, das wir schon in der letzten Legislaturperiode behandeln sollten. Die damalige Koalition aus CDU/ CSU und SPD hat es nicht für erforderlich angesehen, dem zu folgen. Für mich persönlich und für meine Fraktion hat sich daran auch nichts Wesentliches geändert. Wenn das der einzige Punkt wäre, über den wir heute abstimmen, würden wir nicht zustimmen können. Aber wir lassen uns wegen der Gesamtbedeutung dazu bringen, dem Gesetzentwurf doch zuzustimmen. § 33 Gerichtsverfassungsgesetz gibt vor, wann eine Person nicht zum Schöffenamt berufen werden soll. Wenn die Person etwa ein bestimmtes Lebensalter noch nicht erreicht hat oder ein bestimmtes Lebensalter schon vollendet hat oder ihr Wohnsitz nicht in einem bestimmten Bereich liegt, soll sie nicht zum Schöffen berufen werden. Auch der gesundheitliche Zustand spielt eine Rolle. Aus meiner beruflichen Erfahrung sage ich: Der Grundsatz, dass der Angeklagte im Verfahren den verfassungsrechtlichen Anspruch auf den gesetzlichen Richter hat, ist nicht hoch genug zu bewerten. Nun kann man meinen, bei den vielen Schöffen sei es doch egal, ob es diese oder jene Person ist. Nein, das ist durchaus ein erheblicher Unterschied. Deshalb müssen wir an dieser Stelle genau darauf achten, dass die Regeln, die das Gerichtsverfassungsgesetz vorschreibt, eingehalten werden. Ich blicke jetzt ein bisschen zurück, weil die Zeit es erlaubt. Aus meiner beruflichen Erfahrung als Strafverteidiger sage ich: Es gab keine Defizite des Gerichtsverfassungsgesetzes, sondern Defizite in der Umsetzung der gesetzlichen Regelungen. Zunächst einmal war der Einschnitt am 1. Januar 1979, als man den Verteidigern die Verpflichtung auferlegt hat - den Staatsanwaltschaften übrigens auch, aber die haben davon nie Gebrauch gemacht -, die Gerichtsbesetzung bei Verfahren, die am Landgericht oder Oberlandesgericht beginnen, wenn überhaupt, dann zu Beginn der Hauptverhandlung zu rügen. Die Überlegung war gar nicht so schlecht. Es gab zwei Gesichtspunkte. Man wollte nicht am Ende des Verfahrens von irgendeiner Besetzungsrüge überrascht werden, also der Rüge, dass es nicht der gesetzliche Richter war, der mitgewirkt hat. Man spekulierte darauf, dass die Verteidiger am Beginn des Verfahrens noch nicht so initiativ werden würden. Das genaue Gegenteil war der Fall. Man hat sich mit dieser neuen Materie sehr intensiv beschäftigt. Das war auch eine meiner damaligen Aufgaben. Dabei ergab sich, dass die Hauptmängel, die wir im Rahmen der Besetzungsrüge aufgedeckt haben, Verfahrensverstöße waren, die in den Etappen Vorschlagsliste und Schöffenwahl bzw. Schöffenauslosung passiert waren, weil man, was eigentlich überrascht, feststellen konnte, dass diese klaren gesetzlichen Regelungen nicht richtig gelesen wurden oder man sich die Sache sehr einfach gemacht hat. In dieser Situation sind wir auch heute noch. Der Anlass für diese vorgeschlagene gesetzliche Änderung ist, dass sich am Beginn oder während einer Hauptverhandlung herausstellt, dass ein Schöffe die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrscht oder keine ausreichenden Kenntnisse besitzt. Das ist das Kriterium. Die Gerichtssprache ist nach dem Gerichtsverfassungsgesetz deutsch. Gewählt werden kann als Schöffe nur jemand, der Deutscher ist. Insofern fragt man: Wo ist das Problem? Das Problem besteht darin, dass man sich die Sache bei der Erstellung der Vorschlagsliste - das ist die erste Etappe - sehr einfach macht. Hier hat die Kommune die Aufgabe, 100, 200, 500, manchmal 1 000 - in Großstädten noch mehr - Namen von Einwohnern aus ihrem Bereich auf die Schöffenliste zu setzen. Die Sache wird oft sehr mechanisch - ich sage nicht: willkürlich - gemacht, also ohne sich die Personen, deren Namen auf die Vorschlagsliste sollen, genauer anzusehen und möglicherweise auch ohne anhand von persönlichen Daten zu klären: Ist diese Person geeignet, als Schöffe vorgeschlagen zu werden, oder nicht? Wenn man das täte, dann gäbe es gar keine Notwendigkeit, § 33 des Gerichtsverfassungsgesetzes um Personen zu erweitern, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen. Man könnte solche Personen schon vorher aussortieren. Das Problem aber ist, dass diese Dinge sehr pauschal gehandhabt werden und man sich nicht die Zeit nimmt, dem Grundsatz des gesetzlichen Richters genügend Bedeutung beizumessen. Die Erstellung der Liste wird als eine ärgerliche und überflüssige Verwaltungsarbeit angesehen. Diese Ansicht führt dann zu Verstößen und zu Situationen, die dazu führen, dass man im Verfahren eine Entscheidung treffen muss, auf die ich noch kurz eingehen werde. Ein weiterer Punkt, den wir damals aufgedeckt haben, bezog sich auf die Schöffenwahl. Wenn man sich wie das Landgericht Frankfurt die Sache sehr leicht macht und die Schöffen zulost, obwohl im Gesetz steht, dass die Schöffen aus der Schöffenliste gewählt werden müssen, kann es passieren, dass sich, wenn sich die Verteidiger mit dieser Frage beschäftigen, ein gesetzlicher Verstoß herausstellt, der in Berlin bei der Hilfsschöffenliste und in Frankfurt bei der Schöffenwahl dazu geführt hat, dass die Wahl ungültig war. Das hat aber nichts damit zu tun, dass das System, in dem wir arbeiten, erhebliche Mängel hat, sondern das hat damit zu tun - ich sage es einmal mit meinen Worten -, dass eine gewisse Faulheit oder Nachlässigkeit an den Tag gelegt wurde, die zu diesen Mängeln geführt hat. In Augsburg war es eine andere Situation. Die Parteien, die in der Gemeindevertretung saßen, haben gesagt: Wir brauchen 52 Schöffen. Die CSU kann - so sage ich es einmal - 16 Vorschläge machen. Eine Abspaltung von der CSU - Herr Stadler, wie hieß sie noch? - kann 14 Schöffen vorschlagen, und die SPD kann 12 oder 13 Schöffen benennen. Dann kamen noch ein paar andere Parteien zum Zuge. - Auch das war ein eklatanter Verstoß gegen das Gesetz, und auch diese Schöffenliste ist vom Bundesgerichtshof sozusagen atomisiert worden. Bei einer normalen Prüfung wäre das nicht möglich gewesen. Man kann an diesem schön abgestuften Verfahren Erstellung der Vorschlagsliste, Schöffenwahl bzw. Schöffenauslosung schon erkennen, was notwendig ist, um zu sehen: Steht auf dieser Liste der Name eines Schöffen, der die deutsche Sprache beherrscht? Jetzt soll eine Änderung eingeführt werden, weil es Einzelfälle gegeben hat, in denen der Schöffe die deutsche Sprache nicht beherrscht hat. In ganz Deutschland, wo jeden Tag gerichtliche Verfahren mit Schöffen ablaufen, gibt es gerade zwei, drei oder vier Verfahren mit einem solchen Mangel. An diesem Vorschlag stört mich am meisten, dass sozusagen ein Einfallstor geöffnet wird, mit dem man in der Hauptverhandlung einen nicht genehmen, weil möglicherweise sehr aktiven Schöffen aus dem Verfahren herausnehmen kann. Dieser Missbrauch muss ausgeschlossen werden. Das ist erforderlich. Nach der jetzigen gesetzlichen Regelung - insofern halte ich sie für unvollkommen - handelt es sich bei der Schöffenbestellung um eine unanfechtbare Entscheidung eines Vorsitzenden. Nun werden die allermeisten Vorsitzenden keine willkürlichen Entscheidungen treffen; aber ich wünsche mir, dass auf der Basis des derzeit geltenden Rechts im Gerichtsverfassungsgesetz ein Verfahrensweg ermöglicht wird, mit dem auch dieser Missbrauch ausgeschlossen wird. Wir hatten hierzu ein erweitertes Berichterstattergespräch geführt - Sie werden sich daran erinnern, oder es ist Ihnen darüber berichtet worden -, in dem gesagt wurde, dass es sich, wenn Entsprechendes passiert, um Willkür handele und ein so gravierender Verstoß sei, den man dann wieder rügen könne. Wer schon einmal eine Revisionsrüge auf richterliche Willkür zu stützen versucht hat, der weiß, dass das ein Unterfangen ist, das einen wirklich nicht weiterbringt. Mir wäre sehr viel daran gelegen, wenn wir neben einer Lösung für diese nun wirklich nicht eilige Frage, die ja nun seit Jahren im Raum steht - ich glaube, fünf bis sechs Jahre -, uns auch einmal überlegten, wie wir eigentlich unser System der ehrenamtlichen Richter, das richtig und notwendig ist, so reformieren können, dass wirklich etwas Sinnvolles dabei herauskommt. Hier wird nur der eine Punkt aufgegriffen, nämlich dass es sich um einen Schöffen handelt, der die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrscht. Das ist eine sehr vage und problematische Formulierung: Wird hier vom Niveau des Lesers der Bild-Zeitung ausgegangen oder von welchem Niveau? Außerdem sollten wir auch an Wirtschaftsstrafverfahren denken. Hier kommt es ja nicht darauf an, dass jemand gut deutsch sprechen kann, sondern darauf, dass er versteht, worum es geht. Aber genau in diesem Bereich handeln wir nicht, obwohl hier Handlungsbedarf besteht. Mir wäre es lieb gewesen, wenn wir eine Gesamtreform dieser inzwischen sehr schwierigen Fragen - das gebe ich zu - gemeinsam auf den Weg gebracht hätten. Es handelt sich hierbei um kein parteipolitisches Thema - das sehe ich durchaus -, sondern um ein Thema, bei dem es auch darum geht, unsere Gesellschaft davon zu überzeugen, dass die Arbeit als ehrenamtlicher Richter bei strafrechtlichen Entscheidungen - bei verwaltungsrechtlichen ist es so ähnlich - notwendig und richtig ist. Wenn wir nur an einer Stelle herumdoktern, ist das nicht überzeugend. Ich habe deshalb erhebliche Bedenken, zumal hier auch die Möglichkeit eröffnet wird, dass es zu willkürlichen Entscheidungen kommt. Ich hoffe, dass das nicht eintritt. Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen. Ich hoffe, dass Sie im Rahmen Ihrer Regierungsarbeit der nächsten Zeit - man weiß ja nicht, wie lange das noch geht - sich dieses Themas noch einmal annehmen. Bei der Sicherungsverwahrung sind wir dabei; bei einer weiterführenden Diskussion über dieses Thema wären wir auch dabei. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Andrea Voßhoff von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Danckert, große Reformen brauchen manchmal viel Zeit. Dass wir das als christlich-liberale Koalition noch in dieser Legislaturperiode schaffen, kann ich Ihnen nicht zusagen. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, mit kleinen Schritten in die richtige Richtung zu gehen. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) - Seien Sie sicher, dass die christlich-liberale Koalition diese Legislaturperiode gut durchstehen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Christine Lambrecht [SPD]: Da müssen Sie sich aber völlig wandeln! - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Überraschungen gibt es immer wieder!) Mit der heutigen abschließenden Beratung der Bundesratsinitiative zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes nehmen wir die Klarstellung auf, dass Schöffen - das ist schon gesagt worden -, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, von der Ausübung des Schöffenamtes ausgeschlossen sind. Auch wir als Union halten diese rechtliche Klarstellung für notwendig und geboten. Mein Kollege Heveling wird dazu gleich noch einiges aus Sicht der Union sagen. Den Gesetzentwurf des Bundesrates - das ist heute auch schon erwähnt worden -, den wir heute abschließend beraten, haben wir als Trägergesetz für eine weitere Initiative nutzen können. Dass dies zügig geschehen und heute zum Abschluss gebracht werden konnte, dafür und für die zielgerichtete Vorarbeit dürfen auch wir uns, Frau Ministerin, bei Ihnen und beim BMJ, aber auch bei der Opposition, die dies ebenfalls konstruktiv begleitet hat, ganz herzlich bedanken. Der eigentliche Grund für die Eile dieses Gesetzgebungsverfahrens ist - das wissen Sie, und das kann man auch ganz offen sagen -, dass wir uns wieder einmal mit Schutzlücken und grundsätzlichen Fragen im Bereich der Sicherungsverwahrung auseinandersetzen müssen. Mit diesem Gesetzentwurf eröffnen wir sozusagen erneut eine parlamentarische und - davon gehe ich aus - intensive und nachhaltige Debatte zu den Grundsatzfragen der Sicherungsverwahrung. Dass dies notwendig geworden ist, hat - das ist schon angeklungen - seinen konkreten Anlass in der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der im Dezember vergangenen Jahres und mittlerweile auch rechtskräftig entschieden hat, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung nicht um eine Maßregel, sondern um eine Strafe im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention handle, die dem Rückwirkungsverbot unterliegt. Diese Entscheidung ist rechtskräftig. Sie betrifft, auch wenn immer eine Einzelfallentscheidung erforderlich ist, potenziell alle Straftäter, gegen die vor 1998 eine Sicherungsverwahrung ausgesprochen wurde, weil der Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt die bis dahin bestehende Höchstfrist für die Sicherungsverwahrung von zehn Jahren auf unbefristet verlängert hat. Man geht davon aus, dass bundesweit bei circa 70 Personen - Frau Ministerin, Sie nannten andere Zahlen - die Frage zu klären ist, ob sie in Ansehung des Urteils des EGMR zu entlassen sind. Dazu gibt es bereits erste Entscheidungen mit unterschiedlichen rechtlichen Ergebnissen. Aller Voraussicht nach stehen demnächst weitere Entscheidungen an. Deshalb und wegen der grundsätzlichen Frage, um die es hier geht - einerseits geht es um den grundrechtlich geschützten Freiheitsanspruch des Einzelnen und andererseits um die ebenso schützenswerten Interessen der Opfer und Bürger vor nach wie vor gemeingefährlichen Tätern -, ist auch aus unserer Sicht eine einheitliche Rechtsprechung von grundsätzlicher Bedeutung. Wie eben ausgeführt, ist Eile geboten. Deshalb nutzen wir diesen Gesetzentwurf, um in einer ersten gesetzgeberischen Reaktion eine Antwort auf das Urteil des EGMR zu geben. Diese Antwort ist rein verfahrensrechtlicher Natur. Durch die Vorlagepflicht zum Großen Strafsenat des BGH wollen wir vermeiden, dass bei den Entscheidungen der Strafvollstreckungsgerichte in den Ländern mit Blick auf die potenziell betroffenen Täter ein rechtlicher Flickenteppich entsteht, also nicht Gericht A den betroffenen Täter freilässt, während Gericht B ihn in der Sicherungsverwahrung belässt. Das Urteil des EGMR hat aber auch neue Fragen im Bereich der Sicherungsverwahrung aufgeworfen, die es nicht heute, aber langfristig für den Gesetzgeber zu beantworten gilt. Dazu gehört die Frage - auch das ist heute schon angeklungen -, ob und wie wir in Fällen unumgänglicher Entlassungen die Führungsaufsicht für weiterhin gefährliche Straftäter effizienter gestalten können. Die christlich-liberale Koalition ist sich einig, Änderungen im Bereich der Führungsaufsicht auf den Weg zu bringen. Das betriff zum einen die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung für Gewalt- und Sexualstraftäter. Um es gleich vorweg zu sagen: Das soll keine elektronische Fußfessel im eigentlichen Sinn sein, weil es im vorliegenden Fall nicht darum geht, den betreffenden Delinquenten zu Hause festzuhalten. Wir wollen vielmehr eine Lösung, die es ermöglicht, mithilfe von GPS-Signalen den jeweiligen Aufenthaltsort von Sexual- oder Gewaltstraftätern feststellen zu können. Wenn er sich beispielsweise einem Kindergarten oder einem Spielplatz nähert, soll das der Führungsaufsichtsstelle umgehend signalisiert werden, damit dort schnell reagiert werden kann. Auch über die Erweiterung der Möglichkeit der unbefristeten Verlängerung der Führungsaufsicht von Sexualstraftätern auf Gewaltstraftäter wollen wir in diesem Zusammenhang diskutieren. Wir müssen auch Antworten auf weitere grundsätzliche Fragen geben. Die christlich-liberale Koalition ist sich der Bedeutung des Themas bewusst. Sie weiß um die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handlungsbedarfs und wird dieser nachkommen. Die Ministerin hat auf die Eckpunkte der Bundesregierung verwiesen. Ich denke, das Recht der Sicherungsverwahrung ist eines der schwierigsten, wenn nicht gar das schwierigste Thema in der Rechtspolitik. Dieses Thema hat uns in den vergangenen Jahren immer wieder vor Herausforderungen gestellt; das zeigen auch die Entscheidungen der Obergerichte. Seit 1995 ist allein im Bereich des Erwachsenenstrafrechts die Sicherungsverwahrung fünfmal geändert worden. Trotzdem ist immer noch kein widerspruchsfreies System entstanden. Diejenigen, die das Thema eine Zeit lang begleitet haben - dazu gehöre ich -, wissen, dass wir als Gesetzgeber oftmals auf Einzelfälle zu reagieren hatten und deshalb oft zu kurzfristigen Entscheidungen gezwungen waren. Nichtsdestotrotz haben wir es jetzt mit einer Entscheidung des EGMR zu tun. Es liegt mir völlig fern, die Entscheidung des EGMR zu kritisieren. Ich denke, an dieser Stelle darf ich aber sagen: Ich hätte es als sehr wünschenswert empfunden, wenn das EGMR die Entscheidung wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Angelegenheit zur Großen Kammer verfügt hätte und die Entscheidung von dort gekommen wäre. (Beifall des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]) Den Bürgern ist es nur schwer zu vermitteln, dass Menschenrechte es gebieten, dass nach wie vor hochgefährliche Straftäter sehenden Auges auf die Menschheit losgelassen werden. Das muss man an dieser Stelle erwähnen dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gleichwohl haben wir uns der Herausforderung zu stellen, die die deutsche Rechtslage uns im Lichte der EGMR-Entscheidung aufzwingt bzw. in der Folge von uns verlangt. Der Gesetzgeber kann nicht untätig bleiben. Wenn man die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der Vergangenheit liest, wird klar, dass es durchaus möglich ist, tätig zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass ein Verstoß gegen die EMRK durch eine entscheidende Änderung der Sach- und Rechtslage entfallen kann. Sogar ein formal unrechtmäßiger Freiheitsentzug kann für eine Übergangszeit gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber die Zeit nutzt, um eine neue, konventionskonforme Regelung zu schaffen. Aus diesem Grunde, denke ich, führt kein Weg an der Reform der Sicherungsverwahrung vorbei. Das ist von der Justizministerin vorhin erwähnt worden. Das Eckpunktepapier ist auch aus Sicht der Union eine gute Ausgangsgrundlage. Es ist ein Maßnahmenbündel, durch das in vielfältiger Weise versucht wird, nicht nur die aktuelle Lage nach dem EGMR-Urteil zu verbessern und die Führungsaufsicht effizienter zu gestalten, sondern auch die Frage der zukünftigen Gestaltung der Sicherungsverwahrung neu auszutarieren. Die Ministerin hat einige Punkte genannt. Ich kann sie aus Zeitgründen nicht wiederholen. Auch wenn die Eckpunkte für uns eine gute Ausgangsgrundlage sind, sage ich an dieser Stelle - das ist dem Koalitionspartner bekannt; darüber ist gesprochen worden -: Wir als Union haben noch Diskussionsbedarf bezüglich der nachträglichen Sicherungsverwahrung. In der derzeitigen Form kann sie nicht bestehen bleiben; wir wollen aber nicht, dass sie in Gänze zurückgedrängt wird. Ich denke, angesichts dieses komplexen Themas muss noch eine Diskussion geführt werden. Wir Rechtspolitiker haben in einem Positionspapier zur Diskussion gestellt, ob man die Sicherungsverwahrung in ein neues System der nachträglichen Sicherungsunterbringung überführen und dabei ganz bewusst die Kriterien der Strafe - die Entscheidung des EGMR besagt, dass die bestehende Sicherungsverwahrung eine Strafe sei - von der künftigen Sicherheitsunterbringung abtrennen sollte. Das bezieht sich nicht auf die Verurteilung. Es wird immer wieder gesagt, wir könnten jemanden nicht nur aufgrund seiner Gefährlichkeit im Anschluss an die Haft in Sicherheitsunterbringung nehmen; darum geht es nicht. Es muss immer ein Bezug zu der Straftat, die zur Verurteilung geführt hat, bestehen. Das ist selbstverständlich. Wenn dann in einem neuen Verfahren entschieden werden muss, ob eine Unterbringung erforderlich ist oder nicht, muss von der Gefährlichkeit des Täters zu dem Zeitpunkt ausgegangen werden. Die Unterbringung muss dann eine Form von Therapie sein. Ein eigener Spruchkörper, an dem auch Psychiater beteiligt sind, sollte dies entscheiden. Auch Therapieansätze und Resozialisierungsmöglichkeiten dienen dem Schutz der Bevölkerung. Wir meinen, dass man über dieses neue Verfahren diskutieren sollte. Ob der Weg gangbar ist, wird die fachliche Diskussion zeigen. In jedem Fall wird die christlich-liberale Koalition dieses Gesetzgebungsverfahren zu einem der schwierigsten Gebiete der Rechtspolitik mit der gebotenen Gründlichkeit betreiben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Jens Petermann von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jens Petermann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates soll ermöglicht werden, Bürgerinnen und Bürger, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, vom Schöffenamt auszuschließen. An die Schöffinnen und Schöffen, die regelmäßig als juristische Laien in das Ehrenamt berufen werden, sind in der Tat beträchtliche Anforderungen gestellt. Sie haben während der Hauptverhandlung richterliche Befugnisse. Ihre Stimme hat bei der Urteilsfindung das gleiche Gewicht wie die Stimme eines Berufsrichters. Schöffinnen und Schöffen sind gleichfalls mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattet. Deshalb müssen sie in gleicher Weise wie Berufsrichter geeignet sein, die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen aufzunehmen. Was erwartet man also von den Personen, die bereit sind, dieses wichtige Ehrenamt auszuüben? Sie müssen zwischen 25 und 70 Jahre alt sein, ihren Wohnsitz im Gerichtsbezirk haben und dürfen nicht in Vermögensverfall geraten sein. Sie müssen gesundheitlich für das Amt geeignet sein. Darüber hinaus kann das Ehrenamt des Schöffen nur von einem deutschen Staatsbürger ausgeübt werden. Das Recht auf ein faires Verfahren für den Angeklagten gebietet eine sorgfältige Auswahl der Schöffen. Das Gerichtsverfassungsgesetz verlangt indes für die Eignung als Schöffe generell keine besonderen intellektuellen Fähigkeiten. Dennoch bedarf es hinreichender Kenntnisse der deutschen Sprache, da die Gerichtssprache bekanntermaßen Deutsch ist. Dabei stellt sich die Frage, ob nicht auf der Grundlage des geltenden Rechts dem Problem mangelnder Deutschkenntnisse von Schöffen begegnet werden kann. Die Große Koalition - das wurde bereits angesprochen - sah diesbezüglich in der letzten Legislaturperiode keinen Handlungsbedarf, wobei insbesondere die SPD vor einem Einfallstor für Missbrauch warnte. Die angesprochenen Fälle mangelnder Deutschkenntnisse bei Schöffen sind für uns jedenfalls kein Argument für die dringende Notwendigkeit der geplanten Regelung, die nun im Galopp durch das Parlament gejagt werden soll. (Beifall bei der LINKEN) Wir vertreten die Auffassung, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen muss. Bereits aufgrund der bestehenden Rechtslage ist ein Schöffe, der der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig ist, unfähig, ein Schöffenamt auszuüben, und kann von der Schöffenliste gestrichen werden. Der Gesetzentwurf lässt völlig offen, auf welcher Grundlage die Gemeindeverwaltungen die sprachlichen Fähigkeiten der Kandidaten und Kandidatinnen überprüfen sollen, und kann damit dem selbstgestellten Anspruch nicht gerecht werden. Es ist vielmehr zu befürchten, dass allein ein fremdländisch klingender Name Indiz für die Nichtbeherrschung der deutschen Sprache ist. Dies ergab jedenfalls die Anhörung der von der Koalition geladenen Sachverständigen in einem Berichterstattergespräch. (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch überhaupt nicht!) Wie die betroffenen Personen ihre Kenntnisse nachweisen müssten oder wie die Gemeinden, die die Vorschlagslisten aufzustellen haben, mit diesen Anforderungen umgehen sollen, wird ausgeblendet. Damit öffnet der Gesetzentwurf wiederum willkürlichen Entscheidungen Tür und Tor. Zum Thema Divergenzvorlage: Es ist offensichtlich, dass die Koalition nunmehr mangels bestehender, durchdachter Konzepte zur Sicherungsverwahrung an den ursprünglichen Gesetzentwurf des Bundesrates den Vorschlag zur Divergenzvorlage des Bundesgerichtshofs anhängen will. Dies hat aber mit der Frage der Eignung zum Schöffenamt, dem ursprünglichen Thema, nichts zu tun. Am Umgang mit diesem Thema zeigt sich wieder, dass sich die Koalition sehr schwertut. Selbst ein Rüffel des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Sachen Sicherungsverwahrung führt nicht dazu, dass sich hier besonders viel bewegt. Die Koalition reagiert mit einem verfahrensrechtlichen Vorschlag zur Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof in der Hoffnung, dass es die Richter in ihrem Sinne richten werden. Die Linke kann dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Allein das fragwürdige Verfahren des Anhängens an einen inhaltsfremden Gesetzentwurf ist schon Grund genug für eine Ablehnung. Aber auch inhaltlich überzeugt uns der Gesetzentwurf nicht. Die absehbare Verzögerung wegen der Vorlage zum Bundesgerichtshof wird dazu führen, dass die Sicherungsverwahrten weiter einsitzen, während die Regierung weiter streitet, wie nun zu verfahren sei. Das halten wir für unwürdig und kann aus unserer Sicht auch nicht als Fortschritt gefeiert werden. (Beifall bei der LINKEN) Es ist offensichtlich, dass es darum geht, Zeit zu gewinnen, um den inhaltlichen Dissens zwischen CDU/ CSU und der Bundesjustizministerin auszufechten. Statt sich mit den grundrechtsrelevanten Regelungen der Sicherungsverwahrung zu befassen und gesetzgeberisch tätig zu werden, verlagern Sie die Frage auf die Rechtsprechung. Dem können wir nicht zustimmen. Wir sagen aber grundsätzlich zu, dass wir uns in der Frage der Sicherungsverwahrung konstruktiv an einer Diskussion beteiligen werden. (Beifall bei der LINKEN - Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würden wir gerne hören!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Jerzy Montag von Bündnis 90/Die Grünen. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gerichtssprache ist Deutsch. Ich halte es für selbsterklärend, dass selbstverständlich alle Verfahrensbeteiligten deutsch verstehen und sprechen können müssen. Viele Jahrzehnte war das so unproblematisch, dass der Gesetzgeber nicht die Notwendigkeit sah, in das Gesetz hineinzuschreiben, dass Schöffen deutsch sprechen und verstehen müssen. Die Frage ist, ob es jetzt notwendig ist. Es gibt einige wenige Fälle, in denen Schöffen sich tatsächlich selbst meldeten und sagten, dass sie nicht teilnehmen wollen, weil sie nicht deutsch sprechen können, oder Vorsitzende dies festgestellt haben. In diesen Fällen haben Gerichte entschieden, interessanterweise die einen, indem sie dem Schöffen einen Dolmetscher zur Seite gestellt haben, und die anderen, indem sie einen solchen Schöffen als ungeeignet zurückgewiesen haben. Wir sind der Meinung, dass eine Regelung notwendig ist. Deswegen haben wir auch gegenüber der ursprünglichen Formulierung, dass ein Schöffe über hinreichende Deutschkenntnisse verfügen muss, im Grundsatz keine Einwände gehabt. Aber die Tatsache, dass die Koalition in den letzten Tagen die Formulierung geändert hat, und die Ergebnisse im erweiterten Berichterstattergespräch haben uns schon nachdenklich gemacht. Diese Regelung richtet sich - der Kollege Danckert hat das ganz ausführlich und völlig korrekt dargestellt - an die Kommunen. Es stellt sich die Frage: Was machen die Kommunen eigentlich mit dieser Regelung bei der Auswahl der Bürgerinnen und Bürger für die Schöffenwahl? Wir haben im erweiterten Berichterstattergespräch zwei Varianten vernommen. Die eine Variante war: Die Kommunen werden bereits nach dem Namen oder nach dem Geburtsort aussieben. Wenn das geschähe, dann wäre das willkürlich, und das wäre rechtswidrig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und bei den LINKEN) Zur zweiten Variante. Der Vertreter aus Hamburg, der die dortige Behörde leitet, hat gesagt, nach seiner Meinung werde seine Behörde auf diese gesetzliche Regelung überhaupt nicht reagieren, sondern die Vorschlagslisten weiter so zusammenstellen, wie sie es bisher getan hat. Damit verlagert sich das Problem, ob ein Schöffe Deutsch kann, auf die Situation vor Beginn der Hauptverhandlung: Was macht der Vorsitzende, wenn er mit einem Schöffen konfrontiert wird, von dem er denkt, dass er nicht genügend Deutsch kann? Schon angesichts dieser Problematik ist die Änderung des Vorschlags von Bedeutung. Während es bisher auf Vorschlag des Bundesrats geheißen hat, es müssten hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache vorliegen, und man dazu erklärend gelesen hat, ein Schöffe müsse Deutsch verstehen und Deutsch sprechen können, soll jetzt eine Veränderung vorgenommen werden. Jetzt heißt es, er müsse die deutsche Sprache ausreichend beherrschen. Jetzt stelle ich Ihnen die Frage: Wer entscheidet eigentlich nach welchen Kriterien, wer von uns die Sprache ausreichend beherrscht? Einige könnten sagen: Selbst die, die in diesem Hohen Hause reden, beherrschen die deutsche Sprache nicht ausreichend. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viele!) Damit wird sozusagen das Feld eröffnet. Ich greife den Gedanken von Herrn Danckert auf - dieser Gedanke ist nämlich richtig -: Wenn die Entscheidung des Vorsitzenden Richters nicht angreifbar ist und unwiderruflich gilt, dann gibt es die Möglichkeit zu einem Missbrauch. Angesichts dessen sagen wir: Wir wären den Weg, hinreichende Deutschkenntnisse zu verlangen, mitgegangen; aber die Änderung, eine ausreichende Beherrschung der deutschen Sprache zur Voraussetzung zu machen, verbunden mit dem Hinweis, dass das eine aktive Sprachbeherrschung bedeutet, wollen wir nicht mitgehen. Deswegen lehnen wir diesen Änderungsvorschlag ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun noch ein Wort zur Sicherungsverwahrung, die hier ebenfalls in Rede steht. Das, was jetzt zu reparieren ist, hat Schwarz-Gelb vor über zehn Jahren verbockt. Vor über zehn Jahren wurde die Zehnjahresfrist gestrichen. Über die Übergangsregelungen hat man sich keine Gedanken gemacht. Die Tatsache, dass das nicht geschehen ist, holt Sie jetzt ein. Trotzdem ist die Divergenzvorlage notwendig. Das Argument der Linken, das wir hier gehört haben, hat mit der Sache nicht das Geringste zu tun. Es kommt nicht auf eine Verzögerung an, sondern auf einen Fall wie folgenden: Wenn das Oberlandesgericht Nürnberg in Kenntnis der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Personen aus einer Sicherungsverwahrung nicht herauslässt, das Oberlandesgericht Stuttgart dies allerdings tut, dann haben wir es mit einer unterschiedlichen Behandlung durch die Oberlandesgerichte zu tun, ohne dass es eine Möglichkeit der Vereinheitlichung gibt. Diese Möglichkeit muss es geben. Bisher ist sie nicht vorgesehen. Deswegen stimmen wir der Divergenzvorlage zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber das entbindet nicht von der Kritik, dass die Koalition - sie geht jetzt in die Sommerferien - zur Frage der Sicherungsverwahrung bei der Führungsaufsicht - auch da geht es um 70 bis 80 Personen - nichts vorgelegt hat, obwohl die Zeit drängt. Das kritisieren wir. Wir werden an den Debatten im Herbst teilnehmen. Wir werden uns konstruktiv einbringen. Wir finden einige Aspekte der Eckpunkte der Vorlage der Union sogar positiv. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Montag! Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Andere finden wir natürlich nicht positiv. Dass Sie zu der Frage der Führungsaufsicht - sie ist genauso brennend wie die Divergenzvorlage - hier nicht sofort etwas vorgelegt haben, das kreiden wir Ihnen an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Ansgar Heveling von der CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine der zentralen Forderungen der bürgerlichen Revolutionen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Forderung nach einer Bürgerbeteiligung bei der Justiz. Entsprechend den Zielen der Vormärzbewegung, die Freiheit des Einzelnen zu sichern und die staatliche Macht zu begrenzen, verlangte das Bürgertum Möglichkeiten zur Mitwirkung an sämtlichen Staatsfunktionen einschließlich der Justiz. (Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Man forderte die Einführung von Schwurgerichten nach französischem Vorbild, und das mit Erfolg: Nach Ausbruch der Revolution im Jahr 1848 wurde die Institution der Geschworenengerichte in die Paulskirchenverfassung und die Landesverfassungen aufgenommen. Wenn ein Amt damals so hart von den Bürgern erkämpft wurde, dann beweist dies: Unser Schöffenamt verkörpert die direkte Beteiligung des Volkes an der dritten Gewalt. Es stellt sicher, dass Urteile eben nicht am grünen Tisch, sondern im Namen des Volkes gesprochen werden. Die Laienbeteiligung ist nach wie vor eine wesentliche und notwendige Ausgestaltung des Demokratieprinzips und Ausdruck unserer vielfältigen demokratischen Verschränkungen der rechtsprechenden Gewalt. Neben dem notwendigen juristischen Sachverstand, der durch die Berufsrichter in das Verfahren eingebracht wird, wird auf diesem Wege das gesellschaftlich anerkannte Gerechtigkeitsempfinden in den Prozess integriert. Schöffen wirken dabei nicht nur als gesetzliche Richter an der Entscheidungsfindung mit; sie sind zugleich Garanten für die gesellschaftliche Befriedungsfunktion des Rechts. Schöffen sind mithin aus unserem Gerichtssystem nicht mehr wegzudenken. Angesichts des zutiefst demokratischen und richtigen Anspruchs, Schöffen aus möglichst allen Bevölkerungsschichten zu rekrutieren, bestehen nur relativ wenige formale Grenzen. Grundsätzlich soll das Schöffenamt von jedem deutschen Staatsbürger ausgeübt werden können. Das soll und muss so bleiben. Daher gibt es in den §§ 33 und 34 des Gerichtsverfassungsgesetzes nur einen eng gefassten Katalog von persönlichen und funktionalen Ausschließungsgründen. Korrespondierend dazu kann nur ein sehr begrenzter Personenkreis, der in § 35 des Gerichtsverfassungsgesetzes benannt ist, die Berufung in das Schöffenamt von sich aus ablehnen. So wichtig es aber aus grundsätzlichen, den Kern unseres Demokratieverständnisses berührenden Erwägungen heraus ist, allen Teilen der Bevölkerung den Zugang zum Schöffenamt zu eröffnen, so wichtig ist es aus grundsätzlichen und grundrechtlichen Erwägungen auch, die Funktionsfähigkeit der Gerichte und die Beachtung sämtlicher Verfahrensgrundsätze wie etwa der Unmittelbarkeit im Strafprozess sicherzustellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Bei der vorgesehenen Änderung des § 33 des Gerichtsverfassungsgesetzes geht es daher um die richtige und schonende Ausbalancierung dieses Spannungsfeldes. Es ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber, sicherzustellen, dass nach wie vor allen Teilen der Bevölkerung der Zugang zum Schöffenamt eröffnet wird. Es ist aber ebenso unsere Aufgabe, zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Schöffenamtes dafür Sorge zu tragen, dass Schöffinnen und Schöffen tatsächlich in der Lage sind, ihre wichtige Aufgabe angemessen und amtsentsprechend auszuüben. Ein in der Praxis zwar quantitativ nicht zu überschätzendes, in den rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen aber nicht zu unterschätzendes Problem führt daher bei den Bestellungsvoraussetzungen an einer Stelle zu Anpassungsbedarf. Hintergrund ist, dass es in der Praxis Verfahren gegeben hat und gibt, bei denen sich herausstellt, dass die beigezogenen Schöffen nicht in ausreichendem Maße der deutschen Sprache mächtig sind. Für diesen Fall kennt das Gesetz bislang keine rechtlich einwandfreie Lösung. Offensichtlich ist damit alles doch nicht ganz so selbstverständlich, wie es mein Vorredner hier dargestellt hat. Wenn diese Situation eintritt, stellt dies die gerichtliche Praxis vor erhebliche Probleme. Die Praxis versucht derzeit im Wesentlichen auf zwei Wegen, dieses Problem zu lösen. Beide stehen jedoch auf rechtlich tönernen Füßen. Der eine Weg ist, solche Schöffinnen und Schöffen von der Schöffenliste zu streichen. Dies ist indessen rechtlich problematisch, weil das Gesetz derzeit das Spracherfordernis gerade nicht als Bestellungsvoraussetzung konstituiert. Mit welcher rechtlich tragfähigen Begründung ließe sich dann so vorgehen? Der andere Weg ist nicht minder problematisch. Hierbei wird dem des Deutschen nicht mächtigen Schöffen ein Dolmetscher zur Seite gestellt. Inwieweit damit noch die unmittelbare Wahrnehmung des Prozessgeschehens als Voraussetzung zur Beurteilung gewährleistet ist, erscheint fraglich. Ebenso problematisch und strittig ist die Beteiligung des Dolmetschers an der Urteilsberatung, an der nur die zur Entscheidung berufenen Richter teilnehmen dürfen. Es stellt sich also auch die Frage nach der ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts. Es zeigt sich: Beide derzeit von der Praxis gewählten Lösungswege sind wackelig und daher rechtlich bis hin zu revisionsrelevanten Überlegungen angreifbar. Das lässt es sinnvoll erscheinen, mit einer gesetzgeberischen Klarstellung zu reagieren. Dies geschieht mit der Ergänzung des § 33 des Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach Personen, die mangels ausreichender Beherrschung der deutschen Sprache für das Amt nicht geeignet sind, nicht zu Schöffinnen und Schöffen berufen werden sollen. Die Koalitionsfraktionen sind der Auffassung, dass durch die Ergänzung des § 33 GVG dem vorstehend beschriebenen Problem mit einer rechtlich ausreichend klaren Regelung begegnet wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Heveling, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Danckert? Ansgar Heveling (CDU/CSU): Ja. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Danckert. Dr. Peter Danckert (SPD): Herr Kollege, wenn wir schon diese Vorschrift einführen, mit all den Problemen, die im Laufe dieser Debatte beschrieben worden sind, wäre es dann nicht angezeigt, dass man im Bereich des § 52 Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz - das Gericht macht sich unter Beteiligung der Staatsanwaltschaft ein Bild über die Eignung des Schöffen bezüglich der ausreichenden Beherrschung der Sprache - den Verteidiger des Angeklagten an der Entscheidung beteiligen würde? Ansgar Heveling (CDU/CSU): Es ist nicht ausgeschlossen, dass es noch zu weiteren Diskussionen kommt. Die heutige Entscheidung über das GVG ist sicherlich nicht die abschließende Entscheidung. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine halbe Zusage! - Gegenruf des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Eine Diskussion ist noch gar nichts!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: War das Ihre Antwort? Ansgar Heveling (CDU/CSU): Das war die Antwort. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Dann fahren Sie fort. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Auf diese Weise wird ein revisionsfester Weg eröffnet, um Schöffinnen und Schöffen von der Schöffenliste zu streichen, wenn sich erweist, dass sie der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind. Natürlich gibt jede neue Regelung, jedes neue einschränkende Zulassungskriterium Raum für Beurteilungen. Insoweit sind die in der Diskussion vonseiten der Opposition aufgeworfenen Fragen keineswegs falsch. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Wir als Koalition sind indessen der Auffassung, dass der Gesamtproblematik durch die Ergänzung des § 33 GVG gut und richtig Rechnung getragen wird. Natürlich könnten die Kommunalverwaltungen - wie vom Kollegen Montag eben angesprochen - trotzdem versucht sein, bei der Aufstellung bloß nach den Namen zu gehen. Aber wir haben ein gestuftes Verfahren. Wir haben zwei Kollegialorgane, die darüber entscheiden: den Gemeinderat, der die Listen beschließt, und das Gremium, das die Schöffen auswählt. (Dr. Peter Danckert [SPD]: Abhaken!) - Herr Danckert, abhaken mag an manchen Stellen die Praxis sein, aber ich selbst bin lange genug kommunaler Fraktionsvorsitzender gewesen, um zu wissen, dass man die Listen schon sehr genau durchgeht; denn man hat eine demokratische Entscheidung zu treffen. Insofern ist das aus theoretischer Sicht kein Angriffspunkt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Heveling, es gibt eine weitere Frage des Kollegen Jerzy Montag. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Herr Kollege Montag, gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Montag. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke sehr. - Herr Kollege, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es Gremien gibt - den Gemeinderat, aber auch im Wahlverfahren -, in denen Überprüfungsinstanzen möglich sind. Würden Sie mir zustimmen, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen der Zusammensetzung der Schöffenliste beispielsweise am Landgericht Amberg in der Oberpfalz mit einem überschaubaren Kreis von Personen, Interessierten und Vorgeschlagenen gibt (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kennt jeder jeden!) und dem, was wir im erweiterten Berichterstattergespräch zum Beispiel über Hamburg gehört haben? Dort müssen in jeder Wahlperiode 1 700 Schöffen gewählt, das heißt 3 400 Personen in die Liste eintragen werden. Der Leiter der Abteilung, der in Hamburg damit beschäftigt ist, hat uns gesagt, es ist absolut ausgeschlossen, dass sich die Gemeinde - auf welcher Ebene auch immer - mit diesen Personen näher beschäftigt und mit ihnen spricht. Vielmehr nehmen sie die Leute, die vorgeschlagen werden. Die genügen aber nicht. Dann nehmen sie welche nach dem Zufallsgenerator aus dem Einwohnermeldeamt. Er hat uns gesagt: Entweder schmeißen wir die Leute mit ausländischem Namen und Auslandsgeburtsorten raus, oder wir machen nichts. Ich frage Sie, ob Sie den Unterschied zwischen kleinen Gemeinden, in denen Sie vielleicht in der Vergangenheit mitgearbeitet haben, und Großstädten sehen, in denen sich dieses Problem ergibt. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Herr Kollege Montag, ich kann natürlich kaum bestreiten, dass Amberg und Hamburg unterschiedlich große Städte sind. Da gebe ich Ihnen - das ist Punkt eins - vollkommen recht. Punkt zwei: Es mag auch sein, dass vonseiten der Kommunalverwaltung - das habe ich ja auch entsprechend so angesprochen - diese Praxis so geübt wird. Aber es ist doch ein ganz übliches Verfahren, dass die Fraktionen bzw. Parteien und sonstige gesellschaftliche Organisationen auch noch eigene Vorschläge in die Ratsgremien einbringen können, die dann in die Abstimmung eingehen. Das heißt, es wäre jeder Partei bzw. jeder Institution unbenommen - wenn das eben so wichtig ist -, selbst darauf zu achten. So praktizieren wir das in meiner zugegebenermaßen eher kleinstädtisch geprägten Situation; aber das spricht nicht dagegen, dass man das in Großstädten nicht genauso praktizieren kann. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sortieren doch gar nicht aus!) Natürlich kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Kriterium der Beherrschung der deutschen Sprache missbraucht werden kann, um Schöffen von der Liste zu streichen. Diese Möglichkeit wird aber auch durch andere Kriterien - wie zum Beispiel die gesundheitliche Eignung - theoretisch eröffnet. Hier gilt, was überall gilt: Willkürentscheidungen werden durch keinerlei gesetzliche Grundlagen abgedeckt und sind dementsprechend auch weiterhin rechtlich angreifbar. Wir sind der Auffassung, dass es richtig ist, auf die Beherrschung der deutschen Sprache - im Gegensatz zu bloßen Kenntnissen - abzustellen. Das Schöffenamt ist ein aktives Amt. Schöffinnen und Schöffen müssen dem Geschehen nicht nur passiv folgen können, sie haben eine aktive Rolle. Ein Urteil ist das Ergebnis von Beratungen. Für und Wider sind diskursiv abzuwägen. Auch das ist ein hohes und zutiefst demokratisches Element in unseren Gerichtsverfahren. (Beifall bei der CDU/CSU) Das setzt aber voraus, dass die an der Beratung Beteiligten ihre Standpunkte auch tatsächlich vor- und einbringen können. Dazu muss man mehr können, als bloß zu verstehen. Salopp formuliert: Man muss in der Lage sein, den gesunden Menschenverstand, den Schöffinnen und Schöffen in die Beratung einbringen sollen, auch tatsächlich zu artikulieren - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Daher werden wir der vorgesehenen Ergänzung des § 33 GVG zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 33 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2350, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/1462 in der Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt getrennte Abstimmung. Ich rufe die Ziffer 2 der Beschlussempfehlung auf, und zwar nur Art. 1 Buchstaben a und b. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Teil des Gesetzentwurfs ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der SPD bei Gegenstimmen von den Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zum anderen rufe ich die Ziffer 1 der Beschlussempfehlung und Ziffer 2 der Beschlussempfehlung, und zwar nur Art. 1 Buchstabe c sowie Art. 2 des Gesetzentwurfs auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Teil des Gesetzentwurfs ist - diesmal mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke - angenommen. Damit ist der Gesetzentwurf insgesamt angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Matthias Miersch, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Keine Patente auf Pflanzen und Tiere - Drucksache 17/2016 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Priska Hinz (Herborn), Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Patentierung von Pflanzen, Tieren und biologischen Züchtungsverfahren stoppen - Drucksache 17/2141 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist wohl nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Matthias Miersch von der SPD-Fraktion das Wort. Dr. Matthias Miersch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! "Keine Patente auf Pflanzen und Tiere", das ruft bei dem einen oder anderen Zuhörer dieser Debatte sicherlich erst einmal Erstaunen hervor: Worum geht es? Wenn man dann noch hört, dass es darum geht, dass den Patentämtern inzwischen in der Tat Anträge vorliegen, sich das gute Schnitzel oder den herkömmlichen Brokkoli patentieren zu lassen, dann merkt man schnell: Auf der einen Seite ist das Schmunzeln vielleicht nicht aus dem Gesicht zu bekommen, auf der anderen Seite aber auch die Verwunderung nicht. Um das Thema, um das es hier und heute geht, auf den Punkt zu bringen, will ich zu Beginn meiner Rede ein Zitat eines Vertreters eines großen, multinationalen Konzerns anführen, der gesagt hat: Unser Ziel ist es, die Ernährung der Bevölkerung vom Acker bis zum Teller zu steuern. - An diesem Zitat wird deutlich, welche Strategie in bestimmten Zentralen dieser Welt ausgeheckt wird und wie diese Strategie aussieht. Wir sind gut beraten, diese Entwicklung sehr aufmerksam zu verfolgen. Es geht um drei zentrale Bereiche, die alle Menschen weltweit betreffen: Das ist Energie, das ist Wasser, und das ist die Ernährung. Wenn es gelingt, sich ein Recht auf die Ernährung zu sichern und dieses Recht als Werkzeug zu verwenden, um die Ernährung zu steuern, wenn nicht sogar zu monopolisieren, dann haben wir nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein ökonomisches und vor allen Dingen ein soziales Problem. Deswegen haben wir heute diesen Antrag eingebracht. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Worum geht es? Wir können sehen, dass die Zahl der Anträge für Patente auf Pflanzen, aber nicht nur auf Pflanzen, sondern generell auf die ganze Ernährungskette, angefangen bei der Pflanze über Samen bis hin zu den daraus resultierenden Produkten einer Pflanze - es geht beispielsweise nicht nur um die Sojapflanze, sondern auch um ihr Öl -, zunimmt. Wir sehen auch, dass es nicht mehr nur darum geht, sich beispielsweise gentechnisch verändertes Futter schützen zu lassen, sondern gleich das Futter, das Schwein, das es gefressen hat, und auch das Schnitzel, das daraus letztlich erwachsen wird. Diese Beispiele zeigen, ein bisschen umgangssprachlich formuliert, dass es hier tatsächlich um das Elementarste geht. Wir müssen aufpassen, dass wir unser Recht auf gewerblichen Schutz, das eigentlich dazu dient, Erfindungen zu schützen, sehr wohl in Einklang mit den Interessen der Bevölkerung weltweit bringen. Wir erleben augenblicklich aber genau das Gegenteil: dass dieses Recht zu ungenau ist, dass die Begriffe, mit denen in den Patentämtern hantiert wird, auslegungsfähig sind, sodass sie nach unserer Auffassung missbraucht werden. Wir sind gut beraten, uns zu fragen: Wie können wir hier eine Grenze einziehen, damit es nicht zu diesen Missbräuchen kommt? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es kann nicht sein, dass wir sagen: Eine Pflanzensorte darf nicht patentiert werden; aber das Gen, das wir in eine Pflanze stecken, kann dazu führen, dass sämtliche Pflanzenarten, ganze Baumgruppen beispielsweise, plötzlich patentierungsfähig sind. Dies erleben wir zurzeit. Wir als Gesetzgeber dürfen nicht als Zuschauer agieren, sondern wir sind es, die über gesetzliche Grundlagen entscheiden. Wir müssen diese Verantwortung wahrnehmen und dürfen diese Verantwortung nicht Gerichten überlassen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer sich vor Augen hält, worüber das Europäische Patentamt in München am 20. und 21. Juli dieses Jahres verhandelt, der sieht, dass wir es mit dem Versuch zu tun haben, sogar konventionelle Züchtungsverfahren schützen zu lassen. Damit schafft man nicht nur das Recht an einer Pflanzensorte, sondern man setzt sehr viel früher an. Man setzt beim Züchtungsverfahren an und versucht, sich das Recht, mit diesem Verfahren eine Pflanzensorte zu züchten, schützen zu lassen. Wenn jemand dieses Recht hat, dann wird es niemand anderem möglich sein, auf dieses Züchtungsverfahren zurückzugreifen. Dies wird zu einem Problem, weil sozusagen der Ursprung der Ernährung schon mit einem Recht behaftet ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Bundestagsfraktion ist der Meinung, dass dies nicht sein darf. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir in diesem Hohen Hause sind gut beraten, uns diese Rechtsentwicklung aufmerksam anzusehen und im Übrigen auch das zur Kenntnis zu nehmen, was der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium uns sogar schon vor einigen Jahren auferlegt hat. Da hat er nämlich geschrieben, dass er die Erteilungspraxis des Europäischen Patentamts mit Besorgnis zur Kenntnis nimmt. Wenn man dann noch sieht, dass eine unabhängige Kontrollinstanz fehlt und dass dieses Amt durch die für die Patente gezahlten Gebühren und nicht durch unabhängige Gelder finanziert wird, sodass die Neigung, ein Patent zu verwehren, nicht besonders stark ausgeprägt ist, dann weiß man, dass wir hier über sehr grundsätzliche Dinge reden müssen. Ich lade Sie alle recht herzlich ein, das gemeinsam zu tun. Der Deutsche Bundestag sollte möglichst einmütig zum Ausdruck bringen, dass diese Rechtsentwicklung von uns allen nicht gewollt ist. Das ist ein dickes Brett, weil es nicht nur um nationales, sondern auch um europäisches Recht geht. Aber wir müssen hier handeln, weil diese Rechtsentwicklung schädlich für die Menschen ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Harbarth von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über das Thema der Patentierung von Tieren und Pflanzen hat der Deutsche Bundestag bereits im vergangenen Jahr debattiert. Damals wurde ein Antrag diskutiert, der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt wurde. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht in den jetzt eingebrachten Anträgen durchaus erstrebenswerte Zielsetzungen. Auch in der Koalitionsvereinbarung hat die christlich-liberale Koalition klar geäußert, dass sie auf landwirtschaftliche Nutztiere und Nutzpflanzen keine Patente will. Wörtlich heißt es dort: Unabhängig vom Schutz des geistigen Eigentums wollen wir auf landwirtschaftliche Nutztiere und -pflanzen kein Patentrecht. Das ist an Klarheit nicht zu überbieten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir bekennen uns im Koalitionsvertrag - auch vor dem Hintergrund internationaler Abkommen - aber auch ganz klar und ebenso zu Recht zum Schutz des geistigen Eigentums: Innovationen und Erfindungen sind für die volkswirtschaftliche Entwicklung unseres an Rohstoffen armen Landes, für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und für den Schutz von Arbeitsplätzen in Deutschland von zentraler Bedeutung. Wir wollen deshalb den rechtlichen Rahmen für einen wirksamen Schutz des geistigen Eigentums durch Patente, Marken und Muster weiter stärken und den Zugang zu Schutzrechten für den Mittelstand erleichtern. Wir werden uns auch auf europäischer und internationaler Ebene für wirksame Maßnahmen gegen die weltweite Marken- und Produktpiraterie einsetzen. So formuliert es der Koalitionsvertrag sehr eindrucksvoll. Wir stehen für den Schutz des geistigen Eigentums. Aber wir stehen nicht für einen Schutz des geistigen Eigentums um jeden Preis. Wir stehen nicht für einen Schutz des geistigen Eigentums unter Aufgabe ethischer Grundsätze. Zu diesen ethischen Grundsätzen gehört die Überzeugung, dass Tiere und Pflanzen zentrale Bestandteile unserer Schöpfung sind. Eine Politik, die sich ethischen Grundsätzen verpflichtet weiß, kann aber nicht bei dieser Überzeugung stehen bleiben. Sie muss zugleich berücksichtigen, dass auch wissenschaftlicher Fortschritt zur Lösung von Problemen und zur Linderung von Leid ethisch begründet sein mag. Legt man diese Maßstäbe zugrunde, wird klar: Auch im Biopatentrecht werden Änderungen unumgänglich sein. Aber ebenso klar ist: Der heutige Zeitpunkt ist für die Diskussion, an welchen Stellen man das Biopatentrecht tatsächlich ändern muss, um die Patentierung von Pflanzen, Tieren und biologischen Züchtungsverfahren zu verhindern, denkbar ungeeignet. Warum ist er denkbar ungeeignet? Er ist deshalb denkbar ungeeignet, weil in wenigen Tagen vor der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts die mündliche Verhandlung zum sogenannten Brokkoli-Patent stattfinden wird. Dabei geht es entscheidend um den Begriff eines im Wesentlichen biologischen Verfahrens. Dies ist von herausragender Bedeutung für die Abgrenzung herkömmlicher, nicht patentierungsfähiger Züchtungsverfahren einerseits und patentierbarer erfinderischer Leistungen andererseits. Diese Entscheidung sollten wir in Ruhe abwarten und sie dann der weiteren Debatte zugrunde legen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sollte sich dabei herausstellen, dass solche biologischen Verfahren, bei denen ein geringer und damit unwesentlicher technischer Anteil hinzukommt, keine - wie das Gesetz es formuliert - "im Wesentlichen biologischen Verfahren" sind, dann wird gesetzlicher Änderungsbedarf bestehen. Dann wird es darum gehen, die gesetzlichen Grundlagen zu ändern, weil anderenfalls Patente möglich wären, für die es inhaltlich keine Rechtfertigung gibt. Dies darf nicht sein. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen, dass es vor fünf Jahren CDU und CSU waren, die im Rahmen der Umsetzung der Biopatentrichtlinie die Eingrenzung der Reichweite des Patentschutzes durch die Einschränkung des Stoffschutzes initiiert haben. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren gar nicht dabei!) Damit haben wir in Deutschland ein Schutzniveau durchgesetzt, das über die europäischen Vorgaben hi-nausgeht. Der damalige Vorschlag der rot-grünen Bundesregierung sah vor, die Bestimmung der Reichweite des Patentschutzes den Gerichten zu überlassen. Aufgrund der Initiative von CDU/CSU ist in Deutschland nun eine Patentierung menschlicher Gensequenzen nur dann möglich, wenn die Verwendung der Sequenz mit in den Patentanspruch aufgenommen wird. Damit wurde der absolute Stoffschutz durch einen zweckgebundenen Stoffschutz ersetzt, sodass der Stoffschutz in Deutschland nur für die in dem Patent beschriebene Verwendung gilt. Dass Sie dieses hohe Schutzniveau, das Sie CDU und CSU verdanken, heute auch auf europäischer Ebene erreichen wollen, spricht allerdings für Ihre Erkenntnisfähigkeit und freut uns deshalb umso mehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch die christlich-liberale Koalition will nicht, dass Patente auf jahrhundertealte Züchtungs- und Selektionsverfahren und deren Nutzen zu einer Gewinnmaximierung für wenige und zum gleichzeitigen Ausschluss breiter Bevölkerungsschichten von diesen Errungenschaften führt. Auch wir sind gegen Patente auf landwirtschaftliche Nutztiere und Nutzpflanzen und sprechen uns deshalb für eine entsprechende Änderung des europäischen Biopatentrechts aus. Wir sind jedoch der Meinung, dass es erst nach der Entscheidung des Europäischen Patentamts Sinn machen wird, sich im Rahmen des Schnürens eines Gesamtpakets zu überlegen, inwieweit zur Erreichung dieses Ziels und darüber hinaus Handlungsbedarf auf europäischer Ebene besteht und inwieweit das Biopatentrecht tatsächlich geändert werden muss. Dabei kann es definitiv nicht angehen, unsere Schöpfung zu kommerzialisieren. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die Bewahrung der Schöpfung auch vor kommerzieller Reservierung sind Kernanliegen christlich-demokratischer Politik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Aber es muss auch klar sein: Wir dürfen berechtigte Interessen von Forschung und Wissenschaft nicht einfach grundlos vom Tisch wischen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Früchte der herausragenden deutschen Forschungsleistungen in anderen Ländern geerntet werden. Deshalb brauchen wir auch ein zeitgemäßes Patentrecht, das internationalen Standards entspricht. Dabei leben wir in Deutschland mit Sicherheit nicht von zweifelhaften Patenten, um die man sich so lange streiten muss, bis sie ohnehin wertlos geworden sind. Aber wir leben vom Rohstoff Grips. Wir leben von der Innovationskraft unserer Menschen im Dienste der Menschen, und dies dürfen wir nicht grundlos preisgeben. Meine Damen und Herren, seien Sie versichert: Die christlich-liberale Koalition hat ein großes Interesse daran, gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren eine gute, eine tragfähige Lösung zu finden. Ich appelliere daher an Sie und an uns alle, ohne überkommene Klischees und ohne selbstauferlegte Denkverbote und ohne pawlowsche Reflexe in eine sachliche, lösungsorientierte Diskussion einzutreten, sobald die Entscheidung des Europäischen Patentamts vorliegt. Und es geht hier wie immer auch um Ehrlichkeit. Und zur Ehrlichkeit gehört es, an dieser Stelle anzumerken, dass Rot-Grün die europäische Biopatentrichtlinie erst mit fünf Jahren Verspätung in deutsches Recht umgesetzt hat. Die Richtlinie ist von 1998, sie war bis 2000 umzusetzen. Sie haben unter Bruch geltenden Rechts diese Richtlinie erst 2005 umgesetzt. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank!) Schon damals haben Sie offensichtlich keine Dringlichkeit der Materie gesehen. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie eigentlich dabei?) Heute pressiert es Ihnen so sehr, dass Sie nicht einmal die Entscheidung des Europäischen Patentamts abwarten wollen. Dass Sie jetzt eine solche Eile zur Schau stellen, macht Sie gewiss nicht glaubwürdiger. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Blödsinn! Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege, Entschuldigung, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Röspel zu? Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Sehr gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Röspel. René Röspel (SPD): Vielen Dank. - Herr Kollege, Sie haben jetzt mehrfach behauptet, es sei der Union zu verdanken, dass gewisse Ausnahmen gegenüber der europäischen Biopatentrichtlinie bei der Umsetzung zum Tragen gekommen sind. Ich habe das ganz anders in Erinnerung, nämlich so, dass die Kollegen aus der FDP und aus der Union auf eine Umsetzung der EU-Biopatentrichtlinie von 1998 ohne Veränderung, nämlich eins zu eins, gedrängt haben. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eins zu eins!) Ich bitte Sie, mir jetzt Ihre Quellen und Belege dafür zu nennen bzw. zu geben, dass Sie die Genpatentierung und auch die Reichweite einschränken wollten. Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Wir haben in den Verfahren damals zum Ausdruck gebracht, dass wir keinen absoluten Stoffschutz, sondern einen konkreten Stoffschutz wollten. Ich reiche Ihnen die entsprechenden Unterlagen gerne nach. (René Röspel [SPD]: Darauf bin ich sehr gespannt!) Ihre Erfolgsbilanz ist, dass Sie die EU-Biopatentrichtlinie von 1998 nicht mit einem Jahr, nicht mit zwei Jahren und auch nicht mit drei Jahren, sondern mit sage und schreibe fünf Jahren Verspätung umgesetzt haben. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Herr Röspel! Unglaublich! Da hätten Sie mal lieber keine Zwischenfrage gestellt!) Sie haben das im Stile eines Bummelzugs betrieben, und nachdem Sie von Bord gegangen waren, beschweren Sie sich jetzt, dass er nicht die Geschwindigkeit eines ICEs aufgenommen hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - René Röspel [SPD]: Ich bin gespannt auf die Unterlagen! - Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Sie haben nicht einmal verstanden, was in den Unterlagen steht!) Aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion macht die von Ihnen demonstrierte Eile keinen Sinn. Lassen Sie uns zunächst die Entscheidung des Europäischen Patentamts abwarten. Deshalb sind Ihre Anträge zum jetzigen Zeitpunkt abzulehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Warum werden Biopatente überhaupt beantragt, und warum sind es gerade Brokkoli, Schweine und Sonnenblumen, die ins Visier der Patentjäger geraten sind? Aus Sicht der Linken ist das kein Zufall. Das Ziel, das mit Patenten verfolgt wird, ist nämlich die Kontrolle über Wissen, und in allen drei Fällen geht es um Lebensmittel. Wer über Biopatente Nahrungsmittel kontrolliert, hat Macht bis hin zur Erpressbarkeit. Deshalb ist die Kontrolle über Nahrungsmittelquellen eine der effektivsten Gelddruckmaschinen, die es gibt, weshalb wir dort genau hinschauen müssen. Beim Patentrecht geht es um eine sehr grundsätzliche Frage: Was hat Vorrang? Ist es der Schutz des Rechts auf Zugang zu Wissen oder die Sicherung des Rechts auf seine wirtschaftliche Verwertung? Bei Biopatenten spitzt sich dieser Interessenkonflikt noch weiter zu, weil es um Wissen über Nahrungsquellen geht. Aus Sicht der Linken ist der Zugang zu diesem Wissen durch Biopatente aber nicht zu blockieren. Der Grundsatz "Keine Patente auf Leben" ist für uns nicht verhandelbar. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dies ist auch breiter Konsens inner- und außerhalb der Parlamente. Auch der Bundestag hätte diese Position längst beschließen können. Linke, SPD und Grüne waren sich schon vor einem Jahr einig - zumindest bei diesem Thema -, aber die SPD hatte in der Großen Koalition leider nicht die Kraft, das dann auch durchzusetzen. Dabei besteht dringender Handlungsbedarf; denn die Kritik an der europäischen Patentgesetzgebung und dem Europäischen Patentamt wächst; das ist schon genannt worden. Die Spielräume in der schwammigen EU-Biopatent-richtlinie werden skrupellos ausgenutzt. Sie existieren nicht versehentlich, sondern absichtsvoll. Ein Beispiel: Patente auf im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren dürfen nicht erteilt werden. Doch wer definiert "im Wesentlichen"? Dem Missbrauch durch findige Juristen im Auftrag von Saatgutkonzernen, der Chemieindustrie und Gentechnikunternehmen wird hier Tür und Tor geöffnet. Die Linke will verhindern, dass die Grundlagen des Lebens zur Beute privatwirtschaftlicher Interessenten werden. Die Natur ist keine schützenswerte Erfindung, sondern das Ergebnis der Evolution. Gene können entdeckt und ihre Funktion kann aufgeklärt und genutzt werden, aber sie sind kein privater Besitz, und sie dürfen es auch nicht werden. (Beifall bei der LINKEN) Es ist doch geradewegs absurd, dass immer öfter wichtige Forschungsergebnisse nur deshalb nicht mehr wissenschaftlich veröffentlicht und damit allgemein zugänglich gemacht werden, um ihre wirtschaftliche Verwertung nicht zu gefährden. Wenn Forschung in diesem Maße finanziellen Verwertungsinteressen unterworfen wird, behindert das den Wissensfortschritt, den die gesamte Gesellschaft dringend braucht. Dieser Fesselung auch der Agrarwissenschaften dürfen wir nicht tatenlos zusehen. Ein weiterer Aspekt ist mir wichtig, der im Grünen-Antrag steht. Die Agrogentechnik ist eine Risikotechnologie. Eine unabhängige Begleitforschung zu ökologischen und gesundheitlichen Gefahren wird deshalb dringend gebraucht. Wir müssen genau wissen, ob zum Beispiel Gentechnikmais das Bodenleben beeinflusst, ob die Gentechkartoffel Amflora von Wildschweinen gefressen wird und was gegebenenfalls die Folgen sind. Doch es mehren sich Berichte, dass kritischen Forscherinnen und Forschern das für diese Arbeiten dringend nötige gentechnisch veränderte Saatgut nicht zur Verfügung gestellt wird. Damit sabotieren Konzerne die kritische Forschung, selbst dann, wenn sie öffentlich finanziert wird. Das ist absolut inakzeptabel und muss unverzüglich korrigiert werden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das Fazit der Linken: Das aktuelle Biopatentrecht verstärkt die Macht von Agrokonzernen gegen die Interessen der Gesellschaft. Dagegen müssen wir Widerstand leisten - in Deutschland, in der EU und bei der WTO. Das Biopatentrecht darf das Recht auf Teilhabe an Wissen nicht einschränken. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Stephan Thomae von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stephan Thomae (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Anträge auf ein vollständiges Verbot der Patentierung von Tieren und Pflanzen greifen zwar durchaus diskussionswürdige Themen und Fragestellungen auf, aber sie gehen eindeutig viel zu weit. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Peter Bleser [CDU/CSU]) Patente haben eine wichtige Doppelfunktion: zugunsten des Erfinders und der Allgemeinheit. Einerseits schützen sie nämlich die Investitionen des Patentinhabers, andererseits aber gewährleisten sie der Öffentlichkeit Einblick in die Erfindung. Durch die Veröffentlichung fließt die Erfindung in den allgemein zugänglichen wissenschaftlichen Wissensstand ein. Die Alternative wäre, dass ein Unternehmen seine Neuentwicklungen nicht zum Patent anmeldet, sondern geheim hält. Dann aber kann die Wissenschaft nicht auf der Grundlage des Patentes aufbauen und weiterforschen, und sie kann die Erfindung nicht substanziell und substanziiert kritisieren. Es muss deshalb gerade im Interesse einer kritischen Wissenschaftsbeobachtung sein, dass biotechnologische Erfindungen im Patentverfahren veröffentlicht werden. Das ist aber mit dem geforderten Pauschalverbot jeglicher Patente auf Tiere und Pflanzen nicht möglich. Es geht, Frau Kollegin Dr. Tackmann, nicht darum, die Kontrolle über Natur und Lebensmittel zu erhalten, sondern es geht darum, dass Patente das geistige Eigentum eines Erfinders schützen und die Erfindung zugleich auch der Öffentlichkeit zugänglich machen sollen. Sie stellen damit eine Alternative zur Geheimhaltung von Forschungsergebnissen dar. Auch die FDP ist der Meinung, dass eine Überprüfung der Patenterteilungspraxis des Europäischen Patentamtes im biotechnologischen Bereich - übrigens auch in anderen Bereichen - durchaus Sinn macht. Die FDP teilt auch die Auffassung, dass Patente konsequent ausschließlich auf biotechnologische Erfindungen erteilt werden sollten und nicht auf biologische Entdeckungen. Auch die Patentierung biologischer Züchtungsverfahren und ihrer Produkte lehnt die FDP ab. Diese Abgrenzung muss möglicherweise verbessert oder auch gesetzlich konkretisiert werden, falls das die Rechtsprechung nicht aus eigener Kraft leisten kann. Allerdings gibt es momentan dafür nicht genügend Anhaltspunkte. Die FDP ist ebenfalls der Ansicht, dass die bestehenden Rechtsunsicherheiten beseitigt werden müssen. Das aber kann nicht jetzt im Zusammenhang mit den von Ihnen vorgelegten Anträgen geschehen, sondern das muss nach der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes in den aktuellen Fällen - Brokkoli und Tomaten - geprüft werden. Momentan ist es dafür noch zu früh. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken von Bündnis 90/Die Grünen. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Kollegen Harbarth nur so viel: Neue Abgeordnete genießen ja immer einen gewissen Welpenschutz, aber die Debatte völlig von den Füßen auf den Kopf zu stellen, das geht nicht. Ich glaube, Sie haben die Unterlagen der rot-grünen Koalition mit denen der CDU/ CSU oder der jetzigen Koalition verwechselt. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Steht so im Protokoll des Bundestags!) Es war nun so, dass die Umsetzung der Biopatentrichtlinie genau die Probleme geschaffen hat, die wir gerade haben. Wir haben damals sehr zu Recht - übrigens auch mit vielen von Ihnen und dem Deutschen Bauernverband - gegen das ganze Heer der Juristen dafür gekämpft, in der deutschen Rechtsprechung ein Züchterprivileg oder eine Percy-Schmeiser-Klausel und Ähnliches zu verankern, um das Schlimmste zu verhindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Nichtsdestotrotz, Kollege Miersch, ich wäre auch glücklich gewesen, Sie hätten diese Rede schon vor genau einem Jahr halten können. Damals war die Situation genau umgekehrt. Zu dem damaligen Antrag der Grünen zur Veränderung der Biopatentrichtlinie haben Sie gesagt: Lassen Sie uns doch abwarten, überprüfen. - Inzwischen haben wir erteilte Patente. Ich will jetzt auf das zu sprechen kommen, was im Mai passiert ist, nämlich auf die Erteilung des "Sonnenblumen-Patents". Das ist übrigens ein klarer Vorgriff auf die "Brokkoli-Entscheidung" oder die "Tomaten-Entscheidung", die jetzt kommt. Beim "Sonnenblumen-Patent" ist es genau zu dem gekommen, was die Kollegen von der FDP auch nicht wollen: Der ursprüngliche Patentantrag umfasste neben dem konventionellen Züchtungsverfahren einer speziellen Sonnenblumensorte auch das Saatgut, die Pflanze, sogar die Verwendung des Öls zum Braten und Backen und einen unglaublich weiten Claim. Dieses Patent ist dann im Verfahren auch tatsächlich erteilt worden. Man hat im Einspruchsverfahren nur das Züchtungsverfahren als "nicht patentierbar" beurteilt, aber die anderen Ansprüche bestehen lassen. Damit ist genau die Situation eingetreten, die wir schon Dutzende Male erlebt haben, nämlich dass etwas patentiert wird, was mit Erfindung nichts mehr zu tun hat. Das heißt, wir müssen zu einer rechtlichen Konsequenz kommen, zu einer Veränderung dieser Gesetze. Ich finde, das muss im Sinne einer Eigentumswahrung, im Sinne von Innovationsermöglichung möglichst schnell geschehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Moment werden jeden Monat 10 bis 20 neue Patente erteilt. Übrigens war vor einem Jahr ein Argument von Ihnen, die Widerspruchsverfahren seien doch alle so klasse und erfolgreich. 70 Prozent sind tatsächlich erfolgreich. Aber Sie müssen sich auch mal vor Augen halten, was das für die mittelständischen Firmen oder Länder oder auch die Umweltgruppen, Kirchen, und wer alles dabei ist, bedeutet. Im Fall einer solchen Einspruchseinlegung fallen oft Kosten von bis zu 100 000 Euro an, und auf den Kosten bleibt man auch bei Erfolg sitzen. Das heißt, im Fall des Patentrechts gilt de facto das Recht des finanziell Stärkeren. Das kann ja nun nicht Grundlage einer Gesetzgebung sein. Das ist eine grobe Wettbewerbsverletzung und fördert eine bisher undenkbare Monopolisierung in der Land- und Lebensmittelwirtschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Patente sind die Lizenz zum Gelddrucken. Das sehe ich auch so wie die Kollegin Tackmann. Man sieht übrigens, dass die Patente echte Preistreiber sind. Wenn man mal auf die Daten in den USA schaut, die dort über die Kosten des Saatguts veröffentlicht worden sind, dann sieht man beim Mais eine 30-prozentige Preissteigerung im Jahr 2009 gegenüber 2008. Bei Soja sind es 25 Prozent, womit nicht im Mindesten entsprechende Ertragssteigerungen verbunden sind. Inzwischen beherrschen zehn große Konzerne zwei Drittel des globalen Saatgutmarktes, und die dominierenden von denen, Monsanto, Syngenta, DuPont und Bayer, beherrschen auch den Düngemittel- und Pestizidmarkt. Hier sind die Patente tatsächlich eine Lizenz zum Gelddrucken. Wir wollen die Forschungsfreiheit sicherstellen und damit auch die Praxis wieder so gestalten, dass Forschungsfreiheit und Zugang zu Daten im Sinne des Gesetzes wieder möglich sind. (Zuruf von der CDU/CSU) Wir wollen kein Patent auf Leben, kein Patent auf Pflanzen und Tiere - so wie es in Ihrem Koalitionsvertrag steht; daran darf ich erinnern -, wir wollen eine Überarbeitung der Konstruktion des Europäischen Patentamts und die Beseitigung aller Interpretationsspielräume. Ich hoffe, dass wir gemeinsam dazu kommen, hier eine bessere Gesetzesgrundlage zu erstreiten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Matthias Miersch. Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Kollegin Höfken, Sie haben mich persönlich angesprochen und gesagt, Sie hätten sich gewünscht, dass ich bereits vor einem Jahr diese Rede gehalten hätte. Ich möchte Sie fragen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich, seitdem ich diesem Hohen Hause angehöre, nämlich seit 2005, in vielen Reden diesen Standpunkt für die SPD-Bundestagsfraktion immer sehr deutlich vertreten habe, dass man aber, wenn man in einer Koalition ist - das wissen Sie sicherlich auch aus eigener Erfahrung -, seine Position nicht immer eins zu eins in Gesetzentwürfe und Entschließungsanträge umsetzen kann? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zur Erwiderung, Frau Höfken. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das erkenne ich sehr gern an. Das war auch kein Angriff auf Sie. Ich hoffe nur, dass wir aus der Debatte von vor einem Jahr lernen können. Alle Argumente, die damals gegen eine Gesetzesänderung und entsprechende Initiativen vorgebracht worden sind, wurden inzwischen einer Prüfung unterzogen. Jetzt muss man endlich zum Handeln kommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank. - Dann hat als nächster Redner das Wort der Kollege Dr. Max Lehmer von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Die politische Diskussion um die Patentierung von Nutztieren und Nutzpflanzen wird in der Öffentlichkeit, sicher auch heute, mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Mit der rasant fortschreitenden Entwicklung der Biotechnologie im In- und Ausland gewinnt dieses Thema selbstverständlich immer mehr an Bedeutung und - Herr Miersch, Sie haben auf Entwicklungen hingewiesen, die zu Recht Sorge bereiten - gibt den Menschen Anlass zu Ängsten und Befürchtungen. Gerade deshalb, denke ich, muss die Debatte mit großer Sorgfalt geführt werden. Die Frage der Patentierbarkeit führt automatisch zu Interessenkonflikten zwischen dem Schutz des geistigen Eigentums auf der einen Seite und dem Grundsatz der allgemeinen Verfügbarkeit natürlicher genetischer Ressourcen auf der anderen Seite. Ich glaube, das ist der Kernpunkt. Der Schutz geistigen Eigentums über Patente ist in einem Hochtechnologieland wie Deutschland generell unverzichtbar; denn der Schutz einer Erfindung und die Wertschöpfung, die aus deren Vermarktung gezogen werden kann, sind ein großer Ansporn, erfinderisch tätig zu werden und besser zu sein als andere. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Des Weiteren macht dieser Schutz Innovationen der Öffentlichkeit zugänglich. Frau Höfken, Sie sollten nicht nur negativ über Patente und Verteuerungen in der Praxis reden; Sie sollten auch sagen, dass Patentschutz zumindest in Deutschland etwas ermöglicht, nämlich dass die gefundenen neuen Erkenntnisse für alle verfügbar gemacht werden. Das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. Darauf gründet sich ein großer Teil unserer Wirtschaftskraft und unseres Wohlstands. Das Patent ist folglich ein elementarer Baustein unserer Wettbewerbswirtschaft und des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Wir sehen aber auch die nicht unberechtigte Sorge von Züchtern und Landwirten, dass Biopatente zu einer zunehmenden Konzentration der Pflanzenzüchtung auf wenige große Unternehmen sowie zu einer Verengung der biologischen Vielfalt in der Produktion auf wenige Hochleistungssorten und Rassen führen können. Der ungehinderte Zugriff auf genetische Ressourcen muss aber allgemein möglich sein und bleiben. Ich glaube, das ist eine Forderung, die wir alle unterschreiben können. Biopatente stellen allerdings eine Besonderheit im Patentrechtssystem dar. Wir haben es hier nicht mit technischer - toter - Materie zu tun, sondern mit Lebewesen, die sich fortpflanzen und vermehren können. Dabei sind die Belange der Naturwissenschaften, rechtliche Rahmenbedingungen, ökonomische Nutzerinteressen und nicht zuletzt auch ethische Grundsatzfragen zu berücksichtigen und miteinander in Einklang zu bringen - ein sehr komplexes System also. Die Erteilung von Patenten ist an das Europäische Patentübereinkommen sowie die EU-Biopatentrichtlinie gebunden. Ich will mich jetzt nicht mit der Vergangenheit aufhalten. Ich nehme den Status, wie er ist, und konzentriere mich darauf, wie man die weitere Entwicklung in den Griff bekommen kann. Für eine Biopatentierung muss die Frage gestellt werden, ob insbesondere die EU-Biopatentrichtlinie, die konkrete Aussagen zur Reichweite von Biopatenten auf lebende Organismen enthält, noch die Anforderungen an eine verantwortbare Politik erfüllt oder ob Anpassungen in Erwägung gezogen werden sollten. Die derzeit geltenden europarechtlichen Grundlagen - das ist wichtig - schließen nur Patente auf Pflanzensorten und Tierrassen aus. Aber wie ist mit patentierten Verfahren umzugehen, die nicht auf den Schutz einer Sorte oder Rasse gerichtet sind, sondern bewusst oberhalb oder unterhalb dieser taxonomischen Ebene ganz legal zu einem Patentschutz für Nutzpflanzen oder Nutztiere, dem sogenannten abgeleiteten Stoffschutz, führen können? Als prominentestes Beispiel ist das mehrfach angesprochene Brokkoli-Patent zu erwähnen, das im Juli vor der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes in München verhandelt wird. Die Patentierung von Pflanzen und deren Nachkommen ist hier mittels eines Verfahrenspatents - sozusagen durch die Hintertür - möglich, da der Patentantrag sich nicht auf eine spezielle Sorte bezieht. Das sieht meine Fraktion sehr kritisch. Hier wird eine klare - auch ethische - Grenze überschritten; das möchte ich ganz deutlich postulieren. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir müssen die Vielfalt unserer genetischen Ressourcen an landwirtschaftlichen Nutztieren und Nutzpflanzen erhalten. Unseren Landwirten und Züchtern müssen sie auch weiterhin uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns der Bedeutung dieses Themas voll bewusst. Ministerin Aigner hat bereits Mitte vergangenen Jahres zu einem runden Tisch zum Thema Biopatentierung mit Vertretern von Landwirtschaft, Industrie und Verbraucherschutzorganisationen eingeladen. Ich halte es für wichtig, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen. Der Beirat für Biodiversität und genetische Ressourcen beim BMELV wurde gebeten, eine Analyse der zu erwartenden Auswirkungen der Biopatentierung auf Landwirtschaft und Züchtung durchzuführen. Das angeforderte Gutachten wird bereits in den nächsten Tagen vorliegen. Wie ich gehört habe, wird es am kommenden Mittwoch der Ministerin übergeben und der Öffentlichkeit vorgestellt. Ich bin gespannt. Mitte Juli wird vor der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes eine Anhörung zum bereits erwähnten Brokkoli-Patent stattfinden. Dort soll geklärt werden, welche technischen Schritte ausreichend bzw. notwendig sind, um aus einem nicht patentierbaren - ich zitiere - "im Wesentlichen biologischen Verfahren" ein patentierbares "technisches Herstellungsverfahren" zu machen. Ich schlage vor, das Gutachten des Beirats für Biodiversität und die Anhörung zum Brokkoli-Patent zunächst abzuwarten und aus den Ergebnissen dann die nächsten Schritte abzuleiten. Zwei Fragestellungen werden dabei in den kommenden Wochen und Monaten im Mittelpunkt stehen. Erstens. Ab wann ist ein Verfahren überhaupt patentierbar? Zweitens. Die Reichweite eines Patents ist ebenfalls eine elementare Frage. Wie weit also darf sich der abgeleitete Stoffschutz eines Verfahrenspatents überhaupt erstrecken? Müssen die Nachkommen eines mittels des patentierten Verfahrens erzeugten Tieres oder einer entsprechenden Pflanze vom Schutz des Patents erfasst sein? Die Kernbotschaften der heute zur Debatte stehenden Anträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, sich gegen eine Patentierung von Pflanzen und Tieren starkzumachen, stehen in weiten Teilen im Einklang mit der Position der Regierungskoalition - und auch meiner persönlichen Position. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Daher plädiere ich - trotz der unterschiedlichen Vorstellungen zu Nutzung und Einsatzmöglichkeiten der Biotechnologie; hier gab es ja oft genug Dissens - ausdrücklich für einen breiten Konsens innerhalb des gesamten Hauses, der eine klare Grenze - ich sage es noch einmal - zwischen Erfindungen als geistigen Leistungen und Entdeckungen von natürlichen Ressourcen in Form von Genen zieht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sollten die Positionen zu einem fraktionsübergreifenden Antrag bündeln. Das ist heute mein Vorschlag. Herr Miersch, ich nehme gern die Einladung an, das gemeinsam zu tun. Wir liegen in der Zielprojektion sehr nahe beieinander. Dies wäre nicht nur ein wichtiges Signal gegenüber der Öffentlichkeit. Ein gemeinsamer Antrag würde auch die Position Deutschlands in dieser Frage auf EU-Ebene stärken und könnte eine Signalwirkung haben, um dann erforderliche Änderungen des europäischen Rechts anzustoßen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lehmer, ich danke Ihnen für Ihre Positionierung und auch für Ihre Rede. Sie haben im Verhältnis zum Kollegen Harbarth etwas abgerüstet. Ich glaube, das ist auch im Hinblick auf die notwendige gemeinsame Zielfindung in diesem Bereich vernünftig gewesen. Meine Damen und Herren, wer die Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose gelesen hat, der weiß, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat. Er hat uns auch beauftragt: ... füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht. Da steht nichts vom Europäischen Patentamt. Gott sei Dank! (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Aber aus diesen Worten wird vielleicht deutlich, dass wir eine ethische Verantwortung für all unser Tun und all unser Handeln tragen, für den verantwortungsvollen Umgang miteinander, aber auch für den verantwortungsvollen Umgang mit unserer Umwelt und mit unseren Mitgeschöpfen. Das sollten wir in dieser Debatte und gerade auch in der Auseinandersetzung über die Frage der Biopatente immer im Blick behalten. Die Debatte hier wird von einem großen Grundkonsens getragen. Ich sehe durchaus die Möglichkeit, etwas Gemeinsames zu formulieren und einen gemeinsamen Beschluss zu fassen. Es wäre sicherlich auch für unsere deutsche Position im Hinblick auf die europäische Rechtsetzung hilfreich, wenn wir mit einer Stimme sprechen würden. Ich gebe zu: Die Rechtsmaterie ist recht kompliziert. Ich bin Tierarzt und kein Jurist. Aber nehmen wir einmal ein Beispiel aus der Praxis: In den 60er- und 70er-Jahren haben wir große Fortschritte bei der Verbesserung der Mastleistung von Schweinen erreicht. Insbesondere wurde ein hoher Magerfleischanteil erreicht. Kollege Holzenkamp könnte uns, wenn er da wäre, sagen, wie wichtig das ist. Wir hatten aber auch Probleme: Wässriges Fleisch schrumpfte beim Erhitzen in der Pfanne um die Hälfte; das kennen Sie alle noch. Schweine sind zwar nicht serienweise, aber häufig aufgrund von Kreislaufproblemen umgefallen und verendet. Ein typisches Symptom für mich in der Behandlung war das Bananenschwein; es war aufgrund einer Muskeldegeneration immer ein wenig gekrümmt. Ursache dafür war ein Gen, das man nicht genau bestimmen konnte. Es gab aber ein einfaches Verfahren: Die Tiere wurden mit Halothan narkotisiert, und dann wurde geschaut, wie sie reagieren. Daran konnte man feststellen, ob das Tier eine positive oder eine negative Entwicklung nehmen würde. Hätte jemand dieses Verfahren patentieren lassen, hätte er ein Durchgriffsrecht bekommen, das ihn am Umsatz eines jeden Schnitzels und Bockwürstchens beteiligt hätte. Der Verbraucher hätte dafür an der Ladentheke unter Umständen die nächsten 20 Jahre einen höheren Preis bezahlen müssen, während der Erfinder zugleich in ganz entscheidender Weise die Zuchtrichtung in Europa hätte mitbestimmen können. An diesem einfachen Beispiel wird deutlich, welche Tragweite Biopatente für unsere Ernährung und unsere Lebensmittel entfalten können. Lebensmittel sind ja ein Mittel zum Leben und aus diesem Grunde nicht allein ökonomischen Interessen preiszugeben. Dass das nicht geschieht, dafür tragen auch wir die Verantwortung. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Kern muss es darum gehen, dass auch zukünftig alle Züchter das tun können, was sie bereits seit Jahrhunderten tun, nämlich die Eigenschaften von Pflanzen und Tieren so zu verbessern, dass ihr Nutzen zum Wohle aller zunimmt. Das setzt einen Wettbewerb aller Züchter untereinander voraus, und nicht nur zwischen einzelnen Züchtern, die sich Patente gesichert haben. Die Zucht war und ist immer eine große kulturelle Leistung. Diese sollte man nicht kleinreden, auch wenn es natürlich sinnvolle Regelungen für die Wahrung des geistigen Eigentums geben muss. Wir stehen nun vor großen Herausforderungen. Wir müssen die Produktivität der Tiere und der Nutzpflanzen bis 2050 um mindestens 70 Prozent verbessern. Im Hinblick auf den Klimawandel haben wir Sorge dafür zu tragen, dass standortangepasste Sorten entwickelt werden. Hierzu muss auch die Gelegenheit gegeben werden; das darf nicht mit globalen Patenten verhindert werden. Vielmehr muss jeder einzelne Züchter die Gelegenheit haben, das Zuchtprodukt, das gerade jemand vor ihm erreicht hat, weiter zu verbessern. In diesem Bereich darf es keinen Ausschließlichkeitsanspruch geben. Dafür benötigen wir einen verlässlichen und eindeutigen Rechtsrahmen. Bei der Umsetzung der Biopatentrichtlinie ist sicherlich nicht alles optimal gelaufen. Wir sollten aber dafür Sorge tragen, dass weiterhin gerade das Züchterprivileg und das Landwirteprivileg - für diesen Bereich können und wollen wir ja Politik gestalten - erhalten bleiben. Patente an sich bedeuten ein Monopol auf Zeit für eine befristete oder ausschließliche Nutzung. Das kann natürlich von Dritten genutzt werden, aber nicht jeder ist dazu in der Lage. Man muss das Augenmerk beim Patentrecht nicht nur auf die europäische Ebene und die europäische Landwirtschaft richten, sondern auch darüber hinaus. Unter Umständen sind Züchter nicht in der Lage, die Patentgebühren zu bezahlen. Wer heute erfahren hat, wie teuer es sein kann, ein Patent anzumelden, der weiß nun, dass man dafür viel Kompetenz und viel Geld braucht. Davon kann man die Entscheidung im Patentrecht letztendlich aber nicht ausschließlich abhängig machen. Da heute 70 Prozent der Biopatente von den zehn größten Unternehmen angemeldet werden, muss man darüber nachdenken, inwieweit das zur Monopolisierung der Pflanzen- und Tierzucht beiträgt. Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es uns nach der Entscheidung am 20. Juli 2010 gelingen wird, gemeinsam eine Position zu finden, die wir weiterentwickeln können und die allen nutzen wird. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan von der FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir bei dieser die Menschen im Lande bewegenden Frage, bei dieser Frage, die einen bedeutenden ethischen Hintergrund hat, zu einer vergleichsweise großen Gemeinsamkeit gefunden haben. Ich denke, dass damit die Voraussetzung dafür gegeben ist, dass wir einen gemeinsamen Antrag auf den Weg bringen. Ich bedanke mich dafür. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Ich bedanke mich auch für das Beispiel, das Kollege Priesmeier genannt hat. Es hat uns verdeutlicht, worum es geht. Ich bedanke mich auch für den Beitrag des Kollegen Lehmer, der die ganze Palette beschrieben hat. Was uns im Zusammenhang mit der Biopatentrichtlinie und deren Umsetzung stört, ist die Tatsache, dass immer mehr Anstrengungen unternommen werden, mit juristischen Methoden Minierfindungen rechtlich abzu-sichern, statt mit naturwissenschaftlichen Methoden neue Erfindungen zu erdenken. Genau das wollen wir anders haben. Ich glaube, darüber sind wir uns einig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sind uns aber auch darüber einig - das ist in den Beiträgen deutlich geworden -, dass wir auch in Zukunft Patente brauchen. Wir brauchen den Schutz geistigen Eigentums bei biotechnologischen Erfindungen. Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal deutlich machen: Es geht nicht um "Kein Patent auf Leben!". Mit diesem Schlachtruf vermitteln wir genau die falsche Botschaft. Es gibt kein Patent auf Leben. Niemandem ist es gelungen, eine chemische Verbindung zum Leben zu erwecken. Es gilt: Omne vivum ex vivo. Alles Leben entsteht aus Leben, (Beifall des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) und deswegen kann Leben nicht patentiert werden. Darüber sind wir uns alle, glaube ich, einig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) Gleichzeitig sollte man einmal sagen: Es ist nicht sinnvoll, dass wir als eine erfindungsreiche Nation Patente stigmatisieren. Wir haben seit circa 130 Jahren Patente auf Lebewesen. 1873 erhielt Louis Pasteur das Patent auf Bäckerhefe. Wir haben inzwischen mehrere Tausend Patente auf Mikroorganismen, und zwar nicht nur auf Bakterien, sondern auch auf Pilze, beispielsweise auf Hefen. Mit Hefen kann man verschiedene Sachen machen: Abends trinken Sie das Bier oder den Wein - da sind die Hefen mit dabei -, und morgens haben Sie ein Brötchen gegessen; da ist die Hefe auch dabei. Sie spielt eine Rolle beim Thema CO2, man kann Bioethanol daraus herstellen usw. Es gibt also viele verschiedene Hefen. Eine ganze Reihe von ihnen ist patentiert, damit die Erfindung bewahrt wird. Wir müssen sagen: Das wollen wir weiterhin so haben. Wir wollen auch, dass die Krebsmaus als Instrument zur Erforschung von Krebs und für die Ermittlung von Heilmitteln genutzt wird. Das ist aber etwas ganz anderes als das, was beispielsweise mit einem Schnitzelpatent versucht wird. Das wollen wir alle miteinander nicht. Die Studie "Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungspotenziale der Biotechnologie in Deutschland", die von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie zusammen mit dem Fraunhofer-Institut, der Hans-Böckler-Stiftung und der Industrievereingung Biotechnologie vorgelegt wurde, sagt uns ganz deutlich, dass wir erhebliche Potenziale haben. Es gilt, was im Fazit steht: Die Biotechnologie ist eine ausgesprochene Spitzen- und Wachstumstechnologie. Sie schafft Arbeitsplätze. Dafür muss die Rote, Weiße und Grüne Biotechnologie in ihrer gesamten Bandbreite forciert angewendet werden. Um die Erfindungshöhe zu halten, brauchen wir Patente. Es ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der unseren Anforderungen genügt. Wir wollen nur Erfindungen mit einer bestimmten Erfindungshöhe und keine Kleinigkeiten patentieren. Herkömmliche Verfahren und Produkte aus herkömmlichen Verfahren wollen wir nicht patentieren; das ist zurzeit der Fall. Wir wollen sicherstellen, dass wir weiterhin ein Land sind, in dem es Innovationen gibt, die zum Wohle der Menschen angewendet werden, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Zur Bewältigung der Herausforderungen im Bereich des Klimawandels und der Welternährung brauchen wir entsprechende Erfindungen. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind, wenn wir uns über unsere Positionen in dieser rechtlich ausgesprochen schwierigen Frage austauschen und zu einem gemeinsamen Beschluss kommen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2016 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die Vorlage auf Drucksache 17/2141 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden, die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Rechtsausschuss, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Federführung beim Agrarausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Federführung beim Rechtsausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung des Berichts des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 2009 - Drucksache 17/2100 - Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Kersten Steinke von der Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kersten Steinke (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit nunmehr 61 Jahren ist der Petitionsausschuss die zentrale Einrichtung unseres Parlaments für die Behandlung aller an den Deutschen Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden aus der Bevölkerung. Trotz aller Klagen über eine in Deutschland grassierende Politikverdrossenheit wurden 2009 18 861 Petitionen von den Bürgerinnen und Bürgern eingereicht. Diese Zahl macht deutlich, welch enormes Vertrauen unserem Parlament und somit uns Abgeordneten entgegengebracht wird. Verstärkt wird diese Tatsache dadurch, dass sich hinter dieser Zahl von 18 861 Einzelpetitionen fast 900 000 Unterstützerinnen und Unterstützer von Massen- und Sammelpetitionen verbergen. Noch beeindruckender sieht das Bild aus, wenn man die Nutzung unseres Internetportals betrachtet. 525 000 Nutzer haben sich allein im Berichtsjahr registrieren lassen. Es gab über 1 Million Mitzeichnungen von öffentlichen Petitionen, und circa 60 000 Diskussionsbeiträge wurden abgegeben. Am Montag, also vor drei Tagen, haben wir in einer öffentlichen Sitzung über die wirtschaftliche Lage der Hebammen beraten, die sich mit der Rekordzahl von 180 000 Unterstützerinnen und Unterstützern an das Parlament gewandt haben. Bereits im Februar hatten wir es mit einer ähnlich hohen Zahl von Mitzeichnerinnen und Mitzeichnern zu tun, als wir die im Berichtsjahr 2009 eingegangene Petition zum Thema Internetsperren behandelten. So erfreulich die Entwicklung dieses Portals auch ist und so sehr wir es begrüßen, dass auf diese Weise die Petitionsmöglichkeiten in der Bevölkerung besser bekannt werden, dürfen wir nie vergessen: Unser Kerngeschäft bleibt die herkömmliche Petition, die persönliche Bitte und Beschwerde. Der Einzelpetent, der keine Unterstützer an seiner Seite hat, wird von uns genauso ernst genommen und seine Eingabe wird genauso sorgfältig geprüft und bearbeitet wie die Masseneingabe mit 100 000 oder mehr Mitzeichnerinnen und Mitzeichnern. (Beifall im ganzen Hause) Erwähnen möchte ich an dieser Stelle den Polizisten, der seiner erkrankten Ehefrau eine Niere spenden wollte und der zunächst die Auskunft erhielt, danach den Polizeidienst nicht mehr ausüben zu dürfen. Der Petitionsausschuss konnte hier wie auch in den folgenden Beispielen helfen. In weiteren Petitionen ging es um die bessere Auswahl einer passenden Rehabilitationsklinik für ein behindertes Kind, die nachträgliche Zuerkennung einer Erwerbsminderungsrente oder die Anerkennung von Kindererziehungszeiten für 13 Pflegekinder, die die Petentin neben ihren eigenen vier Kindern im Laufe der Jahre in ihrer Familie aufgenommen hatte. Meine Damen und Herren, zu Beginn habe ich von Vertrauen gesprochen, das Petentinnen und Petenten uns entgegenbringen. Dieses Vertrauen müssen wir aber auch durch sorgfältige Arbeit rechtfertigen. Doch angesichts der großen Zahl von Petitionen ist es nicht einfach, das große Arbeitspensum immer in angemessener Zeit zu erledigen. Dies geht nur mit einer ausreichenden organisatorischen und materiellen Ausstattung sowie mit qualifiziertem und hochmotiviertem Personal. Auf dieses Personal des Petitionausschussdienstes und der Fraktionen können wir Abgeordneten uns jederzeit verlassen. Gerade unsere öffentlichen Petitionen bedürfen eines höheren Betreuungs- und Arbeitsaufwandes, welcher den Ausschussdienst oft an die Grenzen der Kapazität bringt. Ich möchte mich deshalb besonders bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsausschussdienstes unter Leitung Herrn Haases recht herzlich bedanken und den Wunsch und die Hoffnung äußern, dass die Zusammenarbeit weiterhin so gut bleibt, wie sie jetzt ist. (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ausgesprochen ärgerlich sind bei der hohen Arbeitsbelastung und den knappen Ressourcen Posteingänge von einigen wenigen Petenten, die sich mit großer Regelmäßigkeit an den Ausschuss wenden, und zwar nicht mit persönlichen Anliegen, sondern mit Bitten höchst allgemeiner Art. Selbstverständlich gilt auch für diesen Personenkreis das Recht aus Art. 17 des Grundgesetzes. Art. 17 besagt, dass jedermann das Recht hat, sich mit Bitten und Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. Wenn aber eine einzelne Person monatlich bis zu 100 Petitionen an uns sendet, stellt sich schon die Frage nach einer Missbrauchsgrenze für die Ausübung des Petitionsrechtes. Lassen Sie mich ganz klar sagen: Der Petitionsausschuss wurde geschaffen, um bedrängten Menschen mit zum Teil existenziellen Problemen beizustehen. Selbst hierfür ist die uns zur Verfügung stehende Arbeitszeit eher knapp bemessen. Schriftverkehr als Beschäftigungstherapie gehört nicht dazu. Wenn also ein Petent gerne seinen Geburtstag im Bundeskanzleramt feiern möchte oder ein anderer Blondinenwitze verbieten lassen will, so gehört das für uns ausdrücklich nicht in die Kategorie wirkliche Sorgen und Nöte der Menschen. (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in 17 Sitzungen im Jahr 2009 wurden vom Petitionsausschuss rund 7 000 Petitionen abschließend behandelt. In 13 Berichterstattergesprächen haben wir uns mit Petitionen zu Themen wie die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, die Rechtsstellung der Beamten oder dem Dauerbrenner Lärmschutz beschäftigt. Gerade diese aufwendigen Beratungen mit Vertretern der Bundesregierung sind für uns in besonderer Weise geeignet, Hilfen im Einzelfall auszuloten. Es ist eben nicht damit getan, an die jeweils zuständigen Institutionen eine Anfrage zum Sachverhalt zu senden und deren Stellungnahme dann als unabänderliche Tatsache hinzunehmen. Die Mitglieder des Ausschusses sehen ihre Aufgabe darin, alles nur Machbare im Interesse der Petentinnen und Petenten zu erreichen. Dabei nutzen wir alle Möglichkeiten, die dem Petitionsausschuss zur Verfügung stehen. Diese reichen von der unmittelbaren Einbindung von Vertretern der Bundesregierung im Rahmen der Berichterstattergespräche über die Durchführung öffentlicher Anhörungen bis hin zu einem Ortstermin. All dies hilft den Mitgliedern des Petitionsausschusses, sachkundige Entscheidungen zu fällen. Meine Damen und Herren, 6 552 Bitten und Beschwerden konnten 2009 durch Rat, Auskunft oder Übersendung von Materialien erledigt werden. 1 316 Anliegen wurden vom Petitionsausschuss positiv beschieden. Etwa 600 Petitionen überwies der Deutsche Bundestag auf Vorschlag des Ausschusses an die Bundesregierung mit der Bitte, für Abhilfe zu sorgen. Kritisch anmerken möchte ich in diesem Zusammenhang, dass wir nicht über alle Berichte der Bundesregierung glücklich sind, mit denen sie auf unsere Abhilfeersuchen antwortet, und dass wir uns in vielen Fällen eine zügigere Beantwortung von Anfragen wünschen. Manchmal hat man das Gefühl, dass die Regierung vielleicht zu sehr verdrängt, dass es sich bei diesen Abhilfeersuchen um Beschlüsse des gesamten Bundestages handelt und dass es nicht nur die Wünsche einzelner Oppositionsfraktionen sind. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Jahresbericht des Petitionsausschusses belegt eindrucksvoll, welche Probleme und Sorgen die Menschen in unserem Land haben. Mit gut 20 Prozent der Eingaben ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales das am stärksten betroffene Ressort. Dabei waren die dominierenden Themen die Grundsicherung für Arbeitsuchende in all ihren Facetten und Eingaben zur Rente. Den zweiten Platz - mit der größten Steigerungsrate im Vergleich zum Vorjahr - belegen Eingaben aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Hauptproblemfelder sind hier Eingaben zum Unterhalts- und Scheidungsrecht sowie zu Privatinsolvenzverfahren. Es folgen mit je 10 Prozent der Eingaben die Geschäftsbereiche des Bundesministeriums des Innern und des Bundesministeriums der Finanzen und schließlich mit fast 10 Prozent der Bereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Meine Damen und Herren, Sie sehen: Es gibt viel Arbeit. Ich möchte deshalb besonders das Engagement hervorheben, mit dem die Mitglieder unseres Ausschusses um die bestmögliche Lösung für die Petentin oder den Petenten ringen. Eine Antwort aus den Ministerien oder deren untergeordneten Behörden wird nicht einfach hingenommen, sondern hinterfragt. (Beifall bei der LINKEN) So haben sich in vielen Fällen, obwohl sie beim ersten Ansehen als aussichtslos eingestuft worden waren, Lösungen gefunden, die den Petenten wieder Hoffnung gaben, sodass diese Fälle in deren Sinn doch noch positiv abgeschlossen werden konnten. Es gab auch immer wieder Fälle, bei denen bereits bestehende Gesetze aufgrund von Petitionen überarbeitet werden mussten, da mögliche Härtefälle im Vorfeld nicht bedacht worden waren. Das sind die Erfahrungen, bei denen wir stolz auf das Erreichte sind. Leider kann ich nicht verschweigen, dass es schon traurig stimmt, wenn wir in manchen Situationen feststellen müssen, dass uns bedauerlicherweise die Hände gebunden sind und wir kein positives Votum abgeben können. Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich nochmals betonen: Art. 17 und Art. 45 c des Grundgesetzes sind nicht irgendwelche Artikel von vielen, sondern die Rechtsgrundlage für unsere Tätigkeit. Das ist unser Auftrag, und um diesen zu erfüllen, erwarten wir die uneingeschränkte Kooperation der von uns angerufenen Stellen. Wir werden nicht lockerlassen und immer wieder nachhaken, wenn es um die Petentinnen und Petenten geht, die sich voller Vertrauen an uns, an den Bundestag, und an die Bundesregierung gewandt haben. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, für die kommenden Jahre erhoffe ich mir von den Mitgliedern unseres Parlaments weiterhin eine über alle Fraktionsgrenzen hinausgehende konstruktive Zusammenarbeit, so wie wir es im Petitionsausschuss in den meisten Fällen praktizieren. Meinen schon nicht mehr ganz neuen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss möchte ich sagen, dass ich mich auf die gut begonnene Zusammenarbeit in dieser Legislaturperiode auch in den kommenden Jahren freue. Herzlichen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Günter Baumann von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Günter Baumann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade in den letzten Tagen haben sich Petenten bei uns bedankt. Da Dank bei uns Abgeordneten nicht allzu oft vorkommt - Dank tut gut -, möchte ich mit der Schilderung folgenden Beispiels beginnen: Anwohner einer schönen Wohngegend in Zossen-Wünsdorf, Brandenburg, beschwerten sich im April 2008 beim Petitionsausschuss des Bundestages über Lärmbelästigungen durch Diesellokomotiven, die in der Nähe ihrer Wohngebäude abgestellt worden waren. Seit einer Fahrplanumstellung der Bahn im Jahre 2006 werden diese Lokomotiven verändert abgestellt, und deren Aggregate laufen am Tag und nachts, sodass die Anwohner nicht schlafen können. Die Petenten wandten sich zunächst an die Bahn. Es gab eine Reihe von Gesprächen - ohne jede positive Reaktion. Der Petitionsausschuss hat 2009 fraktionsübergreifend beschlossen, die Petition dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Erwägung zu überweisen - ein sehr hohes Votum. Wer dachte, dass sich nun etwas bewegt, hat sich natürlich geirrt. Wir vermochten zu erkennen, dass es Alternativen gibt. Das Ministerium hat uns die Antwort der Bahn mitgeteilt, man sehe keine Alternativen. Diese Antwort akzeptierten wir nicht. Am 3. Mai dieses Jahres führten wir in Wünsdorf einen Ortstermin durch. Trotz Regens und schlechten Wetters haben wir dort alles besichtigt und gesagt: Es gibt garantiert Möglichkeiten, die Lokomotiven anders abzustellen. Uns war klar: Die Petenten haben keinen rechtlichen Anspruch auf Lärmschutz, da es sich um keine Neubaustrecke handelt. Trotzdem waren wir, speziell nach dem Ortstermin, der Meinung: Es gibt Möglichkeiten. In dem Gespräch vor Ort mit Petenten und der Bahn haben wir festgestellt: Die Bahn bewegt sich keinen Zentimeter und rückt von ihrer Meinung nicht ab. Wir haben deutlich gemacht, dass wir dies nicht akzeptieren, und haben die Angelegenheit nicht für erledigt erklärt. Diese Woche teilten die Petenten dem Petitionsausschuss mit, der Ortstermin habe offensichtlich Wirkung gezeigt, die Züge würden anders abgestellt. Es gibt für die betroffenen Bürger im Prinzip keine Lärmbelästigung mehr. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) Ich denke, ein solches Beispiel zeigt deutlich: Es geht nicht nur um Gesetzesänderungen; wir müssen nicht immer hier im Plenum irgendetwas ändern. Es geht darum, Wege zu suchen, mit den Petenten und den zuständigen Ministerien Lösungen oder zumindest Kompromisse zu finden. Ein zweites Beispiel verdeutlicht das noch eindrucksvoller. Einem dienstunfähigen Oberstleutnant der Bundeswehr war die Fortführung seines Studiums an einer staatlichen Landesuniversität versagt worden. Mit einem hohen Votum konnten wir erreichen, dass er das Studium fortsetzen konnte. Darüber hinaus hat das Verteidigungsministerium die Petition zum Anlass genommen, für die Universitäten der Bundeswehr eine generelle Festlegung zu treffen, dass dienstunfähige Soldaten und Offiziere ihr Studium fortsetzen können. Die beiden beliebig herausgegriffenen Beispiele aus dem letzten Jahr zeigen, dass wir im Ausschuss mit Hartnäckigkeit eine Menge für die Bürgerinnen und Bürger erreichen können. Immerhin sind im letzten Jahr rund 50 Prozent der Petitionen positiv ausgegangen: In 7 Prozent der Fälle haben wir dem Anliegen direkt entsprochen. In 4 Prozent der Fälle haben wir ein hohes Votum an die Adresse der Bundesregierung erzielt. In den meisten Fällen konnten wir damit etwas bewegen. In 39 Prozent der Fälle haben wir den Petenten mit Rat, Auskunft oder Materialübersendung geholfen. Die Bearbeitung von Petitionen ist ein wichtiges Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, das gut angenommen wird. Wir stellen uns dieser Aufgabe. Die Vorsitzende sprach davon: Im letzten Jahr gingen fast 19 000 Petitionen ein. Man muss sich eine weitere Zahl auf der Zunge zergehen lassen: Täglich gehen 75 neue Petitionen im Bundestag ein. Die Zahl der Petitionen, die bearbeitet werden müssen, ist schon gewaltig. Die Vorsitzende hat bereits auch diese Zahl genannt: Im vergangenen Jahr haben sich 2 Millionen Bürgerinnen und Bürger durch Einreichung von Petitionen und Massenpetitionen sowie Mitunterzeichnung, auch im Internet, in irgendeiner Art am Petitionswesen beteiligt. Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu der Frage, wie die Petitionen in Deutschland verteilt sind. Trotz eines Rückgangs stellen wir nach wie vor fest, dass die meisten Petitionen aus den neuen Bundesländern kommen. Spitzenreiter ist Brandenburg mit 1 504 Petitionen im Jahr; das sind 598 Petitionen auf eine Million Einwohner. Auf den folgenden Plätzen liegen Berlin, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Nun kann man natürlich wieder sagen: Die Ossis meckern am meisten. Aber ganz so einfach ist es eben doch nicht. Es gibt in den neuen Bundesländern eine Reihe von Problemen, die im Einigungsvertrag nicht komplett geregelt werden konnten und die heute nach wie vor bestehen. Zum Beispiel haben wir uns mit einer ganzen Reihe von Rentenfällen oder offenen Vermögensfragen - Probleme mit der Treuhand, die noch heute bestehen - in den neuen Bundesländern beschäftigt, die es in den alten Bundesländern nicht gibt. Zwei weitere Zahlen: Der Ausschuss hat im letzten Jahr insgesamt über 17 000 Petitionen bearbeitet - auch das ist eine beachtliche Zahl -; in Ausschusssitzungen waren es durchschnittlich 30 Petitionen. An dieser Stelle sage ich einen herzlichen Dank an alle Abgeordneten im Ausschuss, die wöchentlich in ihren Büros mindestens zehn, manchmal bis zu 30 Petitionen - bei Klaus Hagemann und mir sind es meist noch ein paar mehr - bearbeiten müssen, und dies neben ihrer Arbeit in mindestens einem zweiten oder gar einem dritten Ausschuss. Das muss an dieser Stelle einmal gewürdigt werden. (Beifall im ganzen Hause) Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen im Ausschuss auch für das überwiegend gute und kollegiale Miteinander herzlich bedanken. Man merkt ständig: Im Mittelpunkt steht das Problem, um das wir uns kümmern wollen, und nicht der Parteienstreit. (Beifall im ganzen Hause) An dieser Stelle richte ich im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen besonderen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes. Die Vorsitzende sprach bereits davon: Ohne die Arbeit des Ausschussdienstes könnten wir unsere Arbeit nicht durchführen. Wir brauchen eine kompetente und sachliche Vorarbeit, sonst würde vieles nicht funktionieren. (Beifall im ganzen Hause) Natürlich muss es der Ausschussdienst auch aushalten können, wenn wir Abgeordnete manchmal eine ganz besondere Meinung haben, die nicht der des Ausschussdienstes entspricht. Aber so sind halt die Abgeordneten. Mit der Einführung des Systems der öffentlichen Petitionen im Herbst 2008 haben wir eine neue Form der Petition gefunden, die sich bewährt hat. Eine Reihe von Abgeordneten - auch ich gehörte damals dazu - hatte Angst vor starkem Missbrauch. Die Befürchtungen sind bisher nicht eingetreten. Die Bürger sind klug genug, das Angebot ordentlich zu nutzen. Wir haben damit einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Politikverdrossenheit geleistet. Es tut jedem Abgeordneten gut, wenn er nach einer öffentlichen Sitzung mit einem Petenten ins Gespräch kommt und der Petent sich dafür bedankt, dass er nach Berlin kommen durfte und sein Anliegen vortragen konnte. In vielen Fällen können wir nicht helfen; aber dass sie in Berlin waren und mit uns gesprochen haben, ist für sie ein besonderes Ereignis. Dafür sind sie dankbar. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Günter Baumann (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. - Wir haben eine Reihe besonderer Befugnisse, was uns ermöglicht, uns ein intensives Wissen anzueignen. Es gibt Ortstermine und Berichterstattergespräche, die wir stark nutzen. Im Extremfall erhalten wir Akteneinsicht. Das ist für unsere Arbeit wichtig. Wir stehen mit unserer Tätigkeit nicht immer im Mittelpunkt des Parlaments, aber mit unserer geräuschlosen Arbeit erreichen wir die Bürger und erzielen dadurch eine Reihe von Erfolgen. Wir können viele Probleme lösen, aber nicht alle. Ich habe mit einem Beispiel begonnen, ich möchte mit einem Beispiel enden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Aber bitte sehr kurz, Herr Kollege, Sie haben schon deutlich überzogen. Günter Baumann (CDU/CSU): Wenn sich zum Beispiel ein Petent an uns wendet und uns auffordert, man möge in Deutschland alle Autos gelb spritzen, (Stephan Thomae [FDP]: Sympathische Farbe!) weil damit die Wirtschaft angekurbelt und die Verkehrssicherheit erhöht würde, können wir dem natürlich nicht stattgeben. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Der nächste Redner ist der Kollege Stefan Schwartze für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP]) Stefan Schwartze (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Mitarbeiter des Ausschussdienstes! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen des Petitionsberichtes 2009 sind beeindruckend. Wieder sind fast 19 000 Petitionen an den Deutschen Bundestag gerichtet worden. Um einen Vergleich zu nennen: Das entspricht der Einwohnerzahl meiner Heimatstadt Vlotho. Es ist also wirklich beeindruckend. Dass so viele Menschen dem Petitionsausschuss des Bundestages ihr Vertrauen entgegenbringen, ist ein großer Erfolg. Als neues Mitglied habe ich schnell gemerkt, was die Mitgliedschaft im Petitionsausschuss vor allem bedeutet: tiefe Einblicke und Erfahrungen in die ganz persönlichen Lebensbereiche und Schicksale von Menschen in unserem Land, Erfahrungen, die man sonst nicht gewinnen kann und die einen oft persönlich berühren. Diese Vielzahl von persönlichen Schicksalen und Problemen, aber auch die Vielzahl von Ideen und Anregungen der Bürgerinnen und Bürger sorgen dafür, dass man sich als Abgeordneter immer wieder mit neuen Themen befasst. Als Mitglied des Petitionsausschusses kann man sich über Arbeitsmangel nicht beklagen. Der Ausschuss ist mehr als der Kummerkasten der Nation. Er gewährt einen Blick darauf, welche Sorgen die Menschen haben und an welchen Stellen Probleme in unserer Gesellschaft entstehen. (Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist die ureigene Aufgabe der Politik, diese Sorgen zu erkennen und den Menschen zu helfen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben das Petitionsrecht daher nicht nur fest im Grundgesetz verankert, sondern sie haben auch dafür gesorgt, dass der Petitionsausschuss als Verfassungsausschuss einen hervorgehobenen Rang im Bundestag genießt. Es ist unsere Aufgabe als Mitglieder dieses Ausschusses, die hohen Ansprüche zu erfüllen. Dazu gehört auch, dass wir das Petitionsverfahren ständig weiterentwickeln, wie dies zuletzt bei der Einführung der E-Petition im Jahr 2008 erfolgt ist. Die Zahlen des Onlineportals zeigen deutlich, dass der Petitionsausschuss den Sprung in die neuen Medien geschafft hat. Dies ist deswegen so wichtig, weil dadurch der jungen Generation das Petitionsrecht nahegebracht wird. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dieser Erfolg sollte uns darin bestärken, das Petitionsrecht auch zukünftig populärer und leichter zugänglich zu machen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben daher die Anregung des Deutschen Kinderhilfswerks aufgenommen, Kindern und Jugendlichen den Zugang zum Petitionsausschuss im Internet zu erleichtern. Gemeinsam arbeiten wir an Vorschlägen, wie ein solches Internetportal aussehen könnte. Ein kinder- und jugendgerechtes Petitionsportal im Internet ist der richtige Weg, auch die ganz Jungen über ihr Petitionsrecht aufzuklären und sie zu ermutigen, ihre eigenen Probleme oder Vorschläge an den Petitionsausschuss zu richten. Damit können wir frühzeitig für Vertrauen in die Demokratie und ihre gewählten Vertreter werben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Wie wichtig es ist, das Petitionsverfahren modern zu präsentieren und neue Verfahren zu ermöglichen, hat eine Petition gezeigt, die für große Aufmerksamkeit und eine breite Debatte gesorgt hat. Es handelt sich dabei um die Petition gegen die Einrichtung von Internetsperren. Nachdem das sogenannte Sperrgesetz vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden war, bildete sich eine breite Protestbewegung derjenigen, die das Internet ausgiebig und regelmäßig nutzen. Besonders junge Bürgerinnen und Bürger organisierten sich aus Angst vor Zensur. Eine Onlinepetition wurde in wenigen Wochen von mehr als 130 000 Mitzeichnern unterstützt, und es kam zur öffentlichen Ausschusssitzung. Dabei wurde deutlich, dass keine Fraktion dieses Hauses mehr an diesem Sperrgesetz festhält. Das ist ein Musterbeispiel für die positive Entwicklung des Petitionswesens in den vergangenen Jahren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Durch die Möglichkeit der Mitzeichnung und die öffentliche Beratung ist es gelungen, die Aufmerksamkeit auf den Petitionsausschuss und seine Arbeit zu lenken. Es ist außerdem gelungen, die Schwächen eines untauglichen Gesetzes zu erkennen. Es ist gewiss kein Zufall, dass unter den am häufigsten mitgezeichneten Onlinepetitionen zwei Petitionen sind, die sich mit dem Thema Internet und PC-Spiele befassen. Die jungen Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind und die neuen Medien ganz selbstverständlich nutzen, haben mit der Onlinepetition ein Medium entdeckt, welches ihrer Lebenswelt entspricht. Dass sich die Onlinepetition nicht nur auf diese Generation beschränkt, hat die Petition der Hebammen, die wir in dieser Woche in einer öffentlichen Anhörung behandelt haben, gezeigt. Dabei ist deutlich geworden, dass durch die Arbeitsbedingungen, die schlechte Bezahlung und die dramatisch ansteigenden Kosten der Berufshaftpflicht eine ganze Berufsgruppe um ihre Existenz bangt. Es ging um Arbeitsbedingungen, wie sie auf viele Freiberufler zutreffen. Es ist deutlich: Hier muss gehandelt werden. Wir werden hierzu auch eine Initiative einbringen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Diese öffentliche Petition hat bewiesen, dass durch die Modernisierung des Petitionswesens die Menschen wichtige gesellschaftliche Themen besser auf die politische Bühne bringen können. Die Petition der Hebammen ist ein Musterbeispiel dafür. Der Sprung in die neuen Medien war erfolgreich. Durch die Onlinepetition haben wir viele junge Menschen erreichen können. Mit Kindern und Jugendlichen wollen wir SPD-Abgeordnete nun eine Zielgruppe erreichen, die von ihrem Petitionsrecht bisher leider sehr wenig Gebrauch macht. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass wir auch in diesem Punkt erfolgreich sein werden. Das Petitionsrecht als Grundrecht ist in diesem Ausschuss in guten Händen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit der letzten Monate bedanken. Ich freue mich auch auf die weitere Arbeit im Ausschuss. Mein ganz besonderer Dank gilt den Mitarbeitern des Ausschussdienstes. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Kollege Stephan Thomae. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stephan Thomae (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren des Ausschussdienstes! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Grundgesetz sieht in seinem Art. 17 vor, dass jedermann sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten und Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung wenden kann. In Art. 45 c regelt das Grundgesetz, dass für die Behandlung dieser Bitten und Beschwerden ein Petitionsausschuss eingesetzt wird. Der Petitionsausschuss ist damit neben dem Auswärtigen Ausschuss, dem Verteidigungsausschuss und dem Europaausschuss einer der vier Verfassungsausschüsse; Kollege Schwartze hat gerade darauf hingewiesen. Diesem Ausschuss kommt in der Architektur der gesetzgebenden Gewalt eine doppelte Sonderstellung zu: Zum einen ist er neben dem Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung der einzige Ausschuss, dem aufseiten der Bundesregierung kein Ministerium gegenübersteht; wir sind also sozusagen eine rein parlamentarische Veranstaltung. Zum anderen ist der Petitionsausschuss diejenige Einrichtung des Bundestages, über die auch der einzelne Bürger direkt und unmittelbar ein Handeln der Volksvertretung auslösen kann. Die Verfassung hatte ursprünglich Einzelbitten und -beschwerden aus dem persönlichen Lebens- und Erfahrungsbereich der Menschen im Sinn. Aber es bleibt nicht aus, dass in Petitionen auch Themen aufgegriffen werden, die allgemeine oder öffentliche Anliegen zum Inhalt haben. Das kommt manchmal in sogenannten Einzelpetitionen einzelner Bürger zum Ausdruck, noch viel mehr aber in Mehrfach- oder Sammelpetitionen. Mehrfachpetitionen sind Petitionen mehr oder weniger gleichen Inhalts, die mehr oder weniger zufällig und unabhängig voneinander den Bundestag erreichen und dann gemeinsam beraten und behandelt werden. Bei Sammelpetitionen werden für eine bestimmte Petition systematisch Unterschriften gesammelt. Das geschieht seit 2005 - es ist schon darauf hingewiesen worden - im Wesentlichen im Wege der öffentlichen Petitionen, bei denen die Bürger über das Petitionsportal des Internetauftritts des Deutschen Bundestages die aktuellen öffentlichen Petitionen einsehen, mitzeichnen und Diskussionsbeiträge dazu verfassen können. Dies hat den Charakter des Petitionswesens verändert. Einzelpetitionen oder Mehrfach- und Sammelpetitionen weniger Petenten werden allerdings sowohl vom Ausschussdienst als auch von uns Abgeordneten genauso ernst genommen und genauso gründlich studiert und bearbeitet wie Massenpetitionen. Dem Petitionsausschuss ist sehr wohl bewusst, dass die Zahl der Petenten allein noch kein Kriterium für die Relevanz und Signifikanz eines Anliegens darstellt. Der Vorschlag eines einzelnen Petenten kann genauso gut wie ein Vorschlag sein - manchmal auch viel besser -, für den vielleicht durch eine geschickte Kampagne Tausende von Unterschriften gesammelt worden sind. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Petitionsportal des Bundestages ist ein ausdrücklicher Aufruf an die Bürger, an der politischen Meinungs- und Willensbildung mitzuwirken und sich konstruktiv politisch-gestalterisch einzumischen. Diese Möglichkeit ist also ein Erfolgsprodukt des Bundestages. Aus dem Ihnen vorliegenden Bericht des Petitionsausschusses ergibt sich: Im Jahr 2009 - es ist schon darauf hingewiesen worden - haben 51 öffentliche Petitionen mehr als 2 000 Unterstützer gefunden. Interessant ist, dass die Zahl der Zugriffe auf das Petitionsportal des Bundestages höher ist als die Zahl der Aufrufe jeder anderen Webseite des Bundestages, sogar der Hauptseite. Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2010 wurde über 31-Millionen-mal auf die Petitionsseiten des Bundestages zugegriffen. Das zeigt das große Interesse der Menschen an diesem Instrument. Wenn eine Petition innerhalb von drei Wochen seit Einreichung mehr als 50 000 Unterstützer findet, dann erhält der Petent die Möglichkeit, sein Anliegen den Abgeordneten in einer öffentlichen Sitzung des Ausschusses noch einmal mündlich zu erläutern; der Kollege Baumann hat schon ausgeführt, dass es für die Petenten auch ein besonderes Erlebnis ist, hier in Berlin im Bundestag aufzutreten. Damit werden Petitionen mehr und mehr zu einem Instrument politischer Teilhabe. Die Erfolgsgeschichte öffentlicher Petitionen ermutigt die Regierungsfraktionen, das Petitionswesen weiterzudenken und weiterzuentwickeln. CDU, CSU und FDP haben deshalb in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass Massenpetitionen unter Beteiligung der Fachausschüsse im Plenum des Bundestages beraten werden. Damit öffnet sich sozusagen die Kronkammer unserer parlamentarischen Demokratie erstmals direkt und unmittelbar für Anträge aus der Mitte der Bevölkerung. In Zeiten, in denen sich viele Menschen von der Demokratie abwenden, ist es ein gutes Zeichen, dass wir uns ganz ostentativ den Menschen stärker zuwenden und sie in den Deutschen Bundestag hineinnehmen, in dem wir uns wiederum unmittelbar und direkt an die Öffentlichkeit wenden. Trotzdem muss herausgestellt werden: Die eigentliche Bestimmung des Petitionsrechts ist es natürlich nicht, dass im Wege der Petitionen noch einmal alle politischen Diskussionen wiederholt werden, die ohnehin das Tagesgeschehen bestimmen. Es mag zwar ein Unterschied sein, ob nur eine Fraktion des Bundestages oder aber 100 000 Bürger eine politische Frage zum Gegenstand einer parlamentarischen Beratung machen. Aber das Petitionswesen kann und soll die Tagesordnung des Bundestages nicht bestimmen. Wir wollen bestimmten Petitionen den Weg in die Plenardebatten öffnen. Aber die Voraussetzungen dafür sollen doch so ambitioniert sein, dass der Beratung einer Petition im Plenum ein besonderer Ausnahmecharakter anhaftet. Regelfall und Hauptaufgabe des Ausschusses sollten bleiben, sich mit konkreten Bitten und Beschwerden zu beschäftigen, mit denen sich Menschen hilfesuchend an die Volksvertretung wenden. Über alle Fraktionsgrenzen hinweg prüfen die Mitglieder des Petitionsausschusses und des Ausschussdienstes sehr gewissenhaft die Substanz einer jeden Petition. In vielen Fällen holen wir Stellungnahmen der Ministerien ein oder führen zusammen mit Ministerialbeamten oder gar Staatssekretären mündliche Anhörungen durch. Wir lassen uns Bericht erstatten mit dem Ziel, dass eine Behörde ihre Entscheidung unter neuen Gesichtspunkten vielleicht noch einmal prüft. Aber natürlich haben wir als Ausschuss die Teilung der Staatsgewalten zu respektieren. Der Petitionsausschuss ist weder eine Superrevisionsinstanz der Gerichtsbarkeit noch eine oberste Bundesbehörde. Wir können der Staatsverwaltung keine Weisungen erteilen. Aber wir können versuchen, Anstöße zu geben. Wir können Signale aufnehmen. Der Petitionsausschuss ist ein Seismograf des Gesetzgebers. Wir spüren oft als Erste die kleinen und die großen Beben, die eine gesetzgeberische Entscheidung hervorrufen kann, aber auch Probleme, die vielleicht gar nicht auf die Gesetzgebung zurückzuführen sind. Ich möchte abschließend auf zwei - für meine Begriffe sehr spektakuläre - Massenpetitionen hinweisen, nämlich einmal auf die GEMA-Petition, die von einer Petentin aus meinem Wahlkreis Oberallgäu initiiert und eingereicht worden ist, und auf die schon erwähnte Petition der Hebammen. In beiden Fällen ist es nicht so, dass wir als Gesetzgeber diese Probleme ohne Weiteres lösen können. Dafür mangelt es uns an direkter Gesetzgebungskompetenz. Deswegen können wir das nicht legislativ lösen. Aber das Parlament kann seinen informellen Einfluss geltend machen. Das Parlament kann sein Gewicht in die Waagschale werfen. So zeigt sich in der hohen Zahl von 18 861 Petitionen im Jahre 2009 und von fast 900 000 Unterstützern von Massenpetitionen, dass trotz aller - oft auch berechtigten - Kritik an den Riten der parlamentarischen Demokratie die Volksvertretung weiterhin als Gravitationszentrum unseres Staatsaufbaus verstanden wird. Somit sollte die Rolle des Petitionsausschusses in unserer Verfassungsarchitektur nicht zu gering geachtet werden. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Ingrid Remmers für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ingrid Remmers (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitarbeiter des Ausschussdienstes! Die Wählerinnen und Wähler sind der Souverän eines jeden demokratischen Staates. Sie stimmen für eine Kandidatin oder einen Kandidaten und eine Partei und übertragen ihr damit die Wahrnehmung ihrer Interessen. Allerdings wächst in Deutschland die Zahl der Menschen, die sich durch die derzeitigen Mehrheitsverhältnisse und vor allem die Mehrheitsentscheidungen nicht mehr repräsentiert fühlen und tatsächlich allzu oft auch nicht mehr repräsentiert werden. Bis zu einem gewissen Grad ist das sicher ein Stück weit normal. Aber Demokratie verliert ihre Legitimation, wenn zu viele einzelne Menschen und ganze gesellschaftliche Gruppen den Eindruck haben, dass ihre Stimme und ihre Interessen überhaupt nicht mehr zählen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das verfassungsrechtlich verankerte Recht, sich mit seinen Bitten und Beschwerden direkt an den Bundestag zu wenden, kann ein Mittel sein, dem zumindest teilweise entgegenzuwirken. Deswegen ist es umso wichtiger, dass der Bundestag - also wir alle - die Arbeit des Petitionsausschusses ernst nimmt. Es handelt sich bei den Petentinnen und Petenten eben nicht um lästige Bittsteller. Die Eingaben der Menschen - einzeln oder in Gruppen - müssen auch und gerade von der Bundesregierung als notwendiges Korrektiv ihrer politischen Entscheidungen anerkannt werden. Die Petitionsstatistik weist als Seismograf und Indikator der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu viele Missstände und Ungerechtigkeiten aus. Es ist schließlich unsere Aufgabe, diese Missstände und Ungerechtigkeiten als Fehlfolgen der hier beschlossenen Gesetze wieder zu beseitigen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Arbeit des Petitionsausschusses erlaubt sowohl die qualitative als auch die quantitative Evaluation der Gesetzgebung. Sie nimmt vorweg, was oft später in der öffentlichen und politischen Diskussion erscheint. Damit zeigen sowohl der Einzelfall als auch die Massenpetition anschaulich die Tauglichkeit von einzelnen Gesetzen. Vor allem in der Hartz-IV-Gesetzgebung zeigt sich immer wieder an erschütternden Beispielen, welche offensichtlichen Härtefälle vor dem Gesetz vollkommen korrekt sind. So bringen beispielsweise die Anrechenbarkeit von fast allen anderen Einkünften oder auch die Falschberechnungen der zuständigen Behörden Arbeitsuchende viel zu oft in existenzielle Notlagen. Solche Ergebnisse in der Umsetzung von Gesetzen sind völlig inakzeptabel, und die Architekten der Hartz-IV-Gesetzgebung wären gut beraten, die auch durch das Petitionswesen festgestellten Auswirkungen ihrer Reform schnellstens abzustellen. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte neben der Hartz-IV-Gesetzgebung auf einen weiteren Schwerpunkt im Jahresbericht 2009 näher eingehen. Die Arbeit der bundeseigenen Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH als Nachfolgerin der Treuhand war und ist Gegenstand zahlreicher Beschwerden - und das nicht nur in Bezug auf die Privatisierung von Seen. Die oft undurchsichtigen Richtlinien für den Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen und die intransparenten Entscheidungen waren häufig Grundlage von Beschwerden. Hier setzt sich die vor allem von Ostdeutschen erlebte unrühmliche Vergangenheit der Treuhand fort und gipfelt in dem eben schon erwähnten flächendeckenden Verkauf von Seen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Kurzzeitig hatte die Vorgängerregierung - bei diesem Thema strategisch clever - den Verkauf vor der Bundestagswahl im September letzten Jahres gestoppt, um ihn nach der Wahl gleich wieder zu erlauben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen sieht anders aus. (Beifall bei der LINKEN) Um das Beispiel zu Ende zu führen: Laut einem Bericht des RBB vom 19. Juni dieses Jahres plant die BVVG den Verkauf von weiteren 300 Seen in Ostdeutschland in den nächsten Jahren. Demnach sollen die Seen zwar vorrangig den Kommunen zum Kauf angeboten werden, die Frage ist aber, ob sich die klammen Städte und Landkreise ihre eigenen Seen überhaupt leisten können. Obwohl die Seen sowieso der öffentlichen Hand in Form der BVVG gehören, sollen die Kommunen dafür bezahlen, einen wichtigen Faktor für den Tourismus auch weiterhin nutzen zu dürfen. Das ist schon eine seltsame Logik, wenn es um die wirtschaftliche Zukunft der neuen Länder geht. Vergleichbar mit der Seenprivatisierung im vergangenen Jahr haben im ersten Halbjahr 2010 auch die Hebammen mithilfe breiter öffentlicher Unterstützung in kürzester Zeit eine öffentliche Ausschusssitzung durchgesetzt. Dazu musste sich die Bundesregierung am vergangenen Montag erklären. (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Ich denke, wir reden über 2009!) - Dies ist nur ein kleines weiteres Beispiel, Frau Kollegin. Die zehn Sekunden haben wir, glaube ich, übrig. (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Es geht nicht um die zehn Sekunden, Frau Kollegin!) Die Hebammen haben in absoluter Rekordzeit mit einer öffentlichen Petition auf ihr Anliegen aufmerksam gemacht. In der Folge musste und muss sich der Ausschuss wie auch das Gesundheitsministerium mit den massiv steigenden Haftpflichtprämien im Vergleich zu der kaum steigenden Vergütung der Hebammen beschäftigen. Diese und andere Beispiele, speziell Beispiele von öffentlichen Petitionen, zeigen die direkte Einflussmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger, die durch die Veröffentlichung der Themen diese viel stärker in das öffentliche Bewusstsein bringen. Sie zeigen aber auch, dass sich die öffentliche Petition zunehmend zum Instrument zivilgesellschaftlicher Lobbyarbeit entwickelt. Ich halte diese Entwicklung vor allem deshalb für sehr erfreulich, weil sie die bislang benachteiligte zivilgesellschaftliche Interessenvertretung - also bürgerschaftliches Engagement oder die sogenannten Graswurzelbewegungen - gegenüber anderen, finanziell meist recht gut ausgestatteten Verbänden, zum Beispiel der Wirtschaft, erheblich stärkt. Damit verhilft das Instrument der öffentlichen Petition den zivilgesellschaftlichen Gruppen zu mehr Gerechtigkeit bei der Vertretung ihrer Interessen, und das ist gut so. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abschließend noch kurz einige Punkte. Meine Fraktion und ich wünschen uns von Herzen, dass noch sehr viel mehr Menschen die Möglichkeiten nutzen mögen, sich mit ihren Anliegen direkt an den Bundestag zu wenden - in ihrem eigenen Interesse und im Interesse der Demokratie. Auch ich möchte mich in diesem Zusammenhang für die gute Zusammenarbeit im Ausschuss und die Arbeit des Ausschussdienstes herzlich bedanken. Zuletzt möchte ich betonen, wie wichtig es ist, dass der Deutsche Bundestag in seiner Gesamtheit die von den Bürgerinnen und Bürgern mittels Petitionen aufgezeigten Probleme und Missstände wirklich ernst nimmt. Das gilt für jedes Einzelanliegen genauso wie für die Massenpetitionen. Passiert das nicht, bleibt es beim öffentlichen Debattierklub, und das Petitionsrecht verkommt womöglich zur plebiszitären Krücke. Als Folge würden sich die Bürgerinnen und Bürger zu Recht weniger denn je ernst genommen fühlen. Dies würde die Politikverdrossenheit verstärken und an der Legitimation des Parlaments nagen. Das Vertrauen in die Demokratie würde weiter geschwächt werden. Das dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei der LINKEN) Der Wähler ist der Souverän des Staates und nicht sein Bittsteller. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Klaus Hagemann [SPD]) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Memet Kilic. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte der Frau Vorsitzenden und den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen sowie deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die bisher gute und faire Zusammenarbeit im Ausschuss danken. (Beifall im ganzen Hause) Ich bin neu in diesem Ausschuss. Darum gilt mein Dank insbesondere auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes. Ihnen ist es gelungen, mir und den vielen anderen neuen Abgeordneten mit größter Geduld, Engagement und Kompetenz den Einstieg in die Arbeit des Ausschusses zu erleichtern. Dafür mein Dank auch im Namen meiner Fraktion! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP) Im vorliegenden Jahresbericht finden sich einige eindrucksvolle Beispiele dafür, dass der Petitionsausschuss nicht nur bei den laut vorgetragenen Anliegen aufmerksam wird. Gerade bei den leise, verzweifelt und einsam vorgetragenen Petitionen hört der Petitionsausschuss genau hin; denn das Anliegen der Einzelnen ist sein Kerngeschäft. Der Petitionsausschuss kümmert sich um die, die sonst nicht gehört werden. Ganz gleich, ob sie von einer Person eingereicht oder von Hunderttausenden unterstützt wird: Jede Petition ist dem Petitionsausschuss gleich viel wert. Durch die Instrumente E-Petition, öffentliche Petition und öffentliche Ausschusssitzung ist der Zugang zum Petitionsausschuss einfacher und das Verfahren durchsichtiger geworden. Die Bürgerinnen und Bürger machen rege davon Gebrauch. Über das Internetportal des Petitionsausschusses können sich die Bürgerinnen und Bürger direkt in das parlamentarische Geschehen einmischen. Das ist einzigartig im Bundestag. Mit über 56 000 Beiträgen ist es zudem eines der größten Politikforen in Deutschland überhaupt. Die Petitionen haben einen Namen und ein Gesicht bekommen. Die Menschen hinter den Anliegen werden sichtbar. Somit erkennt jeder, dass Politik nicht nur die Angelegenheit von einigen wenigen, sondern von jedem Mann und jeder Frau sein muss, die in unserem Land etwas ändern und verbessern wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Sie heißen beispielsweise Susanne Wiest, eine Tagesmutter aus Greifswald, die für ein bedingungsloses Grundeinkommen streitet und binnen kurzer Zeit 53 000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner für ihre Petition gewonnen hat. Da ist Franziska Heine, eine Webdesignerin, die für ihre Petition zur geplanten Netzsperre nicht nur 130 000 Unterstützerinnen und Unterstützer fand, sondern auch ein Umdenken in der Bundesregierung bewirkt hat. Da ist der Schüler Isaak Schwarzkopf. Der 13-jährige Junge aus Thüringen fordert in seiner öffentlichen Petition, den Worten zur Begrenzung der Klimaerwärmung auf 2 Grad endlich Taten folgen zu lassen, und macht konkrete Vorschläge an die Politiker. Der kleine Isaak gegen den Rest der Welt? Nein. Auch der Schüler Isaak hat für seine Onlinepetition bereits viele Unterstützer und Mitstreiter gefunden. Die Menschen waren mit der Arbeits-, Sozial- und Gesundheitspolitik der Bundesregierung nicht zufrie-den - Tendenz steigend. Im Jahresbericht 2009 findet der unzulängliche und ungerechte Umgang der Bundesregierung mit der Bankenkrise, der Abwrackprämie und dem Konjunkturpaket sein unmittelbares Echo. Das Bewusstsein dafür, dass Politik nicht nur alle vier Jahre bei Wahlen gemacht wird, wächst. Es passiert sehr viel zwischendurch. Darauf können wir aufbauen, aber es bleibt natürlich noch viel zu tun. Wir müssen nachlegen. Die besondere Bedeutung des Petitionsrechts zeigt sich auch darin, dass es nicht nur als Bürgerrecht, sondern auch als Menschenrecht im Grundgesetz verankert ist. Es steht allen Menschen offen, Erwachsenen wie Kindern, Inhaftierten und Geschäftsunfähigen, deutschen Staatsbürgern und Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, gleichgültig wo auf dieser Welt sie leben. Mehrere Hundert Menschen aus dem Ausland haben dieses Recht im vergangenen Jahr wahrgenommen. Viele von ihnen beklagen sich über die restriktive Visavergabepraxis der deutschen Auslandsvertretungen. Viele Familien werden zerrissen, weil Ehegatten und Angehörige nicht zu ihren in Deutschland lebenden Verwandten ziehen dürfen. Sie können keine hinreichenden Deutschkenntnisse nachweisen, haben oft aber auch keine Möglichkeit, die Sprache im Ausland zu erlernen. Wir verzeichnen allerdings auch einen besonders starken Anstieg bei den Petitionen zum Aufenthalts- und Asylrecht. Die Zahl der Petitionen zum Asylrecht verdoppelte sich im vergangenen Jahr. Fast ausschließlich ging es hier um die Angst der Menschen vor einer Überstellung in die griechischen Auffanglager. Obwohl das Bundesverfassungsgericht in mindestens sieben Fällen im Eilverfahren untersagt hat, dass Menschen an Griechenland überstellt werden, ist die Bundesregierung in der Regel nicht bereit, hier Abhilfe zu schaffen. Sie verweist auf die aus ihrer Sicht noch unklare Rechtslage. Unglücklicherweise konnten wir daher weniger Menschen helfen, als ich mir gewünscht hätte. Es liegt an uns, uns in diesem Punkt anzustrengen. Die Menschen wollen mitreden und mitgestalten. Sie wollen als mündige Bürgerinnen und Bürger ernst genommen werden. Mitbestimmung ist das wichtigste Mittel gegen die angebliche Politikverdrossenheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Daher müssen wir das Petitionsrecht noch bekannter machen und den Zugang vereinfachen. Wir müssen auch die Menschen gewinnen, die bisher zu wenig von den Möglichkeiten Gebrauch machen, sich einzumischen, zum Beispiel Erwerbslose, Frauen, Ältere und Immigranten. Ändern muss sich auch die hohe Quote der Eingaben, die nicht als öffentliche Petition zugelassen werden. Gerade bei den öffentlichen Petitionen könnte die Mitzeichnungsfrist verlängert und das Quorum gesenkt werden. Rund 60 Prozent der eingereichten öffentlichen Petitionen wurden nicht als solche zugelassen. Ich würde mich freuen, wenn diese hohe Quote sinken würde. Ich freue mich auf weitere spannende und erfolgreiche Jahre im Dienst der Bürgerinnen und Bürger. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Gero Storjohann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gero Storjohann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Jahr 2009 - um dieses Jahr geht es im vorliegenden Bericht - war in zweierlei Hinsicht ein besonderes Jahr für den Petitionsausschuss: Erstens konnten wir unser 60-jähriges Bestehen feiern, und zweitens war es über das ganze Jahr möglich, öffentliche Petitionen im Internet einzureichen, zu diskutieren und mitzuzeichnen. Es war ein schönes Jahr, das wir heute würdigen. Das 60-jährige Jubiläum zeigt, dass wir Kontinuität haben. Es zeigt aber auch, dass wir uns der Zeit anpassen müssen und dies auch tun wollen. Das Petitionswesen hat sich stetig weiterentwickelt. Es ist ein Vorzeigemodell geworden. Es wird sowohl im Inland als auch im Ausland anerkannt, und es wird nachgefragt, wie wir das Petitionsrecht handhaben. Es stößt auf viel Interesse. Ich erinnere daran, dass in England, der Urdemokratie, gar kein Petitionswesen existiert. Wir sind schon wesentlich weiter. Wir haben in Berlin viele ausländische Delegationen empfangen können, die sich danach erkundigten, wie hier die Zusammenarbeit funktioniert und wie das Petitionswesen organisiert ist. Besonders Delegationen aus frankophonen Ländern Westafrikas - ich freue mich, dass Herr "Afrika-Fischer" anwesend ist -, (Heiterkeit bei der CDU/CSU) aus Algerien, Marokko und Tunesien sowie aus Vietnam haben sich generell über unser Ausschusswesen informiert. Die Petitionsausschüsse und Ombudsleute aus dem Inland, die nach Berlin reisten, interessierten sich natürlich vor allen Dingen für das System der öffentlichen Eingaben. Allgemein erfährt die Praxis eine sehr positive Resonanz - nicht nur vonseiten der Vertreter anderer Parlamente, auch seitens der Bürgerinnen und Bürger. Sie wissen, dass wir uns als Petitionsausschuss auch um die Zusammenarbeit mit den Petitionsausschüssen der Landesparlamente kümmern. Deswegen laden wir regelmäßig die Vorsitzenden der Petitionsausschüsse der Landesparlamente ein. Wir freuen uns schon außerordentlich auf die Laudatio der Vizepräsidentin Frau Hasselfeldt zum 60-jährigen Bestehen Ende September in Schwerin. Wir Mitglieder des Petitionsausschusses gehen auch vor Ort, wenn wir es für angebracht halten. Zeitbedingt geht das nicht in jedem Fall. Aber wir machen das doch sehr häufig. Wir waren an der A14, um uns den Lärm höchstpersönlich anzuhören. Die Gefahr ist bloß immer, dass der Wind in dem Augenblick aus der falschen Richtung kommt und wir uns dann die Lärmbelastung vorstellen müssen. Hier war das an der Sülzetalbrücke, und wir haben rechtlich nicht unbedingt helfen können. Aber wir haben die Petition dann dem Petitionsausschuss des Landesparlaments zugewiesen mit dem Hinweis, dem Anliegen des Petenten, wenn man eine Möglichkeit sehe, nachkommen zu wollen und für Lärmschutz zu sorgen. Das ist also ein positives Beispiel dafür gewesen, dass wir im Gespräch die schwierige Situation haben verbessern können. Der Petitionsausschuss selbst ist sehr offen für Kritik, und er nimmt auch gern Probleme auf, um daraus dann Handlungsempfehlungen abzuleiten. Wir möchten konkrete Verbesserungen erreichen. Ein Problem in der letzten Zeit waren fehlende Abstellplätze an den Autobahnen für Lkws. Es gab eine Petition, es gab eine öffentliche Beratung im Petitionsausschuss, und es gab auch eine Begleitung durch Radiosender, die dieses Thema speziell für Trucker aufbereitet haben. Es ist kein Hauptpunkt gewesen, aber wir haben dieses Anliegen begleitet. Jetzt sind viele Initiativen gestartet worden, um Stellplätze für Trucks auszubauen. Bis zum Jahre 2012 sollen insgesamt etwa 15 000 Plätze zur Verfügung stehen. Das ist ein gutes Programm, das wir mit begleiten konnten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zum Schluss, meine Damen und Herren, möchte ich deutlich machen, dass wir Individualinteressen sehr wohl unterstützen und dass wir uns als Korrektiv bei Gesetzen sehen, die die gesamte Bevölkerung betreffen. Ohne die Mitarbeiter in unseren Büros und ohne die Mitarbeiter des Petitionsausschusses wäre diese wichtige Aufgabe nicht vollumfänglich zu leisten. Deshalb möchte auch ich mich im Namen der CDU/CSU-Fraktion für diese tolle Mitarbeit und Unterstützung herzlich bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Klaus Hagemann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) Klaus Hagemann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Gestern haben wir um diese Zeit den neuen Bundespräsidenten gewählt. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Noch nicht! Versucht!) - Doch, er ist es schon. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Aber nicht gestern um diese Zeit!) - Der dritte Wahlgang zeichnete sich ab. (Zuruf von der SPD: Der zweite!) Meine Damen und Herren, wir haben ihn gewählt, ob Sie wollen oder nicht, (Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN) und es ist Herr Wulff geworden. Ich gratuliere ihm sehr herzlich zu dieser Wahl. Er ist unser Staatsoberhaupt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber das wollte ich gar nicht erzählen. Eines, liebe Sibylle Pfeiffer, muss ich dazu allerdings doch sagen: Gestern waren ein paar Leute mehr hier im Plenarsaal als jetzt. (Beifall des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]) Ich meine nicht Sie, liebe Gäste, sondern meine Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete. Wir Petitionsausschussleute sind hier quasi unter uns und können unsere Diskussionen weiterführen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Es ist wie in der Kirche: Du beschimpfst die Falschen!) - Es ist immer so: Man trifft die Falschen. - Aber ich möchte für dieses Thema jetzt nicht zu viel Zeit verplempern. Es wurde immer wieder herausgestellt, der Bundespräsident sei ein Kümmerer, er sei ein Brückenbauer, er müsse Gräben zuschütten, er sei ein Ermutiger - alles richtig. Das sind Wendungen, die gestern zu hören und zu lesen waren. Das gilt aber genauso für uns vom Petitionsausschuss, vom Parlament, die wir für die Mitbürgerinnen und Mitbürger tätig sind, die sich an uns wenden. Auch das ist von Ihnen allen schon gesagt worden. Wir haben diese Aufgabe wahrzunehmen. Wir sind gezwungen, immer wieder neue Formen zu entwickeln; denn nichts ist beständiger als der Wandel. Ich möchte eine Petition herausgreifen, die von uns verlangt hat, solche neuen Formen zu entwickeln, und zwar die Beschwerden von ehemaligen Heimkindern, die in den 40er-, 50er-, 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts im Heim waren, uns ihr Schicksal geschildert und aufgezeigt haben, wie dramatisch es gewesen ist. Ich möchte hier die Vorgängerin in meinem Amt, Gabriele Lösekrug-Möller, erwähnen und ihr herzlich dafür danken, dass sie unser Petitionswesen immer wieder mit Ideen sehr bereichert hat. Ein Dankeschön an dieser Stelle! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie hat auch erkannt, dass es notwendig ist, einen runden Tisch einzurichten, weil wir mit dieser Thematik überfordert waren, weil Sachverständige dazukommen mussten. Nur so konnten wir uns intensiver mit der Thematik beschäftigen. Liebe Gabriele, noch einmal herzlichen Dank! Wir haben noch einen Wandel vollzogen; auf die öffentlichen Petitionen ist schon hingewiesen worden. Lieber Günter Baumann, Sie haben eben deutlich gemacht, dass bei der Union und der FDP erst große Bedenken bestanden haben. Ich würde es ein bisschen flapsiger sagen: Wir haben euch zum Jagen getragen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nein, nein! - Günter Baumann [CDU/CSU]: Absolut falsch!) - Sie waren noch gar nicht dabei, Herr Lehrieder. - Ihr habt dann mitgemacht, und wir haben es zusammen hinbekommen. (Günter Baumann [CDU/CSU]: Die Rede war bis jetzt gut!) Das hat sich so positiv entwickelt, dass jetzt alle Väter dieses Gedankens sind. Es ist richtig, öffentliche Petitionen zu ermöglichen, um die Zivilgesellschaft zu stärken, um die Bürgerinnen und Bürger stärker einzubinden. Ich möchte, Herr Kollege Thomae, Ihre Anregung aufgreifen, wieder eine Weiterentwicklung vorzunehmen. Das ist eine gute Anregung. Wir bieten auch hierfür die Zusammenarbeit an, so wie es üblich ist. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir die öffentlichen Petitionen noch stärker ausweiten müssen. Was nützt dem Petenten die Debatte hier im Plenarsaal, wenn er sich nicht beteiligen kann? Zumindest im Rahmen der öffentlichen Petition und der Anhörung kann er sich einbringen. Das ist sicher ein guter Weg, den wir hier gehen können. Ein anderes Beispiel ist die Diskussion um das Gesetz über Internetsperren. Durch die Petition dazu ist erreicht worden, dass das Gesetz jetzt nicht angewendet wird bzw. hinfällig ist. Ein weiteres Beispiel ist die große Petition zur Finanzmarkttransaktionsteuer. Diese Petition hat ausgelöst, dass sogar die Bundesregierung sich mit dieser Idee auseinandersetzt, und hat sie in der Diskussion unterstützt. Der Petent hat also einiges bewegt. Ich hoffe, dass die Anhörung dazu bald erfolgen kann; denn die Forderung ist berechtigt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Diejenigen, die die Finanz- und Wirtschaftskrise durch ihre Geldgier ausgelöst haben, müssen an der Finanzierung der Banken- und Wirtschaftsrettungsschirme beteiligt werden. Das steht in der Petition, und das kann nur so erreicht werden, wie es darin dargelegt worden ist. Es darf nicht der Eindruck entstehen: Wer Geld hat, der darf sich alles erlauben. Es gibt bei uns auch Petitionen, die ruhen. Sie ruhen sanft, und es geht nicht voran. Dies betrifft das Thema "Generation Praktikum". Auf der Tribüne sitzen viele junge Leute. Man hört es immer wieder in Gesprächen: Es besteht die Furcht, dass man nach einer qualifizierten Ausbildung nicht die Chance hat, aktiv in das Berufsleben einzusteigen. In diesem Zusammenhang ist die Zeitarbeit sowie die Tatsache zu nennen, dass es nicht genügend Arbeitsplätze gibt. Diese Sorgen müssen wir ernst nehmen. Es werden Praktika über Praktika angeboten; man soll noch ein schlecht oder gar nicht bezahltes Praktikum hintendran absolvieren. Wir haben diese Petitionen schon vor Jahren in Zeiten der Großen Koalition aufgegriffen und sind als Tiger gesprungen. Bisher sind wir noch nicht gelandet - noch nicht einmal als Bettvorleger -, weil man sich in der Bundesregierung - damit meine ich nicht nur die jetzige Bundesregierung, es ist noch ein Staatssekretär anwesend, (Zuruf von der CDU/CSU: Aber ein guter!) sondern auch ihre Vorgängerin während der Großen Koalition - zwischen zwei Ministerien nicht einigen konnte, welche Stellungnahme gegenüber dem Petitionsausschuss dazu abgegeben wird. Das darf nicht sein. Die Bundesregierung muss hier schneller handeln. Wir müssen zu einem Ergebnis kommen; denn die jungen Menschen haben sich als Petenten in dem vollen Vertrauen, dass wir handeln, an uns gewandt. An dieser Stelle besteht Handlungsbedarf. Lassen Sie uns das vorantreiben und nach vorne bringen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach Ausbildung und Studium müssen die jungen Menschen eine Perspektive haben. Wir sprechen immer vom Fachkräftemangel. Wir sagen ihnen, dass sie eine Familie gründen und Kinder bekommen sollen. Gleichzeitig stehen derart schlechte Voraussetzungen am Anfang des Berufslebens. Dort besteht in der Tat Handlungsbedarf. Lassen Sie uns das endlich nach vorne bringen. Lassen Sie uns hier die Bundesregierung treiben. Ich möchte noch die Diskussion um das Quorum, das erforderlich ist, um eine öffentliche Anhörung durchzuführen, in Erinnerung rufen. Zwar gehen wir jetzt in der Entwicklung voran, wie ich schon gesagt habe. Dennoch sollten wir nachdenken; da stimme ich dem Kollegen Kilic zu. Vielleicht ist es doch zu viel verlangt, 50 000 Unterschriften in drei Wochen zu erreichen. Außerdem stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen, wenn nach der Zeit des Quorums noch Zigtausende Unterschriften eingehen. Diese Unterschriften können wir nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Hier gibt es also genügend Ansatzpunkte, die wir uns anschauen und die wir aufgreifen sollten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch kurz die von uns verwendete Sprache ansprechen. Leider habe ich keine Zeit mehr, Ihnen sehr delikate Formulierungen vorzulesen, die von Juristen vorgelegt worden sind und die kein Mensch versteht. - Frau Präsidentin, ich sehe das Leuchten. - Übrigens müssen auch wir zwei Formen des Petitionsberichtes vorlegen: einen Bericht, der formaljuristisch in Ordnung ist und alle Facetten betrachtet, und zusätzlich eine verständliche Form, damit die Bürgerinnen und Bürger das Ganze verstehen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, das Sehen des Leuchtens reicht nicht. Klaus Hagemann (SPD): Ich sehe es, Frau Präsidentin. Der Kollege Baumann hat aber auch zwei Minuten überzogen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bei Ihnen geht es auch in diese Richtung. Klaus Hagemann (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle müssen besser, einfacher und verständlicher formulieren. Das gilt sowohl für die Bundesregierung, an die ich diese Bitte richte, Herr Staatssekretär Dr. Schröder, als auch für uns selbst. Zum Schluss sage ich ein Dankeschön an Sie alle für die gute, kollegiale, zum Teil freundschaftliche Zusammenarbeit. Ein herzliches Dankeschön geht auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will mich nicht der Unsitte der Vorredner anschließen und gnadenlos überziehen, weil die nach mir folgende Rednerin meiner Fraktion das auszubaden hätte, liebe Sibylle Pfeiffer. Seit nunmehr viereinhalb Jahren darf ich im Petitionsausschuss mitwirken. Am Anfang bin ich nolens volens in diesen Ausschuss geraten und dann freiwillig dort geblieben, weil hier, wie die Vorredner bereits ausgeführt haben, ein sehr kollegiales Verhältnis sowie ein parteiübergreifendes Verständnis der Probleme der Mitbürgerinnen und Mitbürger festzustellen sind. Mit jeder Eingabe, die ich als Berichterstatter im Petitionsausschuss bearbeiten darf, bestätigt sich: In kaum einem Gremium des Deutschen Bundestages hat man als Volksvertreter eine so unmittelbare Berührung mit den Anliegen der Wählerinnen und Wähler. Wer sich an den Petitionsausschuss wendet, bekommt für ein konkretes Anliegen Unterstützung. Behörden und Gesetzgeber erhalten ein Feedback aus dem täglichen Leben und Antworten auf die Frage, wo noch Korrekturbedarf besteht. Sie dürfen versichert sein - das gilt auch für die Zuschauer auf den Tribünen -: Auch wenn Otto Normalverbraucher vielleicht nicht so schnell eine befriedigende Antwort bekommt - wenn wir als Abgeordnete bzw. als Petitionsausschuss eine Behörde anschreiben, bekommen wir eine Antwort. Wir können ein Vorhaben, ein Anliegen oder ein Problem also transparent, öffentlich und bei der Behörde mit entsprechendem Gewicht vortragen. Als Abgeordnete bekommen wir Rückkopplung über das Wirken der Gesetzgebung in Fällen, wie sie jedem von uns auch in unserer Wahlkreisarbeit begegnen. Wer sich an den Petitionsausschuss wendet, sollte allerdings wissen: Der Ausschuss kann weder einen Verwaltungsakt noch einen Gerichtsbeschluss verändern oder aufheben. Er ist vor allem ein Untersuchungsorgan, das das Handeln von Verwaltungen und die Wirkung von Gesetzen überprüft. Sobald ein Petent an den Petitionsausschuss herantritt, wird seine Beschwerde oder Bitte von einer privaten Angelegenheit zu einem öffentlichen Anliegen. Sehr geehrte Damen und Herren, wie Sie sich sicherlich denken können, ist dies besonders auf den Feldern Arbeit und Soziales der Fall, für die ich im Petitionsausschuss in erster Linie Bericht erstatten darf. Viele Bürger nutzen das Petitionsrecht, um sich über die Gesetze des Bereichs Arbeitsmarkt oder deren Umsetzung zu beschweren oder Verbesserungen vorzuschlagen. Einige Vorredner sind bereits darauf eingegangen. Mit 21 Prozent der Eingaben ist das Ressort Arbeit und Soziales wie auch in den Vorjahren das Ressort im Petitionsausschuss, zu dem die meisten Zuschriften eingingen. Von den Themen her bildeten auch in diesem Jahr die Grundsicherung für Arbeitsuchende - Stichwort Arbeitslosengeld II - mit 1 120 Petitionen und das klassische Arbeitslosengeld mit 144 Petitionen den Schwerpunkt. Stark vertreten waren auch Problematiken rund um den Arbeitslohn, die Förderung der beruflichen Weiterbildung sowie die Arbeitsmarktpolitik an sich und die Bundesagentur für Arbeit als Institution. Im Übergang zur Rente war das Thema des Nachweises von Zeiten der Arbeitslosigkeit für die Rentenversicherung von großer Bedeutung. Das Schwergewicht der Petitionen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende betraf Fälle, in denen sich Petenten über die Bearbeitung ihres persönlichen Leistungsfalles durch die örtlichen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende beschwerten. Dabei ging es oft um die Anrechnung einmaliger Einnahmen, zum Beispiel um die von Geldgeschenken oder Rückerstattungen im Rahmen der Lohnsteuer oder der Betriebskosten der Wohnung, oder auch um Sanktionen, die den Petenten auferlegt worden waren, Stichwort: Fordern und Fördern. Gerade auch die Höhe der Regelsätze der Grundsicherung nach dem SGB II war immer wieder Thema. Im Vorfeld der in diesem Jahr erfolgten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar, insbesondere bezogen auf die Regelsätze für Kinder und Jugendliche, beanstandeten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger deren Höhe und machten Verbesserungsvorschläge. Viele dieser Petitionen stammen noch aus der vergangenen Wahlperiode. Da sie nicht der Diskontinuität unterliegen und somit auch in dieser Legislaturperiode weiterbehandelt werden, ist es nun notwendig, sie mit Wissen um das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 9. Februar noch einmal neu bewerten zu lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie in folgendem aktuellen Beispiel münden die Anliegen von Bürgern in Gestalt von Eingaben an den Deutschen Bundestag immer wieder in konkrete Entscheidungen und Korrekturen. Für die Petenten ist wichtig, zu sehen: Die Politik nimmt die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger ernst. So wurde in einem konkreten, von mir behandelten Fall ein Antrag auf ALG-II-Leistungen abgelehnt. Grund: die Verwertbarkeit eines Vermögens aus der privaten Rentenversicherung. Der Petent gab an, der vorzeitige Verkauf wäre für ihn mit finanziellen Verlusten von etwa 15 000 Euro verbunden gewesen und bringe ihn in die Gefahr von Altersarmut. Bei Abschluss des Rentenversicherungsvertrages habe er keine Möglichkeit gehabt, im Rahmen eines Modells für das Alter zu sparen, welches rechtlich anrechnungsfrei sei. Die Problematik, die diesem und ähnlichen Anliegen zugrunde liegt, war der unionsgeführten Bundesregierung bewusst. Wir haben bereits in unserem Koalitionsvertrag, lieber Kollege Thomae, aufgenommen, dass die Höhe des Schonvermögens verdreifacht werden soll, um für das Alter entsprechend Vorsorge leisten zu können. Anstelle von bisher 250 Euro sollen zukünftig 750 Euro pro Lebensjahr aus einer selbst erwirtschafteten Rentenzusatzleistung anrechnungsfrei bleiben. Der Bericht des Petitionsausschusses sieht auf Seite 28 insofern ausdrücklich vor - mit Ihrem Einverständnis, Frau Präsidentin, würde ich gerne die genaue Formulierung zitieren -: Der Petitionsausschuss empfahl daher, die Eingabe der Bundesregierung als Material zuzuleiten, damit sie im Rahmen der zukünftigen Gesetzgebung in die Überlegungen einbezogen werden kann, und leitete sie auch den Fraktionen des Deutschen Bundestages zu. Sie sehen an diesem Beispiel - damit möchte ich bereits vorzeitig zum Ende kommen -, dass die Politik reagiert. Politik und Gesetze sind ein lernendes System. Die Rückkopplung in Form der Anliegen der Bürgerinnen und Bürger im Petitionsausschuss ist hierfür eine wertvolle Unterstützung. In diesem Ausschuss werden die Anliegen der Bürger nicht als Arbeitsbelastung, sondern als positive Anregung und als wohlmeinende Begleitung unserer Initiativen hier in Berlin gesehen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist für mich die dritte Legislaturperiode als Mitglied des Petitionsausschusses. Ich mache das leidenschaftlich gerne, freiwillig, zusätzlich und, wie ich glaube, mit sehr viel Liebe und sehr viel Einsatz. Deshalb kann ich all das Gute und Schöne, was meine neun Vorredner zur Arbeitsweise des Petitionsausschusses gesagt haben, unterstreichen. An dieser Stelle erlaube ich mir aber auch zwei, drei kritische Bemerkungen. Ich denke, auch die dürfen wir einmal äußern. Ich glaube, dass der Petitionsausschuss nach völlig anderen Regeln funktionieren sollte als unsere übrigen Ausschüsse. Unsere Arbeit ist nämlich eine andere. Wir sollen objektiv, anonym und unvoreingenommen den Einzelfall betrachten und schauen, ob wir den Bürger in irgendeiner Art und Weise unterstützen können, ob wir hilfreich sein können, ob wir etwas ändern können. Leider stelle ich aber fest, dass ideologische und parteipolitische Debatten zunehmend gerade und vor allen Dingen im Zusammenhang mit öffentlichkeitswirksamen Massenpetitionen vorkommen. Das finde ich schade. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So schaut es aus!) Ein Schelm, der Böses dabei denkt, aber es besteht die Gefahr, dass der Petitionsausschuss manipuliert und für Partikularinteressen instrumentalisiert wird. (Klaus Hagemann [SPD]: Das ist bei allen Fraktionen so!) Inhaltliche Debatten dieser Art gehören in die zuständigen Fachausschüsse und nicht in den Petitionsausschuss. Wir können nicht so etwas wie Ersatzgesetzgeber sein. Das fällt in die Zuständigkeit der anderen Ausschüsse. Massenpetitionen werfen meiner Ansicht nach ein weiteres Problem auf. Oft genug geht es dabei nicht um Ausnahmefälle oder ein konkretes Problem, sondern es geht häufig um politische Fragen im engeren Sinne. Die politische Willensbildung sollte aber in und vor allen Dingen über die Parteien stattfinden. So ist es im Grundgesetz, bei der Parteienprivilegierung, verankert. Hier überschreiten wir manchmal die Grenze dessen, was der Petitionsausschuss leisten kann, und betreten die Arena der parteipolitischen Auseinandersetzung. Aber gerade dafür sind wir nicht da. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich wünsche mir, dass wir die parteipolitischen Grundsatzdebatten zukünftig aus der Arbeit des Petitionsausschusses heraushalten. Nach wie vor halte ich die Beschäftigung des Petitionsausschusses mit Einzelpetitionen für unheimlich wichtig und für unheimlich wertvoll. Aber auch bei den Einzelpetitionen habe ich manchmal ein ambivalentes Gefühl; denn wir können es nicht allen Petenten recht machen. Wir können nicht alle Wünsche erfüllen, und wir können nicht alle Anliegen umsetzen. Als Bundestagsabgeordnete müssen wir uns auch einmal etwas trauen. Wir müssen mutig sein und den Bürgern die Wahrheit sagen: Der Staat kann und darf nicht alles leisten, und er kann es nicht jedem recht machen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die im Petitionsausschuss anfallende Arbeit und die hohe Zahl der Petitionen ein Spiegelbild der Gesellschaft sind: Der eine Bürger verlangt, dass der Staat alles regelt, der zweite Bürger meint, dass der Staat gar nichts regelt, während der dritte Bürger meint, dass der Staat zu viel regelt und seine persönliche Freiheit zu sehr einschränkt. Dieses Spannungsverhältnis müssen wir aushalten, und wir müssen objektiv beurteilen, ob die Entscheidung im vorgebrachten Einzelfall angemessen ist oder nicht. In all den Jahren im Ausschuss, die ich nun hinter mir habe, habe ich gelernt: Egal wie die Mehrheitsverhältnisse im Parlament gerade sind, macht die Arbeit im Petitionsausschuss den Angehörigen der Opposition besonders viel Spaß. Man kann alles versprechen, ohne in der Verantwortung zu stehen. Das ist einfach. Die jetzige Opposition ist in dieser Hinsicht - das habe ich festgestellt - äußerst fleißig. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Im Versprechen!) Rechnerisch ist es aber wahrscheinlich die teuerste Opposition, die wir, soweit ich das überblicken kann, je hatten. (Klaus Hagemann [SPD]: Warum?) Dass wir im Petitionsausschuss trotz aller parteipolitischen Zwistigkeiten und Auseinandersetzungen zweifellos ein kollegiales Verhältnis haben, verleiht der Arbeit die Würde und Substanz, die wir brauchen. Der Bürger weiß: Sein persönliches Anliegen ist bei uns in besten Händen. Ich glaube, auf diese Art und Weise sind wir für die Demokratie sehr hilfreich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte von dieser Stelle aus den Mitgliedern des Petitionsausschusses für deren Engagement und die zusätzliche Arbeit, die sie zu ihrer fachlichen Arbeit in diesem Haus erbringen, einen herzlichen Dank aussprechen und wünsche ihnen alles Gute. (Beifall) Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Roland Claus, Jörn Wunderlich, Dr. Dietmar Bartsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes - Drucksache 17/2150 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden hier über Lauben, Datschen und Garagen im Osten Deutschlands, also in den neuen Bundesländern. Genauer gesagt: Es geht im Kern um die Rechte von Grundeigentümern einerseits und Besitzern und Nutzern von Baulichkeiten, Anpflanzungen etc. andererseits. Die juristischen Feinheiten sind hinlänglich in der Begründung unseres Gesetzentwurfes nachzulesen. Zu DDR-Zeiten geschaffene private Werte auf volkseigenem Grund und Boden sind der Gegenstand. Zur Erinnerung: Es gab in der DDR mehr als 3 Millionen Kleingärten. Diese waren Orte der Erholung und zum Teil auch der Selbstversorgung. Ich sage es gleich: Es wäre für ganz Deutschland klug und modern gewesen, das Kleingartenrecht der DDR für die ganze Bundesrepublik zu übernehmen. (Beifall bei der LINKEN) Nach der Wende kam es zum Einigungsvertrag. Es wurde der unsägliche Grundsatz "Rückgabe vor Entschädigung" angewandt. Die neue Rechtslage bedeutete, dass die Vertragsbeziehungen zwischen Verpächtern und Nutzern völlig neu geregelt werden mussten. Dafür steht das Schuldrechtsanpassungsgesetz. Zu diesem Gesetz hat meine Fraktion hier, auch als sie noch anders hieß, bereits seit 1994 - ich habe etwas recherchiert - kontinuierlich Vorschläge eingebracht. Wir schlagen Ihnen heute eine kleine Änderung dieses Gesetzes vor, um mehr Rechtssicherheit zu schaffen, und zwar für beide Seiten: mehr Rechtssicherheit für die Verpächter und für die Nutzer. Ich weiß, dass seit fast 20 Jahren zwischen den neuen Grundeigentümern und den Nutzern solcher Erholungsgrundstücke sehr viele vernünftige Regelungen getroffen wurden. Auch das gehört zur geschichtlichen Wahrheit, wenn man einen solchen Gesetzentwurf einbringt. Denn das verdient Anerkennung. Es ist aber auch viel mehr als nötig vor den Gerichten gelandet. Deshalb streben wir eine Verbesserung der Rechtssicherheit bzw. Abschaffung der Rechtsunsicherheit an, die bei Vertragsbeendigung eintritt. Dabei geht es um die Fragen: Was muss an Werthaltigem entschädigt werden? Wie hoch sind die Abrisskosten, und wie verteilen sie sich? Wir haben jetzt zum Teil eine so kuriose Rechtslage, dass Vertragsbrüchige zum Teil besser gestellt werden als Vertragstreue. Der Bundesgerichtshof hat das bereits mit einem Urteil im Jahre 2008 deutlich bestätigt. Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf eine Praxis beenden, wonach der Eigentümer eines Wochenendhauses oder einer Garage, in die er jahre- oder jahrzehntelang Mühen und Geld gesteckt hat, den Abriss voll bezahlen muss, wenn der Vertrag ausläuft. (Beifall bei der LINKEN) Wir bitten Sie um Zustimmung zum Gesetzentwurf, davor natürlich um sachgerechte Behandlung in den Ausschüssen. Wir wissen sehr wohl, dass es Einwände gegen unseren Vorschlag gibt. Es gibt Verbände, die sagen, das Urteil des BGH von 2008 gebe hinreichend Sicherheit, man brauche den Schritt gar nicht. Wir haben mit diesen Verbänden erst jüngst ausführlich diskutiert. Ich sage Ihnen: Das mag auf jene Nutzer zutreffen, die ausreichend selbstverteidigungsfähig sind. Es trifft auf sehr viele nicht zu. Wir alle im Hause wissen, dass zwischen recht haben und recht bekommen zuweilen ein großer Unterschied besteht. Deshalb ist die Initiative notwendig. Wir werden darüber hinaus weitere Vorschläge unterbreiten, wie im Osten gewonnene Erkenntnisse und gemachte Erfahrungen mehr als bisher bundesweit genutzt werden können. (Beifall bei der LINKEN) Im 20. Jahr der deutschen Einheit ist es an der Zeit, den Erfahrungsvorsprung, den Menschen im Osten im Umgang mit Umbrüchen, schwierigsten Situationen und Neuanfängen gewonnen haben, für ganz Deutschland nutzbar zu machen. Vergessen wir eines nicht: Aus der Krise führen nur neue Wege. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier und heute über das Schuldrechtsanpassungsgesetz, ein Instrument, das in der Tat zwei völlig gegenläufige und vor allen Dingen hochemotionale Interessenlagen ausgleichen will: Auf der einen Seite stehen die vielen Nutzer von Freizeit- und Erholungsgrundstücken, für die ihre Datsche zu DDR-Zeiten in der Tat ein Stück gelebter Freiheit war. Auf der anderen Seite stehen die Grundstückseigentümer. Auf ihrem Grund und Boden sind diese Datschen errichtet worden. Die Nutzungsverträge wurden seinerzeit auf Grundlage des Zivilgesetzbuches der DDR geschlossen. Damit gründeten sie auf einer sozialistischen Rechts- und Wirtschaftsordnung, die staatlich gelenkt war und kaum private Freiheit für die Ausgestaltung dieser Rechtsverhältnisse ließ. So waren die Nutzungsverträge für diese Erholungsgrundstücke und die darauf errichteten Datschen faktisch unkündbar. Darauf haben die Nutzer vertraut und Investitionen getätigt. Dieses Vertrauen ist in der Tat schutzwürdig. Für die Union ist es aber genauso wichtig, an dieser Stelle herauszustellen, dass auch die Eigentümer ein berechtigtes Interesse daran haben, ihre Eigentumsrechte unter den heutigen freiheitlichen Vorzeichen der sozialen Marktwirtschaft zur Geltung zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir wollen, dass die Eigentümer die Möglichkeit haben, zu entscheiden, ob sie über kurz oder lang ihr Grundstück wieder selbst nutzen wollen oder ein kostendeckendes Nutzungsentgelt hierfür erhalten. Um die Dimension deutlich zu machen - der Kollege Claus hat schon einige Zahlen genannt -: In der DDR hatte mehr als jeder Zweite ein solches Erholungsgrundstück. Wenn man die vielen Kleingartenanlagen herausnimmt - sie unterliegen nämlich anderen gesetzlichen Voraussetzungen -, so verblieben immer noch rund 1 Million Verträge, die in bundesdeutsches Recht zu überführen waren. Das Schuldrechtsanpassungsgesetz regelt die Frage, wie diese DDR-Grundstücksnutzungsverträge in bundesdeutsches Recht überführt werden können. Das Ziel war und ist, das möglichst sozialverträglich zu machen und die Interessen beider Seiten zum Ausgleich zu bringen. Ich finde, das ist seinerzeit sehr gut gelungen. Das Schuldrechtsanpassungsgesetz hat diesen wirklich schwierigen Interessenkonflikt mithilfe eines sehr weit gehenden Kündigungsschutzes, einer Begrenzung der Nutzungsentgelte und einer differenzierten Regelung über die Entschädigung bei einer Vertragsbeendigung aufgelöst. Was macht nun die Linke aus dieser gelungenen und auch von den Betroffenen allseits akzeptierten Regelung? Sie schreibt in ihrem Gesetzentwurf, dass es sich um "ein durch Zeit- und Handlungsdruck geprägtes spekulatives Termingeschäft sui generis" handelt. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Für mich klingt das eigentlich nur nach blankem Populismus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Linke versucht mit dieser Wortwahl, wieder auf der allgemeinen Welle der Empörung gegen die Exzesse auf den Finanzmärkten zu reiten. Das mag Ihnen zu Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise opportun erscheinen, aber es ersetzt keine sachliche Auseinandersetzung. Daran lassen Sie es an dieser Stelle wieder einmal fehlen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Tatsächlich wird hier nämlich versucht, die Schlachten von gestern erneut zu schlagen. Wir haben schon im Jahr 2006 sehr ausführlich über das Schuldrechtsanpassungsgesetz diskutiert. Damals ging es um recht ähnlich gelagerte Problemstellungen. Seinerzeit haben Sie, um im Bild zu bleiben, die Schlacht verloren, und Ihr Vorschlag wurde abgelehnt. Ich wage, vorherzusagen: Das wird Ihnen auch heute passieren. Ich will Ihnen auch gerne erklären, warum wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen werden. Im Kern wollen Sie mit Ihrem rückwärtsgewandten Gesetzentwurf nichts anderes erreichen - das schreiben Sie auch selbst -, als die Rechtsposition der Nutzerinnen und Nutzer zu stärken, also letztlich die Nutzer im Verhältnis zu den Eigentümern besserzustellen. Dazu wollen Sie zwei Dinge ändern: Erstens. Die zu zahlende Entschädigung für errichtete Bauwerke soll unabhängig davon sein, aus welchem Grund und von wem ein Nutzungsverhältnis gekündigt wird. Zweitens. Die zu zahlende Entschädigung soll immer mindestens nach dem Zeitwert des Bauwerkes und höchstens bis zur Höhe der Verkehrswerterhöhung des Grundstücks durch das Bauwerk bemessen sein. Mit dem ersten Punkt wollen Sie letztlich eine wohldurchdachte Differenzierung des Gesetzgebers aushebeln. Im Gesetz wird nämlich danach unterschieden, ob das Nutzungsverhältnis durch den Eigentümer oder durch den Nutzer bzw. durch eine von ihm verschuldete Kündigung beendet wird. Kündigt der Vermieter bzw. der Eigentümer, so verliert der Nutzer das von ihm errichtete Gebäude gegen seinen Willen. Damit gehen die Investitionen, die er im Vertrauen auf den langfristigen Fortbestand des Nutzungsverhältnisses getätigt hat, verloren. Es ist dann nur recht und billig, dass er dafür eine Entschädigung bekommen soll. Das sieht das Gesetz so vor. Der Nutzer soll eine Entschädigung bekommen, die das Gesetz nach dem Zeitwert des Bauwerks zum Zeitpunkt der Rückgabe als Entschädigung bemisst. Kündigt hingegen der Nutzer selbst oder gibt er durch sein eigenes vertragswidriges Verhalten den Anlass zur Kündigung, dann ist er in Bezug auf seine Investitionen gerade nicht schutzbedürftig bzw. beendet er das Nutzungsverhältnis aus freien Stücken. Dennoch soll er für die Erhöhung des Verkehrswertes des Grundstücks eine Entschädigung erhalten; denn immerhin handelt es sich um einen Vermögenswert, der dem Eigentümer zufließt, ohne dass er einen Beitrag dazu geleistet hat. Deswegen ist es richtig, dass auch an dieser Stelle eine Entschädigung fließen soll. Allerdings ist diese nach den Vorstellungen des Gesetzgebers in der Regel niedriger zu halten, als es der Zeitwert des Gebäudes wäre. Das ist auch sachlich begründbar: Wegen der fehlenden Schutzbedürftigkeit des Nutzers erhält dieser nicht eine Entschädigung in Höhe seiner Aufwendungen, sondern weniger. Dass der Gesetzgeber diese unterschiedlichen Sachverhalte aufgrund der unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit auf der Ebene der Entschädigungen auch unterschiedlich behandelt, ist konsequent und in der Sache absolut berechtigt. Deswegen liegt die Linke in der Sache völlig daneben, wenn sie die genannten Unterschiede beseitigen will, wie immer am liebsten dadurch, dass alles über einen Kamm geschoren und gleichgemacht wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie wenden hier dagegen ein, der BGH habe diese Differenzierung mit einem Urteil aus dem Jahre 2008 letztlich ad absurdum geführt. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie dieses Urteil gar nicht gelesen haben. Aber das wäre vielleicht ein bisschen zu einfach, und deswegen will ich das an dieser Stelle nicht unterstellen. Als Alternative bleibt dann freilich nur, dass Sie dieses Urteil nicht verstanden haben. Das würde diese Sache auch nicht wirklich besser machen. In der Sache hat der BGH nämlich gesagt, dass es im Einzelfall tatsächlich sein kann, dass ein Nutzer mehr Entschädigung erhält, obwohl er selbst kündigt oder obwohl ihm aufgrund vertragswidrigen Verhaltens gekündigt wurde. Daraus ziehen Sie dann aber den Schluss, dass hier eine völlig willkürliche Rechtslage entstanden sei, nach der im Ergebnis die Höhe der Entschädigungsleistung überwiegend zufällig davon abhänge, welche der Parteien die Kündigung zuerst ausspreche. Damit versuchen Sie wiederum, zu insinuieren, dass es einen Wettlauf geben könnte, wer das Nutzungsverhältnis zuerst kündigt, um sich eine möglichst hohe Entschädigung zu sichern. Das wiederum soll letztlich den gerade angesprochenen spekulativen Charakter des Nutzungsverhältnisses bzw. der gesetzlichen Regelung begründen. Tatsächlich hat der BGH sehr deutlich gemacht, dass es - anders als Sie in Ihrem Gesetzentwurf behaupten - gerade keine Besorgnis gibt, dass das Nutzungsverhältnis einen solchen spekulativen Charakter erhält. Richtig ist nämlich, dass es dem Nutzer darauf ankommt, das Gebäude auf dem Erholungsgrundstück möglichst lange zu nutzen und nicht irgendwelche Spekulationsgewinne zu erzielen. Er hat also gerade kein Interesse daran, die Nutzung vorzeitig aufzugeben. Auch bei dem Eigentümer kann es zu dem behaupteten Wettlauf überhaupt nicht kommen. Das Gesetz sieht hier eine sehr weitgehende Beschränkung der Kündigungsmöglichkeiten vor. Der BGH hat sehr deutlich gesagt, dass die im Gesetz verankerte Wertung entsprechend hinzunehmen ist. Alles in allem geht ihre Argumentation also an der Sache vorbei. Das wurde Ihnen auch höchstrichterlich vom BGH bestätigt. Dass Sie hier trotzdem einen solchen Gesetzentwurf vorlegen, lässt mich wieder zu dem Schluss kommen, dass Sie das Urteil des BGH entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben. Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt, den Sie mit Ihrem Gesetzentwurf erreichen wollen, ist die Entschädigung mit mindestens dem Zeitwert des Bauwerkes, ganz unabhängig davon, wer aus welchem Grund gekündigt hat. Das ist schlicht verfassungswidrig; das muss man hier ganz klar und deutlich sagen. Wenn Sie sich das Urteil des BGH anschauen, dann wird Ihnen das klar. In der Tat wundert mich ein solcher Gesetzentwurf nicht. Wir alle wissen, dass Ihre Partei und Ihre Fraktion immer noch ein recht gespaltenes Verhältnis zu den Grundrechten und den rechtsstaatlichen Prinzipien unseres Grundgesetzes haben. Das haben Sie jüngst wieder sehr deutlich unter Beweis gestellt, als sich Ihre Präsidentschaftskandidatin weigerte, die DDR als das zu bezeichnen, was sie war, nämlich als einen Unrechtsstaat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vor diesem Hintergrund müsste man Sie eigentlich sehr deutlich darauf hinweisen, wie der Schutzumfang des Eigentums nach unserem Grundgesetz ausgestattet ist. Ich will es mir jetzt aber nicht anmaßen, Ihnen hier Nachhilfeunterricht zu geben. Ich könnte hier das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitieren, auf das Sie Bezug nehmen. Darin steht sehr deutlich, dass der eigentumsrechtliche Gehalt vor allen Dingen durch Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers gekennzeichnet ist. Nun kontern Sie gleich wieder mit Art. 14 Abs. 2 GG, mit der Sozialbindung des Eigentums. Es ist völlig richtig, dass diese besteht; aber auch dazu hat das Bundesverfassungsgericht in dem zitierten Urteil sehr deutlich gesagt, dass eine einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung mit den verfassungsrechtlichen Vorstellungen eines sozialgebundenen Privateigentums nicht im Einklang steht. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht das Schuldrechtsanpassungsgesetz, als es dies 1999 genau unter die Lupe genommen hat, im Wesentlichen bestätigt. Das Gericht hat nur eines gemacht: Es hat einzelne Regelungen in der Tat für nicht in vollem Umfang mit der Eigentumsgarantie vereinbar erklärt. Das lag aber nicht etwa daran, dass das Gesetz hier zu eigentumsfreundlich ausgestaltet gewesen wäre. Im Gegenteil: Das Gericht hat das Gesetz als zu nutzerfreundlich ausgestaltet betrachtet. Wenn Sie jetzt in Ihrem Gesetzentwurf behaupten, dass die Regelungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes der gescheiterte Versuch seien, einseitig die "Rechte der Grundstückseigentümer zu erweitern", dann wird dies weder dem Willen des Gesetzgebers noch der Realität gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Gesetzgeber hat letztendlich die Konsequenzen aus diesem Urteil gezogen und das Schuldrechtsanpassungsgesetz geändert. Sie wollen hier mit Ihrem Gesetzentwurf eigentlich nichts anderes erreichen als eine Rolle rückwärts: Sie wollen wieder zu dem Zustand zurück, bei dem man Nutzer gegenüber den Eigentümern einseitig bevorteilt. Daran merkt man erneut, dass Sie offensichtlich immer noch in Ihren sozialistischen Denkstrukturen verhaftet sind und sich davon nicht lösen können. (Zuruf von der CDU/CSU: Reiner Populismus!) Das Schlimme dabei ist aber, dass Sie sich damit in offenen Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begeben. Ich habe es gerade ausgeführt: Die Grundrechte der Eigentümer müssen auch im Rahmen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes gewahrt werden. Hierzu ist sehr deutlich ausgeführt worden, dass es das Bundesverfassungsgericht als Verletzung der Grundrechte der Eigentümer ansieht, wenn der Eigentümer den Nutzer auch dann für den Verlust des Nutzungsrechts entschädigen muss, wenn es keinen korrespondierenden Vorteil des Grundstückseigentümers gibt. Genau das könnte aber der Fall sein, wenn man ausnahmslos und ohne Differenzierung immer auf den Zeitwert eines Bauwerkes abstellte; denn es ist überhaupt nicht gesichert - es kommt auf den Einzelfall an -, ob ein solcher Mehrwert überhaupt besteht und ob er realisierbar ist. Deswegen stehen Sie da in völligem Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ihr Gesetzentwurf ist letztendlich - damit komme ich zum Schluss - ein Unterfangen, das offensichtlich darauf abzielt, eine verfassungsrechtlich anerkannte Ausgleichsleistung, eine akzeptierte Ausgleichsregelung, außer Kraft zu setzen und erneut Zwist und Zwietracht zwischen den Alteigentümern und den Datschenbesitzern zu säen. Damit spielt die Linke mit den Ängsten der Menschen und versucht hier, populistisch, einseitig und unredlich ihre Interessen durchzusetzen. Sie werden verstehen, dass wir von der Union einem solchen Antrag nicht zustimmen können. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Sonja Steffen für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Je länger das Spiel dauert, desto weniger Zeit bleibt; das gilt im Sport und in vielen anderen Lebensbereichen. Dies wissen auch die Eigentümer der Datschen in den neuen Bundesländern. Die Häuschen zur Erholung, um die es in der heutigen Debatte im Wesentlichen geht, stehen nämlich meist auf fremdem Grund und Boden. Für diese Fälle gilt das Schuldrechtsanpassungsgesetz. Es besagt, dass der gesetzliche Kündigungsschutz im Jahr 2015 endet. Bis dahin ist nicht mehr viel Zeit. Was passiert dann mit den Datschen? Müssen die Nutzer Angst haben, dass das Nutzungsverhältnis 2015 automatisch endet und die Baulichkeiten dann dem Grundstückseigentümer zufallen? Nein, kein Vertrag endet automatisch. Richtig ist: Mit dem 3. Oktober 2015 endet der gesetzliche Kündigungsschutz des Schuldrechtsanpassungsgesetzes. Grundstückseigentümer können dann die Verträge nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuches kündigen. Entscheidend ist: Die Grundstückseigentümer können, sie müssen aber nicht kündigen. Die alten Verträge behalten weiterhin ihre Gültigkeit, wenn sie nicht gekündigt werden. Was passiert aber, wenn ein Grundstückseigentümer dennoch von seinem Kündigungsrecht Gebrauch macht? Dann fällt ihm auch das Eigentum an der Baulichkeit zu. In diesem Fall hat der Nutzer einen Entschädigungsanspruch auf den aktuellen Zeitwert des von ihm errichteten Bauwerks. Herr Kollege, Sie haben bereits darauf hingewiesen. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Grundstückseigentümer für das Bauwerk Verwendung hat. Zudem muss der Eigentümer eine Entschädigung für die Anpflanzungen zahlen. Wenn der bisherige Nutzer kündigt, so bedarf es keines Schutzes bezüglich seiner Investitionen. Da er das Nutzungsverhältnis aus freien Stücken beendet, ist er nicht schutzbedürftig. Selbst wenn das Gebäude noch einen Wert hat, erhält er keine Entschädigung. Nur wenn die Errichtung des Gebäudes zu einer Werterhöhung des Grundstücks insgesamt führt, soll der Eigentümer den bisherigen Nutzer nach dem durch das Bauwerk erhöhten Verkehrswert des Grundstücks entschädigen. Das heißt: Der Nutzer kann bei eigener Kündigung zwar laut Schuldrechtsanpassungsgesetz keine Entschädigung nach dem Zeitwert des Bauwerks beanspruchen, wohl aber bereits jetzt die oftmals bessere Entschädigung wegen der Verkehrswerterhöhung des Grundstücks. Der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke, über den wir diskutieren, fordert, dass der Grundstückseigentümer zukünftig immer einen Wertausgleich bei der Vertragsbeendigung zahlen soll, und zwar unabhängig davon, welcher Vertragsteil die Kündigung vornimmt. Bei der Anpassung der Rechts- und Eigentumsordnung der DDR an das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland stand der Deutsche Bundestag vor der schwierigen Aufgabe, die Interessen von Nutzern und Eigentümern in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Die Datsche bedeutete - darauf ist heute schon hingewiesen worden - für zahlreiche Bürger der DDR ein wertvolles Stück Freiheit. Hinzu kam, dass die Nutzer von Erholungsgrundstücken in der DDR - das waren eine ganze Menge - eine erheblich stärkere Rechtsposition gegenüber den Eigentümern hatten, als dies nach dem heutigen Recht der Fall ist. Schließlich war zu berücksichtigen, dass viele Nutzer das Grundstück zum Teil mit viel Zeit und großer Mühe nutzbar gemacht haben. Der Gesetzgeber hat andererseits auch den Interessen der Eigentümer Rechnung zu tragen und die Entschädigungsregelungen in einem ausgewogenen Verhältnis zu gestalten. Das Schuldrechtsanpassungsgesetz hat einen gerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen von Nutzern und Eigentümern hergestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Gesetz im Jahr 1999 im Wesentlichen bestätigt. Die Entschädigungsregelungen wurden vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet. Die Forderung der Fraktion Die Linke, dem Nutzer stets eine Entschädigung mindestens nach dem Zeitwert des Bauwerks zukommen zu lassen, ist mit den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichtsurteils nicht vereinbar und stellt auch nicht, wie Sie, Herr Kollege Claus, meinten, eine kleine Änderung dar. Für die Eigentümer ist sie erheblich. In vielen Fällen hat das Bauwerk für den Grundstückseigentümer keinerlei wirtschaftlichen Wert. Es ist gerecht, dass der Nutzer im Falle einer Eigenkündigung nur dann eine Entschädigung erhält, wenn der Verkehrswert des Grundstücks durch das Bauwerk erhöht wird. Wenn keine Werterhöhung vorliegt, wäre es unbillig, dem Eigentümer den vollen Wertausgleich für das Bauwerk aufzubürden. Die Gesetzesinitiative ist meiner Meinung nach einseitig, populistisch und daher abzulehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Marco Buschmann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Marco Buschmann (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den ausgezeichneten Ausführungen des Kollegen Luczak und auch der Kollegin Steffen will ich die eben vorgetragenen Punkte nicht wiederholen. Mir scheint es aber angebracht - insbesondere nach den Ausführungen von Herrn Claus, der gewissermaßen obiter dictum vorgetragen hat, dass er das DDR-Recht gegenüber dem deutschen, bundesrepublikanischen Recht für vorzugswürdig hält -, die Materie systematisch zu beleuchten. Unserem geltenden Zivilrecht liegen kluge, volkswirtschaftlich sinnvolle und auch gerechte Entscheidungen und Erwägungen zugrunde. So finden wir im BGB etwa den Grundsatz, dass die Verbindung von verschiedenen Gegenständen unterschiedlicher Eigentümer zu einem einheitlichen Gegenstand auch zu einer einheitlichen Zuordnung bei einem einzigen Eigentümer führt. Wir finden das beispielsweise in § 947 BGB für die Verbindung beweglicher Sachen. Dort ist geregelt: Entsteht durch die Verbindung zweier beweglicher Sachen eine neue einheitliche Sache, so steht das Eigentum daran demjenigen zu, der Eigentümer der Hauptsache ist. - Diesen Grundsatz finden wir auch bei den Grundstücken und den Gebäuden - nämlich in § 946 BGB - konkretisiert. Dort geht es um die Verbindung von beweglichen Sachen mit einem Grundstück. Dabei ist klar, dass das Grundstück genau diese Hauptsache ist. Daher steht das Eigentum auch dem Grundstückseigentümer zu. Wer nach diesen Vorschriften - das ist auch das Gerechte an dem System - sein Eigentum verliert, der steht nicht ohne Ersatz da, sondern dem steht nach § 951 BGB ein entsprechender Ersatz zu. Dieses Regelungssystem ist klug und auch gerecht. Man sollte es hier nicht diskreditieren. Es ist nämlich klug, weil es volkswirtschaftlich zweckmäßig ist. Bleiben wir bei den beweglichen Sachen: Wenn wir ein mechanisches Uhrwerk wieder auseinandernehmen müssten, nur weil die Zahnräder unterschiedlichen Eigentümern gehören, dann würde ein Wirtschaftsgut, dessen Wert größer ist als die Summe seiner Teile, zerstört werden, und der darin verkörperte Mehrwert würde auch zerstört werden. Das ist nicht sinnvoll. Es ist klug, weil es Streit vermeidet, und auch gerecht, weil die Interessen aller Beteiligten - siehe den Ersatzanspruch - berücksichtigt werden. Das Zivilrecht der DDR folgte diesem klugen und gerechten Regelungssystem nicht, wenn es um Bauwerke auf Grundstücken ging. Da hatte man eine unterschiedliche Zuordnung vorgenommen. Es ist ein Problem der Transformation in ein anderes Rechtssystem, das man lösen muss. Für die notwendige Überführung in die heutige gültige Rechtslage hat man Übergangsregelungen gefunden, die sinnvoll sind. Das ist zum Teil schon ausgeführt worden. Man kann es eben nicht anders machen, als dass das Eigentum an einem Bauwerk dem Grundstückseigentümer zugeordnet wird. Natürlich muss es dafür einen Ersatzanspruch geben. Dass man dabei das wesentliche Interesse des Bauwerkseigentümers berücksichtigt, ist doch völlig klar; aber das wesentliche Interesse lag eben in der Nutzung. Wenn jemand freiwillig auf die Nutzung verzichtet, dann ist ebenso völlig klar, dass man den anders behandelt, weil sein Interesse anders ist, als denjenigen, bei dem die Nutzung unfreiwillig beendet wird. Deshalb ist die Unterscheidung, die wir im Schuldrechtsanpassungsgesetz vorfinden, sachgemäß. Die beiden Fallkategorien haben Herr Kollege Luczak und Frau Kollegin Steffen hier schon differenziert dargestellt. Die Kritik der Linken an diesem System ist deshalb nicht nachvollziehbar. Sie fordern, dass man diese Unterscheidung aufheben soll. Es sind auch einzelne technische Punkte - ich will auf die Details kommen - nicht nachvollziehbar. So soll etwa klargestellt werden, dass der Ersatzanspruch zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung über das Nutzungsrecht geschehen soll. Das gibt die geltende Rechtslage bereits her. Der Blick in § 12 Abs. 1 Satz 1 des Schuldrechtsanpassungsgesetzes erleichtert die Findung der Rechtslage. Danach muss die Entschädigung durch den Grundstückseigentümer "nach Beendigung des Vertragsverhältnisses" geleistet werden. Auch Ihre grundsätzliche Kritik an dieser Differenzierung ist abzulehnen. Wenn der ehemalige Bauwerkseigentümer freiwillig auf die Nutzung verzichtet, ist er eben weniger schutzwürdig. Das ist hier schon ausgeführt worden. Diese Unterscheidung ist, wie gesagt, interessengerecht. Über die eine Ausnahmekonstellation, die Sie hervorheben, quasi zum Grundsatz erheben und als Begründung nehmen, das ganze System über den Haufen zu werfen, können wir gerne nachdenken. Diese Konstellation kennen wir tatsächlich: Es kommt wirklich in Ausnahmefällen vor, dass der Zeitwert des Grundstücks durch die Existenz eines Gebäudes stärker steigt, als das Gebäude selber wert ist. Diese Fälle treten in attraktiven Lagen im Außenbereich durch den erweiterten Bestandsschutz, den auch das Bundesverfassungsgericht gewährt, ein. Aber das sind Ausnahmefälle, bei denen Sie überhaupt nicht klarmachen, um welche Größenordnungen es geht. Das gesamte System, dem volkswirtschaftlich sinnvolle Erwägungen und auch Gerechtigkeitserwägungen, die absolut überzeugend sind, zugrunde liegen, wegen dieser einen Ausnahme bzw. Fallgruppe, die Sie nicht einmal quantifizieren, über den Haufen zu werfen, ist nicht sinnvoll. Wir können gerne über diese spezielle Fallkonstellation nachdenken; dann müssten wir einmal empirisch untersuchen, um wie viele Fälle es überhaupt geht. Aber das ist kein Grund für einen Systemwechsel. Deshalb werden Sie verstehen, dass wir Ihrem Anliegen nicht folgen werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Ingrid Hönlinger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns bei dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes mit einem Thema, das seinen Ursprung in der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland hat. Es lohnt sich, diese Geschichte der Vereinigung auf eine faire und ausgewogene Grundlage zu stellen. Aus diesem Grunde war die Frage, wie wir mit den Nutzungsverhältnissen an Grundstücken im Osten Deutschlands umgehen, schon mehrfach Gegenstand der Beratungen in diesem Haus. Die Kernfrage besteht darin, wie wir die Rechtsverhältnisse von Eigentümern und Nutzern von Grundstücken in der ehemaligen DDR regeln, auf denen Wochenendhäuser, Datschen oder Garagen errichtet worden sind. Konkret geht es um die Folgen der Beendigung des Nutzungsverhältnisses. Ziel des Gesetzentwurfes der Linken ist es, in vier Punkten Änderungen an der Gesetzeslage herbeizuführen: beim Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf eine Entschädigung, bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung, bei der Tragung der Kosten für den Abbruch von Bauwerken und bei der Erhöhung des Nutzungsentgelts. Anfangen möchte ich mit der Frage der Bemessung der Entschädigung im Falle der Beendigung des Nutzungsverhältnisses. Bisher wird im Gesetz eine Unterscheidung danach getroffen, wer das Ende des Nutzungsverhältnisses veranlasst hat. Die erste Regelung betrifft die Fälle, in denen der Nutzer selbst kündigt oder durch sein vertragswidriges Verhalten Anlass zur Kündigung gegeben hat. In diesen Fällen bemisst sich die Höhe der Entschädigung danach, wie der Verkehrswert des Grundstücks durch das Bauwerk erhöht wird. Die zweite Regelung betrifft die Fälle, in denen der Eigentümer dem Nutzer, der sich vertragsgemäß verhält, kündigt. Hier ersetzt die Entschädigung den Zeitwert des Bauwerks. Bei dieser Regelung ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Zeitwert des Bauwerks höher ist als die Verkehrswertsteigerung durch das Bauwerk. Das heißt, der Nutzer, der sich vertragsgemäß verhält, sollte im Falle einer Kündigung des Eigentümers bessergestellt werden. Die Linke problematisiert jetzt den Fall, dass die Verkehrswertsteigerung des Grundstücks höher sein könnte als der Zeitwert des Bauwerks. Werde in diesen Fällen nur der Zeitwert des Bauwerks ersetzt, könne das den vertragstreuen Nutzer gegenüber dem Nutzer, der selbst kündigt oder sich vertragswidrig verhält, schlechterstellen. Diesen Vorschlag kann man noch einmal überprüfen. Allerdings führt das aus unserer Sicht zu einer Verkomplizierung des Verfahrens. Denn es hat zur Folge, dass gleich zwei Werte ermittelt werden müssen, nämlich die Verkehrswertsteigerung des Grundstücks und der Zeitwert des Bauwerks. Ich stelle mir auch die Frage, weshalb wir diesen Weg dann nicht auch in umgekehrter Richtung gehen sollten, wenn nämlich der Grund für die Vertragsbeendigung in der Sphäre des Nutzers liegt, weil dieser selbst kündigt oder sich vertragswidrig verhält. Wenn in diesen Fällen der Zeitwert des Bauwerks unter der Verkehrswertsteigerung des Grundstücks liegt, dann müsste man dies, wenn man Ihren Gedanken zu Ende denkt, auch dem Eigentümer zugute kommen lassen. Eine einseitige Lösung zugunsten des Nutzers erscheint mir hier nicht klar und auch nicht ausgewogen. Ähnliches gilt, wenn wir den Zeitpunkt für die Entstehung des Anspruchs auf Entschädigung so abändern, wie es die Linke vorschlägt. Bei der jetzigen gesetzlichen Regelung ist der Zeitpunkt der Rückgabe des Grundstücks an den Eigentümer maßgeblich. Dieser Zeitpunkt soll nach Vorstellung der Linken auf die Vertragsbeendigung vorverlagert werden. Sie begründen dies mit möglichen zivilrechtlichen Ansprüchen des Nutzers. Was passiert aber, wenn Vertragsbeendigung und Rückgabe des Grundstücks zeitlich auseinanderfallen, wenn sich der Zustand des Bauwerks in dieser Zeit verschlechtert? Dann ist das Bauwerk immer noch in der Verfügungsgewalt des Nutzers. Der Eigentümer kann nicht darauf einwirken. Warum sollte der Eigentümer dann das Risiko der Verschlechterung tragen? Zu einer ausgewogenen Regelung gehört auch, dass Risiken nicht einseitig auf den Nutzer oder einseitig auf den Eigentümer verteilt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen auch von der Linken, wir wollen doch auf eine Balance der Rechte und Pflichten aller Beteiligten achten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Auch bei den Abbruchkosten schlagen Sie eine neue Regelung vor. Sie ist aus unserer Sicht zu unbestimmt. Deswegen können wir ihr nicht folgen. Aus den genannten Gründen können wir Ihrem Antrag insgesamt nicht zustimmen. Er ist in wichtigen Details nicht ausgewogen. Er begünstigt unverhältnismäßig eine Seite. Er verkompliziert das Verfahren. Er erhöht das Risiko von Rechtsstreitigkeiten und fördert die Bürokratie, insbesondere wenn ich an Ihren Vorschlag zur Erhöhung der Nutzungsentgelte denke. Insgesamt stellt der Gesetzentwurf aus unserer Sicht keine Verbesserung der Rechtslage dar. Deswegen lehnt meine Fraktion ihn ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/2150 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung Stellungnahme des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung - Peer Review der deutschen Nachhaltigkeitspolitik - Drucksachen 17/1657, 17/2061 Nr. 1.1, 17/2314 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Thomas Gebhart Dr. Matthias Miersch Michael Kauch Ralph Lenkert Dr. Valerie Wilms Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist die erste Debatte, die wir als Mitglieder des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung in dieser Legislaturperiode im Plenum führen können. Deshalb gestatten sie mir zunächst eine grundsätzliche Bemerkung. Aus unserer Sicht ist Nachhaltigkeit nicht irgendein Politikbereich neben anderen, sondern es handelt sich um eine zentrale Querschnittsaufgabe, die in allen Politikbereichen zur Geltung kommen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Das gilt selbstverständlich für den klassischen Bereich von Umwelt- und Naturschutz. Es gilt aber ganz genauso für den Bereich Haushalt und Finanzen; es gilt für Wirtschaft und Soziales. Die Liste ließe sich fortführen. Wir haben in all diesen Bereichen die besondere Verantwortung, nicht an den kurzfristigen Erfolg, an kurzfristigen Gewinn zu denken, sondern an das langfristige Erfordernis, heute so zu handeln, dass es auch künftigen Generationen gerecht wird. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Um es auf einen Nenner zu bringen: Wir dürfen nicht heute auf Kosten von morgen leben. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung als Abgeordnete im Deutschen Bundestag, und es ist die besondere Aufgabe des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung. Deshalb freuen wir uns, dass der Parlamentarische Beirat zum dritten Mal in Folge vom Deutschen Bundestag eingesetzt wurde, dass sich mit diesem Gremium auch die Bedeutung, die man diesem Thema beimisst, verstetigt hat. Wir freuen uns, dass wir in dieser Legislaturperiode - es ist Schritt für Schritt ein Ringen um mehr Kompetenzen gewesen - wiederum mit neuen Rechten ausgestattet worden sind, dass wir jetzt die Befugnis erhalten haben, jeden einzelnen Gesetzentwurf der Bundesregierung daraufhin zu überprüfen, ob dem Erfordernis, eine Nachhaltigkeitsprüfung vorzunehmen, konsequent und ausführlich Rechnung getragen wurde. Kurz: Wir freuen uns, dass wir mit handfesten Rechten im parlamentarischen Alltag ausgestattet sind. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann sagen: Wir sind fast so gestellt wie ein richtiger Ausschuss. Ich sage "fast". Das zeigt, dass wir Erfolge haben. Es zeigt aber auch, dass es neben den Bereichen, in denen wir eine stärkere Stellung als normale Ausschüsse haben, die sich immer nur mit ihren spezifischen Themenbereichen befassen dürfen, während wir eine globale Zuständigkeit für Nachhaltigkeit haben, noch bestimmte Dinge gibt, die wir fordern. Wir freuen uns, dass der Peer Review, über den wir heute diskutieren, ganz dezidiert diese Forderung unterstützt und sagt, man muss die Stellung des Parlaments bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie stärken, und dass die Peers fordern, dass ein ständiger Ausschuss für Nachhaltigkeit eingesetzt wird. Wir begreifen das als Rückenwind, unsere Forderung weiter zu vertreten und darauf zu dringen, dass wir in der Geschäftsordnung des Bundestags ausdrücklich erwähnt werden und die Federführung für die Begleitung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, aber auch für die Begleitung der Nachhaltigkeitsstrategie der Europäischen Union erhalten. Ich finde, das ist die logische Konsequenz aus der hohen Bedeutung, die wir dem Thema Nachhaltigkeit politisch beimessen. Deshalb kämpfen wir als Beirat über alle Fraktionen hinweg gemeinsam dafür. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben Anlass, noch weitere Punkte aus dem Bericht der Peers aufzugreifen und zu unterstützen, wie wir es in unserem gemeinsamen Antrag tun. Ich will an dieser Stelle sagen: Es ist bemerkenswert, dass wir eine gemeinsame Stellungnahme aller Fraktionen im Deutschen Bundestag abgeben - bei einem Sondervotum der Links-Partei in einer Frage. Das zeigt, dass es hier bei allem tagespolitischen Streit einen Konsens gibt, diese wichtigen Zukunftsfragen gemeinsam zu lösen. Einer dieser Punkte ist unsere Forderung, die nationale Nachhaltigkeitsstrategie, die bisher einen Zeithorizont bis 2020 hat, langfristiger zu formulieren. Auch das fordern die Peers. Sie fordern, man muss mindestens bis zum Jahr 2030 denken, planen und skizzieren, am besten aber in den Bereichen, in denen es angezeigt ist, bis zum Jahr 2050. Diese Forderung machen wir uns zu eigen - gerade angesichts der wachsenden globalen Herausforderungen wie Umwelt, Klimaschutz, Ressourcenschutz und Artenvielfalt. Aber auch in den wirtschaftlichen Fragen ist es richtig, zu sagen: Wenn wir nachhaltig handeln wollen, dann muss es sich tatsächlich auf einen solchen langen Zeitraum beziehen. Es ist gut, dass auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme nach der letzten Sitzung des Staatssekretärsausschusses erklärt hat, auch sie sehe diese Notwendigkeit. Wir werden uns dafür einsetzen, dass bei der Fortschreibung der Nachhaltigkeitsstrategie im Jahr 2012 diese Konsequenzen tatsächlich gezogen werden. Ich will abschließend noch darauf hinweisen, dass ich zwei weitere Punkte aus diesem Bericht für besonders wichtig halte. Es wird darauf hingewiesen, Nachhaltigkeit noch besser mit den Ländern und in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern abzustimmen, und es wird auf das Erfordernis hingewiesen, bürgerschaftliches Engagement und die gesellschaftlichen Akteure einzubeziehen und eine gesellschaftliche Debatte zu führen. Ich finde allgemein, dass das wichtig ist. Es wird besonders wichtig bei der Vorbereitung der Nachfolgekonferenz Rio-plus-20 sein - 20 Jahre nach Rio. Da wird es notwendig sein, dass gesellschaftliche Akteure, Parlament und Regierung an einem Strang ziehen, um gemeinsam den Durchbruch zu schaffen, den wir für Nachhaltigkeit national und international bis zum Letzten brauchen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Peer Review, über den wir heute reden, richtet den Fokus stark auf Wirtschaft und Energie und betrachtet Anstrengungen der Politik, die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie zu implementieren. Dieser Blick internationaler Experten auf unsere nationalen Anstrengungen ist der SPD-Bundestagsfraktion willkommen, und wir begrüßen das ausdrück-lich. (Beifall bei der SPD) Wir als Parlamentarischer Beirat sind auch Gegenstand der Betrachtung. Der Kollege Jung hat schon darauf hingewiesen: Wir wurden sehr wohlwollend betrachtet, und eigentlich wünscht man, dass man uns verstetigt. Das ist ein großes Lob. Allerdings haben wir uns auch selbst mit den zahlreichen Empfehlungen befasst, die die Peers gegeben haben. Sie beschreiben Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken, und sie geben Empfehlungen, was wir besser machen könnten. Das Ergebnis unserer Betrachtung haben wir in eine gemeinsame Stellungnahme gefasst und gemeinsam einen Entschließungsantrag vorgelegt. Diese fraktionsübergreifenden Beratungen und die aus ihnen hervorgehenden Papiere sind stark konsensorientiert. Ich will an dieser Stelle sagen: Das ist auch gut so. Erinnern wir uns: Seit 2002 haben wir die Fragen der Nachhaltigkeitspolitik am Ende immer mit einer sehr breiten Mehrheit beantworten können. Das ist gut für dieses Thema. Ich sage: Würden wir das nicht hinbekommen, dann würden wir kein gutes Zeichen setzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich muss allerdings sagen: Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung ist deshalb keine parlamentarische Kuschelecke, und einen Schmusekurs gibt es da auch nicht. Wir wissen ja: In vielen Bereichen der Politik des Alltags haben wir durchaus unterschiedliche Positionen. Deshalb will ich nicht den Eindruck erwecken, dass wir in allem immer übereinstimmen. Mitnichten! Als Mitglieder des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung müssen wir uns in den Dienst der besonderen Aufgabe stellen, und die heißt "nachhaltige Politik". Wir gucken über Legislaturperioden hinweg, wir schauen über lebende Generationen hinaus, und wir arbeiten quer zu den Ressorts. Das ist eine große Herausforderung. In der Regel wird hier eher darüber diskutiert: Was machen wir heute, und was betrifft uns jetzt? Es geht also nicht um die lange Perspektive. Ich behaupte: Wenn sich die Nachhaltigkeitspolitik auf das Tagesgeschäft beschränken würde, dann würde sie dieses Etikett nicht verdienen. Deshalb will ich nur sagen: In der Tagespolitik sind wir in vielen Fällen anderer Meinung als die jetzige Mehrheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das gilt für das Marktanreizprogramm, für das EEG, für die Atomkraft und für die Steuerpolitik. Ja, das sehen wir anders als Sie. Trotzdem sagen wir: Wir sind beisammen, wenn es darum geht, gemeinsam etwas Gutes für die Zukunft zu gestalten. Was wird uns durch den Peer Review dazu bescheinigt? Rückblickend wird festgestellt: Wir sind klug und kraftvoll gestartet. Die Nachhaltigkeitsstrategie ist der richtige Ansatz. Nach starkem Start sind nun die Institutionen etabliert, und es stellen sich weitere Aufgaben. Herr Jung, Sie haben schon die Nachhaltigkeitsprüfung in der Gesetzesfolgenabschätzung angesprochen. Damit haben wir uns einen dicken Brocken vorgenommen, den wir aber gut bewältigen müssen. Wir müssen Wert darauf legen, dass das im Gesetzgebungsverfahren verbindlich eingefügt wird. Unser Augenmerk muss natürlich auch darauf liegen, dass wir die Länder ermuntern, uns zu folgen, wenn wir das auf Bundesebene erfolgreich gemacht haben. Wir müssen die Zusammen-arbeit von Bund und Ländern in der Nachhaltigkeitspolitik grundsätzlich voranbringen. Hier gibt es noch jede Menge zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir auf das gesamte Verfahren, dann stellen wir aber auch fest: Wir beschäftigen uns im Augenblick sehr mit den grundsätzlichen Regeln und mit der Frage, wie wir das institutionalisieren. Das ist gut so, aber wir dürfen hier nicht stecken bleiben. Wenn wir bei den Verfahrensfragen stecken bleiben, dann haben wir einen Effekt wie beim Mehltau. Viele werden das von ihren Rosen her kennen. Dabei kann auf Dauer nichts Rechtes herauskommen. Deshalb sage ich: Das eine ist es, diese Arbeit zu erledigen, das andere ist aber, die beschriebene Sorge der Peers ernst zu nehmen. Was für eine Sorge haben sie beschrieben? Ich will das mit den Worten von Volker Hauff sagen, der bis vor kurzem ja der Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung war. Er sagte als Erstes: Es ist gut, dass diese Peers, namhafte internationale Experten, bestellt wurden. Sie kommen zu dem Ergebnis: Früher war Deutschland spitze in der Umweltindustrie, heute - und das ist die Warnung - verliert Deutschland aber an Boden, jedenfalls dann, wenn Deutschland die neuen Spielregeln des internationalen Green Race nicht beherzigt. Was ist der Green Race? - Dabei geht es um die Globalisierung mit Nachhaltigkeitskriterien. Der Wettlauf um die Entwicklung und Produktion der effizientesten Systemlösungen für die nachhaltige Wirtschaft ist in vollem Gang. Es geht um den Umbau von Produktion und Konsum zu klimagerechten, ressourceneffizienten und nachhaltigen Formen, also um keine Kleinigkeiten. Deshalb finde ich den Bericht anregend; mit ihm soll nicht kritisiert werden. Ich verstehe ihn als mutmachend, als Herausforderung und als ein Impuls, zu sagen: Lasst nicht nach! Ihr habt so stark angefangen, macht stark weiter! - Ich glaube, der Parlamentarische Beirat unterstützt das umfassend. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Ich will allerdings auch einen Aspekt der Nachhaltigkeit ansprechen, den ich persönlich in dem Bericht etwas unterbelichtet dargestellt finde, nämlich die Bevölkerungsentwicklung. Wir alle wissen: Weltweit wächst die Bevölkerung, und die Lebensbedingungen der Menschen sind noch immer vom Mangel geprägt. In Deutschland wächst die Bevölkerung jedoch nicht; sie schrumpft. Das heißt, wir stehen hier vor anderen Aufgaben, aber nicht vor leichteren. Bevölkerungsentwicklung von der Zukunft her zu denken, ist deshalb eine sehr große und anspruchsvolle Aufgabe. Welche Fragen stellen sich dann, und welche möglichen Antworten gibt es? Was bedeutet das für Gerechtigkeit heute, öffentliche Haushalte und Steuerpolitik? Dazu darf ich den Kolleginnen und Kollegen von den Linken sagen: Ihr Minderheitenvotum ist ein bisschen zu schlank. Ich glaube, dass nicht funktioniert, was Sie postulieren. Sie sagen, eine gerechte Verteilung heute sei eine gute Basis für das Recht kommender Generationen. Als wäre es damit gesichert! Nein, wir wissen, dass das nicht der Fall ist. Wir sind ambitionierter. Wir wollen Gerechtigkeit heute mit der Option auf Gerechtigkeit und gutes Leben kommender Generationen in Einklang bringen. Das ist der Anspruch, und der ist nicht gering. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) In konkrete Politik übersetzt heißt das: Wir wollen die im Bereich der Nachhaltigkeit interagierenden Felder von Ökologie, Ökonomie und Sozialem miteinander verbunden diskutieren und entwickeln, weil wir glauben, dass nur ein solcher zusammenführender Ansatz die richtigen Vorschläge für die Politik der Zukunft und für die Politik von heute bringt. Willy Brandt hat dazu schon vor 30 Jahren festgestellt: Es gilt, von der ständigen Verwechslung von Wachstum und Entwicklung wegzukommen. - Recht hat er gehabt. Noch heute ist die Gefahr groß, dass wir das eine mit dem anderen verwechseln. Es ist schon der Mühe wert, darüber zu diskutieren, was wir unter Wachstum verstehen. Auf diese Debatte im Beirat und hier im Parlament freue ich mich. Ich halte es für geboten, sie jetzt zu führen. Deshalb sagt die SPD: Aus gutem Grund werden wir grundsätzlich. Die Regierung hat eine große Selbstverpflichtung seit 2002. Wir wollen das Regierungshandeln konstruktiv begleiten. Wir werden dabei aufmerksam sein. Wir werden konstruktiv sein und eigene Vorschläge einbringen, wie es für die SPD üblich ist, und das ist immer gut gewesen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Michael Kauch (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Vorrednerin, Frau Lösekrug-Möller, hat gesagt: Die Nachhaltigkeitspolitik muss heraus aus der Kuschelecke. - Ich glaube, das ist richtig und wichtig. Ich will versuchen, das kuschelige Thema mit ein paar harten Fakten anzureichern. Die FDP setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass es eine Politik der Generationengerechtigkeit gibt. Frau Lösekrug-Möller hat schon angedeutet, dass wir hier schon einmal eine Rednerin der Linken erlebt haben, die gesagt hat: Es gibt kein Gerechtigkeitsproblem zwischen den Generationen, nicht einmal zwischen Arm und Reich, sondern nur zwischen denen, die die Produktionsmittel besitzen, und denen, die sie nicht besitzen. - Das war keine Sternstunde des Parlamentarismus. Ich hoffe, dass Herr Lenkert diese Tradition heute nicht fortsetzen wird. Wir sollten uns anschauen, was Generationengerechtigkeit bedeutet und was wir in den vergangenen Jahren vielleicht falsch gemacht haben. Ich denke, die Finanzkrise hat gezeigt: Wir haben mit unseren Staatsausgaben über unsere Verhältnisse gelebt. Jetzt präsentieren wir mit den Rettungspaketen, die wir schnüren müssen, den kommenden Generationen die Rechnung. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die Finanzmärkte dereguliert - das haben Sie gemacht!) Das sollte uns nicht noch einmal passieren. Wir müssen jetzt die Haushalte in Ordnung bringen, sonst ist alles Gerede von Nachhaltigkeit nur Sonntagsrede. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Mit von Ihnen unterstützten Steuersenkungen!) Deshalb müssen wir auch unsere Sozialsysteme für die Veränderungen wetterfest machen, die angesichts einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung auf uns zukommen. Man kann sich nicht wie die Linken hinstellen und sagen: Wir wollen immer mehr, und alles soll so bleiben, wie es ist. - Wir müssen uns vielmehr Gedanken darüber machen, wie wir soziale Sicherheit auch noch für die Generationen schaffen, die mit mir oder nach mir in Rente gehen oder Pflege in Anspruch nehmen müssen. Auch dann müssen diese Systeme noch funktionieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen uns auch bei Infrastrukturprojekten, für die wir viel Geld ausgeben, überlegen: Ist auch in 100 Jahren noch Nachfrage für das da, was wir hier in Stein meißeln, oder sind vielleicht flexiblere, neue Technologien beispielsweise bei der Abwasserentsorgung ein sinnvollerer Weg in der Investitionspolitik dieses Staates? Es ist eine Binsenweisheit, aber ich sage es hier noch einmal deutlich als Mitglied des Umweltausschusses: Auch bei den natürlichen Ressourcen haben wir vom Kapital statt von den Zinsen gelebt, und deshalb ist es richtig, dass sich der Umweltausschuss federführend mit dem Bericht des Nachhaltigkeitsbeirats beschäftigt hat. Das zeigt aber, dass sich die Nachhaltigkeitspolitik aufgrund der Verantwortung gegenüber kommenden Generationen wie ein roter Faden durch alle Politikbereiche ziehen muss. Die FDP hat dies im Koalitionsvertrag verankert und erreicht, dass zur Nachhaltigkeitsprüfung, die wir seit letztem Jahr im Bereich der Gesetzgebung haben, im Laufe dieser Legislaturperiode eine Generationenbilanzierung hinzukommen muss; denn Transparenz ist der erste Schritt zur Umkehr. Wir müssen zunächst erkennen, welches die langfristigen Wirkungen unserer Gesetze sind, um sie dann verbessern zu können. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU]) Politik braucht Perspektive für Jahrzehnte und nicht für Legislaturperioden. Deshalb finde ich es richtig, dass der Nachhaltigkeitsbeirat sehr klar gesagt hat, die Nachhaltigkeitsstrategie sei in die Jahre gekommen. Sie ist jetzt acht Jahre alt und hat immer noch den gleichen Zeithorizont. Wir sollten bei der nächsten Überprüfung der Nachhaltigkeitsstrategie, die in dieser Wahlperiode ansteht, nicht nur wieder um zehn Jahre nach vorn blicken, sondern bis 2030. Ich begrüße, dass der Staatssekretärsausschuss im letzten Monat die Aussage getroffen hat, dass der Zeithorizont verlängert werden soll. Ich hätte mir aber eine klarere Aussage gewünscht. Ich sage deshalb sehr deutlich - ich denke, auch im Namen der Koalitionsfraktionen -, dass wir hier ein klares Vorgehen erwarten, so wie es der Deutsche Bundestag heute beschließen wird, nämlich die Perspektive auf 2030 zu erweitern und in den Feldern, wo es sinnvoll ist - beim Klimaschutz und auch beim Energiekonzept -, auf 2050. Die Bundesländer sind angesprochen worden. Wir haben ein völlig zersplittertes System von Nachhaltigkeitsstrategien. Manche Länder haben eine Nachhaltigkeitsstrategie, andere haben keine; die einen machen es ernsthaft mit Indikatoren, bei den anderen hat man den Eindruck, das ist Greenwashing für die PR. Deshalb müssen wir die Bundesländer endlich klarer in die nationale Nachhaltigkeitsstrategie - es ist nicht die bundespolitische Nachhaltigkeitsstrategie, es ist die nationale Nachhaltigkeitsstrategie - integrieren, als das heute der Fall ist. Die internationalen Experten haben an einigen Stellen gute Anregungen gegeben; an anderen Stellen wollen wir ihnen nicht folgen. Das finde ich richtig. Ich finde es richtig, dass wir ihnen nicht folgen, wenn es um die Forderung geht, das Amt eines Nachhaltigkeitsbeauftragten der Bundesregierung einzuführen. Auf Beauftragte schiebt man häufig Dinge ab. Man kann einen Beauftragten einsetzen, wenn es sich um ein enges Gebiet handelt, aber nicht, wenn es sich um eine Querschnittsaufgabe handelt. Es ist richtig, dass an dieser Stelle das Kanzleramt das federführende Ministerium ist. Das sollten wir auch nicht ändern. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns die guten Anregungen des Peer Reviews aufgreifen, wie wir es in unserem Antrag getan haben, und erkennen wir Nachhaltigkeitspolitik als das, was es ist: eine Chance für die deutsche Wirtschaft, eine Verantwortung gegenüber kommenden Generationen und eine Politik, die wir gemeinsam mit den Menschen machen müssen. Denn nicht nur durch Gesetze, sondern erst durch das Engagement der Bürgergesellschaft wird Politik tatsächlich nachhaltig. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute sprechen wir endlich über Nachhaltigkeit. Wir von der Linken tragen die Stellungnahme des Beirats für nachhaltige Entwicklung zum Bericht zur Nachhaltigkeitsstrategie teilweise mit, aber wir stellen fest, dass die starke Ungleichheit von Arm und Reich zu Spannungen in der Gesellschaft führt. Das ist eine Gefahr für die Demokratie. (Beifall bei der LINKEN) Das ist der Boden, auf dem religiöser und politischer Fanatismus entstehen. Extreme Armut, aber auch Chancenlosigkeit, fehlende Bildung und Ungerechtigkeiten führen über die Stationen "Resignation" und "Frustration" zu Wut und Hass. Nachhaltige Politik muss dies stoppen. (Beifall bei der LINKEN) Einige Beispiele: Erstens zu den Universitäten. Bis zum Jahr 2000 stellten neben Professoren festangestellte Dozenten die Mehrzahl der Lehrkräfte an den Hochschulen. Der Beruf war für die besten Studienabsolventen attraktiv. Die Erfahrungen sagen: Mehr als vier bis fünf hochwertige Lehrveranstaltungen je Woche inklusive der notwendigen Vor- und Nachbereitungszeiten und der ausreichenden Betreuung der Studenten sind für Dozenten nicht machbar. Wegen der Regierungspolitik, auch Ihrer Regierungspolitik, müssen Hochschulen sparen. Deshalb beschäftigen sie jetzt statt Dozenten Lehrbeauftragte. Die Arbeit ist die gleiche wie vorher, aber die Lehrbeauftragten erhalten je wöchentlicher Lehrveranstaltung nur circa 500 Euro pro Semester. Das macht bei vier bis fünf Lehrveranstaltungen fette 2 000 bis 2 500 Euro in sechs Monaten. Das ist untragbar. (Beifall bei der LINKEN) Mit etwa 400 Euro im Monat müssen diese Ausbilder unserer akademischen Zukunft entweder mittels Hartz IV aufstocken, oder sie liegen ihren Verwandten und Partnern auf der Tasche, und das ist beschämend für unser Land. (Beifall bei der LINKEN) Die meisten Lehrbeauftragten übernehmen diese Arbeit als Pausenfüller in ihrer beruflichen Entwicklung. Die Leidtragenden davon sind unsere Studenten als unsere Zukunft. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, erreichen wir garantiert keine nachhaltigen Studienbedingungen an den Hochschulen. Was wir brauchen, sind Mindeststandards in der Arbeitsgesetzgebung, geänderte Arbeitszeitgesetze und ein gesetzlicher Mindestlohn auch an den Hochschulen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schipanski? Ralph Lenkert (DIE LINKE): Gern. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Kollege Lenkert, ich wollte nur fragen, von welcher Studie Sie im Zusammenhang mit den Lehrbeauftragten sprechen. Im zuständigen Bildungsausschuss ist eine derartige Studie nicht bekannt. Auch in unser beider Heimatland, Thüringen, ist das nicht so. Ich komme von einer Universität. Was Sie da sagen, ist einfach nicht richtig. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Wenn Sie einmal rein zufällig die Statistiken gelesen hätten (Michael Kauch [FDP]: Welche? - Daniela Raab [CDU/CSU]: Welche? Die Quelle!) - die Statistiken der Arbeitsämter -, dann hätten Sie festgestellt, dass wir in der Bundesrepublik mehrere Tausend gut bezahlte Dozenten hatten. Jetzt sind es noch 94. Wenn Sie einen Lehrbeauftragten suchen, dann gehen Sie in die Universitäten! Dort können Sie mit Leuten sprechen, die für 500 Euro diese Arbeit machen und aufstocken gehen oder mehrere Jobs nebenbei machen. Im Wahlkampf sind manche zu mir gekommen und haben gesagt, sie arbeiteten für 800 Euro 40 Stunden die Woche und wüssten nicht, wie sie ihre Familie über die Runden bringen sollen. Herr Schipanski, Sie verschließen die Augen davor. Sie haben sicherlich die richtigen Fragen zum Bericht gestellt, aber mit Sicherheit haben Sie niemals nachgefragt, wie die Situation dort wirklich ist. Mit Sicherheit haben Sie beim Bildungsstreik nicht die Schilderungen der Situation aufgenommen. Wenn Sie auf die Internetseite bildungsstreik.net gehen, werden Sie diese Beschreibung finden. Wenn Sie sich erkundigen, werden Sie feststellen, dass Ihre Politik an dieser Stelle versagt hat. Wenn Sie studiert haben, ist das schön, aber gelernt haben Sie nicht genug. (Beifall bei der LINKEN - Patrick Döring [FDP]: Man darf zu allem reden, auch nicht zur Sache! - Daniela Raab [CDU/CSU]: Das ist ja unverschämt! Herr Kollege, reden Sie mal zum Thema! Sie haben die falsche Rede gegriffen!) Zweitens zum Bahnverkehr. Für den Prestigebahnhof "Stuttgart 21" plant die Regierung in den Haushalten mindestens 4,9 Milliarden Euro ein. Ich komme aus Jena, dem gern gepriesenen technologischen Leuchtturm Thüringens, der wohl 2017 vom Fernverkehr abgehängt wird, weil die ICEs dann über die Neubaustrecke über Erfurt fahren. (Zuruf von der CDU/CSU: Was hat das mit dem Peer Review zu tun?) Die Bahn verspricht eine super Zugverbindung nach Erfurt, aber Schwarz-Gelb streicht die Mittel für den notwendigen Ausbau der Mitte-Deutschland-Verbindung. (Patrick Döring [FDP]: Das stimmt nicht!) Die Stadt Gera, die auch zu meinem Wahlkreis gehört, kämpft mit wirtschaftlichen Problemen. Eine gute Verkehrsanbindung würde nachhaltig helfen. Leider ist Gera seit Jahren vom Fernverkehr abgehängt. Chemnitz, Zwickau, Weimar, Eisenach - alle diese Städte liegen ebenfalls an der Mitte-Deutschland-Verbindung und könnten sich nachhaltig entwickeln. Weil die Regierung aber Milliarden für "Stuttgart 21" verschleudert, ist für andere Bahnnetzinvestitionen kein Geld mehr da. Das ist eine für uns nicht nachvollziehbare nachhaltige Deindustrialisierungspolitik. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Das ist schlicht falsch! - Zuruf von der CDU/CSU: Thema verfehlt!) Ändern Sie die Haushaltsplanung zugunsten der Bahnstrecken in der Fläche. Das wäre nachhaltig. Drittens ganz kurz zur Steuerpolitik. Hätten FDP und CSU eine Nachhaltigkeitsprüfung gemacht, wäre ihnen mit Sicherheit der Hotel-Mehrwertsteuer-Schwachsinn nicht passiert. (Beifall bei der LINKEN - Ulrich Kelber [SPD]: Ihre Rede wäre beim Nachhaltigkeitstest auch nicht zugelassen worden!) Sie können sicher sein, dass wir die Arbeit des Beirates engagiert und nachhaltig unterstützen. (Daniela Raab [CDU/CSU]: Aber bitte nicht so! Darauf können wir gerne verzichten!) Aus unserer Sicht sind in der Stellungnahme zum Bericht die entscheidenden Schwerpunkte bislang nicht ausreichend berücksichtigt. Deshalb werden wir uns enthalten. (Beifall bei der LINKEN - Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Afghanistan vergessen! - Manfred Grund [CDU/CSU]: Die Treuhand hätte man auch noch anführen können!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat die Kollegin Dr. Valerie Wilms für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, wieder auf das Thema "Peer Review" zurückzukommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Lassen Sie mich in den mir zur Verfügung stehenden vier Minuten aus der Sicht der Grünen darstellen, wo wir noch einige Schwächen sehen. Herr Kollege Jung hat schon geschildert, wie der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung funktioniert. Ich bin sehr froh, in diesem Gremium mitzuwirken. Wir arbeiten dort interfraktionell und konsensorientiert, um wirklich etwas zu bewegen; denn das Thema Nachhaltigkeit betrifft uns alle und orientiert sich nicht an kurzzeitigem Legislaturperiodendenken, sondern muss auf die Zukunft ausgerichtet sein. Insofern freue ich mich, dass wir, nachdem wir den Parlamentarischen Beirat sehr schnell eingesetzt haben - ich bedanke mich noch einmal für die Unterstützung dabei -, heute auch einmal eine Debatte zu diesem Thema führen können. Lassen Sie mich zum Thema kommen. Was bedeutet Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit heißt: Wir müssen im Bundestag unsere Entscheidungen so treffen, dass wir den künftigen Generationen nicht mehr Lasten aufbürden als den heute lebenden. Wenn ich mir die Gesetzentwürfe anschaue, die wir in dieser bislang erst kurzen Legislaturperiode schon vorgelegt bekommen haben, insbesondere die bedeutenden und umfangreichen, dann muss ich leider feststellen, dass sie durch die Bank weg alles andere als nachhaltig sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Dabei sind die Bundesministerien bereits seit Sommer 2009 verpflichtet, Gesetzentwürfe auf ihre nachhaltige Entwicklung hin zu prüfen. Ich dachte, wir wären hier schon einen deutlichen Schritt in Richtung nachhaltiges Deutschland vorangekommen. Die Nachhaltigkeitsziele wurden seinerzeit von Rot-Grün eingeführt. Auch die jetzige Bundesregierung stellt sie nicht infrage. Diese Ziele sind in Anbetracht der enormen Herausforderungen, vor denen wir stehen, wie Klimawandel und Zunahme der Weltbevölkerung absolut unabdingbar. Daran kommen wir nicht vorbei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Auch die bislang Benachteiligten müssen endlich in die Lage versetzt werden, sich etwas vom Wohlstandskuchen zu nehmen. Doch dieser Kuchen kann nicht ständig wachsen; schauen wir nach Indien und China. Vielmehr müssen die Anteile am Kuchen stets kleiner werden. Wir in den Industriestaaten und gerade in Deutschland sind hingegen immer noch dabei, aus dem Kuchen die letzten Reste herauszupressen, also unsere Schöpfung und damit unsere Lebensgrundlage langfristig zu zerstören. Schauen wir uns in diesem Peer Review einmal an, wie die Experten, die von außen auf Deutschland geschaut haben, unsere Nachhaltigkeitsstrategie bewerten. Auf jeden Fall stellen sie fest - diese Kritik ist schon gekommen -, dass der Zeithorizont der Nachhaltigkeitsstrategie zu kurz ist. Das sehen wir von den Grünen genauso. Wir müssen bis 2030 und perspektivisch sicherlich bis 2050 blicken; Herr Kauch hat es eben gesagt. Darüber besteht wohl im gesamten Beirat Konsens. Vor allen Dingen muss - die gegenwärtige Situation halte ich für eine absolute Katastrophe - die Zusammenarbeit der Akteure, insbesondere zwischen Bund und Ländern, deutlich besser werden. (Beifall im ganzen Hause) Ich wende mich zunächst einmal an die Länder. Soweit ich informiert bin, haben die Länder die Erarbeitung einer gemeinsamen deutschen Nachhaltigkeitsstrategie für nicht notwendig erachtet. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das führt zu dem Ergebnis, dass wir mit unterschiedlichen Zielvorgaben arbeiten. Wir hier im Bund haben 21 Indikatoren, Schleswig-Holstein hat 35 Indikatoren. Das passt nicht überein. So schaffen wir es wirklich nicht, die Strategie auch noch bis auf die kommunale Ebene herunterzubrechen. Hier klaffen also große Lücken. Ein Beispiel ist die Flächenreduzierung. Hier müssen nun wirklich die Länder ran; aber es passiert nichts. Wir entziehen der Natur jeden Tag immer noch 104 Hektar; das Nachhaltigkeitsziel sind 30 Hektar pro Tag. Perspektivisch müssen wir bis auf 0 Hektar herunter, wenn wir wirklich etwas erreichen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Punkte, die wir den nachfolgenden Generationen als Hypotheken aufbürden. Ich denke nur an das Thema Staatsschulden. Gerade die Gesetzentwürfe zur Griechenland-Hilfe und für den Euro-Rettungsschirm hätten es verdient, einer Nachhaltigkeitsprüfung unterzogen zu werden; diese konnten wir jedoch aus formalen Gründen bislang noch nicht durchführen. Ich habe nun in aller Kürze ein paar Problempunkte aufgezeigt. Ich möchte mich aber auf jeden Fall auch für die sehr intensive und gute Zusammenarbeit über die Fraktionsgrenzen hinweg bedanken. Im Parlamentarischen Beirat schaffen wir es wirklich, für eine nachhaltige Entwicklung zu agieren. Wir haben aber nur eine gewisse Stärke, wenn wir zusammenarbeiten; wir sind nämlich kein Ausschuss, sondern nur ein Beirat. Wir können nur dann etwas erreichen, wenn wir gemeinsam etwas in Gang setzen. Ich hoffe, Herr Lenkert, dass die Linken auch zukünftig immer mit dabei sein werden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP und des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Daniela Raab für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Daniela Raab (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jawohl, der Peer Review ist eine gute Sache. Wir haben ihn nicht nur mit großer Freude zur Kenntnis genommen, sondern gerade in unserem Beirat auch durchaus verinnerlicht. Allerdings ist auch ein wenig Kritik zu üben. Diese ist an der einen oder anderen Stelle schon einmal angeklungen. Die Hauptkritik, die ich für meine Fraktion und auch für meine Arbeitsgruppe äußern möchte, betrifft einen Punkt, der heute schon den einen oder anderen Redner beschäftigt hat. Der Peer Review, gleichsam ein Gutachten über die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, setzt einen, wie ich und auch meine Kolleginnen und Kollegen finden, sehr einseitigen Schwerpunkt auf die Fragen, wie wir mit dem Klimawandel umgehen und was für uns Umweltschutz im täglichen Politikverständnis bedeutet. Dabei verkennt dieses Gutachten, um es auf Deutsch zu formulieren, leider - ich bedaure das sehr und erhoffe mir, dass sich das in der zukünftigen Entwicklung anders darstellen wird -, dass nachhaltige Politik nicht nur Klima- und Umweltschutz bedeutet, sondern sehr, sehr viel mehr. Nachhaltige Politik muss sich zum Beispiel auch, wie Kollege Kauch richtigerweise angesprochen hat, mit der Frage beschäftigen: Wie können wir uns umweltgerecht verhalten und generationengerecht in unserem politischen Tagesgeschäft denken? Diesbezüglich kann ich mich der Kritik vollumfänglich anschließen. Es muss uns gelingen, neben den vielen Umweltverbänden, die natürlich eine wichtige Rolle bei der Nachhaltigkeitsstrategie spielen, auch die Gewerkschaften, die Wirtschaftsunternehmen, Familienunternehmen sowie die Kirchen und die Sozialverbände auf unserem Weg hin zu einer nachhaltigen Entwicklung mitzunehmen und von diesem zu überzeugen, sofern sie diesen nicht sowieso schon eingeschlagen haben. Unsere Familienunternehmen, liebe Marie-Luise Dött, handeln und denken eigentlich schon ziemlich nachhaltig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Sie bilden aus, übernehmen im Optimalfall die Auszubildenden und sorgen damit dafür, dass auch diese für ihre Familien da sein können und sich im Unternehmen so lange wie möglich fortbilden und weiterentwickeln können. Auch das ist nachhaltig. Hier besteht aber durchaus noch Entwicklungspotenzial. Auch die Frage der Infrastruktur - das ist völlig richtig, Frau Kollegin Wilms; auch das Verkehrsministerium ist hier vertreten - berührt Nachhaltigkeitsgesichtspunkte und sollte nicht nur unter kurzfristigen Gesichtspunkten betrachtet werden. In diesem Bereich haben wir, wie ich glaube, auch noch einiges aufzuholen. Ich meine deswegen: Lassen Sie uns dieses Thema so breit wie möglich angehen und manchmal unser politisches Tagesgeschäft wirklich hintanstellen, um visionär zukünftige politische Forderungen gemeinsam zu entwickeln. Ich glaube, wir müssen uns unter diesem Dach zusammenfinden. An der einen oder anderen Stelle werden wir zwar nach wie vor auseinanderdriften, weil wir unterschiedliche Vorstellungen haben, was gut ist, weil das Ausdruck des politischen Wettbewerbs ist; aber das gemeinsame Ziel muss in der Tat die Schaffung von Generationengerechtigkeit auf allen Politikfeldern sein. Wir müssen uns den Problemen in den sozialen Sicherungssystemen ehrlich stellen, und wir müssen uns ehrlich der Frage stellen, wie viel Schulden wir noch machen wollen. Damit wir uns richtig verstehen: Das bereitet keinem in diesem Raum Freude, weder der Regierung noch der Opposition. Das, was wir insbesondere in den letzten zwei Jahren getan haben, mussten wir tun, und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gibt uns diesbezüglich - das haben wir heute wieder gehört - recht. Auch das möchte ich an dieser Stelle unbedingt festhalten. Die Empfehlungen des Peer Review, die wir teilen, sind schon genannt worden. Die Stärkung des Kanzleramtes möchte ich hier doppelt und dreifach unterstreichen. Auch wir Mitglieder der Unionsfraktion wünschen uns, dass wir im Organisationsplan des Kanzleramtes nicht nur irgendwo das Wort "Nachhaltigkeit" finden, sondern dies auch mit personellen Ressourcen unterlegt wird. (Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das wäre sehr schön. Dafür werden wir natürlich weiterhin arbeiten. Liebe Frau Wilms, Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Es wäre wirklich schön, wenn die Nachhaltigkeitsprüfung in den Ministerien auch einmal stattfinden würde. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wäre schön, wenn nicht nur die gerne verwendeten Textbausteine "Wir haben die Nachhaltigkeit geprüft; es ist alles in Ordnung" oder "Keine Auswirkungen auf die Nachhaltigkeitspolitik" genutzt würden, sondern man sich wirklich einmal die Mühe machen würde, sich zu überlegen - das macht man bei anderen Punkten ja auch -, ob der Gesetzentwurf vielleicht doch nicht so ganz nachhaltig ist. Vielleicht ist er zu Recht nicht nachhaltig, weil es sich um ein drängendes Problem handelt; das kann ja sein. Aber wenn er nachhaltig ist, meine lieben Freunde, dann sagt es uns. Es ist doch ein Qualitätsbeweis, wenn ich unter einen Gesetzentwurf schreiben kann: Er ist aus folgenden Gründen nachhaltig: erstens, zweitens, drittens. - Es geht also nicht nur um die formelle Kabinettsreife, die ich mit einer solchen Prüfung erreichen möchte, sondern es geht auch um die materielle Ausfüllung des Begriffs "Nachhaltigkeit" in der täglichen Gesetzgebung. Auch das wünschen wir uns aus vollem Herzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir allein die Möglichkeiten nutzen, die uns zum Teil schon gegeben sind, dann können wir - da bin ich ganz beim Kollegen Kauch - sehr gut auf einen Aktionsplan Nachhaltigkeit und einen Beauftragten für Nachhaltigkeit verzichten. Mir ist es schon wichtig, dass wir das Thema nicht auslagern, sondern wir uns als Parlament selber ernst nehmen und sagen: Hierher gehört die Debatte. Das Thema gehört nicht zu einer Einzelperson, die von der jeweiligen Regierung benannt wird, sondern wir wollen das selber machen, weil das unserem parlamentarischen Selbstverständnis entspricht. Wir können das. - Ich glaube, dieser Beirat beweist das. Deshalb ist mein letzter Wunsch an die Damen und Herren, die die Geschäftsordnung derzeit umgestalten: Nehmt den Beirat nicht nur ernst, sondern wertet ihn weiter auf. In dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP wurden ganz eindeutige Sätze dazu gefunden. Es wird Zeit, dass wir sie in der Praxis umsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Stellungnahme des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung zu dem Peer Review der deutschen Nachhaltigkeitspolitik. Das betrifft die Drucksachen 17/1657 und 17/2314. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltung? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine soziale Revision der Entsenderichtlinie - Drucksache 17/1770 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Wenn die Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte nicht folgen wollen, ihre Gespräche vor dem Saal führen, können wir uns auf den Redner konzentrieren. - Als erster Redner hat das Wort der Kollege Josip Juratovic für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Wirtschaftskrise hat gezeigt: Wir müssen der sozialen Dimension Europas endlich eine Gestalt geben. Darüber sind wir uns einig, zumindest in Sonntagsreden. Ein soziales Europa ist nur mit einer Revision der Entsenderichtlinie möglich. Mit der Entsenderichtlinie sollte ursprünglich Lohndumping verhindert werden. Jedoch wurde die Richtlinie in den vergangenen Jahren vom EuGH anders interpretiert. Was einst Fairness zum Ziel hatte, verhindert heute Fairness auf dem Arbeitsmarkt. Wir fordern eine Revision der Richtlinie, um das ursprüngliche Ziel, den fairen Wettbewerb ohne Lohndumping, klarzustellen. (Beifall bei der SPD) Mit dieser Forderung stehen wir in einer langen Tradition. Schon 1919, als die Internationale Arbeitsorganisation ins Leben gerufen wurde, war den Gründungsstaaten klar: Wir müssen Sozialdumping verhindern, indem wir Mindestarbeitsbedingungen festlegen. Keine Volkswirtschaft soll einen Vorteil durch Unterbietung erlangen. Daran arbeitet die ILO bis heute, und daran müssen auch wir arbeiten: weg vom Lohndumping, hin zum fairen Wettbewerb. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Fairer Wettbewerb war auch der Grundgedanke, als die Entsenderichtlinie geschaffen wurde. In einem Mitgliedstaat sollen keine Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum tätig sein, für die ein anderes Recht gilt. Die Arbeitnehmer, die in ein anderes Land gehen, sollen die gleichen Rechte haben wie die dortigen Arbeitnehmer. Dazu gehören unter anderem Regelungen zu Höchstarbeitszeiten, Mindesturlaub, Mindestlöhnen, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Die Entsenderichtlinie wurde aber nicht immer so gehandhabt, wie sie geplant war. In mehreren Entscheidungen meinte der Europäische Gerichtshof, dass von ausländischen Unternehmen nur bestimmte Mindeststandards gefordert werden dürfen. Höhere Standards, zum Beispiel Tarifverträge, müssen laut dem EuGH von ausländischen Arbeitnehmern nicht eingehalten werden - so die Rechtsprechung im Rüffert-Urteil; Gegner war das Land Niedersachsen. Demnach dürfen in Deutschland keine öffentlichen Aufträge mehr vergeben werden, die eine Tariftreueklausel beinhalten. Die Bindung an Tarifverträge darf laut EuGH kein Kriterium für die Auftragsvergabe sein. Die Entsenderichtlinie wurde damit ins Gegenteil verkehrt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Politisch war gewollt, dass wir Lohndumping verhindern. Wenn ausländische Unternehmer nicht an unsere Tarifverträge gebunden sind, wird aber mit genau dieser Richtlinie Lohndumping legitimiert. Zudem werden die Arbeitsbedingungen mit Arbeit am Wochenende und Nachtarbeit schlechter, und das häufig ohne wirksame Kontrolle des Arbeitsschutzes. Dies macht mehr als deutlich: Wir müssen die Entsenderichtlinie revidieren und zurück zu den ursprünglichen Zielen kommen. Von der Uminterpretation der Richtlinie sind alle Länder betroffen. Die reicheren Länder werden durch die ärmeren Länder zu Niedriglöhnen gedrängt. Die Menschen aus ärmeren Ländern werden zu unanständigen Arbeitsbedingungen eingesetzt, was zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Damit werden die Arbeitnehmer aus verschiedenen Ländern gegeneinander ausgespielt. Sie stehen in einem Unterbietungswettbewerb. Diesen unsozialen Wettbewerb müssen wir verhindern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Alle reden immer von einem fairen Wettbewerb; doch wir haben keinen fairen Wettbewerb, sondern pures Lohndumping. Wie Sie wissen, gilt ab 2011 die Arbeitnehmerfreizügigkeit für mindestens acht weitere EU-Mitgliedstaaten. Wir müssen vorher klären, welche Arbeitsbedingungen und Tariflöhne von den ausländischen Unternehmen hier in Deutschland beachtet werden müssen. Denn Lohndumping schadet uns allen. Vor allem schwächen wir unsere Unternehmer, die ihren Mitarbeitern faire Arbeitsbedingungen bieten. Sie können bei diesem Lohndumping nicht mithalten und sind dadurch gefährdet. Mit Niedriglöhnen schwächen wir auch unsere Arbeitnehmer. Die Arbeitnehmer in Deutschland verlieren entweder ihren Job, weil es billigere Arbeitskräfte aus anderen Staaten gibt, oder sie verdienen Hungerlöhne, um mit der ausländischen Konkurrenz mithalten zu können. Kolleginnen und Kollegen, wir müssen gegen diese Klassengesellschaft unter den Arbeitnehmern vorgehen. Eine Klasse kommt in den Genuss von fairen Arbeitsbedingungen, steht aber vor der Gefahr, ihre Jobs zu verlieren. Die andere Klasse arbeitet unter niedrigeren Standards und lebt deswegen am Rande des Existenzminimums. Eine solche Klassengesellschaft ist zutiefst unsozial und ungerecht, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und sie gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Unser Grundprinzip muss lauten: Gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Das ist keine Gleichmacherei, sondern ein Grundprinzip von Fairness auf dem Arbeitsmarkt. Wir wollen nicht, dass Arbeitnehmer in ein anderes EU-Land entsandt werden und dort zu schlechteren Bedingungen arbeiten müssen als die Arbeitnehmer im Gastland. Für entsandte Arbeitnehmer müssen die gleichen Bedingungen gelten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Öffentliche Auftraggeber müssen das Recht haben, ihre Aufträge so zu vergeben, dass die Unternehmen Tarifverträge einhalten müssen. Es kann nicht sein, dass wir in Deutschland Tarifverträge abschließen, die dann ein Unternehmen aus dem Ausland einfach aushebeln kann. Im Übrigen wollen öffentliche Auftraggeber, darunter viele Bundesländer, ihre Aufträge zu fairen Bedingungen vergeben. Das zeigt das Beispiel Niedersachsen, und das zeigt sich dadurch, dass viele Länder unseren hier eingebrachten Antrag unterstützen. Mit der geforderten sozialen Revision der Entsenderichtlinie arbeiten wir auch an unserem Ziel eines sozialen Europas. Wir haben vier Dimensionen in Europa: den gemeinsamen Markt, die offenen Grenzen, die gemeinsame Währung und die soziale Dimension Europas. Die ersten drei Dimensionen haben wir bereits erfolgreich umgesetzt. Nun geht es darum, aus der wirtschaftlichen Einheit auch ein soziales Europa zu entwickeln. Europa heißt nicht nur, dass wir uns um den Euro oder die Finanzkrise kümmern. Europa bedeutet auch, dass faire Arbeitsbedingungen für alle Menschen in unserer Union geschaffen werden. Dahin muss unser Weg führen. Dafür tragen wir Verantwortung. (Beifall bei der SPD) Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, setzen Sie sich nicht nur in Sonntagsreden für einen fairen Wettbewerb ein! Lassen Sie uns gemeinsam die Bundesregierung dazu bewegen, mit unseren EU-Partnern eine Revision der Entsenderichtlinie in Angriff zu nehmen und damit einen weiteren Schritt in Richtung eines sozial gerechten Europas zu gehen. Ich freue mich auf die weitere Beratung und danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im Jahr 2004 setzte der lettische Bauunternehmer Laval Arbeitskräfte aus seinem Heimatland auf einer Baustelle in Schweden ein. Die Entlohnung erfolgte gemäß den lettischen Tarifverträgen. Schwedische Baugewerkschaften fassten dies als Lohndumping auf und versuchten, den Bauunternehmer dazu zu bewegen, die eingesetzten Beschäftigten gemäß den schwedischen Tarifvereinbarungen zu entlohnen. Zur Durchsetzung ihrer Forderungen blockierten sie die Baustelle in Schweden. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Klasse, die Schweden! Bravo!) - Ja, das hätten auch die Linken machen können. Der Europäische Gerichtshof erkannte in seinem Urteil vom 18. Dezember 2007 das Grundrecht auf Streik zwar ausdrücklich an, er vertrat aber die Auffassung, dass ein Streik keine der vier Grundfreiheiten der EU - Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Personenverkehrsfreiheit sowie Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs - einschränken darf. Es wird oft behauptet, der EuGH habe mit seinen Entscheidungen im Fall Viking und in den ähnlich gelagerten Fällen Laval und Rüffert den wirtschaftlichen Freiheitsrechten des EG-Vertrags, besonders der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit, Priorität gegenüber der gewerkschaftlichen Aktionsfreiheit eingeräumt. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das stimmt!) Hier reihen sich mit ihrer Antragsbegründung die Kollegen der SPD ein. Sie nehmen dabei besonders auf das gewerkschaftliche Streikrecht und auf die Tarifautonomie Bezug. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, lieber Kollege Juratovic, mit Ihrem Antrag setzen Sie sich unter anderem dafür ein, dass in allen Rechtsvorschriften auf europäischer Ebene, die Fragen der Entsendung berühren, das Grundrecht auf Tarifverhandlungen und kollektive Maßnahmen verankert wird. Ihre Forderungen betreffen größtenteils übergreifende europäische Sachverhalte, auf die die Bundesregierung nur geringen Einfluss hat. (Widerspruch der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) - Sie können nachher noch reden, Frau Pothmer. Stellen Sie eine Frage, dann schauen wir mal. Zur Frage, ob die Entsenderichtlinie als Konsequenz der Urteile des EuGH revidiert werden muss, gab es am 2. Juni dieses Jahres eine Anhörung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments. Die Europäische Kommission hat in diesem Zusammenhang angekündigt, zu prüfen, ob überhaupt ein Bedarf für eine Revision der Entsenderichtlinie besteht, und frühestens 2011 einen entsprechenden Vorschlag vorzulegen. Mit Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, greifen Sie diesen Prüfungsergebnissen vor. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs drücken die Spannung zwischen ökonomischen Sachzwängen einerseits und dem notwendigen Arbeitnehmerschutz andererseits aus. Hier muss sine ira et studio eine Lösung gefunden werden. Anders als die SPD bin ich aber der Auffassung, dass diese Urteile eine Revision der Entsenderichtlinie nicht notwendigerweise erzwingen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der EuGH hat in seinen Entscheidungen betont, dass die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nach dem EG-Vertrag als fundamentale wirtschaftliche Freiheitsrechte garantiert werden. Ihnen kommt aber nicht nur eine Wirkung als Abwehrrecht bei staatlichen Eingriffen zu, sondern auch eine direkte Wirkung gegenüber den Behinderungen der Freiheitsrechte durch private Dritte. Zu diesen zählen auch die Gewerkschaften. Der EuGH hat damit zum ersten Mal anerkannt, dass das Streikrecht als soziales Grundrecht im Sinne des Gemeinschaftsrechts anzusehen sei. Im Urteil Laval greift er den Begriff des Sozialdumpings auf und sieht im Streikrecht zum Schutz der Arbeitnehmer gegen Sozialdumping ein zwingendes Allgemeininteresse. Abschließend möchte ich noch auf ein interessantes Detail aufmerksam machen, das die SPD im letzten Absatz ihrer Antragsbegründung versteckt hat. Sie hält demnach nicht mehr kompromisslos an ihrer ursprünglichen Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn fest, sondern scheint endlich dem stets von der Union bevorzugten Weg der tarifvertraglichen Mindestlöhne Positives abgewinnen zu können. Danke schön! Aber das nur am Rande. Unsere ehemaligen sozialdemokratischen Mitkoalitio-näre werden sich noch daran erinnern können, dass die Große Koalition in der letzten Wahlperiode gerade die Entsenderichtlinie zum Anlass genommen hat, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auszuweiten. Insgesamt wurden mit Gebäudereinigern, Briefdienstleistern, der Pflegebranche, Sicherheitsdienstleistern, der Abfallwirtschaft, Aus- und Weiterbildungsdienstleistern nach dem SGB II oder SGB III, Wäschereidienstleistern und auch Bergbauspezialarbeitern acht Branchen neu in den Geltungsbereich des Gesetzes aufgenommen. Die Zahl der Arbeitnehmer, die durch Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz geschützt werden können, war damit von 700 000 auf 3 Millionen gestiegen. Daneben sind durch die Modernisierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes, des MiArbG, Mindestlöhne auch in solchen Bereichen ermöglicht worden, in denen die Tarifbindung gering ist und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht angewandt werden kann. Wir haben damit eine gute Voraussetzung für die Einführung der uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit geschaffen, die ab dem Jahr 2011 gelten wird. Aus diesem Grund ist eine Revision der Entsenderichtlinie zum jetzigen Zeitpunkt nicht notwendig. Ich denke deshalb, wir sollten hier zunächst abwarten, zu welchem Ergebnis die EU-Kommission bei der Überprüfung der Richtlinie kommt. Aufgrund des ausdrücklichen Wunsches meines Nachredners, des Kollegen Wadephul, möchte ich ihm die verbleibende Minute hiermit schenken. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Mai 2011 kommt die absolute Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa: Die Übergangsregelungen für die Entsendung von Arbeitnehmern aus den neuen Beitrittsländern, die bisher keinen freien Zugang hatten, laufen dann aus. Die europäische Entsenderichtlinie muss daher sozial gestaltet werden. Das deutsche Arbeitnehmer-Entsendegesetz muss auf alle Branchen erweitert werden. Die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen muss erleichtert werden. Ein flächendeckender Mindestlohn muss eingeführt werden. (Beifall bei der LINKEN) Damit wären die größten Löcher gestopft. Wir wollen aber noch mehr als nur Löcher stopfen. Bereits im Februar 2006 fanden in Berlin und Straßburg zwei große Demonstrationen statt, und zwar unter Eis und Schnee; das war eine schweinekalte Angelegenheit. Das Ergebnis war: Die Dienstleistungsrichtlinie wurde anschließend mit Änderungen eingeführt. Die Dienstleistungsrichtlinie regelt, dass Unternehmen in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union Dienstleistungen anbieten können. Viele Menschen sorgen sich seitdem, dass Beschäftigte, die nun europaweit arbeiten können, europaweit um die billigsten Löhne konkurrieren müssen. Um das zu verhindern, gibt es die europäische Entsenderichtlinie. Sie regelt, dass Beschäftigte, die mit ihren Unternehmen innerhalb der EU arbeiten, nicht schutzlos sind. Sie enthält Mindestarbeitsbedingungen; dabei geht immer mehr als das Minimum. Vor Ort gelten dann für inländische und entsendete Arbeitnehmer die gleichen Bedingungen. Ziel der Entsenderichtlinie ist es also, Lohndumping und Lohnkonkurrenz zu vermeiden sowie einheitliche Rechtsstandards an einem Arbeitsort zu sichern. Das ist an sich eine gute Idee. Dieser Plan wurde jedoch ohne den Europäischen Gerichtshof gemacht. Er hat mit seinem Urteil die Minimalstandards in Maximalstandards verwandelt. Mehr als das, was in der Richtlinie steht, geht demnach nicht. Plötzlich wurde das Streikrecht vor Ort eingeschränkt. Geltende Tarifverträge wurden als Wettbewerbshemmnis erachtet und für ungültig erklärt. Wirtschaftliche Freiheitsrechte - Herr Lehrieder hat sie erwähnt - gehen damit auch in diesem Land vor Freiheitsrechte der Menschen. Das ist skandalös und verkehrt das Anliegen der Richtlinie in das Gegenteil. Schon einmal wurde versucht, die Arbeitnehmerrechte in Europa auszuhebeln. Nach dem ersten Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie sollte der Firmensitz darüber entscheiden, welche Arbeits- und Tarifstandards gelten. Ein Chaos von 27 parallel geltenden Arbeitsrechten drohte. Die Firmen hätten sich durch eine Verlagerung ihres Firmensitzes die für sie günstigsten Bedingungen heraussuchen können. Das wurde zum Glück verhindert. Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes kommen diese Zustände nun durch die Hintertür zurück. Deswegen muss ein absoluter Riegel vorgeschoben werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass auf soziale Standards geachtet wird, auch auf europäischer Ebene. Ich wiederhole: Wir brauchen in diesem Bereich Nachbesserungen; an dieser Stelle muss sich etwas ändern. Es muss einen Mindestlohn geben. Tarifstandards müssen eingehalten und ihre Durchsetzung erleichtert werden. Im Grunde muss die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern auf alle Bereiche ausgeweitet werden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der europäische Binnenmarkt ist für den Wohlstand und den wirtschaftlichen Erfolg der Mitgliedstaaten der EU von wesentlicher Bedeutung. Gerade weil wir uns vielleicht schon daran gewöhnt haben, ist der Hinweis wichtig, dass offene, europaweit freie Märkte für Waren und Dienstleistungen die besten Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung in jedem der Mitgliedsländer der Europäischen Union sind. Die Europäische Union hat einen erheblichen Beitrag zum europaweiten Wohlstand, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zum sozialen Fortschritt geleistet. Ich will hier einmal einige Daten nennen: Nach Berechnungen der EU-Kommission wäre der Wohlstand der EU, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, im Jahr 2006 um 2,2 Prozent niedriger gewesen, wenn es den europäischen Binnenmarkt nicht gegeben hätte. Die Beschäftigung wäre im Jahr 2006 um 1,4 Prozent - das sind über die gesamte EU gerechnet 2,75 Millionen Arbeitsplätze - niedriger ausgefallen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das hat nichts mit der Entsenderichtlinie zu tun!) - Ja, das ist das Problem, Herr Kollege. Sie sagen: Das hat nichts damit zu tun. Aus meiner Sicht hat das schon etwas damit zu tun. Gerade in den neuen mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten ist das Pro-Kopf-Einkommen in den letzten zehn Jahren deutlich angestiegen, um fast ein Drittel auf 52 Prozent des Durchschnitts der alten Mitgliedstaaten. Die Löhne in den neuen Mitgliedstaaten sind zwischen 2000 und 2008 erheblich gestiegen. In mehreren neuen Mitgliedstaaten legten die realen Bruttolöhne um mehr als 100 Prozent zu. Warum sage ich das? Ich sage das, weil wir bei allem, was wir tun und bei den durchaus nachvollziehbaren Schutzinteressen, die hier vorgetragen werden, am Ende nicht gefährden dürfen, dass der von uns gewollte, sinnvolle Austausch von Gütern und Dienstleistungen über Gebühr behindert wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen hat der Europäische Gerichtshof die in der EU garantierten Grundfreiheiten gestärkt. Er hat deutlich gemacht, dass in einem Katalog von rund 70 Richtlinien und zahlreichen Verordnungen ein Mindeststandard in Europa festgelegt ist, der ohnehin in jedem einzelnen Mitgliedsland gewährleistet wird. Er hat zusätzlich klargestellt, dass die Entsenderichtlinie zusätzlich zu den EU-weit geltenden sozialen Mindeststandards einen harten Kern an Sozialschutzbestimmungen des Ziellandes für entsandte Arbeitnehmer vorschreibt und diesen zusätzlichen Schutz auch gewährleistet. Es ist also eine Richtlinie im Interesse der entsandten Arbeitnehmer und nicht im Interesse der Arbeitnehmer im Zielland. Man muss sich deutlich vor Augen führen: Das ist der Hintergrund der Entsenderichtlinie, Herr Juratovic, Sie schütteln so sinnend den Kopf. Vor diesem Hintergrund ist es schlicht falsch, zu behaupten, dass das soziale Europa unter die Räder der wirtschaftlichen Grundfreiheiten geraten sei. Das ist ausdrücklich nicht der Fall. Die Entsenderichtlinie darf nicht dazu missbraucht werden, unter dem Deckmantel des Schutzes sozialer Rechte protektionistische Maßnahmen zu treffen, (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Schützen Sie die Menschen und nicht die Waren, die Unternehmen!) um die Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit einzuschränken - das will ich für meine Fraktion sehr deutlich sagen -, (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) weil dadurch die genannten enormen Vorteile des europäischen Binnenmarktes gefährdet wären. Ein europäischer Binnenmarkt ist aber erforderlich, um auf den Weltmärkten gegenüber Wettbewerbern mit großen Heimatmärkten erfolgreich konkurrieren zu können. Sozialer Fortschritt realisiert sich nur durch wirtschaftlichen Fortschritt. Das verkennt der Antrag der SPD, Herr Juratovic. Ihr Antrag ist von Protektionismus geprägt. Er stellt die soziale Freiheit - deswegen habe ich den Gedanken bewusst entwickelt - schlichtweg auf den Kopf. Er schränkt in gewisser Weise auch die Chancengerechtigkeit ein. Zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes hat der Kollege Lehrieder schon einiges gesagt. Ich finde, Viking, Laval, Rüffert und Luxembourg machen eines klar: Die Richtlinie soll das Arbeitsrecht in den Mitgliedstaaten nicht harmonisieren, sondern koordinieren. Das ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Unterschied. Ich möchte deutlich sagen, dass die Urteile viel Freiraum für die Lohnfindung in den Mitgliedstaaten zulassen. Die Urteile sind, wie ich finde, ein effektives Instrument, um Sozialdumping zu verhindern. Sie bauen auf dem Prinzip auf, dass die Rahmengestaltung der Arbeitsbedingungen für entsandte Arbeitnehmer vorrangig durch Gesetze und Tarifabschlüsse des Gastlandes bestimmt wird und dass die Arbeitnehmer von diesen Rahmenbedingungen profitieren können, ohne sie selbst aushandeln zu müssen. Zu den einzelnen Punkten in Ihrem Antrag will ich Folgendes sagen: Eine europäische Regelung zur Tarifautonomie ist unserer Auffassung nach vor dem Hintergrund des Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht notwendig. Es ist auch nicht die Aufgabe europäischer Rechtsetzung, über Mindeststandards hinaus Sozialpolitik zu betreiben. Der Grund für Beschränkungen auf gewisse Faktoren in den Richtlinien ist - darauf haben Sie eben selbst hingewiesen -, dass das Entsendeverhältnis temporärer Natur ist. Die Arbeitnehmer, die zu uns kommen, sind nicht Teil des hiesigen Arbeitsmarktes. Sie haben sich unserem Arbeitsmarkt auch nicht verpflichtet. Eine zeitliche Begrenzung sehe ich nicht als hilfreich an. Sie würde zu einem ständigen Wechsel der Arbeitnehmerschaft führen. Und eine Änderung der Ausschreibungskriterien - das ist ja auch ein Punkt Ihres Antrags - widerspricht ausdrücklich der Idee des offenen Binnenmarktes. Das ist, wenn ich es richtig sehe, bei den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes in Bezug auf Rüffert und Luxembourg genauso gesehen worden. Die Idee, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf alle Branchen auszuweiten, wird von uns abgelehnt. Da rate ich wirklich zur Vorsicht. Schon in der Vergangenheit wurde das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch in Branchen, in denen es keine klassische Entsendeproblematik gab, ich will es mal so sagen, "missbraucht". Wie das im Mai 2011 werden wird, das sollten wir uns einmal in Ruhe ansehen. Ich glaube, dass da im Moment - mit Hinweis auf die Freizügigkeit, die sich dann ergibt - sehr viel Panik gemacht wird. Ich bin zurückhaltend und rate auch allen anderen zur Vorsicht. Gerade die Anhörung vier verschiedener Verbände und auch der Bundesagentur am Montag - das will ich auf die Frage des Kollegen Vogel noch einmal sehr deutlich sagen - hat gezeigt, dass man nichts Genaues weiß. Es gibt auch viel Überlieferung von einem zum anderen, und am Ende machen die sich gegenseitig verrückt. Also gehen wir das ruhig, sachlich und mit der gebotenen Vorsicht an. Dann wird es auch eine vernünftige Regelung geben. Eine Überarbeitung der Entsenderichtlinie ist aus unserer Sicht jedenfalls nicht erforderlich. Deswegen stehen wir dem Antrag des Kollegen Juratovic, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, kritisch und ablehnend gegenüber. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das ist sehr schade!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die grüne Position ist ganz klar und ganz eindeutig: Das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" muss innerhalb der gesamten EU durchgesetzt werden. Dieses Prinzip muss einen höheren Stellenwert haben als die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Deswegen muss die Entsenderichtlinie überarbeitet werden, und zwar so, dass sie zugunsten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht durch die Dienstleistungsfreiheit eingeschränkt werden kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Pothmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb? Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage des Kollegen Kolb. (Zurufe bei der CDU/CSU: Oh!) Ich möchte mit meiner Rede fortfahren. - Das betrifft sowohl die Löhne, die Arbeitszeiten, die Urlaubsansprüche und auch andere soziale Standards. Zukünftig müssen die Standards gelten, die in dem Land, in dem die Dienstleistung angeboten wird, gesetzlich oder tariflich vereinbart worden sind. Genau das gilt jetzt nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Laval und Rüffert eben nicht mehr. Nach diesem Urteil werden entsandte Beschäftigte tatsächlich zu so etwas wie Sendboten des Lohndumpings. Das ist für die Betroffenen, aber auch für die Beschäftigten hier ein Zustand, den wir nicht hinnehmen können. Es ist aber auch ein Rückschlag für das soziale Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Herr Kolb, wir werden eine Akzeptanz der europäischen Verständigung in viel stärkerem Umfang brauchen, als das bisher der Fall ist. Und wenn wir keine Akzeptanz für Europa schaffen, dann wird es uns auch nicht gelingen, in der Wirtschafts- und der Finanzpolitik - da, wo wir es dringend brauchen - Regelungen zu treffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage) - Herr Kolb, versuchen Sie es nicht noch einmal. Ich finde, dass Sie Ihre Redezeit hatten. Ich muss Ihnen einmal sagen: Ich finde, es reicht auch einfach. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was ist denn mit Ihnen passiert?) Es ist die Aufgabe der Politik, genau hier auf soziale Rahmen zu setzen. Es muss vollkommen und unmissverständlich geklärt werden, dass Mindestanforderungen eben keine maximalen Normen darstellen, wie es derzeit nach diesem Gerichtsurteil der Fall ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat doch nun wirklich - das müsste eigentlich auch bei Ihnen angekommen sein - endgültig geklärt, dass die Freiheit des Marktes nicht über alles gestellt werden darf. Daraus müssen wir Lehren ziehen. Der europäische Wettbewerb muss ein Wettbewerb um die Qualität der Dienstleistung sein und nicht ein Wettbewerb um Schmutzlöhne. Genau dafür braucht man für diesen Wettbewerb einen Rahmen. Der Rahmen muss so gesetzt sein, dass die Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit haben, über die Mindeststandards hinauszugehen. Diese Standards müssen sowohl für einheimische als auch für entsandte Beschäftigte einheitlich gelten. Seit dem Urteil des EuGH ist in der Sache allerdings ganz wenig passiert; auch das muss man an dieser Stelle einmal sagen. Das Europäische Parlament hat die Kommission bereits 2008 aufgefordert, tätig zu werden. Aber handfeste Ergebnisse haben wir nicht vorzuweisen. Sie, Herr Lehrieder, haben vorhin gesagt: Was kann denn die arme Bundesregierung dafür? Deutschland ist das größte europäische Land. Wenn sich Deutschland in dieser Frage engagieren würde, dann wäre da auch Bewegung drin; das muss man eindeutig sagen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, das ist auch zu Zeiten der Großen Koalition, als Sie mitregiert haben, nicht geschehen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Pothmer, kommen Sie bitte zum Schluss. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Es folgt gleich eine Kurzintervention. Sie haben also noch viele Möglichkeiten. Bitte sagen Sie Ihren letzten Satz. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich würde mir wünschen, dass die Union und die FDP endlich ihre Blockade aufgeben. Es liegt auf nationaler und auf europäischer Ebene einiges im Argen. Es ist jetzt wirklich allerhöchste Zeit, zu handeln. Wenn Sie Ihren Ruf als Beschützer der Lohn- und Standarddrücker nicht weiter zementieren wollen, dann sollten Sie sich in Bewegung setzen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Heinrich Kolb das Wort. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hatte doch schon sechs Minuten!) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegin Pothmer, es ist eigentlich schade: Ich lasse Ihre Fragen immer zu. Da wäre es doch nur angemessen, wenn auch ich Sie fragen dürfte. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hatten doch gerade schon sechs Minuten!) Das ist auch eine Chance auf eine Verlängerung der Redezeit. Sie waren heute nämlich ein bisschen knapp. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ich kann mich auch kurzfassen, Herr Kolb!) Meine Zwischenfrage hätte Ihnen also die Chance geboten, noch etwas mehr zu diesem Thema zu sagen. Was ich Sie gefragt hätte und worauf ich Sie jetzt hinweisen möchte, ist Folgendes: Es muss in den letzten Jahren irgendein entscheidendes Ereignis gegeben haben. Denn wenn ich es richtig sehe, hat Rot-Grün in der eigenen Regierungszeit mit den Hartz-Gesetzen im Bereich der Zeitarbeit genau das Prinzip, von dem Sie gerade gesprochen haben - gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort -, außer Kraft gesetzt. Der Grundsatz des Equal Pay kann nämlich überschrieben werden. Genau das befürchten Sie auch jetzt: dass Arbeitnehmer bzw. Zeitarbeitnehmer aus anderen Ländern zu uns kommen könnten und auf der Basis eines Tarifvertrages hier billiger wären. Wann in den letzten Jahren ist da Entscheidendes passiert, was dazu geführt hat, dass Sie heute sagen: "Jetzt sehen wir die Welt vollkommen anders; jetzt glauben wir, die Dinge sind nicht mehr so, wie sie vorher waren"? (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Aus Fehlern muss man auch lernen können!) Ich will Sie auf einen letzten Punkt hinweisen, weil Sie der FDP immer einen Lobbyismusvorwurf machen - ich will Ihre Beschimpfungen gar nicht wiederholen, sondern ich weise all das, was Sie über uns gesagt haben, mit Nachdruck, Abscheu und Empörung zurück -: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe meinen Kindern früher immer aus einem Kinderbuch vorgelesen. Es heißt: Der große Platsch. In diesem Buch passiert Folgendes: Drei Hasen schlafen am Ufer eines Sees im Urwald. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kurzintervention!) Dann fällt eine Papaya ins Wasser, und die drei Hasen erschrecken sich so sehr, dass sie fluchtartig losrennen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Frau Präsidentin, müssen wir uns ein Märchen erzählen lassen? - Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Der Letzte macht das Licht aus!) Dann kommen ihnen andere Tiere entgegen, und alle fragen sie: Was ist denn los? Am Ende heißt es: "Der Platsch kommt." Alle Tiere im ganzen Urwald waren fluchtartig in Bewegung, bis sie dem erfahrenen, alten Löwen begegnet sind. Er hat dann zu ihnen gesagt: Immer mit der Ruhe! (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Und die FDP ist der Platsch?) Damit komme ich zum Ende meiner Kurzintervention, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das rate ich auch uns: Wir sollten überprüfen, was genau passiert ist, ob ein Platsch unterwegs ist, (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Morgen erzählen wir das nächste Märchen!) von dem sich alle gegenseitig verrückt machen lassen, oder ob da wirklich etwas dran ist. Das wird uns die Erfahrung wohl am besten lehren können. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigen uns doch schon die Zahlen!) Deswegen sollten wir hier, wie ich es gesagt habe, ganz langsam und vorsichtig ans Werk gehen. Das hätte ich Sie gerne gefragt, das hätte ich Ihnen gerne gesagt. Jetzt machen wir es auf diesem Wege. Ich hoffe, dass Sie meine Zwischenfragen beim nächsten Mal wieder zulassen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU - Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Platsch nimmt Platz!) Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur Erwiderung. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Kollege Kolb, ich lasse Ihre Zwischenfragen zukünftig nur dann zu, wenn Sie sie mir vorher vorlegen. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) Ich glaube, Ihre Geschichte über Platsch und der Aufruf, Ruhe zu bewahren, ist eine Aufforderung an Ihre eigene Fraktion. Denn seitdem Ihre Umfragewerte um 4 Prozent herumdümpeln, kann man von Ruhe in Ihrer Truppe überhaupt nicht mehr reden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD) Das ist ein Hühnerhaufen, ein Hühnerhof. Daher wäre es wahrscheinlich besser, Sie würden eine solche Kurzintervention an Ihre eigenen Leute richten. Jetzt zum Kern Ihrer Kurzintervention. Herr Kolb, ich finde es bedauerlich, dass Sie, wenn Sie eine bestimmte Information aufgenommen haben, stehen bleiben. Sie haben nicht zur Kenntnis genommen, dass wir nach der von Rot-Grün getroffenen Entscheidung, die Leiharbeit zu öffnen, schon zwei Anträge gestellt haben, das zu korrigieren; denn wenn wir bemerken, dass wir einen Fehler gemacht haben, sind wir - anders als Sie - in der Lage, das selbstkritisch zu hinterfragen und diesen Fehler zu korrigieren. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie auf Ihrer sonntäglichen Klausursitzung genau nach diesem Prinzip gehandelt hätten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dann hätten Sie vielleicht wieder eine Chance. Wenn Sie mit kaltem Herzen und kalter Hand so weitermachen, wird die FDP-Fraktion jedenfalls in diesem Parlament nur eine geringe Zukunft haben. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Dann macht es platsch!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die Kollegin Krellmann vorhin einen Tiervergleich angestellt hat, hatte ich die Befürchtung, dass uns auch das weggenommen wird. Aber nach der Kurzintervention vonseiten der FDP haben wir gemerkt: Tierwelt kann die Koalition besser. Vergleiche aus diesem Bereich sind unser Privileg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich bringe das Buch mal mit! Schönes Buch!) Ich komme auf den Kern der Debatte zurück. Nachdem der Kollege Lehrieder in einer zeitlich etwas knapp geratenen, aber inhaltlich sehr fundierten Rede die wesentlichen Punkte erwähnt hat, will ich die Sachlage schildern, wie sie sich auf europäischer Ebene darstellt. Wir dürfen uns im Deutschen Bundestag schließlich keine Scheinwelt aufbauen. Die Kommission hat eindeutig erklärt, dass sie nach der entsprechenden Diskussion im Fachausschuss des Europäischen Parlaments evaluieren und die Richtlinie überprüfen wird. Der gerade im Amt befindliche EU-Kommissar Herr Andor hat angekündigt, im nächsten Jahr gegebenenfalls eine revidierte Richtlinie vorzulegen. In dieser Situation soll man die europäischen Institutionen das machen lassen, wofür sie da sind. Wenn sie angekündigt haben, zu evaluieren, dann kann sich jeder daran beteiligen und Einzelergebnisse dazu liefern. Aber man soll die europäischen Institutionen erst einmal arbeiten lassen und nicht mit einer vorgefassten Meinung an die Sache herangehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein weiterer Punkt, der darauf hinweist, dass es sich Ihrerseits um einen Schnellschuss handelt, ist - wir sehen das mit Freude -, dass die SPD jetzt von einem gesetzlichen Mindestlohn Abstand genommen hat; das hat der Kollege Lehrieder gesagt. Sie wollen auf das zurückkommen, was sinnvoll und vernünftig ist. Der tarifliche Mindestlohn soll in den einzelnen Branchen durch die Tarifvertragsparteien festgelegt werden. Das haben Sie klugerweise in Ihren Antrag hineingeschrieben. Das begrüße ich und zeigt die von Frau Pothmer angemahnte Lernfähigkeit bei den Sozialdemokraten. Diese gibt es übrigens auch bei der FDP. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja?) Auf der angesprochenen Klausursitzung hat der Generalsekretär der Freien Demokratischen Partei etwas zur Mehrwertsteuersenkung zugunsten der Hoteliers gesagt. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Müssen Sie jetzt schon die FDP verteidigen?) Seitens der Union kann man das nur begrüßen. Vielleicht kommen wir im Herbst nach ausführlichen Beratungen gemeinsam zu neuen Ergebnissen. Auch die Grünen haben noch Nachholbedarf. Was auch dafür spricht, dass es sich um einen Schnellschuss handelt, ist, dass Sie die europäische Rechtsprechung nicht ausgewertet haben. Ich will gar nicht meine Meinung dazu sagen; ich bin zwar Jurist, aber kein Europarechtler. Nur so viel: Lesen Sie in der tageszeitung vom 12. September 2008 nach, was der deutsche EuGH-Richter Thomas von Danwitz zu den infrage kommenden Urteilen gesagt hat. Dann würden Sie von der linken Seite des Hauses wesentliche Teile dessen, was Sie vorgetragen haben, nicht wiederholen. Der Richter hat gesagt - ich darf zitieren -: Wenn man die Urteile genau ansieht, erkennt man, dass es keine derart einseitige Linie gibt. Nehmen wir das Viking-Urteil ..., das in meinen Augen die grundsätzlichste Bedeutung hat. Hier wurde klar das Streikrecht der Gewerkschaften als Grundrecht anerkannt. Zwar werden Streiks als potenzieller Eingriff in die Binnenmarkt-Grundfreiheiten der Unternehmen eingestuft, laut EuGH sind Streiks aber grundsätzlich gerechtfertigt, wenn sie für die Verteidigung von Arbeitnehmerinteressen notwendig sind. An anderer Stelle sagt er, als er gefragt wird, ob die Richtlinie denn dem wichtigen Zweck der Erhaltung des sozialen Friedens dient: Entscheidend ist aber, dass die Entsenderichtlinie ein Kompromiss ist, der hinterher nicht einfach unter Berufung auf bestimmte Interessen wieder infrage gestellt werden kann. Wenn ich mit Kollegen aus Ungarn oder Polen spreche, dann ist aus ihrer Sicht der Marktzugang jedenfalls sehr wichtig. Auf den Aspekt möchte ich hinweisen. Wir können uns als Exportnation Deutschland nicht hinstellen und sagen: "Die sollen alle unsere Produkte kaufen", aber uns dann, wenn diese eine Chance auf dem Arbeitsmarkt nutzen wollen, auf den sie möglicherweise mit günstigeren Personalkosten kommen könnten, abschotten. Wir schaffen kein Zweiklassen-Arbeitnehmerrecht, Herr Juratovic, sondern wir schaffen zwei Klassen von Staaten in der Europäischen Union. Das wird außerordentlich kritisch gesehen, das sollten wir nicht machen. Wenn Sie guter Europäer sind, (Josip Juratovic [SPD]: Ein sehr guter Europäer!) dann überdenken Sie das an dieser Stelle noch einmal und ziehen Ihren Antrag zurück. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/1770 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) - Drucksache 17/2249 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Olav Gutting für die Unionsfraktion, Lothar Binding für die SPD-Fraktion, Dr. Daniel Volk für die FDP-Fraktion, Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke, Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und des Parlamentarischen Staatssekretärs Hartmut Koschyk für die Bundesregierung.2 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/2249 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Carsten Sieling, Manfred Zöllmer, Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gesamtkonzept zur Stärkung des Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen vorlegen - Drucksache 17/2136 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Carsten Sieling. (Beifall bei der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurz nach der Bundestagswahl kam in eine meiner ersten Bürgersprechstunden, die ich als neu gewählter Abgeordneter durchgeführt habe, ein älteres Ehepaar und trug mir vor, was ihnen zwei Jahre zuvor, schon im Jahr 2007, geschehen ist. Sie waren immer noch empört. Sie hatten einen Anruf eines ihnen vertrauten Bankberaters bekommen, und dieser hatte gesagt, er habe ein Angebot nur für ganz spezielle Kunden: Zertifikate der Lehman-Bank: gute Zinsen, sicher, kein Risiko. Das Ehepaar schlug zu, wie es so viele gemacht haben. Den Ausgang kennen wir alle. Sie haben sich verspekuliert, die Altersvorsorge ist dahin. So geht es Tausenden Menschen. Das ist das Problem und der Grund, warum wir sagen, dass es dringend notwendig ist, dass wir im Bereich des Anlegerschutzes und des Verbraucherschutzes erweiterte Maßnahmen treffen, damit so etwas vermieden wird. Der Schaden in Deutschland wird auf 20 Milliarden Euro geschätzt. Das ist deutlich zu viel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen hier handeln. Darum haben wir unseren Antrag vorgelegt. (Beifall bei der SPD) Es gibt viele Gründe dafür, dass das so passiert ist. Die Berater sind nicht ausreichend qualifiziert. Die Beraterinnen und Berater stehen unter Erfolgsdruck, weil sie mehr Provision erbringen müssen. All dies ist in den letzten Wochen auch durch die Medien gegangen. Auf tariflicher Ebene hat es Vereinbarungen dazu gegeben. Die Informationen über die Finanzprodukte - hier wird es noch ernster - sind unverständlich und nicht durchschaubar. Niemand beaufsichtigt das, was auf den Märkten passiert und angeboten wird. Diese Dinge müssen geändert werden. Die Große Koalition hat schon in der letzten Legislaturperiode durchaus einige Verbesserungen erzielt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich nenne nur das Stichwort "Verlängerung der Verjährung bei Falschberatung durch die Banken". Das war ein richtiger und wichtiger Schritt. Wir haben damals gemeinsam mit der CDU/CSU einen Antrag auf den Weg gebracht, der viele gute Vorschläge beinhaltet hat. Passiert ist seitdem aber leider gar nichts. (Beifall bei der SPD - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Sie haben eine komische Wahrnehmung, Herr Kollege!) Man muss sagen: Gar nichts ist passiert. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Komische Wahrnehmung!) - Ich sage gleich noch etwas dazu. Das größte Problem ist aber, dass ein Gesamtkonzept fehlt, Kollege Dautzenberg. Da kommen Sie auch nicht drum herum und nicht heraus. Wir brauchen ein Gesamtkonzept für den Anlegerschutz, das alle Aspekte umfasst. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die werden Sie nie erfassen, weil es immer neue Produkte gibt!) Das ist ein Grund, warum wir heute hier diesen Antrag vorlegen, in dessen Zentrum die Überlegung steht, dass wir einen Finanz-TÜV, ein Bündel von Maßnahmen, brauchen, mit dem dafür gesorgt wird, dass die einzelnen Dinge beobachtet und kontrolliert werden. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das sind alles nur Sprechblasen, Herr Kollege!) Die Finanzprodukte müssen vom Anfang bis zum Schluss, also bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie verkauft werden, durchleuchtet werden. Wir müssen die Situation erreichen, dass Produkte, Beratung und Verkauf unter ständiger Beobachtung stehen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aha!) Was dafür nötig ist, haben wir in unserem Antrag dargelegt. Lassen Sie mich einige Punkte herausgreifen: Erstens. Wir wollen gesetzlich verbindliche - und nicht nur mehr oder weniger freiwillige - und verständliche Produktinformationsblätter mit standardisierten Angaben, damit die Dinge verglichen werden können. Wer falsche Informationen hineinschreibt, der muss dafür auch haften. (Beifall bei der SPD - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Zweitens. Wir wollen die Aufsichtsbefugnisse der BaFin weiterentwickeln. Dafür gibt es bereits Vorbilder im Investmentbereich. Das muss ausgeweitet werden, ohne dass für die BaFin oder die öffentliche Hand ein Haftungsverhältnis begründet wird. Das muss vermieden werden, aber die Aufsicht kann weiterentwickelt werden. Drittens. Wir müssen die Verbraucherverbände stärken. Bellen und Beißen: Das ist das Prinzip, nach dem wir dort handeln. Viele weitere Dinge stehen in unserem Antrag, zum Beispiel die Regulierung des Grauen Kapitalmarkts und Weiteres. Die Zwischenrufe haben schon gezeigt: Gleich werden die Vertreterinnen und Vertreter der Koalition hier sprechen und sich mit ihren Taten rühmen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ja!) Sie werden sich Ihrer vermeintlichen Taten mit lauen warmen Worten rühmen. Da ist nicht viel gewesen. Frau Aigner, die Verbraucherschutzministerin, hat eine "Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen" vorgelegt, passiert ist aber nichts. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Interessant wurde es, als der Bundesfinanzminister einen Gesetzentwurf mit einigen durchaus beachtenswerten Aspekten im Hinblick auf die Qualifikation von Finanzberatern und vielen anderen Verbesserungen ins Spiel gebracht hat. Was aber ist passiert? (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Was denn?) Eigentlich sollte dieser Gesetzentwurf schon im Juni im Kabinett beschlossen werden, damit wir hier etwas Ordentliches zu beraten haben. Er ist aber wieder von der Tagesordnung genommen worden. So verlautete es jedenfalls. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Auf welcher Tages-ordnung war er denn, Herr Kollege?) - Ob er auf der Tagesordnung war? - Es wurde jedenfalls vorbereitet, und Sie wissen auch, dass es eine Vorabstimmung darüber gab. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aha! - Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist aber ein großer Unterschied!) Was ist der Hintergrund? - Der Wirtschaftsminister Brüderle hat Gesprächsbedarf. Es ist das übliche Spiel: CDU/CSU und FDP laufen in unterschiedliche Richtungen. Dahinter steckt wahrscheinlich, dass die einen oder anderen Lobbyverbände wieder interveniert haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) - Sie können ja das Gegenteil belegen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Sieling, kommen Sie bitte zum Schluss. Dr. Carsten Sieling (SPD): Ich komme zum Schluss. - Allein durch diesen Vorgang wird deutlich, wie richtig und wichtig es war, dass wir als SPD unseren Antrag hier vorlegt haben. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Klaus-Peter Flosbach das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt kommt Qualität in die Debatte!) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Sieling, Sie fordern ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Stärkung des Verbraucherschutzes. Warten Sie doch noch ein paar Tage. In wenigen Tagen wird dieses Konzept vorgelegt, Herr Sieling. Sie haben elf Jahre den Bundesfinanzminister gestellt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bei uns dauert es nur acht Monate, bis ein schlüssiges Gesamtkonzept vorgelegt wird. Das wird mit Sicherheit noch in diesem Monat vom Kabinett verabschiedet. Wir werden schon im September, also nur ein Jahr nach der Bundestagswahl, dieses Konzept sehr intensiv beraten können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Volker Wissing [FDP] - Kerstin Tack [SPD]: Die Sicherheit kennen wir!) Wir haben deutlich gesagt, dass wir jedes Produkt, jeden Produzenten und jeden Vermittler einer Regulierung unterwerfen wollen. Sie haben als Beispiel die Lehman-Zertifikate genannt und auf den vertrauensvollen Bankberater hingewiesen. In der Tat hat es riesige Schäden gegeben. Aber Sie haben den geregelten Markt angesprochen. Das war der Bankenmarkt - da gibt es das Wertpapierhandelsgesetz und das Kreditwesengesetz -, der sehr stark reguliert ist. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber er kann das nicht auseinanderhalten!) Trotzdem gab es 50 000 Lehman-Geschädigte. Wir kennen den Fall von Phönix Kapitaldienst. Da gab es 30 000 geschädigte Anleger. Auch da hat die Aufsicht geprüft, konnte den Schaden aber nicht verhindern. Ich erinnere an die Göttinger Gruppe - atypische Beteiligungen -, die auch ständig geprüft wurde. Alle Kapitaldienste haben geschrieben, was das für ein schlimmer Verein sei, aber trotzdem hat die bestehende Aufsicht nicht eingegriffen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Flosbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick? Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Na klar. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wenn es der Sache dient!) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Flosbach, Sie haben gerade ein einheitliches Anlegerschutzkonzept angekündigt, das in wenigen Wochen vorliegen werde. Meine Frage ist, ob der Gesetzentwurf zum Anlegerschutz, der angekündigt ist, schon dieses Konzept ist oder ob Sie noch etwas Weiteres vorlegen wollen, mit dem die Ziele des Koalitionsvertrages erreicht werden sollen. Das war mir bei Ihren Ausführungen nicht ganz klar. Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Es gibt einen Entwurf der Bundesregierung - das wissen Sie wahrscheinlich -, der bereits mit Verbänden diskutiert wird. Er wird uns in Kürze vorliegen. Er wird wesentliche Teile der im Bereich Verbraucherschutz diskutierten Themen enthalten. Darüber und über die Anträge, die Sie vorgelegt haben, werden wir mit Ihnen gemeinsam gerne im September und Oktober diskutieren. (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU]) Sie haben es in elf Jahren nicht hinbekommen. Warten Sie die paar Tage ab, bis wir unser Konzept vorlegen. Das ist doch der einfachste Weg. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin nicht in der SPD!) - Sie waren viele Jahre mit dabei. Es gibt Schäden auf dem Finanzmarkt. Sie kennen die Schrottimmobilien. Auch in diesem Zusammenhang sind Tausende von Leuten über den Tisch gezogen worden. Auch hier haben wieder die Banken gehandelt, die Kredite gegeben und die Immobilien zu 100 Prozent in einer Höhe beliehen haben, die diese nicht wert waren. Sie fordern in Ihrem Antrag, es müsse vom Beginn der Anlage bis zum Ende alles geprüft werden. Wir können das versuchen. Wir haben derzeit eine Prospektprüfung. Das ist aber nur eine formelle Prüfung, keine inhaltliche Prüfung. Wir müssen aufpassen, dass wir keine Scheinsicherheit erzeugen. Entscheidend ist, was in dem Produkt steckt. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es!) Das muss natürlich geprüft werden. Wir bekommen jetzt eine neue europäische Richtlinie zu den alternativen Investments. Auch hier, meine ich, muss zunächst einmal der Anbieter geprüft werden. Die Schäden sind bei den Anbietern entstanden. Diese sind die Verursacher des Schadens. Deswegen ist es wichtig - das sage ich in Richtung von Herrn Schick -, dass die Prospekthaftung über die sechs Monate hinausgeht. Es ist also wichtig, dass der Anbieter stärker geprüft wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Denken Sie doch bitte an unsere Diskussion im vergangenen Sommer. Ich spreche von der großen Anhörung zum grauen Kapitalmarkt. Auch da ging es um die Frage, was inhaltlich geprüft werden kann. Die Aufsicht hat uns Abgeordneten gesagt: Wir sind in der Lage, formell zu prüfen, aber den wirtschaftlichen Gehalt einer Anlage können wir nicht prüfen, weil wir nicht die Fachleute dafür haben. Um das einzelne Produkt bewerten zu können, müssten wir riesige Abteilungen von Experten beschäftigen, die auch entsprechende Prognosen auswerten. - Denken Sie an den klassischen Fall des geschlossenen Immobilienfonds. In den neuen Bundesländern gab es in der Startphase teilweise hohe Mieten. Wenn ein Mieter ausfällt, ist das ganze Konzept im Eimer. Es ist eine Risikoinvestition. Beim Verbraucherschutz geht es darum, dass der Verbraucher weiß, dass auf einem Produkt deutlich steht, wenn in ihm ein Risiko steckt. Es muss dem Einzelnen klargemacht werden, dass das Risiko hoch ist und es sich nicht um eine Anlage handelt, die 1, 2 oder 3 Prozent abwirft. Das Risiko muss deutlich beschrieben werden. Darin sind wir uns wahrscheinlich einig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das steht schon im Wertpapierhandelsgesetz!) Das Wichtigste dabei ist, dass wir Möglichkeiten eröffnen, wie die Anlegersicherheit gestaltet werden kann. Ich sehe das auch so wie Sie, dass wir ein breites Spektrum standardisierter Produkte für den Anleger haben müssen, (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) bei denen er weiß, ob es eine Einlagensicherung gibt und sein Geld nicht verlorengehen kann. Das ist meines Erachtens wichtig. Aber für den Anleger, der bereit ist, auch ein größeres Risiko einzugehen, müssen wir andere Schutzvorschriften schaffen. Zum Beispiel bei geschlossenen Fonds ist meines Erachtens das Gutachten der Wirtschaftsprüfer, das sogenannte IDW-S4-Gutachten, der richtige Weg. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiterer Bereich, der eine hohe Bedeutung hat, ist natürlich die Regulierung der Vermittler. Hier gibt es derzeit zwei Konzepte, aber in beiden Konzepten sind mehrere Positionen völlig identisch. Wir wollen, dass es ein einheitliches und öffentliches Register gibt. Jeder Anleger soll öffentlich sehen können, wer ihm da gegenübersteht, von mir aus, welche Vita er hat, welche Qualifikation er hat, ob er eine Haftpflichtversicherung hat, ob er abgesichert ist für mögliche Risiken. Ich bin außerdem der Meinung, dass ein Gespräch dokumentiert und protokolliert werden muss, damit man weiß, was da gelaufen ist. Wir brauchen natürlich - das ist wichtig - den Prospekt. Darin steht normalerweise - gucken Sie sich die Prospekte an -, der Vermittler darf nicht vom Prospekt abweichen. Dennoch bin ich der Meinung, das Gespräch sollte protokolliert werden. Das ist meines Erachtens auch für den Verbraucher der beste Schutz. Es muss einfach deutlich sein, dass der Verbraucher erkennt, ob es eine Risikoanlage oder eine Nichtrisikoanlage ist. Es gibt zwei Konzepte: Soll das alles über die Gewerbeordnung reguliert werden, oder soll es über die BaFin, also die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, als Aufsicht reguliert werden? - Ich meine, wir müssen hier an den Verbraucher denken. Was dient dem Verbraucher am meisten? Die Situation ist doch, dass wir im Markt viele verschiedene Wettbewerber haben, die sich um den Verbraucher bewerben, und jedes Gespräch wird protokolliert. Wenn der Anbieter ein faires Angebot gemacht hat, wird er nichts dagegen haben, und dann wird er auch dafür haften können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Wichtig ist, dass wir den Verbrauchern fair und offen aufzeigen, wo sie Schutz haben können, aber auch deutlich machen, wo es keinen Schutz gibt. Wer ein Risiko bewusst eingeht, der muss auch das Risiko tragen können. Das ist dann nicht die Sache des Verbraucherschutzes. Wir wollen nicht jeden reglementieren, ihm vorschreiben, dass er sein Geld nur im Sparbuch anlegen kann, sondern wir wollen schon einen Wettbewerb im Finanzmarkt haben. Ich freue mich auf die weitere Beratung zu diesem Thema. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Harald Koch für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Koch (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden in den vergangenen Monaten etliche Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern eingegangen sein, die Sorge um ihr mühsam Erspartes haben. Das klang hier ja auch schon bei Herrn Dr. Sieling durch. Viele haben in der Finanzkrise durch hoch riskante, intransparente Finanzprodukte, die ihnen als sicher und renditeträchtig verkauft wurden, eine Menge Geld verloren. Auch die Verschuldung durch verantwortungslose Kreditvergaben ist ein großes Problem. Von mehr als 6 Millionen überschuldeten Menschen sind gut 85 Prozent nicht selbst für ihre Lage verantwortlich. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Na, na!) Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie dürfen nicht länger zulassen, dass Tausende Menschen ihre Rücklagen für das Alter, für die Pflege oder für Notfälle verlieren (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wo verlieren die das denn, Herr Kollege?) bzw. finanziell gar keine Zukunft mehr sehen. Viel zu spät wurde in Deutschland, aber ebenso weltweit bemerkt, dass eine Regulierung der Finanz- und Kreditmärkte auch aus Verbraucher- und Anlegersicht dringend geboten ist. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es wäre schön, wenn nicht immer so lange gewartet würde, bis das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Die SPD spricht im Titel ihres Antrags aus meiner Sicht etwas großspurig von einem "Gesamtkonzept". (Zuruf von der SPD: Warten Sie ab!) Doch über die Kreditvergabe als wichtigste Finanzdienstleistung und die damit verbundenen Probleme verliert der Antrag kein Wort. Die Linke fordert beispielsweise eine Stärkung der Schuldnerberatungsstellen. (Beifall bei der LINKEN und des Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die SPD hätte, wenn sie es ernst meinte, ihre Forderungen bereits im letzten Jahr umsetzen können, weil sie meist von Linken und Grünen übernommen worden sind. Stattdessen verfolgte die SPD während ihrer Regierungsbeteiligung andere Interessen. Mit dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz, kurz "ZAG" genannt, hat sie für eine Verbreitung von Wildwestmethoden im Bereich der Kreditkartenkredite beigetragen. (Beifall bei der LINKEN) Trotz dieser großen Lücke enthält der SPD-Antrag - das möchte ich nach den kritischen Anmerkungen betonen - viele unterstützenswerte Forderungen, mit denen linke Positionen aufgegriffen werden. Auch die Linke will die unabhängige Finanzberatung ausbauen und sagt Nein zum Provisions- und Profitstreben in der Finanz- und Versicherungsbranche. Honorarberatung bedeutet nicht zwangsläufig mehr Qualität; doch ohne die Überwindung provisionsgetriebener Beratung und produktbezogener Verkaufsvorgaben gibt es keine wirklich unabhängige Beratung. Warum sorgen wir hier zum Beispiel nicht dafür, dass das Berufsbild eines zertifizierten Finanzberaters etabliert wird? (Kerstin Tack [SPD]: Das steht im Antrag! - Dr. Carsten Sieling [SPD]: Ja, in unserem Antrag!) Auch die gesetzlichen Regelungen zu Beratungsprotokollen weisen viele Lücken auf. Sie schützen eher die Berater vor Haftungsrisiken als die Beratenen vor Nachteilen. Produktinformationsblätter sollten einheitlich die Risikoklasse, den maximal möglichen Verlust sowie die tatsächlichen Gesamtkosten ausweisen. Die Linke fordert für beides standardisierte und insbesondere verbindliche Verfahren. Ein Finanz-TÜV muss ferner wichtiger Bestandteil der Finanzaufsicht sein. Finanzprodukte sind vor ihrer Zulassung auf Verbraucherfreundlichkeit, wirtschaftliche Nachhaltigkeit, Sozial- und Umweltverträglichkeit sowie Risikopotenzial zu prüfen und zu klassifizieren. Gefährliche und schlichtweg überflüssige Produkte, die nur der Spekulation im globalen Finanzkasino dienen, müssen endlich vom Markt genommen werden. (Beifall bei der LINKEN) Der finanzielle Verbraucherschutz muss gesetzlich verbindlicher geregelt und gestärkt werden, erstens durch Regulierung und Entschleunigung der Finanzmärkte, unter anderem durch eine Finanztransaktionsteuer, sowie durch Maßnahmen für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe, - Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Koch, achten Sie bitte auf das Signal. Harald Koch (DIE LINKE): - ja -, zweitens durch die Entschlackung der für die Privatanleger schier undurchschaubaren Masse an Finanzprodukten und drittens vor allem durch bessere Regulierung, Transparenz und Verständlichkeit der verbleibenden Produkte. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Professor Dr. Erik Schweickert das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Es geht aber nicht um Wein, Herr Kollege!) Dr. Erik Schweickert (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht nur deshalb, weil vielleicht der eine oder andere, der noch reden muss, zu spät gekommen ist, möchte ich das aufgreifen, was Sie, Herr Kollege Sieling, zu Anfang aus Ihrem Wahlkreisbüro berichtet haben. Wenn ich richtig zugehört habe, hat die Dame (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Ehepaar!) Ihnen erzählt, was sie 2007 erlebt hat. Ich hoffe, Sie haben der Dame dann auch gesagt, wer denn 2007 die Verantwortung getragen hat und was 2007 von denen unternommen worden ist, sehr geehrter Herr Kollege. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wo? In den USA? In den USA war es Bush! - Kerstin Tack [SPD]: Nicht richtig zugehört, Herr Kollege!) - Ich glaube schon, dass ich zugehört habe. Sonst hätte ich zum Beispiel das "Bellen und Beißen" nicht aufschreiben können; da bin ich mir sicher. Im Bellen sind Sie großartig; das gestehe ich Ihnen zu. (Zuruf) - Ihr Kollege hat das gesagt. Ich zitiere nur den Antragsteller. Ich glaube, es ist gut, wenn man da mal ein bisschen Substanz hineinbringt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht's aber mal los!) Wir bellen und beißen nicht, sondern wir arbeiten ordentlich im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir sind uns im Ziel doch einig. Wir wollen mehr Transparenz. Wir wollen eine bessere Regulierung bei den Finanzdienstleistungen und somit ein Mehr an Verbraucherschutz. Die Euro-Krise hat uns gezeigt, dass es am Finanzmarkt noch Regelungsbedarf gibt. Der Antrag, den die Sozialdemokraten eingebracht haben, zeigt aber auch die gute und zügige Arbeit der christlich-liberalen Koalition. In dem Antrag beschreiben Sie viele Problembereiche und sagen: Da müsste man etwas tun. - Sie haben elf Jahre lang nichts getan. Ich möchte Ihnen sagen, wo wir etwas getan haben. Sie haben das ja schon als Erwartung geäußert. Ich möchte Sie nicht enttäuschen, sehr geehrter Herr Kollege, und Ihnen das noch einmal vor Augen führen. Mit dem Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und der Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes wird dieser sogenannte graue Kapitalmarkt nämlich einer durchgreifenden Regulierung unterzogen. (Beifall bei der FDP - Nicolette Kressl [SPD]: Haben Sie die Zeitung nicht gelesen?) - Wir lesen Zeitungen sehr wohl. - Die Pflicht zur Führung eines Beratungsprotokolls, zur Einhaltung des Gebots einer anlegergerechten Beratung und zur Offenlegung von Provisionen wird mehr Transparenz in die Anlageformen bringen und somit den Anlegerschutz deutlich erhöhen. (Kerstin Tack [SPD]: Das ist nicht Ihr Verdienst! Das war die Große Koalition! - Dr. Carsten Sieling [SPD]: Und was hat die FDP damit zu tun?) Seien Sie zuversichtlich, dass es, wenn die BaFin als Aufsicht über Finanzdienstleistungen das Recht bekommt, Bußgelder für Falschberatungen zu erheben, bei 50 000 Euro doch schon wehtut. Das ist wieder ein kleiner Baustein in die richtige Richtung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auch bei den Qualifikationsvoraussetzungen von Finanzberatern gehen wir voran. Anders als vielleicht der eine oder andere hier möchte ich nicht den mehr oder minder staatlichen Bankberater haben. Die Berater und auch die Vertriebsverantwortlichen - das wird oftmals vergessen - müssen sich registrieren. Wir wollen, dass bei falscher Anlageberatung auch die Möglichkeit besteht, Kundenbeschwerden nachzugehen, sodass die BaFin dem dann entgegenwirken kann. Die BaFin wird damit auch die Kompetenz bekommen, Wertpapierdienstleistungsunternehmen den Einsatz des einen oder anderen Mitarbeiters zu untersagen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) Sie sehen also: Wir gehen nach vorne. Die Informationsblätter werden künftig stärker reglementiert sein. Der Diskussionsentwurf aus dem Bundesfinanzministerium sieht ein - das finde ich übrigens sehr gut - nicht mehr als zwei DIN-A4-Seiten umfassendes Produktinformationsblatt vor. Wir sind doch alle genervt - seien wir einmal ehrlich -, wenn wir 30 Seiten bekommen, die letztendlich keiner liest. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lieber sollten es weniger sein, die dafür die wichtigen Punkte enthalten. Dann haben wir alle gewonnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Carsten Sieling [SPD]: Warum hat Herr Brüderle nicht auf Sie gehört? - Gegenruf des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das hat mit Herrn Brüderle nichts zu tun!) - Seit wann ist Herr Brüderle denn Bundesfinanzminister? Gehen wir einmal weiter. Es war die christlich-liberale Koalition - auch wenn es wehtut, Herr Kollege -, die mit dem Gesetz zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte eine Regelung zum Verbot ungedeckter Leerverkäufe auf den Weg gebracht hat. Wir wirken damit den Risiken für die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte entgegen. Damit habe ich Ihnen nur einige Beispiele genannt, mit denen wir das Anlegerschutzniveau deutlich erhöhen. Für mich als Verbraucherschützer gibt es weitere Baustellen, an denen wir arbeiten müssen. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir sie angehen. Im Rahmen der Zusammenführung der deutschen Finanzaufsicht bei der Bundesbank wäre für uns eine Eta-blierung des Verbraucherschutzes ein wichtiger Punkt; denn wir brauchen eine bessere Aufsicht und keine Verstaatlichung der Verbraucherzentralen, wie das in Ihrem Antrag mit den Marktwächtern gefordert wird. Der Marktwächter darf kein Nachtwächter sein. Aus diesem Grunde möchte ich eine gute, schlagkräftige Verbraucherzentrale haben, die schaut, was am Markt möglich ist und welche Entwicklungen es am Markt gibt. Wir wollen aber keine Verstaatlichung der Verbraucherzen-tralen. Wir brauchen keine Hilfssheriffs, die der Meinung sind, sie müssten jetzt losgehen. Das muss die Aufsicht machen. Jeder muss dort tätig werden, wo er hingehört, und seine Kernkompetenz in diesem Bereich auch ausfüllen. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Oh! Die FDP fordert mehr Staat!) Auch beim Thema Honorarberater ist nach unserer Meinung ein Ausbau erforderlich. Wir brauchen ein klares Profil. Jeder muss wissen, ob er einem Honorarberater oder einem Verkäufer gegenübersitzt. Das muss transparent ausgewiesen werden. Diese Punkte sind für den Verbraucherschutz notwendig. Dann bekommen wir auch das Vertrauen wieder zurück, das sehr viele Banken tatsächlich verspielt haben. Ich bin mir auch sicher, dass sehr viele Banken noch nicht verstanden haben, was sie den Anlegerinnen und Anlegern angetan haben. Hier müssen wir ein bisschen für ein Umdenken in der Branche Sorge tragen. Sehr geehrter Herr Kollege, das muss aber mit den Vorschlägen geschehen, die wir auf den Weg gebracht haben. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Auf welchen Weg?) - Sehr geehrter Herr Kollege, wenn Sie es in elf Jahren nicht schaffen, ein Gesetz vorzulegen, während wir uns in der kurzen Zeit, die wir jetzt hier die Verantwortung tragen, schon auf Gesetzentwürfe geeinigt haben, (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Aber noch ist es nicht passiert!) dann müssen Sie auch einmal akzeptieren, dass wir den Schritt in die richtige Richtung gehen, den Sie elf Jahre lang verpasst haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Carsten Sieling [SPD]: Können Sie mir das Papier überreichen?) Bevor Frau Präsidentin jetzt anfängt, es blinken zu lassen, will ich Ihnen nur noch Folgendes sagen: Wir werden auch weiterhin im Sinne eines guten Anlegerschutzes vorangehen. Ich freue mich auf die gute Zusammenarbeit und auf die Aussprache mit Ihnen. Ich hoffe, dass Sie Ihren Leuten dann, wenn Sie erläutern, was 2007 falsch gelaufen ist, auch sagen, wer es jetzt regelt. Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Jahre nach Beginn der Finanzkrise ist die verbraucherpolitische Bilanz der Regierung immer noch relativ schlecht. Banken und andere Anbieter von Finanzprodukten machen mehr oder weniger weiter wie bisher. Die Regierung hat es versäumt, die notwendigen Reformen zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher auf den Finanzmärkten umzusetzen. Ich will Ihnen drei Beispiele aus Verbrauchersicht nennen. Da geht es weniger um Regulierung im Großen als um kleine Ärgernisse, die enormen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten. Nehmen wir als erstes Beispiel die Überziehungszinsen. Die Verbraucherzentrale in Bremen schätzt, dass die Deutschen allein von Dezember 2008 bis April 2010 über 700 Millionen Euro aufgrund überhöhter Dispo- und Überziehungszinsen gezahlt haben. (Zurufe von der SPD: Hört! Hört!) Das mag man vielleicht als Kleinigkeit abtun, aber 0,7 Mil-liarden Euro sind eine ganze Menge Geld. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wer hat das denn festgestellt, Frau Kollegin?) Die in der Studie untersuchten Banken kassierten Überziehungszinsen zwischen 17 und 20 Prozent. Wenn wir uns den Leitzins anschauen, den die Europäische Zentralbank im Moment festgelegt hat, stellen wir fest, dass das Geld derzeit eigentlich relativ billig ist. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist wahr!) Wer aber den Dispo überzieht, den kommt das sehr teuer zu stehen. Besonders dreist ist die Commerzbank; denn sie nimmt den höchsten Überziehungszins. Dabei ist das die Bank, die wir nicht mit Millionen, sondern mit Milliarden an Steuergeldern päppeln. Da frage ich mich: Ist das nicht ein Anlass, um auf den Finanzmärkten einzugreifen? Man muss sich doch die Frage stellen: Wenn so weit von dem abgewichen wird, was die Geldpolitik vorgibt, nämlich einen niedrigen Leitzins, müsste man dann nicht im volkswirtschaftlichen Sinne regulierend eingreifen? (Dr. Volker Wissing [FDP]: Das ist wirklich ökonomischer Unsinn!) Beispiel Nummer zwei: Abzocke bei EC-Kartengebühren. Die FDP hat dieses Thema erfreulicherweise im Verbraucherausschuss auf die Tagesordnung gesetzt. Wir haben ein Fachgespräch durchgeführt, zu dem leider kein Vertreter der Union erschienen ist; trotzdem war es sehr gut. Da haben wir herausgefunden, dass die EC-Kartengebühren immer mehr steigen. Aber auch hier bleibt es bei der Thematisierung in der Presse. Das ist zwar schön, aber das reicht noch nicht. Eine Pressemitteilung hat noch keinem Verbraucher, keiner Verbraucherin genutzt. Der Grund, warum Sie an diese ganzen Themen nicht herangehen, ist, dass Sie, wie ich glaube, eine Beißhemmung gegenüber der Finanzbranche haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Sie scheuen den Konflikt: Sie schreiben zwar Pressemitteilungen, aber Sie trauen sich nicht, gesetzliche Regelungen zu treffen. Ähnliches gilt für das dritte Beispiel, die Provisionen. Herr Professor Schweickert hat über die Honorarberatungen gesprochen. Wir wissen, dass Provisionen häufig Fehlanreize für Beratung setzen. Man berät unter dem Aspekt: "Wie kann ich die höchste Provision erzielen?", aber nicht nach dem Grundsatz: "Was ist das Beste für den Kunden?" Jetzt müssen sich Frau Aigner und Herr Schäuble aber fragen lassen: Wo sind Ihre Vorschläge zur Deckelung von Provisionen? Trauen Sie sich an die Kick-backs heran? Wie wollen Sie Transparenz bei den Provisionen schaffen? Wie wollen Sie die verbraucherfreundliche Honorarberatung fördern? Nur in Überschriften zu reden, reicht nicht. Man muss auch konkrete Konzepte vorlegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein kleines Beispiel: Ministerin Aigner verspricht uns seit vielen Monaten, dass sie den Begriff "Honorarberater" gesetzlich schützen lassen wird. Das macht Sinn. Das löst zwar nicht das ganze Problem, würde zumindest aber dafür sorgen, dass jemand, der "Honorarberater" auf seinem Türschild stehen hat, nicht noch zusätzlich Provision kassiert. Das ist eigentlich keine so schwierige Sache. Trotzdem haben wir hierzu bislang noch keinen Gesetzentwurf gesehen. (Kerstin Tack [SPD]: Im Herbst!) - Wahrscheinlich im Herbst; alles kommt im Herbst. (Nicolette Kressl [SPD]: Welches Jahr?) Wir Grünen fordern seit langem eine Reform der Finanzaufsicht. Dazu werden Sie in der morgigen Debatte vom Kollegen Schick noch genauere Ausführungen hören. Wir möchten auch, dass der Verbraucherschutz zu einer Kernaufgabe der Finanzaufsicht wird. Wir wünschen uns, dass sich am Wettbewerb der Ideen um die beste Finanzaufsicht, den Brüderle und Schäuble ausgerufen haben, auch Frau Ministerin Aigner beteiligt. Wenn die Ideen nur so sprudeln, wäre es ganz gut, wenn auch der Verbraucherschutz Gehör finden würde. Zum Schluss: Funktionierende Märkte brauchen gut informierte Verbraucherinnen und Verbraucher. Wenn Sie das Verbraucherinformationsgesetz jetzt novellieren, dann wäre es doch schön, wenn Sie auch die Finanzdienstleistungen aufnähmen. Wir wissen, dass auch die FDP das möchte. Wir werden Sie daran messen, ob Sie sich in diesem Punkt gegen die CDU durchsetzen. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Steht im Koalitionsvertrag drin!) - Es steht ja so viel im Koalitionsvertrag. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wir setzen ihn um, Schritt für Schritt!) - Schritt für Schritt, ja; aber man hat ja normalerweise nur vier Jahre Zeit. Deshalb denke ich, jetzt wäre es an der Zeit, konkret ans Arbeiten zu gehen, statt nur Pressemitteilungen zu schreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Frank Steffel für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde habe ich den Eindruck: Mancher Streit ist etwas künstlich und die Aufregung auch. Ich vermute, dass wir uns einig sind, dass die internationale Finanzkrise leider auch Spuren bei Verbrauchern und Bankkunden hinterlassen hat. Ich teile auch ausdrücklich das, was Sie, Frau Maisch, gesagt haben, nämlich dass die Senkung der Zinsen, beispielsweise durch die Europäische Zentralbank, im Wesentlichen natürlich dazu dienen sollte, den Mittelstand zu unterstützen, die eigenen Zinssätze zu senken, Anreize für Investitionen zu geben und den Verbrauchern und Konsumenten durch günstige Zinssätze ein Stück weit das Investieren zu erleichtern, statt die Vorteile aus dieser Maßnahme für die Sanierung der Banken zu verwenden, wie es momentan offenkundig die meisten Institute tun. Ich glaube, wir sind uns auch darüber einig, dass die Banken selbst ein sehr großes Interesse daran haben müssen, dass das verloren gegangene Vertrauen in ihre Institutionen, aber auch in ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst schnell zurückgewonnen wird; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) denn wenige Branchen leben stärker von ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz als die sensible Geldanlagebranche. Wenn wir einmal bei den Kleinanlegern bleiben: Die berühmte Omi mit ihrem Sparbuch überlegt sich schon sehr genau, ob sie der Person und dem Institut vertraut. Im Übrigen hat die schwierige Entwicklung für mich auch etwas Positives, nämlich, dass das Vertrauen in Sparkassen sowie in Volks- und Raiffeisenbanken in Deutschland nachhaltig gestärkt wurde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE] - Beifall bei Besuchern auf der Tribüne) - Ich bedanke mich für den Beifall von den Tribünen, obwohl das, wenn ich recht informiert bin, nach der Geschäftsordnung nicht gestattet ist. - Ich glaube, dass es für die Struktur des Finanzplatzes Deutschland erfreulich ist, dass wir weiterhin Privatbanken, öffentlich-rechtliche Banken und genossenschaftliche Banken wie die Volks- und Raiffeisenbanken haben. Mein Kollege Flosbach ist, wie ich finde, auf sehr viele Details auf fundierte und qualifizierte Weise eingegangen. Deswegen möchte ich den Grundsatz, der auch in einigen anderen Reden thematisiert wurde und unstreitig ist, unterstreichen: Das Anreizsystem in den Banken ist bei den sensiblen Produkten, die dort gehandelt werden, nach meiner Überzeugung inakzeptabel. Es kann nicht sein, dass ein Mitarbeiter primär entsprechend dem Zinsertrag seines Instituts entlohnt wird, wenn es darum geht, einer älteren Dame, einer Rentnerin, für ihre Alterssicherung mehr oder weniger mündelsichere Anleihen oder Anlageformen zu empfehlen. Das ist eine Fehlsteuerung. Ich hoffe, dass die Institute das begriffen haben. Ich weiß übrigens nicht, ob man das in letzter Konsequenz gesetzlich regeln kann. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie ja abgelehnt!) - Ich komme gleich zu den Gesetzen. Lassen Sie mich das kurz sagen. Ich finde zwei Dinge wichtig: Der erste Punkt: Wir dürfen es den Banken nicht zu leicht machen und sagen: Wir von der Politik nehmen euch die Verantwortung ab; wir erlassen Gesetze, ihr richtet euch nach den Gesetzen, und das war es. (Beifall des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/ CSU]) Nein, ich erwarte, dass die Banken ihrer volkswirtschaftlichen und - das sage ich ausdrücklich - ihrer moralischen Verpflichtung gegenüber Konsumenten nachkommen, die das System und das Produkt im Einzelnen gar nicht überblicken können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]) Der zweite Punkt: Ich appelliere sehr bewusst an uns - da kann jeder in seinem persönlichen Umfeld anfangen -, dass wir die Gier von Anlegern und Konsumenten thematisieren. Es ist eben nicht besonders geschickt, für einen halben Prozentpunkt mehr Zinsen irgendeine mehr oder weniger unübersichtliche Anlageform zu wählen. Die gute alte Bundesanleihe, das gute alte Festgeld und der gute alte Sparkredit haben auch ihre Vorteile. Deswegen sollten wir der deutschen Bevölkerung sagen: Manchmal bringt ein halber Prozentpunkt weniger am Ende wesentlich mehr Erträge und auch ruhigere Nächte, als wenn man gierig versucht, sich mit einem halben Prozentpunkt mehr selbst zu übertreffen. Auch diese Mentalität müssen wir, glaube ich, in Deutschland ändern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]) Ich will noch etwas anderes thematisieren. Vor zwei Wochen habe ich an dieser Stelle in einer Rede zu einem anderen Thema - Kollege Sieling wird sich vielleicht erinnern - darauf hingewiesen, dass es für mich als Mittelständler, der ich neben meinem Mandat sein darf, ganz entscheidend ist, dass bei diesen Bankgeschäften der verheerende Eindruck entsteht, dass man mit Geldanlagen mehr Geld verdienen kann als mit ordentlicher Arbeit. Das demoralisiert Arbeitnehmer, das demoralisiert kleine und mittlere Unternehmen. Das zerstört mehr als den Finanzplatz Deutschland. Das zerstört die Leistungsbereitschaft von 82 Millionen Menschen, die wir in diesem Land dringend brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Viele Dinge wurden angesprochen, (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wann kommt das Gesetz?) und viele Dinge wurden durchgesetzt. Wir haben die Prospektrichtlinie verändert. Wir haben die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen aus Falschberatung bereits vor einem Jahr verändert; der Kollege Flosbach hat darauf hingewiesen. Ein wesentliches Gesetz, das den grauen Kapitalmarkt optimieren soll und über das in diesem Hause intensiv diskutiert wird, steht vor der Schlussabstimmung. Insofern bin ich zuversichtlich, dass die Bundesrepublik Deutschland sowohl in der Großen Koalition als auch jetzt in der bürgerlich-liberalen Koalition in diesem Punkt einmal mehr nicht nur Motor in Europa ist, sondern im Anlegerschutz, im Konsumentenschutz auch wieder einmal federführend in der Welt ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es gibt kein Land, das es in den letzten drei Jahren besser gemacht hat als wir. Auch deswegen sinkt die Arbeitslosigkeit und geht es den deutschen Unternehmen nach der Krise besser als vielen Unternehmen in anderen Ländern. Ich möchte abschließend auf eines hinweisen, das mir wichtig ist. Ich glaube, wir sollten versuchen, die Debatten der letzten Monate, die uns hier sehr intensiv beschäftigt haben, so zu nutzen, dass wir jetzt für Vertrauen werben - das hat nichts mit Parteipolitik zu tun -: Vertrauen in unseren Finanzplatz, Vertrauen in unsere Banken, Vertrauen übrigens auch in unsere Politik, in alle Parteien und Fraktionen. Wir müssen zeigen, dass wir die Lehren aus der Krise gezogen haben, dass es sich lohnt, in Deutschland zu investieren, dass es sich lohnt, sein Geld in Deutschland anzulegen. Am Ende der Krise gehen wir mit allen Konsequenzen gestärkt daraus hervor, haben weniger Arbeitslose und mehr Wohlstand als vor der Krise. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Steffel, ich danke für den Hinweis auf unsere Geschäftsordnung. Für diejenigen, die im Rahmen der politischen Bildung unserer Debatte weiter folgen, verweise ich auf § 41 unserer Geschäftsordnung: Wer auf den Tribünen Beifall oder Mißbilligung äußert oder Ordnung und Anstand verletzt, kann auf Anordnung des Präsidenten sofort entfernt werden. Das hatte ich natürlich nicht vor, aber ich bitte darum, dies auch denjenigen zu übermitteln, die inzwischen turnusgemäß die Tribüne verlassen haben. Beifallsbekundungen und Ähnliches sind nur hier im Plenum erlaubt. Diese Geschäftsordnung haben wir uns gemeinsam gegeben. Wir sollten versuchen, das entsprechend durchzuhalten. Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Kerstin Tack (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum diskutieren wir heute Abend und morgen früh über Anträge zu einem Thema, bei dem wir merken, dass es Brisanz hat? Sie sagen, das sei alles im Fluss, im Herbst komme Ihr Konzept. Sie haben sich sogar selber Mut zugesprochen und haben gesagt: mit Sicherheit. Wir warten auf genau dieses Konzept. Wir legen alle unsere Konzepte vor, weil wir die Hoffnung haben, dass Sie die Ansprüche, die unserer Meinung nach zu einem richtigen und sinnvollen Anleger- und Verbraucherschutz gehören, in Ihr Konzept aufnehmen. Das, was wir bisher gehört haben, zeigt, dass es Lücken gibt, über die wir reden müssen. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Die haben Sie hinterlassen!) - Nun legen Sie Ihr Konzept erst einmal vor; dann schauen wir es uns an. An vielen Stellen brauchen wir eine Stärkung derjenigen, die schwächer sind und sich nicht so vieles leisten können. Deswegen, Herr Schweickert, geht es mitnichten darum, Verbraucherzentralen zu verstaatlichen, sondern es geht darum, Zugänge zu einer unabhängigen Finanzberatung zu ermöglichen, vor allem für die Menschen, die sich eine Beratung organisieren und leisten können müssen, die ihnen nützt, die frei zugänglich ist und ein hohes Vertrauensgehalt hat. Deshalb muss man insbesondere beim Anleger- und Verbraucherschutz auch die Organisationen, nämlich die Verbraucherzentralen, deutlich stärken; dies wird nicht durch Verstaatlichung erreicht. (Beifall bei der SPD - Dr. Erik Schweickert [FDP]: Verbraucherpolitik ist keine Sozialpolitik!) Zur Frage der Protokollierung. Die Protokollierung ist bereits Gesetz. Die BaFin hat ausgeführt, dass zwei Drittel der Protokolle nicht ausreichend, miserabel, unverständlich und den Verlauf nicht nachvollziehend sind. Das heißt, wir brauchen eine bessere Regelung für klarere Standardisierung. Genauso ist es beim Informationsfreiheitsgesetz. Es geht nicht darum, dass das zwei Seiten hat; das ist ja schön. Viel wichtiger sind Verständlichkeit, Transparenz und Klarheit. Deshalb brauchen wir Standardisierungen, die klarmachen, dass man miteinander vergleichbare Strukturen erwirbt. (Beifall bei der SPD) Das ist das Anliegen, das uns umtreibt. Wir reden über Verbraucherschutz. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Das hätten Sie besser gemacht, als Sie in der Regierungsverantwortung waren!) Auch dem BMELV ist die Debatte heute Abend nicht wichtig genug, um die Regierung zu vertreten. Die Debatte, die wir heute Abend und morgen früh führen, muss einer Regierung mehr wert sein, als sie lediglich hinterher im Protokoll nachzulesen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Frau Ministerin Aigner als Verbraucherschützerin der Nation kündigt nicht nur eine stärkere Regulierung im Bereich der Vermittler an. Sie hat durch die Presse auch verlauten lassen, wie wichtig ihr die Informationsblätter sind. Es ist aber nichts gekommen. Was hat sie zum Datenschutz gesagt? Sie hat nichts dazu gesagt. Was hat sie zum Thema Protokollierung vorlegen wollen? (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wir haben doch die Protokollierung, Frau Kollegin!) Es ist nichts gekommen. Sie ist nicht einmal in die Gespräche zwischen Finanz- und Wirtschaftsministerium eingebunden. Wenn wir schon über Verbraucherschutz reden, dann ist er mindestens zu beteiligen. Das machen wir heute Abend und morgen früh. Herzlichen Dank dafür! Ich hoffe, dass die eine oder andere hilfreiche Idee in Ihr Konzept aufgenommen wird. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2136 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Axel Knoerig, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann (Lausitz), Dr. Peter Röhlinger, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Brücken bauen - Grundlagenforschung durch Validierungsförderung der Wirtschaft nahebringen - zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Innovationslücke schließen - Zügig ein tragfähiges Konzept zur Stärkung der Innovations- und Validierungsforschung vorlegen - Drucksachen 17/1757, 17/1958, 17/2368 - Berichterstattung: Abgeordnete Axel Knoerig René Röspel Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dr. Petra Sitte Krista Sager Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Axel Knoerig für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Axel Knoerig (CDU/CSU): Wertes Präsidium! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Union und FDP wollen in dieser Legislaturperiode den Brückenschlag zwischen Wirtschaft und Wissenschaft voranbringen. Das wollen wir zum einen, um die Ergebnisse der Forschung für die Wirtschaft besser nutzbar zu machen, zum anderen aber auch, um die Wirtschaft besser an der Bildungs- und Forschungspolitik zu beteiligen. Der zur Debatte stehende Antrag "Brücken bauen - Grundlagenforschung durch Validierungsförderung der Wirtschaft nahebringen" trägt genau diese Handschrift. Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb festgehalten: Wir werden neue Impulse für den Wissens- und Technologietransfer und die Validierung von Forschungsergebnissen geben. Damit wollen wir die Gleichmacherei in Bildung und Forschung sowie in der Wirtschaftsferne der Forschungspolitik von SPD, Grünen und der Linken überwinden. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, zwischen Erfindung und Innovation, ist nur individuell zu schlagen, indem Forschungsleistungen projektbezogen geprüft werden. Die zukunftsfähige Hightech-Strategie der Bundesregierung will neue Akzente setzen und richtet sich an den fünf Bedarfsfeldern Klima und Energie, Gesundheit, Mobilität, Sicherheit sowie Kommunikation aus. Mit innovativen Produkten, Technologien und Dienstleistungen entstehen dort neue Leitmärkte mit hohem Wachstumspotenzial. Ein aktuelles Beispiel ist die Nanotechnologie. Sie gilt als Schlüsseltechnologie für viele Branchen wie Chemie, Pharmaindustrie oder die Automobilindustrie. Erfolge aus diesem Nanokosmos sind unter anderem Nanopartikel, die Tumore bekämpfen können. Winzige Datenspeicher ganzer DVDs passen auf Flächen eines Centstücks. Nanotechnologien setzen früh in der Wertschöpfungskette an. Marktprognosen sprechen von einer Hebelwirkung von bis zu 100 Milliarden Euro für den gesamten Weltmarkt. Ohne Validierungsförderung wären diese Produkterfolge nicht zustande gekommen. Damit soll erreicht werden, dass die Ergebnisse der Forschung von Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen als Quelle für neue Ideen, Verfahren, Produkte und Dienstleistungen sehr viel stärker genutzt werden. Am 26. Mai 2010 hat das BMBF die Fördermaßnahme "Validierung des Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung" gestartet. Hier sind nun 32 Millionen Euro freigesetzt, um die Innovationslücke in der Forschungspolitik zu schließen. Man greift auf das Wissen markterfahrener Investitionsmentoren zurück. Sie stellen sicher, dass Neuentwicklungen marktgerecht positioniert werden können. Einen neuen Gründergeist kann man nicht - das wissen wir - über Nacht schaffen. Er erfordert ein kulturelles Umdenken. Die Forscher müssen aus ihrer traditionellen Rolle, in ihrer Disziplin zu denken, herausgelöst werden. Sie müssen pragmatisch zu Entwicklern, zu unternehmensbezogenen Persönlichkeiten werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das duale System bei uns hat sich bewährt. Berufsschulbesuch und Ausbildung in einem Betrieb, das ist eine gute Mischung. Dieses Jahr drängen über 150 000 Menschen weniger auf den Arbeitsmarkt. Deswegen ist es gut, auf der einen Seite die Ausbildung zu stärken und auf der anderen Seite die bewährte Forschungspolitik fortzuführen. Nach der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise ist dies wichtig, damit wir wieder zu Wachstum kommen. Wir haben gute Zahlen in Aussicht. Deutschland erwartet ein Wachstum von 2,1 Prozent. 24 Prozent der Betriebe wollen jetzt neue Arbeitsplätze schaffen. Ende 2010 kann die Arbeitslosenzahl unter 3 Millionen fallen. Das sind gute Zahlen für unser Land. Das ist Wirtschafts-, Innovations- und Forschungspolitik aus einem Guss. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch einige grundsätzliche Betrachtungen ausführen. Wesentliche Indikatoren weisen darauf hin, dass Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten relativ zurückgefallen ist. Das heißt, wir sind zwar immer noch stark, aber andere sind dabei, uns zu überholen. Wir wollen an die technologische Führungsposition, die wir vor dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg hatten, anknüpfen; da müssen wir hin. Eines wissen wir: Sozialistische Funktionäre haben noch nie Wohlstand erarbeitet, sondern ihn bestenfalls schlecht verwaltet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die konservativ-liberale Regierung strebt die Verbesserung von Rahmenbedingungen für die Erarbeitung von mehr Wohlstand an, während der rot-rot-grüne Linksblock für immer mehr Umverteilung von immer weniger Wohlstand steht. (Lachen des Abg. Harald Koch [DIE LINKE] - Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ein Gruselkabinett!) Einen Hoffnungsschimmer hat es gestern gegeben, als die rot-rot-grüne Zusammenarbeit nicht so richtig klappen wollte; das lässt für Nordrhein-Westfalen hoffen. Sollte dieses Trio infernale doch eines Tages Deutschland regieren, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Gott bewahre!) wird ein weiterer, zumindest relativer Niedergang die sichere Konsequenz sein. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) - Ja, Sie lachen. - Wer wie die 68er-Bewegung gute Werte verneint und mit den Erben des totalitären DDR-Staatssozialismus zusammenarbeitet, der demontiert die strukturellen Grundvoraussetzungen für Frieden, Freiheit und Wohlstand noch stärker. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Selbst das müssen Sie ablesen!) - Ja, lieber Kollege. Ein gutes Studium hört bekanntlich nie auf. Sie würden nicht so kräftig dazwischenrufen, wenn Sie nicht ordentlich zugehört hätten. Damit komme ich zum Schluss. Die heute zur Diskussion stehende Validierungsförderung ist ein kleiner, aber wichtiger Baustein für unser Land. Wir können als rohstoffarmes Land den noch vorhandenen Wohlstand nur halten, wenn wir um das, was wir teurer sind, auch besser sind. Wohlstand entsteht nicht durch sozialistische Umverteilung, sondern durch Innovation und Fleiß. Wir können vermelden, dass die Innovationspolitik der CDU/CSU-FDP-Regierung gegriffen hat, auch dank einer vorausschauenden und bewährten Bildungs- und Forschungspolitik von Frau Bundesministerin Professor Annette Schavan und ihren beiden Parlamentarischen Staatssekretären, Thomas Rachel und Helge Braun. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun René Röspel für die SPD-Fraktion. René Röspel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Knoerig, Sie sind ja noch relativ neu im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Auch im Rückblick auf die letzten Jahre muss ich feststellen, dass wir da eigentlich immer einen recht sachlichen Umgang gepflegt und uns an den Inhalten orientiert haben. Ich bin ein bisschen erstaunt, dass Sie Ihren Beitrag hier - wir wollen eigentlich über Validierungsforschung reden; das habe ich so verstanden; das steht jedenfalls so in der Tagesordnung - gleich mit Begriffen wie "Gleichmacherei" und "sozialistische Umverteilung" begonnen haben. Vielleicht sollten wir so etwas zumindest zu so später Stunde einfach einmal beiseitelegen - es sind ja nicht mehr so viele Zuschauer da - und tatsächlich über das reden, worüber wir hier wirklich sprechen sollen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Wenn man sich die Bilanz, was Technologiezuwachs in Deutschland anbelangt, der letzten elf Jahre - bei Rot-Grün beginnend, in die Große Koalition mündend - anschaut, ist sehr leicht von der Hand zu weisen, dass das Schreckgespenst, das Sie hier gerade aufgezeigt haben, überhaupt aufgetreten ist und jemals auftreten wird. Wir haben damals in der rot-grünen Regierung begonnen - übrigens in Fortsetzung der Politik der schwarz-gelben Regierung -, die Nanotechnologie weiterzuentwickeln. Wir haben einen gewaltigen Schub an neuer Technologie in den Bereichen der Energieeffizienz, der erneuerbaren Energien und anderer Energien auf den Weg gebracht. Wir brauchen uns also überhaupt nicht zu schämen. Mit Blick auf den Vorwurf der Technikfeindlichkeit, den Sie immer wieder zu konstruieren versuchen, kann ich nur an den Bundespräsidenten erinnern, der in meinem Wahlkreis geboren wurde und einmal ganz klug gesagt hat: Wer mit dem Zeigefinger auf andere Leute zeigt, sollte nie vergessen, dass drei Finger seiner Hand auf ihn selbst zeigen. Das war ein kluges Wort von Gustav Heinemann. Wir reden über Validierungsforschung. Was ist das? Wir haben in Deutschland in den letzten Jahren alle gemeinsam eine exzellente Forschungsinfrastruktur geschaffen. Wir haben eine sehr gute angewandte Forschung. Wir sind im Automobilbereich, im Chemiebereich und im pharmazeutischen Bereich sehr gut. Wir haben eine hervorragende Grundlagenforschung; daran sind die Max-Planck-Gesellschaft und andere beteiligt. Sicherlich gibt es im universitären Bereich Defizite. So gut wir aber in der Theorie häufig sind, so groß ist unser Problem - das haben wir auch von der Expertenkommission Forschung und Innovation immer wieder und zu Recht zu hören bekommen - bei der Umsetzung der Theorie in die Praxis. Wie also gelingt es uns besser, Forschungsergebnisse tatsächlich in Produkte umzusetzen, die kommerziell anwendbar, also kommerzialisierbar sind? Das ist genau der Punkt, an dem die Validierungsforschung ansetzt: Wie schaffen wir es, Forschungsergebnisse zu bewerten und daraus Produkte zu machen? Wir befinden uns auch da in einer guten Tradition. Noch zur Zeit der Großen Koalition haben wir uns zusammengesetzt, dieses Thema aufgenommen und nicht nur mit Fraktionskollegen von Ihnen, sondern auch mit dem Ministerium sehr intensive Diskussionen geführt, wie wir im Bereich der Validierungsforschung weiterkommen. Seien Sie mir nicht böse - es ist nicht abwertend gemeint -; aber ich glaube, Sie haben tatsächlich noch nicht den Kern des Problems verstanden, über das wir reden und um das wir uns kümmern sollten. Validierungsforschung heißt nämlich, recht schnell, gut und zuverlässig, möglicherweise auch sehr hart zu beurteilen: Ist das Forschungsergebnis eines Forschers wirklich geeignet, kommerzialisiert zu werden oder nicht? Dafür ist die Maßnahme "VIP" des BMBF - Sie haben sie angeführt - einschließlich Ihres begleitenden Antrags, der im Prinzip nichts anderes als den Inhalt der BMBF-Maßnahme wiedergibt, wirklich nicht geeignet. Um das zu belegen, will ich Ihnen zwei Beispiele nennen: Erstens. Der Forscher soll sich selbst einen Innovationsmentor suchen, also jemanden, der das Projekt begleitet. Das hört sich zunächst einmal gut an, führt aber möglicherweise zu zwei unterschiedlichen Problemen. Sie zwingen einen Forscher oder eine Forscherin, der oder die sich jahrelang exzellent mit Grundlagenforschung oder anderem befasst hat, jetzt gute Ergebnisse hat und sich eigentlich nur mit Forschung befassen will, sich einen Innovationsmentor zu suchen, jemanden, der dazu geeignet ist, wirtschaftlich zu beurteilen, ob ein Forschungsergebnis vernünftig zu nutzen ist oder nicht. Das heißt, Sie verlangen von einem Forscher, der möglicherweise nichts anderes will als forschen, dass er sich erst einmal einen Experten sucht, der in der Lage ist, zu beurteilen, ob sein Projekt, seine Forschungsergebnisse kommerzialisierbar sind. Ich sage Ihnen: Daran wird der Forscher im Regelfall gar nicht viel Interesse haben; er will sich nicht auf diese Suche machen. Es kann aber auch ein zweites Problem auftreten. Es kann sein, dass der Forscher im Rahmen von Ausgründungen bereits Kontakte zu jemandem in der Wirtschaft hat, der sagt: Ich kann mir vorstellen, vielleicht einmal dein Projekt zu fördern, aber ich werde es nicht finanzieren. - Dann hat der Forscher jemanden, der das Projekt kennt; er kann ihn auch als Innovationsmentor benennen. In diesem Moment bricht aber eine der zentralen Voraussetzungen für eine vernünftige Validierung, für eine Bewertung, ob das Forschungsergebnis kommerzialisierbar ist oder nicht, in sich zusammen. Die Neutralität und Objektivität des Innovationsmentors ist nämlich nicht mehr gegeben, weil er ein Interesse hat, dass es mit diesem Forschungsprojekt irgendwie weitergeht, möglicherweise mithilfe einer öffentlichen Förderung. Das sind zwei Probleme, die wir den Forschern nicht zumuten wollen. Ich nenne Ihnen ein zweites Beispiel im Zusammenhang mit den Leitlinien der VIP-Fördermaßnahme. Sie verlangen von den Forschern zunächst einmal, die europäische Forschungsförderung sowie die Förderung durch den Bund und durch die Länder daraufhin zu untersuchen, ob es nicht irgendein Programm gibt, das geeignet ist, eine finanzielle Förderung für dieses Projekt auf den Weg zu bringen. Herzlichen Glückwunsch! Wenn Sie von einem Forscher verlangen, erst einmal alle Möglichkeiten der Förderung zu überprüfen, dann wird er sicherlich in 50 Prozent der Fälle das Handtuch werfen. Er wird dann von Ihnen - das wird in den Richtlinien des BMBF erwartet - auch noch gezwungen bzw. es wird vorausgesetzt, dass er den Nachweis führt, dass er keine andere Möglichkeit der Förderung bekommen konnte. Erst dann kann er sich auf die Suche nach einem Innovationsmentor begeben und möglicherweise eine Validierungsförderung erhalten. Wenn das keine Bürokratie ist, wenn das nicht Behinderung von Validierung ist, dann weiß ich es auch nicht. (Beifall bei der SPD) Der Antrag der SPD stellt eine Alternative dar. Mit ihm schlagen wir den richtigen Weg ein. Ich will noch einmal sagen, worum es im Kern geht. Es geht nicht darum, zu beurteilen, ob es sich um exzellente Grundlagenforschung handelt oder nicht. Das ist nicht die Frage. Vielmehr geht es darum, ob sie kommerzialisierbar ist. Das heißt, es kann sein, dass jemand hervorragende, nobelpreisverdächtige Forschung betreibt, der Validierer aber sagen muss: Das ist super, aber nicht kommerzialisierbar. Umgekehrt kann es genauso sein: Bei jemandem, der eher durchschnittliche, nicht aufregende Forschung betreibt, sagt ein Validierer: Mit dem richtigen Anstoß und einer vernünftigen Begleitung werden wir daraus ein innovationsfähiges und vermarktbares Produkt machen. Darum geht es: Wir brauchen jemanden aus einer unabhängigen Validierungsagentur - das ist der Vorschlag, den die SPD macht -, einen Profi, der dafür bezahlt wird und der nicht ehrenamtlich tätig ist wie ein Pate. Dieser kann klar entscheiden: Das ist ein Projekt, das umgesetzt werden kann, das ist ein Forschungsprojekt, das wir kommerzialisieren können. Wenn das nicht der Fall ist, dann muss er eine harte Entscheidung treffen. Dann wird die Forschung zwar fortgesetzt, aber es bleibt bei der Forschung. Das ist der Ansatz von Validierungsforschung. Das bestätigen Ihnen viele Wissenschaftsorganisationen, wenn Sie mit ihnen Gespräche führen. Sie sollten auf sie hören. Wir glauben, dass das von Ihnen vorgeschlagene Instrument versanden wird, da es keinen großen Unterschied zur üblichen Projektförderung darstellt, die vernünftigerweise seit Jahren durchgeführt wird. Es wird nicht dazu führen, dass mehr Forschungsprojekte in kommerzialisierbare Produkte umgesetzt werden. Folgen Sie unserem Weg. Er enthält weniger Bürokratie, und er zeigt den Forschern eine vernünftige Perspektive auf. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Martin Neumann für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Röspel, ich habe Ihnen intensiv zugehört (René Röspel [SPD]: Das ist gut!) - was aus dem einen oder anderen Vorschlag wird, wird man sehen -, aber ich bin anderer Auffassung. Ich bin nämlich der Meinung, dass man unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vieles zutrauen kann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Florian Pronold [SPD]: Das stimmt!) Ich selbst habe viele Jahre auf dem Gebiet der Forschung gearbeitet. Das zentrale Kriterium war immer: Die Wissenschaftlerin oder der Wissenschaftler muss über den Inhalt der Forschungsarbeit hinaus in der Lage sein, das eine oder andere auch auf dem Weg, den wir beschließen werden, selbst zu machen. Innovationen sind der Schritt in die Zukunft. Ideengeber für diesen Prozess sind viele fleißige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie sind es, die für uns Durchbrüche in Forschung und Entwicklung erzielen. Für diese große Aufgabe brauchen sie unsere Unterstützung; (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) denn wir wissen - das haben Sie richtig gesagt -, dass in Deutschland zwischen den wissenschaftlichen Ergebnissen und der Möglichkeit, diese wirtschaftlich zu verwerten, leider eine große Lücke klafft - international gibt es andere Wege -, die wir endlich schließen müssen. In den vergangenen Jahren gab es viele Gutachten und Expertisen, die auf den erheblichen Bedarf an öffentlicher Validierungsförderung aufmerksam gemacht haben. Es wurde deutlich, dass es vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an nötigen finanziellen Ressourcen fehlt - darum geht es vor allen Dingen, das Know-how ist das andere Problem, das Sie angesprochen haben -, das wirtschaftliche Potenzial ihrer Ideen zu überprüfen und damit zu validieren, das heißt, zu überführen. Wir wollen endlich eine Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft schlagen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir wollen die wichtigen Akteure auf diesen Gebieten zusammenführen und die klaffende Lücke endlich schließen. Mit unserem Antrag "Brücken bauen - Grundlagenforschung durch Validierungsförderung der Wirtschaft nahebringen" fordern wir die Bundesregierung auf, ein Konzept zur Validierungsförderung vorzulegen. Ein solches Förderprogramm liegt nun vor und wird im Jahr 2011 umgesetzt. Dieses Programm soll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler motivieren, die Ergebnisse und Erkenntnisse auf ihre Markttauglichkeit hin zu überprüfen und dann endlich in die Wirtschaft zu überführen. Die Fördermaßnahme wird - davon bin ich überzeugt - der Wissenschaft konkrete Unterstützung, Hilfestellung und Nachweise für die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen geben. Viele ähnliche - auch internationale - Aktivitäten zeigen, dass dies möglich sein wird. Wir fördern - es ist wichtig, das an der Stelle hervorzuheben - Projekte aller Forschungsbereiche, die technisch machbar sind und die ihr wirtschaftliches Potenzial unter Beweis stellen. Entscheidend dafür - das ist der Punkt, den Sie angesprochen haben - sind eine Machbarkeitsstudie bzw. eine Machbarkeitsuntersuchung, technische Weiterentwicklung, Erschließung neuer Anwendungen und natürlich am Ende dann auch eine gewisse Demonstrationsentwicklung. Bedeutsam und außerordentlich wichtig bei diesen Förderprogrammen ist die Technologieoffenheit. Darauf legen wir ganz großen Wert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - René Röspel [SPD]: Wir auch!) Denn nur durch die Öffnung wird es möglich werden - das muss man noch einmal ganz klar hervorheben -, alle Potenziale der Grundlagenforschung zu nutzen. Natürlich können auch noch nicht etablierte Forschungsfelder, von denen es eine ganze Menge gibt, von dieser Förderung profitieren. Eines ist doch völlig klar an dieser Stelle: Wir können heute noch nicht genau wissen, in welchen Bereichen in den nächsten Jahren Innovationen entstehen werden. Die Ausgrenzung von Forschungsbereichen ist daher nicht zukunftsweisend und kann uns später, glaube ich, teuer zu stehen kommen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich spreche jetzt alle Fraktionen an. Ich freue mich, dass die Idee der Validierungsförderung auch bei Ihnen auf fruchtbaren Boden fällt und Sie dieses Vorhaben unterstützen. Dass in Bezug auf Detailfragen Meinungen auseinandergehen - darüber können wir in Zukunft auch reden -, ist bei solchen Prozessen nichts Neues. Sie stimmen mir aber sicherlich zu, Herr Röspel, dass die Kernbotschaft klar ist: Wir wollen eine Innovationsbewegung aus der Wissenschaft heraus entstehen lassen - mit flachen Strukturen, kurzen Antragswegen, schnellen Entscheidungswegen und ohne den Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Devise lautet dabei: einfach, schnell und gut. Ich bedanke mich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die beiden folgenden Rednerinnen - Petra Sitte und Krista Sager - haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.3 Damit kann ich dem Kollegen Philipp Murmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort erteilen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Morgen über die aktuelle wirtschaftliche Situation in Deutschland gesprochen und sind, glaube ich, übereingekommen, dass wir uns auf dem Weg aus der sogenannten realwirtschaftlichen Krise befinden. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Investitionen ziehen an, Unternehmen machen wieder mehr Umsatz und stellen sogar neue Leute ein. Dazu haben verschiedene Faktoren beigetragen: Investitionen wurden verschoben, die jetzt natürlich nachgeholt werden. Der aktuelle Euro-Kurs spielt dabei sicherlich auch eine Rolle. Der Euro ist wieder - im Gegensatz zu den Höhenflügen zuvor - auf einem Niveau angekommen, das man als Unternehmer eher als normal empfindet. Aber es gibt eben auch viele Unternehmen - man sieht das -, die insbesondere in Entwicklung investiert haben. Diese können jetzt den Aufschwung nutzen und zusätzliche Umsätze generieren. Ich denke, das muss man auch dazu sagen: Auch unser Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat einen Stein in diese Mauer gelegt. (René Röspel [SPD]: Reine Hypothese!) Wir haben nämlich nicht nur die Arbeitnehmerfamilien entlastet, sondern auch im Unternehmensbereich einige Weichen gestellt, was dazu beiträgt, dass die Unternehmen wieder investieren. Diesen Erfolg sollte man anerkennen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - René Röspel [SPD]: Diesen Glauben lassen wir Ihnen!) Die Frage ist nun: Wie können wir diese Entwicklung nachhaltig gestalten? Die Stichworte dazu sind gefallen: Forschung und Entwicklung, Innovation, Technologie. Wir wollen diese Dinge voranbringen und Wirtschaft und Wissenschaft vernetzen. Genau da setzt der Antrag zur Validierungsforschung an. Wir wollen damit auch das schon genannte Programm, welches das Ministerium erfreulicherweise so schnell auf den Weg gebracht hat, flankieren und noch weiter unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was bedeutet Validierung? Kennen Sie den Lotuseffekt für selbstreinigende Fassaden? Oder die Erkenntnisse über die Papillomviren, denen wir die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs verdanken? Oder den GMR-Effekt, der die Basis für die Datenspeicherung auf Festplatten war? Das alles sind Ergebnisse von Grundlagenforschung. Sie alle haben das Potenzial für sehr gute Anwendungen. Um diese Anwendungen früh zu erkennen, bedarf es besonderer Anstrengungen. Hier wollen wir ansetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Nobelpreisträger für Chemie des Jahres 1996, Sir Harold Kroto - nicht jeder von uns wird ihn kennen -, entdeckte die C60-Fullerene, ein Material, das 100-mal stärker als Stahl und nur ein Sechstel so schwer wie Stahl ist. (René Röspel [SPD]: Er hat sie erfunden!) Das Projekt war in England als praktisch irrelevant eingestuft und nicht gefördert worden. Kroto führte dann etwas verbittert aus - ich zitiere -: Alle angewandten Forschungsstrategien sind zweitrangig. Wenn man genau weiß, was man erforschen will, kann man mit Sicherheit nichts grundlegend Neues entdecken. (René Röspel [SPD]: Er hat sie erfunden! Entdeckt hat sie der Architekt Fuller!) Damit hat er ein Problem angesprochen, das wir auch in der Validierungsforschung lösen wollen. Es gibt zwei unterschiedliche Kulturen - Herr Röspel, auch Sie haben das beschrieben -: Der Forscher ist an seiner Forschung interessiert. Das soll er auch sein. Er soll Experimente durchführen und Hypothesen aufstellen. Erfolgreich ist er dann, wenn er eine gute Veröffentlichung in einer angesehenen Zeitschrift vorzuweisen hat und von seinen Kollegen dafür Anerkennung erfährt. Aber wir brauchen auch denjenigen, der die Frage stellt: Welche neuen Produkte und Anwendungen kann man daraus generieren? Das ist ein anderer Blickwinkel auf das gleiche Projekt, den wir ebenfalls einnehmen müssen. Dafür ist das Validierungsprojekt genau richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Diese Anwendungspotenziale zu erkennen, ist für unsere Volkswirtschaft von sehr großer Bedeutung. Denn wozu forschen wir, wenn wir die Anwendungen, die sich generieren lassen, nicht auch in volkswirtschaftlichen Nutzen umsetzen? Wir brauchen beides: Forschergeist, aber auch Unternehmergeist. Beides müssen wir weiter fördern. Die Validierungsforschung soll die Schnittstelle zwischen diesen beiden Sichtweisen sein. Die Konkurrenz wächst. Viele neue Entwicklungen stammen nicht mehr aus den klassischen Industrieländern, also aus Amerika oder den europäischen Staaten, sondern Asien spielt im Wettbewerb um Talente, um Technologien und natürlich auch um neue Märkte eine immer größere Rolle. In Deutschland sind wir weiterhin gut. Der Erfindergeist ist ungebrochen. 2009 wurden 47 859 Patente aus Deutschland beim Deutschen Patentamt angemeldet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) - Ich denke, das ist einen Applaus von allen wert. - (René Röspel [SPD]: Aber wir alle können nichts dafür!) Aber viel zu wenige Patente erreichen die Inkubationsphase; hier liegt das Problem. Auch im dritten EFI-Gutachten wurde festgestellt, dass viele erfolgversprechende Forschungsergebnisse gerade aus dem öffentlichen Bereich nicht effektiv vermarktet werden. Auch hierfür ist die Validierungsförderung wichtig. Ich möchte noch ganz kurz auf den SPD-Antrag zu sprechen kommen. Erst einmal stelle ich fest - auch Sie haben das beschrieben, Herr Röspel -: Wir sind uns im Grunde einig, dass dieses Thema wichtig ist und wir es fördern müssen. (René Röspel [SPD]: Das ist ja schon mal gut!) - Ja, das ist schon einmal gut. - Jetzt kommt es darauf an: Wie macht man das am besten? Sie schlagen einen Fonds vor. Ich denke, auch darüber kann man reden. Aber eine Zentralstelle, die darüber wacht, wie validiert wird, halte ich für nicht sinnvoll. Ich bin eher der Meinung, dass dadurch Bürokratie geschaffen wird. Sie behaupten das von unseren Vorschlägen. Ich glaube allerdings, das Modell, das Sie vorschlagen, ist bürokratielastiger als unseres. (René Röspel [SPD]: Lieber Bürokratie für den Mentor als für den Forscher!) Wenn man Ihren Antrag liest, stellt man außerdem fest, dass Sie sich an der einen oder anderen Stelle widersprechen. (Florian Pronold [SPD]: Was? Das kann nicht sein!) Insofern bin ich der Meinung, dass man darüber noch einmal reden muss. Ich komme zum Schluss auf den GMR-Effekt zurück, (René Röspel [SPD]: Wofür steht denn die Abkürzung?) der übrigens vom deutschen Professor Grünberg am Forschungszentrum Jülich entdeckt wurde, wofür er 2007 den Nobelpreis für Physik erhielt. Welche Anwendungen sich daraus ergeben könnten, haben die Amerikaner zuerst festgestellt. So wurde IBM in diesem Bereich zum Marktführer. Meine Damen und Herren, so etwas sollte uns nicht allzu häufig passieren. Deswegen betreiben wir Validierungsförderung. Ich hoffe, wir haben damit großen Erfolg. Auch dieses Projekt wird natürlich ständig überprüft. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Ich danke für die Aufmerksamkeit an diesem wunderbaren Sommerabend und wünsche uns allen noch eine gute Diskussion. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/2368. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1757 mit dem Titel "Brücken bauen - Grundlagenforschung durch Validierungsförderung der Wirtschaft nahebringen". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1958 mit dem Titel "Innovationslücke schließen - Zügig ein tragfähiges Konzept zur Stärkung der Innovations- und Validierungsforschung vorlegen". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit der gleichen Mehrheit wie soeben angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE UN-geführte Untersuchung des israelischen Angriffs auf den Gaza-Hilfstransport - Sofortige Aufhebung der Blockade - Drucksache 17/2259 - b) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ereignisse um die Gaza-Flottille aufklären - Lage der Menschen in Gaza verbessern - Nahost-Friedensprozess unterstützen - Drucksache 17/2328 - Nach einer interfraktionelle Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass wir alle Veranlassung haben, den Menschen zu danken, die sich für die Aufhebung der Blockade eingesetzt und sich an der Aktion "Free Gaza" beteiligt haben. Sie haben etwas hinbekommen, das wir nicht geschafft haben. Sie haben eine Situation herbeigeführt, in der die Blockade möglicherweise aufgehoben wird und ein Stück weit Hoffnung in Gaza einzieht. Ich finde, das ist ein bedeutender Fortschritt. Deswegen bin ich dankbar. Das gilt auch für meine Kolleginnen Annette Groth und Inge Höger, die sich an dieser Aktion beteiligt haben. Ich finde, da kann man durchaus großmütig sein. (Beifall bei der LINKEN) Uns allen ist klar, dass diese Blockade völkerrechtswidrig ist, dass sie in den Beschlüssen der UNO kritisiert wird, dass sie eine Entmündigung und Entwürdigung der Menschen in Gaza herbeigeführt hat und dass sie ihnen die Luft zum Atmen genommen hat. Ich sage ausdrücklich: Diese Blockade hat auch eine Schattenwirtschaft und einen Schwarzmarkt in Gaza hervorgerufen und hat den Terrorismus gestärkt und nicht geschwächt. Das sind einfach die nüchternen Ergebnisse. Zu diesen kommt man, wenn man Bilanz zieht. (Beifall bei der LINKEN) Die Blockade ist so etwas wie die Fortsetzung des Krieges. Das kann man einfach nicht akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt ist etwas Besonderes passiert, das ich hier gewürdigt wissen will. Der Antrag der vier Fraktionen kann nun zu einem wirklich interfraktionellen Antrag gemacht werden. Wir werden diesem Antrag zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das heißt, dass zum ersten Mal in der Nahostfrage alle Fraktionen des Hauses einen gemeinsamen Antrag haben. (Beifall bei der LINKEN) Dieses Signal wird mit Sicherheit auch im Nahen Osten, insbesondere in Israel und Palästina, wahrgenommen werden. (Beifall bei der LINKEN) Diese Gewichtung muss man verstehen. Ich will gar nicht über Details reden. Der Antrag enthält jedenfalls zwei klare Forderungen, denen ich nur zustimmen kann. Erstens wird gefordert, eine internationale Untersuchung einzuleiten. Zweitens wird die Forderung erhoben, einen Weg zur Aufhebung der Blockade zu finden. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das steht da alles drin!) - Warten Sie doch ein bisschen ab! - Wenn das die gemeinsame Position des Hauses ist, dann kann man relativ viel erreichen. Für mich ist es ein Rätsel, wie die israelische Regierung so dauerhaft und nachhaltig gegen die Interessen des eigenen Landes handeln kann. (Beifall bei der LINKEN) Dieses Signal ist wichtig, um zu einer politischen Umkehr zu kommen. (Beifall bei der LINKEN) Mit Sicherheit - das wird keiner bestreiten - werden die Sicherheitsinteressen Israels zu beachten sein. Ich möchte, dass meine Freunde in Israel wieder ins Café gehen können, ohne Angst vor Selbstmordanschlägen haben zu müssen. Ich möchte, dass sich meine Freunde in Palästina, im Westjordanland und in Gaza endlich im eigenen Land frei bewegen können. Das ist doch nicht zu viel verlangt. (Beifall bei der LINKEN) Eine Politik in diese Richtung zu öffnen, kann doch nur im Interesse des ganzen Hauses sein. Wir müssen klarmachen und uns wünschen, dass in diesem Friedensprozess möglichst alle politischen Kräfte einbezogen werden, damit er stabil ist. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Reden Sie mit Ihren Freunden von der Hamas!) Wir haben heute - Kollege Stinner und andere waren dabei - sehr viele Ratschläge von den Kollegen der Vereinten Nationen erhalten, wie man einen solchen Friedensprozess fördern und durchsetzen kann. Ich will zum Schluss noch eine Bitte äußern, die sich mehr an die Politiker in Israel und Palästina richtet. Ich bitte, dass die gemeinsame, nicht einmütige, sondern einstimmige Entscheidung dieses Hauses nicht als antiisraelisch und nicht als antipalästinensisch interpretiert wird, sondern so genommen wird, wie sie von den verschiedenen Fraktionen hier gemeint ist: als ein Versuch, endlich einen unwürdigen und den Frieden gefährdenden Zustand zu beenden. Das ist der Gestus dieser Resolution, und ich bin froh, dass wir den gemeinsam so tragen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hilfsaktionen für Gaza, die heute Gegenstand der Debatte sind, waren ersichtlich nur der äußere Rahmen für das eigentliche Ziel dieser Aktion, nämlich die israelische Blockade zu durchbrechen. Es ist auch unstrittig, dass deswegen das Angebot abgelehnt worden ist, die Ladung auf dem Landweg nach Gaza zu bringen. Insoweit reden wir nicht von einer humanitären, sondern von einer in erster Linie zu propagandistischen Zwecken veranstalteten Aktion. Es ging Ihnen nicht in erster Linie um die Menschen in Gaza, sondern es ging um die Konfrontation mit Israel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es! Sehr richtig!) Auch wenn vonseiten der Linken Zustimmung zu dem fraktionsübergreifenden Antrag signalisiert wird, muss schon erwähnt werden, dass die Linke aktiv die Provokation durch sogenannte Friedensaktivisten unterstützt hat, die mit Waffen ausgestattet waren und islamistischen Terrorgruppen zuzurechnen sind. (Zurufe von der Linken) Das passt ins Bild, nachdem Vertreter der Linken immer wieder die Solidarität mit der radikal-islamistischen Hisbollah und der Hamas bekundet haben. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es!) Das gehört zur ganzen Wahrheit dazu. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Lesen Sie mal Ihren Antrag!) Deswegen sage ich ganz deutlich: Bevor Sie vonseiten der Linken sich auf das Völkerrecht berufen, müssen Sie sich schon die Frage stellen, welchen Aktionen Sie hier den Mantel des Gutmenschentums umhängen wollen. Die Linke steht in einer bis heute ungebrochenen Tradition zur SED - zur Partei des Mauerbaus, des Schießbefehls, des Missbrauchs und der Missachtung des Völkerrechts. (Widerspruch bei der LINKEN - Mechthild Rawert [SPD]: Langsam wird es aber langweilig! - Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Darum geht es heute nicht!) Und dass die ach so friedliebende DDR ein Unrechtsstaat war, wird bis heute von Ihnen ausdrücklich geleugnet. Deswegen sage ich ganz deutlich: Ihnen fehlt in dieser Debatte jegliche Legitimation. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Mechthild Rawert [SPD]: Langweilig!) Ich darf Sie erinnern, was Gregor Gysi zum 60. Jahrestag der Gründung Israels im April 2008 erklärt hat. Er hat Kritik an der einseitigen Parteinahme der Linken im Nahost-Konflikt geübt, und er hat erklärt, dass Solidarität mit Israel zur deutschen Staatsräson gehöre. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja, und?) Davon ist bis heute bei Ihnen wenig übriggeblieben. Denn wenn man dieser Auffassung ist, dann muss das Konsequenzen haben. Wenn die Sicherheit und das Existenzrecht Israels Teil der deutschen Staatsräson sind, dann hat das die Konsequenz, dass weder die Öffnung des Gazastreifens noch eine weitergehende Friedenslösung mit den Palästinensern zulasten der Sicherheit Israels gehen darf. Allerdings müssen wir durchaus die Frage stellen, wie das israelische Sicherheitsinteresse zu definieren ist, was genau der Sicherheit Israels dient. Mit Blick auf einige der Handlungen der israelischen Regierung in den letzten Monaten kann man sich des Eindrucks nur schwer erwehren, dass manche in dieser Regierung israelische Sicherheitsinteressen fundamental anders definieren, als das etwa die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, weite Teile der internationalen Gemeinschaft und sogar ein nicht unerheblicher Teil der israelischen Gesellschaft selbst tun. Das birgt durchaus zwei nicht zu unterschätzende Gefahren: Zum einen kann es eine Eskalation dieses Kon-flikts geben. Zum anderen liegt darin eine mögliche Belastung auch für die Koalition gegen das iranische Atomprogramm und die iranischen Vormachtbestrebungen in dieser Region, die auch Israel als die größte Gefährdung für die regionale Stabilität betrachtet. Ich meine, dass die israelische Regierung gespürt hat, dass sie zuletzt bei mehreren Gelegenheiten selbst engste Freunde geradezu vor den Kopf gestoßen und zum Teil sehr schwerwiegende Fragen aufgeworfen hat. Das begann bei der Ankündigung während des Besuchs des US-Vizepräsidenten Biden, in Ostjerusalem neue Siedlungen zu bauen, reichte über die Behandlung des türkischen Botschafters entgegen allen diplomatischen Geflogenheiten und ging hin bis zu dem Vorgehen gegen die Gaza-Solidaritätsflotte. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Vergessen Sie Kollege Niebel nicht!) Immerhin sind Anzeichen für ein Umdenken erkennbar. Die israelische Regierung hat beschlossen, eine unabhängige Untersuchungskommission zum Einsatz gegen diese Flotte einzurichten. Der Bundestag unterstützt die Forderung des UN-Generalsekretärs nach einer internationalen Untersuchung des Einsatzes in seiner fraktionsübergreifenden Resolution ausdrücklich. Wir brauchen in der Tat eine rückhaltlose und objektive Aufklärung dieser Vorgänge. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Präsident, da sich meine Redezeit dem Ende zuneigt, darf ich darauf hinweisen, dass noch weitere sieben Minuten für unsere Fraktion ausstehen, die ich gerne für mich in Anspruch nehmen würde, weil mein Kollege nicht anwesend ist. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Sie müssen sie nicht unbedingt in Anspruch nehmen; denn der andere Redner Ihrer Fraktion, der Kollege Mißfelder, ist erschienen. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Ach, er ist hier; wunderbar. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Sie müssen also nicht filibustern. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich würde gerne noch Herrn Mißfelder hören!) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Das ist mir leider entgangen. Ich darf dann abschließend nur noch ausführen, dass in einem weiteren Punkt ein Umdenken Israels erkennbar ist, nämlich durch das Angebot Israels, die Positivliste durch eine sogenannte Negativliste zu ersetzen, also dadurch, nicht mehr zu bestimmen, welche Güter im Einzelnen in den Gazastreifen hineindürfen, sondern umgekehrt festzulegen, was ausdrücklich nicht hineindarf. Das ist ein wichtiger und konstruktiver erster Schritt, um hier weiterzukommen. Ich meine, dass wir sehr deutlich sehen müssen, dass eine dauerhafte Friedenslösung auch im Interesse Israels liegt. Alle Komponenten für eine Verhandlungslösung liegen seit Jahren auf dem Tisch. Jetzt tut der politische Wille not, tatsächlich zu Ergebnissen zu kommen. Wenn man die Lage auf der palästinensischen Seite betrachtet, wird deutlich, dass die Situation dafür im Moment günstig ist. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie sollten Ihrem Kollegen nicht die Redezeit wegnehmen. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Ich komme zu meinem letzten Satz. - Ich denke, dass dieses Zeitfenster, das sich durch die Konstellation vor Ort bietet, jetzt genutzt werden sollte. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird aber angerechnet!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir schon gewünscht, dass man ein bisschen von den vorbereiteten Redemanuskripten abgewichen wäre und zu der aktuellen Situation, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) dass nämlich auch die Fraktion der Linken einem gemeinsamen Antrag zustimmen will - ich begrüße das -, zumindest das eine oder andere gesagt worden wäre. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollege Gehrcke, ich weiß um Ihre Arbeit innerhalb Ihrer Partei. Sie bemühen sich, für die Interessen Israels im Allgemeinen und auch für die Sicherheitsinteressen zu werben. Sie haben das gerade in Ihrer Rede noch einmal getan. Ich halte es für einen wesentlichen Fortschritt im Vergleich zu anderen Legislaturperioden zuvor, wenn man bei einer so schwerwiegenden Frage hier im Deutschen Bundestag zu einem gemeinsamen Konsens kommt. (Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es ist gut, dass es gelungen ist, die vier Fraktionen zusammenzuhalten. Das war nicht so einfach. Kollege Mißfelder, wir haben den einen oder anderen Anruf in dieser Hinsicht erhalten. Ein Teil des Problems ist - das wird dadurch ersichtlich -, dass die unterschiedlichen Gruppen so stark in ihrer Vorstellung verhaftet sind, dass sie glauben, diesen Konflikt nur aus ihrer Sichtweise heraus lösen zu können, was dazu führt, dass Empathie fehlt. Umso mehr bin ich froh, dass zwischen diesen vier Fraktionen ein Konsens erreicht worden ist. Es ist richtig, dass die Situation in den letzten Wochen zu Bewegung geführt hat. Herr Kollege Gehrcke, ich glaube aber, das ist nicht allein wegen der Gaza-Flottille erfolgt, sondern wegen dieses schrecklichen Anlasses und auch wegen des unverhältnismäßigen Einsatzes von Gewalt in diesem Konflikt, durch den die Gewaltspirale im Nahen Osten verstärkt wird. Die israelische Regierung versucht - auch das müssen wir anerkennen -, in der fragilen Situation, in der sich ihre Koalition befindet, Schlussfolgerungen zu ziehen. Es ist richtig, dass jetzt eine Negativliste für den Gazastreifen beschlossen worden ist, von der ich hoffe, dass sie Anwendung finden wird, damit die humanitäre Situation im Gazastreifen verbessert wird. Wir sollten hier auch vermerken, dass die ägyptische Regierung versucht hat, in der schwierigen Situation eine konstruktive Rolle zu übernehmen. Ich glaube, wir müssen Israel deutlich machen, dass durch die Abriegelung des Gazastreifens genau das Gegenteil von dem erreicht wird, was Israel eigentlich erreichen will. (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ging damals um die Befreiung des entführten Soldaten Schalit und darum, den Waffenhandel einzuschränken und die Hamas zu schwächen. All diese Ziele, die mit der Gaza-Abriegelung erreicht werden sollten, sind nicht erreicht worden. Herr Staatsminister, es ist die Aufgabe der Bundesregierung, dazu beizutragen - das können wir aufgrund unserer besonderen Beziehungen zu Israel -, dass dieses Problemfeld endlich von den politischen Akteuren in Israel erkannt wird. Ich würde mir wünschen, dass sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Außenminister gegenüber der israelischen Regierung noch aktiver werden würden, als sie das bisher gewesen sind. Es ist richtig, dass wir die Rolle der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und auch des Quartetts betont haben. Diese haben sich sehr stark aus der Verantwortung lösen müssen, weil es nicht genügend Fortschritte gegeben hat. Wenn das Quartett gerade aufgrund der Situation im Gazastreifen wieder eine Rolle spielt, dann stellt sich auch eine neue Herausforderung für die Europäische Union. Mit den neuen Strukturen in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik muss es gelingen, zwischen Israel und Palästina zu vermitteln und in Bezug auf den Gazastreifen zu politischen Fortschritten zu kommen. Wir können die humanitären Probleme zum jetzigen Zeitpunkt nicht lösen; wir sollten aber alles tun, damit die Situation der Menschen, die in diesem Konflikt von allen in Geiselhaft genommen werden, zumindest verbessert wird. Langfristig wird aber Hilfe nicht ausreichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Langfristig wird eine Lösung nur gelingen, wenn die Menschen im Gazastreifen wieder ein wirtschaftliches Fundament finden. Dazu muss die Privatwirtschaft wieder funktionsfähig werden. (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin froh, dass es gelungen ist, in dem gemeinsamen Antrag zu betonen, dass es nicht reicht, was die israelische Regierung jetzt unternommen hat, wenn auch der eine oder andere internationale Beobachter eingeladen werden soll. Die Forderung der Vereinten Nationen und der Europäischen Union nach einer internationalen und transparenten Aufklärung, aus der auch Konsequenzen gezogen werden müssen, muss erfüllt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn internationales Recht verletzt worden ist; denn internationales Recht ist die Richtschnur für das Handeln Deutschlands und der Europäischen Union, aber auch für das Handeln des demokratischen Staates Israel. Auch er muss sich internationalem Recht unterwerfen. (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Staatsminister, der deutsche Außenminister hat die Einladung des israelischen Kabinetts angenommen, in den Gazastreifen zu reisen. Es darf nicht bei einer Showveranstaltung bleiben. - Sie schütteln den Kopf. Ich kenne die neuesten Informationen nicht. Vielleicht sollte ich zurückhaltender formulieren. - Der Besuch darf keine Showveranstaltung werden. Ich hätte mir gewünscht, dass die israelische Regierung auch andere europäische Regierungen eingeladen hätte, und zwar sowohl solche, die innerhalb der Europäischen Union große Verantwortung tragen, als auch solche, die eine kritischere Haltung gegenüber Israel einnehmen, als wir - ich habe eben über unsere historische Verantwortung gesprochen - das tun. Auch das wird zu der geforderten Transparenz gehören. Das müssen wir im europäischen Rahmen deutlich machen. (Beifall bei der SPD) Der Gazastreifen ist das vorherrschende Problem, über das wir reden. Wir müssen aber auch daran erinnern, dass die US-amerikanische Regierung vielleicht nicht das letzte Mittel, aber eines der letzten Mittel einsetzt, um die Gespräche zwischen der Regierung Fajjad und Präsident Abbas auf der einen Seite und der israelischen Regierung auf der anderen Seite voranzubringen. Das ist gut. Ich sage aber auch ganz klar: Die Zeit läuft weg. Es stehen letztlich nur noch ganz wenige Wochen zur Verfügung. Wir müssen aufpassen, dass wir durch unsere Politik die Spaltung der palästinensischen Gesellschaft nicht noch verstärken. Deswegen möchte ich auch von dieser Stelle aus noch einmal appellieren: Ich glaube, dass das Abkommen von Mekka, das ein wichtiger Punkt für die nationale Einheitsregierung in Palästina gewesen ist, durchaus wieder auf die Tagesordnung gehört. Wir müssen auch gegenüber den palästinensischen Fraktionen dafür werben, dass eine Regierung der nationalen Einheit die einzige Chance (Beifall bei der SPD und der LINKEN) für eine anhaltende und gerechte Friedenslösung in Palästina ist - und dann auch zum Nutzen Israels. Zum Schluss will ich noch Folgendes sagen. Wir haben während der Aktuellen Stunde über die Situation im Gazastreifen gesprochen, aber auch über die Rolle des politischen Islam. Ich glaube, wir müssen unsere Rolle gegenüber der Hamas überdenken und die Frage klären, wie wir damit umgehen. Wir führen im Grunde genommen auf Bitten der israelischen Regierung schon Gespräche mit der Hamas wegen des entführten Soldaten Schalit. Aber wir müssen versuchen, uns aus diesen Widersprüchen zu befreien. Denn hinter der Hamas droht, so glaube ich, vielleicht noch eine viel größere Herausforderung, die wir im Gazastreifen immer wieder gesehen haben. Deswegen würde ich mir wünschen, dass wir darüber im Auswärtigen Ausschuss sprechen. Insbesondere bin ich froh, dass es gestern zu einem Treffen von Vertretern der türkischen und der israelischen Regierung gekommen ist; denn wir werden die türkische Regierung weiterhin für eine Vermittlung in diesem Konflikt brauchen. Ich würde mich freuen, wenn die Bundesregierung das unterstützen würde. Ganz herzlichen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Rainer Stinner von der FDP-Fraktion. Dr. Rainer Stinner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der fraktionsübergreifende Antrag, den wir heute beraten, hat ja schon im Vorfeld durchaus Öffentlichkeitswirkung erreicht; darüber ist völlig zu Recht berichtet worden. Denn das, was wir hier erleben, ist tatsächlich eine neue Qualität gemeinsamer deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Ich würdige das ausdrücklich. Ich möchte insbesondere unserer Kollegin Frau Müller ganz herzlich für ihren Beitrag dazu danken. Er war hervorragend. (Beifall im ganzen Hause) Wir haben sehr gut zusammengearbeitet. Das begrüße ich außerordentlich. Auch Ihnen ist es vielleicht so gegangen wie mir: Ich habe in den letzten Tagen eine ganze Reihe von Briefen und Mails von besorgten Menschen überwiegend aus israelorientierten Organisationen bekommen. Die müssen wir natürlich ernst nehmen. Deswegen lassen Sie mich einleitend sehr deutlich sagen, was dieser Antrag nicht beinhaltet. Er beinhaltet erstens keine endgültige, abschließende Bewertung der Ereignisse vom 31. Mai, (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ja, klar!) sondern die eindeutige Forderung nach einer internationalen Untersuchung. Zweitens. Er beinhaltet nichts, was die berechtigten Sicherheitsinteressen Israels in irgendeiner Weise vernachlässigt. Ganz im Gegenteil: Wir weisen in diesem Antrag gemeinsam bestimmt fünfmal auf die wirklich berechtigten israelischen Interessen hin. Das haben wir immer wieder dort, wo wir es tun konnten und sollten, sehr deutlich formuliert. Drittens ist ganz bedeutsam für uns alle: Dieser Antrag bedeutet natürlich in keinster Weise - in keinster Weise! - irgendein Abrücken von dem gemeinsamen Konsens im Deutschen Bundestag über unsere historisch bedingte besondere Beziehung zum Staat Israel. Die ist von diesem Antrag in keinster Weise grundsätzlich berührt. Das möchte ich sehr deutlich sagen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In diesem Antrag geht es nicht mehr und nicht weniger um die dringend gebotene Verbesserung der Lebensbedingungen im Gaza. Wir hatten heute Morgen wieder mit John Ging beim Frühstück ein interessantes Gespräch, in dem er uns eindrücklich geschildert hat, welche miserablen Bedingungen humanitärer Art im Gazastreifen herrschen. Das Wichtige daran ist erstens die humanitäre Frage, die gelöst werden muss. Die ist aber in vielen Teilen der Welt ähnlich schlimm. Hinzu kommt aber zweitens: Wir sind der festen Überzeugung, dass die Negativsituation im Gazastreifen gegen die Interessen Israels gerichtet ist und dass sie insbesondere die Interessen der Hamas fördert. Denn der Hamas ist es durch die Blockade, die wir erleben, gelungen, eine Tunnel- und Schattenwirtschaft aufzubauen, bei der sehr viel Geld fließt und sehr viele Leute reich werden. Der für die Entwicklung des Gazastreifens dringend notwendige Aufbau einer tragenden Wirtschaft im Gazastreifen wird dadurch aber nicht erreicht. Ich sage sehr deutlich: Nach unserem Dafürhalten erhöht die Verbesserung der Lebenssituation im Gazastreifen gerade auch die Sicherheit Israels. Auch deshalb ist es so wichtig, dass wir hier entsprechend vorankommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb sagen wir im Antrag gemeinsam ganz deutlich: Es reicht nicht aus, die Zahl der Lkws von 140 auf etwa 160 zu erhöhen. Es geht darum, grundsätzlich an der Blockade zu arbeiten und sie zu beseitigen, um bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen. Das ist ganz wichtig, und daran müssen wir gemeinsam arbeiten. "Gemeinsam arbeiten" heißt für mich natürlich, dass dies nicht nur Deutschland tut. Es ist schön, dass wir diesen gemeinsamen Antrag haben - das ist völlig klar -, aber wir sollten unsere Rolle im Rahmen der Europäischen Union sehen. Herr Staatsminister, falls Sie noch eine Unterstützung des Parlaments brauchen, um die europäischen Institutionen, insbesondere Frau Ashton, anzustoßen, ein bisschen mehr zu tun, kann ich Ihnen versichern: Die Unterstützung durch unsere Fraktion hätten Sie dafür. Wir würden die notwendige Hilfestellung geben. Ich sage das so deutlich, weil ich den Energy Level - um es auf Neudeutsch zu sagen - der Europäischen Union für überschaubar halte. Hier kann und muss noch mehr geschehen. Ich bin dankbar, Herr Staatsminister, dass die Bundesregierung seit Monaten betont, dass sie die Rolle des Quartetts stärken will. Das ist völlig richtig. Aber ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich kann bisher noch nicht so richtig erkennen, dass das auch geschieht. Wir alle wünschen uns, dass das Quartett und damit auch die Europäische Union in diesem wichtigen Konflikt eine stärkere Rolle spielen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Ich bitte Sie, Herr Staatsminister, das mit Ihren Mitteln zu unterstützen und in Europa entsprechend voranzutreiben. (Beifall bei der FDP) Die Ereignisse vom 31. Mai, so tragisch sie waren - ich erinnere an die Toten -, haben etwas in Gang gebracht. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir eingestehen: Die Diskussion heute Abend führen wir eigentlich nur infolge der Diskussion, die vor drei Wochen dazu stattgefunden hat; gar keine Frage. Sie hat einen Prozess des Überlegens in Gang gebracht. Ich bin sehr froh darüber, mit welcher Konsequenz unser Minister Niebel seine Position vertreten hat. Er hält es für völlig inakzeptabel, dass es, nachdem Deutschland im Gazastreifen mit Zustimmung Israels, zum Teil sogar auf Wunsch Israels humanitäre Projekte durchführt, einem deutschen Minister nicht erlaubt sein soll, diese Projekte zu besuchen. Es war richtig, dass Minister Niebel darauf deutlich reagiert hat. Das muss möglich sein. Es ist notwendig, dass wir hier so klar Position beziehen. Ich bedanke mich bei Minister Niebel ausdrücklich für diese klare und deutliche Haltung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir alle wissen, dass speziell Minister Niebel völlig unverdächtig ist, was Israel angeht. Er gehört - ich darf das einmal so sagen - zu den Hardlinern unter den Israel-Unterstützern. Wenn ihm hier der Kamm schwillt, dann ist, glaube ich, wirklich etwas geschehen. Es ist ganz wichtig, dass wir diese Botschaft senden. Wir stehen für den gemeinsamen Antrag. Ich bin froh darüber, dass wir das geschafft haben. Damit ist ein Beginn gemacht; dies ist kein Ende. Wir stehen als Deutscher Bundestag, als FDP-Fraktion weiterhin dafür: Wir wollen europäische Initiativen und deutsche Initiativen in diesen wichtigen Friedensprozess einbringen. Wir stehen dafür, dass wir dabei sehr wohl die berechtigten Interessen der beteiligten Parteien berücksichtigen. Aber wir wollen Fortschritt, wir brauchen Fortschritt, und wir werden unseren Beitrag dazu leisten. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin sehr froh, Herr Stinner, Herr Mützenich, Herr Mißfelder (Zuruf von der LINKEN: Herr Gehrcke!) - er hat daran nicht mitgearbeitet, aber ich sage gleich noch etwas dazu -, dass es uns gelungen ist, einen Antrag der vier Fraktionen zustande zu bringen. Ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken. Ich glaube, dass es ein ausgewogener Antrag ist - Sie haben es gerade erwähnt -, bei dem wir einerseits wirklich die Sicherheitsinteressen Israels im Blick haben und in dem wir andererseits ganz konkret Vorschläge dazu machen, wie, mit welchen Schritten man die humanitäre Lage der Menschen in Gaza verbessern kann. Ich begrüße es, dass dieser Antrag schon von der Bundesregierung aufgegriffen wurde; denn Herr Niebel hat sich auf seiner Reise, an der Parlamentarier aus allen Fraktionen teilgenommen haben, bereits auf den Antrag bezogen, obwohl er erst heute beschlossen wird. So wünschen wir uns das. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist auch mal etwas!) Ich habe das schon öffentlich erklärt und will es auch hier im Deutschen Bundestag noch einmal sagen: Auch ich war nicht damit einverstanden, dass man dem Entwicklungshilfeminister den Zugang nach Gaza verweigert hat. Wir führen dort Entwicklungsprojekte durch. Wir haben vor, ein Klärwerk zu bauen, das sehr wichtig und entscheidend für die dortigen Lebensbedingungen ist. In diesem Fall muss es ihm möglich sein, sich anzuschauen, was dort gebaut wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Meine Damen und Herren von der Linken, ich bin froh, dass Sie sich entschlossen haben, diesem Antrag zuzustimmen. Ich hatte heute ein Gespräch mit John Ging, dem Leiter von UNRWA. Ich weiß nicht, ob einige von Ihnen ebenfalls die Gelegenheit dazu hatten; er ist auch morgen noch einmal hier. Er ist begeistert davon, dass gerade von Deutschland ein solches Signal ausgeht. Er hat noch einmal betont, dass er auf eine interfraktionelle Initiative hofft - die natürlich stärker wird, wenn alle dabei sind; ich sage das für meine Fraktion sehr klar. Da können alle mal über ihren Schatten springen. Dann hat dies nämlich eine andere Bedeutung in Europa. Auch die Chance, in Europa gehört zu werden, wird größer, weil gerade die Deutschen mit ihrem besonderen Verhältnis zu Israel hier natürlich immer eine besondere Rolle spielen müssen. Diese Rolle nehmen wir wahr, indem wir diesen Antrag gemeinsam auf den Weg bringen. Dafür möchte ich mich bei allen bedanken. (Beifall im ganzen Hause) Wir sind uns einig, dass die Gaza-Blockade beendet werden muss. Sie ist inhuman. Sie ist aber auch politisch kontraproduktiv, weil sie nicht im Interesse Israels ist. Wenn sie es denn wäre, würde man vielleicht noch einen anderen Blick darauf haben. Sie hat die Ziele aber nicht erreicht. Leider ist Gilad Schalit immer noch nicht befreit. Auch der Raketenbeschuss konnte nicht gestoppt werden. Die Blockade hat bisher die Hamas sowie andere Extremisten gestärkt und eben nicht geschwächt. Das kann die UNO sehr deutlich daran darstellen, dass eine illegale Schattenwirtschaft durch die Tunnel errichtet wurde, die nun die Hamas stärkt und diejenigen schwächt, die nicht mit der Hamas kooperieren wollen und die die illegalen Güter, die über diese Tunnel in den Gazastreifen kommen, nicht kaufen wollen, um zum Beispiel Schulen zu bauen. Es ist wirklich absurd, zu sehen, dass diese Blockade de facto eine Blockade der UNO ist, die sagt: "Wir kaufen dieses illegale Material nicht, auch wenn wir damit Schulen errichten könnten", aber gleichzeitig - heute habe ich von John Ging diese Zahl noch einmal gehört - 40 000 Flüchtlingskinder ablehnen muss, weil die UNO-Schulen überlaufen sind. Diese Kinder gehen dann in die Koranschulen der Hamas. Was macht das für einen Sinn? Es macht keinen Sinn. Man schwächt diejenigen, die aktiv gegen das Islamisierungsprojekt der Hamas und anderer im Gazastreifen vorgehen wollen. Das darf nicht sein. Deshalb brauchen wir eine schrittweise Öffnung, und zwar sowohl eine Öffnung über den Landweg als auch parallel dazu Verhandlungen über einen Transport von UN-Gütern über den Seeweg. Das hat John Ging noch einmal deutlich gemacht. Ich will hier noch kurz darauf eingehen, dass es die Sorge gibt, damit würden die Sicherheitsinteressen Israels nicht gewahrt. Wir sagen hier sehr klar: Das soll mit Israel vereinbart werden. Die Idee ist, dass entweder in Aschdod oder in Zypern eine Kontrolle stattfindet und erst dann die Schiffe nach Gaza gelassen werden. Damit würde man erstens einen unbürokratischen Zugang schaffen und zweitens denjenigen den Wind aus den Segeln nehmen, die vielleicht unter ganz anderer politischer Flagge demnächst wieder auf Gaza zusteuern wollen. Das ist der Charme der Idee, zusätzlich einen Seeweg zu eröffnen. Ich würde mich freuen, wenn auch das möglich wäre und wenn sich die Europäische Union, auch ausgehend von unserem Antrag, hierfür einsetzen würde. Letzter Punkt. Wir sehen in Europa zunehmend eine antiisraelische Stimmung. Ich halte es auch deshalb für wichtig, dass wir mit konkreten Initiativen - das hat John Ging heute noch einmal deutlich gesagt - nach vorne blicken und sehen, wie man die Lage verbessern kann. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In diesem Sinne freue ich mich, wenn wir heute eine breite Zustimmung zu unserem Antrag bekommen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Müller, zunächst möchte ich Ihnen für Ihre Initiative danken. Es handelt sich um einen fraktionsübergreifenden Antrag. Nach den Vorfällen um die Gaza-Flottille haben wir im Auswärtigen Ausschuss frühzeitig miteinander gesprochen. Um es nicht zu verschweigen: Sie haben den Anstoß für diese Debatte gegeben und die Idee zu einem fraktionsübergreifenden Antrag gehabt. Dem haben wir nach Diskussionen in unserer Fraktion gerne zugestimmt, weil wir bei der Diskussion im Auswärtigen Ausschuss und vielen anderen Gelegenheiten festgestellt haben, wie groß und wie breit der Konsens bei diesem Thema eigentlich ist. Selbst wenn in der Außendarstellung häufig der Eindruck entsteht, dass die Linkspartei grundsätzlich anderer Meinung sei, so glaube ich doch, Herr Gehrcke, dass gerade auch die Wortbeiträge, die Sie schon an verschiedenen Stellen abgegeben haben, keinen Zweifel daran lassen, dass Sie sich auf einem ähnlichen, gemeinsamen Boden befinden, wie wir das tun. Das gilt für Ihre Fraktion allerdings nur eingeschränkt. Diesen Eindruck habe ich leider häufig. Ich wünschte mir, dass Sie sich vielleicht hätten überwinden können, unseren Antrag zu unterstützen und auf Ihren eigenen Antrag heute zu verzichten. Nichtsdestotrotz wollen wir dafür werben, dass die Debatte in Zukunft mit großer Ernsthaftigkeit weitergeführt wird. Auch der bisherige Verlauf dieser Debatte hat ja gezeigt, dass wir den sachlichen Blick auf die Tatsachen behalten wollen und unseren Grundsätzen treu bleiben wollen, was die Ausrichtung der Politik gegenüber unseren Freunden in Israel angeht. Vor diesem Hintergrund möchte ich, ähnlich wie Rainer Stinner es schon gemacht hat, auf die Reaktionen im Vorfeld verweisen: Bevor die Drucksache vorlag, wurde der eine oder andere von uns schon von Personen aus Israel nahestehenden Bewegungen gefragt: Was steckt eigentlich hinter diesem Antrag, von dem wir in der Zeitung gelesen haben? Welche Zielrichtung verfolgt er? Ist denn gesichert, dass die Sicherheitsinteressen Israels im Mittelpunkt der Beratungen stehen? - Zu keinem Zeitpunkt der Beratungen des Antrags hat dies ein geringe Rolle gespielt, sondern dies stand immer - das war fraktionsübergreifend der Fall - im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Ich möchte in dieser Debatte auch klar sagen, dass es wahrscheinlich, zumindest nach unserem heutigen Diskussionsstand, technisch nur möglich sein wird, eine Seeverbindung nach Gaza einzurichten, wenn man so verfährt, dass die Güter der Schiffe in Aschdod gelöscht werden und nach entsprechenden Kontrollen nach Gaza eingeführt werden. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Schiffe dort kontrollieren und weiterfahren lassen!) Allein schon diese technische Frage darf man nicht außer Acht lassen. Das zeigt erneut, dass die Aktionen, die im Zusammenhang mit der Flottille geschehen sind, nicht in erster Linie dazu dienten, Hilfsgüter nach Gaza zu bringen, sondern vielmehr mediale Aufmerksamkeit und propagandistische Effekte im Blick hatten. Auch das ist zumindest nach heutigem Stand bei dieser Debatte zu beachten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Für uns - das hat unsere Bundeskanzlerin in ihrer Rede am 18. März 2008 vor der Knesset zum 60. Jahrestag der Gründung des Staates Israel deutlich gemacht - stehen die Sicherheitsinteressen Israels an erster Stelle. Wortwörtlich hat die Bundeskanzlerin gesagt: ... das Bewusstsein für die historische Verantwortung und das Eintreten für unsere gemeinsamen Werte - das bildet das Fundament der deutsch-israelischen Beziehungen von ihren Anfängen bis heute. Deshalb ist es auch richtig, dass es zu unserer Staatsräson gehört, die besonderen Beziehungen zu Israel nicht nur in Worthülsen zu kleiden, sondern auch mit Leben zu füllen. Das bedeutet, dass wir zu jedem Zeitpunkt, auch bei der Betrachtung der Situation in Gaza, die legitimen Sicherheitsinteressen von Israel im Blick haben. Trotzdem darf natürlich die Frage der politischen Implikationen nicht außer Acht gelassen werden. Man darf wohl sagen - Herr Mützenich, Frau Müller, Rainer Stinner, wir haben uns in dieser Legislaturperiode mit vielen Freunden aus Israel bei vielen Gelegenheiten darüber unterhalten und das Ganze auch mit viel Empathie begleitet -, dass wir als Freunde Israels selbstverständlich auch die politische Dimension des israelischen Handelns im Blick haben und uns deshalb als Freunde auch ein klares, offenes Wort erlauben. Insofern möchte ich der Bundesregierung danken, dass sie in ihrer unmittelbaren Reaktion auf die Vorfälle rund um die Gaza-Flottille diese Grundhaltung zum Ausdruck gebracht hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es geht in unserem Antrag nicht um die simple Forderung nach Aufhebung der Blockade. Vielmehr muss auch die Sicherheit der Menschen in Israel garantiert werden, und zwar durch ein Grenzkontrollregime, durch die Waffenlieferungen nach Gaza strikt unterbunden werden können. Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Bundesregierung auf, den UN-Generalsekretär zu bitten, unter Berücksichtigung dieser Interessen im Einvernehmen mit Israel gemeinsam den Prozess einzuleiten, dass Güter dorthin auf dem Seeweg eingeführt werden können. Wie wichtig die heutige Debatte ist, sieht man auch daran, dass ein großer Teil des Hauses diesen Antrag unterstützt. Ich begrüße ausdrücklich die Ankündigung der israelischen Regierung, dass die Blockade gelockert werden soll. Auch glaube ich, dass Ägypten an dieser Stelle eine besondere Würdigung erfahren muss: Dass Ägypten eine gute und konstruktive Rolle in diesem Prozess spielt, dafür danke ich vielen engagierten Vertretern in Ägypten. All unsere Bemühungen reichen allerdings noch nicht aus, um das große Ziel von Frieden und gemeinsamem Miteinander zu erreichen. Darum müssen sich alle noch mehr bemühen, als sie es ohnehin schon tun. Deshalb ist der Dank immer mit der Aufforderung verbunden, mehr zu tun und nichts zu unterlassen, was zu einer weiteren Annäherung führen kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD] und Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Eines ist klar: Mit der heutigen Debatte und dem gemeinsamen Antrag setzen wir ein Zeichen. Wir zeigen, dass es uns wichtig ist, die Konflikte gemeinsam an der Seite Israels zu lösen. Gerade vor dem Hintergrund unserer historischen Verantwortung und unserer Geschichte, die in der heutigen Zeit nicht von Schuld, sondern von großer Verantwortung geprägt ist, geht es darum, gemeinsam die Ziele des Friedens zu erreichen. Ich finde, unser Antrag ist dabei sehr hilfreich. (Zuruf von der LINKEN: Unserer aber auch!) Ich bedanke mich noch einmal bei den Fraktionen, die daran mitgewirkt haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/2259 mit dem Titel "UN-geführte Untersuchung des israelischen Angriffs auf den Gaza-Hilfstransport - Sofortige Aufhebung der Blockade". Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2328 mit dem Titel "Ereignisse um die Gaza-Flottille aufklären - Lage der Menschen in Gaza verbessern - Nahost-Friedensprozess unterstützen". Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen. (Beifall im ganzen Hause) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Ekin Deligöz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze im Bereich des Adoptionsrechts - Drucksache 17/1429 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Katja Dörner, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN Die revidierte Fassung des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern unterzeichnen - Drucksache 17/2329 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ute Granold, Johannes Kahrs, Stephan Thomae, Michael Kauch, Dr. Barbara Höll, Volker Beck.4 Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1429 und 17/2329 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage auf Drucksache 17/2329 federführend im Rechtsausschuss beraten werden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Crone, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Illegalen Holzeinschlag und Holzhandel durch eine durchgreifende EU-Verordnung wirksam verhindern - Drucksachen 17/1962, 17/2315 - Berichterstattung: Abgeordnete Alois Gerig Petra Crone Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Behm Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Alois Gerig, Petra Crone, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Kirsten Tackmann, Cornelia Behm. Alois Gerig (CDU/CSU): Die Europäische Union beabsichtigt, im Rahmen des Aktionsplans "Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und Handel im Forstsektor", Forest Law Enforcement, Governance and Trade - FLEGT, durch eine neue Verordnung Regelungen für den Handel mit Holz zu treffen. Ziel der neuen Verordnung ist es, den illegalen Holzeinschlag zu bekämpfen. Illegaler Holzeinschlag ist innerhalb der EU kein ausgeprägtes Problem. In den Mitgliedstaaten ist in der Regel gewährleistet, dass kein Raubbau am Wald betrieben wird. In anderen Teilen der Welt hingegen stellt der illegale Holzeinschlag ein gravierendes Problem dar - er trägt erheblich zur weltweiten Waldzerstörung bei. Die Nachfrage nach Holz in Europa ist dafür mitverantwortlich. Die CDU/CSU unterstützt deshalb das Vorhaben, den Handel mit Holz durch eine EU-Verordnung zu regeln und so gegen den illegalen Holzeinschlag vorzugehen. Die Einigung über einen Verordnungsentwurf erwies sich als sehr schwierig. Die Kommission hatte im Oktober 2008 einen ersten Entwurf vorgelegt. Erst am 10. Juni dieses Jahres konnten Parlament, Rat und Kommission im Rahmen eines Trilogs die letzten Streitpunkte ausräumen und sich auf einen Verordnungsentwurf verständigen. Die Einigung steht am 7. Juli im Europäischen Parlament zur Abstimmung. Im Herbst will sich der Rat abschließend mit der Verordnung befassen. Es ist damit zu rechnen, dass Parlament und Rat der Verordnung zustimmen. Der Antrag der SPD-Fraktion enthält zahlreiche Forderungen, die die Bundesregierung auf EU-Ebene durchsetzen soll. Da sich die Bundesregierung engagiert in die Verhandlungen eingebracht hat, macht es keinen Sinn, sie mit diesem Antrag zum Handeln aufzufordern. Außerdem sind die Verhandlungen sowohl innerhalb des Rates als auch zwischen Rat und Parlament abgeschlossen. Somit besteht für die Bundesregierung derzeit keine Möglichkeit, sich für die gestellten Forderungen einzusetzen. Aus diesen Gründen kann die CDU/CSU den Antrag nicht unterstützen. Der Antrag würde höchstens Sinn machen, wenn das Europäische Parlament die Verordnung ablehnt und die Verordnung neu verhandelt werden müsste. Dies ist nach meiner Auffassung nicht nur unwahrscheinlich. Es ist auch nicht wünschenswert. Der Verordnungsentwurf, auf den sich Kommission, Rat und Parlament geeinigt haben, ist ein tragfähiger und guter Kompromiss, der nicht mehr verändert werden sollte. Um in der Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags voranzukommen, wäre es sicher nicht hilfreich, wenn der Bundestag den Kompromiss infrage stellte. Auch dies spricht dafür, den vorliegenden Antrag abzulehnen. Zu den gelungenen Regelungen in der geplanten Verordnung gehört die Rückverfolgbarkeit in der Handelskette. Natürlich sollten alle Marktteilnehmer dafür sensibilisiert sein, dass ihre Handelsware Holz nicht aus illegalem Einschlag stammt. In der geplanten Verordnung werden besondere Sorgfaltspflichten sinnvollerweise dem Erstinverkehrbringer auferlegt. Für die übrigen Marktteilnehmer werden einfache Informationspflichten vorgeschrieben. Sie müssen bei Kontrollen der zuständigen Behörden Zulieferer bzw. Abnehmer nennen können. Damit wird sichergestellt, dass die Rückverfolgbarkeit in der Handelskette gewährleistet ist, gleichzeitig aber nicht alle Marktteilnehmer übermäßigen Dokumentationsaufwand betreiben müssen. Auch Waldbesitzer in Deutschland, die aus ihrem nachhaltig bewirtschafteten Wald Holz gewinnen und vermarkten, sind Erstinverkehrbringer. Das Bundeswaldgesetz, die Waldgesetze der Länder, die Forstverwaltungen und nicht zuletzt die ganz überwiegende Anzahl von verantwortungsbewussten Waldbesitzern sorgen dafür, dass in Deutschland der Wald nachhaltig bewirtschaftet wird und illegaler Holzeinschlag so gut wie keine Rolle spielt. Besondere Nachweispflichten für Waldbesitzer erscheinen mir deshalb nicht angezeigt. Es ist der Bundesregierung zu verdanken, dass in der Verordnung illegaler Holzeinschlag in Deutschland wie in anderen EU-Mitgliedstaaten als ein vernachlässigbares Risiko eingestuft wird und dadurch erheblicher bürokratischer Aufwand für die Waldbesitzer abgewendet werden konnte. Holz ist unser wichtigster nachwachsender Rohstoff. Es ist zu erwarten, dass die stoffliche und energetische Holznutzung in den kommenden Jahren zunehmen wird. Dies ist auch erforderlich, wenn wir unsere ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen wollen. Gleichzeitig wollen wir, dass Waldbesitzer die biologische Vielfalt im Wald schützen, den Wald auf den Klimawandel vorbereiten und den Wald als Erholungsraum für Menschen erhalten. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, die circa 2 Millionen privaten Waldbesitzer nicht mit neuer Bürokratie zu belasten. Ein weiterer Punkt, der mir am Herzen liegt, ist das Handelsverbot für illegal geschlagenes Holz. Man kann darüber streiten, wie wirkungsvoll ein solches Verbot ist. Ein Vermarktungsverbot wäre nur schwer umzusetzen, da im Einzelfall der illegale Einschlag, also der Rechtsbruch im Drittland, nachgewiesen werden müsste. Dies ist derzeit in aller Regel nicht gerichtsfest möglich. Aus meiner Sicht ist ein Handelsverbot dennoch wichtig. Europa muss ein klares Zeichen setzen, dass wir illegalen Holzeinschlag nicht akzeptieren und unseren Teil dazu beitragen, die globale Waldzerstörung aufzuhalten. Weltweit schreitet die Zerstörung der Wälder sehr schnell voran. Jährlich gehen 13 Millionen Hektar Naturwälder verloren - insbesondere in den Tropen. Waldzerstörungen gefährden nicht nur die Biodiversität - auch die für den Klimaschutz notwendige Kohlenstoffspeicherung der Wälder wird erheblich abgesenkt. Es wird also höchste Zeit, dass die EU Regelungen gegen den Handel mit illegal geschlagenem Holz trifft. Zweifellos ist es ein Schwachpunkt des Kompromisses, dass die Verordnung erst in 27 Monaten wirksam werden soll. Leider konnte sich die Bundesregierung mit ihrer Forderung nach einer früheren Inkraftsetzung nicht durchsetzen. In der Gesamtbewertung bleibt aber festzuhalten, dass die geplante Verordnung wirkungsvolle Regelungen gegen den Handel mit illegal geschlagenem Holz vorsieht, ohne die legale und nachhaltige Waldbewirtschaftung in Deutschland unverhältnismäßig zu belasten. Sowohl die Umweltverbände als auch die Waldbesitzer können mit dem erzielten Kompromiss leben. Ich danke der Bundesregierung, dass sie die Einigung engagiert vorangetrieben hat und die Verabschiedung dieser wichtigen Verordnung nun in greifbare Nähe rückt. Petra Crone (SPD): Das Verbot für den Handel mit Holz aus illegaler Herkunft wird kommen. Dies ist das erfreuliche Ergebnis aus den Trilogverhandlungen auf europäischer Ebene. Mit der erreichten Einigung wird endlich eine Grundlage gegen die weltweite Zerstörung von Wäldern geschaffen. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, dass das zuständige Ministerium unter der Leitung von Ilse Aigner sich doch noch bewegt hat, um auch den eigenen Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP zu erfüllen. Lange Zeit sah es nicht so aus, als würde das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Maßnahmen gegen illegal geschlagenes Tropenholz verschärfen. Mit unserem Antrag wollten wir der Regierungskoalition die Gelegenheit geben, sich am eigenen Anspruch zu messen. Schließlich besitzt Deutschland auf EU-Ebene gewichtiges Stimmenpotenzial, um auch andere europäische Partner zu bewegen. Die Zustimmung zu den Zielen des Antrags war im Ausschuss erfreulicherweise in allen Parteien vorhanden. Aber um ein Ziel zu erreichen, kann eine Instrumentenauswahl nicht ausbleiben. In unserem Antrag haben wir die Maßnahmen vorgestellt, die eine Verordnung auf europäischer Ebene benötigt, um nicht als Makulatur zu enden. Schlussendlich müssen die Verbraucher und Verbraucherinnen durch die Verordnung in die Lage versetzt werden, eine bewusste Kaufentscheidung für legal geschlagenes Holz zu treffen. Tropenholzmöbel sind aus meiner Sicht bis heute nur dann akzeptabel, wenn sie mit dem Gütesiegel des FSC ausgezeichnet sind. Zur EU-Verordnung selbst. An erster Stelle stand für uns das Verbot des Handels mit illegalem Holz und illegalen Holzprodukten. Bisher blieb der Import von illegalem Holz in die Europäische Union und damit auch nach Deutschland ungeahndet. Dies wird sich zumindest für den Erstinverkehrbringer des Holzes ändern. Durch das Verbot, mit illegalem Holz zu handeln, wird der Nachweis von Legalität zur Pflicht. Wir hätten diese Nachweispflicht gern für alle Marktteilnehmer die gesamte Lieferkette entlang gesehen, aber das Verbot für den Erstinverkehrbringer ist alles in allem erfreulich. Die FDP hatte ein Verbot noch in den Beratungen unseres Antrags abgelehnt. Ich finde, dass von dieser Regelung eine hohe Symbolkraft von einer Region wie Europa ausgeht. Wir senden damit ein Zeichen, dass wir es nicht dulden, wenn illegales Holz vorsätzlich oder bewusst oder grob fahrlässig auf den Markt gebracht wird. Damit flankieren wir die Bemühungen auch in den Ländern selbst und zeigen, dass uns das Thema wirklich ernste Anstrengungen wert ist. Die Sorgfaltspflichtregeln für den Erstinverkehrbringer des Holzes sind um das Kriterium des vernachlässigbaren Risikos ergänzt. Dieses wurde auf ausdrücklichen Wunsch des BMELV aufgenommen, um die deutschen Kleinstbetriebe bzw. mittelständischen Betriebe rechtlich abzusichern. Wir stimmen mit dem Europäischen Parlament überein, dass es eines "negligible risk" nicht bedürft hätte. Das vernachlässigbare Risiko wird in der Verordnung selbst nicht definiert, was bei mir die Sorge hervorruft, dass damit rechtliche Unsicherheiten eher verstärkt als minimiert werden. Den bürokratischen Aufwand, den unsere deutschen Kleinwaldbesitzer sowie die kleinen und mittelständischen Holzfirmen durch die Sorgfaltspflichtregelung leisten müssten, sehe ich eher in geringen und überschaubaren Maßen. Genügen würde in den meisten Fällen doch die Handelsrechnung, der Lieferschein oder der Grundbuchauszug, der meinen Wald ganz legal als mein Eigentum ausweist. Erfreulich an der EU-Verordnung ist, dass die Rückverfolgbarkeit für Holz und Holzprodukte über die gesamte Lieferkette in Form von einfacher Informationspflicht gewährleistet ist. Wir hätten uns für die Datenerhebung jedoch eine stärkere Berücksichtigung der Art der Waren gewünscht. Eine Produktspezifikation, wie sie bei der Sorgfaltspflicht erforderlich ist, fehlt. Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion wäre es aus Gründen eben der Rückverfolgbarkeit sehr naheliegend, wenn Art. 4 a eine Ergänzung um einen Punkt c erfahren würde, aus dem hervorgeht, was genau gekauft bzw. gehandelt wurde. Bestand die Ware aus Rund- oder Schnittholz? Die Antwort auf diese Frage könnte in der Rückverfolgbarkeit und Identifikation entlang der Handels- und Verarbeitungskette von eklatanter Bedeutung sein. Es ist sehr bedauerlich und unverständlich, dass die EU-Verordnung die indigenen Völker nur noch als "dritte Interessengruppe" definiert, obwohl zunehmende Abholzung des Regenwalds deren Lebensweise massiv bedroht. Der Durchsetzung und Einhaltung der Menschen- und Landrechte indigener Völker ist nicht gedient, wenn wir verklausulieren, statt zu benennen. Alles in allem ist die EU-Verordnung gegen den Handel mit illegalem Holz auf dem europäischen Markt trotz Mängel ein guter Startpunkt, doch der Weg bis zum Ziel ist noch weit. Schwachstellen sind die Ausnahmeregelungen, zum Beispiel für Papier. Hier wird hoffentlich in den nächsten Jahren noch nachgebessert. Der gesamte Waldflächenverlust der Erde beläuft sich laut Berechnungen der Welternährungsorganisation, FAO, auf jährlich etwa 13 Millionen Hektar. Dies entspricht ungefähr der Größe Griechenlands. Deutschlands Wälder mit insgesamt 110 000 Quadratkilometern wären innerhalb eines Jahres gerodet. An dieser Stelle möchte ich den zahlreichen Umweltorganisationen danken. Es ist deren großer Verdienst, dass sie die Problematik des illegal geschlagenen Holzes in das Bewusstsein der Entscheidungsträger und in die öffentliche Diskussion gebracht haben. Vielen Dank dafür. Es bedarf nun eines couragierten Arbeitsprogramms, um den Raubbau an den Wäldern zu stoppen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die Erhaltung von Primärwäldern weltweit ist ein wichtiges Ziel. Für die Menschen vor Ort stellen intakte Urwälder die Lebensgrundlage dar. Sie schützen den Boden und das Wasser, liefern Nahrung und wertvolle nachwachsende Rohstoffe. Sie sorgen für eine bessere Luftqualität und produzieren Sauerstoff. Aber vor allem sind naturnahe Wälder die wichtigsten und größten Reservoire der Artenvielfalt weltweit. Diese Schatzkammern der biologischen Information sind zudem entscheidend an der Speicherung von atmosphärischem CO2 beteiligt. Insbesondere die Rodung von Flächen für den Anbau von Soja, die Weidehaltung und die Anlage von Palmölplantagen, aber auch der illegale Holzeinschlag bedrohen die wertvollen Waldflächen. Der Waldverlust ist in den Staaten der Tropen Afrikas, Südostasiens und Südamerikas erheblich, Satellitenbilder verdeutlichen die gravierenden Verluste. Zudem verfolgen nur wenige Staaten außerhalb der EU eine nachhaltige Forstpolitik. Wir sind uns fraktionsübergreifend einig, dass bei der Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags und des Holzhandels Handlungsbedarf besteht. Etwa ein Drittel ihres Rohholzbedarfs importiert die EU aus Drittstaaten. Wir müssen ein gemeinsames Interesse daran haben, dass es sich hierbei um legales Holz, gewonnen aus nachhaltiger Bewirtschaftung, handelt. Wir als FDP haben uns immer ausdrücklich gegen den illegalen Holzeinschlag und -handel ausgesprochen. Zur Ergänzung der 2005 im Rahmen des EU-Aktionsplans FLEGT, Forest Law Enforcement, Government and Trade, vorgesehenen Maßnahmen, speziell der angestrebten freiwilligen Partnerschaftsabkommen, Voluntary Partnership Agreements - VPA, und der Einfuhrbeschränkungen ist eine Verordnung zum Stopp des Imports von illegal geschlagenem Holz in die EU eine denkbare Option. Daher unterstützen wir die Bemühungen von EU-Parlament, Kommission und Ministerrat, im Trilog über die Ausgestaltung einer Verordnung über den Holzhandel zu einer vernünftigen, wirkungsvollen und umsetzbaren Lösung zu kommen. Die FDP begrüßt den im Botschafterausschuss von EU-Parlament, Kommission und Ministerrat beschlossenen ausgewogenen Kompromiss. Dieser Durchbruch bei den Verhandlungen über das europaweite Verbot illegalen Holzhandels ist eine gute Nachricht für den Klima- und Urwaldschutz. Wir haben uns immer für sinnvolle und praktikable Lösungen starkgemacht: Die jetzt erzielte Lösung beinhaltet wirksame Kontrollmaßnahmen mit vertretbaren bürokratischen Belastungen für die betroffenen Akteure. Deswegen freuen wir uns, dass die Verordnung nun unser Vertrauen in nachhaltig wirtschaftende Kleinwaldbesitzer ausdrückt. Die Einführung des Begriffs des "vernachlässigbaren Risikos" führt zu einer vereinfachten Nachweispflicht. Die Kleinwaldbesitzer müssen nicht mehr gesondert nachweisen, dass sie ihr Holz tatsächlich legal geschlagen haben. Hier musste die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Angesichts von 1 Million Kleinwaldbesitzern in Deutschland ist dies eine wichtige Entscheidung, die Bürokratielasten mindert. Der Schwerpunkt der Nachweispflichten liegt auf dem Erstinverkehrbringer. Sie gewährleisten die vom Parlament geforderte Rückverfolgbarkeit von illegalen Holzprodukten. Die Kennzeichnung jedes einzelnen Holzbleistifts, jedes einzelnen Holzspielzeugs konnte abgewehrt werden. Gleichzeitig werden mit der Einführung eines Verbots des Handels mit illegalen Holzprodukten berechtigte Forderungen der Umweltschutzverbände, bezogen auf die Erstinverkehrbringer, berücksichtigt. Die vereinfachten Informationspflichten für die Handelskette verhindern einen bürokratischen Papierkrieg. Diesem Ziel dient auch das Streichen der Pflicht des Nachweises von Recyclingprodukten. Die Einbeziehung dieses umfangreichen Feldes hätte eine kaum zu überblickende Ausweitung der Kontrollen und des bürokratischen Aufwandes bedeutet. Die EU hat im Jahr 2006 zwar ungefähr ein Drittel ihres Rohholzes aus Drittstaaten importiert, ist aber weltweit gesehen nicht der größte Importeur von Holz und Holzprodukten. Für uns ist daher die Frage berechtigt, wie effektiv der Einfluss europäischer Regelungen auf den weltweiten Holzhandel ist. Wir mussten in der Vergangenheit feststellen, dass beispielsweise die Zertifizierung der Waldbewirtschaftung in Ländern ohne gute Regierungspraxis, ohne starke Regierungen nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Eine Reihe von Ländern, beispielsweise China, ist nach wie vor bereit, nichtzertifiziertes Holz oder solches mit fragwürdigen Dokumenten in riesigen Mengen zu importieren und zu verarbeiten. Vor diesem globalen Hintergrund unterstützt die FDP vor allem die Strategie, parallel zu den Handelsverboten über freiwillige Partnerschaftsabkommen mit Drittstaaten eine nachhaltige und sozial gerechte Waldbewirtschaftung im Sinne einer fairen Entwicklungshilfe voranzutreiben. Der Raubbau an wertvollen Urwaldflächen kann nur durch eine Verbesserung der Lebenssituation der Menschen vor Ort gestoppt werden. Ohne die Teilnahme der betroffenen Menschen in diesen Staaten kann eine nachhaltige Waldbewirtschaftung nicht erreicht werden. Wir freuen uns, dass es den europäischen Institutionen unter Beteiligung der Bundesregierung gelungen ist, zu einem zielführenden Ergebnis zu kommen. Der Kompromiss wird voraussichtlich Anfang Juli im EU-Parlament verabschiedet werden. Ich bin überzeugt, dass damit ein Instrument geschaffen wird, das helfen kann, den Raubbau der wertvollen Urwälder einzudämmen, insbesondere wenn es der EU gelingt, über Partnerschaftsabkommen mit möglichst vielen Staaten nachhaltige und effektive bilaterale Vereinbarungen zu treffen. Aus den genannten Gründen sind wir der Meinung, dass sich die Grundlage des Antrags der SPD-Fraktion durch die Kompromissvorschläge im Komitologieverfahren aufgelöst hat. Wir lehnen den Antrag der SPD somit ab. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Seit drei Wochen rollt der Ball. Endlich einmal eine Fußballweltmeisterschaft in Afrika. Wir haben das eine oder andere wirklich schöne Spiel gesehen. Fanfeste wurden gefeiert, Tore bejubelt, Bier getrunken, Würste gegrillt. Gute Stimmung und Gartenpartys standen die letzten Wochen auf dem Programm. Bei aller Freudetrunkenheit wird der Blick auf die Herkunft der Produkte um uns herum jedoch gerne vernebelt. Ich finde es nicht nur wichtig, zu wissen, wer die Grillwürstchen hergestellt hat und wie die Nutztiere vorher gelebt haben. Ich finde es nicht nur wichtig, zu wissen, wo das Bier gebraut wurde und ob die Landwirtinnen und Landwirte für ihre Braugerste einen fairen Preis erhalten haben. Ich finde es genauso wichtig, zu wissen, ob die Holzkohle aus einer legalen und nachhaltigen Waldbewirtschaftung stammt und ob die Gartenmöbel vielleicht aus illegalem Raubbau stammen. Gerade Gartenmöbel werden oft aus tropischen Hölzern hergestellt. Diese versprechen durch ihr langsames Wachstum und damit härteres Holz eine längere Lebensdauer für Stühle, Tische und Liegen. Doch so einfach ist das nicht. Man kann sich leider nicht sicher sein, dass alles mit rechten, also ökologisch und sozial verantwortungsvollen Dingen zugegangen ist. Illegaler Raubbau in den Wäldern des Südens und teilweise auch Ostens ist immer noch auf der Tagesordnung, leider. Illegaler Raubbau muss geächtet werden. Ihm ist durch wirksame Handelseinschränkung die Grundlage zu entziehen. Genau vor dieser Aufgabe steht die Europäische Union. Darüber wurde in den vergangenen Monaten trefflich gestritten. Im Rahmen der EU-Gesetzgebung könnte mittels einer wirklich wirksamen EU-Verordnung ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des illegalen Raubbaus geleistet werden. Wirklich wirksame Maßnahmen - beispielsweise die Kontrolle der gesamten Wertschöpfungskette in Kombination mit einem Verbot des Handels mit illegalem Holz - wurden lange von der Bundesregierung und anderen Mitgliedstaaten im Agrarministerrat blockiert. Doch das beständige Lobbying von WWF, Greenpeace, Robin Wood und anderen Umwelt- und Naturschutzverbänden hat Wirkung gezeigt. Auch die Oppositionsfraktionen von SPD, Grünen und Linken haben die Bundesregierung immer wieder aufgefordert, sich einer wirksamen Verordnung nicht länger in den Weg zu stellen. Die nun zu erwartende EU-Verordnung auf EU-Ebene darf gerne als Erfolg dieses gemeinsamen Engagements gewertet werden. Denn Deutschland ist in der EU immer ein wichtiger Taktgeber, sowohl beim Befördern von Ideen als auch beim Blockieren von Vorschlägen. Nun ist der Weg für ein europäisches Holzhandelsgesetz frei. Kommission, Parlament und Ministerrat der Europäischen Union haben sich auf einen gemeinsamen Entwurf für ein solches Gesetz verständigt. Ich hoffe, dass der euphorischen Meldung des WWF: "EU nimmt Kampf gegen illegalen Holzhandel auf" eine wirksame EU-Verordnung folgen wird. Der Kompromissentwurf soll im Juli vom Parlament und im Herbst vom Ministerrat verabschiedet werden. Danach muss ernsthaft und wirksam an der Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten gearbeitet werden. Darauf wird die Linke die kommenden Jahre achten. Bei aller Freude über den bevorstehenden Abschluss der EU-Verordnung, möchte ich trotzdem schon mal Nachbesserungsbedarf anmelden. Mittelfristig wird diese Verordnung auf ihre Wirksamkeit überprüft und überarbeitet werden müssen. Dabei sollten einige Punkte, die jetzt unter den Tisch gefallen sind, einbezogen werden. Beispielsweise: Bücher, Zeitungen und andere Druckerzeugnisse müssen in die Regelungen eingeschlossen sein. Doch natürlich bietet sich auch hier die - meiner Meinung nach sinnfreie - Möglichkeit, illegales tropisches Holz auf den europäischen Markt zu bringen. Das muss kritisch im Auge behalten werden. Die Linke unterstützt den Antrag der SPD. Er fasst die auch aus unserer Sicht nötigen Kriterien einer wirksamen EU-Verordnung zusammen. Dass nur Teile davon wirklich umgesetzt werden, anstatt alle Forderungen zu erfüllen, ist zu kritisieren. Aber es ist wichtig, dass nun das Gesetzgebungsverfahren zum Holzhandelsgesetz abgeschlossen wird. Diesen Antrag hätten wir problemlos gemeinsam einreichen können, wahrscheinlich sogar zu dritt. Das ist leider - noch nicht - gewollt. Dem Antrag stimmen wir trotzdem zu. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Einigung von Kommission, Rat und EU-Parlament über eine europäische Holzhandelsverordnung Mitte dieses Monats kam - um ehrlich zu sein - überraschend schnell. Ich hatte mit einem längeren Gezerre gerechnet, und ich nehme an, meinen Parlamentskollegen ging es nicht viel anders. Vor diesem Hintergrund kann man sagen: Dieser Antrag, mit dem die SPD die vorgelegte Holzhandelsverordnung im Rahmen des FLEGT-Plans verschärfen wollte, kam gerade noch rechtzeitig. Diesen SPD-Antrag haben wir von Anfang an unterstützt, weil die von der Kommission vorgeschlagenen Sorgfaltspflichten für Holzhändler ohne ein Importverbot für illegales Holz unvollständig und unzureichend gewesen wären. Nach dieser Einigung ist der vorliegende Antrag nahezu gegenstandslos geworden, aber nur nahezu; denn die abschließende Bestätigung der Einigung durch das EP und den Ministerrat stehen noch aus. Theoretisch könnte diese Einigung also noch scheitern. An dieser Stelle möchte ich jedoch an alle Beteiligten appellieren, die Einigung zu bestätigen. Aus meiner Sicht lohnt es sich, diesen im Trialogverfahren erzielten Kompromiss zu beschließen. Denn gegenüber der Kommissionsvorlage und dem Ministerratsvotum konnten entscheidende Verbesserungen durchgesetzt werden. So wird die Verordnung zukünftig im Kern ein Importverbot für illegales Holz beinhalten. Außerdem muss Holz auf dem EU-Markt zukünftig eine nachweisbare Herkunft haben. Bei Verstößen sollen Strafen verhängt werden. Die seit Jahren geführte Diskussion um ein nationales oder ein EU-weites Verbot von illegalem Holz hat damit hoffentlich ein vorläufiges Ende gefunden. Mit dieser Forderung sind wir in der letzten Legislaturperiode regelmäßig an einer schwarz-gelben Mehrheit gescheitert, die alle Vorstöße in diese Richtung hat an sich abtropfen lassen, ohne sich auch nur je einmal zur Forderung nach einem EU-weiten Importverbot für illegal geschlagenes Holz zu bekennen. Von daher bin ich froh, dass wir nun hoffentlich einige Schritte weiter sind. Nun müssen die neuen Regelungen zunächst erst einmal in Kraft treten und ein paar Jahre lang wirken, damit man beurteilen kann, ob sie ausreichend sind oder ob eine Nachbesserung notwendig ist. Der sechs Jahre nach Inkrafttreten von der Kommission vorzulegende Bericht sollte dafür genutzt werden, diese Zwischenbilanz zu ziehen und gegebenenfalls einen neuen legislativen Prozess in Gang zu setzen. An dieser Stelle kann ich natürlich nicht verhehlen, dass wir Grüne mit dieser Einigung keineswegs vollständig zufrieden sind, sondern noch weitergehende Forderungen und Vorstellungen hatten. Das fängt schon mit der viel zu langen Frist von 27 Monaten bis zum Inkrafttreten der Regelungen an. In der Sache sind wir nicht wirklich überzeugt davon, dass die Maßnahmen auf die Erstinverkehrbringer konzentriert werden und dass für die nachgelagerte Handelskette nur einfache Informationspflichten gelten sollen. Problematisch ist es, dass Betriebe mit vernachlässigbarem Risiko von Nachweisverfahren entbunden werden sollen, weil diese Ausnahme ein Schlupfloch für die Einschleusung von illegalem Holz sein kann. Spätestens wenn ein Betrieb mehr Holz vermarktet, als er nachhaltig ernten kann, wäre mein Misstrauen geweckt. Da dieser Betrieb jedoch von jeglicher Nachweisverpflichtung befreit ist, erfahre ich das nicht. Und besonders kritisch sehen wir, dass Druckerzeugnisse von den Regelungen ausgenommen sein sollen. Denn das heißt, dass in diesem Marktsegment keine Vorkehrungen gegen den Einsatz illegalen Holzes getroffen werden müssen. Aus diesem Grund werden wir Grüne die neue Verordnung sehr genau daran messen, ob sie den hohen Erwartungen tatsächlich gerecht wird und den Import illegalen Holzes in die EU stoppen kann oder ob Änderungen notwendig sind. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage, ob die Sanktionen bei Verstößen für eine Wirksamkeit der Verordnung ausreichend sein werden. Aber auch die Frage, ob es richtig war, bestimmte Holzprodukte von den Regelungen auszunehmen, muss mit Einschränkungen im Rahmen einer Zwischenbewertung noch einmal überdacht werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/2315, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1962 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten René Röspel, Priska Hinz (Herborn), Dr. Petra Sitte, Kerstin Andreae und weiterer Abgeordneter Einrichtung eines Parlamentarischen Beirats zu Fragen der Ethik (Ethikbeirat) - Drucksache 17/1806 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Dr. Thomas Feist, Rudolf Henke, René Röspel, Dr. Martin Neumann, Dr. Petra Sitte, Priska Hinz. Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Am 26. November des letzten Jahres hat der Deutsche Ethikrat seine erste Stellungnahme zur anonymen Kindesabgabe veröffentlichtet. Am 15. Juni dieses Jahres folgte die zweite Stellungnahme zu Humanbiobanken in der Forschung. Diese beiden Beispiele zeigen, dass sich nicht nur beim wissenschaftlichen Fortschritt neue ethische Fragestellungen, sondern dass sich in allen gesellschaftlichen Bereichen ethische Fragen ergeben, welche die Abgeordneten des Deutschen Bundestages als Gesetzgeber vor zahlreiche Herausforderungen stellen. Ich habe die jüngst veröffentlichten Stellungnahmen intensiv gelesen und bin den Mitgliedern des Deutschen Ethikrates dankbar, dass sie mit diesen Ausarbeitungen anerkannten Sachverstand in die gesellschaftliche und politische Debatte einbringen. Es war richtig, dass der Deutsche Bundestag mit dem Gesetz zur Einrichtung des Deutschen Ethikrates im Jahr 2007 ein unabhängiges Expertengremium geschaffen hat, welches das Parlament und die Bundesregierung berät. Zur parlamentarischen Begleitung und Unterstützung der Debatten des Deutschen Ethikrates wurde vom Deutschen Bundestag in der letzten Wahlperiode zusätzlich der Parlamentarische Beirat zu Fragen der Ethik insbesondere der Lebenswissenschaften, Ethikbeirat, eingesetzt. Im Tätigkeitsbericht des Ethikbeirates der letzten Wahlperiode wurde die Erforderlichkeit einer parlamentarischen Begleitung der Beratungen über ethische Grundsatzfragen und der Arbeit des Deutschen Ethikrates durch alle Fraktionen anerkannt. Auch aus den Diskussionen in der letzten Wahlperiode zur Einrichtung des Deutschen Ethikrates ist deutlich geworden, dass Einigkeit in diesem Hohen Hause über die Notwendigkeit besteht, ethische Fragestellungen in den politischen Entscheidungsprozess verantwortlich mit einzubeziehen. Ich teile somit die Einschätzung, dass die Berücksichtigung ethischer Fragen eine wesentliche Aufgabe der Politik darstellt und dass der Kontakt zum Deutschen Ethikrat daher unerlässlich ist. Ich komme allerdings nach einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Tätigkeitsbericht über die Arbeit des Ethikbeirates zu der Überzeugung, dass dies auf anderen Wegen besser gelingen wird als durch die Wiedereinsetzung dieses Gremiums. Aus diesem Grund kann sich die Fraktion der CDU/CSU dem vorliegenden Gruppenantrag nicht anschließen. Persönlich bin ich der Meinung, dass sich alle Abgeordneten mit den Fragen der Ethik im politischen Entscheidungsprozess befassen müssen. Hierfür sind direkte Kommunikationswege zwischen dem Ethikrat und dem Deutschen Bundestag - und zwar ohne Einschaltung eines weiteren Gremiums - wichtig. Bei der Einrichtung des Deutschen Ethikrates war es das erklärte Ziel, den Deutschen Ethikrat als Beratungsinstanz für alle Abgeordneten zu profilieren. Wir dürfen daher als Abgeordnete nicht die Verantwortung für die Entscheidung von ethischen Fragestellungen auf wenige Parlamentarier delegieren. Die Befürchtung, dass der Ethikbeirat nicht als Scharnier, sondern eher als Flaschenhals für ethische Fragen auf dem Weg in den Deutschen Bundestag fungiert, ist nicht von der Hand zu weisen. Diese Befürchtung wurde auch nicht durch die Tätigkeit dieses Gremiums in der letzten Legislaturperiode entkräftet. Eher bestätigt sich der Eindruck, dass der Ethikbeirat die breite Auseinandersetzung der Abgeordneten mit der Thematik erschwert hat. Ein weiterer Kritikpunkt: Ich halte ich es nicht für zielführend, dass der Ethikbeirat sich auf dem Wege der Selbstbefassung selbst Themenschwerpunkte suchen, Anhörungen durchführen und inhaltliche Empfehlungen abgeben kann. Es ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll, hiermit quasi ein parlamentarisches Gegengremium zum Deutschen Ethikrat zu institutionalisieren, welches sich möglicherweise parallel mit ähnlichen Themen beschäftigt und zu unterschiedlichen Empfehlungen kommen kann. Dies ist weder zweckmäßig noch effizient, vor allem wenn man bedenkt, dass der Deutsche Bundestag dem Deutschen Ethikrat im Jahr 2009 knapp 1,7 Millionen Euro für seine Arbeit zur Verfügung gestellt hat. Im parlamentarischen Diskussions- und Entscheidungsprozess muss deutlich werden, dass alle Abgeordneten gleichermaßen gefordert sind, sich über ethische Problemstellungen zu informieren und eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen. Es muss dabei aber der Verantwortlichkeit jedes Parlamentariers überlassen sein, wie und in welchem Umfang die Empfehlungen des Ethikrates in der eigenen Arbeit zum Tragen kommen. Die Wiedereinsetzung des Ethikbeirates würde dagegen den Eindruck erwecken, dass der Deutsche Bundestag die wichtigen Fragen der Ethik an ein Gremium wegdelegiert, welches stellvertretend für die Abgeordneten tätig wird. Ich möchte an dieser Stelle aus der Rede des Bundestagspräsidenten, Dr. Nobert Lammert, vom 9. November 2006 zur Einsetzung des Deutschen Ethikrates zitieren: Wir können alle miteinander kein Interesse daran haben, dass der Eindruck entsteht, es gebe im Deutschen Bundestag eine kleine Anzahl von Ethikexperten, aber der große Rest sei bei ethischen Fragen entweder nicht interessiert oder indifferent. Im Übrigen wäre dies nicht nur ein verheerender, sondern auch ein falscher Eindruck, der insbesondere in dieser Kombination kaum akzeptabel wäre. Diesen prinzipiellen Punkt möchte ich vor dem Hintergrund des Gruppenantrages noch einmal unterstreichen. Ethische Fragestellungen müssen von den Abgeordneten in den Ausschüssen, im Plenum des Deutschen Bundestages und im Dialog mit den Experten des Deutschen Ethikrates diskutiert werden. Ich halte die direkten Möglichkeiten der Kommunikation zum Deutschen Ethikrat für die bessere Variante als die verengte Kommunikation über ein zusätzliches Gremium wie den Ethikbeirat. Daher begrüße ich es ausdrücklich, dass der Deutsche Ethikrat angekündigt hat, in regelmäßigen Abständen parlamentarische Abende und andere thematische Veranstaltungen zu organisieren, um mit den Abgeordneten ins Gespräch zu kommen. Der erste parlamentarische Abend im März dieses Jahres war bereits ein voller Erfolg. Die Vielzahl der anwesenden Mitglieder des Deutschen Bundestages hat deutlich gezeigt, wie groß das Interesse der Politiker am direkten Kontakt mit den Sachverständigen ist. Die Mitglieder des Deutschen Ethikrates diskutierten mit den Abgeordneten über die von ihm abgegebenen Stellungnahmen und informierten über weitere Vorhaben. Darüber hinaus boten sie an, die Abgeordneten auch durch persönliche Stellungnahmen in den jeweiligen Ausschüssen zu unterstützen. Die Diskussion mit den Mitgliedern des Ethikrates in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages und auf parlamentarischen Abenden oder auf anderen Veranstaltungen des Deutschen Ethikrates halte ich für den zweckmäßigeren Weg, um die Arbeit des Deutschen Ethikrates parlamentarisch zu begleiten und ethische Fragestellungen im politischen Prozess zu berücksichtigen. Ich stelle fest, dass sich der Ethikbeirat nicht bewährt hat. Es ist legitim, Gremien, die ihre Aufgabe nicht erfüllen konnten, nicht wieder einzusetzen. Gerade in diesem Fall gibt es bessere Wege, um die parlamentarische Begleitung ethischer Fragestellungen sicher zu stellen. Die Nichtwiedereinsetzung des Ethikbeirates verbindet aus meiner Sicht höchstmögliche Durchlässigkeit der beiderseitigen Kommunikation mit der Entbürokratisierung des parlamentarischen Betriebes und spart finanzielle Mittel in Zeiten knapper Haushaltskassen ein, die zum Betrieb des Ethikbeirates notwendig wären. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich daher dem Antrag auf eine Wiedereinsetzung des Ethikbeirates aus guten Gründen nicht anschließen. Rudolf Henke (CDU/CSU): Im Zuge des raschen Fortschritts und wachsender Möglichkeiten in der medizinischen Forschung gibt es ständig neue Therapieansätze und Diagnoseverfahren, die Heilung von bisher nicht oder nur begrenzt heilbaren Erkrankungen ermöglichen oder zumindest in Aussicht stellen. Manche dieser Entwicklungen werfen ethische, gesellschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische und rechtliche Fragen nach den voraussichtlichen Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft auf, die sich im Zusammenhang mit der Forschung und den Entwicklungen im Bereich der Lebenswissenschaften und ihrer Anwendung auf den Menschen ergeben. Uns allen ist die Spannung zwischen Stammzellforschung und Embryonenschutz präsent. Solche Fragen berühren unser Verständnis von Gesundheit, Krankheit, Behinderung sowie unsere verfassungsrechtliche Verantwortung für den Schutz der Würde des Menschen. Hier handelt es sich um einen vielfältigen Themenkreis, der zum Beispiel die Möglichkeiten und Grenzen der Medizin an der Schwelle zwischen Leben und Tod, der Organspende, die Frage des Verhältnisses von Aufwand und Erfolg einzelner Behandlungen auch im Blick auf die Kosten und damit einhergehend die Verteilung von Gesundheitsgütern oder auch Rechte und Pflichten beim Impfen berührt. Das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs zum Abbruch künstlicher Ernährung während eines Wachkomas erinnert uns aktuell an die Tragweite und Schwierigkeit derartiger Fragen. Es ist notwendig, dass diese Themen, die unsere ethische Haltung zu Gesundheit, Krankheit und Behinderung berühren, von Abgeordneten des Deutschen Bundestages wahrgenommen und thematisiert werden. Begleitet und beraten werden wir seit 2007 bei der Bearbeitung und Erörterung solcher Fragen vom Deutschen Ethikrat. Dieses Gremium, das bewusst ohne Mitglieder aus dem Kreis der Abgeordneten eingerichtet wurde, hat die Aufgabe, dem gesamten Parlament in aktuellen Fragen der Lebenswissenschaften zur Verfügung zu stehen. Unsere Fraktion ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es dafür keiner weiteren parlamentarischen Institution bedarf, die eine Art "Scharnierfunktion" innehätte, indem sie etwa aktuelle bio- und medizinethische Themen sammelt, um sie dann an den Deutschen Ethikrat weiterzuleiten. Ich denke, dass die Möglichkeiten eines solchen Beirats von manchen seiner Befürworter überschätzt werden. Im Unterschied dazu brauchen wir einen direkten Dialog zwischen den Mitgliedern des Deutschen Ethikrats und dem Parlament. Hierfür ist aber keine "Vorinstanz" nötig. Unser Bundestagspräsident Norbert Lammert hat einmal gesagt, dass wir - alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages - kein Interesse daran haben können, dass der Eindruck entsteht, es gäbe im Parlament nur eine kleine Anzahl von Ethikexperten, aber der große Rest sei bei ethischen Fragen entweder nicht interessiert oder indifferent. Ein Parlamentarischer Beirat erweckt jedoch genau diesen Eindruck, da nur eine begrenzte Anzahl von Abgeordneten aller Fraktionen in diesem Gremium zusammenarbeiten würden. Es gibt, wie schon erwähnt, eine Vielzahl von ethischen Themen, die wir in diesem Hause aufgreifen und bearbeiten müssen. In der Vergangenheit wurde deutlich, dass die Mehrzahl der Themen aufgrund ihrer hohen Komplexität in die Zuständigkeit mehrerer Fachausschüsse fallen. Daher ist eine fachliche Befassung und eine intensive ressortübergreifende Bearbeitung im gesamten Deutschen Bundestag statt in geschlossenen Zirkeln erforderlich. Somit ist es sinnvoll, den Kontakt und die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Ethikrat zu intensivieren, sozusagen den Ethikrat auf direktem Wege anzusprechen. Mit dem Gesetz zur Einrichtung des Deutschen Ethikrates hat der Deutsche Bundestag festgelegt, dass das Parlament aus sich heraus den Ethikrat um Stellungnahmen bitten kann. In ethischen Fragen sind wir alle in diesem Parlament dazu verpflichtet und dafür verantwortlich, sich gewissenhaft und sehr genau abwägend mit jedem einzelnen Thema zu befassen. Zur Gewissensbildung können wir die Stellungnahmen und Empfehlungen des Deutschen Ethikrates heranziehen. Unser Urteil müssen wir jedoch auf Grundlage unserer eigenen ethischen und moralischen Vorstellungen und Wertungen bilden. René Röspel (SPD): Synthetische Biologie, Nanobiotechnologie, die Grenzen der Sterbehilfe oder die Nutzung knapper Ressourcen im Gesundheits- und Pflegewesen - durch Fortschritte insbesondere im Bereich der modernen Lebenswissenschaften werden wir als Gesellschaft und als Politik seit Jahren vor alte wie neue ethische Herausforderungen gestellt. Das wohl bekannteste Beispiel für diese Entwicklung ist die jahrelange Debatte über die Chancen und Grenzen der Forschung an und mit menschlichen embryonalen Stammzellen. Diese Probleme und Herausforderungen muss ein technikbegleitendes und -gestaltendes Parlament in gesetzgeberisches Handeln übersetzen. Wir legen heute in erster Lesung dem Deutschen Bundestag den unterschriftenstärksten Gruppenantrag in der Geschichte unseres Parlaments zur Beratung vor. 241 Abgeordnete haben mit ihrer Unterschrift diesen Antrag unterzeichnet. Dies ist ein starkes Signal für eine aktive Rolle des Parlaments in den kommenden Beratungen über ethische Herausforderungen insbesondere in den Lebenswissenschaften. Mit der Ersetzung des vom Bundeskabinett von Kanzler Gerhard Schröder eingesetzten Nationalen Ethikrates durch einen Deutschen Ethikrat hat die damalige Koalition von SPD und CDU/CSU im Jahr 2007 einen guten Schritt getan, um die Legitimation des Ethikrates auszuweiten und gesetzlich festzuschreiben. Dies war ein richtiger Schritt, um die Beratungstätigkeit des Ethikrates zu verstetigen. Heute ist der Deutsche Ethikrat das auch international sichtbarste biomedizinische und bioethische Beratungsgremium in Deutschland. Wir als SPD haben uns damals immer dafür eingesetzt, dass der Ethikrat als Beratungsgremium parlamentarisch angebunden sein muss, wenn seine Empfehlungen in politische Beratungen und - gegebenenfalls - politisches Handeln einfließen sollen. Daher haben wir uns als Mitglieder der SPD-Fraktion - gegen Widerstände vonseiten der CDU und CSU - für einen Ethikbeirat eingesetzt und tun dies auch heute. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Gruppenantrages setzen sich für einen Ethikbeirat ein, der stärker als in der vergangenen Legislaturperiode auch eigene inhaltliche Akzente setzen kann. In der vergangenen Wahlperiode hat der Ethikbeirat leider auf Wunsch der Fraktion von CDU und CSU nur ein begrenztes - und in Teilen unklares - Mandat erhalten. Wir korrigieren mit dem vorliegenden Gruppenantrag die - damals von Unionsseite gewollten - Defizite des "alten" Ethikbeirates. Hierbei knüpfen wir ausdrücklich auch an den Antrag der Fraktion der FDP an, die im November 2006 einen Antrag zur "Einrichtung eines Parlamentarischen Beirates für Bio- und Medizinethik" in die Beratungen eingebracht hatte. Warum sich trotzdem bisher aus der Fraktion der FDP fast keine Abgeordnete bzw. kein Abgeordneter unserer Gruppeninitiative angeschlossen hat, ist mir nicht verständlich. Ich kann mir dies nur damit erklären, dass CDU und CSU unter Verweis auf die Koalitionsvereinbarung viele der Mitglieder der FDP-Fraktion von einer Unterstützung abgehalten haben. Dabei hatte der FDP-Abgeordnete Michael Kauch am 9. November 2006 im Bundestag noch richtigerweise festgestellt: "Ohne parlamentarische Begleitung bleibt der Ethikrat aber ein Torso." Genau dies wollen wir mit unserem Antrag verhindern. Der Ethikbeirat soll sich - wie schon in der vergangenen Legislaturperiode erfolgreich praktiziert - regelmäßig mit dem Ethikrat und seinen Mitgliedern austauschen. So können wir sicherstellen, dass das Parlament über den Fortgang der Beratungen im Ethikrat regelmäßig informiert wird und nicht erst nach der Veröffentlichung von Stellungnahmen über kommende Fragestellungen in Kenntnis gesetzt wird. Gleichzeitig können der Ethikbeirat und seine Mitglieder dem Deutschen Ethikrat signalisieren, welche Themen aus Sicht des Parlaments eine besondere Relevanz hätten. Auch eine Tendenz, wie bestimmte Regelungsvorschläge im parlamentarischen Umfeld aufgenommen werden würden, ließe sich durch einen regelmäßigen Austausch zwischen Deutschem Ethikrat und Beirat zumindest andeuten. Der Ethikrat hätte dann die Möglichkeit, in seinen Stellungnahmen bestimmte Fragen oder Punkte, die von besonderem Interesse für die interessierten Mitglieder des Bundestages sind, noch ausführlicher darzustellen, was sich positiv auf die politische Anschlussfähigkeit der Stellungnahmen auswirken dürfte. Zur Verbreiterung der Ethikdebatte im Parlament sieht unser Antrag auch vor, die Zahl der Mitglieder des Ethikbeirates auf 18 zu erhöhen. So ist möglich, dass sich mehr Mitglieder des Bundestages über ihre Mitarbeit im Ethikbeirat über ethische Problemfragen austauschen und informieren und Themen in die parlamentarische Beratung tragen. An Themen wird es weder Ethikbeirat noch dem Deutschen Ethikrat mangeln. Trotz der offenkundigen positiven Rückwirkungen für die Ethikdebatte in Deutschland haben Vertreter der CDU/CSU den Gruppenantrag bereits öffentlich abgelehnt. Das finde ich bedauerlich. Die hierbei verwendeten Argumente sind jedoch nicht stichhaltig. Nachgerade absurd ist insbesondere das Argument, dass in Zeiten der Kostensenkung ein Ethikbeirat eine vermeidbare finanzielle Belastung darstelle. Als ob die Informationsmöglichkeiten des Parlaments der erste Punkt sind, bei dem man finanzpolitisch - nach Steuergeschenken für Hoteliers - das Sparen beginnen sollte. Auch die Möglichkeit, dass die Berichterstatterinnen und Berichterstatter im Forschungsausschuss den Gesprächsfaden zum Ethikrat aufrechterhalten sollen, ist ein nicht tragfähiger Vorschlag, wie schon der Blick auf die aktuellen Themen des Ethikrates zeigt. So fallen die Grenzen der Chimären- und Hybridbildung sicher (auch) in die Kompetenz des Forschungsausschusses. Bei Fragen der Sterbehilfe, der Selbstbestimmung und Demenz oder der Intersexualität sieht dies jedoch schon ganz anders aus. Genau deswegen braucht der Bundestag ein Gremium, welches sich gezielt mit ethischen Streitfeldern und Problemen auseinandersetzt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die vom Ethikrat diskutierten Themen zwischen die Schnittstellen der Bundestagsausschüsse fallen. Dieser Ethikbeirat kann und soll nicht nur als Gesprächspartner für den Deutschen Ethikrat fungieren, sondern auch Kontaktmöglichkeiten für Verbände, Interessengruppen und interessierte Bürgerinnen und Bürger bieten. Er ist - dies muss man immer wieder betonen - kein Gegengremium zum Deutschen Ethikrat, sondern er ergänzt die Institution Ethikrat wirksam und sinnvoll. Wie die Erfahrung der letzten Legislaturperiode zeigt, sehen dies auch die Mitglieder des Ethikrates so. Bei einer Ablehnung des nun vorliegenden Einsetzungsantrages besteht eine Gefahr, die auch von Mitgliedern des Deutschen Ethikrates gesehen wird: dass die Arbeit des Ethikrates im politischen "Nirwana" endet und die meist mühevoll erarbeiteten Stellungnahmen ad acta gelegt werden, sobald sie gedruckt wurden. Dies wäre dann eine echte Verschwendung von Steuergeldern, die doch offenkundig von Mitgliedern der Fraktion von CDU und CSU vermieden werden soll. Dass die enge Verbindung von ethischer Expertenin-stitution und Parlament zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit führen kann, zeigt das Beispiel Dänemark. Als ein seit 1987 bestehendes Beratungsgremium hat der Dänische Ethikrat über die Jahre viel Lob für seine Arbeit erhalten. Ein wichtiger struktureller Bestandteil der Arbeit des Dänischen Ethikrates war und ist das parlamentarische Begleitgremium, welches die Tätigkeit des Rates begleitet. Dieser dänische "Ethikbeirat" - wenn man ihn so nennen darf - beeinflusst sogar die Besetzung des Dänischen Ethikrates. Man kann daher sagen, dass ein Baustein der erfolgreichen Arbeit des Dänischen Ethikrates die enge Verbindung zum Parlament ist. Von diesem erfolgreichen Beispiel wollen wir lernen. Für die "alternativen Vorschläge" zur Vernetzung von Parlament und Ethikrat - wie sie etwa der Unionsabgeordnete Dr. Thomas Feist in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 18. Mai 2010 präsentiert hat - gibt es hingegen keine erfolgreichen internationalen Vorbilder oder Beispiele. Solche Vorschläge lassen demokratische Legitimation und gewohnte Transparenz vermissen. Der Bundestag benötigt "ein parlamentarisches Gegenüber, wenn der Gesetzgeber seine eigene bioethische Kompetenz nicht weiter auslagern und relativieren will" - diese Feststellung stammt nicht von einer Abgeordneten oder einem Abgeordneten, der den Gruppenantrag unterzeichnet hat; diese Feststellung stammt von Mechthild Löhr, der Bundesvorsitzenden der Christdemokraten für das Leben. Es ist mir vollkommen unverständlich, warum offenkundig gerade die Fraktion von CDU und CSU ihren Mitgliedern untersagt hat, den Gruppenantrag mit zu unterzeichnen. Stattdessen scheint die Unionsfraktionsführung darauf zu drängen, dass in der Schlussabstimmung die Koalitionsfraktionen den Gruppenantrag geschlossen ablehnen. Wir fordern Sie auf: Beenden Sie diese koalitionstaktischen Spielchen und geben Sie die Abstimmung über den vorliegenden Gruppenantrag frei! Spätestens wenn im Bundestag die nächste Stammzell- oder Sterbehilfedebatte ansteht, werden Sie sehen, dass der Ethikbeirat ein wichtiges und sinnvolles Gremium ist. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Der Parlamentarische Ethikbeirat der 16. Legislatur konstituierte sich am 23. April 2008. Die grundlegende Aufgabe sollte sein, das Parlament in ethischen Fragen zu unterstützen und die Arbeit an solchen Fragestellungen zu begleiten. Der Beirat sollte somit ein parlamentarisches Begleitgremium, eine "Scharnierstelle" zwischen dem Deutschen Ethikrat und dem Parlament sein. Heute debattieren wir über einen Antrag zur erneuten Einrichtung eines Parlamentarischen Beirates zu Fragen der Ethik in der 17. Wahlperiode. Doch bevor ein solches Gremium erneut wieder aufersteht, lohnt es sich, kritisch auf die Ergebnisse und Arbeitsweisen des Beirates der letzten Legislatur zu schauen. Die Unterrichtung vom Juli 2009 durch den Parlamentarischen Beirat zu Fragen der Ethik insbesondere in den Lebenswissenschaften, Bundestagsdrucksache 16/13780, lässt einige interessante Rückschlüsse zu. So heißt es im dritten Abschnitt zum Selbstverständnis und zur Arbeitsweise des Ethikbeirats: "Selbstverständnis und die Arbeitsweise des Ethikbeirates sind jedoch noch nicht abschließend geklärt." Das Gleiche gilt für das Selbstbefassungsrecht. Dies blieb ebenfalls ungeklärt. Inhaltliche Beschlüsse und Empfehlungen zu Berichten des Ethikrats zu fassen, fällt auch nicht in das Aufgabengebiet des Ethikbeirates. Anhörungen fanden mangels Selbstbefassungsrecht auch nicht statt. Das alles ist außerordentlich bedenklich. Wozu soll dieser Beirat nun eigentlich dienen? In einer bunten Runde Themen zu besprechen, die als relevant identifiziert worden waren, ist sicher nicht verkehrt. Aber wo bleibt das Ziel? Meine sehr geehrten Damen und Herren, seien Sie doch mal ganz ehrlich: Für das, was in den letzten Jahren im Ethikbeirat besprochen worden ist, braucht es da die gesamte Maschinerie eines parlamentarischen Beirates? Eine weitere Bühne für bereits geführte Fachdiskussionen brauchen wir nicht. In den Ausschüssen wird demnächst eine Verständigung darüber erfolgen, inwieweit es einer Moderation zwischen dem Deutschen Bundestag und dem Deutschen Ethikrat bedarf oder ob nicht andere Formen der Zusammenarbeit effektiver und in der Sache zielführender sind. Wir dürfen nicht vergessen: Der Deutsche Ethikrat in seiner heutigen Form hat eine demokratische Legitimation! Das Parlament hat mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Einrichtung des Deutschen Ethikrats, Ethikratgesetz - EthRG; Bundestagsdrucksache 16/2856 - klar erkennen lassen, dass es kein Parallelgremium braucht, denn der Ethikrat besetzt den Platz eines Beratungsgremiums für das Parlament. Es hat sich seither gezeigt, dass der Deutsche Ethikrat kein Expertengremium ist, das hinter verschlossenen Türen tagt. Vielmehr hat er sich in seiner Arbeit durch Transparenz und öffentliche Berichterstattung ausgezeichnet. Das wollen wir auch weiter unterstützen. Grundsätzlich muss klar sein: Es geht nicht um die Verdrängung von ethischen Fragestellungen aus dem politischen Bewusstsein. Vielmehr müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Arbeit in diesem Bereich neu strukturieren und moderieren und die Arbeit des Parlaments stärken. Das kann auch in der Form des direkten Dialogs miteinander innerhalb politischer Prozesse stattfinden, ohne ein neues festes Gremium einzurichten. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Der vorliegende Antrag zur erneuten Einsetzung eines Ethikbeirates findet meine Unterstützung. Dafür sprechen eine ganze Reihe von Gründen. Das Hauptargument ergibt sich aus konkreter parlamentarischer Erfahrung meiner Mitarbeit im letzten Ethikbeirat. Nachdem sich in der vergangenen Legislaturperiode keine Mehrheit für die Einrichtung eines Ethikkomitees des Bundestages fand, wurde die Einsetzung eines Ethikbeirates beschlossen. Dieser hat nun entgegen mancher Erwartung erfolgreich die Arbeit des Deutschen Ethikrates begleiten können. Der Deutsche Ethikrat, eingesetzt von Bundestag und Bundesregierung, greift als reines Sachverständigengremium lebenswissenschaftliche Themen auf. Der Ethikbeirat des Bundestages, besetzt mit Abgeordneten, die allerdings auch nicht ohne Sachverstand arbeiten, wurde mit keinen eigenen inhaltlichen Kompetenzen ausgestattet. Er fungierte als Schnittstelle zwischen Deutschem Ethikrat und gesellschaftlicher Öffentlichkeit. Er hat daher zum einen die parlamentarische Relevanz von in Politik und Gesellschaft diskutierten Ethikthemen ausgelotet. Zum anderen hat er Themen aufgegriffen, die im Deutschen Ethikrat bearbeitet wurden. So hat er die ethischen, sozialen und rechtlichen Auswirkungen der Chimärenbildung, der synthetischen Biologie, der Nanomedizin, der Angebote anonymer Kindesabgabe oder auch den gesetzlichen Regelungsbedarf für Biobanken erörtert, auch dies mit dem Ziel, zu klären, ob parlamentarischer Handlungsbedarf erwächst. Meiner Erfahrung nach ist es sinnvoll, den Ethikbeirat wieder einzusetzen, weil es dann auf parlamentarischer Ebene einen konkreten Ansprechpartner für eine Vielzahl von Interessengruppen und für den Deutschen Ethikrat gibt. Viele Themenstellungen erweisen sich nämlich in ihrer ethischen Relevanz als klassische Querschnittsthemen. Es ist zumeist erst nach näherer Betrachtung auszumachen, ob und welche Ausschüsse des Deutschen Bundestages in die Diskussion einzubinden sind, erst recht wenn sich Verknüpfungen zu aktuellen Gesetzgebungsverfahren ableiten. Nicht jeder bzw. jedem Interessierten, jeder bzw. jedem Wissenschaftler oder jeder Institution sind die parlamentarischen Gremien in ihrer inhaltlichen Zuständigkeit, Arbeitsteilung und institutionellen Platzierung bekannt. Auch in diesen Zusammenhängen kann der Ethikbeirat hilfreiche Mittlerfunktion hinein in den Bundestag übernehmen. Er soll auch in Zukunft als Begleitgremium ausgestaltet, aber kein eigenständiger Ausschuss werden. Er soll den Ausschüssen weder in deren inhaltlichen Arbeit vor- noch in deren Kompetenzen eingreifen. In Auswertung der Erfahrungen aus seiner Tätigkeit in der letzten Legislaturperiode enthält der Antrag dennoch Vorschläge, die Arbeit des Beirates zu qualifizieren und verbindlicher zu gestalten. Ich halte das für sinnvoll. Ethische Fragen der Lebenswissenschaften stellen sich mit wissenschaftlichem Fortschritt, vor dem Hintergrund der Globalisierung, der Erweiterung des Kanons von Wertekonzepten und erfolgter oder sich anbahnender Veränderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen nicht immer gänzlich neu, aber sehr wohl mit neuen, zusätzlichen Problemstellungen. Einmal getroffene Entscheidungen sind also durchaus nicht für die Ewigkeit, sondern bedürfen wiederholter Prüfungen, ob sie als Reaktionen, ob sie als Antworten noch akzeptabel sind oder ob die aktualisierte Datenbasis nicht längst Änderungen bzw. Anpassungen erfordert. Der Ethikbeirat sollte beispielsweise als Vorbereitungsgremium mit den Ausschüssen gemeinsam prüfen, ob dem Deutschen Ethikrat Themen zur Befassung anheimgestellt werden sollten. Dass sich sowohl der Präsident des Deutschen Bundestages, Herr Dr. Lammert, als auch Mitglieder des Deutschen Ethikrates und Vertreter der Kirchen positiv eingestellt auf eine Neueinsetzung des Ethikbeirates gezeigt haben, betrachte ich als weitere Gründe, sich im Bundestag ernsthaft und interfraktionell mit diesem Einsetzungsantrag auseinanderzusetzen. Auf der konstituierenden Sitzung des Ethikbeirates am 23. April 2008 führte der Präsident des Bundestages aus, dass man sich vom Deutschen Ethikrat notwendige Informationen für die parlamentarische Arbeit verspreche und dass dessen sachverständige Mitglieder am gesellschaftlichen Diskurs mitwirkten. Dieser Diskurs solle dann auch in die parlamentarische Arbeit einbezogen werden. Die wichtigste Aufgabe, so der Bundestagspräsident weiter, sei es, den Deutschen Ethikrat parlamentarisch zu begleiten sowie ethische Sachkompetenz und parlamentarische Arbeit miteinander zu verbinden. In diesem Sinne hoffe ich auf vielfältige Unterstützung und spätere Zustimmung zum Antrag auf Einsetzung eines Ethikbeirates des Deutschen Bundestages. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 241 Unterzeichner dieses Antrags aus vier Fraktionen machen es überdeutlich: Die Wiedereinsetzung des parlamentarischen Ethikbeirats ist längst überfällig und findet zahlreiche Unterstützung, nicht nur bei Parlamentariern, sondern auch unter anderen beim Präsident der Bundesärztekammer, bei Mitgliedern des Deutschen Ethikrates und Vertretern der Kirchen. Fragestellungen der Bioethik brauchen einen umfassenden gesellschaftlichen und politischen Diskurs. Die Themenfelder sind komplex und berühren in besonderem Maße die ethischen Wertvorstellungen unserer Gesellschaft; gerade deshalb ist ein intensiver Austausch zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik nötig. Das bedeutet auch, dass es nicht ausreicht, ein externes Beratungsgremium wie den Deutschen Ethikbeirat einzusetzen, ohne gleichzeitig einen Ansprechpartner im Parlament zu verankern. Wir brauchen für die Gewährleistung von parlamentarischer Kompetenz und Sensibilität ein eigenes fachkompetentes Dialogforum und dürfen Aufgabenbereiche nicht vollständig an ein außerparlamentarisches Gremium delegieren. Mit der Einsetzung des Deutschen Ethikrates in der 16. Wahlperiode als Nachfolger des Nationalen Ethikrates wurde das Gremium durch den Parlamentarischen Beirat zu Fragen der Ethik ergänzt. Doch seit Beginn der neuen Legislaturperiode im September 2009 blockiert Schwarz-Gelb die erneute Einsetzung des parlamentarischen Gremiums, das eine wichtige Scharnierfunktion übernommen hat und durch die Ausweitung der Kompetenzen, wie es dieser Antrag vorsieht, weiter gestärkt würde. Lassen Sie mich eines zunächst erwähnen, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich schätze die Arbeit des Deutschen Ethikrates sehr und sehe die Einsetzung eines parlamentarischen Beirats in keiner Weise als Konkurrenz. Es geht und ging nie darum, ein Gegengremium oder Parallelstrukturen aufzubauen. Nein, der parlamentarische Ethikbeirat hat seine eigene Bedeutung und Legitimation. Der Deutsche Ethikrat braucht einen Ansprechpartner im Bundestag; dafür ist der parlamentarische Beirat das adäquate Gremium. Um Politikberatung erfolgreich zu machen, muss es Abgeordnete geben, die - auch aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Beirat - Themen und Empfehlungen aufarbeiten und in die Fraktionsdebatten einbringen. Dies hat auch der Bericht über die Tätigkeit des Beirats deutlich gemacht: Wir brauchen die Scharnierfunktion zwischen externem Ethikrat und Parlament, um zu verhindern, dass wichtige ethische Fragestellungen nicht im Alltagsgeschäft untergehen. Die Arbeit des parlamentarischen Beirats hat in den zwei Jahren seiner Existenz Positives geleistet und die Debatte bereichert. Um Themen zu identifizieren, hat sich der Beirat auch mit inhaltlichen Fragestellungen befasst und Expertengespräche beispielsweise zu Nanotechnologie, Chimären- bzw. Hybridbildung und synthetischer Biologie durchgeführt. Letztgenannter Forschungsbereich, synthetische Biologie, wurde durch den Beirat neu aufgegriffen und damit in seiner Bedeutung gestärkt. Im Anschluss daran wurde im Juli 2009 das Büro für Technikfolgenabschätzung beauftragt, eine Stellungnahme zu den Entwicklungen in der synthetischen Biologie unter Einbeziehung der Aktivitäten auf europäischer und internationaler Ebene vorzubereiten. Dennoch haben wir Grünen von Anfang an kritisiert, dass der Beirat nicht über ausreichende Kompetenzen verfügt und sich die Arbeitsweise nur teilweise bewährt hat. Die Zusammenarbeit zwischen Ethikbeirat und Deutschem Ethikrat kann sich nicht weiterhin darauf beschränken, Stellungnahmen und Berichte entgegenzunehmen, sich aber selbst nicht inhaltlich äußern zu dürfen und Empfehlungen zu erarbeiten. Aus diesem Grund fordern wir in diesem Antrag zusätzliche Kompetenzen, damit der Deutsche Bundestag selbstbewusst und in eigenständiger Rolle Positionen aufbereiten kann. Der Beirat soll sich in Zukunft auf dem Wege der Selbstbefassung Schwerpunkte geben können, Empfehlungen vorlegen und Anhörungen durchführen sowie inhaltliche Beschlüsse fassen können. Ethische Fragestellungen gehören in die Mitte des Parlaments und dürfen nicht komplett ausgelagert werden. Durch Abstimmung und Kooperation mit dem Deutschen Ethikrat würden auch weiterhin keine Doppelstrukturen entstehen. Die Einsetzung eines parlamentarischen Ethikbeirates ist dringend geboten. Warum sich die Damen und Herren der CDU/CSU-Fraktion dagegen so zur Wehr setzen, ist mir nicht verständlich. Herr Kollege Feist hat in der FAZ kritisiert, es käme zu einem "Flaschenhals", wenn ethische Themen auf den Beirat beschränkt blieben. Ich möchten Ihnen entgegnen, dass die Einladung des Ethikrates in den Forschungsausschuss und zu parlamentarischen Abenden keine kontinuierliche Behandlung von bioethischen Themen in einem dafür zuständigen Gremium ersetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP, geben Sie sich einen Ruck; stimmen Sie diesem Antrag zu und lassen Sie uns dann im Ethikbeirat konstruktiv zusammenarbeiten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/1806 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Unterstützung für Alleinerziehende verbessern - Drucksache 17/2330 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dorothee Bär, Nadine Müller, Christel Humme, Miriam Gruß, Jörn Wunderlich und Katja Dörner. Dorothee Bär (CDU/CSU): Wir debattieren heute über einen Antrag, von dem die Antragsteller selbst zugestehen, dass er in der Mehrzahl Forderungen an die Bundesregierung enthält, an deren Umsetzung ohnehin bereits seit längerem gearbeitet wird. Die Bundesregierung ist nicht tatenlos geblieben. Alleinerziehende sind in unserer Gesellschaft längst keine Randgruppe mehr. Fast jede fünfte Familie in Deutschland ist alleinerziehend; über 2 Millionen minderjährige Kinder leben bei ihren alleinerziehenden Müttern oder Vätern. Obwohl der Wunsch alleinerziehender Eltern nach wirtschaftlicher Selbstständigkeit groß ist und die meisten gerne erwerbstätig wären, reichen die vorhandenen Rahmenbedingungen häufig nicht aus, um Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. 41 Prozent der Alleinerziehenden - das sind über 600 000 Eltern mit 1 Million Kindern - erhalten Leistungen nach dem SGB II. Es mangelt an Plätzen in Kindertagesstätten und Ganztagsschulen sowie an familienfreundlichen Arbeitszeiten. Daher war und ist es richtig, dass Alleinerziehende die besondere Unterstützung der Gesellschaft benötigen und auch bekommen müssen. Bereits in der letzten Legislaturperiode hat die von CDU/CSU geführte Bundesregierung neue Handlungskonzepte zur Unterstützung Alleinerziehender entwickelt, die jetzt auch im Antrag der Grünen eingefordert werden: Alleinerziehende benötigen finanzielle Unterstützung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Mit der Einführung des Elterngeldes, der Weiterentwicklung des Kinderzuschlags, der Anhebung des Kindergeldes und der Einführung des Schulbedarfspakets wurde Erhebliches zur Armutsvermeidung von Alleinerziehenden geleistet. Im Koalitionsvertrag haben Union und FDP zudem vereinbart, den Unterhaltsvorschuss künftig bis zum 14. Lebensjahr des Kindes zu zahlen. Alleinerziehende benötigen Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben. Um sie in die Lage zu versetzen, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, hat das Familienministerium vor gut einem Jahr das Modellprojekt "Vereinbarkeit für Alleinerziehende" aufgelegt. Bis März 2010 sind an 12 Pilotstandorten die Angebote der Arbeitsagenturen und Grundsicherungsstellen mit der bestehenden Infrastruktur vor Ort verzahnt worden. Es entstanden wirksame Netzwerke aus Beratung und praktischer Hilfe vor Ort - von einem abgestimmten Angebot an Kinderbetreuung bis zur zielgenauen Qualifizierung und Beschäftigung, die Alleinerziehende in die Lage versetzten, sich aus dem Transferbezug zu befreien. Die Pilotprojekte wurden unterstützt von den Lokalen Bündnissen für Familie und sollen jetzt in die Breite getragen werden. Darüber hinaus hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen angekündigt, dass sie dafür Sorge tragen wird, dass in den Jobcentern der Blickwinkel auf Alleinerziehende verändert wird. Jobcenter sollen Alleinerziehende nicht länger als schwer vermittelbar ansehen, sondern aktiv mithelfen, ihnen konsequent alle Hürden aus dem Weg zu räumen, die einer Erwerbstätigkeit im Wege stehen. Eine gute Kinderbetreuung zu organisieren und mit den Arbeitgebern flexible und damit familiengerechte Arbeitsbedingungen aushandeln, ist keine fami-lienpolitische Schwärmerei, sondern handfeste zukunftsweisende Arbeitsmarktpolitik. Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit bleibt für Alleinerziehende eine Leerformel ohne ausreichende und qualitativ hochwertige Angebote der Kinderbetreuung. Durch bevorzugte Berücksichtigung von Alleinerziehenden bei der Platzvergabe wird diesem Anliegen Rechnung getragen. Der geplante Rechtsanspruch ab 2013 beschränkt sich nicht auf halbtägige Betreuung. Der Umfang der täglichen Unterstützung richtet sich nach dem individuellen Bedarf - und der liegt bei Alleinerziehenden natürlich höher als bei anderen Familien. Auch mit der Forderung nach Qualitätsverbesserung der Kinderbetreuung tragen die Grünen mit ihrem Antrag Eulen nach Athen: Die Bundesregierung unterstützt die für die Aus- und Fortbildung verantwortlichen Bundesländer in ihrem Bemühen, die Qualität in der Kinderbetreuung kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu verbessern. Der Bund beteiligt sich daher nicht nur an den Ausbaukosten für die Betreuungsplätze, sondern auch an den Betriebskosten. Hierzu zählen auch Kosten für zusätzlich erforderlich werdendes Personal. Bund und Länder haben bereits 2008 einen Qualifizierungspakt für Fachkräfte in der Betreuung von Kindern unter drei Jahren beschlossen. Seither wurde einiges erreicht: Seit 2009 ist die Aufstiegsfortbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher bundesweit staatlich förderfähig. Für pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen wurden Programme für die Fort- und Weiterbildung entwickelt. Über das Bundesbildungsministerium wird die Medienqualifizierung der Erzieher gefördert; das BMFSFJ plant ein Programm zur Erhöhung der Anzahl männlicher Fachkräfte in Kitas. Es gibt das Aktionsprogramm Kindertagespflege, mit dem Tagespflegepersonen gewonnen werden sollen. Diesen Forderungen der Grünen können wir also nicht nur zustimmen. Wir setzen sie bereits mit unseren eigenen familienpolitischen Konzepten um. Ablehnen werden wir dagegen die weiteren Vorschläge, die keineswegs primär den Alleinerziehenden nützen. Wir lehnen es ab, das Ehegattensplitting abzuschaffen, da es - anders als es im Antrag behauptet wird - sehr wohl zu einer Förderung von Familien führt. Das Zerrbild der kinderlosen Millionärsgattin, die es sich auf Steuerzahlers Kosten gut gehen lässt, spiegelt ja nun wirklich nicht den Regelfall wider. Ebenfalls ablehnen werden wir die Forderung, die Ankündigung des Betreuungsgeldes aus dem SGB VIII zu streichen, das BAföG durch eine Kinderkomponente zu ergänzen und eine Kindergrundsicherung einzuführen. Auch bleibt es bei der im Sparpaket vorgesehenen künftigen Anrechnung des Elterngeldes auf SGB-II-Leistungen. Diese Verrechnung des Elterngeldes bei Langzeitarbeitslosen ist uns nicht leicht gefallen. Aber dieser Schritt ist vertretbar, weil der Lebensunterhalt von Langzeitarbeitslosen und ihren Kindern vollständig vom Staat finanziert wird. Zudem werden wir an anderer Stelle das Geld gezielter in bessere Bildungschancen für diese Kinder investieren. Weil Alleinerziehende den Alltag mit ihren Kindern alleine meistern müssen und sie bei Haushaltsführung, Kindererziehung und Sicherung des finanziellen Einkommens viel stärker gefordert sind als Elternpaare, haben CSU und CDU sie mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket unterstützt und bereits konkrete Hilfen angestoßen. Ich freue mich, dass wir als Familienpolitiker der Regierungskoalition dafür auch Unterstützung aus der Opposition zu erfahren scheinen. Nadine Müller (St. Wendel) (CDU/CSU): Wir diskutieren heute den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel: "Unterstützung für Alleinerziehende verbessern". Das Thema ist ein wichtiges. Sie wissen, dass es der CDU/CSU-Fraktion und insbesondere den Familienpolitikerinnen und Familienpolitikern ein besonderes Anliegen ist, diejenigen zu unterstützen, die Kinder erziehen und somit für die Zukunft unserer Gesellschaft einen wichtigen Beitrag leisten. Das gilt für Familien, das gilt aber selbstverständlich auch für diejenigen, die diese Verantwortung - ob gewollt oder ungewollt - alleine übernehmen. Das sind die Alleinerziehenden. Die Unterstützung für diejenigen zu verbessern, das halte ich für ein wichtiges Anliegen, das Sie in Ihrem Antrag formulieren. Und auch das formuliert der Antrag völlig richtig: Alleinerziehende haben einen besonders schweren Stand in unserer Gesellschaft - und das aus einer ganzen Reihe von Gründen. Signifikante Zahlen dazu findet man im jüngst erschienenen Familienbericht des Familienministeriums. Demnach sind von den 8,4 Millionen Familien mit Kindern unter 18 Jahren 1,6 Millionen alleinerziehend - Tendenz steigend. Das bedeutet konkret, dass ungefähr jedes sechste Kind unter 18 Jahren bei einem alleinerziehenden Elternteil aufwächst. In 90 Prozent der Fälle sind es die Mütter, die sich alleine um ihren Nachwuchs kümmern. Alleinerziehende Frauen und Männer stehen vor zahlreichen und vielfältigen Herausforderungen und Problemen, die sie im Alltag zu bewältigen haben. Zwar haben zwei von drei Elternteilen jemanden, der ihnen bei der Betreuung des Kindes oder mehrerer Kinder hilft. Zumeist sind es enge Verwandte und Freunde, die hier einspringen. Trotzdem haben viele das Gefühl, Familie und Beruf nicht unter einen Hut zu bekommen und auch in anderen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens das Nachsehen zu haben. Dieses Spannungsverhältnis wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass zwei Drittel der alleinerziehenden Frauen mit Kindern unter 18 Jahren erwerbstätig sind. Sie können sich leicht ausmalen, wie wertvoll und vor allem selten freie Zeit wird, wenn sich eine alleinerziehende Mutter oder ein alleinerziehender Vater neben dem Vollzeitjob noch um das heranwachsende Kind kümmert. Neben erwerbstätigen Alleinerziehenden mit ihren besonderen Problemen gibt es allerdings auch die weit größere Gruppe von Alleinerziehenden, die sich ihren Lebensunterhalt nicht selbstständig finanzieren können. Insbesondere viele alleinerziehende Mütter sind auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung und des SGB II angewiesen. Fast drei Viertel der Alleinerziehenden mit drei oder mehr Kindern beziehen Leistungen des SGB II. Diese sehr hohe Hilfsquote hat zur Folge, dass Alleinerziehende die gesellschaftliche Gruppe sind, die mit am stärksten unter finanziellen Problemen leidet - während der Erziehungszeit, aber auch im Alter. Vor allem für die Kinder und ihre zukünftige Entwicklung ist dieser Zustand sehr problematisch. Mit insgesamt einer Million armutsgefährderter Kinder, die in Alleinerziehendenhaushalten leben, ist diese Gruppe einfach viel zu groß. Diese Zahlen beschreiben die schwierige Lage, in der sich sehr viele Alleinerziehende befinden. Von daher ist ein Antrag zu diesem Thema grundsätzlich berechtigt. Bei der Lektüre der Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen war ich doch etwas verwundert, und ich will Ihnen sagen, weshalb. Erstens könnte man bei der Lektüre Ihrer Zeilen den Eindruck bekommen, die jetzige Bundesregierung und auch die Vorgängerregierung hätten sich nicht oder kaum um die Alleinerziehenden und ihre Kinder gekümmert, sie sogar vernachlässigt. Jeder, der Zeitung liest oder sich einmal in seinem Kreis von Verwandten und Bekannten umhört, weiß, dass das nicht der Fall ist. Zweitens ist in keiner Weise erkennbar, in welche Richtung Sie mit Ihren Forderungen eigentlich wollen und welches gesellschaftliche Konzept dahinter steht. Da soll mal an dieser Maßnahme etwas rumgedreht werden, mal an jener, und am Ende soll es zusätzliches Geld richten. Allem Anschein nach herrscht in Ihren Reihen eine gewisse Orientierungslosigkeit darüber, wo die familienpolitische Reise denn nun hingehen soll. Und drittens frage ich mich, weshalb Sie die jüngsten Programme und Aktivitäten des Familienministeriums auf dem Gebiet der Alleinerziehenden bewusst ignorieren. Ich möchte Sie deshalb recht herzlich einladen, den Blick für das zu öffnen, was die Bundesregierung für Alleinerziehende und ihre Kinder tut. Ich bin Ihnen dabei auch gerne mit einigen Beispielen behilflich. Schon bei den Fragen, wie alleinerziehende Mütter und Väter Familie und Beruf möglichst widerspruchsfrei vereinbaren können, war und ist das Familienministerium sehr aktiv. Vor etwa einem Jahr genau wurde beispielsweise ein Projekt ins Leben gerufen, welches auf intelligente Vernetzung unterschiedlicher Akteure setzt und nicht bloß auf die Erhöhung von Leistungen, wie es so häufig von vermeintlichen und selbsternannten Gutmenschen aus dem linken politischen Spektrum gefordert wird. Das Programm mit dem Namen "Vereinbarkeit für Alleinerziehende" knüpft Verbindungen zwischen Trägern der Grundsicherung, Kammern, Verbänden, Kommunen sowie Jugendhilfe- und Bildungsträgern. Auf kurzem Wege wird der Informationsaustausch wesentlich verbessert. Alleinerziehende können nun viel einfacher eine auf ihre Bedürfnisse zurechtgeschneiderte Beratung und Fortbildungsmöglichkeiten erhalten. Die Tür auf den Weg zurück in den Arbeitsmarkt wird ein Stück weiter aufgestoßen. Gerade am Montag dieser Woche hat das Familienministerium eine Impulsveranstaltung zu diesem Programm durchgeführt. Im Sommer kommt der Abschlussbericht über die Pilotprojekte, und bereits jetzt wird an der Struktur der nächsten Förderperspektiven gearbeitet. Dieses Programm geht Hand in Hand mit einer Vielzahl weiterer Maßnahmen und Initiativen, die auf den Weg gebracht wurden. Ich denke dabei an das Programm "Perspektive Wiedereinstieg" oder an die zahlreichen Initiativen des BMAS und der Bundesagentur für Arbeit sowie des BMFSFJ, die den Wiedereinstieg ins Berufsleben und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen und erleichtern sollen. Dabei ist es gerade für Alleinerziehende wichtig, ein flexibles und niedrigschwelliges Netzwerk mit verlässlichen Strukturen auf die Beine zu stellen und individuell zugeschnittene Angebote zu machen. Dabei gilt es, neue Wege zu gehen und neue Maßnahmen zu erproben sowie erfolgreiche Modellprojekte in die Fläche zu tragen. Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen von den Grünen, der in Ihrem Antrag mal mehr, mal weniger deutlich erhobene Vorwurf der Untätigkeit läuft für jedermann ersichtlich voll ins Leere. Übrigens, wenn ich das hier erwähnen darf: Selbst DGB-Chef Michael Sommer, der ja nicht gerade in dem Verdacht steht, ein Lobbyist schwarz-gelber Gesellschaftspolitik zu sein, lobt die Anstrengungen des Familienministeriums, die Chancen für Alleinerziehende mit Hartz-IV-Bezug auf eine Rückkehr auf den Arbeitsmarkt zu erhöhen. Ich finde das bemerkenswert. Kaum anders verhält es sich mit dem in Ihrem Antrag erkennbaren Vorwurf, die Regierungskoalition würde zu wenig für die Kinder von Alleinerziehenden tun. Dem lässt sich einfach entgegenhalten, dass gerade der Ausbau der Kinderbetreuungsplätze den Bedürfnissen der Familien und Alleinerziehenden entgegenkommt. Die Rahmenbedingungen zur Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit werden wesentlich verbessert. Und um dann doch mal auf die monetären Leistungen zu sprechen zu kommen, möchte ich natürlich auch nicht die Erhöhung des Kindergeldes im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes unerwähnt lassen. In diesem Sinne wurde auch der Kinderfreibetrag von 6 024 auf 7 008 Euro erhöht. Sie sehen, dass auch in finanziell schwierigen Zeiten Schwarz-Gelb Alleinerziehende nicht im Stich lässt, sondern vielmehr auch die materielle Unterstützung ausbaut. Nicht unerwähnt lassen möchte ich natürlich auch das Elterngeld, das einem alleinerziehenden Elternteil mit alleinigem Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht für eine Dauer von 14 statt 12 Monaten zusteht. Zusätzliche finanzielle Unterstützung gibt es durch das Wohngeld. Denn für Berechtigte, die allein mit ihren Kindern zusammenwohnen und wegen ihrer Erwerbstätigkeit oder einer Fortbildung länger außer Haus sind, gibt es einen Einkommensfreibetrag von 600 Euro jährlich für jedes Kind unter zwölf Jahren. Darüber hinaus schießt der Staat Unterhalt vor, wenn dieser für das Kind ausbleibt. Unserer Koalitionsvertrag sieht dessen Ausweitung bis zum 14. Lebensjahr der Kinder bei gleichbleibender Leistungsdauer von maximal sechs Jahren vor. Ich könnte so noch eine ganze Weile fortfahren, will dies aber mit Blick auf die Zeit nicht tun. Lassen Sie mich aber bitte Folgendes abschließend anmerken: Ihr Antrag bildet keine ernst zu nehmende Alternative zur unserer Familienpolitik und unserer Politik gegenüber alleinerziehenden Müttern und Vätern und ihren Kindern. Sie verheddern sich vielmehr im Klein-Klein und im Dickicht von Einzelforderungen, die einen anderslautenden Gesamtentwurf vermissen lassen. Es stellt sich ein wenig die Frage: wozu dieser Antrag und weshalb gerade jetzt? Weiter möchte ich noch auf einen anderen, weitestgehend unerwähnten, aber für mich zentralen Zusammenhang hinweisen: Meiner persönlichen Einschätzung nach hat die sozialpolitische Debatte um die Lebenswelt von Alleinerziehenden eine gewisse Schieflage. Viele scheinen zu glauben, in der Erhöhung der Bezugsleistungen und Vergünstigungen und dem Ausbau der Betreuungsangebote läge die Lösung. Internationale Studien wie eine der OECD und ein Vergleich zwischen den Bundesländern sprechen da eine andere Sprache. Die OECD sagt deutlich, dass es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern für Alleinerziehende zu wenige Anreize gibt, einer Berufstätigkeit nachzugehen. Ich finde, unser Augenmerk sollte verstärkt auf der Frage liegen, wie wir Anreize und Chancen vor allem für Bezieher von Leistungen der Arbeitslosenversicherung und des SGB II schaffen können, wieder ihren Weg zurück auf den Arbeitsmarkt zu finden. In diese Richtung zielt unsere Politik für Alleinerziehende, ohne dabei die Unterstützungsleistungen zu vernachlässigen. Wir möchten, dass mehr Menschen ihr Leben und somit auch das ihrer Kinder wieder selbst in die Hand nehmen. Ich möchte dafür werben, uns auf diesem Weg zu unterstützen. Christel Humme (SPD): "Alleinerziehende - von der Gesellschaft im Stich gelassen!" So überschrieb 2007 eine große deutsche Frauenzeitschrift einen Artikel, der die Lebenssituation, die Sorgen und Nöte von Alleinerziehenden näher unter die Lupe nahm. Wie berechtigt ist diese Beschreibung? Wie ist die Lage von Alleinerziehenden heute? Wie ist ihre Lebenssituation und die ihrer Kinder? - Ich begrüße es, dass sich der Deutsche Bundestag heute erneut mit der Situation von Alleinerziehenden beschäftigt und wir gemeinsam eine Bestandsaufnahme vornehmen können. Sicher ist: den oder die typische Alleinerziehende gibt es nicht. Trotz der unterschiedlichen Lebenslagen haben viele der rund 1,6 Millionen Alleinerziehenden sehr ähnliche Bedürfnisse. 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren leben in Alleinerziehendenhaushalten - überwiegend bei ihren Müttern, denn 90 Prozent aller Alleinerziehenden in Deutschland sind Frauen. Alleinerziehende sind vor besondere Herausforderungen gestellt. Die immer noch problematische Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern wirken sich bei dieser Gruppe besonders nachteilig aus. Außerdem sind vor allem alleinerziehende Frauen überproportional stark in Teilzeit oder Minijobs tätig. Staat und Gesellschaft sind hier in vielerlei Hinsicht gefordert. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben in Regierungsverantwortung den Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie nach besten Chancen für alle Kinder aufgegriffen. Beim Ausbau der Kinderbetreuung müssen wir weiter vorangehen und mehr Tempo machen. Denn ein flexibles, bedarfsgerechtes und qualitativ gutes Betreuungs-und Bildungsangebot für Kinder aller Altersstufen ist der Schlüssel gerade für Alleinerziehende, Familie und Beruf miteinander verbinden zu können. Um den Bedarf an Betreuungsplätzen vor Ort besser einschätzen zu können, brauchen wir aktuelle Zahlen. Erst auf Grundlage dieser Daten können wir wirklich beurteilen, ob der tatsächliche Bedarf nicht zu niedrig angesetzt sein könnte. Unser gemeinsames Ziel muss sein, von Rostock bis Konstanz ein flexibles und bedarfsgerechtes Betreuungs-angebot für alle Kinder bereitstellen zu können. Denn nur so schaffen wir tatsächliche Wahlfreiheit und ermöglichen es Frauen und Männern, Familie und Beruf so zu vereinbaren, wie sie es möchten. Frau Ministerin, werden Sie aktiv und berufen Sie so schnell wie möglich einen Krippengipfel ein. Auf der Grundlage aktueller Daten muss geklärt werden, wie der Bund die Länder und Kommunen bei dieser wichtigen gesellschaftspolitischen Aufgabe zusätzlich unterstützen kann. Ein schneller Ausbau unserer Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur hat höchste Priorität. Nur die Hände in den Schoß zu legen und Zweckoptimismus zu verbreiten, hilft niemandem. Es ist immerhin erfreulich, dass Sie Ihrem Mentor Roland Koch öffentlich widersprochen haben, als dieser den vereinbarten Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab 2013 infrage gestellt hat. Das allein reicht aber nicht aus. Gute und verlässliche Betreuung ist ein zentraler Baustein in der wirksamen Unterstützung von Alleinerziehenden. Erwerbstätige Alleinerziehende stehen häufig alleine in der Verantwortung, ein existenzsicherndes Einkommen für sich und ihre Kinder zu erzielen. Gute Löhne sorgen außerdem für eine existenzsichernde Alterssicherung. Da 90 Prozent der Alleinerziehenden Frauen sind, erfahren sie besonders stark die immer noch bestehenden Diskriminierungen im Erwerbsleben - insbesondere bei der Entlohnung. Denn noch immer verdienen Frauen im Durchschnitt 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Daher brauchen wir endlich gesetzliche Regelungen für gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit sowie einen gesetzlichen Mindestlohn. Das ist der richtige Weg, um Alleinerziehende wirksam vor Armut und einer dauernden Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen zu schützen. Neben guter Kinderbetreuung, existenzsichernden Löhnen und gezielten finanziellen Hilfen brauchen arbeitsuchende Alleinerziehende eine individuelle Beratung und passgenaue Arbeitsvermittlung in den Arbeitsagenturen sowie speziell auf ihre Lebenssituation zugeschnittene Bildungs- und (Weiter-)Qualifizierungsangebote. Bildung und Weiterqualifizierung kommt bei Alleinerziehenden eine besondere Rolle zu. Mehr als ein Viertel aller Alleinerziehenden und über die Hälfte der allein erziehenden Arbeitslosen haben keinen beruflichen Abschluss. Bei jungen Müttern unter 25 Jahren liegt der Anteil sogar bei 70 Prozent. Hier müssen wir mit passgenauen Bildungs- und Qualifizierungsangeboten ansetzen. Wir haben daher in der großen Koalition den Rechtsanspruch auf das geförderte Nachholen eines Schulabschlusses durchgesetzt. Jetzt geht es darum, dies während der Kindererziehung auch in Teilzeit zu ermöglichen. Was hilft nun Alleinerziehenden und ihren Kindern am besten? Sie brauchen einen Mix aus Infrastruktur, zielgerichteter finanzieller Hilfe und Zeit. Stattdessen müssen sie unter der unsozialen Familienförderung von Schwarz-Gelb ächzen. Neben der unsozialen Kürzung bzw. gar der Streichung des Elterngeldes für Empfängerinnen und Empfänger von SGB-II-Leistungen ist der aktuelle Familienausgleich ein weiteres Beispiel für eine verfehlte und unsoziale Steuerpolitik. Jedes Kind sollte dem Staat selbstverständlich gleich viel wert sein, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Der aktuelle Familienleistungsausgleich erfüllt dieses Ziel eindeutig nicht. Denn reiche Familien werden über höhere Steuerabzugsmöglichkeiten viel stärker entlastet als Familien mit geringem Einkommen durch ein erhöhtes Kindergeld. Daher wollen wir einen Kindergrundfreibetrag, denn damit wird jedes Kind wirklich gleich stark gefördert. Durch diesen Abzug von der Steuerschuld würden wir auch Familien mit niedrigem Einkommen und damit auch Alleinerziehende stärker fördern können. Jetzt profitieren hauptsächlich Gut- und Spitzenverdiener von der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Außerdem wollen wir Alleinerziehenden mit dem Kinderzuschlag zielgenau helfen. Damit wir Alleinerziehende mit ihren Kindern mit diesem Instrument besser erreichen können, wollen wir den Kinderzuschlag weiterentwickeln. Unabhängig davon bleibt unser sozialdemokratisches Ziel: kostenlose Betreuung und Bildung - von der Kita bis zur Universität! Die heutige Debatte mit vielen richtigen Vorschlägen auch aus dem Antrag der Grünen hat es noch einmal deutlich gemacht. Alleinerziehende brauchen ein abgestimmtes Konzept und individuelle Hilfen um in ihrer besonderen Situation Berufstätigkeit und Kindererziehung vereinbaren zu können, nicht in Armut abzurutschen und ihren Kindern die Chancen bieten zu können, die sie verdient haben. Die SPD hat im April mit dem Beschluss "Alleinerziehende - LeistungsträgerInnen unserer Gesellschaft" ein umfassendes Gesamtkonzept mit konkreten Schritten zur gezielten Förderung dieser Familienform vorgelegt. Und was tut die zuständige Ministerin? Sicherlich nicht nur ich hätte mir gewünscht, dass Frau Schröder auch bei der Verteidigung anderer Positionen ihres Haushaltes als Interessensvertreterin von Millionen Familien und Kindern in diesem Land Widerstand bei den massiven Haushaltseinschnitten geleistet hätte. Stattdessen hat sie die unsozialen Kürzungen beim Elterngeld und gar die Streichung des Elterngeldes für Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV klaglos hingenommen. Dies, Frau Ministerin, zeigt leider, dass Ihnen offenbar der Zugang und die dramatischen Auswirkungen dieser unsozialen Streichungen nicht bewusst sind - oder Sie diese billigend in Kauf nehmen. Stattdessen nicken Sie völlig überflüssige Steuerprivilegien für Luxushotels ab. Ich fasse zusammen: Ein überzeugendes Konzept gegen Familien- und Kinderarmut und eine zielgerichtete Förderung von Alleinerziehenden ist seitens der zuständigen Ministerin und der schwarz-gelben Bundesregierung leider weit und breit nicht in Sicht. Alleinerziehende und ihre Kinder haben Besseres verdient als eine Regierung des sozialen Kahlschlags und eine Fachministerin auf Tauchstation. Miriam Gruß (FDP): Die FDP steht für ein neues, modernes Familienbild, das dem Wandel unserer Gesellschaft gerecht wird. Dieser Wandel äußert sich unter anderem in der steigenden Zahl von Alleinerzieherhaushalten in Deutschland. Hier sind neue Lösungsansätze von der Politik gefordert. Die allgemeine Prämisse einer modernen liberalen Familienpolitik muss deshalb sein, Konzepte zu entwickeln, die sowohl dem klassischen Familienbild als auch den neuen Realitäten gerecht werden. Die Zahl der Alleinerziehenden in Deutschland steigt, und damit auch die Zahl der Kinder, die in Alleinerzieherhaushalten aufwachsen. Für diese Entwicklung gibt es viele Gründe - die meisten Alleinerziehenden sind geschieden oder leben in Trennung, andere sind verwitwet. Wieder andere entscheiden sich aber auch ganz bewusst gegen eine traditionelle Form der Familie. So unterschiedlich die Gründe für die Entscheidung auch sein mögen, so sehen sich doch Alleinerziehende grundsätzlich ähnlichen Problemlagen gegenüber: Sie können sich im Alltag nicht auf einen Partner verlassen, befinden sich oftmals in einer ständigen Auseinandersetzung um Unterhalt und Sozialleistungen und müssen sich gegebenenfalls eine neue Wohnung oder einen neuen Arbeitsplatz suchen. Angesichts der Vielzahl von tatsächlichen Problemen und rechtlichen Fragen unterstützen wir Liberalen die Forderung nach einer Erweiterung von Kindertagesstätten zu Familienzentren. Die finanzielle Situation von Alleinerziehenden verschlechtert sich nach einer Trennung oder Scheidung deutlich. Sie haben im Normalfall rund die Hälfte weniger Einkommen zur Verfügung als ein vergleichbarer Paarhaushalt mit zwei Kindern. Ehepaare, die getrennt leben, benötigen aber sogar mehr Geld, um den gleichen Lebensstandard zu erreichen wie eine in einem Haushalt zusammenlebende Familie. Das zusätzlich benötigte jährliche Haushaltsnettoeinkommen beträgt im Durchschnitt fast 10 000 Euro. Die finanzielle Situation ist für das Leben und die Gesundheit von Alleinerziehenden und ihren Kindern aber von entscheidender Bedeutung; viel zu viele Kinder aus Alleinerziehendenfamilien leben mit einem Armutsrisiko. Der Anteil der Alleinerziehendenhaushalte, die ALG-II-Leistungen oder Sozialgeld beziehen, ist überdurchschnittlich hoch. Hier werden wir Lösungen und Wege finden, wie diesem Trend entgegengewirkt werden kann. Das Merkmal "alleinerziehend" darf nicht in direkter Verbindung mit prekären finanziellen Verhältnissen stehen. Zwei Drittel der nicht erwerbstätigen Alleinerziehenden würden aber gerne arbeiten. Wir werden daher neue Wege finden müssen, um alleinerziehenden Elternteilen den Weg in den Beruf zu ermöglichen. So ist zu prüfen, wie durch Anreizsysteme die Teilzeitbeschäftigung attraktiver ausgestaltet werden kann, um die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben zu erleichtern und Alleinerziehenden so die schrittweise Rückkehr in das Erwerbsleben zu ermöglichen. Was junge Alleinerziehende ohne Abschluss einer Ausbildung oder mit dem Wunsch nach Weiterbildung betrifft, werden wir innerhalb des jetzigen Finanzierungssystems bessere Unterstützungsmaßnahmen schaffen. Überlegungen wie etwa besondere Darlehen und Stipendien oder Zuschüsse für die Kinderbetreuung für Alleinerziehende während einer (Teilzeit-)Ausbildung oder eines Fernstudiums sind hier mögliche Optionen. Die Regierungsfraktionen setzen sich außerdem dafür ein, als Sofortmaßnahme im Rahmen der bestehenden Ausbildungsförderung für junge Menschen ein Baby-BAföG einzuführen. Danach wird jeder Mutter, die BAföG bezieht, die Möglichkeit eingeräumt, anstelle des jetzt vorgesehenen Darlehensteilerlasses nach Abschluss des Studiums für die Dauer ihres BAföG-Bezugs eine Zulage - Baby-BAföG - zu beziehen. Gleichzeitig wollen wir uns bei den Hochschulen, Ländern und Gemeinden für einen qualitativen und quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung an Hochschulen bzw. an Hochschulstandorten einsetzen. Flexible Arbeitszeitmodelle oder auch Sabbaticals für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden wir gerade auch mit Blick auf die steigende Zahl von Alleinerziehenden ausbauen. Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit sind auch im Interesse der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Großbetriebe gehen zu 66 Prozent davon aus, dass familienfreundliche Maßnahmen zukünftig an Bedeutung bei der Suche nach qualifiziertem Personal gewinnen werden; denn trotz Krise hätten derzeit fast 29 Prozent der Unternehmen Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden. Die Bundesregierung hält klar am ab 2013 geltenden Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz fest. Im Bericht 2008 über den Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren wird festgestellt, dass das aktuelle Angebot an Tageseinrichtungen und der Tagespflege für Kinder im Alter von unter drei Jahren noch gesteigert werden muss, um bis 2013 eine durchschnittliche Betreuungsquote von 35 Prozent zu erreichen. Hier sind deutliche Anstrengungen in Ländern und Kommunen gefragt. Wir befinden uns hierbei aber auf einem sehr guten Weg - in Ostdeutschland liegt die Betreuungsquote schon jetzt bei teilweise 60 Prozent. Im Koalitionsvertrag haben wir weitere Maßnahmen für einen verbesserten qualitativen und quantitativen flexiblen Ausbau bei Trägervielfalt auch unter Einbeziehung der Tagespflege vereinbart. Hierzu gehört nach Auffassung der Liberalen ein Mix von Elterninitiativen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Tagesmüttern und -vätern, privaten und privat-gewerblichen Initiativen und betriebsnahen Einrichtungen, die sich durch Flexibilität der Betreuungszeiten, ein qualitativ hochwertiges Angebot oder durch Hol- und Bringdienste der veränderten Nachfragesituation anpassen. In einer Allianz von Bildungs- und Familienpolitik gehören Kindertageseinrichtungen und Tagespflege zum Fundament des Bildungssystems. Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen müssen personell und strukturell verlässlich ausgestaltet sein, um ihrem Bildungs- und Betreuungsauftrag umfassend gerecht werden zu können. Ganztagsangebote mit Mittagessen müssen verstärkt angeboten werden. Für die FDP-Bundestagsfraktion steht fest: Die Verbesserung der Situation von Alleinerziehenden stellt klare Forderungen an den Staat, bis zu deren Erfüllung es noch viel zu tun gibt. In diesem Zusammenhang sind jedoch Maßnahmen wie ein flächendeckender Mindestlohn, wie er im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gefordert wird, nicht der richtige Ansatz. Anstatt Arbeitsplätze zu riskieren, geht es vielmehr darum, bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders auch für Alleinerziehende zu schaffen. Dafür setzen wir uns ein. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Wir befassen uns heute in erster Lesung mit dem Antrag der Fraktion der Grünen, die Unterstützung für Alleinerziehende zu verbessern. Im September 2008 habe ich zu einem fast gleichlautenden Antrag Ihrer Fraktion festgestellt, dass Ihr Antrag in vielen Dingen die Unterstützung der Linken findet und richtig gedacht ist. Aber kritisch habe ich auch darauf hingewiesen, dass Ihr Antrag in einigen Positionen nur halbherzig und unkonkret ist. Mit Interesse habe ich nun den vorliegenden Antrag gelesen. Es bleibt die Frage: Was wollen Sie wirklich - ich betone: wirklich - mit dem Antrag erreichen? Wie konkret wollen Sie den Alleinerziehenden wirklich helfen? Ich kann nur feststellen: Den Alleinerziehenden wird mit Ihrem Forderungspaket nicht wirklich geholfen. Die Alleinerziehenden werden wieder alleine gelassen, weil Sie in Ihren Forderungen unkonkret und an der Oberfläche bleiben. Das Interessante jedoch ist: Mir kommen einige Formulierungen in Ihrem Antrag bekannt vor. Ich nenne ein Beispiel: In Ihrem Antrag fordern Sie auf Seite 2 unter Punkt II.1, um die spezifischen Benachteiligungen Alleinerziehender auszugleichen, den Rechtsanspruch auf ganztägige Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen. Eine langjährige Forderung der Linken! Bei Ihnen gibt es nur eine kleine Einschränkung: Sie haben sich nicht getraut, unsere Forderung nach Gebührenfreiheit mit zu übernehmen. Weiterhin wollen Sie spezifische Benachteiligungen in der Steuerpolitik für die Alleinerziehenden ausgleichen. - Wie schön. Welche spezifischen Benachteiligungen meinen Sie? Was wollen Sie ändern? Und - falls es Ihnen nicht aufgefallen sein sollte - Sie haben den ganzen Abschnitt zu den Steuererleichterungen für die Alleinerziehenden, wie er im alten Antrag noch enthalten war, im vorliegenden Antrag gestrichen. Was soll das also? Weiter wollen Sie - Spiegelstrich 10 - "... gemeinsam mit den Ländern im BAföG eine Kinderkomponente ... ergänzen, die eine bessere Vereinbarkeit von Elternschaft und Studium während der Ausbildungsphase ermöglicht ...". Diese Kinderkomponente gibt es bereits. Es wäre doch im Interesse der Alleinerziehenden besser, über eine Anhebung der Kinderkomponente nachzudenken. Ich komme zu Punkt II.2 Ihres Antrages: Mit den Forderungen zu den Regelsätzen gehen wir konform. Wo bleiben Ihre Forderungen zum Kinderzuschlag? 67 Prozent der Alleinerziehenden nehmen den Kinderzuschlag in Anspruch; ein Großteil, obwohl er dadurch geringere Leistungen erhält als beim ALG II, und dies nur, um Hartz IV zu entkommen. Im Wissen darum, dass die Kinder derjenigen damit zwar aus der Hartz-IV-Statistik, nicht aber aus der Armut verschwinden, verzichten Sie auf konkrete Forderungen. Wir fordern die Ministerin auf, die Einkommensgrenzen zu streichen, den Kinderzuschlag auf wenigstens 200 Euro anzuheben und den Mehrbedarf für Alleinerziehende als Erhöhungsbetrag auszuzahlen. Damit wäre den Alleinerziehenden spürbar geholfen. Ich komme zu Punkt II.3: Ihre Forderungen klingen genauso unverbindlich, wie die Formulierungen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag: Wir wollen die Rahmenbedingungen für Alleinerziehende durch ein Maßnahmenpaket verbessern. Dieses soll insbesondere in verlässlichen Netzwerkstrukturen für Alleinerziehende lückenlos, flexibel und niedrigschwellig bereitgestellt werden. In Ihrem Antrag klingt es sinngemäß: gemeinsam mit den Ländern Unterstützungsangebote für Alleinerziehende im sozialen Nahraum etablieren, um bei der Bewältigung von multiplen Problemlagen zu helfen. - Was soll das? Sie bleiben auch hier Ihren unverbindlichen Forderungen treu. Zum Schluss noch zum Punkt II.4 Ihres Antrages: Ich zitiere: Die Benachteiligung von Transferempfängern beim Elterngeld, die insbesondere Alleinerziehende betrifft (wieder) zu beseitigen. Sie wollen hier etwas abschaffen, was noch gar nicht geltendes Recht ist? Was soll diese Forderung? Fazit: Wenn Sie den Alleinerziehenden wirklich helfen wollen, dann lassen Sie uns konkrete Vorschläge erarbeiten. Es müssen sofort spürbare Veränderungen auf den Tisch, wenn die Politik nicht weiter an Glaubwürdigkeit verlieren soll. Mit Ihrem Antrag wollen Sie offene Türen einlaufen? Nein! Sie bleiben wieder vor den offenen Türen stehen und suchen verzweifelt nach der Klinke. Eine materielle Sicherstellung der Alleinerziehenden lässt Ihr Antrag vermissen. Lassen Sie uns besser gemeinsam eine Lösung finden - im Interesse aller Kinder. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer Kinder erzieht, verdient Respekt. Doch Respekt und warme Worte allein reichen nicht! Familien brauchen gute Rahmenbedingungen und tatkräftige Unterstützung. Das gilt umso mehr für Alleinerziehende. Sie sind im Alltag stärker belastet, müssen viele schwierige Entscheidungen oft alleine treffen und sind in kritischen Situationen oft auf sich gestellt. Alleinerziehende sind öfter von Armut betroffen als Paare mit Kindern. Aufgrund dieser Belastungen haben Alleinerziehende sogar einen schlechteren Gesundheitszustand. Alleinerziehende sind keine Randgruppe in unserer Gesellschaft. Nahezu jedes siebte Kind in den alten Bundesländern wird von einem Elternteil allein großgezogen. In den neuen Bundesländern ist es sogar jedes fünfte Kind. Familie in Deutschland ist bunt und vielfältig. Dem müssen die Unterstützungsstrukturen in der Familienpolitik Rechnung tragen. Ein Blick in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag macht einen fast glauben, Union und FDP hätten das verstanden. Denn dort heißt es: "Wir wollen die Rahmenbedingungen für Alleinerziehende durch ein Maßnahmenpaket verbessern. Dieses soll insbesondere in verlässlichen Netzwerkstrukturen für Alleinerziehende lückenlos, flexibel und niedrigschwellig bereitgestellt werden." Der Blick auf das Regierungshandeln ist umso ernüchternder. Was unternimmt die Bundesregierung denn tatsächlich für Alleinerziehende? Den Anspruch auf einen Kitaplatz für Kinder unter drei Jahren zu verteidigen, reicht nicht. Die Herausforderungen in diesem Bereich sind riesig: Nicht nur quantitativ, auch qualitativ brauchen wir deutliche Verbesserungen. Wo sind die Ganztagsplätze, auf die berufstätige Mütter so dringend angewiesen sind? Was unternimmt die Bundesregierung, um die Einkommenssituation von Alleinerziehenden zu verbessern? Passiert etwas in Richtung sozialer und gesundheitlicher Unterstützung? Nein, passiert ist nichts. Im Gegenteil: Die Koalition hat sich gerade von der Reform des Kinderzuschlags verabschiedet, von der vor allem Alleinerziehende profitieren sollten. Auch in der Versenkung verschwunden sind Pläne zur Verbesserung des Unterhaltsvorschusses, der gezahlt wird, wenn unterhaltspflichtige Väter keinen Unterhalt leisten. Die Koalition macht Politik mit sozialer Schieflage, von der Alleinerziehende entweder gar nicht profitieren oder die sie stärker als andere Familien belasten. Dazu ein Beispiel: Die Kindergelderhöhung auf 184 Euro bringt 38 Prozent der Alleinerziehenden keine Verbesserung; denn sie bekommen ALG-II-Leistungen und das Kindergeld wird komplett angerechnet. Für diese Kinder und ihre Eltern bedeutet es nicht nur leer auszugehen, sondern noch weitere 20 Euro weniger zu haben als andere. Ebenso sind Alleinerziehende durch die Streichung des Sockelbetrages beim Elterngeld überproportional betroffen. Und Arbeitsministerin von der Leyen setzt dem allen die Krone auf. Sie garniert die geltende Gesetzeslage zur Arbeitsförderung und Arbeitsvermittlung mit Allgemeinplätzen und Propaganda und nennt das Vermittlungsoffensive für Alleinerziehende. Die Koalition befindet sich seit acht Monaten in permanenten Startschwierigkeiten. Zu Taten wird sie sich wohl schwerlich durchringen. Zu leiden haben darunter gerade die Familien und Kinder, die sowieso schon mehr schultern müssen als andere. Alleinerziehende brauchen gezielte Unterstützung. Sie brauchen wirksamen Schutz vor Armut und Arbeitslosigkeit, und daher eine funktionierende adäquate Arbeitsvermittlung und eine gerechte Kindergrundsicherung. Sie brauchen qualitativ hochwertige ganztägige Kinderbetreuung, und damit es mit dem Rechtsanspruch schnell klappt und überhaupt klappt, muss sich die Bundesregierung noch mal mit Ländern und Kommunen zusammensetzen, realitätstaugliche Zahlen auf den Tisch legen und ein faires, solides Finanzierungssystem verabreden. Alleinerziehende brauchen aber auch niedrigschwellige Unterstützungsangebote, die ihnen den Alltag erleichtern und ihre Gesundheit stärken statt Sparmaßnahmen bei Gesundheit und Jugendhilfe. Bislang verweigern Sie diesen Familien die notwendige Unterstützung. Angesichts der Aussage im Koalitionsvertrag will ich aber die Hoffnung noch nicht aufgeben, dass wir auf der Grundlage der Vorschläge in unserem Antrag gemeinsam Maßnahmen in die Wege leiten, um Alleinerziehende und ihre Kinder besser zu unterstützen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2330 an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 18: Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Ingrid Nestle, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Steinkohlesubventionen jetzt überprüfen - Drucksache 17/2142 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen, und zwar die Reden der Kolleginnen und Kollegen Thomas Bareiß, Rolf Hempelmann, Paul K. Friedhoff, Ulla Lötzer und Oliver Krischer. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Das Thema Steinkohlesubventionen ist ein schwieriges und emotionales Thema. Dies hat vielerlei Gründe. Zum einen entsteht diese Emotionalisierung durch die große Bedeutung der Steinkohle in unserem derzeitigen Energiemix und die langjährige Tradition in Deutschland, zum anderen aufgrund ihrer Bedeutung als langjährig wichtigster Wirtschaftsfaktor für das Ruhrgebiet. Erstens. Bedeutung von Steinkohle: Stein- und Braunkohle sind die einzigen heimischen fossilen Energierohstoffe und haben daher eine besondere Bedeutung für Deutschland. Weltweit ist Deutschland mit circa 24 Millionen Tonnen geförderter Steinkohle im Jahr hinter beispielsweise China, den USA, Indien, Australien und Russland weltweit auf Platz zehn bei der Förderung von Steinkohle. Innerhalb der EU liegt Deutschland nach Polen auf Platz zwei. Bei der aktuellen Förderquote liegt die Reichweite der deutschen Kohle bei etwa 400 Jahren. Insbesondere die Menschen in der Region haben eine besondere Verbundenheit damit. Das hat unter anderem historische Gründe. Das Ruhrgebiet gilt als eine der bedeutendsten deutschen und europäischen Industrieregionen. Dies wäre ohne den Steinkohleabbau nie möglich gewesen. Die heimische Steinkohle hat über Jahrzehnte entscheidend zum Aufbau unseres Landes und der Steigerung unseres Wohlstandes beigetragen. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg war der Steinkohlebergbau ein Fundament für den Wiederaufbau. In den 50er-Jahren erreichte der Steinkohlebergbau einen Anteil von über 10 Prozent am Bruttosozialprodukt. Heute hat die Steinkohle einen Anteil von 14 Prozent am Endenergieverbrauch und 18 Prozent am Bruttostromverbrauch. Kurz- und mittelfristig wird sie nicht ohne Weiteres substituiert werden können. Dies ist besonders daran erkennbar, dass die Absicherung der Mittellast fast ausschließlich von Steinkohlekraftwerken bereitgestellt wird. Mögliche Alternativen sind zwar Erd- und Biogas. Verglichen mit den Herstellungskosten von rund 3 Cent - ohne Subventionen - für die Herstellung einer Kilowattstunde Strom aus Steinkohle, sind trotz der Erhöhung des Herstellungspreises aufgrund des Wegfalls der Subventionierung Erdgas oder Biogas eine sehr unwirtschaftliche Alternative zur Bereitstellung der Mittellast. Demnach wird mittelfristig die Steinkohle auch weiterhin eine wichtige Rolle in unserem Energiemix spielen. Der starke Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland ermöglicht höhere Minderungsziele für den CO2-Ausstoß. Er macht gleichzeitig aber auch - und das sage ich in aller Deutlichkeit - den Neubau von Kohlekraftwerken notwendig. Diese werden zur Ergänzung des je nach Sonnen- oder Windaktivität schwankenden Angebots an erneuerbaren Energien dringend gebraucht. Zudem ermöglicht der Bau von neuen, hoch effizienten Kraftwerken das Abschalten alter und ineffizienter Anlagen aus Klimaschutzgründen. Exemplarisch ist das zurzeit im Bau befindliche Kohlekraftwerk Datteln, das zu den modernsten seiner Art gehört. Mit einem Wirkungsgrad von 45 Prozent ist Datteln eines der effizientesten Steinkohlekraftwerke weltweit und spart gegenüber Altkraftwerken 20 Prozent CO2 pro erzeugter Kilowattstunde Strom. Mithilfe von Kraftwärmekopplung - KWK - kann dabei ein Nutzungsgrad von über 50 Prozent erreicht werden. Andere Länder setzen zunehmend auf Steinkohle. In China gehen jede Woche mehrere Kohlekraftwerke ans Netz. Obwohl die Chinesen bereits der größte Steinkohleförderer weltweit sind, importieren sie sogar Steinkohle aus anderen Ländern. Auch die massiven Investitionen der USA in CCS und die Entscheidung der EU für CCS sind ein Zeichen dafür, dass die Steinkohle durchaus Zukunft hat. Zweitens. Steinkohleförderung in Deutschland: Was die Zukunft der Steinkohleförderung in Deutschland angeht, ist Folgendes zu sagen: Mit dem Steinkohlefinanzierungsgesetz aus 2007 ist eine wichtige ordnungspolitische Grundsatzentscheidung getroffen und der größte Subventionsabbau seit Bestehen der Bundesrepublik beschlossen worden. Der deutsche Steinkohlebergbau ist seit vielen Jahren aufgrund seiner ungünstigen geologischen Bedingungen international nicht wettbewerbsfähig. Milliardenschwere Subventionen, fast zwei Milliarden Euro pro Jahr in den letzten Jahren waren bisher notwendig, damit der deutsche Steinkohlebergbau wettbewerbsfähig bleibt. Das Steinkohlefinanzierungsgesetz von 2007 trägt bereits dem Umstand Rechnung, dass deutsche Steinkohle in absehbarer Zeit eine Wettbewerbsfähigkeit nicht erreichen wird. Bei der Versorgung der deutschen Wirtschaft überwiegen die Importe. Steinkohle kann jederzeit aus sicheren Lieferländern bezogen werden. Dies soll nicht heißen, dass die Förderung von Steinkohle in Deutschland nicht mehr politisch gewollt ist, sondern dass die Förderung unter der Prämisse der Wirtschaftlichkeit stehen muss, was übrigens für alle Energieträger gilt. Folglich teile ich die Meinung der Antragsteller, dass die Beendigung der Steinkohlesubventionierung dringend notwendig war. Der Ausstiegsbeschluss von 2007 war somit richtig und wichtig und stellt meines Erachtens einen gelungenen Kompromiss zwischen der Notwendigkeit des Subventionsabbaus und dem Schutz der Arbeitnehmer in dieser Branche dar. Drittens. Revisionsklausel: Im Steinkohlefinanzierungsgesetz wurde festgelegt, dass dem Deutschen Bundestag bis spätestens 30. Juni 2012 ein Bericht zugeleitet wird, auf dessen Grundlage nochmals geprüft werden soll, ob der Steinkohlebergbau unter Beachtung der Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit, Sicherung der Energieversorgung und der übrigen politischen Ziele weiter gefördert werden soll. In Ihrem Antrag fordern Sie, dass dieser Bericht und somit die Revision der Steinkohleförderung vorgezogen werden soll. Ein Vorziehen der Revision erachte ich nicht nur für unnötig, sondern auch für falsch. Die wichtigste Komponente der Wirtschaftspolitik ist es, stabile Rahmenbedingungen zu schaffen, auf die sich die Unternehmen, Mitarbeiter und Bürger verlassen können. Es wurde seinerzeit eine gute Regelung getroffen, auf die sich die Region und die Menschen dort verlassen. Diesen Vertrauensschutz und die Planungssicherheit dürfen wir keinesfalls gefährden. Im Sinne einer verlässlichen Wirtschaftspolitik halte ich ein Festhalten an der derzeitigen Regelung für notwendig. Zudem halte ich es für sinnvoll, den Abschluss der Szenarienberechnungen für das Energiekonzept am 27. August und das vollständige Energiekonzept, das Ende November dieses Jahres fertiggestellt sein wird, abzuwarten. Darin werden die Strategien und Ziele für die Energiepolitik der nächsten Jahre festgelegt; ebenso, wie der künftige Energiemix aussehen wird. Auch die Bedeutung von Steinkohle wird hierin klargestellt werden. Demnach bin ich der Meinung, dass das Energiekonzept zunächst abgewartet werden sollte. Ferner machen eine erneute Überprüfung und ein Bericht zu dieser Frage durch die Bundesregierung erst auf Grundlage des Energiekonzepts Sinn, da darin energiepolitische Ziele und Aspekte der Energieversorgung zugrunde gelegt werden müssen, was erst abschließend mit Verabschiedung des Energiekonzepts erfolgen wird. In dem Bericht muss ergebnisoffen und sachlich festgestellt werden, ob der Steinkohleabbau in Deutschland wirtschaftlich und wettbewerbsfähig ist und welche Rolle Steinkohle im Energiemix der nächsten Jahre und Jahrzehnte in Deutschland spielen wird. In dem Bericht der Bundesregierung müssen alle Belange abgewogen und Veränderungen, die seit Verabschiedung des Beschlusses eingetreten sind, mit einbezogen werden. Viertens. Sofortiger Ausstieg: Ferner fordern Sie eine frühere Beendigung des Steinkohlebergbaus, als sie im Steinkohlefinanzierungsgesetz festgelegt wurde - 2018 -, da dies den Haushalt belasten würde. Angesichts der derzeitigen Haushaltslage und der empfindlichen Sparanstrengungen, die jedes Ressort zu tragen hat, sind alle Subventionierungen genauestens auf den Prüfstand zu stellen. Ich bin grundsätzlich gegen Subventionierungen, jedoch muss in jedem Einzelfall genau abgewogen werden, welche sonstigen Auswirkungen das hat. Richtig ist, dass mit dem Steinkohlefinanzierungsgesetz von 2007 ein historischer Schritt in Richtung Subventionsabbau getan wurde. Was den endgültigen Zeitpunkt des Auslaufens der Subventionen angeht, ist zu sagen: Ein früherer Ausstieg als 2018 ist grundsätzlich möglich, jedoch zu dem Preis, dass viele Tausend Beschäftigte in dieser Branche kurzfristig in die Arbeitslosigkeit entlassen werden - und das in einer ohnehin von hoher Arbeitslosigkeit betroffenen Region. Ich denke, zur Zeit des Ausstiegbeschlusses wurde ein vernünftiger Konsens mit allen Beteiligten - Beschäftigten, Unternehmen und Politik - geschlossen, der seine Berechtigung hat. Diese Regelung beendet die Subventionierung im deutschen Steinkohlebergbau auf sozialverträgliche Weise. Der vereinbarte Ablaufzeitraum bis 2018 stellt sicher, dass betriebsbedingte Kündigungen im Steinkohlebergbau vermieden werden können. Ferner dürfen wir die durch langwierige politische Entscheidungen seinerzeit erzielten Kompromisse und die damit entstandene Planungssicherheit und das Vertrauen in die getroffene Regelung nicht zerstören. Angesichts der Größe der Branche, über die wir reden, brauchen wir einen sozialverträglichen Ausstieg aus der Steinkohleförderung, wenn man den betroffenen Menschen eine vernünftige Perspektive bieten will. Fünftens. Fazit: Die Revision der Vereinbarung zur Beendigung der subventionierten Förderung der Steinkohle im Jahr 2012 durch den Bundestag wie auch den Zeitpunkt des endgültigen Ausstiegs 2018 beizubehalten, halte ich aus den eben genannten Gründen für sinnvoll und richtig. Ich sehe daher keine Veranlassung, an dem Auslaufen der Steinkohlesubventionen und der angemessenen Übergangs- und Revisionsfrist zu rütteln. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird Ihren Antrag aus diesem Grund ablehnen. In Ihrem Antrag zeigt sich ferner die unsachliche und ideologisch geprägte Einstellung der Grünen im Bereich der Energiepolitik. Weder ist der Einsatz moderner Kohlekraftwerke gewünscht noch der Betrieb von Kernkraftwerken als Brücke in das regenerative Zeitalter. Aber auch Sie müssen einsehen, dass wir bei der Energieversorgung nicht von heute auf morgen auf Wind und Sonne umschalten können. Sie fordern einen Strukturwandel in der Energiepolitik, doch wird von Ihnen kein schlüssiges Konzept vorgelegt, wie ohne fossile Brennstoffe kurz- und mittelfristig die Grund- und Mittellast im Besonderen, die Energieversorgung im Allgemeinen sicher und bezahlbar abgesichert werden soll. Rolf Hempelmann (SPD): Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erinnert im vorliegenden Antrag an die Revisionsklausel des Steinkohlefinanzierungsgesetzes von 2007. Hintergrund ist der 2007 nach intensiven Verhandlungen getroffene Kompromiss zwischen Bund, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland, der RAG AG und der IGBCE zur weiteren Zukunft des deutschen Steinkohlebergbaus. Der damals vereinbarte Fahrplan sieht einen sozialverträglichen Auslaufpfad für die subventionierte heimische Steinkohleförderung bis zum Jahr 2018 vor. Eine darin enthaltene Revisionsklausel eröffnet die Möglichkeit, dass der Steinkohlekompromiss spätestens im Jahr 2012 noch einmal im Lichte aktueller energiepolitischer Rahmenbedingungen überdacht wird. Auf diese Weise hat sich Deutschland die Möglichkeit zur Fortführung der heimischen Steinkohleförderung in Form eines Sockelbergbaus erhalten. Die SPD hat immer deutlich gemacht, dass die Option der Revision spätestens 2012 - möglichst schon früher - gezogen werden muss. Insofern kann meine Fraktion den Antrag der Grünen allein dem Titel nach unterstützen. Inakzeptabel ist jedoch, dass mit dem Antragstext der Versuch unternommen wird, der geforderten Überprüfung ein Ergebnis vorwegzunehmen. Denn mit dem Wunsch nach einem frühzeitigeren Auslaufen des Steinkohlebergbaus fordern die Grünen nichts anderes als die Aufkündigung des Steinkohlekompromisses. Als SPD-Fraktion sind wir ganz klar der Auffassung, dass die Revisionsklausel eine ergebnisoffene Prüfung vorsieht. Beide Pfade - sowohl der Auslaufpfad bis 2018 als auch die Fortführungsperspektive als Sockelbergbau - müssen gleichberechtigt geprüft und im Lichte aktueller Entwicklungen bewertet werden. Bei der Ausarbeitung des Steinkohlekompromisses wurde besonderer Wert darauf gelegt, dass der notwendige Anpassungsprozess und Strukturwandel sozialverträglich ausgestaltet wird und ohne betriebsbedingte Kündigungen ablaufen soll. Das Jahr 2018 steht für die Maßgabe der Sozialverträglichkeit. Der im Jahr 2007 vereinbarte Fahrplan schaffte lang erwartete Klarheit für die Betroffenen und stellte die Weichen für einen berechenbaren Strukturwandel. Wenn die Grünen jetzt einen frühzeitigeren Ausstieg aus dem heimischen Steinkohlebergbau einfordern, so tun sie das auf Kosten der hierzulande beschäftigten Bergleute und der mittelbar vom Bergbau abhängigen Arbeitnehmer. Neben dem Strukturwandel ist das Thema der heimischen Steinkohleförderung aber auch eine Frage der Energieversorgungssicherheit. Die Wirtschaftlichkeit des deutschen Steinkohlebergbaus wird in dem Antrag der Grünen kategorisch verneint. Die Schlussfolgerung ist der frühzeitige Ausstieg. Ganz so einfach darf man sich es nicht machen. Es ist keine Frage, dass der Steinkohlebergbau in Deutschland wegen der schwierigen Förderbedingungen heute nicht wettbewerbsfähig ist. Die Versorgung mit Importkohle gilt als zuverlässig und sicher. In der Zukunft droht das Marktgleichgewicht jedoch durcheinander zu geraten, weil die stark wachsende Nachfrage in Asien nicht gleichgewichtig durch die Erschließung neuer Quellen ausgeglichen wird. Wir wissen, dass wir in hohem Maße von Energieimporten abhängig und damit Preisentwicklungen an den internationalen Rohstoffmärkten weitgehend ausgeliefert sind. Der Weltenergierat warnte kürzlich in einer Studie, dass Deutschlands Energieversorgungsrisiko wesentlich höher sei als das in anderen Industriestaaten. Daher muss im Rahmen einer Prüfung zumindest in Erwägung gezogen werden, uns den Zugang zu hiesigen Förderstätten zu erhalten. Denn einmal aufgegebene Förderquellen können nicht wieder reaktiviert werden. Auch die Preisentwicklung zeigt in der Tendenz, dass eine zunehmende Annäherung der hiesigen Förderkosten an den Weltmarktpreis nicht ganz unwahrscheinlich ist. Im Jahr 2008 schraubten sich die Energiepreise infolge steigender Ölpreise drastisch nach oben. Die Kraftwerkskohle stieg im Preis von 62 Euro pro Tonne im Jahr 2006 um 64 Prozent auf 112 Euro im Jahr 2008. Im Zuge der Rezession brachen die Kohlepreise wieder ein. Aber das dürfte nicht von Dauer sein - der Trend zeigt inzwischen wieder nach oben. Daher muss die Überprüfung des Steinkohlekompromisses ergebnisoffen und im Lichte dieser neuen Entwicklungen durchgeführt werden. Das bedeutet auch, dass vorab keine Fakten geschaffen werden dürfen, die den sozialverträglichen Auslaufpfad bis 2018 gefährden bzw. eine Fortführungsperspektive als Sockelbergbau über 2018 hinaus von vornherein ausschließen. Die SPD-Fraktion plädiert dafür, den allzu einseitigen Antrag abzulehnen. Wir sehen die Bundesregierung vielmehr in der Bringschuld, endlich ihr lang angekündigtes Energiekonzept vorzulegen und konkrete Maßnahmen aufzuzeigen, die den erfolgreichen Ausbau der erneuerbaren Energien fortführen und darüber hinaus erlauben, die enormen Potenziale im Bereich der Energieeffizienz und der Energieeinsparung zu heben. Denn neben den existierenden Optionen wie der heimi-schen Steinkohle sind diese beiden Themen zentrale Baustellen auf dem Weg zu mehr Unabhängigkeit von internationalen Rohstoffmärkten.. Paul K. Friedhoff (FDP): Die FDP im Deutschen Bundestag setzt sich bereits seit über 20 Jahren für ein geordnetes Auslaufen des subventionierten Steinkohlebergbaus in Deutschland ein. Zusammen mit der erfolgreichen Koalition von CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen wurde eine Einigung über das Ende des Steinkohlebergbaus auf den Weg gebracht. An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass die FDP grundsätzlich nichts gegen den Abbau von Steinkohle in Deutschland hat, zumindest so lange nicht, wie dieser ohne Subventionen auskommt und keine Gefahren für die Menschen und die Umwelt schafft. Wenn beim Abbau Schäden verursacht werden, so müssen die aus der abgebauten Steinkohle gewonnenen Erträge ausreichen, um für die entstehenden Schäden dauerhaft aufzukommen. Diese Voraussetzungen aber sind in Deutschland seit mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr erfüllt. So hat sich beispielsweise der Preis für eine Tonne Importkohle nach einem kurzen Hoch im Herbst 2008 schon im Jahr 2009 wieder bei einem Wert eingependelt, der etwa einem Drittel dessen entspricht, was für eine Tonne deutsche Steinkohle ausgegeben werden muss. Deshalb hat sich die FDP als einzige politische Partei bereits in den 80er-Jahren für eine konsequente Beendigung der Steinkohlesubventionen eingesetzt. Zu jener Zeit haben die Vorgänger derjenigen, die heute hier mit ihrem Antrag einen schnelleren Ausstieg fordern, gegen uns massiv demonstriert. Wie nötig aber unser langfristiger Einsatz für den Ausstieg war und weiter ist, zeigt sich daran, dass der deutsche Steuerzahler seit 1990 bereits über 137 Milliarden Euro für die unrentable Steinkohleförderung in Deutschland ausgeben musste. Fast 10 Prozent aller direkten Subventionen gehen in Deutschland noch immer in dunkle Schächte statt in helle Köpfe. Der Rohstoff Bildung ist unsere Zukunft und nicht die unrentable Steinkohleförderung. Der Ende 2007 errungene Kompromiss im Steinkohlefinanzierungsgesetz hat zu Recht die Weichen Richtung Auslaufbergbau gestellt und einen realitätsfernen Sockelbergbau abgelehnt. Das Ziel bleibt klar: In enger Abstimmung mit den Landesregierungen muss weiterhin geprüft werden, ob und wie der Ausstieg aus der subventionierten deutschen Steinkohle beschleunigt werden kann, ohne dass geschlossene Verträge und Zusagen gebrochen werden. Angesichts des hohen Qualifikations-niveaus der deutschen Bergleute habe ich jedoch auch keine Bedenken, dass die Beschäftigten sozialverträglich unsubventioniert in anderen Bereichen eingesetzt werden können. Sozialverträglichkeit muss in diesem Zusammenhang auch heißen: verträglich für alle Steuerzahler. Denn sie müssen die Gelder erarbeiten, mit denen der Staat die unrentablen Kohlearbeitsplätze aufrechterhält. An höchster Stelle muss bei allem die Sicherheit derer stehen, unter deren Wohnstätten noch abgebaut wird. Erdbeben wie im Saarland 2008 oder eine Gefährdung durch Hochwasser können nicht hingenommen werden. Wenn solche Gefahren drohen, ist der Abbau unter den gefährdeten Regionen sofort einzustellen. Die FDP-Bundestagsfraktion steht mit der Bundesregierung für den eingeleiteten Strukturwandel. Auch die weiteren politischen Akteure sind aufgefordert, diese Aufgabe tatkräftig zu unterstützen. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Grünen wollen sich offensichtlich in Berlin Schützenhilfe für die Koalitionsverhandlungen in NRW organisieren. Tatsächlich ist die Frage der Kohlepolitik umstritten zwischen SPD und Grünen. Der hier vorliegende Antrag macht das sehr deutlich. Die Grünen wollen offensichtlich den Steinkohlekompromiss aufkündigen. Bereits jetzt und nicht erst 2012 soll über die Frage des Sockelbergbaus entschieden werden mit der Absicht, den Sockel jetzt zu den Akten zu legen und ein vorgezogenes Ende des Steinkohlebergbaus einzuleiten. Das lehnen wir ab. Natürlich ist die Verstromung von Kohle eine der Hauptursachen für Treibhausemissionen bei der Energieerzeugung. Wir teilen auch das Nein zum Bau neuer Kohlekraftwerke in NRW. Zusammen mit einer Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken blockieren Kohlekraftwerke den auch in NRW dringend benötigten Umstieg auf erneuerbare Energien. Die Grünen berücksichtigen aber eines nicht: Die Technologiesparte der Kohlewirtschaft beschäftigt mehr als 15 000 Menschen in NRW. Mit dem Erhalt eines Steinkohlesockels können ein moderner Maschinen- und Anlagenbau und hoch qualifizierte Stellen erhalten werden. Die hierfür benötigten Mittel des Bundes sollten an Bedingungen geknüpft und degressiv gestaltet werden. Deshalb halten wir nach wie vor an einem Steinkohlesockel, verbunden mit einem Ausstieg aus der Kohlverstromung, fest. Das gilt in besonderem Maße auch für die Ausbildungsplätze. Statt einer Diskussion über die Aufkündigung der Revisionsklausel sollten die Grünen in den Koalitionsverhandlungen in NRW endlich einen Dialog mit Gewerkschaften und Handwerkskammern über die Zukunft von Jugendlichen in den betroffenen Bergbauregionen aufnehmen. Das wäre ein Stück notwendiger Politikwechsel für NRW. Mit den Forderungen in ihrem Antrag stellen die Grünen natürlich die Sozialverträglichkeit des Abbaus infrage. Das betrifft die frühzeitigere Beendigung und vor allem die Prüfung der Kürzung von Subventionen. Sozialverträglichkeit und Politikwechsel gehen anders. Wir treten dafür ein, die freiwerdenden Mittel so lange für die Bewältigung des Strukturwandels einzusetzen, bis ausreichend Ersatzarbeitsplätze geschaffen sind. Für die betroffenen Regionen im Ruhrgebiet und im Saarland ist eine Strukturpolitik zu entwickeln. Schwerpunkt soll eine gezielte Ansiedlungsstrategie für Unternehmen im Maschinen- und Anlagebau und im Bereich der erneuerbaren Energien werden. Sie fordern Transparenz in der Verwendung der Subventionen und der Mittel der RAG-Stiftung. Das reicht nicht. Wir haben schon 2007 davor gewarnt, dass durch die privatrechtliche Steinkohle-Stiftung unter dem Dach der RAG auf jegliche Einflussnahme der öffentlichen Hand beim Ausstieg verzichtet wurde. Das Konzept der Bundesregierung, über die private RAG-Stiftung den Steinkohlebergbau abzuwickeln, ohne die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler noch mehr zu belasten, ist gescheitert, bevor es losging. Die öffentliche Stiftung hätte die strukturpolitischen Aufgaben im Ausbildungsbereich, im öffentlichen Beschäftigungssektor und bei den Wohnungsbauunternehmen übernehmen können. Man hätte so einen Strukturwandel organisieren können, hin zu einer verstärkten Energieeffizienz und zu einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien. Der DGB und der Naturschutzbund in NordrheinWestfalen sind sich der Verantwortung im größten Industrie- und Energieerzeugerland bewusst. Sie fordern: Der sozial-ökologische Umbau dieses Bundeslandes braucht gesellschaftlichen Dialog statt Konfrontation. Sie gehen mit dem Antrag den Weg der Konfrontation. Das lehnen wir ab. Wir werden dies auch im Landtag zum Thema machen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 2007 das Gesetz zur Finanzierung der Beendigung des subventionierten Steinkohlebergbaus zum Jahr 2018 verabschiedet. Die Entscheidung, den subventionierten Steinkohlebergbau zu beenden war richtig und überfällig, auch wenn der Ausstieg sozialverträglich, das heißt ohne betriebsbedingte Kündigungen, unserer Meinung nach auch schon deutlich früher möglich gewesen wäre. Der deutsche Steinkohlebergbau hat mit seinen Revieren im Ruhrgebiet, im Saarland und in der Aachener Region eine große Geschichte. Ohne ihn wäre die Industrialisierung unseres Landes und auch der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg kaum vorstellbar gewesen. Doch schon in den 1960er-Jahren zeichnete sich ab, dass die Steinkohle aufgrund der geologischen Gegebenheiten hierzulande auf Dauer nicht mehr wirtschaftlich gewinnbar sein würde. Importkohle war billiger und außerdem sank die Bedeutung der Steinkohle im deutschen Energiemix. Um den Steinkohlebergbau dennoch zu erhalten, wurden mehr und mehr staatliche Subventionen eingesetzt. Doch den Niedergang des Bergbaus konnten die staatlichen Mittel nicht aufhalten. Heute sind es gerade noch einmal 5 Bergwerke, die übrig geblieben sind. Die Zahl der Beschäftigten liegt bei unter 5 Prozent, im Vergleich zu den Hochzeiten in den 1950er-Jahren. Was immer auch die Motive für die Steinkohlesubventionen waren, den notwendigen Strukturwandel in den Revieren haben sie eher behindert als gefördert. Die künstliche und dauerhafte Erhaltung nichtwirtschaftlicher Strukturen ist für betroffene Regionen und die ganze Volkswirtschaft schädlich statt nützlich. Während die Förderkosten der deutschen Bergwerke in den letzten Jahren zwischen 122 und 181 Euro je geförderter Tonne je nach Bergwerk lagen - im Falle des Bergwerks Ost sogar deutlich über 200 Euro je Tonne -, sind die Erlöse für die Steinkohle nicht über 70 Euro hinausgekommen. Und selbst 2008, als die Preise für Energierohstoffe weltweit explodiert waren, betrug der Erlös deutscher Bergwerke 116 Euro je Tonne und erreichte damit trotzdem nicht die Förderkosten. Dabei muss man bedenken, dass diese Angaben zu den Förderkosten nicht einmal alle Kosten beinhalten, die der Bergbau verursacht. Altlasten und Ewigkosten - wie zum Beispiel die auf ewig zu zahlenden Kosten der Wasserhaltung und Polderung im Ruhrgebiet und am Niederrhein, die erforderlich sind, damit die durch den Bergbau um bis zu 25 Meter abgesenkten Gebiete nicht absaufen - sind bei den Förderkosten gar nicht eingerechnet. Jeder weitere Bergbau in Zukunft führt zu neuen Bergschäden, Altlasten und Ewigkosten, die angesichts der fehlenden wirtschaftlichen Perspektive und der öffentlichen Milliardensubventionen unverantwortlich sind. Deshalb ist es richtig, den Bergbau so schnell wie möglich auch schon vor dem im Gesetz verankerten Termin 2018 sozialverträglich zu beenden. Dazu schlagen wir vor, die im Steinkohlefinanzierungsgesetz verankerte Revisionsklausel von 2012 auf dieses Jahr vorzuziehen und schnell zu prüfen, welche Perspektiven der Bergbau tatsächlich noch hat. Wir wollen für die Belegschaften, für die Kommunen und für die Bergbaubetroffenen schnellstmögliche Klarheit, wann die verbliebenen Bergwerke geschlossen werden. Dann können sich alle auf die Zeit nach dem Bergbau schon heute einstellen. Und vielleicht gelingt es uns bei diesem Prozess, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die Mittel des Bundes für den Steinkohlebergbau reduziert werden können. Jedenfalls ist das ein seriöser Weg, den Bundeshaushalt zu entlasten. Nicht seriös ist, wenn wie in den letzten Wochen von einer Reihe von Koalitionspolitikern - so auch von Herrn Wirtschaftsminister Brüderle - die Senkung der Steinkohlesubventionen gefordert wird, und danach kommt dann nichts mehr, kein konkreter Vorschlag, wie man in der Sache angesichts der von der Großen Koalition geschaffenen Rechtslage und bis 2013 bereits erteilter Bewilligungsbescheide, die Subventionen reduzieren will. Solche substanzlosen Forderungen sind nicht anders als Populismus, Effekthascherei für die schnelle Schlagzeile. Dass die RAG heute schon angesichts gestiegener Weltmarktpreise für Steinkohle einen Teil der Subventionen zurückzahlen muss, ist ein Mechanismus, den die Grünen in der rot-grünen Koalition in Berlin und Düsseldorf 2004 durchgesetzt haben. Davon profitieren die Haushalte des Bundes und des Landes NRW heute. Vorher war es nämlich so, dass die RAG Subventionen bekam, unabhängig von den Weltmarktpreisen und den Erlösen für die deutsche Kohle. So hat die öffentliche Hand der RAG viele Hundert Millionen Euro, wenn nicht Milliarden geschenkt, die gar nicht für den Betrieb der Bergwerke benötigt wurden. Wir machen heute den konkreten und umsetzbaren Vorschlag, die Revisionsklausel vorzuziehen. So kann man vielleicht tatsächlich die Subventionen für den Bergbau reduzieren und es nicht nur populistisch fordern. Ein schnellerer, sozialverträglicher Ausstieg ist möglich und sinnvoll, wenn man diese Option im Rahmen der Revisionsklausel ernsthaft prüft. Allen Beteiligten muss aber auch klar sein, dass uns der Steinkohlebergbau noch Milliarden kosten wird, auch wenn das letzte Bergwerk längst stillgelegt ist. Es gibt erhebliche Zweifel, ob die Mittel der RAG-Stiftung für die Altlasten und Ewigkosten reichen werden. Deshalb sollten wir handeln, damit neue Bergschäden und damit verbundene Altlasten und Ewigkosten erst gar nicht mehr entstehen. Dazu haben wir einen konkreten Vorschlag unterbreitet, den wir gerne mit Ihnen in der Sache diskutieren würden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2142 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind, wie ich sehe, damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 2. Juli 2010, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch eine heitere Sommernacht. (Schluss: 22.05 Uhr) Berichtigung 49. Sitzung, Seite 4992 (C), dritter Absatz, der zweite Satz ist wie folgt zu lesen: "Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen." Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 01.07.2010 Beckmeyer, Uwe SPD 01.07.2010 Buchholz, Christine DIE LINKE 01.07.2010 Dyckmans, Mechthild FDP 01.07.2010 Freitag, Dagmar SPD 01.07.2010 Friedhoff, Paul K. FDP 01.07.2010 Groth, Annette DIE LINKE 01.07.2010 Gruß, Miriam FDP 01.07.2010 Haibach, Holger CDU/CSU 01.07.2010 Heil (Peine), Hubertus SPD 01.07.2010 Höger, Inge DIE LINKE 01.07.2010 Lange, Ulrich CDU/CSU 01.07.2010 Möller, Kornelia DIE LINKE 01.07.2010 Nietan, Dietmar SPD 01.07.2010 Özoðuz, Aydan SPD 01.07.2010 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.07.2010 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 01.07.2010 Zapf, Uta SPD 01.07.2010 Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/ UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und Folgeresolutionen (Drucksachen 17/1901, 17/2173) (49. Sitzung, Tagesordnungspunkt 9 b) Mein Name ist in der Liste der Antragsteller nicht aufgeführt. Ich erkläre, dass mein Votum "Ja" lautet. Anlage 3 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Gerd Bollmann (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 3): Wie sieht der weitere Zeitplan für die Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie vor dem Hintergrund aus, dass zum 12. Dezember 2010 die Abfallrahmenrichtlinie der EU in nationales Recht umgesetzt werden muss, da bis jetzt nur ein nicht abgestimmter Arbeitsentwurf vorliegt und bei Nichteinhaltung der Umsetzungsfrist ein Strafverfahren droht? Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit stimmt derzeit den Referentenentwurf zur Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes innerhalb der Bundesregierung ab und beabsichtigt, diesen möglichst noch vor der Sommerpause in die offizielle Anhörung der Beteiligten Kreise zu geben. Nach Auswertung der Anhörung und endgültiger Abstimmung innerhalb der Bundesregierung ist der Entwurf bei der Europäischen Kommission zu notifizieren und soll dann noch in diesem Jahr vom Bundeskabinett beschlossen werden. Die Befassung des Bundesrates und Bundestages wird 2011 erfolgen. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass der Kommission der Arbeitsentwurf zur Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes bereits vorliegt. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit steht im Übrigen mit der Kommission in einem Dialog über die Umsetzung. Wesentliche für die Notifizierung relevante Fragen, die vor allem mit der Neuregelung der kommunalen Überlassungspflichten zusammenhängen, werden von der Kommission im Übrigen im Zusammenhang mit der Beantwortung des Auskunftsersuchen, COMP/B-1/39734 - Deutsche Haushaltsabfälle, vom 9. April 2010 bereits vorab geprüft. Anlage 4 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Dr. Herrmann Scheer (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 4): Welche Erfahrungen hinsichtlich der regionalen Wertschöpfung und der Akzeptanz von Windenergieanlagen bei Kommunen liegen der Bundesregierung nach der Einführung des besonderen Gewerbesteuersplittings für Windkraftanlagen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 des Gewerbesteuergesetzes vor, und wie bewertet sie diese Regelung hinsichtlich des weiteren Ausbaus der Onshore-Windenergie? Für Gemeinden, in denen Windenergieprojekte geplant sind bzw. betrieben werden, hat die Regelung zur Verteilung des Gewerbesteueraufkommens Rechtssicherheit geschaffen. Gleichzeitig stellt die Regelung einen erheblichen wirtschaftlichen Anreiz für die Neuausweisung von Windeignungsgebieten dar. Damit trägt die Regelung zu einem erheblichen Teil mit dazu bei, die vorhandenen Windpotenziale im Konsens zwischen Gemeinden und Investoren zu erschließen. Dies zeigt sich in einer neuen erkennbaren Dynamik bei der Ausweisung neuer Windeignungsgebiete seit 2009, was auf eine deutlich verbesserte Akzeptanz zurückzuführen ist. Anlage 5 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Dr. Herrmann Scheer (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 5): Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Anreize für Gemeinden zur Ausweisung von Flächen zur Windenergienutzung in § 29 Abs. 1 Nr. 2 des Gewerbesteuergesetzes auch nach einer möglichen Abschaffung der Gewerbe-steuer erhalten bleiben, und wie werden die Interessen der Erneuerbaren-Energien-Branche im Rahmen der Arbeit der Gemeindefinanzkommission angemessen berücksichtigt? Die unter Leitung des Bundesministers der Finanzen stehende Gemeindefinanzkommission prüft unter anderem Vorschläge zum Ersatz der Gewerbesteuer durch einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit Hebesatzrecht für die Kommunen. Diese Vorschläge befinden sich derzeit in der Diskussion. Aussagen zu Detailfragen sind derzeit noch nicht möglich. Die Bundesregierung ist von der Notwendigkeit überzeugt, dass die Grundsätze und Ziele des § 29 Abs. 1 Nr. 2 Gewerbesteuergesetz bei einer Neuordnung der Gemeindefinanzierung entsprechend zu berücksichtigen sind. Der Kommission gehören auch Vertreter der kommunalen Spitzenverbände an. Für den Arbeitsschwerpunkt Kommunalsteuern wurde eine Arbeitsgruppe gebildet. Vertreter von Wissenschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften werden in geeigneter Weise in die Arbeit der Kommission eingebunden. Anlage 6 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage der Abgeordneten Ute Vogt (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 8): Wie beurteilt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Forschungsergebnisse, dass die Stickstoffoxidemissionen von Euro-5-Lkw im Realbetrieb deutlich höher sind als bei der Festlegung der Abgasgrenzwerte für diese Fahrzeuge erwartet, und besteht die Absicht, ein Beschwerdeverfahren gegen die Hersteller einzuleiten? Dem BMU sind Ergebnisse eines Forschungsvorhabens des niederländischen Forschungsinstituts TNO bekannt. Den Ergebnissen dieses Vorhabens zufolge zeigten die untersuchten Euro-5-Lkw im außerstädtischen Betrieb und auf Autobahnen hohe NOx-Minderungsraten. Im innerstädtischen Betrieb seien die NOx-Minderungsraten geringer als in früheren Abschätzungen erwartet; trotzdem werde mit Euro 5 eine Verbesserung des NOx-Emissionsverhaltens erreicht. Die Prüfung der Belastbarkeit der Ergebnisse des Vorhabens ist noch nicht abgeschlossen. Die Ergebnisse des Vorhabens wurden jedoch bereits in Brüssel im zuständigen Kommissionsfachgremium, der Motor Vehicle Emission Group, unter Leitung der Europäischen Kommission, erörtert. Die Bundesregierung hat die Europäische Kommission in dieser Sitzung eindringlich gebeten, sich des Sachverhaltes anzunehmen und eine Überprüfung und Erörterung durchzuführen. Die Europäische Kommission hat dies zugesagt. Anlage 7 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Frank Schwabe (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 9): Ist der Bundesregierung die Studie "Distant origins of Arctic black carbon: A Goddard Institute for Space Studies ModelE experiment" von Dorothy Koch und James Hanson aus dem Jahr 2005 bekannt, die die Klimarelevanz von Dieselruß nachweist und die Auswirkungen auf das regionale Klima in der Arktis thematisiert? Die angesprochene Studie ist der Bundesregierung bekannt. Die Studie thematisiert die Herkunftsquellen von Ruß, der eine nachgewiesene Wirkung auf das regionale Klima der Arktis hat. Die Klimarelevanz von Ruß als solche wird in dieser Studie nicht thematisiert. Gemäß der Studie könnte ein großer Teil der Rußpartikel, die in der Arktis gemessen werden, aus Verbrennung von Kohle und Diesel und von Biomasse in Südasien stammen. Europa trägt gemäß dieser Studie zu etwa 10 bis 15 Prozent zu diesen Emissionen bei. Anlage 8 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Frank Schwabe (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 10): Wenn die Klimarelevanz von Dieselruß und die Auswirkungen auf das regionale Klima in der Arktis der Bundesregierung bekannt sind, wann gedenkt die Bundesregierung ein konkretes Minderungsziel für Dieselruß in ihre nationale Klimaschutzpolitik zu integrieren? Der Beitrag von Ruß zur globalen Erwärmung ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, seine Quantifizierung, etwa durch den IPCC in seinem 4. Sachstandsbericht, ist mit großen Unsicherheiten behaftet. Wegen der sehr kurzen Lebensdauer von Ruß im Vergleich zu den langlebigen Treibhausgasen hat eine Minderung von Rußemissionen praktisch keine Auswirkung auf die langfristige globale Temperaturentwicklung. Insofern sind die Aktivitäten der Bundesregierung zur Vermindung der Rußpartikel Gegenstand der Luftreinhaltepolitik und nicht der Klimapolitik. Anlage 9 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Frage 11): Wäre es aus Sicht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit rein technisch möglich, die restlichen auf dem Gelände des GKSS-Forschungszen-trum Geesthacht befindlichen abgebrannten Brennstäbe des Forschungsschiffes "Otto Hahn" in Deutschland, insbesondere auf dem Gelände des dem GKSS-Gelände sehr nahe gelegenen Atomkraftwerks Krümmel zu verpacken - unabhängig von der aktuellen genehmigungsrechtlichen Situation -, und ist es aus Sicht des BMU sinnvoll, für radioaktive Stoffe möglichst kurze Transportwege - bitte mit Begründung - zu wählen? Die Grundlagen für den Umgang mit Kernbrennstoffen sind die Anforderungen des Atomgesetzes und der zugehörigen Verordnungen. Daher sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit für eine rein technische Betrachtungsweise. Die Planungen zur Entsorgung der bestrahlen Kernbrennstoffe des ehemaligen Forschungsschiffes "Otto Hahn" sind durch das Bundesministerium für Forschung und Bildung sorgfältig geprüft und vorbereitet worden, die Möglichkeit einer Einbeziehung des benachbarten Kernkraftwerkes Krümmel hat sich nicht ergeben. Die bereits zahlreichen erfolgten Stilllegungen von kerntechnischen Einrichtungen in Deutschland erfordern in Einzelfällen längere Transportwege. Darüber hinaus ist die Streckenlänge für die Transportsicherheit nicht entscheidend. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage der Abgeordneten Krista Sager (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Frage 15): Mit welchem Ergebnis hat es zum laut Presseinformationen geplanten Wechsel des Forschungszentrums Borstel von der Leibniz-Gemeinschaft in die Helmholtz-Gemeinschaft bereits eine Befassung des Wissenschaftsrates gegeben, bzw. in welcher Form ist eine Befassung des Wissenschaftsrates vorgesehen? Eine Befassung des Wissenschaftsrates ist nicht erfolgt und bisher nicht vorgesehen. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Sönke Rix (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 16): Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der beim letzten Bildungsgipfel zwischen Bund und Ländern bekräftigten bildungspolitischen Ziele gerade im Bereich der Hochschulpolitik, angesichts der jüngst verlängerten Exzellenzinitiative und des Hochschulpaktes und angesichts der von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel angekündigten "Bildungsrepublik" - aus der Absicht der schleswig-holsteinischen Landesregierung, die Wirtschaftsstudiengänge in Flensburg und die Medizinische Fakultät in Lübeck - was zugleich wohl das Aus für die Universität Lübeck insgesamt wäre - zu schließen, und welche Maßnahmen sind vonseiten der Bundesregierung zur Sicherung der Hochschulstandorte Lübeck und Flensburg geplant? Maßnahmen zur Umgestaltung von universitären Strukturen fallen nach dem geltenden föderalistischen Kompetenzgefüge in die originäre Zuständigkeit des Landes Schleswig-Holstein. Die Initiierung konkreter Maßnahmen ist vonseiten der Bundesregierung daher nicht geplant. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Sönke Rix (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 17): Welcher finanzielle Beitrag käme dem Land Schleswig-Holstein durch die von der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, angeregte Rücknahme der mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz eingeführten Subvention für Hoteliers zugute, und könnte damit eine Schließung der Hochschulstandorte in Flensburg und Lübeck verhindert werden? Die Umsatzsteuermindereinnahmen durch die im Wachstumsbeschleunigungsgesetz erfolgte Ausdehnung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf Beherbergungsdienstleistungen betragen jährlich rund 945 Mil-lionen Euro. Davon entfallen auf die Länder rund 422 Millionen Euro. Diese verteilen sich auf die einzelnen Bundesländer entsprechend § 2 Finanzausgleichsgesetz nach der Einwohnerzahl. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen der Abgeordneten Dagmar Ziegler (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 18): Gab es Gespräche zwischen der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, und dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen mit dem Ziel, einen Weg zur Rücknahme der im Wachstumsbeschleunigungsgesetz eingeführten Mehrwertsteuersubvention für Hoteliers auszuarbeiten oder abzustimmen? Nein. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage der Abgeordneten Dagmar Ziegler (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 19): Welche Maßnahmen wurden zwischen dem Bund und dem Land Schleswig-Holstein besprochen bzw. vereinbart, um der drohenden Schließung von Spitzenuniversitäten wie der Universität Lübeck entgegenzuwirken, und zu welchem Ergebnis sind die Verhandlungen zwischen dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung bzw. dem Bundeskanzleramt gelangt? Maßnahmen zur Umgestaltung von universitären Strukturen fallen nach dem geltenden föderalistischen Kompetenzgefüge in die originäre Zuständigkeit des Landes Schleswig-Holstein. Die Initiierung konkreter Maßnahmen ist vonseiten der Bundesregierung daher nicht geplant. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Florian Pronold (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 20): Wie will die Bundesregierung der zu beobachtenden Tendenz, dass sich die Länder zunehmend aus den Programmen wie beispielsweise dem Hochschulpakt, der Exzellenzinitiative oder dem Pakt für Forschung und Innovation, die sie mit dem Bund vereinbart haben, zurückziehen, entgegenwirken, und wie will sie den daraus resultierenden Defiziten begegnen? Die Bundesregierung teilt Ihre Beobachtung nicht, dass sich die Länder zunehmend aus mit dem Bund vereinbarten Programmen wie beispielsweise dem Hochschulpakt, der Exzellenzinitiative oder dem Pakt für Forschung und Innovation zurückziehen. Vielmehr gibt es neue gemeinsame Vereinbarungen, wie zum Beispiel das am 10. Juni 2010 beschlossene Programm zur Verbesserung der Studienbedingungen und der Qualität der Lehre. Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefin und die Regierungschefs der Länder haben im Juni 2009 die Fortführung von Hochschulpakt 2020, Exzellenzinitiative und Pakt für Forschung und Innovation mit erheblichen zusätzlichen Mitteln für Wissenschaft und Forschung beschlossen. In Umsetzung dieses Beschlusses haben Bund und Länder in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz am 21. Juni 2010 den Haushalt der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für das Jahr 2011 mit einer 5-Prozent-Steigerung gegenüber 2010 beschlossen und damit ihre gemeinsamen Verpflichtungen aus dem Pakt für Forschung und Innovation erfüllt. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Florian Pronold (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 21): Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Einschätzung der Hochschulrektorenkonferenz, dass die Schließung des Medizinstudiengangs an der Universität Lübeck eine Provokation sei (Der Tagesspiegel, "Lübeck als Modell?", 9. Juni 2010) und dass diese Entscheidung einen falschen Schritt mit weitreichenden Konsequenzen, und zwar nicht nur für die Universität Lübeck und das Land Schleswig-Holstein, sondern für die Bundesrepublik Deutschland insgesamt, darstelle, und wie gedenkt die Bundesregierung im aktuellen Fall sowie in denkbaren kommenden Fällen auf die Schließung von exzellenten Studiengängen und Universitäten zu reagieren? Aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Haushaltsautonomie erstellen die Länder ihre Haushalte mit den entsprechenden Prioritätensetzungen selbstständig und unabhängig vom Bund. Dies gilt auch für die Entscheidungen zur Grundfinanzierung einzelner Hochschulen. Die Initiierung konkreter Maßnahmen ist vonseiten der Bundesregierung daher nicht geplant. Insgesamt weist die Bundesregierung darauf hin, dass das zwischen Bund und Ländern im Oktober 2008 vereinbarte und am 16. Dezember 2009 bestätigte Ziel, gesamtstaatlich 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung aufzuwenden, weiterhin gilt. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen der Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) (Drucksache 17/2285, Fragen 22 und 23): Welche Auswirkungen hat die Schließung der Hochschulstandorte in Flensburg und Lübeck auf die Erreichung des Ziels, bis zum Jahr 2015 mit Mitteln des Bundes 275 000 Studienplätze schaffen zu wollen, und inwieweit sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf, insbesondere in Bezug auf die Umsetzung und Weiterentwicklung des Hochschulpaktes? Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um - angesichts der Finanzsituation und der Sparzwänge der Länder - in entsprechenden Situationen die Kürzung im Bildungs- und Wissenschaftsbereich oder gar die Schließung von kompletten Hochschulen zu verhindern, und welche rechtlichen Voraussetzungen sind hierfür notwendig, etwa hinsichtlich der von der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, angeregten Abschaffung des Kooperationsverbotes? Zu Frage 22: Die Systematik des Hochschulpakts 2020 und die entsprechenden Mittel des Bundes sind an die tatsächliche bundesweite Aufnahme zusätzlicher Studienanfängerinnen und Studienanfänger und nicht an die Existenz einzelner Hochschulstandorte geknüpft. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Länder, wie im Hochschulpakt 2020 vereinbart, ein bedarfsgerechtes Studienangebot zur Verfügung stellen. Dies sind vereinbarungsgemäß rund 275 000 zusätzliche Studienanfängerinnen und Studienanfänger in den Jahren 2011 bis 2015. Insofern besteht aus Sicht der Bundesregierung kein Bedarf für eine Anpassung des Hochschulpakts. Zu Frage 23: Aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Haushaltsautonomie erstellen die Länder ihre Haushalte selbstständig und unabhängig vom Bund. Unbeschadet davon gilt weiterhin das zwischen Bund und Ländern im Oktober 2008 in Dresden vereinbarte und am 16. Dezember 2009 bestätigte Ziel, gesamtstaatlich 10 Prozent des BIP für Bildung und Forschung aufzuwenden. Zum Erreichen dieses Ziels sind keine Änderungen der rechtlichen Voraussetzungen notwendig. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Michael Gerdes (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 24): Hat sich die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit der hochschulpolitischen Situation in Schleswig-Holstein befasst, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundeskanzlerin aus den aktuellen Debatten für die Weiterführung der Pläne zur Schaffung einer "Bildungsrepublik Deutschland"? Aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Haushaltsautonomie erstellen die Länder ihre Haushalte selbstständig und unabhängig vom Bund. Unbeschadet davon gilt weiterhin das zwischen Bund und Ländern im Oktober 2008 in Dresden vereinbarte und am 16. Dezember 2009 bestätigte Ziel, gesamtstaatlich 10 Prozent des BIP für Bildung und Forschung aufzuwenden. Zum Erreichen dieses Ziels sind keine Änderungen der rechtlichen Voraussetzungen notwendig. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Michael Gerdes (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 25): Hat die Bundesregierung eine Lösung zum Erhalt der Universität Lübeck nach dem Modell des Karlsruher Instituts für Technologie, KIT, also des Zusammenschlusses einer Universität in Landeshoheit mit Aufgaben in Lehre und Forschung und einer Großforschungseinrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft mit programmorientierter Vorsorgeforschung im Auftrag des Staates, geprüft, und zu welchem Ergebnis ist die Prüfung gekommen? Maßnahmen zur Umgestaltung von universitären Strukturen in Lübeck fallen nach dem geltenden föderalistischen Kompetenzgefüge in die originäre Zuständigkeit des Landes Schleswig-Holstein. Konkrete Aussagen der Bundesregierung zu Modellbeispielen oder Umsetzungsszenarien sind vor dem Hintergrund des geltenden föderalistischen Kompetenzgefüges und des aktuellen Verfahrensstandes nicht angezeigt. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) (Drucksache 17/2285, Fragen 26 und 27): Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung -nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Äußerungen des Bundesministers für Gesundheit bezüglich des drohenden Ärztemangels - aus der seitens der schleswig-holsteinischen Landesregierung angekündigten Schließung der in den Hochschulrankings immer bestplatzierten Medizinerausbildung in Lübeck? Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Länder - der schleswig-holsteinische Wissenschaftsminister beispielsweise hat festgestellt, dass sich das Konsolidierungsland Schleswig-Holstein "zu viel Exzellenz" nicht mehr leisten kann (Pressemitteilung des wissenschaftlichen Personalrats der Universität zu Lübeck vom 23. Juni 2010) - angesichts der Finanzkrise und der Sparzwänge zunehmend wissenschaftliche Exzellenz nicht mehr finanzieren können, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung auch vor dem Hintergrund der jüngst verlängerten Bund-Länder-Initiativen Hochschulpakt, Exzellenzinitiative und Pakt für Forschung und Innovation aus den offenkundig massiven Finanzierungsproblemen der Länder hinsichtlich des Erhalts wissenschaftlicher Exzellenz? Zu Frage 26: Angesichts der föderalen Kompetenzverteilung und der Zuständigkeit der Länder für die Hochschulen kann die Bundesregierung die Einrichtung oder Schließung von Studiengängen durch einzelne Länder nicht steuern. Der Bund leistet bereits mit dem Hochschulpakt 2020 einen Beitrag zur Finanzierung der Medizinausbildung in Deutschland. Zu Frage 27: Aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Haushaltsautonomie erstellen die Länder ihre Haushalte mit den entsprechenden Prioritätensetzungen selbstständig und unabhängig vom Bund. Dies gilt auch für die Entscheidungen zur Grundfinanzierung der Hochschulen und zu weiteren Maßnahmen, die die Leistungsfähigkeit der einzelnen Hochschulen in Forschung und Lehre unterstützen. Wichtige Voraussetzungen für Innovationen und ein langfristiges Wachstum sind wissenschaftliche Exzellenz und hochqualifizierter Nachwuchs. Die Bundesregierung hat diesen Zusammenhang auch im Lichte der Finanz- und Wirtschaftskrise betont und leistet bereits zahlreiche Beiträge zur Stärkung von wissenschaftlicher Exzellenz an Hochschulen. Die Bundesregierung steht darüber hinaus zu den Verpflichtungen, die sie gemeinsam mit den Ländern beim Hochschulpakt 2020, der Exzellenzinitiative und dem Pakt für Forschung und Innovation eingegangen ist. Sie sieht diese gemeinsamen Programme und die darin verfolgten Zielsetzungen auch durch die Länder nicht infrage gestellt. So haben Bund und Länder zum Beispiel in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz am 21. Juni 2010 in Umsetzung des Pakts für Forschung und Innovation den Haushalt der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für das Jahr 2011 mit einer 5-Prozent-Steigerung gegenüber 2010 beschlossen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das zwischen Bund und Ländern im Oktober 2008 vereinbarte und am 16. Dezember 2009 bestätigte Ziel, gesamtstaatlich 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung aufzuwenden, weiterhin gilt. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen des Abgeordneten Swen Schulz (Spandau) (SPD) (Drucksache 17/2285, Fragen 28 und 29): Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Reduzierung der Staatsausgaben zulasten von Bildung und Wissenschaft zwar einen einfachen, aber grundfalschen Weg bei der Haushaltskonsolidierung darstellt, dass - sollte das Beispiel Lübeck Schule machen - die Universität Lübeck bundesweit vermutlich nur die erste Universität ist, deren Existenz gefährdet ist, und dass angesichts der Haushaltssituation zahlreicher Bundesländer weitere Universitätsschließungen in anderen Konsolidierungsländern folgen dürften? Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass in den Medien die schleswig-holsteinische Landesregierung das Aus für die Universität Lübeck insbesondere mit dem Exzellenzwettbewerb begründet, und welche Maßnahmen wären nach Auffassung der Bundesregierung geeignet, um das Gegeneinanderausspielen von Hochschulstandorten - hier Lübeck und Kiel - wirksam - etwa in Bezug auf die Ausgestaltung des Exzellenzwettbewerbs - zu verhindern? Zu Frage 28: Aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Haushaltsautonomie erstellen die Länder ihre Haushalte mit den entsprechenden Prioritätensetzungen selbstständig und unabhängig vom Bund. Dies gilt auch für die Entscheidungen zur Grundfinanzierung einzelner Hochschulen. Die Bundesregierung geht nicht von einer Schließungswelle von Hochschulstandorten in den kommenden Jahren aus. Die Bundesregierung geht vielmehr davon aus, dass die Länder, wie im Hochschulpakt 2020 vereinbart, in den Jahren 2011 bis 2015 insgesamt rund 275 000 zusätzliche Studienmöglichkeiten in Deutschland bereitstellen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das zwischen Bund und Ländern im Oktober 2008 vereinbarte und am 16. Dezember 2009 bestätigte Ziel, gesamtstaatlich 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung aufzuwenden, weiterhin gilt. Zu Frage 29: Die Bundesregierung hält an dem Ziel der gemeinsam mit den Ländern vereinbarten Exzellenzinitiative fest, in einem bundesweiten Wettbewerb zwischen Universitäten die besten Forschungsprojekte und Konzepte von Hochschulen zu fördern. Die Entscheidung über die zu fördernden Universitäten wird entsprechend der Bund-Länder-Vereinbarung in einem wissenschaftsgeleiteten Verfahren nach wissenschaftlichen Exzellenzkriterien getroffen. Strategische Entscheidungen zu Hochschulstandorten in einem Land fallen unter die verfassungsmäßig garantierte Kulturhoheit der Länder. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen des Abgeordneten Willi Brase (SPD) (Drucksache 17/2285, Fragen 30 und 31): Wie bewertet die Bundesregierung die in Medienberichten zur Rettung der Universität Lübeck ("Berlin wartet Konzept zur Stiftungsuni ab", Lübecker Nachrichten vom 24. Juni 2010) zitierten Modelle zur Rettung der Universität Lübeck, denen zufolge das Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel unter das Dach der Helmholtz-Gemeinschaft verschoben werden und das Land Schleswig-Holstein durch die höhere Bundesfinanzierung Einsparungen in Millionenhöhe erzielen soll - insbesondere vor dem Hintergrund, dass laut Bericht der Tageszeitung Neues Deutschland vom 23. Juni 2010 bislang niemand mit der Leibniz-Gemeinschaft auch nur das Gespräch gesucht hat und diese die Verschiebung von Zuständigkeiten laut Medienberichten ablehnt -, und welche Chancen räumt die Bundesregierung dem zweiten Modell einer Stiftungsuniversität ein? Welchen Beitrag kann aus Sicht der Bundesregierung das in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, GWK, diskutierte Bund-Länder-Programm zur Medizinerausbildung zum Erhalt der von Schließung bedrohten Hochschulen und zur Sicherstellung der Medizinerausbildung leisten, und in welcher Form - organisatorisch und/oder finanziell - ist der Bund bereit, sich hier einzubringen? Zu Frage 30: Maßnahmen zur strukturellen Umgestaltung von universitären Strukturen in Lübeck fallen nach dem geltenden föderalistischen Kompetenzgefüge in die originäre Zuständigkeit des Landes Schleswig-Holstein. Konkrete Aussagen der Bundesregierung zu Modellbeispielen oder Umsetzungsszenarien sind vor dem Hintergrund des geltenden föderalistischen Kompetenzgefüges und des aktuellen Verfahrensstandes nicht angezeigt. Zu Frage 31: Der Bund leistet bereits mit dem Hochschulpakt 2020 einen Beitrag zur Finanzierung der Medizinausbildung in Deutschland. Die KMK hat auf ihrer Sitzung am 27. Mai in München beschlossen, mit dem Bund Gespräche über ein mögliches Sonderprogramm für zeitlich befristete Studienplätze in der Medizin aufzunehmen. Auf der GWK-Sitzung am 21. Juni 2010 wurden weitere Gespräche zwischen Bund und einigen Ländern in den kommenden Wochen vereinbart. Es liegen hierzu noch keine Ergebnisse vor. Anlage 23 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Fragen des Abgeordneten Uwe Kekeritz (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Fragen 32 und 33): Wie ist sichergestellt, dass die Bundesregierung die auf dem G-8-Gipfel zugesagten Mittel nicht durch Kürzungen in anderen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit aufbringt? Welcher Anteil an den deutschen Zusagen für Mütter- und Kindergesundheit wird in Zukunft geleistet werden, und welcher Anteil wurde bereits in der Vergangenheit geleistet? Zu Frage 32: Der Haushalt 2011 befindet sich derzeit im regierungsinternen Aufstellungsverfahren. Über Schwerpunktsetzungen und detaillierte Ansätze wird das Parlament durch den vom Kabinett verabschiedeten Regierungsentwurf unterrichtet. Ob sich durch aktuelle oder künftige G-8-Zusagen Anpassungserfordernisse ergeben, kann derzeit nicht ausgeschlossen werden. Zu Frage 33: Die bei dem G-8-Gipel 2010 zugesagten Mittel werden ausschließlich in der Zukunft geleistet. Anlage 24 Antwort des Staatsministers Bernd Neumann auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/2285, Frage 34): Inwieweit befürwortet die Bundesregierung die Pläne der Bundesländer, die Rundfunkgebührenbefreiung zulasten von Menschen mit Behinderung sowie gemeinnützigen Einrichtungen für Behinderte unter anderem zum 1. Januar 2013 abzuschaffen (siehe Eckpunkte der Ministerpräsidenten der Länder über eine veränderte Rundfunkfinanzierung vom 9./10. Juni 2010)? Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes liegen Fragen der Finanzierung des inländischen Rundfunks in der Zuständigkeit der Länder. Die Regierungschefin und Regierungschefs der Länder haben auf ihrer Konferenz am 10. Juni 2010 in Berlin die im Länderkreis erarbeiteten Eckpunkte zur Neuordnung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zustimmend zur Kenntnis genommen. Sofern Menschen mit Behinderung einen Befreiungsgrund geltend machen können, sehen die Eckpunkte eine Beitragsbefreiung für diesen Personenkreis vor. Für finanziell leistungsfähige Menschen mit Behinderung wird ein ermäßigter Beitrag in Höhe von einem Drittel des Rundfunkbeitrages angesetzt. Für nichtprivate gemeinnützige Einrichtungen für Behinderte enthalten die Eckpunkte eine Begrenzung des Rundfunkbeitrags auf höchstens einen Beitrag pro Betriebsstätte. Die Bundesregierung geht davon aus, dass nunmehr der Entwurf eines Rundfunkbeitragsstaatsvertrages durch die Länder erarbeitet werden wird, in den insbesondere auch Ergebnisse von Anhörungen fachlicher Kreise einfließen werden. Vor diesem Hintergrund sieht die Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt von einer Stellungnahme zu Einzelfragen möglicher künftiger Befreiungsregelungen ab. Anlage 25 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Erika Steinbach (CDU/CSU) (Drucksache 17/2285, Frage 35): Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Anzahl der Morde an Journalisten in den letzten drei Jahren, insbesondere im Irak, auf den Philippinen, in Kolumbien und in der Russischen Föderation? Die Bundesregierung setzt sich nachdrücklich für Meinungs- und Pressefreiheit als unveräußerliche Menschenrechte und als Grundlage einer funktionierenden Demokratie ein. Die zunehmende Bedrohung von Journalisten mit Menschenrechtsverletzungen, ob im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, im Umfeld organisierter Kriminalität oder zum Beispiel nach umstrittenen Wahlen, verfolgt die Bundesregierung mit großer Sorge. Dabei geraten immer mehr Menschen in Bedrängnis, die keiner journalistischen Tätigkeit im klassischen Sinne nachgehen, sondern als Blogger oder in Onlineplattformen gesellschaftliche Diskussionen anstoßen und auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen. Die Bundesregierung tritt deutlich gegen Versuche ein, Presse- und Meinungsfreiheit zu relativieren oder preiszugeben. Sie wird auch zukünftig gemeinsam mit den EU-Partnern Verletzungen der Meinungs- und Pressefreiheit aufgreifen. Einzelfälle von Angriffen auf Journalisten und Morden an Medienschaffenden thematisiert die Bundesregierung sowohl bilateral wie auch gemeinsam mit den EU-Partnern. Zu den Fragen nach Journalistenmorden in einzelnen Ländern ist voranzustellen, dass der Bundesregierung unterschiedliche Informationen vorliegen. Die nachfolgend genannten Zahlen für die entsprechenden Länder stammen von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen, zu denen die deutschen Auslandsvertretungen Kontakt haben. Irak: Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden im Zeitraum 2007 bis 2009 insgesamt 47 Journalisten in Irak getötet - 2007: 32, 2008: 11, 2009: 4, 2010: 1; Quelle: International Commitee to Protect Journalists. Philippinen: Es gibt keine einheitlichen Angaben über die Anzahl der Todesopfer unter den Journalisten auf den Philippinen. Die am meisten zitierte Quelle ist die National Union of Journalists of the Philippines. Diese nennt folgende Zahlen: 2007: 5, 2008: 7, 2009: 38, davon 32 in dem "Maguindanao Massacre", 2010 bis heute: drei Journalisten. Diese Zahlen werden auch von dem International News Safety Institute verwendet. Davon abweichend das Center for Media Freedom & Responsibility: 2007: 2, 2008: 6, 2009: 36 Journalisten, davon 32 in dem "Maguindanao Massacre", 2010: keine Angaben. Beide Organisationen sind der Deutschen Botschaft bekannt und werden von ihr als seriös eingeschätzt. Kolumbien: Nach Angaben der unabhängigen Nichtregierungsorganisation CPJ, Committee to Protect Journalists, wurden von 2007 bis 2010 zwei Journalisten ermordet, bei denen es einen klaren Zusammenhang zwischen der Tätigkeit als Journalist und der Ermordung gab. In beiden Fällen waren wahrscheinlich Paramilitärs für die Morde verantwortlich. Im gleichen Zeitraum gab es drei Morde, bei denen ein Zusammenhang möglich, aber nicht nachgewiesen war. Russische Föderation: Die Bundesregierung kann keine Aussage über die genaue Anzahl von Morden an und Angriffen auf Journalisten machen. Bekannt wurden in den letzten Jahren Einzelfälle, zu denen folgende Morde zählen: Anna Politkowskaja, Journalistin der Nowaja Gazeta, ermordet am 7. Juni 2006; Magomed Jewlojew, Betreiber der Webseite lngushetia.ru, am 31. August 2008 in Polizeigewahrsam erschossen; Jaroslaw Jaroschenko, Redakteur der Zeitschrift Corruption and Crime, im April 2009 von Unbekannten brutal zusammengeschlagen, erlag seinen Verletzungen im Krankenhaus im Juni 2009; Malik Achmedilow, dagestanischer Journalist, am 11. August 2009 in Machatschkala/Dagestan erschossen, und Anastasija Baburowa, freie Journalistin, unter anderem für Nowaja Gazeta; am 19. Januar 2009 auf offener Straße zusammen mit dem Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow erschossen. Übergriffe werden von den Justizbehörden oftmals ignoriert oder in Abrede gestellt. Daher ist von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen. Außerdem sind Übergriffe nicht in jedem Fall auf die journalistische Tätigkeit der Opfer zurückzuführen, sondern können auch andere Hintergründe haben. Die Abgrenzung und Ursachenforschung ist angesichts der unübersichtlichen Situation - vor allem im Nordkaukasus - schwierig. Insgesamt arbeiten kritische russische Journalisten in einer Situation, die ihnen mitunter großen persönlichen Mut abverlangt. Anlage 26 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich (SPD) (Drucksache 17/2285, Fragen 36 und 37): Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, dass der zweite Wahlgang darüber entscheiden werde, ob der Weg Polens zurück ins politische Abseits gehe, und wie beurteilt die Bundesregierung eine möglicherweise dadurch entstehende Belastung des deutsch-polnischen Verhältnisses? In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung sich zukünftig in Wahlauseinandersetzungen europäischer Partnerstaaten einzumischen? Zu Frage 36: Die Entscheidung, wer am 4. Juni 2010 zum nächsten polnischen Präsidenten gewählt wird, obliegt alleine dem polnischen Volk. Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, hat am 23. Juni 2010 beim XIV. Deutsch-Polnischen Forum in Warschau betont, dass ihr sehr an freundschaftlichen Beziehungen zu Polen gelegen ist und sie sich in keiner Weise in den Fortgang der Präsidentschaftswahl einmischen möchte. Der polnische Staatssekretär Wladislaw Bartoszewski hat bei derselben Veranstaltung das bilaterale Verhältnis als hervorragend bezeichnet und dabei auch seine vertrauensvolle, enge Zusammenarbeit mit Staatsministerin Pieper als Koordinatorin für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit hervorgehoben. Zu Frage 37: Die Bundesregierung kommentiert innenpolitische Wahlkampfauseinandersetzungen in europäischen Partnerstaaten nicht. Anlage 27 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen des Abgeordneten Memet Kilic (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Fragen 38 und 39): In wie vielen Fällen haben die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland in der Türkei beim Ehegattennachzug nach Deutschland von Ehegatten, die einen Hoch- oder Fachhochschulabschluss oder eine entsprechende Qualifikation besitzen oder eine Erwerbstätigkeit ausüben, die regelmäßig eine solche Qualifikation voraussetzt, vor der Einreise den Nachweis von Deutschkenntnissen verlangt? Wie stellt das Auswärtige Amt sicher, dass die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland bei Visumanträgen zum Ehegattennachzug bei erkennbar geringem Integrationsbedarf gemäß § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 des Aufenthaltsgesetzes Sprachnachweise nicht verlangen? Zu Frage 38: Im Zeitraum 1. Januar 2009 bis 31. März 2010 wurde an den drei visumerteilenden Auslandsvertretungen in der Türkei, Ankara, Istanbul und Izmir, in 228 Fällen das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes bejaht und auf den Sprachnachweis verzichtet. Eine gesonderte statistische Erfassung nach einzelnen Ausnahmetatbeständen findet nicht statt. Auch eine Erfassung des Bildungshintergrundes der Antragsteller findet nicht statt. Alleine die besondere Qualifikation genügt nach dem Gesetz nicht, um den Ausnahmetatbestand des geringen Integrationsbedarfs im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 des Aufenthaltsgesetzes zu bejahen. Vielmehr muss hierzu zusätzlich eine positive Erwerbsprognose und positive Integrationsprognose bescheinigt werden können, § 4 Abs. 2 Integrationskursverordnung. Soweit die Erwerbsprognose positiv ausfällt, kann in der Regel auch die Integrationsprognose bejaht werden. Bei der Erwerbsprognose kommt der Ausländerbehörde eine wichtige Rolle zu. Zu Frage 39: Die deutschen Auslandsvertretungen sind angewiesen, eine Ausnahme aufgrund erkennbar geringen Integrationsbedarfs insbesondere dann anzunehmen, wenn Antragstellern eine besondere Qualifikation, eine positive Erwerbsprognose und positive Integrationsprognose bescheinigt werden kann. Im Rahmen der Beratung von Antragstellern und Einladern gibt auch die Zentrale des Auswärtigen Amts Auskunft über diesen Ausnahmetatbestand. Bei entsprechenden Anfragen von Bürgern gibt die Zentrale den Auslandsvertretungen Hinweise zu Einzelfällen. Anlage 28 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Fragen 40 und 41): Wie setzt sich die Bundesregierung auf EU-Ebene dafür ein, im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, Polizistinnen und Polizisten nach Kirgistan zu schicken, um zur Stabilisierung der politischen Lage beizutragen (siehe auch Reuters-Meldung vom 23. Juni 2010 "OSZE fordert internationale Polizei-Truppe für Süd-Kirgistan")? In welcher Form setzt sich die Bundesregierung dafür ein, deutsche Polizistinnen und Polizisten für eine internationale OSZE-geführte Polizeitruppe für Kirgistan bereitzustellen, und inwiefern beurteilt sie die Entsendung von Polizistinnen und Polizisten in Krisengebiete als eine langfristige strukturelle Aufgabe der zivilen Konfliktbearbeitung? Zu Frage 40: Sowohl im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, als auch im Rahmen der EU erörtert die Bundesregierung derzeit gemeinsam mit ihren Partnern, welche Mittel und Instrumente neben der bereits geleisteten humanitären Hilfe noch zur Verfügung stehen, um zur Konfliktlösung und zur Stabilisierung in Kirgisistan beizutragen. Um mögliche Handlungsoptionen für die OSZE zu analysieren, hat Kasachstan als derzeitiger OSZE-Vorsitz am 24. Juni 2010 eine Bedarfsermittlungsmission nach Kirgisistan entsandt. Die Mission soll dazu dienen, uns von der komplexen Lage vor Ort sowie den konkreten Unterstützungsmöglichkeiten im Sicherheitsbereich ein genaues Bild zu machen. Im EU-Rahmen hat die Bundesregierung am 23. Juni 2010 zusammen mit Frankreich eine gemeinsame Initiative zur Unterstützung Kirgisistans in der Krise eingebracht. Darin rufen Frankreich und Deutschland die EU dazu auf, gemeinsam mit den Vereinten Nationen die Möglichkeit einer internationalen Erkundungsmission zu prüfen, weitere humanitäre Hilfe zu leisten, bei der Konfliktlösung eng mit Russland zusammenzuarbeiten sowie die von der OSZE noch zu beschließenden Maßnahmen zu unterstützen. Zu Frage 41: Bisher hat die OSZE noch keinen Beschluss gefasst, eine "internationale OSZE-geführte Polizeitruppe" nach Kirgisistan zu entsenden. Die Bundesregierung wird im Lichte des Berichts der Bedarfsermittlungsmission der OSZE und der aktuellen Sicherheitslage prüfen, an welchen Maßnahmen der OSZE sie sich beteiligen wird. Grundsätzlich gewinnt im Rahmen internationaler Maßnahmen zur Konfliktbewältigung und Krisennachsorge die zivile Komponente, das heißt also auch der Einsatz von Polizisten und Polizistinnen zunehmende Bedeutung. Der Einsatz von Polizeikräften dient kurzfristig der Stabilisierung der Lage und kann langfristig durch Unterstützung bei Ausbildung und Aufbau einer nach rechtsstaatlichen Grundsätzen arbeitenden Polizei eine zentrale Hilfestellung leisten. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 42): Sind die vielfältigen Bildungsangebote, die zum Aufgabengebiet des Bundesministeriums des Innern gehören, wie zum Beispiel die Bundeszentrale für politische Bildung oder die Integrationskurse, auch vom Beschluss der Bundesregierung betroffen, den Bildungsbereich von künftigen Haushaltskürzungen auszunehmen und sogar mit weiteren Finanzmitteln aufzustocken? Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat für konkrete Bildungsmaßnahmen von nachgeordneten Behörden zusätzliche Bildungsmittel aus dem 12-Milliarden-Euro-Programm der Bundesregierung beantragt. Diese vom 12-Milliarden-Euro-Programm profitierenden Behörden müssen jedoch gleichermaßen zu den allgemeinen Einsparvorgaben zur Haushaltskonsolidierung beitragen, wie die anderen Behörden im Geschäftsbereich des BMI. Die für den Einzelplan des BMI von der Bundesregierung beschlossenen Absenkungen belaufen sich im Jahr 2011 auf rund 77,4 Millionen Euro gegenüber dem geltenden Finanzplan; im Jahr 2012 erhöht sich der Einsparbetrag sogar auf rund 91,6 Millionen Euro, in den Jahren 2013 und 2014 dann auf rund 99,1 Millionen Euro. Das BMI ist bei allen Bemühungen um eine gleichmäßige Verteilung der Einsparungen bei der Aufstellung des Haushaltsentwurfs nicht pauschal vorgegangen. Die beschlossenen Einsparungen richten sich an der finanziellen Leistungsfähigkeit sämtlicher Bereiche des Einzelplans aus. Auch der Grad der Flexibilisierung und die unterschiedlichen Möglichkeiten, Projekte zeitlich zu verschieben und damit auch kurzfristig auf Einsparvorgaben zu reagieren, mussten berücksichtigt werden. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 43): Wie begründet die Bundesregierung die Auffassung, dass sich aus der Rücknahme des Vorbehalts zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes kein bundesgesetzlicher Änderungsbedarf ergebe, im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit unbegleiteter minderjähriger Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die das 16. Lebensjahr vollendet haben? Ich darf zunächst an den Wortlaut des hier einschlägigen Teils der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland erinnern: Nichts in dem Übereinkommen kann dahin ausgelegt werden, dass die widerrechtliche Einreise eines Ausländers in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder dessen widerrechtlicher Aufenthalt dort erlaubt ist; auch kann keine Bestimmung dahin ausgelegt werden, dass sie das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthalts zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen. In dieser Erklärung wird an keiner Stelle auf die Altersgrenze im Asylrecht oder im Ausländerrecht Bezug genommen. Es ist daher auch kein rechtlicher Grund ersichtlich, warum die von der Bundesregierung am 3. Mai 2010 beschlossene Rücknahme der Erklärung diese Altersgrenze unzulässig machen sollte. Es bestand und besteht Konsens innerhalb der Bundesregierung, dass die Erklärung eine deklaratorische Bedeutung hat und ihre Rücknahme demgemäß keine unmittelbaren Rechtsfolgen auslöst. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage des Abgeordneten Peter Friedrich (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 44): Wie bewertet die Bundesregierung, dass rechtsextreme Gruppierungen wie die NPD vermehrt über Google-Anzeigen in den Onlineangeboten von Tageszeitungen und Blogs werben, so unter anderem mit den Worten "Kostenlos objektiv über die NPD informieren", und sind vonseiten der Bundesregierung rechtliche Schritte geplant, diese Praxis zu unterbinden? Der Bundesregierung liegen nur vereinzelte Hinweise vor, wonach es der NPD gelungen ist, über den Google-Werbedienst in Onlineanzeigen seriöser Zeitungen Werbung zu platzieren. Bewerkstelligt wird dies mittels programmgesteuerter automatisierter Kopplung an bestimmte, in Beiträgen enthaltene Schlagworte. Diese Schlagworte können auch in kritischer Berichterstattung enthalten sein. Durch die Verwendung einer entsprechenden Software kann das Aufblenden der Werbung unterbunden werden. Diese Filterfunktion kann sowohl vom einzelnen Internetbetreiber als auch vom individuellen Nutzer aktiviert werden. Seitens der von Online-nachrichtendiensten betriebenen Internetseiten, wie zum Beispiel Welt Online ist dies zwischenzeitlich auch erfolgt. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Frage 45): Wie lautet die Rechtfertigung der Bundesregierung für ihre Enthaltung zu dem im Ministerrat befürworteten SWIFT-Abkommen zur Übermittlung intimster Banktransaktionsdaten einer nicht näher bestimmbaren, vermutlich in die Millionen gehenden Anzahl von Bundesbürgern für eine Dauer von fünf Jahren in die nach EU-Datenschutzrecht als unsicheres Drittland eingestufte USA angesichts ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrages für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und damit auch für die Beachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung, in welcher bereits eine Speicherung von möglicherweise weitaus weniger sensitiven Daten für einen weitaus kürzeren Zeitraum von sechs Monaten für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig angesehen wird? Deutschland konnte dem Ratsbeschluss über die Unterzeichnung des sogenannten SWIFT-Abkommens im schriftlichen Verfahren zustimmen, nachdem das Europäische Parlament Zustimmung signalisiert hat und weil es insbesondere im Hinblick auf den Rechtsschutz und auf den Datenschutz deutliche Verbesserungen gegenüber dem Interimsabkommen enthält. Hervorheben möchte ich insbesondere folgende Verbesserungen, die auf deutsche Initiative im Abkommen enthalten sind: Das Ersuchen muss auch in Bezug auf die Datenarten spezifiziert und eingeschränkt werden. Das Ersuchen muss so eng wie möglich gefasst sein, um die Menge der angeforderten Daten auf ein Minimum zu beschränken. Drittstaatenübermittlung ist grundsätzlich nur bei Zustimmung des jeweiligen Ursprungsstaats zulässig. Eine Ausnahme besteht nur bei Gefahr im Verzug bei dringenden schweren Gefahren. Berichtigungs-, Löschungs- und Sperrungsrechte können künftig jeweils über die Datenschutzbehörde des jeweiligen Mitgliedstaats geltend gemacht werden, die die Anfrage an die USA weiterleitet. Darüber hinaus müssen die USA in ihren Ersuchen den angeforderten Übermittlungsumfang eingrenzen und zwar aufgrund eines Risikoprofils, das insbesondere bestimmte Nachrichtenarten und geografische Regionen berücksichtigt. Daten, die sich auf den Einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum beziehen, sogenannte SEPA-Daten, dürfen von den USA nicht angefordert werden, Art. 4 Abs. 2 d, und somit auch nicht übermittelt werden. Was die von Ihnen angesprochene Höchstspeicherdauer der Daten anbelangt: Die Bunderegierung hat sich mit Nachdruck für eine Verkürzung auf unter fünf Jahre eingesetzt. Die USA waren aber laut Aussage der Verhandlungsführerin der EU, der Kommission, nicht kompromissbereit und verweisen - was zutrifft - darauf, dass bereits die Banken weltweit nach globalen Standards zur Terrorismusfinanzierungsbekämpfung genau zu dieser fünfjährigen Vorsorgespeicherung verpflichtet sind: In der EU ist dies in der Geldwäscherichtlinie genauso geregelt, folglich im deutschen Geldwäschegesetz genauso umgesetzt. Neu ist allerdings, dass der Vertrag nun ausdrücklich Evaluierungsvorgaben vorsieht, die auf eine Fristverkürzung zusteuern. Das Abkommen enthält in Art. 12 und 13 Regelungen zur Sicherung des Datenschutzes in den USA. Gemäß Art. 12 Abs. 1 wird künftig auch eine von der Europäischen Kommission benannte Person vor Ort im US-Finanzministerium die Verwendung der Daten überprüfen. Art. 13 sieht eine gemeinsame EU/US-Evaluierung spätestens nach sechs Monaten nach Inkrafttreten des Abkommens dahingehend vor, ob die durch das Abkommen gesetzten Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf den Datenschutz eingehalten werden. Dabei werden dieses Mal auch europäische Datenschutzbeauftragte einbezogen werden - eine der Verbesserungen, die das Abkommen gegenüber den Datenschutzzusicherungen enthält, die die USA bisher einseitig abgegeben haben und die die EU im Jahr 2007 als angemessenes Datenschutzniveau für eine Übermittlung in die USA anerkannt hatte - EU-ABI. C 166 vom 20. Juli 2007, Seite 26. Der Rat ist zudem übereingekommen, das Abkommen erneut zu bewerten, sobald das künftige EU-USA-Rahmenabkommen über den Datenschutz abgeschlossen worden ist. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Fragen der Abgeordneten Dr. Eva Högl (SPD) (Drucksache 17/2285, Fragen 46 und 47): Wie wird die Bundesregierung sich bei der Abstimmung über das sogenannte SWIFT-Abkommen im Rat der EU verhalten? Welche Bedeutung hat nach Ansicht der Bundesregierung der im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP formulierte Ratifizierungsvorbehalt für das Inkrafttreten des neuen SWIFT-Abkommens? Zu Frage 46: Die Bundesregierung hat im schriftlichen Verfahren dem Ratsbeschluss über die Unterzeichnung des sogenannten SWIFT-Abkommens zugestimmt. Die Bundesregierung hat sich darüber hinaus damit einverstanden erklärt, dass der Entwurf des Beschlusses über den Abschluss des Abkommens nach der Unterzeichnung des Abkommens dem Europäischen Parlament zur Zustimmung zugeleitet wird. Des Weiteren hat die Bundesregierung ihre Zustimmung dazu erteilt, dass der Rat das Europäische Parlament ersucht, die Angelegenheit im Dringlichkeitsverfahren gemäß Art. 142 seiner Geschäftsordnung zu behandeln. Zu Frage 47: Das sogenannte SWIFT-Abkommen wurde nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 und nach der Ablehnung des sogenannten Interimsabkommens durch das Europäische Parlament am 11. Februar 2011 neu ausverhandelt. Ich gehe davon aus, dass Ihre Frage zum Koalitionsvertrag vom September 2009 darauf abzielt, ob in Deutschland ein Vertragsgesetz für das Zustandekommen des Abkommens erforderlich ist. Dies ist nicht der Fall. Es handelt sich nicht um ein sogenanntes gemischtes Abkommen. Die Europäische Union ist alleinige Vertragspartnerin der USA und nicht daneben auch noch die Mitgliedstaaten. Das Abkommen fällt in die Vertragsschlusskompetenz der Europäischen Union. Der Rat der Europäischen Union stützt das Abkommen auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV, insbesondere auf die Art. 87 Abs. 2 Buchstabe a) und Art. 88 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 218 AEUV. Rein mitgliedstaatliche Kompetenzen sind von dem Abkommen nicht betroffen. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Frage 48): Hält die Bundesregierung es angesichts der in dem Rechtsgutachten des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes a. D. Hans-Jürgen Papier genannten Argumente für möglich, eine Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken ohne Zustimmung des Bundesrates zu verabschieden und, wenn ja, auf Grundlage welcher juristischen Überlegungen? Die Bundesregierung berücksichtigt bei ihrer Bewertung der Zustimmungsbedürftigkeit beziehungsweise Zustimmungsfreiheit von Gesetzen insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die am 11. Juni 2010 verkündete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz enthält entsprechende Aussagen, die von der Bundesregierung gegenwärtig ausgewertet werden. In das Gutachten von Papier konnten sie erkennbar noch nicht einfließen. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/2285, Frage 49): Inwieweit spielte nach Kenntnis der Bundesregierung die sogenannte EU-Rechtsstaatsmission EULEX Kosovo eine Rolle bei der Abschiebung von über 100 Menschen - überwiegend Roma - mit einem Flug der Fluggesellschaft Air Berlin nach Pristina am 22. Juni 2010 zum Beispiel durch Auswahl der Abzuschiebenden oder Finanzierung der Abschiebung, und inwiefern ist die Organisation und Finanzierung von Abschiebeflügen nach Kosovo durch das Mandat dieser sogenannten Rechtsstaatsmission gedeckt? Die Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo, EULEX Kosovo, hatte nach Kenntnis der Bundesregierung keinen Einfluss auf die Sammelrückführung nach Pristina am 22. Juni 2010. Weder die Organisation noch die Finanzierung von Sammelrückführungen erfolgen über die EULEX Kosovo. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/2285, Frage 50): Mit welcher Begründung hat die Bundesregierung die Bereitstellung von Dokumenten zum Bosnien-Krieg - 1992 bis 1995 - für den Karadzic-Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, ICTY, in Den Haag verweigert, die auf Antrag des angeklagten Radovan Karadzic, ehemals Präsident der bosnischen Republika Srpska, angefordert wurden und dessen Antrag durch die ICTY-Richter am 19. Mai 2010 stattgegeben wurde, und sieht die Bundesregierung in ihrer Verweigerungshaltung eine Behinderung der internationalen Strafgerichtsbarkeit? Die Bundesregierung arbeitet weiterhin eng mit dem Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien zusammen. Das Gericht hat dem Beweisantrag des Angeklagten nur teilweise stattgegeben. Hinsichtlich der verbleibenden Beweispunkte war der Bundesregierung und dem Bundestag eine Herausgabe von Dokumenten nicht möglich, weil keine entsprechenden Dokumente vorhanden sind. Dies hat die Bundesregierung dem Gerichtshof in der vergangenen Woche fristgerecht mitgeteilt. Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fragen des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Frage 51): Auf welche Höhe schätzt die Bundesregierung in den nächsten fünf Jahren die steuerlichen Mindereinnahmen aus der geplanten Aufhebung der Einschränkung der Agrardiesel-Steuerbegünstigung, und wie sollen diese Einnahmeverluste kompensiert werden, damit eine zusätzliche Nettoneuverschuldung vermieden werden kann? Die Bundesregierung schätzt die Mindereinnahmen aus der Aufhebung der Einschränkungen bei der Agrardiesel-Steuerbegünstigung auf rund 260 Millionen Euro jährlich. Die Steuermindereinnahmen werden dabei überwiegend im Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz kompensiert. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fragen der Abgeordneten Daniela Wagner (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Frage 52): Welche steuerrechtlichen Abschreibungsmöglichkeiten gibt es in den Bereichen Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung, und wie sind diese ausgestaltet? Nach § 7 Absatz 4 EStG sind vor dem 1. Januar 1925 fertiggestellte Gebäude, die Wohnzwecken dienen, mit einem AfA-Satz von 2,5 Prozent linear abzuschreiben. Für nach dem 31. Dezember 1924 fertiggestellte Gebäude, die Wohnzwecken dienen, gilt ein AfA-Satz von 2 Prozent. Dies entspricht einer Nutzungsdauer von 40 bzw. 50 Jahren. Für Gebäude, die zu einem Betriebsvermögen gehören und nicht Wohnzwecken dienen, gilt ein AfA-Satz von 3 Prozent. Dies entspricht einer Nutzungsdauer von 33 Jahren. Für Gebäude, die vom Steuerpflichtigen hergestellt oder bis zum Ende des Jahres der Fertigstellung angeschafft worden sind, kann abweichend die Absetzung in Staffelsätzen vorgenommen werden. Das gilt aber nur noch für Gebäude, die Wohnzwecken dienen und aufgrund eines bis Ende 2005 gestellten Bauantrags hergestellt oder bis Ende 2005 aufgrund eines rechtswirksam abgeschlossenen obligatorischen Vertrages angeschafft worden sind. Die Absetzung ist dabei nach § 7 Abs. 5 EStG mit den gesetzlich vorgeschriebenen Staffelsätzen vorzunehmen. Die Staffeln legen eine Nutzungsdauer von 40 bzw. 50 Jahren zugrunde. Die Anwendung degressiver Abschreibung für nicht Wohnzwecken dienende Gebäude wurde bereits Ende 1994 abgeschafft. Für Herstellungskosten infolge Modernisierungs und Instandsetzungsarbeiten an Gebäuden in einem Sanierungsgebiet oder städtebaulichen Entwicklungsbereich können anstelle der AfA erhöhte Absetzungen nach § 7 h EStG in Höhe von je bis zu 9 Prozent dieser Herstellungskosten im Jahr der Herstellung und den folgenden sieben Jahren sowie je bis zu 7 Prozent in den darauf folgenden vier Jahren steuermindernd geltend gemacht werden. § 7 i EStG fördert Herstellungskosten für Baumaßnahmen an Baudenkmälern ebenfalls mit erhöhten Absetzungen mit je bis zu 9 Prozent dieser Herstellungskosten im Jahr der Herstellung und den folgenden sieben Jahren sowie je bis zu 7 Prozent in den darauf folgenden vier Jahren. Nach § 10 f EStG sind Steuervergünstigungen für zu eigenen Wohnzwecken genutzte Baudenkmale und Gebäude in Sanierungsgebieten oder städtebaulichen Entwicklungsgebieten möglich. Über 10 Jahre können jeweils 9 Prozent bestimmter Aufwendungen wie Sonder-ausgaben steuermindernd berücksichtigt werden. Hier handelt es sich nicht um Abschreibungen im eigentlichen Sinne. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des Abgeordneten Peter Friedrich (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 53): Sieht die Bundesregierung in der Bereitstellung von abgebrannten Brennelementen durch deutsche Kernkraftwerksbetreiber zur Wiederaufarbeitung in Russland und den dabei anfallenden Nebenprodukten, die sich als Brennstoff für RBMK-Reaktoren eignen, einen Widerspruch zur erklärten Absicht der Bundesregierung, sich für eine sofortige Stilllegung der RBMK-Reaktoren einzusetzen, und wie bewertet sie diesbezüglich die Äußerungen der EnBW zur Herkunft des von der EnBW verwendeten Wiederaufarbeitungsurans? Die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus deutschen Kernkraftwerken erfolgte in Frankreich und Großbritannien, nicht jedoch in Russland. Seit dem 1. Juni 2005 ist die Abgabe von bestrahlten Brennelementen zur Wiederaufarbeitung nach dem Atomgesetz nicht mehr zulässig. Zu den Äußerungen einzelner Unternehmen, deren Kontext im Übrigen nicht näher erläutert ist, kann die Bundesregierung keine Stellung nehmen. Anlage 40 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Frage 54): Was waren die wesentlichen inhaltlichen Argumente der Vertreter der vier Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW, die diese bei dem Treffen mit der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel am 23. Juni 2010 zu einer Brennelementesteuer und einer eventuellen Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken vorgebracht haben, und wie beurteilt das Bundeskanzleramt diese Argumente (insbesondere, welchen Argumenten kann es folgen bzw. nicht folgen)? Das Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin und den Vorstandvorsitzenden der vier Energieversorgungsunternehmen EnBW AG, E.ON AG, RWE AG und Vattenfall Europe AG am 23. Juni 2010 im Bundeskanzleramt diente dem umfassenden Meinungsaustausch über aktuelle energiepolitische Fragen, insbesondere das Energiekonzept der Bundesregierung, die in diesem Kontext geplante Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke sowie der im Rahmen des Konsolidierungspaketes beschlossene steuerliche Ausgleich der Kernenergiewirtschaft. Es handelte sich um ein reines Informationsgespräch. Zu den Details des Gesprächs haben die Teilnehmer Vertraulichkeit vereinbart. Anlage 41 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Frage 55): Trifft es zu, dass die Bundeskanzlerin den vier Energiekonzernen bei dem Treffen im Bundeskanzleramt eingeräumt hat, dass die Bundesregierung offen für Alternativvorschläge zur Brennelementesteuer sei, und, falls ja, ist die Bundesregierung auch offen für Alternativvorschläge von anderen Betroffenen der anderen Teile des Sparpaketes der Bundesregierung? Das Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin und den Vorstandvorsitzenden der vier Energieversorgungsunternehmen EnBW AG, E.ON AG, RWE AG und Vattenfall Europe AG am 23. Juni 2010 im Bundeskanzleramt diente dem Informationsaustausch zu aktuellen energiepolitischen Fragen, insbesondere zum Energiekonzept der Bundesregierung, die in diesem Kontext geplante Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke sowie der im Rahmen des Konsolidierungspaketes beschlossene steuerliche Ausgleich der Kernenergiewirtschaft. Zu den Details des Gesprächs haben die Teilnehmer Vertraulichkeit vereinbart. Anlage 42 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Fragen der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Fragen 56 und 57): Trifft es zu, dass Gespräche zwischen dem Bundesministerium der Finanzen und den Atomkraftwerksbetreibern geplant sind, um Alternativen zu einer Brennelementesteuer zu diskutieren, und, wenn ja, wann finden diese Gespräche statt? Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle, dass die Brennelementesteuer der Abschöpfung der Zusatzgewinne für den Fall einer Verlängerung der Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke dient und dass deshalb ein "eindeutiger politischer Zusammenhang" zwischen Steuer und Laufzeitverlängerung besteht (vergleiche AP-Meldung vom 23. Juni 2010)? Zu Frage 56: Im Rahmen der Umsetzung der vom Bundeskabinett am 7. Juni 2010 beschlossenen "Eckpunkte für die weitere Aufstellung des Haushaltentwurfs 2011 und des Finanzplans bis 2014" wird der dort vorgesehene steuerliche Ausgleich der Kernenergiewirtschaft näher zu beraten sein. Dabei werden auch die von den geplanten Regelungen betroffenen Wirtschaftsunternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Zu Frage 57: Die Bundesregierung wird, wie sie bereits wiederholt betont hat, alle Fragen, die längere Laufzeiten der Kernkraftwerke betreffen, im Zusammenhang mit dem Energiekonzept entscheiden. Dies bezieht die Frage des Vorteilsausgleichs ein. Das Aufkommen des vom Bundeskabinett am 7. Juni 2010 beschlossenen steuerlichen Ausgleichs der Kernenergiewirtschaft wird hierbei zu berücksichtigen sein. Anlage 43 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Frage 58): Plant die Bundesregierung, durch das sich in Erarbeitung befindliche CCS-Gesetz einen allgemeingültigen Rechtsrahmen für CCS-Projekte in ganz Deutschland zu schaffen, oder wird sich die Gültigkeit des CCS-Gesetzes auf Demonstrationsanlagen beschränken und, wenn ja, auf welche? Im derzeitigen Stadium der Erarbeitung des Referentenentwurfs für ein CCS-Gesetz kann sich die Bundesregierung noch nicht abschließend zu der Frage äußern, ob und in welcher Form sich der Gesetzentwurf auf Demonstrationsanlagen beschränken wird. Die federführenden Ressorts BMWi und BMU sind sich darin einig, vorzuschlagen, dass das CCS-Gesetz bei der Regelung der dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid auf die Erprobung und Demonstration dieser Technologie begrenzt werden soll. Anlage 44 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 59): Wie schätzt die Bundesregierung den Vorschlag ein, qualifizierte Reha-Berater bei den SGB-II-Trägern - SGB II: Zweites Buch Sozialgesetzbuch - zu verankern, die die Aufgaben nach § 104 SGB IX wahrnehmen, für die bisher allein die Bundesagentur für Arbeit als Rehabilitationsträger vorgesehen ist, und wird der Betreuungsschlüssel für schwerbehinderte Menschen im SGB II erhöht? Auch für Rehabilitanden im Bereich der Grundsicherung nach dem SGB II ist die Bundesagentur für Arbeit der zuständige Rehabilitationsträger, wenn nicht nach gesetzlichen Regelungen ein anderer Rehabilitationsträger zuständig ist. Für die Belange behinderter und schwerbehinderter Menschen sind in jeder Agentur für Arbeit spezielle Teams bzw. Teilteams eingerichtet, § 104 Abs. 4 SGB IX. Das ermöglicht eine spezifische, auf die Personengruppe von Menschen mit Behinderung ausgerichtete Betreuung, von der auch hilfebedürftige Rehabilitanden im Bereich der Grundsicherung profitieren können. Bei den Arbeitsgemeinschaften und zugelassenen kommunalen Trägern besteht keine gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung besonderer Stellen zur Betreuung und Vermittlung behinderter und schwerbehinderter Menschen. Die Bundesagentur für Arbeit hat den Grundsicherungsstellen gleichwohl empfohlen, entweder persönliche Ansprechpartner für diesen Personenkreis vorzuhalten oder für größere Geschäftsstellen entsprechende Teams zu bilden. Ein besonderer Betreuungsschlüssel ist nicht vorgegeben. Anlage 45 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 60): In welchen Fällen werden im Rahmen des Sparpaketes der Bundesregierung Arbeitsförderungsleistungen für schwerbehinderte Menschen, die durch die Bundesagentur für Arbeit oder von SGB-II-Trägern als Pflichtleistungen erbracht werden, in Ermessensleistungen umgewandelt oder Ermessensleistungen gestrichen? Ob und gegebenenfalls welche Pflichtleistungen der aktiven Arbeitsförderung in Ermessensleistungen umgewandelt werden, wird im Zusammenhang mit der für das Jahr 2011 vorgesehenen Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente geprüft werden. Aussagen zu einzelnen Instrumenten sind daher noch nicht möglich. Die Bundesregierung hat sich mit den Beschlüssen vom 6./7. Juni 2010 ausdrücklich dazu bekannt, die Zukunftschancen für die Menschen durch Investitionen in Bildung und Forschung, in Wachstumskräfte und in Arbeitsplätze zu verbessern. Dieser Prämisse wird auch die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente folgen. Anlage 46 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fragen des Abgeordneten Klaus Brandner (SPD) (Drucksache 17/2285, Fragen 61 und 62): Wie verträgt sich die Aussage des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, in seinem Interview mit der Bild am Sonntag am 30. Mai 2010, dass Rentenkürzungen ausgeschlossen seien, mit der Abschaffung des Zuschusses an die Rentenversicherung beim Arbeitslosengeld II, ALG II, und dem Wegfall von Erstattungen einigungsbedingter Leistungen an die Rentenversicherung (§ 291 c SGB VI), und kann ausgeschlossen werden, dass durch die Abschaffung der Zuschüsse für den Einzelnen, zum Beispiel Langzeitarbeitslose, keine Reduzierung der zu erwartenden Rentenzahlungen vorgenommen wird? Kann ausgeschlossen werden, dass es durch den beabsichtigten Wegfall des Zuschusses an die Rentenversicherung beim ALG II und der Erstattungen einigungsbedingter Leistungen an die Rentenversicherung (§ 291 c SGB VI) nicht zu einer Gefährdung der geplanten Rentenversicherungsbeitragssatzabsenkung im Jahr 2014 auf 19,8 Prozent und im Jahr 2015 auf 19,3 Prozent kommen wird? Zu Frage 61: Die angesproche Äußerung des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, in der Bild am Sonntag am 30. Mai 2010 beinhaltet keinen Widerspruch. Bereits der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom November 2005 enthält zum einen die im Jahr 2006 umgesetzte Vereinbarung, die Beitragzahlung des Bundes für Bezieher von Arbeitslosengeld II von 78 Euro auf 40 Euro monatlich fast zu halbieren und zum anderen die Zusage, dass es keine Rentenkürzungen geben dürfe. Auch die derzeit diskutierten, die gesetzliche Rentenversicherung betreffenden Sparmaßnahmen zur Haushaltskonsolidierung in Form des Wegfalls der Beitragszahlung des Bundes für Bezieher von Arbeitslosen-geld II und des Wegfalls der Erstattung des Bundes für sogenannte einigungsbedingte Leistungen führen nicht dazu, dass Bestandsrenten gekürzt werden. Die Beitragszahlung des Bundes für Bezieher von Arbeitslosengeld II fällt vom Jahr 2011 an weg, sodass sich für Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II erst von diesem Zeitpunkt an Auswirkungen bei zukünftigen Rentenansprüchen ergeben. Dem Wegfall der jährlichen Beitragszahlung für Arbeitslosengeld II (derzeit 489,54 Euro) steht im Alter eine monatliche Rentenminderung von gegenwärtig rund 2 Euro pro Jahr des Arbeitslosengeld II-Bezugs gegenüber. Der Wegfall der Erstattung der einigungsbedingten Leistungen durch den Bund betrifft allein die interne Finanzierung. Für die heutigen und künftigen Rentnerinnen und Rentner, deren Renten solche Leistungen enthalten, ändert sich nichts. Zu Frage 62: Bei der angesprochenen Beitragssatzentwicklung handelt es sich um das Ergebnis einer Modellrechnung und nicht um eine geplante Absenkung des Beitragssatzes. Unter Berücksichtigung des Wegfalls der Beiträge für Bezieher von Arbeitslosengeld II sowie des Wegfalls der Erstattung einigungsbedingter Leistungen an die Rentenversicherung ergibt sich nach aktuellem Rechenstand auch in den Jahren 2014 und 2015 ein stabiler Beitragssatz von 19,9 Prozent. Anlage 47 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fragen des Abgeordneten Werner Dreibus (DIE LINKE) (Drucksache 17/2285, Fragen 63 und 64): Wie hat sich seit 2005 die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Bundesagentur für Arbeit entwickelt, die örtliche Prüfungen von Verleihunternehmen vornehmen - bitte jährlich und den heutigen Istzustand darstellen -, und wie viele Beschäftigte der Verleihunternehmen waren von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - auch hier bitte die Jahreszahlen und den Stand des Jahres 2010 nennen und, wenn möglich, nach häufigsten Verstößen aufgliedern - betroffen? Wie oft finden Nachkontrollen bei denjenigen Verleihfirmen statt, die durch die Bundesagentur für Arbeit regional geprüft und beanstandet wurden, und welche Ergebnisse haben diese Nachprüfungen hinsichtlich der Beseitigung des beanstandeten Verstoßes gebracht? Zu Frage 63: Nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit standen seit Ende 2004 im Fachgebiet Arbeitnehmerüberlassung bundesweit jährlich 77 Stellen für Plankräfte zur Durchführung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, AÜG, zur Verfügung. Im ersten Quartal 2009 waren es 74 Stellen. Auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird die Bundesagentur für Arbeit vom 15. Juli 2010 an - vorerst befristet bis Ende 2011 - 25 zusätzliche Kräfte für Prüfaktivitäten einsetzen. Insgesamt stehen damit vom 15. Juli 2010 an bundesweit 99,5 Kräfte zur Durchführung des AÜG zur Verfügung. Zur Frage, wie viele Beschäftigte von Verstößen gegen das AÜG betroffen sind, erhebt die Bundesagentur für Arbeit keine differenzierte Statistik. Der Bundesregierung liegen daher keine Erkenntnisse hierzu vor. Zur Art der Verstöße verweist die Bundesregierung auf den 11. AÜG-Bericht - Bundestagsdrucksache 17/464, Seite 16. Zu Frage 64: Werden bei Zeitarbeitsfirmen, die von den Regionaldirektionen geprüft wurden, Rechtsverstöße beanstandet, gibt es verschiedene Formen der Nachkontrolle. Die Art der Nachkontrolle richtet sich daher auch nach der Art des Verstoßes. So kann beispielsweise die Beseitigung eines Verstoßes - zum Beispiel gegen die Vergütungspflicht - auch schriftlich von dem Zeitarbeitsunternehmen nachgewiesen werden. Nach Aussagen der Bundesagentur für Arbeit werden Zeitarbeitsunternehmen turnusmäßig mindestens vor der ersten Verlängerung einer befristeten Erlaubnis und vor Erteilung der unbefristeten Erlaubnis von den Regionaldirektionen geprüft. Sofern Verstöße festgestellt wurden, erteilt die Bundesagentur für Arbeit eine Erlaubnis oft wiederholt nur befristet. Über den gesetzlichen Befristungsturnus hinaus ergibt sich daher eine Reihe von Möglichkeiten der Nachkontrolle im Rahmen örtlicher Prüfungen. Ihre Anzahl wird jedoch von der Bundesagentur für Arbeit statistisch nicht erfasst. Nach Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit stellen die Regionaldirektionen bei den Nachprüfungen im Regelfall fest, dass die beanstandeten Verstöße behoben wurden. In den Fällen, in denen Verstöße wiederholt nicht abgestellt werden, spricht die Bundesagentur für Arbeit Sanktionen gegenüber den Zeitarbeitsunternehmen aus. Dies kann von Geldbußen bis hin zum Entzug der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis führen. Anlage 48 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fragen der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE ) (Drucksache 17/2285, Fragen 65 und 66): Welchen politischen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung angesichts dessen, dass die Zahl der verhängten Bußgelder aufgrund von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, AÜG, zunimmt, und wie teilen sich die seit 2005 verhängten Bußgelder bezogen auf ihre Höhe bzw. die Art der Ordnungswidrigkeit in Verbindung mit den entsprechenden vorgegebenen Bußgeldrahmen - bitte jährlich anhand der Klassifizierung des § 16 AÜG darstellen und auch für jede Art der Ordnungswidrigkeit bzw. für jeden vorgegebenen Bußgeldrahmen die tatsächlich im Durchschnitt verhängten Bußgeldhöhen beziffern - auf? Wie hoch ist die Summe der jährlich seit 2005 eingetriebenen Bußgelder, und wie viele der Bußgelder fallen auf die vom Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales Hans-Joachim Fuchtel in der Fragestunde am 16. Juni 2010 benannten Verstöße - bitte die absoluten Zahlen für die jeweiligen Bereiche nennen? Zu Frage 65: Die Bundesregierung bezieht die vorgelegten Auswertungen der Bundesagentur für Arbeit, BA, und der Behörden der Zollverwaltung zu den Verwarnungsgeldern und Geldbußen in die Überlegungen zu möglichen gesetzlichen Änderungen im Bereich der Zeitarbeit mit ein. Nach Angaben der BA betrug die Summe der Verwarnungsgelder und Geldbußen für Ordnungswidrigkeiten nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 bis 8 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, AÜG, für die die BA zuständige Verwaltungsbehörde ist, im Jahr 2007: 56 103 Euro, 2008: 68 995 Euro, 2009: 81 390 Euro und im ersten Quartal 2010: 19 835 Euro. Eine Auswertung der Verfolgung und Ahndung von Bußgeldtatbeständen, die von den Behörden der Zollverwaltung verfolgt werden - § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 2 a AÜG -, ist erst von 2009 an möglich. Im Jahr 2009 wurden insgesamt 851 Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das AÜG mit einer Verwarnung mit Verwarnungsgeld, einer Geldbuße oder der Anordnung des Verfalls - § 29 a OWiG - abgeschlossen. Verfall bedeutet, dass dem Täter ein Geldbetrag entzogen wird, der höchstens dem Wert des aus der Tat Erlangten entspricht, sofern gegen ihn nicht eine Geldbuße verhängt wird. Insgesamt wurden 3 716 280,50 Euro an Verwarnungsgeldern und Geldbußen festgesetzt bzw. für verfallen erklärt. Für eine weitergehende Differenzierung liegen der Bundesregierung keine statistischen Auswertungen vor. Die Ermittlung der durchschnittlichen Höhe der festgesetzten Geldbußen ist seriös nicht möglich. Die den einzelnen Bußgeldverfahren zugrunde liegenden Sachverhalte sind hinsichtlich der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer und der Dauer der Zuwiderhandlung so unterschiedlich, dass allein die Zahl der Bußgeldbescheide und die Summe der festgesetzten Geldbußen keine verlässliche Aussage zulässt. Die Zahl der in einem Bußgeldverfahren jeweils betroffenen Arbeitnehmer und die Dauer der Zuwiderhandlung - was regelmäßig Einfluss auf die Höhe der Geldbuße hat - können den statistischen Daten nicht entnommen werden. Zu Frage 66: Zur Höhe der Bußgelder und Verwarnungsgelder wird auf die Antwort zu Frage 65 verwiesen. Für die Ahndung und Verfolgung von Verstößen gegen Mindestlohnbestimmungen, beispielsweise im Maler- und Lackiererhandwerk, sind die Behörden der Zollverwaltung zuständige Verwaltungsbehörde. Sofern Verstöße gegen Mindestlohnbestimmungen bei Prüfungen festgestellt werden, erfolgt vonseiten der Bundes-agentur für Arbeit eine Abgabe an das jeweils zuständige Hauptzollamt. Anlage 49 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Jutta Krellmann (DIE LINKE ) (Drucksache 17/2285, Frage 67): Was sind die zehn Einsatzbranchen - bitte jährliche Angaben seit 2005 machen -, in denen wegen Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz die meisten Bußgelder verhängt wurden, und wie viele Beschäftigte waren von den Verstößen tangiert? Die Bundesagentur für Arbeit ist die für die Verfolgung und Ahndung der Ordnungswidrigkeiten nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 bis 8 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, AÜG, zuständige Verwaltungsbehörde. Diese Ordnungswidrigkeiten betreffen die Zeitarbeitsbranche und Handlungen des Verleihers. Nur bei wenigen Verstößen ist auch die Branche des Entleihers betroffen. Dies ist in der Regel bei Verstößen gegen Mindestlohnbestimmungen der Fall. Für die Verfolgung und Ahndung von diesen Verstößen sind die Behörden der Zollverwaltung zuständig. Eine Aussage zur Anzahl der Beschäftigten, die von den Verstößen tangiert waren, kann nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nicht getroffen werden, da eine derartige Statistik nicht geführt wird. Unabhängig von Bußgeldern sind Sanktionen durch Auflagen, Nichtverlängerung einer befristeten Erlaubnis, Nichterteilung einer unbefristeten Erlaubnis und Widerrufe möglich. Diese Entscheidungen werden durch die Regionaldirektionen im Rahmen des Erlaubnisverfahrens getroffen. Anlage 50 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage des Abgeordneten Markus Kurth (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/2285, Frage 68): Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die Anmeldezahlen von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden in den Berufsbildungswerken zum jetzigen Zeitpunkt gegenüber den Vorjahren stark rückläufig sind, und welche Konsequenzen zieht sie daraus? Soweit die Voraussetzungen dafür gegeben sind, sollen behinderte wie nichtbehinderte Menschen in Betrieben und Verwaltungen ausgebildet werden. Wenn Betrieb und Berufsschule bereit und in der Lage sind, die Ausbildung unter angemessener Berücksichtigung der Behinderung durchzuführen, wird für behinderte Menschen vorrangig eine solche Ausbildung angestrebt. Sofern es Art und Schwere der Behinderung oder die Sicherung des Erfolgs der Teilhabe erfordern, werden die beruflichen Bildungsmaßnahmen in besonderen Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation zum Beispiel in Berufsbildungwerken durchgeführt. In den vergangenen Jahren hat die Bundesagentur für Arbeit ihre Anstrengungen zunehmend verstärkt, für Jugendliche mit Behinderungen nach der Schulzeit möglichst eine betriebliche Berufsausbildung zu ermöglichen. Diese Entwicklung spiegelt sich in der Anmeldesituation in den Berufsbildungswerken wider, die im Trend der letzten Jahre in Richtung späterer Anmeldung durch die Bundesagentur für Arbeit geht. So hat sich auch in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die tatsächliche Anmeldesituation aufgrund des Ausbildungsbeginns im Herbst erst im Oktober ersichtlich war. Anlage 51 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage des Abgeordneten Markus Kurth (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/2285, Frage 69): Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der vom Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte herausgegebenen Studie vom 22. Dezember 2009, in der in den Nrn. 24 und 25 konstatiert wird, dass es für die effektive Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention empfehlenswert sei, neben einem übergeordneten Focal Point nach Art. 33 Abs. 1 der Konvention auch in allen relevanten Ministerien und Abteilungen Focal Points einzurichten, um ein entsprechendes Bewusstsein zu bilden, an der Erarbeitung eines Aktionsplanes teilzunehmen sowie die Umsetzung zu begleiten und zu kontrollieren, und in welchen Bundesministerien und deren Abteilungen wurden bislang neben dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Abteilung V Focal Points eingerichtet? Die staatliche Anlaufstelle nach Art. 33 der UN-Behindertenrechtskonvention, Focal Point, im Bundesministerium für Arbeit und Soziales arbeitet bei der Erstellung des Nationalen Aktionsplans mit den übrigen Ressorts der Bundesregierung ebenso eng zusammen wie mit den übrigen Abteilungen des Hauses. Eine formelle Benennung von weiteren Focal Points ist bislang nicht erfolgt. Im Rahmen der weiteren Entwicklung und insbesondere der anschließenden Umsetzung des Aktionsplans wird eine noch intensivere Vernetzung der Ressorts in diesem Bereich angestrebt. Die Benennung von weiteren Focal Points wird dabei ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Anlage 52 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/2285, Frage 70): Welche Aktivitäten plant die Bundesregierung national und auf europäischer Ebene, um die Einführung einer Tierschutzkennzeichnung zu implementieren? Der Ausgangspunkt der aktuellen Überlegungen zur Einführung einer Tierschutzkennzeichnung ist der Bericht der Europäischen Kommission vom Oktober 2009. Es handelt sich mithin um ein europäisches und kein nationales Verfahren. Federführend für den weiteren Verfahrensablauf sind die jeweiligen Institutionen der EU. Die Bundesregierung wird sich in die Beratungen in den Gremien des Rates aktiv einbringen. Anlage 53 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/2285, Frage 71): Bei welchen Haushaltstiteln im Agraretat will die Bundesregierung Kürzungen vornehmen, um die Weiterführung der Steuerermäßigungen beim Agrardiesel im heutigen Umfang gegenzufinanzieren? Die Fortführung der Agrardieselregelung verursacht nach aktuellen Berechnungen geschätzte Steuermindereinnahmen von rund 260 Millionen Euro pro Jahr. Von diesem Betrag muss das BMELV durch Einsparungen in seinem Haushalt - Einzelplan 10 - 170 Millionen Euro erbringen. Darüber hinaus muss der Einzelplan 10 einen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes leisten. Die Gegenfinanzierung von Agrardiesel und der allgemeine Konsolidierungsbeitrag sollen - vorbehaltlich der Entscheidung der Bundesregierung über den Regierungsentwurf des Haushalts 2011 in der Kabinettssitzung am 7. Juli 2010 - insbesondere erbracht werden durch: Erstens. Minderausgaben in der Agrarsozialpolitik, die sich aufgrund aktueller Entwicklungen ergeben - insbesondere durch Änderungen in der Zahl der Leistungsempfänger, günstigere Entwicklungen bei den Leistungsaufwendungen je Einzelfall und Auswirkungen von Änderungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Änderungen in den gesetzlichen Regelungen der landwirtschaftlichen Sozialpolitik sind damit nicht verbunden. Zweitens Absenkung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes, GAK, auf effektiv 600 Millionen Euro. Dies bedeutet einen Rückgang gegenüber 2010 - effektiv 700 Millionen Euro - um 100 Millionen Euro. Drittens Verzicht auf die Fortsetzung des Programms zur Liquiditätssicherung der landwirtschaftlichen Betriebe in 2011 - Minderausgaben in 2011 von 25 Millionen Euro. Viertens Veranschlagung einer Globalen Minderausgabe - 50 Millionen Euro in 2011, die im Zuge der parlamentarischen Beratungen des Haushaltsentwurfs und gegebenenfalls im Rahmen der Haushaltsbewirtschaftung 2011 aufzulösen sein wird. Einzelheiten, in welchen Bereichen die Globale Minderausgabe erwirtschaftet werden soll, stehen noch nicht fest. Anlage 54 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Fragen der Abgeordneten Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/2285, Fragen 72 und 73): Welche Faktoren werden über die Dienstpostenzahl hinaus zur Auswahl der zu schließenden kleinen Kasernen herangezogen, und inwieweit werden städtebauliche Belange bei der Standortauswahl der vom Bundesminister der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, angekündigten Schließung eine Rolle spielen? In welcher zeitlichen Frist werden die betroffenen Städte und Gemeinden über die Schließung der Kasernen informiert, und in welcher Form werden sie an dem folgenden Schließungs- und Konversionsprozess beteiligt? Zu Frage 72: Die Bundeswehr steht, insbesondere durch die Auslandseinsätze, großen Herausforderungen und Verantwortungen gegenüber. Daher ist es die Absicht des Bundesministers der Verteidigung, Anpassungen dort vorzunehmen, wo die Bundeswehr effizienter und insbesondere einsatzorientierter ausgerichtet werden kann. Dies alles geschieht nicht vorrangig, aber auch vor dem Hintergrund der Maßnahmen der Bundesregierung zur Gewährleistung solider Staatsfinanzen. Eingriffe in viele Bereiche der Bundeswehr - bis hin zur Stationierung - können vor dem bereits seit längerem bekannten Hintergrund erforderlicher Strukturreformen notwendig sein. Aussagen zu konkreten Veränderungen an einzelnen Standorten werden deshalb erst möglich sein, wenn die erforderlichen Strukturanpassungen der Bundeswehr sorgfältig geprüft und entschieden sind. Das Stationierungskonzept wird gegebenenfalls in Gänze zu überprüfen sein. Der dann dabei verwendete Kriterienkatalog zur Vorbereitung von Stationierungsentscheidungen orientiert sich einerseits an militärischen/funktionalen Kriterien wie Übungs- und Ausbildungsmöglichkeiten oder der geschlossenen Stationierung von Verbänden und Einheiten und andererseits an betriebswirtschaftlichen Kriterien wie bereits getätigte Investitionen oder die Höhe der Kosten für den Betrieb der Liegenschaften. Dabei ist es alternativlos, dass die militärischen/funktionalen und betriebswirtschaftlichen Kriterien gegenüber regionalpolitischen Gesichtspunkten in den Vordergrund treten müssen. Die städtebaulichen Belange der betroffenen Kommunen können demgegenüber keine vorrangige Bedeutung bei der Bewertung von Standorten erlangen. Zu Frage 73: Standortentscheidungen fallen ganz am Schluss eines zeitaufwendigen Planungsprozesses. So müssen zunächst die zukünftigen Rahmenbedingungen untersucht und entschieden werden, dazu zählen auch die Wehrform und die Personalumfänge der Bundeswehr. Darauf aufbauend muss ein militärisches Gesamtkonzept erarbeitet werden, auf dem dann die Stationierungsplanung aufsetzt. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen ist seit dem 1. Januar 2005 für die Verwertung der für Verteidigungszwecke nicht mehr benötigten Immobilien des Bundes zuständig. Sie wird den Kommunen die relevanten liegenschaftsbezogenen Informationen zur Verfügung stellen, damit Vorüberlegungen für eine künftige Nutzung bereits weit vor der Räumung der Standorte durch die Bundeswehr einsetzen können. Die betroffenen Kommunen werden zu diesem Zweck so frühzeitig wie möglich über die Termine der Standorträumung informiert. Gleichzeitig werden erste Gespräche mit den Kommunen und möglichen Investoren zur Anschlussnutzung geführt. Zusätzlich werden im jeweiligen Einzelfall die betroffenen Landesregierungen unterrichtet. Auch die Bundeswehr informiert im Internet, www.bundeswehr.de, über die Freigabe von Liegenschaften und unterstützt die betroffenen Kommunen durch Informationen und Beratung. Bei den Wehrbereichsverwaltungen und Bundeswehr-Dienstleistungszentren stehen ebenfalls Ansprechpartner für Konversionsfragen zu Verfügung. Investoren und Vertreter von Kommunen wird die Möglichkeit eingeräumt, sich vor Ort zu informieren und die freiwerdenden Liegenschaften zu besichtigen. Die Kommunen sind dadurch in der Lage, sich auf die anstehenden Veränderungen vorzubereiten und alternative Nutzungskonzepte zu entwickeln. Eine schnelle Anschlussnutzung und damit auch die Vermeidung fortlaufender Kosten vormals militärisch genutzter Liegenschaften liegt im wirtschaftlichen Interesse des Bundes. Die Bundesministerien der Verteidigung und der Finanzen haben eine gemeinsame Koordinierungsstelle gegründet. Sie ist zentraler Ansprechpartner für Probleme und Anliegen der von Konversionsfolgen betroffenen Länder und Kommunen und wird diese Fälle koordinieren und - sofern notwendig - unterstützend begleiten. Im Rahmen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit wird die Bundesregierung auch zukünftig umfassend und zeitgerecht sowohl die Abgeordneten als auch die betroffenen Kommunen über alle für sie wichtigen Entscheidungen informieren. Anlage 55 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/2285, Frage 74): Wie beantwortet die Bundesregierung nunmehr meine mündliche Frage vom 2. Juni 2010 zum weiteren Schicksal der acht Personen, die nach der Antwort der Bundesregierung vom 9. Juni 2010 (siehe Plenarprotokoll 17/45, Seite 4576 A) auf der Joint Priority Effects List, JPEL, der sogenannten Todesliste der NATO-Truppen für Nordafghanistan, auf Initiative von deutscher Seite seit Juni 2009 gelistet worden waren, insbesondere ob die Personen inzwischen festgenommen oder getötet wurden? Von den acht Personen, die seit Juni 2009 von deutscher Seite zur Nominierung auf der Joint Prioritized Effects List, JPEL, der ISAF vorgeschlagen wurden, sind zwischenzeitlich zwei bei Gefechtshandlungen ohne eine Beteiligung deutscher Kräfte zu Tode gekommen. In einem der beiden Fälle waren ausschließlich afghanische Kräfte an den Gefechten beteiligt. Im anderen Fall wurde eine Person getötet, als sie sich unter Anwendung von Waffengewalt im Verlauf einer von nichtdeutschen Streitkräften unterstützten Operation einer Ergreifung durch die afghanischen Sicherheitskräfte widersetzt hatte. Damit verbleiben sechs der seit Juni 2009, und einer aus der Zeit vorher, von deutscher Seite für die Nominierung auf der ISAF Joint Prioritized Effects List vorgeschlagenen Personen weiterhin mit dem Ziel der Festsetzung zur Fahndung durch ISAF und die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeschrieben. Der Bundesregierung ist bisher unverändert kein Fall bekannt, bei dem Personen, deren Nominierung auf die ISAF Joint Prioritized Effects List von deutscher Seite mit dem Ziel der Festsetzung veranlasst wurde, entgegen dieser Wirkungsforderung von Bündnispartnern in Afghanistan gezielt getötet wurden. Anlage 56 Antwort des Parl. Staatssekretärs Daniel Bahr auf die Frage des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 76): Wird der Plan der Bundesregierung zur Einführung einer Pflicht zur Veröffentlichung der Ergebnisse klinischer Prüfungen im Rahmen des Referentenentwurfs für das Arzneimittelneuordnungsgesetz nicht zum "Aufbau eines zusätzlichen nationalen Registrierungs- und Publikationssystems" führen, welches "nicht im Interesse einer einfacheren Zugänglichkeit von Daten" ist (wie der Abgeordnete Lars Lindemann am 25. März 2010 in einer Rede argumentierte), und teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine Verpflichtung zur Registrierung aller klinischen Studien beim Deutschen Register Klinischer Studien, DRKS, nicht gesetzlich verankerbar ist (wie es der Abgeordnete Dr. Rolf Koschorrek in einer Rede vom 25. März 2010 dargestellt hat)? Die im Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung, GKV, vorgesehene Regelung im Arzneimittelgesetz führt nicht zum Aufbau eines zusätzlichen nationalen Registrierungs- und Publikationssystems. Der vorgeschlagene § 42 b des Arzneimittelgesetzes enthält die grundsätzliche Verpflichtung für den pharmazeutischen Unternehmer, Ergebnisse der klinischen Prüfungen mit seinem zugelassenen oder für das Inverkehrbringen genehmigten Arzneimittel öffentlich zugänglich zu machen. Die Verpflichtung gilt auch für den Sponsor einer klinischen Prüfung mit einem zugelassenen Arzneimittel. Schon jetzt sind die Sponsoren von klinischen Prüfungen nach § 13 Absatz 9 der GCP-Verordnung verpflichtet, der zuständigen Bundesoberbehörde und der zuständigen Ethik-Kommission innerhalb eines Jahres nach Beendigung der klinischen Prüfung eine Zusammenfassung des Berichts über die klinische Prüfung zu übermitteln. Diese Zusammenfassung muss alle wesentlichen Ergebnisse der klinischen Prüfung abdecken. Ort und Form der Veröffentlichung werden nicht vorgegeben, diese kann beispielsweise auch auf dem Internetauftritt eines Unternehmens oder eines Sponsors erfolgen oder auf einer gesonderten Internetseite verlinkt werden. Auch die Aufnahme in ein Register wird nicht vorgeschrieben. Nach harmonisiertem europäischen Recht besteht bereits jetzt die Verpflichtung, alle klinischen Prüfungen in der europäischen Datenbank EudraCT zu registrieren. Die Europäische Kommission sieht vor, dass Regis-trierungsdaten aus dieser bislang nur für Behörden zugänglichen Datenbank ab September 2010 und Ergebnisse über klinische Arzneimittelprüfungen ab 2011 öffentlich zugänglich gemacht werden. Eine weitere gesetzliche Verpflichtung zur Registrierung klinischer Prüfungen wäre eine Doppelverpflichtung und ist deshalb nicht erforderlich. Davon abgesehen, könnte sie allenfalls für eine Registrierung bei einer Behörde und nicht bei einer anderen Institution wie dem Deutschen Register Klinischer Studien, DRKS, eingeführt werden. Denn nicht alle Informationen zu einer klinischen Prüfung können veröffentlicht werden, insbesondere soweit sie schützenswerte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie patientenbezogene Daten enthalten. Anlage 57 Antwort des Parl. Staatssekretärs Daniel Bahr auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/2285, Frage 77): Inwieweit wird sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen um die 2011 anstehende Novellierung des Glücksspielstaatsvertrages dafür einsetzen, dass Soziallotterien, zum Beispiel "Aktion Mensch", nicht als ebenso suchtgefährlich eingestuft werden wie kommerzielle Lotterien, sodass für Erstere Ausnahmeregelungen - zum Beispiel der Losverkauf über das Internet - möglich werden? Die Bundesregierung ist an den Verhandlungen um die Novellierung des Glücksspiel-Staatsvertrages nicht beteiligt. Es handelt sich um einen Staatsvertrag der 16 Bun-desländer, insofern hat die Bundesregierung keine Einflussmöglichkeiten. Anlage 58 Antwort des Parl. Staatssekretärs Daniel Bahr auf die Fragen der Abgeordneten Tabea Rößner (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Fragen 78 und 79): Wie schätzt die Bundesregierung die wirtschaftliche Situation von freiberuflichen Hebammen ein, die von Juli 2010 an eine Prämienzahlung ihrer Haftpflichtversicherungen von 3 000 Euro und mehr jährlich zu leisten haben, und welche Folgen erwartet die Bundesregierung daraus? Wie ist die Einschätzung der Bundesregierung bezüglich eines zukünftigen Engpasses der Versorgung mit Hebammen insbesondere im ländlichen Raum, und was unternimmt die Bundesregierung, um die Versorgung zu gewährleisten? Zu Frage 78: Der Bundesregierung liegen Daten zur Entwicklung der Zahl der Hebammen/Geburtshelfer sowie zu den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, GKV, für Hebammenhilfe vor. Diese zeigen, dass sowohl die Zahl der Hebammen als auch die Ausgaben der GKV in den letzten Jahren spürbar gestiegen sind. Die Bundesregierung nimmt das Anliegen der Hebammen sehr ernst. Es trifft zu, dass die Prämien für Berufshaftpflichtversicherungen der in der Geburtshilfe tätigen Hebammen zum 1. Juli 2010 in erheblichem Umfang angehoben werden. Die Aufwendungen für Berufshaftpflichtversicherungen sind nach Auffassung des Bundesministeriums für Gesundheit, BMG, als Kostenfaktor bei den Vergütungsvereinbarungen zwischen den Hebammenverbänden und dem GKV-Spitzenverband zu berücksichtigen, da § 134 a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, SGB V, ausdrücklich vorschreibt, dass die "berechtigten wirtschaftlichen Interessen" der freiberuflichen Hebammen im Rahmen der Vergütungsvereinbarungen zu berücksichtigen sind. Nachdem eine Einigung zwischen den Vertragsparteien nicht erzielt worden ist, ist es nun Aufgabe der gemeinsamen Schiedsstelle, die Vergütung festzulegen. Für den 5. Juli 2010 wurde ein Termin für die Schiedsverhandlung festgesetzt. Ich erwarte, dass die Schiedsstelle bei ihrer Entscheidung auch die Erhöhung der Haftpflichtprämien angemessen berücksichtigen wird. Eine Einflussnahme des BMG auf dieses Verfahren scheidet allerdings aus. Zu Frage 79: Nach den Angaben des GKV-Spitzenverbandes hat die Zahl der Leistungserbringerinnen - sowohl Hebammen als auch Geburtshäuser - in den vergangenen Jahren zugenommen. Dem BMG sind bestehende Versorgungsengpässe nicht bekannt, so dass die Versorgungslage mit Leistungen der Hebammenhilfe derzeit als gut bezeichnet werden kann. Ausgehend davon, dass der in Kürze zu erwartende Schiedsspruch die steigenden Haftpflichtprämien für geburtshilflich tätige Hebammen bei der Vergütung angemessen berücksichtigen wird, ist nach Ansicht des BMG nicht zu erwarten, dass sich die Versorgungssituation kurzfristig ändern wird. Anlage 59 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Fragen des Abgeordneten Dirk Becher (SPD) (Drucksache 17/2285, Fragen 80 und 81): Hält die Bundesregierung die Deckelung von Biogasanlagen im Außenbereich auf 500 Kilowatt weiterhin für sinnvoll, auch wenn die Anlagen ohne bauliche Veränderung mehr als 500 Kilowatt leisten könnten? Wie ist die Einschätzung der Bundesregierung dazu, die Begrenzung für den Bau von Biogasanlagen nicht mehr an der Leistung, gemessen in Kilowatt, sondern an der räumlichen Größe der Anlagen festzumachen, und welche Argumente sprechen für eine Beibehaltung der derzeitig gültigen Messgröße? Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP sieht für das Bauplanungsrecht unter anderem vor, das Baugesetzbuch zu ändern. Das Gesetzgebungsverfahren wird derzeit unter anderem durch eine Reihe von Expertengesprächen vorbereitet. In diesem Zusammenhang wird auch möglicher Änderungsbedarf bei der privilegierten Zulässigkeit von Biomasseanlagen im Außenbereich, § 35 Abs. 1 Nr. 6 Baugesetzbuch, geprüft; Ergebnisse liegen bislang noch nicht vor. Das Gesetz-gebungsverfahren soll 2011 förmlich eingeleitet werden. Das Inkrafttreten der Neuregelungen ist für 2012 vorgesehen. Anlage 60 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Frage 82): Wie ist es zu erklären, dass das geeignete Prüfungsverfahren der Materialforschungs- und -prüfanstalt an der Bauhaus-Universität Weimar, MFPA - Sachverständiger Dr. Gerhard Hempel -, vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung bereits am 27. Oktober 1992 mit dem Schreiben StB 25/38.55.50/21 H 92 der Deutschen Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH, DEGES, zur Nutzung empfohlen worden war - "Um alle im Hinblick auf Alkalikieselsäurereaktionen bestehenden Verdachtsmomente von vornherein auszuräumen ... Sein Prüfverfahren ist über die Anwendung im Brückenbau hinaus auch im Fahrbahndeckenbau anzuwenden und geeignet, Schäden abzuwenden" -, ohne dass die DEGES über Jahre hinweg darauf eingegangen wäre und dadurch eindeutig vermeidbarer Schaden verursacht wurde, und welche konkreten Autobahnabschnitte - bitte in Kilometerangaben - sind nach aktuellem Kenntnisstand Verdachtsfälle für die Schädigung durch die Alkalikieselsäurereaktion? Das angesprochene Prüfungsverfahren wurde in dem Institut für Baustoffe Weimar schon ab circa 1985 zur Begutachtung von potenziell alkaliempfindlichen Gesteinskörnungen angewandt. Unter Beteiligung des damaligen Instituts für Baustoffe Weimar, heute MFPA-Weimar, Herrn Dr. Hempel, wurden seit etwa 1991 Untersuchungen an geschädigten Bauwerken durchgeführt, um die Richtlinie "Vorbeugende Maßnahmen gegen schädigende Alkalireaktionen im Beton", Alkali-Richtlinie, fortzuschreiben. Die Alkali-Richtlinie wurde seitdem mehrfach aktualisiert. Gesicherte Zahlen zur Länge der betroffenen Streckenabschnitte können nicht genannt werden. Der Nachweis einer schädigenden Reaktion an Betonfahrbahndecken durch Alkali-Kieselsäure-Reaktionen, AKR, muss durch spezielle, zeitaufwändige Untersuchungen erbracht werden, da das Rissbild auch durch andere Schädigungsprozesse verursacht werden kann. Im Ergebnis haben sich in den letzten Jahren die Informationen über Streckenabschnitte, für die Verdacht auf Schädigung durch AKR besteht, für die diese Schadensursache nachgewiesen wurde und an denen Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt wurden, zum Teil bereits auch an Verdachtsstrecken ohne diesen Nachweis, überschnitten. Anlage 61 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/2285, Frage 83): Wann wird die Finanzierungsvereinbarung für den zweiten S-Bahn-Tunnel in München zum Abschluss kommen, und bis zu welcher Grenze wird der Bund mögliche Kostensteigerungen beim Bau des zweiten S-Bahn-Tunnels in München mitfinanzieren? Notwendig für die Entscheidung über eine anteilsmäßige Finanzierung des zweiten Münchener S-Bahntunnels mit Mitteln aus dem Bundesprogramm gemäß § 6 Abs. 1 des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes ist die Vorlage eines Förderantrages, in dem die Voraussetzungen dafür belegt sind. Dies ist bisher noch nicht geschehen. Insofern können keine Aussagen über die Entscheidung oder die Finanzierung etwaiger Kostensteigerungen gemacht werden. Anlage 62 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage des Abgeordneten Michael Groß (SPD) (Drucksache 17/2285, Frage 84): Welche Wirkung auf die kommunalen Finanzen und welche Art der Kompensation dieser Wirkung wird es aus Sicht der Bundesregierung durch die geplante Streichung des Heizkostenzuschusses geben? Die Einführung der Heizkostenkomponente im Wohngeld war Teil der Wohngeldreform 2009, deren Auswirkungen auch auf nachgelagerte soziale Sicherungssysteme insgesamt und nicht isoliert für einzelne Komponenten berechnet wurden. Die finanziellen Auswirkungen des Wegfalls der Heizkostenkomponente werden gegenwärtig im Zusammenhang mit dem anstehenden Gesetzgebungsverfahren zum Haushaltsbegleitgesetz 2011 unter anderem für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch abgeschätzt. Welche zusätzlichen Kosten sich gegebenenfalls zukünftig für diese Systeme ergeben, ist derzeit noch nicht absehbar. Anlage 63 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Fragen des Abgeordneten Uwe Beckmeyer (SPD) (Drucksache 17/2285, Fragen 85 und 86): Wie groß ist nach Kenntnis der Bundesregierung das Verkehrsaufkommen von Lkw mit einem Gewicht von über 12 Tonnen auf allen vier- und mehrspurigen Bundesstraßen in Deutschland, und wie wird sich auf der Grundlage vorliegender Verkehrsprognosen das Verkehrsaufkommen in den nächsten Jahren auf allen vier- und mehrspurigen Bundesstraßen entwickeln? Wie hoch schätzt die Bundesregierung die zu erwartenden Mehreinnahmen aus der Lkw-Maut auf vier- und mehrspurigen Bundesstraßen ein, und wie hoch werden voraussichtlich die Systemkosten einer Lkw-Maut auf vier- und mehrspurigen Bundesstraßen sein? Zu Frage 85: Dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sind die Schwerverkehrsbelastungen einzelner Bundesstraßen bekannt, sowie der Durchschnittswert aller zwei- und mehrstreifigen Bundesstraßen. Zu Frage 86: Die Bundesregierung erwartet bei einer Bemautung von vier- und mehrstreifigen Bundesstraßen Mauteinnahmen im unteren dreistelligen Millionenbereich. Da die Ausweitung der Lkw-Maut auf vier- und mehrstreifige Bundesstraßen zurzeit rechtlich, technisch und organisatorisch geprüft wird, können allerdings zum jetzigen Zeitpunkt noch keine exakten Angaben gemacht werden. Entscheidend wird letztlich der Umfang der Fahrleistungen auf den betreffenden Straßenabschnitten sein. Zur Höhe der Systemkosten kann zum jetzigen Zeitpunkt ebenfalls noch keine Aussage getroffen werden. Anlage 64 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Fragen des Abgeordneten Christian Lange (Backnang) (SPD) (Drucksache 17/2285, Fragen 87 und 88): Stimmen die Angaben des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, dass bei der sogenannten Sparklausur der Bundesregierung für die Jahre 2011 bis 2014 bei den Infrastrukturinvestitionen Einsparungen von viermal 200 Millionen Euro vereinbart wurden, oder stimmen die Angaben des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, nach denen die Einsparungen in den nächsten Jahren ansteigen sollen? Welche Folgen werden die Einsparungen für die bereits geplanten und zugesicherten Verkehrsprojekte haben, und welche finanziellen Auswirkungen werden diese Einsparungen auf die Bundesländer haben, insbesondere auf Baden-Württemberg? Zu Frage 87: Die Bundesregierung hat auf ihrer Klausurtagung Anfang Juni Eckpunkte für die weitere Aufstellung des Haushaltsentwurfs 2011 und des Finanzplans bis 2014 beschlossen. Zur Umsetzung werden alle Ressorts einen Beitrag leisten. Die Frage nach einzelnen Einsparbeiträgen zielt daher auf das Verfahren zur Aufstellung des Regierungsentwurfs des Bundeshaushalts 2011 ab und richtet sich auf eine Phase der Vorbereitung der Etatplanung, die rein regierungsintern verläuft. Es entspricht der gängigen Staats-praxis, dass die Erörterung und die Erstellung des Regierungsentwurfs des Bundeshaushalts in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortlichkeit fällt und dass über Einzelheiten dieses Verfahrens - so lange es andauert - keine Auskünfte gegeben werden. Hierzu zählen gegebenenfalls auch unterschiedliche Auffassungen zu bestimmten Details während der Haushaltsaufstellung. Zu Frage 88: Gegenwärtig finden die Ressortgespräche zur Aufstellung des Bundeshaushalts 2011 statt. Dabei spielt die Haushaltskonsolidierung eine gewichtige Rolle. Bevor aber zu den Auswirkungen Stellung bezogen werden kann, sind die Verhandlungen erst einmal abzuschließen. Dies erfolgt mit der Beschlussfassung des Kabinetts zum Haushaltsentwurf 2011. Anlage 65 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) (Tagesordnungspunkt 10) Olav Gutting (CDU/CSU): Es entspricht ja fast schon einer gewissen Tradition, dass wir einmal im Jahr unser jeweiliges Jahressteuergesetz beraten. Auch in diesem Jahr werden überwiegend steuertechnische Anpassungen vorgenommen, welche sich im Laufe eines Jahres aus Gerichtsurteilen, EU-rechtlichen Vorgaben oder aus Anregungen der Verwaltung ergaben. Die bloße Menge dieser notwendigen Anpassungen hat es allerdings in sich. Schließlich gab es letztes Jahr kein Jahressteuergesetz, sodass wir über einen Gesetzentwurf von einem Umfang von 175 Seiten mit rund 180 Maßnahmen zu beraten haben. Die in Fachkreisen häufig verwandte Bezeichnung als Omnibusgesetz - manche bezeichnen es nachvollziehbar als klassisches Besenwagengesetz - ist deshalb dieses Jahr zutreffender denn je. Gleichwohl enthält auch der uns zur Lesung vorliegende Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2010 eine Reihe von bedeutsamen Maßnahmen, die eine besondere Erwähnung verdienen. Mit dem Jahressteuergesetz werden wir - wie im Koalitionsvertrag vorgesehen - die gleichheitswidrigen Benachteiligungen von eingetragenen Lebenspartnern gegenüber Ehegatten im Bereich der Erbschafts- und Schenkungsteuer und im Bereich der Grunderwerbsteuer abbauen. Zur Vermeidung einer Doppelförderung bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen sind bereits mit öffentlichen Mitteln geförderte Maßnahmen vereinzelt nicht absetzbar. Dies weiten wir nun konsequent auf weitere Förderprogramme aus. Mit dem Jahressteuergesetz 2010 wird auch der Umsatzsteuerbetrug weiter eingedämmt werden. Mit der Erweiterung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei der Umsatzsteuer - sogenanntes Reverse-Charge-Verfahren - auf Lieferungen von Industrieschrott, Altmetallen und sonstigen Abfallstoffen sowie Leistungen von Gebäudereinigern kann der sogenannte Karussellbetrug in diesem Bereich wirksam verhindert oder erschwert werden. Bedauerlich ist die notwendige Verlängerung der Übergangsregelung bei den elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmalen. Der aktuelle Entwicklungsstand des Verfahrens lässt die ursprünglich für 2011 geplante Einführung noch nicht zu. Als Abgeordneter des Spargelwahlkreises Bruchsal-Schwetzingen will ich noch eine, wie ich finde, sehr positive Maßnahme besonders hervorheben. Mit dem Jahressteuergesetz 2010 werden wir die zu Recht vielfach kritisierte Steuererklärungspflicht für viele Saisonarbeitskräfte abschaffen. Bislang zwang diese Regelung 300 000 Saisonarbeitskräfte - davon alleine 200 000 in der Landwirtschaft - eine Steuererklärung abzugeben, obwohl absehbar war, dass keine Steuerlast entsteht. Seit 2009 mussten landwirtschaftliche Arbeitgeber - meist Spargelanbauer - ihre Saisonarbeitskräfte zunehmend bei Erstellung der Steuererklärung unterstützen. Es ist nicht verwunderlich, dass ausländische Saisonarbeitskräfte - meist aus Polen, Kroatien, Rumänien oder Bulgarien - nicht in der Lage waren, die amtlichen Vordrucke ohne Hilfestellung auszufüllen. Da tut man sich schon als Muttersprachler schwer - mit rudimentären deutschen Sprachkenntnissen geht aber rein gar nichts. Also musste der Bauer oder gleich der Steuerberater helfend einspringen. Die damit einhergehenden beträchtlichen Bürokratiekosten blieben bei dem jeweiligen Arbeitgeber hängen, obwohl die Steuerbescheide regelmäßig nur eine Steuerlast von null Euro auswiesen. Wir wollen mit dieser Entlastung nicht nur etwas für die saisonalen Beschäftigten tun, sondern auch für deren Arbeitgeber und für die Finanzverwaltung gleichermaßen. Lassen Sie mich zum Abschluss noch auf einen Punkt hinweisen, der mir besonders am Herzen liegt. Noch sind Ergänzungen möglich und aus meiner Sicht auch notwendig. So brauchen wir eine sinnvolle Gesamtlösung für die Pauschalbesteuerung nach § 37 b EStG. Konkret geht es um die Pauschalierung der Sozialversicherungsbeiträge bei pauschal besteuerten Entgeltbestandteilen. Es ist wenig verständlich, dass beispielsweise bei einer Einladung von eigenen Mitarbeitern zu kulturellen Veranstaltungen zwar die darauf zu entrichtende Steuer vom Arbeitgeber pauschaliert abgeführt werden kann, dieser aber dann wieder die Sozialversicherungsbeiträge auf dieses Geschenk individuell berechnen muss. Ziel einer Pauschalierung ist es nicht, keine oder nur geringe Sozialversicherungsbeiträge abzuführen, sondern Vereinfachungen bei der Berechnung herbeizuführen. Hier sollten wir nochmals nachbessern. Vereinfachung benötigt auch unser gesamtes Einkommensteuerrecht. Ungeachtet des Jahressteuergesetzes 2010 wird sich die Union in dieser Legislaturperiode für durchgreifende Steuervereinfachungen im Rahmen eines Gesamtkonzeptes einsetzen. Ich freue mich auf gute Beratungen. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Heute morgen haben wir die Regierungserklärung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle gehört. Das lautstarke und zudem unangebrachte Übermaß an Eigenlob ist sicherlich nicht nur mir unangenehm aufgefallen. Ich frage mich, wer denn nun recht hat: Bundeswirtschaftsminister Brüderle, der sich die konjunkturelle Entwicklung schönredet und tatsächlich zu glauben scheint, das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz habe irgendetwas damit zu tun, oder seine Parteifreunde von der FDP, die sich mittlerweile gar nicht mehr gerne an ihre eigene Mehrwertsteuersenkung für Hotelübernachtungen erinnern möchten und stattdessen neuerdings für "Steuervereinfachungen" plädieren. Und wo sind eigentlich der Parteivorsitzende Westerwelle und sein Steuerpapst Hermann Otto Solms, die wohl ihr eigenes neoliberales Mantra zu Steuersenkungen und Stufenmodellen mittlerweile selbst nicht mehr hören können? Die FDP verkauft uns ihre Einsicht, dass derzeit keine Steuersenkungen möglich sind, dreist als bahnbrechenden Erkenntnisgewinn. Das ist etwa so, als behaupte man jahrhundertelang, die Erde sei eine Scheibe, um sich dann selber dafür auf die Schulter zu klopfen, dass man die Kugelform der Erde für sich entdeckt hat - aber manche sind ja offensichtlich auch mit kleinen Fortschritten auf dem Weg der Erkenntnis zufrieden. Schließlich konnte man ja auch überhaupt nicht wissen, dass wir uns mitten in einer schlimmen Wirtschafts- und Finanzkrise befinden, dass die Einnahmen von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungssystemen deutlich zurückgehen werden und dass die Ausgaben der staatlichen Solidargemeinschaft zur Krisenbewältigung stark ansteigen werden. Statt Steuersenkungen stehen bei der FDP ab sofort also Steuervereinfachungen auf dem Programm. Wieder einmal ein neoliberaler Kurswechsel - kein Wunder, dass bei diesen permanenten "strategischen Neuausrichtungen" - oder soll ich Zick-Zack-Kurs sagen? - auch letzte Spurenelemente politischer Führung verloren gehen, die die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie kleine und mittelständische Unternehmen von der Bundesregierung in Krisenzeiten erwarten. Aber wahrscheinlich ist das auch wirklich zu viel verlangt, wenn CDU/CSU und FDP schon größte Mühe damit haben, das eigene verrutschte politische Koordinatensystem andauernd an die Realität anzupassen. Deshalb verwundert es nicht, dass auch dem vorliegenden Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb die übergeordnete politische Richtung, der Wille zur versprochenen Steuervereinfachung fehlt. Wäre das Jahressteuergesetz 2010 nicht eine gute Gelegenheit gewesen, die zu Oppositionszeiten bis zur totalen Ermüdung Einzelner vorgetragenen Forderungen nach Steuervereinfachungen nun endlich wenigstens teilweise einzulösen? Ich erinnere mich an die Vorwürfe des Kollegen Volker Wissing, die er bei der abschließenden Lesung des letzten Jahressteuergesetzes 2009 am 28. November 2008 erhoben hat - ich zitiere -: Sie verweigern Deutschland ein vereinfachtes Steuerrecht, mit dem man die Probleme lösen könnte. Aus dem Problem eines zu komplizierten Steuerrechts machen Sie einfach ein Zeitproblem. ... Die Menschen in Deutschland fühlen sich nicht wohl, vor allen Dingen nicht angesichts des Steuerrechts, weil Sie die Menschen systematisch abkassieren und weil Sie sie mit einem viel zu komplizierten Steuerrecht drangsalieren und Wirtschaftsunternehmen lähmen. Wahrscheinlich wird sich insbesondere die FDP im Rückblick wirklich darüber ärgern, mit der Ausrichtung des Jahressteuergesetzes 2010 nicht einen Schritt in Richtung eines "vereinfachten Steuerrechts" getan zu haben. Aber wahrscheinlich war sie einfach noch nicht so weit; die letzte Spitzkehre auf dem steuerpolitischen Zick-Zack-Kurs liegt ja auch gerade erst kurze Zeit zurück. "Einfach" klingt zunächst einmal nicht schlecht. Wer allerdings genauer hinsieht, wird wieder einmal enttäuscht; denn die vollmundige Ankündigung einer Steuervereinfachung hinterlässt leider keine erkennbaren Spuren im vorliegenden Entwurf des Jahressteuergesetzes 2010. Aber vielleicht ist das auch besser so, wenn man sich den Schaden anschaut, den die schwarz-gelbe Lobbypolitik mit ihrem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz - besser Wachstumsverhinderungsgesetz oder Schuldenaufbaugesetz oder Investitionsverhinderungsgesetz oder Einnahmeverzichtsgesetz oder einfach: Mövenpick-Gesetz - angerichtet hat. Daher nochmals kurz zur Erinnerung und als Vorgeschmack darauf, was wir uns unter "neoliberaler Steuervereinfachung" vorstellen können: Die FDP, die selbsternannte "Partei des Mittelstandes und der Leistungsträger", hat in ihren langen Jahren der Oppositionsarbeit mit leichter Hand Steuervereinfachungen und Bürokratieabbau versprochen und führte quasi als erste Amtshandlung neue, unbefristete und kostspielige Ausnahmen ein, die Bürgern, Unternehmen und dem Finanzamt erheblichen Verwaltungsaufwand auferlegen. Diese neoliberale Klientelpolitik mit ihren Steuergeschenken an einen sehr kleinen Kreis von Begünstigten unter dem Deckmantel der Konjunktursteuerung wirkt auf mich geradezu zynisch, wenn man sich die mittel- und langfristige Wirkung der Beschlüsse und die Konsequenzen der Einnahmeausfälle für Bund, Länder und Gemeinden vor Augen führt. Man muss deshalb ja fast schon erleichtert sein, wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung beim Jahressteuergesetz 2010 auf substanzielle Steuerung verzichtet. Ich bin daher froh, dass sich der Gesetzentwurf auf die erforderlichen gesetzlichen Änderungen und Anpassungen im Steuerrecht an Rechtsprechung, Verwaltungspraxis und Gemeinschaftsrecht beschränkt. Die Fachbeamtinnen und -beamten aus dem Bundesfinanzministerium haben in gewohnt gewissenhafter und sachkundiger Art und Weise gearbeitet, sodass wir heute über einen Gesetzentwurf mit einer Fülle einzelner Regelungsbereiche sprechen. Politische Brisanz findet sich nur dort, wo Themen mit politisch motivierter Klientelpolitik fortgesetzt werden. Die große Bandbreite des Jahressteuergesetzes spiegelt sich unter anderem in folgenden Regelungen: Einführung einer Steuerbefreiungsvorschrift für ehrenamtliche rechtliche Betreuer, Vormunde und Pfleger; Steuerbarkeit von Transferentschädigungen für den Wechsel eines Sportlers von einem nicht im Inland zu einem im Inland ansässigen Verein, §§ 49, 50 a, 52 EStG; Aufhebung der zeitlichen Befristung der Regelung zur degressiven Abschreibung für Abnutzung, degressive AfA; Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer und der Grunderwerbsteuer; Anpassungen des Umsatzsteuergesetzes an EU-Recht und aktuelle Entwicklungen, zum Beispiel Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs bei der Einfuhr, § 5 UStG, und durch Erweiterung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei der Umsatzsteuer auf Lieferungen von Industrieschrott, Altmetallen und sonstigen Abfallstoffen sowie Leistungen von Gebäudereinigern, § 13 b UStG. Bei diesen zahlreichen gesetzlichen Änderungen entstehen auch viele Fragen. Ich möchte mich in diesem ersten Durchgang des Gesetzes darauf konzentrieren, einige dieser Fragen aufzuwerfen und unsere Überlegungen anzudeuten. Ich hoffe, dass die folgenden Beratungen des zuständigen Finanzausschusses und die Erläuterungen der Fachbeamtinnen und Fachbeamten aus dem Bundesfinanzministerium zur Klärung dieser Fragen beitragen können, sodass zumindest am Ende der parlamentarischen Beratungen ein Gesetz steht, das unser Steuerrecht ein kleines bisschen einfacher und vielleicht sogar gerechter macht. Zum Regelungsbereich Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnern mit Ehegatten im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht sowie bei der Grunderwerbsteuer. Der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2010 sieht die Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnern mit Ehegatten vor, § 15 Abs. 1 ErbStG-E. Eingetragene Lebenspartner sollen künftig auch in Steuerklasse I aufgenommen werden; ehemalige Lebenspartner werden wie geschiedene Ehegatten in Steuerklasse II erfasst. Die Gleichstellung bezieht sich auch auf die Freibetragsregelung, § 16 Abs. 1 ErbStG-E. Künftig soll auch bei Grundstücksübertragungen zwischen Lebenspartnern keine Grunderwerbsteuer mehr anfallen, § 3 Nr. 4 GrEStG-E. Die Arbeitsgruppe Finanzen der SPD-Bundestagsfraktion hatte für die Gleichbehandlung von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern schon bei den Beratungen zur Reform der Erbschaftsteuer geworben. Leider war die CDU/CSU damals noch nicht zu einer entsprechenden sinnvollen Lösung bereit. Das führte zu drei Steuerklassen, die nicht logisch definiert sind und deren Tarifstufen unerklärliche Sprünge aufweisen - erklärbar nur durch Klientelpolitik für eine kleine Gruppe von Erben mit einer Erbschaft zwischen 4 und 6 Millionen Euro. Die Zeche zahlen nun die Erben in der Steuerklasse II, also zum Beispiel Geschwister, Nichten, Neffen. Alle für einen - den am Starnberger See. Zum Regelungsbereich Verschonungsvoraussetzungen für Betriebsvermögen im Bereich der sogenannten Optionsverschonung. Das Jahressteuergesetz 2010 sieht auch eine Neuregelung des §13 a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG vor. Das in den Jahren 2008/2009 geschaffene Erbschaftsteuerrecht zielte bei der Vererbung von Unternehmen darauf, die Arbeitsplätze zu erhalten. Wir haben bei der Reform der Erbschaftsbesteuerung ein zweiteiliges Optionsmodell für die Besteuerung von Betriebsvermögen eingeführt, das dem Erben eines Betriebs viel Flexibilität bietet und Planungssicherheit bei der Betriebsfortführung ermöglicht. Zu den Grundvoraussetzungen für die Verschonung von Betriebsvermögen, das heißt die Steuerbefreiung des Erben, gehören, dass der Erbe den Betrieb über einen bestimmten Zeitraum hinweg fortführt und die Arbeitsplätze - gemessen an der Lohnsumme - im Wesentlichen erhält. Die Wahlmöglichkeit in der Option 2, "Betriebsfortführung 10 Jahre", sieht eine vollständige Befreiung des Betriebserben von der Erbschaftsteuer vor, der Verschonungsabschlag beträgt also 100 Prozent. Dafür muss der Erbe strenge Kriterien erfüllen: Erstens. Der Betrieb muss zehn Jahre lang weitergeführt werden. Zweitens. Die Gesamtlohnsumme nach Ablauf dieser Zehn-Jahres-Frist muss in der Summe 1 000 Prozent der Ausgangslohnsumme erreichen. Diese Regelung ermöglicht dem Betriebserben einen flexiblen Ausgleich zwischen Jahren, in denen die Beschäftigung und damit die Lohnsumme ansteigen, und Jahren, in denen die Lohnsumme sinkt. Drittens. Der Anteil des Verwaltungsvermögens darf nicht mehr als 10 Prozent des gesamten Betriebsvermögens betragen. Steuererleichterung und Arbeitsplätze wurden durch die Optionsverschonung eng miteinander verkoppelt. Unsere Idee war also, das Unternehmensvermögen mit Blick auf den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Unternehmensfortführung steuerlich zu entlasten, wenn im Zeitpunkt des Betriebsübergangs das Verwaltungsvermögen kleiner gleich 10 Prozent des Betriebsvermögens beträgt, weil die Verwaltung eines großen Vermögens nur eine kleine Bedeutung für die Arbeitsplätze hat. Bei der vorgeschlagenen Neuregelung im Jahressteuergesetz geht es um diesen letztgenannten Aspekt, genauer um die Anwendung dieser 10-Prozent-Grenze auch bei Beteiligungen an Personengesellschaften und Anteilen an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 13 b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG. Sicherlich bietet das parlamentarische Beratungsverfahren im Finanzausschuss die Gelegenheit, die Einnahmewirkungen dieser Regelung für die betroffenen Unternehmen und die Länderhaushalte zu verdeutlichen und zu bewerten, denen die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer zustehen. Mit der Übertragung von Verwaltungsvermögen auf extra gegründete Untergesellschaften wurde nun diese Idee unterlaufen, Steuerberater sind erfinderisch. Auf diese Weise ließ sich bei der Obergesellschaft totale Steuerfreiheit für große Vermögen erreichen, auch wenn der Anteil des Verwaltungsvermögens deutlich höher war als ursprünglich geplant. Ich bin froh, dass dieses "Schlupfloch" durch das Jahressteuergesetz geschlossen werden soll. Dass solche engmaschigen Regelungen immer wieder notwendig sind, verdanken wir dem fantasievollen Steuervermeidungsdrang der Bürgerinnen und Bürger, die sich anschließend über die Kompliziertheit der Gesetzgebung echauffieren. Zum Regelungsbereich Steuerbarkeit von Transferentschädigungen für den Wechsel eines Sportlers. Jahressteuergesetze haben sich mit vielen Detailregelungen für Steuerpraxis und -verwaltung den wenig schmeichelhaften Ruf eines häufig überaus "trockenen" Gesetzgebungsverfahrens erworben, dem sich wohl nur überzeugte Steuerrechtler mit Genuss widmen. Um diesen Eindruck - zumindest andeutungsweise - zu korrigieren, greife ich abschließend die Regelungen zur steuerlichen Behandlung von Transferentschädigungen für den Wechsel eines Sportlers auf, etwa eines Fußballspielers. Das ist eine fast "brandaktuelle" Regelung; denn viele Profis nutzen die Fußballweltmeisterschaft als Bühne und wechseln während oder nach dem Turnier ins Ausland und umgekehrt. Was macht also das Finanzamt, wenn ein verdienter Nationalspieler gegen eine Transferentschädigung seine Karriere bei einem Verein in der Bundesliga fortsetzen möchte? Der Bundesfinanzgerichtshof hat entschieden, dass Transferentschädigungen für den Wechsel von einem ausländischen zu einem inländischen Verein nicht steuerbar sind. Diese Rechtsauffassung weicht allerdings von der Verwaltungspraxis ab, die vor dem Urteil des Gerichts Anwendung fand. Der Entwurf des Jahressteuergesetzes sieht daher vor, zu diesem Status zurückzukehren und solche Vergütungen an den früheren Verein im Ausland zu besteuern, § 49 Abs. 1 Nr. 2 g. Ich hoffe, dass uns die Beratungen im Finanzausschuss Klarheit darüber verschaffen, wie Bundesregierung und Koalitionsfraktionen die widerstreitenden Rechtsauffassungen von Finanzverwaltung und Finanzgerichtsbarkeit auflösen sowie die offene Frage des Rückwirkungsverbots der Regelung beantworten möchten. Auf einem Feld allerdings, der Lobbyarbeit für Großunternehmen, beweist die neoliberale Bundesregierung hingegen leider eine ebenso ärgerliche wie bemerkenswerte Ausdauer. Auch das Jahressteuergesetz 2010 dreht die Uhren bei der Unternehmensbesteuerung zurück, um Großkonzernen erneut Steuergestaltungsmöglichkeiten zu erschließen und das Steuersubstrat in Deutschland auszudünnen. Wir sind auf die Beratungen gespannt. Dr. Daniel Volk (FDP): Das Jahressteuergesetz 2010, welches wir heute beraten, enthält eine Reihe von Punkten, die für mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland sorgen. Folgende Punkte sind dabei hervorzuheben: Lebenspartner werden im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz - siehe §§ 15 bis 17, 37 Abs. 4 - und im Grunderwerbsteuerrecht - siehe §§ 3, 23 - mit Ehegatten gleichgestellt; keine Rückwirkung bei der Beschränkung des Vorsteuerabzugs infolge des Seeling-Urteils, § 15 Abs. 1 b UStG-E. Konkretisierungen im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen, § 35 a EStG zur Vermeidung von Doppelförderung führen zu einem Ausschluss von bestimmten öffentlich geförderten Maßnahmen aus der Steuerermäßigung; Befreiung von der Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung (§ 46 EStG) für unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer bei Arbeitslöhnen unterhalb der Steuerbelastungsgrenze, zum Beispiel für Saisonarbeiter, schon für 2009. Dies ist ein deutlicher Beitrag zur Vereinfachung des Steuerrechts, gerade für Geringverdiener und wird die Finanzämter entlasten, damit diese sich auf andere Aufgaben konzentrieren können. Es wird im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens darüber nachzudenken sein, kreditwirtschaftliche Vorleistungsprodukte, die innerhalb von Verbundstrukturen erbracht werden, von der Umsatzsteuerpflicht auszunehmen. Der notwendige Strukturwandel in der deutschen Kreditwirtschaft hin zu effizienteren und leistungsfähigeren Prozessen darf nicht an umsatzsteuerlichen Hürden scheitern. Für die dezentral organisierte Kreditwirtschaft bedeutet eine solche Anpassung die Schaffung vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen im Vergleich zu Großbanken. Letztlich profitieren die Verbraucher vom Wegfall der faktischen Schattenmehrwertsteuer. Ein Punkt liegt mir bei dieser Debatte noch am Herzen. Es sollte doch möglich sein, im Rahmen des laufenden Gesetzgebungsverfahrens zum Jahressteuergesetz 2010 eine Umformulierung des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG mit Wirkung für alle verfahrensrechtlich noch offenen Fälle vorzunehmen, die auf die tatsächliche Durchführung von Gewinnabführungen und Verlustübernahmen bzw. auf das tatsächliche Bestehen solcher Verpflichtungen und nicht auf das Vorliegen ohnehin deklaratorischer formeller Vereinbarungen abstellt. Diese klarstellende Gesetzesänderung würde zur Rechts- und Planungssicherheit für die Unternehmen in Deutschland beitragen und das Vertrauen in die Steuergerechtigkeit nachhaltig stärken. Dies mit dem Verweis auf den Koalitionsvertrag und die ohnehin geplante Neuregelung der Gruppenbesteuerung, in die Zukunft aufzuschieben, stellt dabei nicht die beste Lösung dar. Die Masse an Änderungen zeigt aber eines deutlich: Unser Steuerrecht ist zu kompliziert. Da haben wir dringenden Handlungsbedarf. Es kann nicht sein, dass wir jedes Jahr ein so umfangreiches Gesetzespaket auf den Weg bringen müssen, um Fehler und Unklarheiten zu beseitigen. Das Gesetz zeigt, dass das Steuerrecht sehr komplex ist und damit der Lebenswirklichkeit einer entwickelten Industrienation entspricht. Dass nur noch Experten den Durchblick haben - und das auch nur noch in Teilbereichen - liegt auf der Hand. Forderungen nach Steuervereinfachung sind berechtigt, setzen aber voraus, dass dem deutschen Drang nach Einzelfallgerechtigkeit stärker entgegengetreten wird. Stärkere Pauschalierungen würden ebenfalls helfen, kosten aber Geld und garantieren ebenfalls keine Einzelfallgerechtigkeit. Das Ziel der Steuervereinfachung bleibt; trotzdem muss das bestehende Recht an sich verändernde Verhältnisse angepasst werden. Leider geht das nur mit einem so komplexen Gesetz; das sollte sich aber ändern. Gesunde Staatsfinanzen sind das A und O einer verantwortungsbewussten Regierungsarbeit. Da dürfte in diesem Haus zwischen allen Fraktionen Einigkeit bestehen. Aber jede Partei in diesem Haus sollte sich auch selbstkritisch fragen, ob unter ihrer Regierungsverantwortung - sei es im Bund, sei es in den Ländern oder sei es in den Kommunen - das auch in der Praxis eingehalten wird. Die FDP steht für eine verantwortungsbewusste und nachhaltige Steuer- und Finanzpolitik. Wir haben die Familien entlastet. Wir haben die Unternehmen entlastet. Wir haben Arbeitsplätze gesichert. Wir werden Gesundheit wieder bezahlbar machen. Wir stehen für Investitionen in die Zukunft. Wir werden die Bildungschancen für alle Menschen in diesem Land verbessern; denn dies bedeutet Wettbewerbsfähigkeit auch in vielen Jahren und damit Wohlstand für die Menschen in diesem Land. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Üblicherweise wird das Jahressteuergesetz im Vorjahr, bevor es in Kraft tritt, verabschiedet. Dieses hier wird frühestens im September 2010 verabschiedet werden können. Das ist Konzeptionslosigkeit und höchstproblematisch, da Änderungen teilweise rückwirkend sind und zu erhöhter Rechtsunsicherheit führen. Die Leidtragenden Ihrer Politik sind dann wieder einmal die Bürgerinnen und Bürger. Das Gesetz beinhaltet eine Vielzahl kleinerer Änderungen im Steuerrecht; es ist sozusagen ein Feinschliff des Steuerrechts mit geringen finanziellen Auswirkungen. Da wird mal hier, mal da etwas herumgedoktert. Aber grundlegende Änderungen - Fehlanzeige. Dabei wären diese jetzt dringend vonnöten, um auch endlich hohe Einkommen und Vermögen zur Finanzierung he-ranzuziehen. Selbst in Ihren Reihen werden Stimmen laut, die zum Beispiel den Spitzensteuersatz erhöhen wollen. Und auch von Vermögenden hört man, dass sie mehr zur Finanzierung beitragen würden. Nur die Bundesregierung denkt nicht daran. Statt die Chance zu ergreifen, zum Beispiel die Abgeltungsteuer abzuschaffen und damit Kapitaleinkommen wieder nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu besteuern, doktern Sie wieder nur an dieser Regelung herum. Die Ungerechtigkeit bleibt erhalten, denn Kapitaleinkommen werden immer noch bevorzugt behandelt, weil sehr hohe Kapitaleinkommen im Vergleich zu Arbeitseinkommen geringer besteuert werden. Die Folge des Herumdokterns: Es wird noch komplizierter statt einfacher. Sage und schreibe 105 Seiten Leitlinien hat das Bundesfinanzministerium veröffentlicht, um den Umgang mit der Abgeltungsteuer zu erleichtern. Steuervereinfachung ist das nicht. Daher fordern wir: Schaffen Sie die Abgeltungsteuer ab und sorgen sie dafür, dass Kapitaleinkommen endlich wieder zum persönlichen Einkommensteuersatz versteuert werden. Positiv in diesem Jahressteuergesetzentwurf möchten wir hervorheben, dass eine Angleichung der eingetragenen Lebenspartnerschaft an die Ehe geplant ist. Das ist aber nur ein Minischritt; denn die Gleichstellung im Bereich der Einkommensteuer fehlt weiterhin. Also machen wir es uns einfacher. Öffnen wir die Ehe. Damit wären unzählige Veränderungen von Gesetzen sowie Verordnungen auf Bundes- und Landesebene nicht mehr nötig. Ebenfalls finden wir es gut, dass Lebensversicherungen krisenfester werden sollen. Allerdings kritisieren wir den Weg, wie Sie das bewerkstelligen wollen. Durch die geplante Fristverlängerung von drei auf fünf Jahre, in denen die Rückstellungen steuerfrei sind, verringert sich der Anreiz für Versicherer, die Risikogewinne zeitnah auszuzahlen. Damit geht die Regelung, wie sie geplant ist, zulasten der Versicherten. Statt die Eigentümer und Aktionäre heranzuziehen, zum Beispiel über ein Dividendenausschüttungsverbot, wählen Sie den einfachen Weg, indem sie die Versicherten belasten. Ich möchte zum Schluss noch den Punkt Nichtanwendungserlasse durch das Bundesministerium der Finanzen ansprechen. Was heißt das? Jemand fühlt sich steuerlich ungerecht behandelt und klagt deswegen - und bekommt Recht. Nun folgt ein Nichtanwendungserlass des BMF, welcher dazu führt, dass von diesem zumeist steuerzahlerfreundlichen Urteil nur der oder die Klagende profitiert. Für alle anderen Steuerzahler gilt das Urteil nicht. Das ist doch eine Frechheit. Wenn ein gültiges Urteil vorliegt, müsste es doch auch für alle anderen gelten. Das Ignorieren der BFH-Urteile stellt auch die Frage nach der Respektierung der Gewaltenteilung. Besser wären gleich vernünftige Gesetzesänderungen, welche Sie hiermit ja zum Teil vornehmen wollen. Das waren nur ein paar Kritikpunkte. Kurzum: Überarbeiten Sie das Jahressteuergesetz noch mal. Zeit dafür ist ja in den nächsten Wochen vorhanden. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fast kein Tag verging in den vergangenen acht Monaten ohne einen steuerpolitischen Furz aus den Reihen der Regierungskoalition. Etwas konkreter wurde es in Ihrem Sparpaket. Da kündigten Sie steuerpolitische Änderungen wie die Einführung einer Brennelementesteuer, einer Finanzmarktsteuer und einer Flugticket-Tax an. Heute nun sollen wir das Jahressteuergesetz 2010 beraten. Aber nichts von alldem findet sich auf den 182 Seiten dieses Gesetzes. Schlimmer noch: Inzwischen gibt es zu diesem inhaltlich auf 180 von 182 Seiten nichtssagenden, aber handwerklich miserablen Gesetz bereits Empfehlungen der Bundesratsausschüsse, die sich auf 100 Seiten erstrecken. So ein Missverhältnis zwischen Inhalt und Form habe ich noch nicht erlebt. Das Ganze kann man mit Fug und Recht als Bürokratiemonster bezeichnen. Warum bringen Sie dieses Jahressteuergesetz fast ohne Inhalt ein? In dieser Eile ohne abschließende Beratung im Bundesrat und obwohl doch noch große Gesetzesvorhaben geplant sind? Diese Hektik ist nicht nachvollziehbar und lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Es wird wohl doch nicht trotz anderer Ankündigungen zu weiteren Gesetzesvorhaben kommen. Die Buchungen in Ihrem Sparhaushalt sind heute schon, was die Einnahmeseite angeht, Luftbuchungen. Obwohl Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung laut Ihrer eigenen Aussage zentrale Politikfelder für die Bundesregierung sind, kommen Sie selbst hier nicht voran, sondern schaffen mit diesem Gesetz im Gegenteil noch mehr bürokratische Hürden. Statt verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um die elektronische Steuer-ID zum Laufen zu bringen, perpetuieren Sie mit zahlreichen Fristverlängerungen in diesem Gesetz diesen nervigen Doppelzustand mit mehr Bürokratie. Das zeigt: Gar nix ist mit einfach, niedrig und gerecht. Weder bei der rechtlichen Ausgestaltung Ihrer Vorschläge für ein besseres Steuersystem noch beim praktischen Vollzug der Steuergesetzgebung haben Sie bisher punkten können. Von einer Koalition, deren zentrales Themenfeld Bürokratieabbau und Steuervereinfachung ist, hätte ich wirklich mehr erwartet. Auch weitere Versprechen aus dem Koalitionsvertrag halten Sie nicht ein. Zwar bewegen Sie sich ein wenig in Sachen Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft im Erbschaft- und Grunderwerbsteuerrecht. Aber in der Einkommensteuer tun Sie weiterhin so, als ob eingetragene Lebenspartner Fremde wären. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht bereits vor einem Jahr klargestellt, dass wegen des Gleichheitsgrundsatzes des Grundgesetzes eine vollständige Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft geboten ist. Wir hatten bereits im November des vergangenen Jahres Anpassungen für eine echte Gleichstellung im Erbschaftsteuerrecht beantragt - Sie von Schwarz-Gelb haben dies damals abgelehnt. Wir geben Ihnen eine zweite Chance. Wir werden nun einen umfassenden Gesetzentwurf vorlegen, der alle Bereiche des Steuerrechts berücksichtigt. Ergreifen Sie diese Chance, stimmen Sie zu. Spannend finde ich, dass endlich auch in Ihren Reihen eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes nicht mehr tabu ist. Zumindest bei einigen scheint es angekommen zu sein, dass ein Sparpaket, das zum Beispiel das Elterngeld für Hartz-IV-Empfangende streicht, es der nicht arbeitenden Millionärsgattin aber lässt, eben nicht fair und gerecht ist, wie es Herr Westerwelle formulierte, sondern eine Unverschämtheit. Damit die Lastenverteilung auch wirklich gerechter wird und die Erhöhungsdebatte nicht zu einer Placebodebatte verkommt, reicht es aber nicht aus, den Spitzensteuersatz zu erhöhen. Wenn wir den Spitzensteuersatz erhöhen, belasten wir zwar die stärker, die mit ihrer Arbeit viel verdienen. Wer aber wirklich reich ist, lässt sein Geld für sich arbeiten. Dieses Geld wird aber gar nicht mit dem Spitzensteuersatz versteuert, sondern lediglich mit 25 Prozent. Wenn Herr Ackermann also knapp 10 Millionen Euro im Jahr verdient und davon genug auf die hohe Kante legt, zahlt er nur in diesem Jahr den Spitzensteuersatz. Für die Zinserträge der kommenden Jahre werden nur die 25 Prozent fällig, egal wie hoch die Zinserträge sind. Das müssen Sie ändern, und damit würden Sie nebenbei über 1,2 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen verbuchen. Die Zeit dafür ist überfällig. Auch wenn Sie es noch nicht begriffen haben: In der Wirtschaft hat inzwischen ein Umdenken eingesetzt. Das Angebot sollten Sie annehmen. Ich möchte Ihnen dazu eine Umfrage des Managermagazins nahelegen, wonach 54 Prozent der Führungskräfte in der deutschen Wirtschaft am ehesten bei den Reichen mehr Steuern erheben würden. Gerhard Cromme, der Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssen-Krupp und Siemens, spricht sich dafür aus; Uwe Hück von Porsche und Trigema-Chef Wolfgang Grupp sind dabei, um nur ein paar Namen zu nennen. Sie haben die Betroffenen an Ihrer Seite. Also zögern Sie nicht, sondern legen Sie endlich los. Statt Hartz-IV-Empfängern das Elterngeld wegzunehmen, würden Sie damit einen Beitrag von dem Teil der Gesellschaft verlangen, der es sich durchaus leisten kann, mehr zu schultern. Ich zitiere hierzu den Chef von Liqui-Moly, Ernst Probst: "Mir ist es ein Rätsel, warum die Politik Leute vor einer höheren Belastung verschonen will, die gar nicht verschont werden wollen." Ich fordere Sie auf: Lösen Sie dieses Rätsel, hören Sie auf mit sozialem Kahlschlag und schaffen Sie mehr Steuergerechtigkeit. Auch der Bundesrat hat Ihnen bereits Nachhilfe erteilt. Ich nenne nur ein Beispiel: Nächste Woche beraten wir in einer Anhörung des Finanzausschusses Vorschläge zur Änderung der strafbefreienden Selbstanzeige. Wir Grüne haben hier klare Forderungen gestellt - von der dringend erforderlichen Verbesserung der personellen Ausstattung der Finanzbehörden über die Einführung einer Bundessteuerverwaltung, die Bildung von sogenannte Large Taxpayers Units für Wohlhabende und Großunternehmen bis hin zu der eigentlichen Selbstverständlichkeit, dass endlich gelten muss, dass Wiederholungstäter nicht straffrei bleiben sollten und jemand, der jahrelang systematisch Steuern hinterzieht und das irgendwann dem Finanzamt offenbart, nicht besser dastehen darf als einer, der einfach nur zu spät zahlt. Die schwarz-gelben Vorstellungen dazu sind vage und unkonkret - der Umsetzungszeitpunkt unklar. Der Bundesrat dagegen hat schon jetzt ausformuliert, wie wir eine Verschärfung der Selbstanzeige im Jahressteuergesetz vornehmen können. Das zeigt: Ein Jahressteuergesetz muss keine langweilige Auflistung redaktioneller Korrekturen sein. Die Steuerpolitik ist der Zankapfel von Schwarz-Gelb. Mal sollen die Steuern runter, dann soll nichts passieren, dann sollen sie rauf. Die Uneinigkeit in diesem zentralen Politikfeld untergräbt die Handlungsfähigkeit der gesamten Bundesregierung. Nur so kann ich mir erklären, dass auch in diesem 100 Seiten langen Jahressteuergesetz im Grunde überhaupt nichts drinsteht. Aber das muss nicht so bleiben. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie in den kommenden Beratungen substanzielle Vorschläge auf den Tisch legen, die über die Anregungen aus dem Nachhilfeunterricht des Bundesrates in Sachen Gesetzeschreiben hinausgehen. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das Jahressteuergesetz 2010 ist wie üblich ein überwiegend "technisches" Gesetz. Im Verlauf des Jahres 2009 hat sich in vielen Bereichen des deutschen Steuerrechts ein fachlich notwendiger Änderungsbedarf ergeben, der nun in über 200 Einzelmaßnahmen umgesetzt wird. Neben den überwiegend technischen Änderungen enthält das Gesetz aber einige Maßnahmen, die steuerpolitisch wichtig sind. Im Bereich der Einkommensteuer handelt es sich insbesondere um folgende Regelungen: So wird die Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für sogenannte Saisonarbeitskräfte, also im wesentlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Arbeitslöhnen unterhalb der Steuerbelastungsgrenze, aufgehoben. Danach soll in den Fällen, in denen der Jahresarbeitslohn unterhalb der Steuerbelastungsgrenze liegt, keine Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung mehr bestehen, obwohl ein Freibetrag zum Beispiel für erhöhte Werbungskosten auf der Lohnsteuerkarte bzw. Lohnsteuerbescheinigung eingetragen wurde. Die Regelung soll für unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtige bereits ab dem Kalenderjahr 2009 gelten. Die Jahresarbeitslohngrenze wurde anhand der einem Arbeitnehmer zustehenden gesetzlichen Freibeträge ermittelt. Da bei Arbeitslöhnen innerhalb dieser Grenze grundsätzlich keine Einkommensteuerschuld entsteht, wird diese Regelung das Besteuerungsverfahren für alle betroffenen Personen vereinfachen. Zum einen werden die Steuerpflichtigen in diesen niedrigen Einkommensbereichen von der Abgabe einer Steuererklärung befreit. Zum anderen werden die Finanzämter von dem Arbeitsaufwand und den Verwaltungskosten entlastet, die durch den Erlass eines Steuerbescheids entstehen, in dem keine Steuer festzusetzen ist. Das vorgesehene Verfahren ist insoweit bürgerfreundlich und bürokratieabbauend. Des Weiteren wird bei der Steuerbarkeit der Transferentschädigungen im Profisport im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht der in der Vergangenheit praktizierte Rechtszustand wiederhergestellt. Damit unterliegen Vergütungen für Sportlertransfers von ausländischen Vereinen ins Inland nunmehr ab 2011 wieder der Besteuerung nach dem Einkommensteuergesetz. Eine rückwirkende Regelung ist nicht vorgesehen. Damit wird auch ein Anliegen des Koalitionsvertrages umgesetzt, gesetzgeberische Maßnahmen mit Rückwirkung grundsätzlich zu vermeiden. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Aufhebung der Befristung für die Übertragung stiller Reserven bei der Veräußerung von Binnenschiffen. Nach bisheriger Rechtslage können stille Reserven bei der Veräußerung von Binnenschiffen lediglich bis einschließlich 2010 übertragen werden. Diese Befristung wird aufgehoben; denn auch an der Investitionsförderung nach dem Einkommensteuergesetz wird weiter festgehalten. Mit der Weitergeltung dieses steuerlichen Anreizes zur - dringend erforderlichen - Verjüngung der deutschen Binnenschifffahrtsflotte soll deren Konkurrenzfähigkeit im europäischen Vergleich gewährleistet werden. Damit setzen wir einen weiteren Punkt unserer Koalitionsvereinbarung um. Ebenfalls hervorzuheben ist die enthaltene Regelung zur Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte. Durch eine Ergänzung im Einkommensteuergesetz soll gesetzlich klargestellt werden, dass private Veräußerungsgeschäfte mit Gegenständen des täglichen Gebrauchs, zum Beispiel Gebrauchtfahrzeuge, innerhalb der Haltefrist von einem Jahr nicht steuerbar sind. Im Bereich der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale sollen Aktualisierungen und Anpassungen erfolgen, da die ursprünglich vorgesehene Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale, ELStAM, im Kalenderjahr 2011 noch nicht erfolgen kann. Daher sind Übergangsregelungen erforderlich, die es erlauben, dass der Lohnsteuerabzug in der Übergangszeit ohne neue Lohnsteuerkarte erfolgen kann. Gleichzeitig werden die Rechte des Arbeitnehmers hinsichtlich seiner Datenhoheit gestärkt; denn der Arbeitnehmer kann in Zukunft durch Mitteilung gegenüber dem Finanzamt bestimmen, wer Zugriff auf seine ELStAM-Daten hat. Auch im Bereich der Umsatzsteuer sind steuerpolitisch wichtige Regelungen hervorzuheben: Zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs wird die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei der Umsatzsteuer auf Lieferungen von Industrieschrott, Altmetallen und sonstigen Abfallstoffen sowie auf Leistungen von Gebäudereinigern, § 13 b UStG, erweitert. Durch die Rechtsänderungen sollen Umsatzsteuerausfälle auch durch betrügerische Geschäfte verhindert werden. Des Weiteren führen wir zur Vermeidung erheblicher finanzieller Belastungen für den Kultursektor eine Verjährungsregelung für die Ausstellung der für die Umsatzsteuerbefreiung privater Kulturunternehmer erforderlichen Bescheinigung ein. Künftig beträgt die Frist für die Erteilung oder Änderung derartiger Bescheinigungen grundsätzlich nur noch vier Jahre. Damit wird die erforderliche Rechtssicherheit für die Kulturveranstalter geschaffen, die künftig nicht mehr befürchten muss, durch nachträgliche Bescheidung rückwirkend die Vorsteuerabzugsberechtigung zu verlieren. Ebenfalls hervorzuheben ist, dass im Erbschaft- und im Grunderwerbsteuerrecht Lebenspartner künftig mit Ehegatten steuerlich gleichgestellt werden. Im Erbschaftsteuerrecht gilt nunmehr für sie: gleiche Steuerklasse und gleicher Steuersatz wie bei Ehegatten. Auch diese Maßnahme setzt ein Ziel des Koalitionsvertrages um. Fazit: Nach dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz bringt die Bundesregierung mit dem heute beratenen Gesetzesvorhaben ein weiteres großes Steuergesetz auf den Weg. Auch mit diesem Vorhaben werden steuerpolitisch wichtige Vorhaben umgesetzt. Daneben wird mit den vorgenommenen Rechtsänderungen ein möglichst reibungsloses Funktionieren des Besteuerungsverfahrens gewährleistet. Das JStG 2010 dient damit auch der Sicherung des Steueraufkommens und steht daher im Einklang mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung und der gesamtstaatlich zu tragenden Finanzierungsverantwortung. Anlage 66 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: - Brücken bauen - Grundlagenforschung durch Validierungsförderung der Wirtschaft nahebringen - Innovationslücke schließen - Zügig ein tragfähiges Konzept zur Stärkung der Innovations- und Validierungsforschung vorlegen (Tagesordnungspunkt 12) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Arbeitgeber- und Unternehmensverbände stellen gern Forderungen an die Politik - auch im Bereich von Wissenschaft und Forschung. Die Forschungsprämie Eins etwa geht auf eine Anregung aus diesen Kreisen zurück und kann aufgrund ihrer geringen Akzeptanz als gescheitert gelten. Eine weitere Forderung von BDI und BDA ist die derzeit diskutierte steuerliche Förderung von privaten Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen. Auch die hier verhandelte Validierungsförderung wurde von der Industrie ins Gespräch gebracht. Sie wird allerdings ebenso von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern etwa der Max-Planck-Gesellschaft unterstützt. Was also ist anders an dieser Art der Innovationsförderung? Mit diesem Instrument soll die sogenannte Validierungslücke geschlossen werden. Sie entsteht, weil die Wissenschaft auf der einen und die private Wirtschaft auf der anderen Seite unterschiedlich vorgehen. Während die Grundlagenforschung neues Wissen erarbeitet, ohne sich durch einen bestimmten Zweck einengen zu lassen, erwarten private Unternehmen einen möglichst hohen Gewinn, erzielbar etwa durch technologische Alleinstellungsmerkmale auf dem Markt. Ergebnisse aus der Forschung sind daher für Unternehmen nur dann interessant, wenn sie bei ihrer Umsetzung möglichst wenig riskieren und einen schnellen Return on Investment erzielen können. Von vielen Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft ist die Einschätzung zu hören, dass in den Universitäten und Forschungsinstituten ein großes Potenzial an Erfindungen und Innovationen brachliege. Dieses Potenzial für kommerzielle Nutzung müsse gesichtet und so um betriebswirtschaftliche Informationen angereichert werden, dass es für Investoren attraktiv wird. Diese Aufbereitung soll die Validierungsforschung übernehmen und damit eine Scharnierfunktion zwischen dem wissenschaftlichen und dem privatwirtschaftlichen Interesse erfüllen. Die Koalition verfolgt in ihrem Antrag nun die Absicht, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst das Geld für die Weiterentwicklung ihrer Forschungsergebnisse in die Hand zu geben. Dann soll ihnen noch ein Innovationsmentor an die Seite gestellt werden, der kraft seiner Erfahrung diese Weiterentwicklung in die richtige Richtung lenkt. Dieses Konzept erkennt jedoch gerade nicht die von mir benannten unterschiedlichen Vorgehensweisen in Wissenschaft und in Wirtschaft an. Eine Validierung von Forschungsergebnissen scheitert in der Regel nicht an finanziellen Ressourcen. Vielmehr verfügen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen oft nicht über das notwendige betriebswirtschaftliche Know-how und die Kenntnis des Marktes. Das gehört nicht zu ihrem Berufsbild und steht häufig im Widerspruch dazu. Daher fehlt es oft auch schlicht am Eigeninteresse. Gebraucht wird also eine echte Scharnierfunktion zwischen Forschung und Markt. Die Verlängerung der Forschung bis in den Markt ist nicht erfolgversprechend, wie die Forschungsprämie Eins bereits signalisiert hat. Daher unterstützt meine Fraktion das Konzept der SPD, das eine externe Agentur, besetzt mit wirtschaftserfahrenen Profis, vorsieht. Diese sollen für die Wirtschaft interessante Forschungsergebnisse aufbereiten. Wichtig ist dabei, dass jedoch das Recht an Erfindungen nicht in deren Besitz übergehen soll. Ich möchte jedoch auch zum sozialdemokratischen Konzept kritische Hinweise geben: Solch einen Flop wie die Forschungsprämie können wir uns nicht noch einmal leisten. Wir haben keine Sicherheit, dass ein neues Förderprogramm die sogenannte Validierungslücke tatsächlich schließt. Probieren wir die Validierungsförderung also erst einmal auf einem begrenzten Technologiefeld aus - zum Beispiel im Bereich der Biotechnologie, wo das Programm GO-Bio bereits Gründungen unterstützt -, und werten wir nach einer Einführungsphase umfassend die Erfahrungen mit dem neuen Instrument aus, bevor wir über dessen weitere Ausdehnung entscheiden. Und der zweite Hinweis: natürlich haben auch wir Linke ein Interesse daran, dass die Ergebnisse aus der Wissenschaft bei den Menschen ankommen - man denke nur an Impfstoffe oder neue medizintechnische Verfahren. Wissenstransfer ist gut und sinnvoll. Jedoch darf es nicht sein, dass die Unternehmen ihre Gewinnerwartung auf Kosten des Steuerzahlers abschätzen lassen - durch die öffentlich geförderte externe Agentur - und anschließend nur noch diese Gewinne einstreichen. Wir erkennen an, dass die einzelnen Unternehmen vor einem zu großen Risiko bei der Umsetzung neuen Wissens zurückschrecken. In der Gesamtheit muss die Industrie jedoch an den Kosten für die Validierungsförderung beteiligt werden - zum Beispiel über eine öffentlich-private Finanzierung des einzurichtenden Fonds. Der Hightechgründerfonds hat gezeigt, dass ein solches Konzept funktionieren kann. Wirtschaft und Arbeitgeber sollten auf diese Weise zeigen, dass mit der Forderung an die Gesellschaft auch die Übernahme von Verantwortung verbunden ist. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Koalitionsfraktionen haben einen Antrag zur Validierungsforschung vorgelegt, zur verbesserten Bewertung des Potenzials von Ergebnissen aus der öffentlichen Grundlagenforschung für den Transfer in Richtung Anwendung und Innovation. Die Zielsetzung ist richtig und die Entwicklung eines entsprechenden Förderkonzepts überfällig. Mehrfach haben Innovationsexperten in den letzten Jahren bei der Validierungsforschung politischen Handlungsbedarf identifiziert. Zuletzt mahnte 2009 die Expertenkommission für Forschung und Innovation eindringlich die Schließung dieser Förderlücke an. Im Bundeshaushalt sind schon seit zweieinhalb Jahren entsprechende Mittel veranschlagt. Aber was immer gefehlt hat, war ein Konzept für diesen Forschungsansatz. Wer nun gehofft hat, was lange währt, wird endlich gut, sieht sich allerdings enttäuscht. Das, was CDU/CSU und FDP vorgelegt haben, schrammt zielgenau am eigentlichen Sinn der Validierungsforschung vorbei. Eine Förderlücke besteht vor allem bei der Validierung von High-Risk-Projekten, also bei Ergebnissen aus der Grundlagenforschung, bei denen das Transfer- und Vermarktungspotenzial tatsächlich unklar ist, die Erfolgs-chancen ungewiss sind und die eigene Bewertung durch die Grundlagenforscher selbst kaum zu leisten ist. Für die nötige Validierungsprüfung haben die Grundlagenforscherinnen und -forscher in den Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen weder die Mittel noch das Wissen über Märkte und Marktchancen. Weil der Ausgang der Bewertung aber so ungewiss ist, können und wollen auch private Kapitalgeber und Unternehmen nicht oder noch nicht einspringen. Im Endeffekt bleiben gerade die Chancen und Möglichkeiten aus solchen High-Risk-Projekten sehr oft ungenutzt, auch wenn sie den Weg für vielversprechende Innovationssprünge öffnen könnten. Genau diese vielversprechenden, hochgradig ungewissen Projekte wird die neue Fördermaßnahme des BMBF kaum erreichen. Das schwerfällige Antragsverfahren, die Suche nach einem Innovationsmentor, der ehrenamtlich tätig sein soll, und die Durchführung der Prüfung werden echte Grundlagenforscher eher abschrecken. Ihr VIP-Programm könnte seinen eigentlichen Sinn genauso leicht verfehlen wie zuvor schon die Forschungsprämie des BMBF. Statt der raschen und effizienten Validierungsprüfung, damit potenzielle Kapitalgeber ihre Investitions-entscheidung treffen können, steht bei ihrem Konzept die möglichst umfangreiche Weiterentwicklung der Invention im Fokus. Im günstigsten Fall nehmen die Grundlagenforscher aus den öffentlichen Forschungseinrichtungen und Hochschulen den Aufwand auf sich, weil sie sowieso mit der Marktgängigkeit und technischen Machbarkeit rechnen. VIP wäre dann nichts anderes als ein weiteres Innovationsförderprogramm, wie es sie für Start-ups, Ausgründungen und den Anwendungstransfer bereits gibt. Diese Gefahr ist dem BMBF durchaus bewusst. Sonst würden Sie nicht darauf hinweisen, dass die Antragsteller doch zuerst prüfen sollen, ob es nicht schon andere, europäische, nationale oder bundesländerspezifische Förderprogramme gibt. Die neue Maßnahme fördert also nicht vorrangig echte Validierungsforschung, sondern bestenfalls die Weiterentwicklung bereits vorvalidierter Vorhaben. Statt Brücken zu bauen - wie der Antrag der Koalitionsfraktionen irreführenderweise heißt -, finanziert die Regierung die Weiterfahrt auf bereits durch normale Transferprogramme gut begleiteten Wegen. Wir lehnen daher den Antrag der Koalitionsfraktionen ab. Ihr Konzept geht am Problem vorbei. Der Antrag der SPD-Fraktion erscheint uns besser geeignet, die Validierung hoch ungewisser Ergebnisse aus der Grundlagenforschung zu fördern. Wir befürworten daher, das Konzept der SPD auszuprobieren. Anlage 67 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: - Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze im Bereich des Adoptionsrechts - Antrag: Die revidierte Fassung des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern unterzeichnen (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Ute Granold (CDU/CSU): Nachdem wir uns bereits in der vergangenen Sitzungswoche mit verschiedenen Aspekten der Gleichstellung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft befasst haben, beraten wir heute speziell über das Adoptionsrecht eingetragener Lebenspartnerschaften. Hierzu liegt ein Gesetzentwurf der Grünen vor. Auch zu der Frage der gemeinsamen Adoption habe ich mich schon in der vergangenen Debatte geäußert. Deshalb will ich mich an dieser Stelle nicht im Einzelnen wiederholen. Erlauben Sie mir dennoch eine Anmerkung: Ich habe die rechtlichen Verbesserungen für eingetragene Lebenspartnerschaften der vergangenen zehn Jahre nicht als Verdienst der Union reklamiert. Mir war es lediglich wichtig festzustellen, dass die in diesem Bereich vorgenommenen zahlreichen Veränderungen auch einmal zur Kenntnis genommen und von den Betroffenen entsprechend gewürdigt werden. Unsere Ablehnung des Volladoptionsrechts ist keineswegs Ausdruck eines nicht mehr zeitgemäßen Gesellschaftsbildes. Wir nehmen gesellschaftliche Veränderungen sehr wohl zur Kenntnis und reagieren hierauf auch im erforderlichen Maß. Dies geschah zuletzt zum Beispiel bei der Reform des Unterhaltsrechts, und das werden wir auch bei der jetzt anstehenden Reform des gemeinsamen Sorgerechts nichtehelicher Eltern tun. Anders als bei der rechtlichen Ausgestaltung der eingetragenen Lebenspartnerschaften stehen beim Adoptionsrecht ausschließlich die Interessen der Kinder und nicht die der betroffenen Erwachsenen im Vordergrund. Gerade das ist für mich Ausdruck einer modernen Gesellschaftspolitik. Deshalb lehnen wir das hier geforderte gemeinsame Adoptionsrecht ab. Wenn ich mir die Diskussion der letzten Jahre - aber auch den heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf - anschaue, muss ich feststellen, dass es den Antragstellern darin im Wesentlichen um die Bedürfnisse und Interessen der potenziellen "Eltern" geht. Es wird von Diskriminierung Homosexueller und bestimmter Lebensformen gesprochen und Gleichberechtigung durch den Gesetzgeber eingefordert. Und wo bleiben die Kinder? Wo bleibt das Kindeswohl? Ganz offensichtlich sind die Rechte und Interessen der Kinder in dieser ganzen Diskussion allenfalls zweitrangig. Das ist höchst problematisch; denn es sind die Kinder, die durch eine Adoption am stärksten betroffen sind. Mir scheint es, dass sich diejenigen, die sich zu diesem Thema äußern, der Tragweite einer Adoption gar nicht bewusst sind. Eine Adoption ist der wohl einschneidendste Rechtsakt, den unsere Rechtsordnung kennt. Dieser Umstand erfordert von uns eine besondere Sensibilität, Vorsicht und Zurückhaltung. Das vermisse ich hier leider. Ihnen geht es offensichtlich immer nur um die Bedürfnisse und Lebensverwirklichung der betroffenen Erwachsenen. Ich möchte daher an dieser Stelle noch einmal in Erinnerung rufen: Bei Fragen der Adoption geht es um die Kinder. Die Diskussion, die wir führen, darf sich daher nicht auf die Bedürfnisse und Interessen der Erwachsenen reduzieren. Einziger Maßstab für uns als Gesetzgeber muss vielmehr das Kindeswohl sein. Dies betrifft übrigens nicht nur das Recht eingetragener Lebenspartnerschaften, sondern alle Bereiche des Familienrechts. Ich hatte bereits die Reform des Unterhaltsrechts in der vergangenen Legislaturperiode oder die jetzt anstehende gesetzliche Neuregelung des gemeinsamen Sorgerechts nichtverheirateter Eltern erwähnt. Ich würde mich freuen, wenn Sie - liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, aber auch der FDP - das einmal anerkennen würden. Die entscheidende Frage lautet also: Dient eine gesetzliche Regelung, die den Weg für eine gemeinsame Adoption durch eingetragene Lebenspartnerschaften generell ermöglicht, dem Kindeswohl oder nicht? Ich meine, nein. Es entspricht unserer festen Überzeugung, dass Kinder für eine gedeihliche Entwicklung Vater und Mutter brauchen. Keineswegs möchte ich damit in Abrede stellen, dass sich nicht auch Homosexuelle rührend, aufopferungsvoll und voller Liebe um Kinder kümmern wollen und können. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die unterschiedliche Geschlechtlichkeit der elterlichen Bezugspersonen für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder nun einmal äußerst wichtig ist. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Es besteht auch in anderen Bereichen - ich denke etwa an das Umgangsrecht bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern - nicht nur in diesem Haus Konsens, dass es für die Entwicklung des Kindes wichtig ist, auch eine Bindung zu seinem Vater bzw. seiner Mutter aufzubauen. Die Antragsteller verweisen vor diesem Hintergrund nun auf eine in der vergangenen Legislaturperiode vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebene Studie, die belegen soll, dass das Aufwachsen in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften nicht dem Kindeswohl zuwiderlaufe. Diese Interpretation ist allerdings einseitig, selektiv und ignoriert im Übrigen wesentliche Erkenntnisse der Studie. Wie ich bereits in der vergangenen Debatte ausgeführt habe, erfahren Kinder von gleichgeschlechtlichen Eltern häufig Stigmatisierungen. Das mag vielleicht bedauerlich sein, ist aber eine Tatsache. Auch die zitierte Studie "Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften" hat diesbezüglich bestätigt: Jedes zweite der betroffenen Kinder und Jugendlichen gab an, dass es aufgrund seiner Lebenssituation Benachteiligungen erfahren habe. Wir dürfen insbesondere sensible Kinder und Jugendliche, die in der Pubertät sind, einer solchen Belastung nicht aussetzen. Der Staat hat hier eine Schutzpflicht und muss daher im Zweifel von entsprechenden Gesetzesänderungen absehen. Außerdem sind die Ergebnisse der Studie gerade in Bezug auf die jetzt diskutierte Frage der Volladoption auch insofern nicht aussagekräftig, als Kinder, die im Wege der Fremdkindadoption angenommen worden sind, in der Gesamtstichprobe der Untersuchung seltene Ausnahmefälle bilden. So haben gerade einmal 13 von 693 Familien, also weniger als zwei Prozent, ihr Kind im Wege der Fremdkindadoption angenommen. Entsprechend bewertet die Studie selbst die Aussagekraft ihrer Ergebnisse für diese spezielle Familienform infolge der geringen Datenbasis als eingeschränkt. Die Antragsteller argumentieren zudem, dass ein Recht auf Adoption auch verfassungsrechtlich geboten sei. Dabei verweisen sie insbesondere auf einen Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2009. Besagte Entscheidung befasst sich aber konkret nur mit der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes. Des Weiteren beschränkt das Bundesverfassungsgericht die Feststellung der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung auf das Feld der Ehe und trennt hiervon den Schutzbereich der Familie gerade ausdrücklich ab, der dann eröffnet sei, wenn Kinder hinzukämen. Der Prüfungsmaßstab bei Fragen des Adoptionsrechts ist damit von vornherein ein anderer. Hinzu tritt hier als maßgeblicher Aspekt das Kindeswohl im Sinne von Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes. Ein gesetzgeberischer Bedarf im Bereich des Adoptionsrechts ist damit durch die besagte Entscheidung in keiner Weise zu begründen. Soweit die Antragssteller sich nunmehr auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages beziehen, das die Auffassung vertritt, die Entscheidung gebiete eine Gleichstellung auch im Bereich des Adoptionsrechts, weise ich darauf hin, dass derselbe Autor nur einige Monate zuvor in einem Infobrief des Wissenschaftlichen Dienstes, den er zugleich im eigenen Namen in einer Fachzeitschrift veröffentlich hat, genau das Gegenteil feststellt. Dort kommt er nämlich - ich zitiere - zu folgendem Ergebnis: "Es ist nur ein Regelungsbereich ersichtlich, auf den die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine unmittelbare Auswirkung hat: Das Recht der gemeinschaftlichen Adoption nach §§ 1754 ff. Bürgerliches Gesetzbuch." Ich denke, angesichts dieses offensichtlichen Widerspruchs hilft uns der Wissenschaftliche Dienst hier kaum weiter. Aber es lohnt sich, einen Blick auf die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2002 zu werfen. Da heißt es ganz eindeutig: "Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz (...) gebietet als verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts einen besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung." Und weiter: "Nur für sie besteht ein verfassungsrechtlicher Auftrag zur Förderung." Darüber hinaus stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass es dem Gesetzgeber zwar freistehe, anderen Einstandsgemeinschaften als der Ehe neue Möglichkeiten zu eröffnen, ihre Beziehung in eine Rechtsform zu bringen, wenn er dabei eine Austauschbarkeit der jeweiligen rechtlichen Gestalt mit der Ehe vermeidet. Zugleich stellt das Bundesverfassungsgericht jedoch ganz klar fest: "Ein verfassungsrechtliches Gebot, solche Möglichkeiten zu schaffen, besteht jedoch nicht." Die einfache Lektüre der Gerichtsentscheidung zeigt also, dass es keinesfalls verfassungsrechtlich geboten ist, eingetragene Lebenspartnerschaften auch im Bereich des Adoptionsrechts mit der Ehe gleichzustellen. Zum Schluss möchte ich noch kurz auf den heute ebenfalls zur Beratung stehenden Antrag zum Europäischen Übereinkommen vom 24. April 1967 über die Adoption von Kindern eingehen. Die Antragsteller gehen zu Recht davon aus, dass ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare im Widerspruch zum besagten Übereinkommen stünde. Nach geltendem Recht wäre es also dem deutschen Gesetzgeber völkerrechtlich verwehrt, eine entsprechende Gesetzesänderung zu beschließen. Die jetzt vom Europäischen Ausschuss für rechtliche Zusammenarbeit ausgehandelte Vertragsänderung würde es aber den Mitgliedstaaten ermöglichen, auch gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit der gemeinsamen Adoption einzuräumen. Die Bundesregierung hat diese Vertragsänderung jedoch aus guten Gründen bisher weder gezeichnet noch ratifiziert. Für die Union kann ich sagen: Wir lehnen auf nationaler Ebene eine Gesetzesänderung ab. Aus diesem Grund besteht für uns auch kein Anlass, die Vertragsänderung in absehbarer Zeit zu zeichnen. Johannes Kahrs (SPD): Wir debattieren hier und heute die Frage der Angleichung des Adoptionsrechtes im Hinblick auf Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft. Bereits heute leben in jeder achten eingetragenen Lebenspartnerschaft Kinder. Neben den leiblichen Kindern eines der Partner, für die es die Möglichkeit der Stiefkindadoption gibt, handelt es sich dabei auch um Adoptiv- oder Pflegekinder eines der beiden Partner. Diesen Kindern der letztgenannten Gruppe verwehren CDU und CSU wesentliche Rechte. Sie sollen weder Unterhaltsansprüche gegenüber beiden Elternteilen haben noch von beiden Eltern erben dürfen. Diese Kinder sollen also, geht es nach der Union, schlechter behandelt werden als andere. Absurderweise wird dies mit dem Wohl der Kinder begründet. In der Sitzung vom 17. Juni wurde hier der Antrag über die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften der SPD-Fraktion beraten. Dabei agitierte die Kollegin Granold von der CDU vehement gegen jede rechtliche Angleichung im Adoptionsrecht. Ich zitiere: "Vieles spricht dafür, dass Kinder von gleichgeschlechtlichen Ehen" - und ja, Frau Granold verwendete tatsächlich das Wort "Ehe" - "dass Kinder von gleichgeschlechtlichen Ehen häufiger Stigmatisierungen erfahren als andere." Liebe Frau Granold, liebe Kollegen von CDU und CSU, woran liegt es wohl, dass es solche Diskriminierungen gibt? Nicht zuletzt natürlich daran, dass ihre Partei es immer entschieden abgelehnt hat, Schwulen und Lesben die gleichen Rechte zuzugestehen wie anderen Bürgern dieses Landes. Frau Granold hat in ihrer damaligen Rede die vielen Verbesserungen, die es im Hinblick auf die rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben und der eingetragenen Lebenspartnerschaften in den letzten Jahren gegeben hat, aufgezählt. Sie hat dabei vergessen hinzuzufügen, dass jede einzelne Verbesserung dabei gegen den zähen Widerstand ihrer eigenen Partei erkämpft werden musste. Über die Jahre kamen die schlimmsten und abfälligsten öffentlichen Äußerungen von Politikern über Schwule und Lesben zuverlässig aus den Reihen der Union. Jedes Mal goss man damit Öl ins Feuer der Vorurteile. Die etwaige Stigmatisierung von Kindern geht somit auch auf ihr Konto, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU. Kinder können nicht nur wegen des Geschlechtes ihrer Eltern gehänselt werden. Infrage kommen leider auch Herkunft, Religion, soziale Stellung und Besitzstand. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, den betreffenden Eltern eine gemeinsame Adoption zu verbieten. Die Erklärung der Kollegin Granold trägt der Tatsache nicht Rechnung, dass es in zahlreichen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften schon lange Kinder gibt. Wie kann es für das Wohl des Kindes förderlich sein, wenn im Fall des Falles ein Elternteil nicht unterhaltspflichtig ist? Wie können Sie, liebe Unionskollegen, rechtfertigen, dass diese Kinder erbrechtlich nicht als Kinder zählen dürfen? Wie können Sie rechtfertigen, dass Sie Waisen lieber weiter im Heim sehen als bei Eltern, die zufällig dasselbe Geschlecht haben? Wie können Sie hier eigentlich mit dem Wort "Kindeswohl" argumentieren? Ihre Argumente sind nicht fundiert, nicht durchdacht und ganz einfach zu widerlegen. Die Kollegin Granold erwähnte noch, dass Sie die Ergebnisse der in der vergangenen Legislaturperiode von Bundesjustizministerin Zypries in Auftrag gegebenen Studie ablehnen. Die Studie hat keine gravierenden Nachteile für Kinder, die mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen, feststellen können. Sicherlich mag es bei dieser Studie gewisse Einschränkungen aufgrund der zur Verfügung stehenden Datenbasis gegeben haben. Dabei blenden Sie aber aus, dass aus anderen Ländern ebenfalls zahlreiche Studien vorliegen, die alle zum selben Ergebnis kommen: Es gibt keine psychologischen oder signifikanten sozialen Nachteile für Kinder mit gleichgeschlechtlichen Eltern. Im Gegenteil: Gerade die adoptierten Kinder sind einer aktuellen Studie aus den USA zufolge überdurchschnittlich gut materiell abgesichert, weil es sich immer um Wunschkinder handelt und die Entscheidung zur Adoption vorher gut abgewogen wird. Frau Granold selbst hat darauf hingewiesen, dass gleichgeschlechtliche Eltern häufig einen überdurchschnittlich hohen sozialen Status haben. Sie sehen: Keines der Argumente von CDU und CSU ist stichhaltig. Sie, liebe Kollegen von der Union, lehnen den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne nur aus einem Grund ab: Sie bringen es einfach nicht fertig, ihre Vorurteile rational zu beleuchten und über Bord zu werfen. Vier von fünf Fraktionen, darunter Ihr Koalitionspartner, sind in dieser Sache einer Meinung. Für alle außer für die Union gilt die Gleichstellung als selbst-verständlich und lange überfällig. Sehen Sie endlich ein, dass Sie in dieser Frage in der Minderheit sind. Sehen Sie ein, dass auch die Rechtsprechung, auch auf europäischer Ebene, sich in der Vergangenheit nicht Ihrer, sondern stets unserer Position angenähert hat. Sehen Sie ein, dass die Zeit gegen Sie arbeitet. Ich bin zuversichtlich, dass dieser leidige Streit in einigen Jahren Geschichte ist. Irgendwann wird man über die jetzige Haltung der Union nur noch lachen. Bevor Sie sich also völlig der Lächerlichkeit preisgeben: Geben Sie sich einen Ruck, handeln Sie im Interesse der Kinder und setzen Sie die Gleichstellung der Lebenspartnerschaften in allen Rechtsbereichen durch. Stephan Thomae (FDP): Ihnen allen ist bekannt, dass die FDP immer beharrlich und unbeirrbar dafür eingetreten ist, dass jeder Mensch seinen Lebensentwurf verwirklichen kann. Dies galt immer und gilt auch weiterhin im Hinblick auf unterschiedliche sexuelle Orientierungen. Die FDP hat dabei ihr Augenmerk immer auf das Machbare gelegt. Es war und ist uns immer wichtig, zu fragen, was politisch umsetzbar ist. Mit Schaufensteranträgen kann man manchmal Teile der Öffentlichkeit beeindrucken. Aber entscheidend ist, sein Ziel im Auge zu behalten, und, wenn man es nicht sofort erreichen kann, sich ihm Schritt für Schritt zu nähern. Dies tut die FDP. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag mit der CDU und der CSU vereinbart, den nächsten Schritt zu unternehmen, um die Schlechterstellung gleichgeschlechtlicher Paare im Beamtenrecht zu korrigieren: Neben der Gleichstellung von Lebenspartnern im Rahmen des BAföG haben wir im Jahressteuergesetz 2010 sowohl die Gleichstellung von Lebenspartnern bei den Steuersätzen im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer als auch die Befreiung des Lebenspartners in der Grunderwerbsteuer vorgesehen. Das ist pragmatische Politik, die den Betroffenen mehr nützt als zur Schau getragene Maximalforderungen, wie zum Beispiel im Antrag der Linken, der vielleicht viel Beifall finden mag und hohe Erwartungen weckt, aber dann in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion Widerstand hervorruft. Und auch der SPD vermag ich heute kein viel besseres Zeugnis auszustellen. Heute beglückt uns die SPD mit ihren guten Ideen. Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist 2001 zu rot-grüner Regierungszeit in Kraft getreten. Und es fällt uns Liberalen auch gar kein Zacken aus der Krone, das anzuerkennen. Die FDP hat damals dem Gesetz nicht zugestimmt, weil sie selbst schon 1999 einen eigenen Vorschlag in den Bundestag eingebracht hatte. Es ist allerdings, in manchen Teilen, unvollständig geblieben. Ich nenne hier Lücken in den Bereichen des Adoptionsrechts, des Beamtenrechts, des Einkommensteuerrechts, des Erbschaftsteuerrechts. 2004 hat die FDP dem Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz zugestimmt. Umstrittenster Punkt darin war die Stiefkindadoption. Der Freistaat Bayern hatte deshalb damals auch gegen dieses Ergänzungsgesetz einen Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Nachdem sich nunmehr die FDP in der Bayerischen Staatsregierung befindet, hat der Freistaat Bayern diesen Normenkontrollantrag zurückgezogen. Und daran, dass die Union mit uns nun in dieser Legislatur die nächsten Schritte tun wird, kann man erkennen: CDU, CSU und FDP tun gemeinsam weitere Schritte. Summa summarum kann ich Ihnen versichern, dass diese Regierung einen klaren rechts- und innenpolitischen Kompass besitzt und eine Justizministerin, die mit diesem Kompass umzugehen versteht. Ein Kompass ist kein Zauberstab, der den Wanderer gleich ans Ziel zaubert. Aber wer seinem Kompass vertraut und unbeirrt Schritt für Schritt macht, der nähert sich unweigerlich seinem Ziel. Seien Sie gewiss: Die Regierungskoalition befindet sich auf dem richtigen Weg. Michael Kauch (FDP): Die FDP hat bereits im Jahr 2004 einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht, mit dem eingetragene Lebenspartner das volle Adoptionsrecht erhalten sollten. Wir haben die Forderung erneut erhoben, als die damalige rot-grüne Bundesregierung das Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz eingebracht hatte. Damals hatte es die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries von der SPD abgelehnt, das volle Adoptionsrecht zu beschließen. Auch die damalige bündnis-grüne Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, hielt eine flammende Rede gegen das Adoptionsrecht für Lesben und Schwule. Heraus kam dann ein Kompromiss: die Stiefkindadoption als Möglichkeit im Lebenspartnerschaftsgesetz - getragen von allen Fraktionen mit Ausnahme der Union. In den zurückliegenden Monaten hat die FDP in der Gleichstellungspolitik für Lesben und Schwule mehr durchgesetzt als die SPD in den vier Jahren Regierung zuvor. Für das Beamtenrecht haben wir im Koalitionsvertrag die volle Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten vereinbart, im Steuerrecht einen Abbau der Benachteiligungen. Die lange versprochene und von Rot-Grün und Schwarz-Rot niemals realisierte Magnus-Hirschfeld-Stiftung wird Realität. In der Entwicklungspolitik werden neue Akzente für die Menschenrechte Homosexueller gesetzt. Lediglich bei den Regenbogen-Familien sind wir an der starren Haltung unseres Koalitionspartners gescheitert. Wir werden deshalb den Dialog mit den Kolleginnen und Kollegen der Union fortführen. CDU und CSU haben sich in anderen Fragen der Familienpolitik bereits bewegt. Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass das auch hier der Fall sein wird. Alle erziehungswissenschaftlichen Studien zeigen: Kinder in schwulen oder lesbischen Beziehungen wachsen genauso gut und selbstbewusst auf wie in heterosexuellen. Zudem wachsen seit mehr als zehn Jahren Kinder in gleichgeschlechtlichen Pflegefamilien auf - ebenfalls ohne irgendwelche Probleme. Die FDP steht weiterhin zum vollen Adoptionsrecht für eingetragene Lebenspartner. Auch wenn es nicht gelungen ist, diese Forderung im Koalitionsvertrag zu verankern, ist und bleibt sie Ziel der Liberalen. Wir können dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zum Adoptionsrecht allerdings nicht zustimmen; denn wechselndes Abstimmungsverhalten wäre ein Bruch des Koalitionsvertrages. Die Ablehnung erfolgt aber ausdrücklich nicht aus inhaltlichen Gründen. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Seit Anfang 2000 verfolgen Millionen Menschen nahezu jeden Sonntag das Heranwachsen von Felix. Felix ist kein leichtes Kind. Er ist HIV-Positiv, mal introvertiert, mal rebellisch, mal hat er eine Freundin, mal keine. Zeitweise hing er dem Okkultismus an, und er treibt auch sonst viel Unfug. Er wächst innerhalb einer Familie auf, die ihn liebevoll durch die Wirren der Pubertät geleitet. Seine Eltern heißen Carsten und Käthe. Käthe ist ein Spitzname für Georg. Carsten und Georg haben Felix im Jahre 2003 gemeinsam adoptiert, nachdem sie sich zuvor das Jawort gaben. Etwa 3 bis 5 Millionen Menschen in Deutschland sehen dies Woche für Woche in der Serie "Lindentraße". Felix ist in einer gesicherten Position. Er hat Unterhalts- und Erbansprüche gegenüber beiden Elternteilen. Diese Position hat Felix in der Fernsehwelt. In der realen Welt hätte Felix dies nur, wenn Georg oder Carsten sein leiblicher Vater wäre; denn dann hätte der andere Lebenspartner die Möglichkeit der Stiefkindadoption. Ansonsten bleibt ihm dies verwehrt. Es geht um das Wohl des Kindes, und dies betrifft in Deutschland schon jedes achte Kind. Deshalb halte ich es nicht nur für unverständlich, sondern für unverantwortlich, wenn die CDU/CSU sich nicht nur einer Regelung, sondern sogar einer Diskussion einer realen Problemlage verschließt. So wie es die Kollegin Ute Granold von der CDU am 17. Juni zu Protokoll gab, zu unserem Antrag "Öffnung der Ehe" für Lesben und Schwule. Wie kann es sein, dass sich die CDU/CSU-Fraktion sogar jeglicher Diskussion verweigert? Das ist doch ein Unding. Damit bedienen Sie sich Ressentiments gegen Lesben und Schwule und zeigen, dass Ihnen das Wohl und die Rechtssicherheit von Kindern egal sind. Die vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebene Studie zur Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften kam 2009 zu dem absehbaren Ergebnis, dass lesbische Mütter und schwule Väter in ihrer elterlichen Kompetenz heterosexuellen Eltern in nichts nachstehen. Die feststellbaren Unterschiede im Erziehungsverhalten und Familienklima fördern ausnahmslos das Wohl des Kindes. Art und Umfang dieser umfangreichen Studie lassen keine Zweifel aufkommen; wir benötigen schnellstmöglich ein gemeinsames Adoptionsrecht für Lesben und Schwule - im Interesse der Kinder. Meine Damen und Herren von der FDP, wenn Sie eine Bürgerrechtspartei nicht nur der Worte, sondern auch der Taten sein wollen, dann werden Sie endlich aktiv. Sie können nicht bloß in Interviews das gemeinsame Adoptionsrecht fordern und dann im Parlament wieder einmal den Konservativen nachgeben. Bei der Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers konnten und wollten Sie sich durchsetzen, wenn es um das Wohl der Kinder geht, kneifen sie. Das ist feige. Die Linke fordert, dass die Bundesrepublik auch die revidierte Fassung des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern unterzeichnet, welches allen Kindern zugute kommt. Deutschland würde ein Zeichen setzen, dass es mit der Zeit geht. Dieses überarbeitete Abkommen ermöglicht unter anderem den Unterzeichnern die Möglichkeit auch gleichgeschlechtlichen Partnern ein Adoptionsrecht zuzubilligen. Lassen sie uns zum Wohle der Kinder handeln. Es bedarf einer Lösung, ob mit diesem Gesetzentwurf oder durch die Zustimmung unseres Antrags "Öffnung der Ehe". Was für Millionen Fernsehzuschauer normal ist, sollte endlich auch Lebensrealität werden. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): "Es hat nicht sollen sein." - Das war die Antwort des Bundesaußenministers Guido Westerwelle im Bravo-Interview auf die Frage, ob er sich nicht Kinder gewünscht hätte. Was er nicht gesagt hat: Es ist der Gesetzgeber in Deutschland, der ihm und seinem Partner diesen Wunsch verweigert, und das, obwohl ohne Zweifel ein Kind im Haushalt Westerwelle sehr behütet wäre und einen guten Start in sein Leben bekommen hätte. Aber homosexuelle Paare dürfen in Deutschland keine Kinder adoptieren, obwohl längst klar ist, dass Kinder in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften genauso liebevoll erzogen werden wie in der klassischen Ehe. Das zeigt ein Blick in die Lebenswirklichkeit der Menschen: In vielen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften wachsen schon heute Kinder auf. Der Mikrozensus des statistischen Bundesamtes geht davon aus, dass in knapp jeder achten schwulen oder lesbischen Partnerschaft Kinder leben. Das Bundesjustizministerium hat untersuchen lassen, wie diese Familien zurechtkommen. Und siehe da: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Kinder aus Regenbogenfamilien irgendwelche Nachteile hätten. Die repräsentative Studie zeigt, dass Lesben und Schwule gute Eltern sein können und genauso Verantwortung für Kinder übernehmen. Diese Auffassung teilt die Mehrheit der Deutschen. Am Dienstag dieser Woche hat das renommierte Meinungsforschungsinstitut respondi über 1 000 Menschen in Deutschland gefragt, ob nach ihrer Auffassung homosexuellen Paaren ermöglicht werden sollte, Kinder zu adoptieren. 61 Prozent der Befragten, die repräsentativ für alle Deutschen sind, haben dies bejaht - und die Zustimmung geht über alle Bevölkerungsgruppen hinweg. Männer wie Frauen, ob selbst Kinder im Haushalt oder nicht, geringe Einkommen oder hohe, hoher formaler Bildungsgrad oder geringer - in allen Bevölkerungsgruppen hat sich eine deutliche Mehrheit dafür ausgesprochen, hier zu einer Gleichstellung zu kommen. Dies sollte auch den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU-Fraktion zu denken geben. Meine Fraktion stellt heute zwei Anträge zur Debatte, die der Lebenswirklichkeit in Deutschland und den Wünschen der Mehrheit seiner Bürgerinnen und Bürger Rechnung tragen. Unser vorgeschlagener Gesetzentwurf ermöglicht die Adoption durch Menschen, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind. Zu Recht verweisen alle Fraktionen und Parteien darauf, dass beim Adoptionsrecht das Wohl des Kindes im Vordergrund steht. Bei den in Lebenspartnerschaften lebenden Kindern handelt es sich um eigene Kinder, aber auch um gemeinsame Pflegekinder oder Adoptivkinder einer Partnerin oder eines Partners. Obwohl zwei Erziehungspersonen für das Kind sorgen, werden die Kinder durch fehlende Ansprüche gegenüber den faktischen Eltern nach dem geltenden Unterhalts- oder Erbrecht benachteiligt. Gegenüber gemeinschaftlich adoptierten Kindern verheirateter Eltern fehlt ihnen die doppelte Sicherheit. Auch im Alltag erfahren Kinder in solchen Familien Nachteile durch die fehlende rechtliche Anerkennung als Familie. Diese Diskriminierung ist hinsichtlich des Art. 6 Abs. 1 GG bedenklich, da der Schutz der Familie und das Wohl des Kindes die rechtliche Absicherung dieser faktischen Eltern-Kind-Beziehungen gebieten. Niemand hat ein Recht auf ein Kind. Kinder haben vielmehr ein Recht auf Liebe, Fürsorge, Aufmerksamkeit und Geborgenheit. All dies können sie bei gleichgeschlechtlichen Eltern grundsätzlich in gleicher Weise erfahren wie bei verschiedengeschlechtlichen Paaren. Lesben und Schwule sind genauso verantwortliche Eltern wie andere Menschen. Ein genereller Ausschluss vom gemeinsamen Adoptionsrecht stellt die Fähigkeit von Lesben und Schwulen zur Kindererziehung aus ideologischen Gründen pauschal infrage. Diese willkürliche Diskriminierung ist sachlich nicht gerechtfertigt und schadet dem Kindeswohl, indem sie die Stigmatisierung bereits bestehender Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern fördert und den Kreis der am besten geeigneten Adoptiveltern künstlich verknappt. Ob eine Adoption im konkreten Fall dem Wohl des Kindes dient, muss bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften genauso wie bei Ehepaaren jeweils im Einzelfall der sachkundigen Entscheidung des Vormundschaftsgerichts überlassen bleiben. In Europa isoliert sich die Bundesregierung mit ihrer Verweigerungshaltung immer mehr. In acht Staaten ist es gleichgeschlechtlichen Paaren erlaubt, gemeinschaftlich zu adoptieren. Neun weitere Staaten haben das revidierte europäische Übereinkommen zur Adoption bereits gezeichnet, das es den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Adoption durch Schwule und Lesben zu gestatten. Die Bundesregierung verweigert bis heute die Ratifizierung, obwohl es gerade die ehemalige Bundesjustizministerin Zypries war, die die Neuauflage vorangebracht hatte. Der Antrag, den wir Grünen heute vorlegen, fordert die Bundesregierung auf, ihre Blockadehaltung zu beenden. Im Hohen Haus des Bundestages teilt die Mehrheit der Abgeordneten unsere Auffassung - zumindest in der Theorie. Gerade die FDP hat im Bundestagswahlkampf offensiv die Änderung des Adoptionsrechtes zugunsten von Lesben und Schwulen vertreten. Nun hat die Bundesjustizministerin angekündigt, das Adoptionsrecht einer umfassenden Reform zu unterziehen. Die Altersgrenzen für potenzielle Eltern sollen gesenkt werden. Nicht geplant ist dagegen, auch lesbischen oder schwulen Paaren die Adoption zu ermöglichen. Der FDP-Abgeordnete Kauch hat in vergangenen Debatten der damaligen rot-grünen Bundesregierung vorgeworfen, aus - ich zitiere - "Angst vor Gegnern des Adoptionsrechtes" im Jahr 2005 "nur" die Stiefkindadoption zu ermöglichen. Ich frage ihn: Vor wem hat die FDP jetzt Angst, wenn sie in der Adoptionsfrage keinen Schritt weiter gehen will - obwohl die Einstellung in der Bevölkerung heute sehr viel aufgeschlossener ist? Die FDP lässt sich vollständig von der CDU/CSU-Fraktion über den Tisch ziehen. Als Anwalt für Bürgerrechte fällt sie deswegen komplett aus. Die Union dagegen betreibt aktive Verhinderungspolitik. Sie bleibt verhaftet in einem vormodernen Familienbild, welches den Menschen vorschreiben will, wie sie zu leben haben. In der vergangenen Sitzungswoche war sich die Abgeordnete Ute Granold nicht zu schade, uralte und längst widerlegte Thesen aufzustellen: Kinder seien in verschiedengeschlechtlichen Familien grundsätzlich besser aufgehoben. Gerade weil Kindern und Jugendlichen Diskriminierung begegne, müsse der Staat sie schützen. Hier macht sich die Union selbst vom Bock zum Gärtner. Erst sorgt sie mit ihrer permanenten Verweigerungshaltung dafür, dass Regenbogenfamilien stigmatisiert und diskriminiert werden, um dann diesen Tatbestand gegen die betroffenen Kinder zu verwenden. Frau Granold, umgekehrt wird ein Schuh draus. Helfen Sie endlich mit, Vorurteile abzubauen und Diskriminierung zu beenden. Stimmen Sie unserem Antrag zu. 1Die Fragen 15 bis 88 werden schriftlich beantwortet. Die Frage 75 wurde zurückgezogen. 2Anlage 65 3Anlage 66 4Anlage 67 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 5254 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 51. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 51. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2010 5253 Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 5420 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 51. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 51. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2010 5419