Plenarprotokoll 17/55 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 55. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. Peter Danckert, Beatrix Philipp, Gerda Hasselfeldt und Petra Crone Wahl des Abgeordneten Jimmy Schulz als stellvertretendes Mitglied im Kuratorium der "Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung der Tagesordnungspunkte 10 und 11a Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Volker Kauder, Ute Granold, Erika Steinbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Marina Schuster, Pascal Kober, Serkan Tören, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Religionsfreiheit weltweit schützen (Drucksache 17/2334) b) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Josef Philip Winkler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Menschenrecht auf Religions- und Glaubensfreiheit stärken (Drucksache 17/2424) Volker Kauder (CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA Raju Sharma (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Johannes Singhammer (CDU/CSU) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) Pascal Kober (FDP) Annette Groth (DIE LINKE) Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erika Steinbach (CDU/CSU) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erika Steinbach (CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Ute Granold (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Ulrich Kelber, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Brennelementesteuer - Windfall Profits der Atomwirtschaft abschöpfen (Drucksache 17/2410) b) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Paus, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Atomkosten anlasten - Brennelementesteuer jetzt einführen (Drucksache 17/2425) Ingrid Arndt-Brauer (SPD) Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) Ulrich Kelber (SPD) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Dr. Birgit Reinemund (FDP) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Oliver Kaczmarek (SPD) Michael Kauch (FDP) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ulrich Kelber (SPD) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Klaus Breil (FDP) Ulrich Kelber (SPD) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) Michael Kauch (FDP) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) Ulrich Kelber (SPD) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) Ulrich Kelber (SPD) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 38: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Bettina Herlitzius, Friedrich Ostendorff, Undine Kurth (Quedlinburg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuchs - Beschränkung der Massentierhaltung im Außenbereich (Drucksache 17/1582) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die weitere Bereinigung von Bundesrecht (Drucksache 17/2279) c) Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neue Initiative für Neuheitsschonfrist im Patentrecht starten (Drucksache 17/1052) d) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2009 - Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2009 - (Drucksache 17/2305) e) Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Auch Verletztenrenten von NVA-Angehörigen der DDR anrechnungsfrei auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende stellen (Drucksache 17/2326) f) Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenrechte und Friedensprozess in Sri Lanka fördern (Drucksache 17/2417) g) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wohnungslosigkeit in Deutschland - Einführung einer Bundesstatistik (Drucksache 17/2434) h) Antrag der Abgeordneten Ingrid Nestle, Winfried Hermann, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: PKW-Energieverbrauchskennzeichnung am Klimaschutz ausrichten (Drucksache 17/2435) i) Antrag der Abgeordneten Markus Tressel, Nicole Maisch, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Reisende besser schützen (Drucksache 17/2428) j) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mindestbeiträge zur Rentenversicherung verbessern, statt sie zu streichen (Drucksache 17/2436) k) Antrag der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte des Bundestages in Bezug auf Europäische Räte stärken (Drucksache 17/2437) l) Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsamen Standpunkt der EU für Waffenausfuhren auch bei Rüstungsexporten an EU, NATO und NATO-gleichgestellte Länder konsequent umsetzen (Drucksache 17/2438) m) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Josef Philip Winkler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland aufnehmen (Drucksache 17/2439) Tagesordnungspunkt 11: b) Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Modernisierung braucht Rechtsstaatlichkeit - Partnerschaft mit Russland fördern (Drucksache 17/2426) Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Marieluise Beck (Bremen), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem EFSF-Rahmenvertrag vom 7. Juni 2010 (Drucksache 17/2412) b) Antrag der Abgeordneten Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), Peter Altmaier, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Elke Hoff, Rainer Erdel, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verbesserung der Regelungen zur Einsatzversorgung (Drucksache 17/2433) Tagesordnungspunkt 39: a) Beratung der Zweiten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses: zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland am 7. Juni 2009 (Drucksache 17/2200) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) b) Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses: zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag am 27. September 2009 (Drucksache 17/2250) c) - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Änderungsprotokoll vom 11. Dezember 2009 zum Abkommen vom 23. August 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern (Drucksache 17/1943) - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Juli 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der mazedonischen Regierung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 17/1944, 17/2248) d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verwendung von Verwaltungsdaten für Wirtschaftsstatistiken und zur Änderung von Statistikgesetzen (Drucksachen 17/1899, 17/2467) e) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 15. Mai 2003 zur Änderung des Europäischen Übereinkommens vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus (Drucksachen 17/2067, 17/2370) f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verordnung der Bundesregierung: Einhundertneunte Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - (Drucksachen 17/1624, 17/1819 Nr. 2, 17/ 2379) g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deklarationspflicht für Palmöl in Lebensmitteln (Drucksachen 17/1780, 17/2316) h) Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 116 zu Petitionen (Drucksache 17/2317) i) Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses: Übersicht 3 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 17/2459) Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem ... Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (Drucksachen 17/1147, 17/1604, 17/1950, 17/2402) b) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Priska Hinz (Herborn), Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU-Forschungsetat auf Innovation und Nachhaltigkeit für 2020 fokussieren - Ratsentscheidung ITER-Projekt nicht zustimmen (Drucksache 17/2440) c) - n) Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127 und 128 zu Petitionen (Drucksachen 17/2442, 17/2443, 17/2444, 17/2445, 17/2446, 17/2447, 17/2448, 17/2449, 17/2450, 17/2451, 17/2452, 17/2453) Tagesordnungspunkt 5: Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Drucksachen 17/2414, 17/2415) Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD) (Erklärung nach § 31 GO) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) (Erklärung nach § 31 GO) Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Gesundheitspolitik ohne Perspektive Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Jens Spahn (CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG Bärbel Bas (SPD) Dr. Erwin Lotter (FDP) Harald Weinberg (DIE LINKE) Stephan Stracke (CDU/CSU) Steffen-Claudio Lemme (SPD) Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU) Maria Michalk (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Sabine Weiss (Wesel I), Holger Haibach, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Harald Leibrecht, Helga Daub, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bemühungen zur Umsetzung der Millenniums-entwicklungsziele bis 2015 verstärken (Drucksache 17/2421) b) Antrag der Abgeordneten Anette Hübinger, Holger Haibach, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Harald Leibrecht, Helga Daub, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bildung in Entwicklungs- und Schwellenländern stärken - Bildungsmaßnahmen anpassen und wirksamer gestalten (Drucksache 17/2134) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Heidelberg), Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Herausforderung Millenniums-Entwicklungsziele - zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Annette Groth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Steigerung der Entwicklungshilfequote auf 0,7 Prozent gesetzlich festlegen - zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit dem Global Green New Deal die Millenniumsentwicklungsziele erreichen (Drucksachen 17/2018, 17/2024, 17/2132, 17/2464) Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Dr. Bärbel Kofler (SPD) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) Heike Hänsel (DIE LINKE) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Harald Leibrecht (FDP) Dr. Sascha Raabe (SPD) Marina Schuster (FDP) Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) Marina Schuster (FDP) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anette Hübinger (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulla Jelpke, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz) (Drucksache 17/1199) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Helmut Brandt (CDU/CSU) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) Jimmy Schulz (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Manuel Höferlin (FDP) Michael Frieser (CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD) Tagesordnungspunkt 8: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt - Beschäftigungschancengesetz (Drucksachen 17/1945, 17/2454) - Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/2455) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller, Anette Kramme, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Arbeitsmarktpolitik erfolgreich umsetzen und ausbauen (Drucksachen 17/2321, 17/2454) c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entfristung der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung (Drucksachen 17/1141, 17/1636) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige entfristen und ausbauen (Drucksachen 17/1166, 17/1636) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anette Kramme (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Karl Schiewerling (CDU/CSU) Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Insolvenzrechtsreform unverzüglich vorlegen - Außergerichtliche Sanierungsverfahren stärken - Insolvenzplanverfahren attraktiver gestalten (Drucksache 17/2008) Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Burkhard Lischka (SPD) Christian Ahrendt (FDP) Richard Pitterle (DIE LINKE) Sonja Steffen (SPD) Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie (Drucksachen 17/1720, 17/1803, 17/2472) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses - zu dem Antrag der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Stabilisierung des Finanzsektors - Eigenkapitalvorschriften für Banken angemessen überarbeiten - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie (Drucksachen 17/1756, 16/13741, 17/2472) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD) Björn Sänger (FDP) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Leo Dautzenberg (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten Karin Roth (Esslingen), Burkhard Lischka, René Röspel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Deutschlands Verantwortung für die Gesundheit in Entwicklungsländern - Vernachlässigte Krankheiten bekämpfen, Kinder- und Müttersterblichkeit verringern und Globalen Fonds stärken (Drucksache 17/2135) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Ziele der Bundesregierung in der Weltgesundheitsorganisation neu ausrichten (Drucksachen 17/1581, 17/2465) Karin Roth (Esslingen) (SPD) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) Niema Movassat (DIE LINKE) Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP) Dr. Sascha Raabe (SPD) Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jürgen Klimke (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung: Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung (Berichtszeitraum 6. April 2006 bis 25. März 2009) (Drucksachen 16/12560, 17/790 Nr. 35, 17/1807) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD) Michael Kauch (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Günter Krings (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Eva Högl, Dr. Peter Danckert, Sebastian Edathy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (Ratsdok. 8157/10) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Menschenhandel bekämpfen - Opferschutz stärken (Drucksache 17/2344) Ute Granold (CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD) Jörg van Essen (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 16: Vereinbarte Debatte: Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2010 Oliver Luksic (FDP) Michael Roth (Heringen) (SPD) Bettina Kudla (CDU/CSU) Thomas Nord (DIE LINKE) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Matthias Lietz (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Sevim Daðdelen, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausgrenzung beenden - Einbürgerungen umfassend erleichtern (Drucksache 17/2351) Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Helmut Brandt (CDU/CSU) Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses - zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Altötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Europa in Bewegung - Mit Kompetenz und Verantwortung für einen europäischen Mehrwert im Sport - zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Sabine Bätzing, Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Den Sport in Europa voranbringen - zu dem Antrag der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Winfried Hermann, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sport in der Europäischen Union - Den Lissabon-Vertrag mit Leben füllen (Drucksachen 17/2129, 17/1406, 17/1420, 17/2468) Klaus Riegert (CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Martin Gerster (SPD) Axel Schäfer (Bochum) (SPD) Joachim Günther (Plauen) (FDP) Jens Petermann (DIE LINKE) Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 17: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Monika Lazar, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe umfassender und detaillierter vorlegen (Drucksachen 17/1762, 17/2306) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorlegen - zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Elisabeth Scharfenberg, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Handlungsaufträge aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Drucksachen 17/1578, 17/1761, 17/2091) c) Antrag der Fraktion der SPD: Erstellung des Berichts der Bundesregierung auf Grundlage der UN-Konvention - Aktionsplan zur Umsetzung auf den Weg bringen (Drucksache 17/2367) Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen (Drucksachen 17/1719, 17/2280, 17/2466) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Klaus Breil (FDP) Dorothée Menzner (DIE LINKE) Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (Drucksachen 17/1288, 17/2458) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Dr. Peter Danckert (SPD) Jörg van Essen (FDP) Jens Petermann (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Sonja Steffen, Christine Lambrecht, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Änderung des Vormundschaftsrechts und weitere familienrechtliche Maßnahmen (Drucksache 17/2411) Ute Granold (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Stephan Thomae (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Arnold Vaatz, Volkmar Vogel (Kleinsaara), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick Döring, Oliver Luksic, Werner Simmling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Erwerb von Zweiradführerscheinen erleichtern (Drucksachen 17/1574, 17/2456) Gero Storjohann (CDU/CSU) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD) Oliver Luksic (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 27: Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Barthel, Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Arbeitsbedingungen im Briefmarkt - Sozialklausel nach § 6 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 Postgesetz und Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen auf Grund des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (Drucksache 17/1615) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Klaus Barthel (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: Änderungen im Hinblick auf den Vertrag von Lissabon (Drucksache 17/2394) Bernhard Kaster (CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD) Jörg van Essen (FDP) Alexander Ulrich (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kulturelle Einrichtungen vor Folgeschäden aus der Frequenzversteigerung der digitalen Dividende bewahren (Drucksache 17/2416) Johannes Selle (CDU/CSU) Martin Dörmann (SPD) Claudia Bögel (FDP) Katrin Kunert (DIE LINKE) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Rosemarie Hein, Kathrin Senger-Schäfer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: "Soforthilfeprogramm Kultur" zum Erhalt der kulturellen Infrastruktur einrichten - zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Undine Kurth (Quedlinburg), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kulturelle Infrastruktur sichern - Substanzerhaltungsprogramm Kultur auflegen (Drucksachen 17/552, 17/789, 17/2320) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD) Reiner Deutschmann (FDP) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei Vertragsabschlüssen im Internet (Drucksache 17/2409) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Lucia Puttrich (CDU/CSU) Kerstin Tack (SPD) Stephan Thomae (FDP) Caren Lay (DIE LINKE) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Befugnis des Bundeskriminalamtes zur Online-Durchsuchung aufheben (Drucksache 17/2423) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Frank Hofmann (Volkach) (SPD) Jimmy Schulz (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Katja Dörner, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung realisieren - Kostenkalkulation für Kinderbetreuung überprüfen (Drucksache 17/1778) Dorothee Bär (CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Caren Marks (SPD) Miriam Gruß (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mittel des Nationalen Stipendienprogramms für eine Erhöhung des BAföG nutzen (Drucksache 17/2427) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Swen Schulz (Spandau) (SPD) Patrick Meinhardt (FDP) Nicole Gohlke (DIE LINKE) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU-Fördermittel aus dem Emissionshandel für erneuerbare Energien und zur Verringerung prozessbedingter Emissionen (Drucksache 17/2430) Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses - zu dem Antrag der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Dr. Eva Högl, Gabriele Fograscher weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: zu dem Entwurf der Europäischen Kommission für das Verhandlungsmandat eines neuen Abkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten und deren Übermittlung für die Zwecke des Programms der USA zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (kurz: SWIFT-Abkommen), Ratsdok. 7936/10 vom 24. März 2010 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Neues SWIFT-Abkommen nur nach europäischen Grundrechts- und Datenschutzmaßstäben - zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Barbara Höll, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einstellung der Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika um ein neues SWIFT-Abkommen und Verzicht auf ein europäisches Abkommen über ein Programm zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (Drucksachen 17/1407, 17/1560, 17/2469) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Reinhard Grindel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Gisela Piltz, Manuel Höferlin, Dr. Stefan Ruppert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Datenschutz bei der transatlantischen Zusammenarbeit zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Drucksache 17/2431) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu einem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten und deren Übermittlung aus der Europäischen Union an die Vereinigten Staaten für die Zwecke des Programms zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (Ratsdokument 11172/10) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 9 EUZBBG Finanzdaten der Bürgerinnen und Bürger Europas schützen - SWIFT ablehnen (Drucksache 17/2429) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) Gerold Reichenbach (SPD) Gisela Piltz (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Übersicht 3 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Tagesordnungspunkt 39 i) Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Fritz Rudolf Körper (SPD) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer (SPD) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Renate Künast, Jürgen Trittin, Volker Beck (Köln), Katrin Göring-Eckardt und Claudia Roth (Augsburg) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heinz-Joachim Barchmann, Klaus Brandner, Elvira Drobinski-Weiß, Ulrike Gottschalck, Michael Groß, Hans-Joachim Hacker, Petra Hinz (Essen), Dr. Eva Högl, Christel Humme, Dr. Bärbel Kofler, Steffen-Claudio Lemme, Sönke Rix, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Karin Roth (Esslingen), Dr. Martin Schwanholz und Dr. h. c. Wolfgang Thierse (alle SPD) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kersten Steinke, Jens Petermann, Frank Tempel, Ralph Lenkert, Raju Sharma, Katrin Kunert, Dr. Rosemarie Hein, Jan Korte, Harald Koch, Sabine Zimmermann, Michael Leutert, Dr. Axel Troost, Katja Kipping, Dr. Ilja Seifert, Yvonne Ploetz, Alexander Ulrich, Katrin Werner, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Matthias W. Birkwald, Ulla Lötzer, Ingrid Remmers, Niema Movassat, Sahra Wagenknecht, Andrej Konstantin Hunko, Inge Höger, Ulla Jelpke, Dr. Herbert Schui, Heidrun Dittrich, Herbert Behrens, Paul Schäfer (Köln), Dr. Diether Dehm, Jutta Krellmann, Dr. Petra Sitte, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Gesine Lötzsch, Werner Dreibus, Ulrich Maurer, Petra Pau, Jan van Aken, Cornelia Möhring, Dr. Dagmar Enkelmann, Thomas Nord, Agnes Alpers, Wolfgang Gehrcke, Dr. Martina Bunge, Steffen Bockhahn, Dr. Gregor Gysi, Wolfgang Neškovic, Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann, Stefan Liebich, Alexander Süßmair, Nicole Gohlke, Harald Weinberg, Eva Bulling-Schröter, Michael Schlecht, Richard Pitterle, Annette Groth, Karin Binder, Heike Hänsel und Dr. Barbara Höll (alle DIE LINKE) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: - Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe umfassender und detaillierter vorlegen - Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: - Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorlegen - Handlungsaufträge aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - Antrag: Erstellung des Berichts der Bundesregierung auf Grundlage der UN-Konvention - Aktionsplan zur Umsetzung auf den Weg bringen (Tagesordnungspunkt 17 a bis c) Maria Michalk (CDU/CSU) Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Gabriele Molitor (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 10: Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: EU-Fördermittel aus dem Emissionshandel für erneuerbare Energien und zur Verringerung prozessbedingter Emissionen (Zusatztagesordnungspunkt 5) Jens Koeppen (CDU/CSU) Frank Schwabe (SPD) Michael Kauch (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 55. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Das Leben geht weiter, auch wenn gelegentlich die Hoffnungen größer sind als die Möglichkeiten. Aber dass nicht immer alles so gelingt, wie man sich das vorgenommen hat, wissen wir aus eigenen Erfahrungen. Trotz des Ergebnisses des gestrigen Abends haben wir allen Anlass, der deutschen Mannschaft für ein famoses Turnier zu danken. Im Übrigen können wir uns ein bisschen darüber freuen, dass der Weltmeistertitel wieder mal in Europa bleibt. (Beifall) Es gibt im Übrigen eine Reihe weiterer freudiger Ereignisse. Der Kollege Dr. Peter Danckert feiert heute seinen 70. Geburtstag. (Beifall) Ich gratuliere ihm herzlich im Namen des ganzen Hauses. Ebenso herzlich gratuliere ich der Kollegin Beatrix Philipp zu ihrem gestrigen 65. Geburtstag und der Kollegin Gerda Hasselfeldt zu ihrem 60. Geburtstag. Die Kollegin Petra Crone feierte diesen runden Geburtstag bereits am vergangenen Samstag. (Beifall) Ihnen allen unsere geballten guten Wünsche für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Auf Vorschlag der FDP-Fraktion soll der Kollege Jimmy Schulz anstelle des ausgeschiedenen Kollegen Hellmut Königshaus neues stellvertretendes Mitglied im Kuratorium der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" werden. Eine Aussprache ist dazu nicht vorgesehen. Sind Sie auch ohne Aussprache damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Schulz gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Steigende Beiträge als Ergebnis der Gesundheitsreform - Weniger Netto vom Brutto (siehe 54. Sitzung) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 38 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Marieluise Beck (Bremen), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem EFSF-Rahmenvertrag vom 7. Juni 2010 - Drucksache 17/2412 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), Peter Altmaier, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Elke Hoff, Rainer Erdel, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Verbesserung der Regelungen zur Einsatzversorgung - Drucksache 17/2433 - Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Ergänzung zu TOP 39 a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem ... Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - Drucksachen 17/1147, 17/1604, 17/1950, 17/2402 - Berichterstattung: Abgeordneter Jörg van Essen b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Priska Hinz (Herborn), Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU-Forschungsetat auf Innovation und Nachhaltigkeit für 2020 fokussieren - Ratsentscheidung ITER-Projekt nicht zustimmen - Drucksache 17/2440 - c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 117 zu Petitionen - Drucksache 17/2442 - d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 118 zu Petitionen - Drucksache 17/2443 - e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 119 zu Petitionen - Drucksache 17/2444 - f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 120 zu Petitionen - Drucksache 17/2445 - g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 121 zu Petitionen - Drucksache 17/2446 - h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 122 zu Petitionen - Drucksache 17/2447 - i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 123 zu Petitionen - Drucksache 17/2448 - j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 124 zu Petitionen - Drucksache 17/2449 - k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 125 zu Petitionen - Drucksache 17/2450 - l) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 126 zu Petitionen - Drucksache 17/2451 - m) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 127 zu Petitionen - Drucksache 17/2452 - n) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 128 zu Petitionen - Drucksache 17/2453 - ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Gesundheitspolitik ohne Perspektive ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN EU-Fördermittel aus dem Emissionshandel für erneuerbare Energien und zur Verringerung prozessbedingter Emissionen - Drucksache 17/2430 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Reinhard Grindel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gisela Piltz, Manuel Höferlin, Dr. Stefan Ruppert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Datenschutz bei der transatlantischen Zusammenarbeit zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Drucksache 17/2431 - ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten und deren Übermittlung aus der Europäischen Union an die Vereinigten Staaten für die Zwecke des Programms zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (Ratsdokument 11172/10) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 9 EUZBBG Finanzdaten der Bürgerinnen und Bürger Europas schützen - SWIFT ablehnen - Drucksache 17/2429 - Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 10 wird abgesetzt. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken jeweils einen Platz vor. Schließlich sollen der Tagesordnungspunkt 11 a abgesetzt und der Tagesordnungspunkt 11 b ohne Debatte überwiesen werden. Hierdurch rücken dann die nachfolgenden Tagesordnungspunkte der SPD-Fraktion entsprechend vor. - Auch hierzu kann ich eine größere Unruhe nicht erkennen, sodass ich davon ausgehe, dass wir das einvernehmlich so vereinbaren können. Ich muss Sie darauf hinweisen, dass wir heute Morgen einen partiellen Stromausfall hatten. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das Telefon geht wieder!) - Mir wäre die umgekehrte Reihenfolge lieber gewesen, also dass die Uhren funktionieren würden und Sie für eine Weile nicht telefonieren könnten. Jetzt scheint es eher umgekehrt zu sein. Jetzt sehe ich, dass es anscheinend eine positive Rückkopplung zwischen den Telefonapparaten und den Uhren gibt, was der Bundestagsverwaltung bis heute Morgen nicht bewusst war. Wenn es nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellen, stellen wir ein ambulantes Gerät zur Verfügung. (Heiterkeit) An den vereinbarten Redezeiten ändert sich dadurch jedenfalls nichts. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Kauder, Ute Granold, Erika Steinbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marina Schuster, Pascal Kober, Serkan Tören, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Religionsfreiheit weltweit schützen - Drucksache 17/2334 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Josef Philip Winkler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Menschenrecht auf Religions- und Glaubensfreiheit stärken - Drucksache 17/2424 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Das ist offensichtlich einvernehmlich. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Volker Kauder für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schutzlos ausgeliefert - Im ostindischen Bundesstaat Orissa werden Christen verfolgt und getötet. Die Täter sind Hindus. Und die Behörden schauen zu. In einem ganzseitigen Beitrag hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am letzten Wochenende ausführlich über das Thema berichtet, das heute Gegenstand dieser Debatte ist und das uns in der Bundestagsfraktion von CDU/CSU und auch in der FDP immer wieder beschäftigt: Verfolgung von Christen, Bedrängung von Christen, Missachtung eines der zentralen Menschenrechte, nämlich das Recht, seinen Glauben frei zu leben und ausüben zu können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Orissa ist nur ein aktuelles Beispiel für das, was weltweit geschieht. Deshalb haben wir heute Morgen Schwester Justine Senapati und Vater Dr. Augustine Singh aus Orissa eingeladen. Sie sitzen auf der Tribüne, (Beifall) begleitet von den Vertretern der christlichen Kirchen hier am Sitz von Bundestag und Bundesregierung in Berlin. Die beiden waren beim Menschenrechtsrat in Genf. Heute sind sie in Deutschland und werben dafür, das Los, das Schicksal bedrängter und verfolgter Christen nicht zu vergessen. Am Beispiel Orissa können wir sehen, wo die Probleme liegen. Indien ist der Verfassung nach eine moderne Demokratie. Die Bundesregierung Indiens schützt die Religionsausübung und die Religionsfreiheit und bekennt sich immer wieder dazu, dass alle Menschen - in Indien geht es vor allem um Christen, Hindus und Muslime - ihre Religion frei ausüben können. Aber in den einzelnen Bundesstaaten kann die Zentralregierung vieles von dem nicht umsetzen. So kommt es zu brutalen Übergriffen. Christen werden verfolgt, bedrängt und vertrieben. Allein in der Region Orissa wurden in der letzten Zeit 60, 70 Kirchen und 4 000 Häuser angezündet. Es werden Christen getötet, vergewaltigt, und noch immer sind Zehntausende in Flüchtlingslagern untergebracht. Das ist keine Christenverfolgung durch den Staat. Aber wir erwarten schon, dass nicht das eintritt, was die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung geschrieben hat, nämlich dass die Behörden zuschauen. Wir erwarten, dass die Behörden die Christen schützen und alles dafür tun, dass sich so etwas nicht wiederholt. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Christen werden weltweit verfolgt. In über 60 Staaten gibt es Verfolgung oder Bedrängung. Zwei Drittel der verfolgten Christen leben in diesen 60 Staaten. 200 Millionen Christen sind von Bedrängung und Verfolgung betroffen. Ich will kurz einige Beispiele ansprechen. Wir haben vor wenigen Wochen einen Besuch in die Türkei unternommen, um dort vor allem das bedrängte Kloster Mor Gabriel zu besuchen. Um es klar zu sagen: Es gibt in der Türkei keine Christenverfolgung durch den Staat. Aber es gibt Bedrängungen, die dazu führen, dass Christen ihren Glauben nicht leben können. Wir haben in der letzten Legislaturperiode hier im Deutschen Bundestag in einem Antrag die türkische Regierung aufgefordert, die Repressalien, das Drucksystem gegen das Kloster Mor Gabriel aufzuheben. Bis zum heutigen Tag ist nichts geschehen, und dies ist nicht hinzunehmen. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir eröffnen in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei Kapitel um Kapitel. Aber ein Land, das näher zu Europa will, muss den elementaren Menschenrechtsgrundsatz, dass Religionsfreiheit gelebt werden kann, erfüllen. Da gibt es kein Wenn und kein Aber. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir bzw. die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes haben im Grundgesetz die Konsequenzen aus unserer dramatischen jüngeren Geschichte gezogen. Christen wurden auch in unserem Land während der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus verfolgt. Deshalb ist die Religionsfreiheit in unserem Grundgesetz ein zentraler Artikel. Er ist unmittelbar verbunden mit dem Kernsatz, der die Menschenrechte betrifft: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Und zur Würde des Menschen gehört auch sein religiöses Bekenntnis. Wir, die christlichen Demokraten, und die FDP setzen uns dafür ein, dass in diesem Land Religionsfreiheit gelebt werden darf. Ich kenne die Diskussionen in vielen Kommunen. Ich sage ausdrücklich: Ich bin dafür - wer für Religionsfreiheit ist, der ist dafür -, dass Muslime in diesem Land Moscheen bauen können und dass sie in diesen Moscheen beten können. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber ich erwarte genau das Gleiche von allen anderen Ländern in der Welt. Ich erwarte, dass die Christen in der Türkei ihre Kirchen so bauen können wie die Muslime in Deutschland ihre Moscheen. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE] - Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Sehr gut! Bravo!) In vielen Ländern dieser Welt erleben wir eine subtile Bedrängung von Christen. Die Christen sind im Übrigen die am meisten verfolgte Gruppe in der ganzen Welt. Übertritte von einer anderen Religion zum Christentum werden unter Strafe gestellt. Christen wird es untersagt, für ihre Religion einzutreten, weil dies als unerlaubte Werbung gilt. Es wird verboten, dass Christen in diesen Ländern die Ausbildung ihrer Pfarrer und Priester durchführen, und Christen wird ein besonderer Stempel in den Ausweis gedrückt, damit sie möglichst viele Probleme im täglichen Leben haben. Ich weiß, dass die Verfolgung von Christen viele Ursachen hat. Auf der einen Seite geht es darum, die eigene Religionsmehrheit zu schützen. Auf der anderen Seite sind nationale Themen ursächlich. In einigen Fällen sind die Radikalität der Verfolgung und die emotionale Auseinandersetzung auch ein Ergebnis der wirtschaftlichen Situation, der Armut in diesen Ländern. Ich bin dankbar, dass die Bundesregierung das Thema Christenverfolgung/Christenbedrängung in den Katalog ihrer Arbeit aufgenommen hat. Wir fordern, dass die Religionsfreiheit im Bereich der Entwicklungshilfe als Teil der Menschenrechtsdiskussion ein zentrales Thema ist. Ich bin Bundesaußenminister Guido Westerwelle dankbar, dass er das Thema Christenverfolgung nicht nur in seinen Katalog einer wertegeleiteten Außenpolitik aufgenommen hat, sondern das Thema auch in Genf angesprochen hat und dies heute vor dem Deutschen Bundestag erläutern will. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich weiß, dass die Bundeskanzlerin auf ihren vielen Reisen nach China und in andere Länder der Welt dieses Thema ebenfalls angesprochen hat. Ich finde, wir müssen dieses wichtige Menschenrechtsthema mit aller Kraft ansprechen und dürfen nicht zurückweichen, wenn es heißt: Wenn ihr dieses Thema ansprecht, könnte es unangenehme Konsequenzen haben. - Meine Erfahrung ist: Wenn wir darauf hinweisen, in welchen Ländern Bedrängungen und Verfolgungen von Christen stattfinden, dann hat dies auch Wirkung. Denn dauerhaft will keines dieser Länder am Pranger der Öffentlichkeit stehen. Sie wollen nicht, dass man erkennt, wie man mit Menschen umgeht, die anderen Glaubens als die Mehrheit in dem entsprechenden Land sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen macht es Sinn, dies anzusprechen. Wir verstehen diese Debatte nicht als eine Anklage, sondern als Aufforderung, dieses elementare Menschenrecht auch umzusetzen. Wir wollen, dass am Beispiel Europa auch andere Länder erkennen können, welche beglückende Erfahrung im Zusammenleben der Menschen es ist, wenn jeder seine Religion friedlich leben und nach ihr friedlich sein Leben ausrichten kann. Religion, der Glaube an etwas nach diesem Leben, die Überzeugung, dass es da etwas anderes gibt, dass es etwas Transzendentales, dass es Gott gibt, diese glückliche Erfahrung muss jeder in der Welt machen können. Solange dies nicht erreicht ist, werden wir nicht lockerlassen und dies regelmäßig zum Thema unserer politischen Diskussion hier in Deutschland und in der ganzen Welt machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christoph Strässer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Kauder, vieles von dem, was Sie gesagt haben, unterstreiche ich eins zu eins. Es ist nicht ganz das Thema, über das wir uns streiten sollten. Denn in der Überschrift Ihres Antrags geht es nicht um Christenverfolgung, sondern um Religionsfreiheit weltweit. Das ist ein weiter gefasstes Thema als das, was Sie angesprochen haben. Gleichwohl ist es wichtig. Zu einer Stelle - die mich ein klein wenig betroffen gemacht hat - möchte ich eine Bemerkung machen. Sie haben hier vorgetragen, dass sich die CDU/CSU und die FDP in diesem Hause für Religionsfreiheit und gegen Christenverfolgung aussprechen. Ich bitte Sie ganz ernsthaft, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich nicht nur die Fraktionen auf der rechten Seite des Hauses dafür aussprechen, sondern dass sich der gesamte Deutsche Bundestag - auch SPD, Grüne und die Linkspartei - dafür einsetzt. Das ist völlig klar. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich spreche nur für die CDU/CSU-Fraktion und nicht für die FDP! Wenn Sie es wünschen, tue ich das auch für Sie!) - Die Zeiten sind nun Gott sei dank vorbei; die wollen wir auch nicht wiederhaben. Aber es ist schon gut, dass ich Gelegenheit habe, darauf zu reagieren. Es ist wichtig, festzustellen, dass wir jedenfalls an dieser Stelle keinen weitgehenden Dissens haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da gibt es keinen Streit!) Ich darf darauf hinweisen, dass wir im Deutschen Bundestag am 24. Mai 2007 gemeinsam - SPD und CDU/CSU - mit großer Mehrheit einen Antrag mit der Überschrift "Solidarität mit verfolgten Christen und anderen verfolgten religiösen Minderheiten" beschlossen haben. Wir haben noch vor wenigen Wochen in diesem Haus über Anträge, die dieses Thema betreffen, diskutiert. Darüber bin ich sehr froh. Ich teile nicht die Meinung des Kollegen Heinrich, der, als wir über Oppositionsanträge zum Thema "Folter und Todesstrafe" nicht zum ersten, sondern zum zweiten und dritten Mal diskutierten, gesagt hat, dass dies eine Art von Polemik sei und die Arbeit behindere. Ich glaube, das genaue Gegenteil ist der Fall. Gerade die Beispiele, die Sie, Herr Kauder, genannt haben, zeigen, dass es wichtig ist, sich immer und immer wieder mit diesem Thema auseinanderzusetzen, solange es in der Welt zu Verfolgungen aufgrund der religiösen Zugehörigkeit kommt. Ich glaube, das sind ein wichtiger Beitrag und ein wichtiges Signal für die Debatte, die wir hier heute beginnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte einige Punkte ansprechen, über die wir, wie ich glaube, dringend diskutieren müssen. Der Antrag, den Sie gestellt haben, enthält viele Punkte, die eins zu eins dem entsprechen, was wir in der Großen Koalition beschlossen haben, und die in der Gesellschaft konsensfähig sind. Aber unter bestimmten Voraussetzungen springt dieser Antrag an einigen Stellen zu kurz. Deshalb möchte ich zwei Probleme ansprechen, die mir ganz wichtig sind; diese haben nichts mit einer Relativierung von Christenverfolgung zu tun. Wir haben mit großer Aufmerksamkeit die Berichte von Frau Granold und Herrn Kober über ihre Reise nach Orissa verfolgt. Es ist bedrückend und beschämend, dass es nicht gelingt, die Menschen dort zu schützen. Wenn wir über Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Religionsfreiheit reden - das sage ich mit aller Klarheit -, dann darf und kann das jedoch nicht unter dem Aspekt der Quantität geschehen. Ja, es ist so: Die Christen sind in diesen Gesellschaften, um die es geht, wahrscheinlich die religiöse Minderheit, die am meisten verfolgt wird. Aber - darauf möchte ich ganz massiv hinweisen - wenn wir uns in unserer Politik auf diese Gruppe konzentrieren und andere am Rande lassen, sie allenfalls marginal erwähnen, dann ist das kein Beitrag zur Glaubwürdigkeit deutscher Menschenrechtspolitik. Sie haben zwei andere betroffene Gruppen am Rande angesprochen: die Bahai und verfolgte Muslime in bestimmten Regionen dieser Welt. Da würde ich mir ein bisschen mehr Deutlichkeit wünschen. Wenn wir wissen, dass in diesen Zeiten fünf Führer der Bahai-Religion - sie hat nicht viele Anhänger und gehört zu den am meisten gefährdeten Religionen der Welt - aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit im Iran von der Todesstrafe bedroht sind, dass es dort Verfahren gibt, dass aber in diesen Anträgen dazu nichts steht, dann können wir diesen nicht zustimmen; denn das gehört in das Zentrum unserer Auseinandersetzung. Darüber müssen wir bei diesem Thema reden. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht nicht darum, einen Katalog von Qualitäten und Quantitäten von verfolgten Minderheiten in der Welt aufzustellen. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder ein Thema angesprochen. Es gibt eine große verfolgte Minderheit in China: die Buddhisten in Tibet. Sie sind ständig in der Gefahr, von diesem Regime verfolgt zu werden, nicht nur aufgrund der Diskussionen über die Eigenständigkeit Tibets, sondern auch aufgrund ihrer kulturellen und religiösen Zugehörigkeit. Auch dieses Thema gehört in die Anträge. Darüber müssen wir reden. Wenn wir das nicht tun, dann ist dieser Antrag an dieser Stelle unvollständig. Wir können ihm in dieser Form nicht zustimmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist, ist der weltweite Schutz der Religionsfreiheit. "Weltweit" umfasst - das findet man leider nicht in Ihrem Antrag - natürlich auch unseren eigenen Kontinent. An der einen oder anderen Stelle muss man darüber nachdenken, wie der Zustand der Religionsfreiheit in Europa ist. Dies muss man unter einem anderen Aspekt sehen; ich will das gar nicht gleichstellen. In Europa gibt es in der Auseinandersetzung um Religionsfreiheit keine Verfolgung und Gefahr für Leib und Leben mehr. Aber wir haben natürlich auch Diskussionen, und die Religionsfreiheit ist vielfältig. Ich wünsche mir, dass wir über Fragen wie die des Baus von Minaretten ganz offene Diskussionen führen. Dies betrifft auch die Frage: Wie ist es eigentlich um die Religionsfreiheit bestellt, wenn wir - zu Recht - die Islamische Charta und die Beschlüsse des Menschenrechtsrates in Genf zur Islamophobie kritisieren und es in Deutschland noch immer einen § 166 des Strafgesetzbuches gibt? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, das ist Äpfel mit Birnen vergleichen!) Das sind Punkte, die wir nicht ignorieren dürfen. Wir müssen über diese Themen reden. Ich denke, es wird uns in diesem Hohen Hause guttun, da ein Stück Selbstkritik zu üben. (Beifall des Abg. Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]) Ich möchte mit einem Glückwunsch an einen Kollegen schließen, der nicht im Deutschen Bundestag sitzt, aber vielen von uns aufgrund seiner Arbeit im Deutschen Institut für Menschenrechte bekannt ist: Heiner Bielefeldt. Ich glaube, es ist ein gutes Signal, dass jemand wie Heiner Bielefeldt als Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Fragen der Religionsfreiheit benannt worden ist. Ich finde, wir sollten uns darum kümmern, dass er hier im Deutschen Bundestag - wir haben eine Anhörung im Menschenrechtsausschuss, zu der wir ihn eingeladen haben - zu diesen Fragen Stellung nimmt. Wir müssen über diese Anträge diskutieren. Wir werden uns auch positiv in diese Diskussion einmischen. Ich hoffe, dass wir an dieser Stelle gute Beratungen hinbekommen und dass der Deutsche Bundestag bei der Geltung der Menschenrechte und insbesondere der Religionsfreiheit in der ganzen Welt - in Deutschland, Europa und darüber hinaus - klare Signale setzt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung erhält nun das Wort der Herr Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Eine aktive Menschenrechtspolitik ist Markenzeichen deutscher Außenpolitik. Der Einsatz für Religionsfreiheit ist Teil unserer aktiven Menschenrechtspolitik. Ich habe um das Wort gebeten, weil ich nachdrücklich unterstreichen möchte, dass das Engagement der Antragsteller und, wie ich denke, des gesamten Hohen Hauses für Religionsfreiheit, für Pluralität und gegen Verfolgung und Unterdrückung aus religiösen Gründen nicht nur das Anliegen des Parlamentes ist, sondern ausdrücklich auch ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wenn Millionen Christen in der Welt ihren Glauben nicht frei leben können, dann wollen wir nicht schweigen. Es ist richtig, dass dies ein Anliegen ist, das uns über die Parteigrenzen hinweg verbindet. In vielen Ländern darf die Bibel weder gekauft noch gelesen werden; Gottesdienste werden behindert; Christen werden ins Gefängnis geworfen oder kommen ins Arbeitslager. Auch vor Angriffen auf Leib und Leben sind sie nicht gefeit. Viele Staaten unterdrücken die freie Religionsausübung mit Verboten, Polizei und Strafen. Andererseits lassen sie ihre Bürger oft genug frei gewähren, wenn sie Jagd auf Andersgläubige machen. Beides sind Formen der Unterdrückung von Religionsausübung: die staatliche Pression und Verfolgung, aber auch das Zulassen von Verfolgung durch Mob und durch Kräfte, die die Toleranz nicht akzeptieren wollen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen zur Kenntnis nehmen - hier müssen wir uns auf Schätzungen verlassen -, dass Nichtregierungsorganisationen weltweit von mindestens 100 Millionen verfolgten Christen ausgehen. Uns geht es aber nicht nur um ein Engagement für den christlichen Glauben, die christlichen Religionen. Vielmehr geht es hier um eine grundsätzliche Frage. Wir sind der Überzeugung: Jeder Mensch muss den Glauben leben dürfen, den er für sich als wahr erkannt hat. Religionsfreiheit ist immer auch die Freiheit, seine Religion ungehindert auszuüben oder zu wechseln. Auch gar keiner Religion anzugehören, ist ein Ausdruck von Religionsfreiheit. Das ist das plurale Verständnis von Religionsfreiheit, das uns nicht nur über das Grundgesetz, sondern auch in unserer täglichen Politik hier verbindet. (Beifall im ganzen Hause) Religionsfreiheit muss also für Angehörige christlicher Minderheiten wie für Anhänger anderer Religionen gelten. Wenn wir die Freiheit für Christen auf der ganzen Welt glaubhaft einfordern, dann heißt das natürlich auch, dass der Staat in Deutschland zuerst die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse bei uns zu Hause schützt. Ich unterstreiche nachdrücklich, was der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Volker Kauder, hier dazu gesagt hat: Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit - nicht nur weil wir von Verfassungs wegen dazu verpflichtet sind, sondern weil wir es in uns selbst fühlen und es anstreben -, dass wir, so wie wir in anderen Ländern auf Religionsfreiheit setzen, immer und immer wieder alles dafür tun werden - mit der gesamten staatlichen Gewalt und dem gesamten zivilen Engagement, das es bei uns gibt -, dass auch bei uns in vollem Umfang Religionsfreiheit gewährt wird. Das ist mehr als nur eine Frage von Gebäuden. In Wahrheit ist es auch eine Frage des gesellschaftlichen Klimas. Auch darum wollen wir uns gemeinsam bemühen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wenn sich Christen nur um die Freiheit von Christen kümmern, Hindus nur um die Freiheit von Hindus, Muslime nur um die Freiheit von Muslimen, dann ist das nicht das Miteinander von Religionen, das wir meinen. Das Zusammenleben unterschiedlicher Religionen gelingt nur mit Respekt und Dialog. Wir wollen uns dabei nicht selber etwas vormachen. Es hat auch bei uns Jahrhunderte gedauert - ich rede nicht vom Mittelalter -, bis sich in Europa ein Wertekanon entwickelt hat, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht, einschließlich der freien Ausübung der Religion. Wir sollten uns als Deutsche auch daran erinnern, dass Religionsausübung in Deutschland noch im letzten Jahrhundert alles andere als selbstverständlich war. Millionenfacher Mord, auch auf religiöser Zugehörigkeit begründet, hat auf deutschem Boden stattgefunden. Deswegen ist es nicht belehrend, gegenüber anderen Ländern auf Religionsfreiheit zu drängen; es ist vielmehr die Lehre aus unserer eigenen Geschichte, dass wir uns für religiöse Pluralität überall in der Welt einsetzen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Würde des Menschen, die Freiheit, die Eigenverantwortung, das ist unser Fundament; das ist auch ein Erfolg der europäischen Aufklärung. Für dieses Staatsverständnis stehen wir, und für dieses Staatsverständnis setzen wir uns weltweit ein. Wir müssen aber allen Versuchen entgegentreten, die Achtung der Menschenrechte unter den Vorbehalt kultureller Eigenheiten zu stellen. Sehr oft hört man: Dieses oder jenes müsse man verstehen; denn es sei gewissermaßen das Ergebnis kultureller Herkunft und kultureller Eigenheit. Das ist eine Form der Relativierung von Werten, die wir nicht akzeptieren können. Religionsunterdrückung ist nicht Ausdruck von Kultur, es ist Ausdruck von Unkultur. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das vertreten wir auch in unserer Politik, und dafür engagieren wir uns auch gemeinsam. Oft genug wird aus Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit ein Gegensatz konstruiert. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, immer und immer wieder darauf aufmerksam zu machen: Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit sind gewissermaßen zwei Früchte vom selben Baum, nämlich vom großen, wunderschönen Baum der Freiheit. Darum geht es. Auch wenn man als jemand, der religiös denkt, lebt, erzogen worden ist, das Gefühl hat, dass der eigene Glaube, vielleicht durch Karikaturen oder Meinungsäußerungen, beeinträchtigt wird, gibt es dennoch keine Rechtfertigung, gegen irgendjemanden gewalttätig zu werden. Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit sind keine Gegensätze. Sie sind in Wahrheit ein wunderbares Paar, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich möchte für die Bundesregierung mit einem klaren Bekenntnis schließen. Wer Hass zwischen den Religionen schürt, verfolgt vor allem politische Ziele, keine religiösen. Religion darf nie Vorwand für Hass, nie Entschuldigung für Gewalt und Krieg sein. Deswegen wird sich die Bundesregierung im, wie ich denke, Namen des ganzen Hohen Hauses auch international dafür einsetzen, indem ein Kernbestandteil unserer Menschenrechtspolitik das Bekenntnis zur Religionsfreiheit ist. Ich selbst habe beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf ziemlich am Anfang meiner Amtszeit die Religionsfreiheit, ausdrücklich auch die Freiheit der Christen im Hinblick auf ihre Religion und ihr religiöses Bekenntnis, in den Mittelpunkt meiner Ausführungen gestellt, weil ich den Eindruck habe, dass wir nicht zulassen dürfen, dass dies ignoriert wird. Mit Professor Bielefeldt ist vor wenigen Wochen ein Deutscher zum UNO-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit ernannt worden. Wir wünschen ihm für seine Arbeit eine glückliche Hand und viel Erfolg. Sein Anliegen ist das Anliegen der Bundesregierung, und ich bin sicher, es ist das Anliegen des ganzen Hohen Hauses. Wenn die Öffentlichkeit sieht, dass wir bei diesen fundamentalen Wertefragen übereinstimmen, dann, so denke ich, ist das ein gutes Zeichen. Man kann das - wenn Sie mir erlauben, dies als Abgeordneter am Schluss meiner Rede zu sagen - auch durch gemeinsame Beschlussfassungen dokumentieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Raju Sharma für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Raju Sharma (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In ihrem Antrag fordern die Koalitionsfraktionen, Religionsfreiheit weltweit zu schützen. Wir als Linke können das nur unterstützen. Denn natürlich schätzen und achten wir die Freiheit jedes Menschen, seinen Glauben frei von Unterdrückung und Verfolgung zu leben, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) genauso wie wir die Freiheit grundsätzlich achten; denn tatsächlich ist die Linke die Partei der Freiheit. (Beifall bei der LINKEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Christoph Strässer [SPD]: Oh ja! Vor allem die Partei der Wahlfreiheit!) - Hören Sie ruhig zu! Das mag einige von Ihnen überraschen, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Freuen Sie sich darüber!) weil wir die Rechtsnachfolgerin der SED sind, die bekanntermaßen die Freiheit nicht geschätzt und geachtet hat, anders als wir Linke heute. Wir stehen zu dieser Vergangenheit, wir stellen uns ihr, und wir haben aus ihr gelernt. (Beifall bei der LINKEN) Heute ist die Linke diejenige unter allen demokratischen Parteien, die im innerparteilichen Diskurs die Meinungsvielfalt nicht nur toleriert, sondern als Reichtum begreift und deshalb unterstützt und fördert. (Beifall bei der LINKEN - Dagmar Ziegler [SPD]: Das haben wir letzte Woche gesehen! - Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist Sahra Wagenknecht?) - Warten Sie es ab, Herr Kauder. - Auch in unserer Programmdebatte wird der Begriff der Freiheit einen wichtigen Platz einnehmen; denn anders als die FDP haben wir die Freiheit nicht als Statue, sondern als Statut. (Lachen bei Abgeordneten der FDP) Auch das hat in der Linken Tradition: Freiheit und Gleichheit begreifen wir nicht als Gegensatz, sondern als sich ergänzende und sich bedingende Elemente der Demokratie, ohne dass eines von beiden größer geschrieben würde. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb nimmt es auch nicht wunder, dass das bekannteste Zitat zur Freiheit von einer Sozialistin stammt. Das gilt ganz besonders für den Bereich, der den Menschen tief berührt und sein Selbstverständnis betrifft; somit ist auch ganz klar: Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersgläubigen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christoph Strässer [SPD]) Wir verurteilen es natürlich, wenn in vielen Ländern dieser Welt Religionsfreiheit noch keine Selbstverständlichkeit ist. Ein Beispiel ist Tibet, das im Antrag von CDU/CSU und FDP leider gar nicht erwähnt wird. Völlig zu Recht hat der Dalai Lama den Friedensnobelpreis erhalten. In seinen Bemühungen um die Tibeter verdient er aus meiner Sicht unsere volle Unterstützung, (Beifall bei der LINKEN) genauso wie alle anderen Menschen, die sich weltweit für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit starkmachen und dafür eintreten, dass sich Rechtslage und Rechtspraxis in ihrem Land so entwickeln, dass das öffentliche Bekennen der eigenen Religion gewährleistet ist. Der Antrag der Koalitionsfraktionen findet insofern ebenso grundsätzlich meine Zustimmung wie der von den Grünen. Allerdings bin ich der Meinung, dass sich CDU/CSU und FDP um etwas mehr Ausgewogenheit hätten bemühen können. Ihr Antrag konzentriert sich vorwiegend - das ist schon gesagt worden - auf die christlichen Minderheiten, was das im Antrag enthaltene Islam-Bashing noch verstärkt und die verschiedenen Religionen unnötig gegeneinander in Stellung bringt. Zudem erweist sich die Haltung der Koalition nicht wirklich als konsequent; denn wer die UN-Resolution gegen die Diffamierung von Religionen - sicher richtigerweise - ablehnt und darin einen Beweis für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit im Islam sieht, der sollte auch einen Blick in das deutsche Strafgesetzbuch werfen - auch das ist schon gesagt worden -: Zumindest in der praktischen Handhabung ist das in § 166 des Strafgesetzbuches enthaltene Verbot einer Beschimpfung von Religionsgesellschaften nicht allzu weit von der gescholtenen Resolution entfernt. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!) Ich meine, wir sollten alle Religionen mit demselben Respekt behandeln. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Außerdem stünde es der Regierung nicht schlecht an, ein Urbi et Orbi auch für sich zu beherzigen. In Sachen Religionsfreiheit lohnt sich nämlich nicht nur der Blick in die Welt, sondern auch ins eigene Land. Eine staatliche Unterdrückung oder Verfolgung einzelner Religionsgemeinschaften ist hier zwar nicht zu beklagen, aber bedingungslose Religionsfreiheit ohne jede Einschränkung findet man auch bei uns nicht, jedenfalls dann nicht, wenn man auch die konsequente Gleichbehandlung aller Glaubensgemeinschaften darunter versteht. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir arbeiten daran!) Wenn nämlich ein Muslim zu häufig sein Gotteshaus besucht, dann kann es schon passieren, dass er als potenziell Verdächtiger in der Antiterrordatei landet. (Frank Schäffler [FDP]: Quatsch! - Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Ach was!) Ein eifriger Kirchgänger muss das nicht befürchten. Wenn deutsche Behörden Fluggastdaten an die USA übermitteln, die nicht nur Angaben über die Mitgliedschaft in Gewerkschaften enthalten, sondern auch solche über Essgewohnheiten oder die Religionszugehörigkeit, dann geschieht das bekanntermaßen nicht, um den Bordservice für die Passagiere zu optimieren. (Beifall bei der LINKEN) Auch in manch anderer Hinsicht findet staatliche Ungleichbehandlung statt. Noch immer werden die evangelische und die katholische Kirche gegenüber anderen Religionsgemeinschaften bevorzugt. Eine konsequente Trennung von Staat und Religion ist in Deutschland noch längst nicht Wirklichkeit. Ich sage nur: Staatsleistungen, Kirchensteuer, Religionsunterricht. Hier könnten wir von unseren Nachbarn lernen: In Frankreich ist der Laizismus als Grundsatz in der Verfassung festgeschrieben - wir haben Gott in der Präambel des Grundgesetzes. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das ist auch gut so!) Immerhin bekennt sich die Koalition in ihrem Antrag auch zur Freiheit der Nichtgläubigen, die anerkannt und geschützt werden soll. Es besteht also ein breiter Konsens darüber, dass die Zeit des Missionierens endgültig vorbei ist. Wenn Menschen zum Glauben finden, dann sollten sie das in Freiheit tun: hier und im Rest der Welt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Zeit des Missionierens ist nicht vorbei!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Volker Beck, Bünd-nis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, ich will Ihr Angebot ausdrücklich aufgreifen, in den Ausschussberatungen zu gemeinsamen Beschlussfassungen zu kommen, weil ich denke, das Thema der Religions- und Glaubensfreiheit ist so wichtig, dass der Deutsche Bundestag das über die Grenzen von Koalition und Opposition hinweg tun sollte, weil er so seine Position stärker zum Ausdruck bringen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Herr Sharma, Sie haben hier das Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland kritisiert. Das Entscheidende ist, dass wir alle Glaubensgemeinschaften und weltanschaulichen Haltungen gleich behandeln. Es gibt unterschiedliche Rechtstraditionen: Frankreich und die Türkei haben einen eher laizistischen Ansatz, und in der Türkei existiert außerdem die Besonderheit der Privilegierung des sunnitischen Islam. In Deutschland besteht die "hinkende" Trennung von Staat und Kirche. Das Entscheidende, das wir hier in Deutschland tun müssen, ist, dass wir alle Religionen gleich behandeln. Das heißt aber nicht zwingend, dass wir die Grundsätze unseres Religionsverfassungsrechtes deshalb aufgeben müssten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, ich nehme wohl wahr, dass diese Debatte heute hier anders verläuft als in der Vergangenheit. Trotzdem erfolgte in Ihrem Beitrag, Herr Kauder, und auch in Ihrem Antrag eine zu einseitige Zentrierung auf die Verfolgung der Christen. Ich denke, wir erweisen den Christen, die in anderen Ländern verfolgt werden, einen Bärendienst, wenn wir nicht um das Recht der Religionsfreiheit streiten, sondern uns einseitig auf "unsere" Leute fokussieren, die woanders verfolgt werden. Das ist die falsche Perspektive. Es muss um das Prinzip der individuellen, der kollektiven und auch der negativen Glaubensfreiheit gehen. Wenn wir um das Prinzip streiten, dann können wir weltweit auch viel für die verfolgten Christen tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nicht nur Christen aus Orissa haben auf der Tribühne Platz genommen, sondern auch ein Vertreter des Nationalen Geistigen Rats der Bahai, einer kleinen Weltreligion mit 300 000 Gläubigen im Iran. Was wird aber dadurch ausgesagt, dass zahlenmäßig weniger Bahai als Christen verfolgt werden, weil es nun einmal weniger Bahai als Christen gibt? Gerade für diese religiöse Minderheit ist die Situation im Iran dramatisch, weil die iranischen Muslime nicht akzeptieren, dass es nach Mohammed einen neuen Offenbarer gab, der für sich in Anspruch genommen hat, eine neue Religion zu begründen. Das ist aber kein Argument, mit dem man Glaubensfreiheit ausschalten kann, sondern wir müssen die Verfolgung der Bahai im Iran massiv kritisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Seit 2004 wurden 313 Bahai festgenommen. Am 22. Juni 2010, also vor wenigen Wochen, wurden 50 Häuser von Bahai im Iran zerstört. Der Prozess gegen die zwei Frauen und fünf Männer des Nationalen Geistigen Rats der Bahai läuft. Sie sitzen ein, und zwar nur dafür, dass sie einer Religionsgemeinschaft angehören, die dem iranischen Regime nicht passt, weil sie nach ihrer Ansicht mit dem Islam nicht konform zu bringen ist. Vieles aus der Liste der Diskriminierungen und der Verfolgung der Bahai im Iran erinnert daran, wie in den ersten Jahren des Dritten Reiches gegen die Juden vorgegangen wurde. Kein bürgerliches Recht auf Erbe, auf Besitz, auf Schulbesuch, auf Freiheit und auf den Schutz von Leib und Leben ist für die Bahai im Iran garantiert. Deshalb sollten wir hier keinen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Verfolgtengruppen in diesem Bereich anfangen, sondern massiv da einschreiten, wo eine Gruppe von Menschen oder Einzelne verfolgt werden, weil sie einen anderen Glauben haben als die Mehrheit oder das Regime eines Landes. Darum geht es, wenn wir über die Religionsfreiheit streiten, und es geht auch darum, dass wir das, was wir von anderen Ländern verlangen, auch im eigenen Land konsequent umsetzen, obwohl es bei uns natürlich keine religiöse Verfolgung gibt. Deshalb verlangen wir in unserem Antrag, auch darüber zu reden, ob der § 166 Strafgesetzbuch zur Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen mit der von uns hier gemeinsam geübten Kritik an der Resolution des UN-Menschenrechtsrats gegen die Diffamierung von Religionen noch zusammenpasst, also ob wir uns hier nicht auch an die eigene Nase fassen müssen. Gleichstellung der Religionen und diskriminierungsfreie Garantie der Glaubensfreiheit - Herr Bielefeldt hat in einer Schrift der Kommission Justitia et Pax ausgeführt, dass es darum geht, für das Recht der Religionsfreiheit universell und diskriminierungsfrei einzutreten - bringt für uns als Bundestag gemeinsam mit den Ländern die große Aufgabe mit sich, endlich die Weltreligion des Islam in Form von anerkannten islamischen Religionsgemeinschaften innerhalb des deutschen Religionsverfassungsrechtes gleichzustellen. So können wir diesen die Rechte geben, die unser Religionsverfassungsrecht beim Religionsunterricht und bei der Ausbildung von Geistlichen gewährt, und diese Religionsgemeinschaft auch mit Blick auf andere rechtliche Konsequenzen, die sich aus der Anerkennung ergeben, gleichstellen. Denn nach dem Christentum ist der Islam in Deutschland die zweitgrößte religiöse Gruppe. Es kann nicht sein, dass eine so große Zahl von Menschen bei der Inanspruchnahme ihrer Grund- und Menschenrechte letztendlich nicht gleichgestellt ist. Ich hoffe, dass es bei den Beratungen dazu kommt, dass unser Antrag und der Antrag der Koalition zu einem gemeinsamen Beschluss zusammengeführt werden. Denn ich glaube, nur dann, wenn der Bundestag bei dem Thema Menschenrechte mit einer Stimme spricht, wird seine Stimme auch weltweit wirklich gehört werden. Ich meine, die Glaubensfreiheit ist es wert, dass wir uns dieser Mühe unterziehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält Johannes Singhammer das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Johannes Singhammer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir in Deutschland wissen vom Wert der Freiheit des Glaubens. Ohne Religionsfreiheit gibt es keinen dauerhaften inneren Frieden. Im kollektiven Gedächtnis vieler Menschen bei uns, aber auch in Europa, sind die Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges, dieses schrecklichen Krieges, fest eingebrannt. Drei Jahrzehnte Krieg, Morde und Verwüstung haben - neben dynastischen und hegemonialen Gründen - vor allem auch die Auseinandersetzung um Religionsfreiheit zum Kern gehabt. Während dieses bitteren Dreißigjährigen Krieges erkannte man, dass kein Fürst, kein Staat, keine Obrigkeit, kein Mob dem einzelnen Menschen sein persönliches Verhältnis zu Gott vorschreiben kann. Als eine geschichtliche Erfahrung stellt unser Grundgesetz in Art. 4 Abs. 1 und 2 unmissverständlich fest: Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Das gilt für alle. Das gilt auch für Menschen, die nach Deutschland zugewandert sind und nicht einem der christlichen Bekenntnisse angehören. Deshalb ist der Bau von Gebetshäusern und Moscheen durch unsere Verfassung garantiert. Wir sagen allerdings auch denjenigen Staaten, die sich für in Deutschland lebende Landsleute einsetzen, damit diese ihre Religion zu Recht ungestört ausüben können, dass sie dabei die christlichen Minderheiten im eigenen Land nicht aus dem Blick verlieren sollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dabei genügt nicht die formale Gleichstellung auf dem Papier, sondern sie muss in der wirklichen Praxis erfolgen. Vor wenigen Tagen habe ich gemeinsam mit einem Kollegen und mit führenden Repräsentanten der katholischen und der evangelischen Kirche und der Evangelischen Allianz Christen in der Türkei besucht. Was man gesehen hat, muss man auch ansprechen. Unser Eindruck war: Viele christliche Minderheiten spüren einen Mangel an Religionsfreiheit und Toleranz, weshalb gerade viele jüngere Christen für sich keine Perspektive mehr sehen und das Land verlassen. Den christlichen Kirchen droht dort die Gefahr der Marginalisierung. Es leben zum Teil nur noch ein paar Familien in Dörfern, die früher mehrheitlich von Christen bewohnt waren. Kirchen und Klöster in Anatolien sind aber nicht nur uralte, ehrwürdige Bauwerke, die es aus touristischen Gründen zu erhalten gilt, sondern es muss Kirchen und Klöstern auch gestattet sein, christliches Leben zu entfalten. Deshalb erfüllt es mich mit Sorge, wenn beispielsweise jetzt in Deutschland mehr Mitglieder der syrisch-orthodoxen Kirche leben als in ihrer angestammten Heimat, der Provinz Mardin. Die seit 1971 unterbundene Priesterausbildung muss, gerade für die orthodoxe Kirche, wieder möglich sein, und die theologische Ausbildung, die eigenverantwortlich zu organisieren ist, ist notwendig, um eine schleichende Austrocknung des kirchlichen Lebens zu verhindern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Religionsfreiheit wird nicht durch klare und eindeutige Rechtssätze gewährleistet. Darin sind wir uns einig. Religionsfreiheit wird vor allem auch durch den tagtäglichen Umgang von Verwaltung, Administration und Gerichten mit christlichen Minderheiten oder auch anderen religiösen Minderheiten gewährleistet oder auch verhindert. Festzustellen ist aber auch: Religionsfreiheit heißt nicht Wertneutralität. Wir in Deutschland haben in einem langen und schmerzhaften Prozess über Jahrhunderte hinweg eine religiöse bzw. weltanschauliche Neutralität des Staates verwirklicht, die aber keineswegs eine vollständige Wertneutralität der staatlichen Ordnung bedeutet. Die Zwei-Schwerter-Lehre und der Investiturstreit im Mittelalter haben letztlich zu Art. 140 unseres Grundgesetzes geführt, in dem unter anderem geregelt ist: Es besteht keine Staatskirche. Bei den Gründervätern der Bundesrepublik Deutschland herrschte die Überzeugung vor, dass erst der Abfall von Gott den Weg freigemacht hatte für das schrankenlose Machtsystem tiefster menschlicher Erniedrigung des Nationalsozialismus. Auf dieser Grundlage unserer Verfassung haben wir die Religionsfreiheit definiert und garantiert. Wir wollen diese Erfahrungen nicht besserwisserisch anderen aufdrängen, aber es ist uns von der Union wie auch, glaube ich, allen Mitgliedern dieses Hauses wichtig, dass die Religionsfreiheit als Menschenrecht über nationale Grenzen hinweg verwirklicht wird. Deshalb werden wir darauf achten, dass die Freiheit des Gewissens und Glaubens bei unseren Partnern und den Mitgliedern der internationalen Völkergemeinschaft gewährleistet wird, und wir werden diese auch einfordern. Ein wichtiger Schutzschirm für verfolgte und bedrohte Minderheiten, insbesondere Christen, ist die Herstellung der Öffentlichkeit bei uns und weltweit. Deshalb hilft diese Debatte hier und heute vielen verfolgten Menschen in unterschiedlichsten Ländern vor allem dann, wenn wir uns mit einer einigen und gemeinsamen Botschaft an die Weltöffentlichkeit wenden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Angelika Graf für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine ganze Reihe Kollegen, darunter der Herr Außenminister und auch Sie, Herr Singhammer, hat auf die Geschichte der Religionsfreiheit hingewiesen. Ich möchte noch ein Puzzlestück hinzufügen. Der Augsburger Religionsfriede vom September 1555, in dem der Grundsatz "cuius regio, eius religio" festgelegt wurde, gilt als weltpolitisches Ereignis und läutete nach den Reformationskriegen quasi die offiziell festgeschriebene Koexistenz beider christlichen Konfessionen und damit die Neuzeit in den Kirchen ein. Den Dreißigjährigen Krieg hat er allerdings nicht verhindern können. Religionsfreiheit im heutigen Sinne war das damals nur ansatzweise, ging es doch bei dieser Regelung darum, dass die Untertanen der Herrscher der jeweiligen Fürsten- und Königshäuser der Konfession ihres Landesfürsten folgen mussten, was bedeutete, dass sie bei einem Wechsel des Herrscherhauses auch immer ihre Konfession wechseln mussten. Tatsächliche Religionsfreiheit ist ganz eindeutig ein Zeichen der Moderne, auch weil sie in der heutigen Zeit individuelle Freiheit ausdrückt. Der von mir sehr geschätzte und schon mehrfach angesprochene UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfragen, Heiner Bielefeldt, sagte neulich in einem Interview - ich zitiere -: Die Religionsfreiheit ist ein individuelles Freiheitsrecht, wie die Meinungsfreiheit auch. Es geht um die Freiheit, sich zu einem Glauben zu bekennen oder auch nicht. Das heißt, man darf nicht dazu gezwungen werden, seinen Glauben zu verbergen, aber auch nicht, ihn zu offenbaren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Möglichkeit, im Deutschen Bundestag zum Beispiel bei der Eidesformel den letzten Satz wegzulassen. Religionsfreiheit bedeutet auch die Freiheit, den Glauben ohne Druck und Zwang, aber auch ohne Konsequenz für Leib und Leben oder die berufliche Existenz zu wechseln oder zu behalten. Dies ist in einer Vielzahl von Ländern - das ist schon mehrfach angesprochen worden - nicht möglich. Beispiele dafür sind der Iran oder Saudi-Arabien. Dort steht auf Apostasie, also den Abfall vom Islam, die Todesstrafe, ebenso wie in Pakistan auf die Beleidigung des Propheten Mohammed. Dort wie in vielen anderen Ländern darf nicht für einen Religionswechsel, zum Beispiel hin zum Christentum, geworben werden. Volker Beck hat schon sehr eindrucksvoll die Lage der Bahai im Iran geschildert. Christen und Angehörige anderer Religionen, zum Beispiel die Jesiden, die Juden, die Hindus, erleben in vielen Ländern und Regionen Verfolgung. Nicht zu vergessen - Herr Singhammer hat das angesprochen - ist die Situation der syrisch-orthodoxen Christen in Mor Gabriel im Südosten der Türkei. Ich selbst war in diesem Kloster und konnte mich von der schlimmen Lebenssituation der Menschen dort überzeugen. Die Menschenrechtspolitiker dieses Hauses haben über alle Fraktionsgrenzen hinweg schon in der Vergangenheit bei Besuchen in den jeweiligen Ländern gegenüber den politisch Verantwortlichen immer deutlich gemacht, dass die Religionsfreiheit und damit auch der Wechsel der Religion zu den Grundfreiheiten des Menschen gehört, wobei ich allerdings nicht verschweigen möchte, dass manche Gruppierung absolut inakzeptable Werbemaßnahmen einsetzt. So bietet zum Beispiel eine koreanische Organisation Opfern von Unwetter und Überschwemmung - das habe ich in Kambodscha selbst erlebt - nur dann ein festes Dach über dem Kopf oder Bildung für die Kinder an, wenn der Übertritt zum christlichen Glauben erfolgt. Ich denke, das tut der Sache des Christentums keinen guten Dienst. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Religionswechsel geschehen bei uns aus sehr unterschiedlichen Beweggründen. Viele Menschen haben aufgrund bestimmter Lebensumstände aus eigenem Willen in einem anderen Glauben oder in einer anderen Konfession eine neue Heimat gefunden. Aber wir sollten auch nicht vergessen: Es ist noch nicht so lange her, dass Menschen in Deutschland wegen einer sogenannten Mischehe, also der Ehe zwischen einem evangelischen und einem katholischen Christen, aus der Kirche ausgeschlossen wurden. Erst die Ökumene hat hier einen guten Weg geebnet. Religionsfreiheit ist ausgesprochen modern und zeitgemäß. Ich frage mich oft: Gilt das auch für das Gottesbild, welches Christen wie Muslime haben? Welchen Sinn, so wurde vor wenigen Tagen in einem Artikel in der Zeit gefragt, hat es, wenn wir zu Gott flehen, um unserem Fußballverein zum Sieg zu verhelfen? Besteht nicht auch der gegnerische Verein aus Kindern Gottes? Erschreckt hat mich das Minarettverbot in der Schweiz, womit die Errichtung des Wahrzeichens einer anderen Religion in einer mitteleuropäischen Stadt unmöglich gemacht werden sollte. Ich danke Ihnen, Herr Kauder, ganz ausdrücklich, dass Sie deutlich gemacht haben, dass das in Deutschland nicht infrage kommt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich begrüße deshalb sehr, dass der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke unmissverständlich klargemacht hat, dass ein Minarett zur Moschee gehört wie der Turm zur Kirche, und dass er davor gewarnt hat, Muslime und andere Andersgläubige, die in unserer Gesellschaft ihren Platz haben, durch diese oder ähnliche Aktionen auszugrenzen; denn wir können nur dann weltweit wirkungsvoll für die Religionsfreiheit kämpfen, wenn wir selbst sie hochhalten. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass wir uns mehr darum kümmern, dass Imame in Deutschland ausgebildet werden. Das würde uns deutlich weiterbringen. (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zurück zu Heiner Bielefeldt. Die Religionsfreiheit dürfe, so sagt er, nicht dazu missbraucht werden, Religionen gegen jede Kritik oder gesellschaftliche Auseinandersetzung zu immunisieren. - Bielefeldt hat recht. Religionen müssen als Teil unserer gesellschaftlichen Prozesse heute mehr denn je miteinander kommunizieren und sich und ihr Auftreten immer wieder neu selbstkritisch unter die Lupe nehmen. Das macht die Vielzahl der Kirchenaustritte rund um die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und den Skandal um Bischof Mixa überdeutlich. Dort hat die Kirche deutliche Versäumnisse gezeigt. Ich weiß, dass die ganz große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime fundamentalistische Gruppierungen ablehnt. Ich sehe aber auch, dass unsere offene Gesellschaft sich verändert, weil sie sich von diesen fundamentalistischen Strömungen bedroht fühlt. Das Minarettverbot in der Schweiz macht deutlich, dass in letzter Konsequenz auf Dauer die Religionsfreiheit gefährdet sein könnte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sorgen mache ich mir auch um die jungen Musliminnen und Muslime, die die Tendenzen in der Mehrheitsgesellschaft natürlich spüren. Wir müssen daran arbeiten, sie vor fundamentalistischen Gegenströmungen zu schützen. Wir müssen ihnen die Werte unserer offenen Gesellschaft besser vermitteln. Deswegen plädiere ich sehr für einen staatlichen Islamunterricht in jedem Bundesland. Wir müssen auf die Länder einwirken, damit so etwas endlich realisiert werden kann; denn dies wäre eine Möglichkeit, die Fragen und Bedürfnisse der jungen Musliminnen und Muslime aufzunehmen, und ein wichtiger Teil des Weges, den junge Menschen in unserem Staat finden müssen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Religionsfreiheit bedeutet den Schutz und die Freiheit aller Glaubensrichtungen - auch in Deutschland. Das werden wir in unserem Antrag, den wir Ihnen in Kürze vorlegen werden, auch deutlich machen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Pascal Kober erhält nun das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Pascal Kober (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sehnsucht nach Freiheit, die Sehnsucht nach Freiheit der innersten Bindungen und der innersten Grundüberzeugungen von äußerem Zwang - wir würden heute sagen: die Sehnsucht nach der Freiheit des Gewissens, die Glaubens- und Religionsfreiheit - ist geradezu der Ausgangsimpuls für die gesellschaftliche Freiheitsbewegung, in deren Folge sich die freiheitlichen Demokratien auf dem Boden unveräußerlicher Grundrechte ausgebildet haben. Es ist kein Widerspruch, dass wiederum der Grundwert der Glaubens- und Gewissensfreiheit in unserer Geistesgeschichte seinen Ausgangspunkt in der jüdisch-christlichen Tradition hat, nach Jahrhunderten der Verdunklung durch theologische Missinterpretation wiederentdeckt und aufgedeckt in der Reformation und säkular-politisch durchdacht, ausformuliert und erkämpft in der Freiheitsbewegung der Aufklärung. Jüdisch-christliche Tradition, Reformation und Aufklärung - wir wären uns selbst nicht treu, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern geradezu selbstvergessen, würden nicht gerade wir als christlich-liberale Koalition für das unveräußerliche Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, auf Religionsfreiheit weltweit entschieden eintreten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was die Religionsfreiheit, für die die christlich-liberale Koalition weltweit im Rahmen ihrer kohärenten und wertegeleiteten Außenpolitik eintritt, aber nicht meint, und was die Toleranz unter den Religionen und Weltanschauungen, die wir einfordern, nicht meint, ist eine relativistische Toleranz oder Religionsfreiheit, die der Frage nach der Gültigkeit von Werten, die, wenn man so will, der Wahrheitsfrage ausweicht. Denn wem alles gleich gültig ist, dem ist auch alles gleichgültig. Das ist das genaue Gegenteil einer wertegebundenen und wertegeleiteten Außenpolitik (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und das genaue Gegenteil der Idee universell gültiger unveräußerlicher Menschenrechte. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin auch christlich! Ich bin auch liberal! Nicht so ausgrenzen!) Das Konzept der Religionsfreiheit, für das wir als christlich-liberale Koalition weltweit eintreten, ist das Konzept einer Toleranz, die nicht alles für richtig hält und auch nicht jedem recht gibt. Wer beispielsweise unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit anderen andere Grundrechte vorenthalten möchte, hat mit unserem entschiedenen Widerspruch zu rechnen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Religionsfreiheit gibt es für uns nur innerhalb des Rahmens der für alle gültigen universellen und unteilbaren Menschenrechte. Was wir mit unserer wertegeleiteten Außenpolitik von allen Religionen und Weltanschauungen einfordern, ist gegenseitige Toleranz, aber keine Toleranz, die dem Dialog um Wertefragen ausweicht, sondern eine Toleranz, die den Dialog um die Wahrheit und Gültigkeit von Werten, die den Dialog um die Weise eines friedlichen Zusammenlebens aller innerhalb der Friedensordnung, die die unveräußerlichen Menschenrechte jedem gewähren, sucht. Deshalb sind die Mittel und Wege, mit denen die christlich-liberale Regierungskoalition weltweit für Menschenrechte eintritt, vor allen Dingen der entschiedene Menschenrechtsdialog auf allen Ebenen, die Menschenrechtsbildung, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aufgrund der Einsicht, dass gesellschaftliche Freiheit und Rechtsstaatlichkeit einerseits und ökonomische Unabhängigkeit andererseits einander positiv bedingen. Als christlich-liberale Koalitionsfraktionen fordern wir mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, in ihren Anstrengungen für Religionsfreiheit und Menschenrechte nicht nachzulassen, und sichern zugleich unsere Unterstützung zu. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette Groth für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Annette Groth (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als linke, ökumenisch geprägte Protestantin begrüße ich die heutige Debatte über die Glaubens- und Gewissensfreiheit als ein elementares Menschenrecht. Religion ist für viele Menschen von zentraler Bedeutung. Deshalb müssen sich Staaten gegenüber Religionen und Weltanschauungen neutral verhalten und eine freie Religionsausübung gewährleisten. Wie einige Vorrednerinnen und Vorredner unterstütze ich ausdrücklich die deutliche Kritik am Minarettverbot in der Schweiz. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aber auch in Deutschland versuchen Bürgerinitiativen häufig, den Bau von Moscheen zu verhindern. So wird die Religionsfreiheit behindert. (Beifall bei der LINKEN) Seit einiger Zeit beobachte ich mit großer Sorge, dass in Deutschland, aber auch in anderen EU-Staaten mit Begriffen wie "islamistisch" eine ganze Religion diskreditiert wird. Eine solche Kategorisierung trägt dazu bei, dass bei der Mehrheitsgesellschaft Ressentiments gegen Muslime geschürt werden. Als Reaktion auf diese Diskriminierung und Stigmatisierung könnten Muslime in die Arme von Extremisten getrieben werden. Deshalb hat sich die US-Regierung kürzlich von Begriffen wie "radikaler Islam" und "islamistischer Terror" ganz verabschiedet. Verehrte Damen und Herren, zu einer fortschrittlichen Menschenrechtspolitik gehört die Analyse der tieferen Ursachen von religiösen Konflikten. Oft zeigt sich, dass Diskriminierungen oder Gewaltakte gegen eine bestimmte Religion der Katalysator für soziale und ökonomische Konflikte sind. Wenn Angehörige einer Religion von der Politik bevorzugt werden, werden bei anderen Religionsgemeinschaften Ressentiments geschürt. Dann wird Religion als Machtinstrument missbraucht. Herr Kauder sowie andere Rednerinnen und Redner haben den Fall Orissa bereits erwähnt. An den Überfällen waren Mitglieder der Lokalregierung und der indischen Volkspartei BJP, deren Mitglieder nationalistische Hindus sind, beteiligt. Ein Grund für diese gewaltigen Ausschreitungen sind die große Armut und der seit Jahren geschürte Hass auf Andersgläubige. Viele der 35 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Orissas leben in großer Armut. Diese sozialen Verhältnisse machen es religiösen Hasspredigern leicht, die Frustration über die sozialen Ungerechtigkeiten auf andere zu lenken. Im Bundesstaat Karnataka hat die regierende BJP kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das den Religionswechsel weg vom Hinduismus verhindern soll. Dieses Gesetz stellt "unredliche Bekehrung" unter Strafe und legt fest, dass jeder Übertritt zum Christentum den Behörden gemeldet werden muss. Mit der toleranten indischen Verfassung ist dieses Gesetz eigentlich nicht vereinbar. Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie solche Diskriminierungen, ganz gleich, ob sie Muslime, Christen oder andere Religionsgemeinschaften betreffen, in ihren Gesprächen mit Indien deutlich verurteilt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Verehrte Damen und Herren, die Regierung in Orissa hat auf die Armut mit einer zerstörerischen Industrialisierung reagiert. Durch die Ansiedlung eines Stahlwerks mit 4 Milliarden Euro Umsatz wurde eine fundamentale Veränderung der betroffenen Region eingeleitet. Das Stahlwerk verbraucht riesige Wassermengen und zerstört die Lebensgrundlage von vielen Bäuerinnen und Bauern. Dadurch wird die Wut vieler Betroffener noch mehr gesteigert. Es gibt in vielen Ländern ähnliche Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Religionen. Ich habe Orissa als Beispiel gewählt, weil hier exemplarisch der Zusammenhang zwischen Armut und religiösem Fanatismus aufgezeigt wird. Wenn durch das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Indien viele Millionen armer Bäuerinnen und Bauern ihre Existenzgrundlage verlieren, weil billige subventionierte Lebensmittel aus der EU den indischen Markt zerstören, befürchte ich, dass die Hassprediger noch mehr Zulauf und Gehör finden könnten als bisher. Deswegen müssen wir auch durch eine gerechte Handelspolitik dazu beitragen, dass Armut sich nicht weiter verschärft. Die Linke fordert von der Bundesregierung eine Menschenrechtspolitik, die sich für alle Verfolgten und Bedrohten, egal welcher Religionsgemeinschaft sie angehören, einsetzt. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Tom Koenigs für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Regierungsfraktionen behandelt vor allem die Verletzung der Religionsfreiheit in fernen Ländern. Das ist aber nicht genug. Wer die Religionsfreiheit beschneidet oder missachtet, der missachtet auch Europa; denn Europa ist ein politisches Projekt der bürgerlichen Freiheiten einschließlich der Religionsfreiheit und gerade der Religionsfreiheit. Diese grundlegenden Freiheitsrechte sind im Grad ihrer Durchsetzung und in der Entwicklung ihres Instrumentariums ein Markenzeichen Europas und nicht nur, Herr Bundesaußenminister, Deutschlands. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn ich mich in Europa umsehe, dann sehe ich aber Debatten, die an diesem Fundament des europäischen Selbstverständnisses rütteln. Die Mehrheit der Schweizer ist gegen Minarette. Italienische und spanische Kommunen stellen die Vollverschleierung der Frau unter Strafe. In Belgien und Frankreich strebt man ein Verbot von Burka und Niqab an. Über ein Verbot der Burka wurde erst vorgestern wieder in der französischen Nationalversammlung beraten. Immer haben diese Debatten eine deutlich fremden- und freiheitsfeindliche, eine natio-nalistische und vor allem antieuropäische Konnotation. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Darauf müssen wir achten; denn das sind Diskussionen, die auch zu uns nach Deutschland kommen werden, und dabei geht es um den Kern unserer Freiheitsrechte, der Freiheitsrechte von Deutschland und von Europa. Den freiheitsfeindlichen und reaktionären Tendenzen müssen wir eine sachliche Erwägung dessen entgegensetzen, was Menschenrechte und Freiheiten sind und wo sie durch Menschenrechte und Freiheiten anderer begrenzt werden. Sie dürfen nur dann begrenzt werden, wenn sie Freiheiten und Menschenrechten anderer entgegenstehen. Europa steht dafür, dass das einzelne, schwache Individuum vor Begehrlichkeiten von starken, überindividuellen Institutionen geschützt wird, auch vor Staaten oder Schulen, selbst vor Religionsgemeinschaften, egal wie hoheitlich, traditionsreich oder hochwürdig sie daherkommen mögen. Wenn wir Abstriche am Schutz dieser Menschenrechte zulassen, dann gefährden wir das politische Projekt Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb sollten wir uns davor hüten, nicht Stellung zu beziehen oder wegzuschauen, wenn wir dergleichen sehen können. Leute wie Sarkozy oder Wilders sagen es nicht so deutlich, aber im Hintergrund der Debatten um Burka und Minarette steht immer noch die Vorstellung von einem christlichen Abendland. Sie sagen in etwa: Europa ist da, wo die Burka nicht ist, und dass manche Religionen mit unseren Werten weniger zusammenpassen als andere. Europa ist aber mehr als das christliche Abendland. Europa ist nicht das Projekt einer Religion, sondern das von vielen Gläubigen und Ungläubigen, Religionen und Religionsgemeinschaften sowie Areligiösen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Noch ist die Religionsfreiheit in Europa besser umgesetzt als in vielen anderen Teilen der Welt - und zwar nicht nur in den Gesetzestexten, sondern auch im gesellschaftlichen Miteinander. Religionsfreiheit weltweit zu schützen heißt aber auch, weltweit und in Europa einen Fundamentalismus zu bekämpfen, der nicht nur unter Muslimen, sondern auch unter Christen, Juden, Orthodoxen und Ungläubigen zurzeit immer stärker wird. Religionsfreiheit und Liberalität sind Identitätszeichen Europas. Für viele in der Welt ist Europa gerade wegen dieser Freiheit so attraktiv. Wenn wir auf Europa stolz sein wollen, dann sollten wir das gerade deswegen sein. Die Idee Europa braucht Religionsfreiheit. Wir sollten sie mit allem Nachdruck vor jeder Relativierung schützen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält jetzt die Kollegin Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Pascal Kober [FDP]) Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn weltweit so viel Religionsfreiheit herrschen würde wie in der Europäischen Union, dann müssten wir uns heute manche Gedanken nicht machen. Das muss ich einmal deutlich feststellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Situation in Deutschland und in Europa, die geprägt ist von Debatten über Detailfragen, wie hier Religionsfreiheit ausgestaltet werden kann, lässt sich überhaupt nicht mit der Situation von vielen religiösen Minderheiten - dazu zählen in vielen Staaten auch die Christen -, die unter Existenzsorgen leiden, vergleichen. Mit Blick auf die Umsetzung der Menschenrechte und des Rechts auf Religionsfreiheit kann man sagen, dass dazwischen wirklich Welten liegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir in Europa und insbesondere in Deutschland sind geprägt - das hat der Kollege Singhammer vorhin zu Recht angesprochen - von den Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges. Durch diese religiöse Auseinandersetzung von Christen gegen Christen wurde die deutsche Bevölkerung um 20 bis 40 Prozent dezimiert. Diese Erfahrung, die uns geprägt hat, hat uns zu der Überzeugung gebracht, dass es Religionsfreiheit geben muss. Aber durch die Jahrhunderte waren Religionskämpfe auch immer machtpolitische Instrumente, und es waren auch neidgesteuerte Elemente dabei. Auch das ist deutlich erkennbar. Angesichts der historischen Entwicklung unseres Landes durch die Jahrhunderte freuen wir uns natürlich, dass Religionsfreiheit inzwischen ein elementares Menschenrecht ist; wir müssen dieses Recht wirklich engagiert vertreten. Dieses Recht wird nicht nur im Grundgesetz garantiert, sondern auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte. Aber seit vielen Jahren müssen wir mit großer Sorge beobachten, dass Religionsfreiheit zwar in vielen Ländern auf dem Papier steht - Papier ist geduldig -, dass aber diese Religionsfreiheit nicht umgesetzt wird. Grundsätzlich wird sie zugesichert, aber zum Beispiel in den muslimischen Ländern wird sie sehr häufig nur unter dem Diktum der Scharia angewandt. In mindestens 64 Ländern der Erde - mindestens -, in denen fast 70 Prozent der Weltbevölkerung leben, ist die Religionsfreiheit sehr stark eingeschränkt oder sie existiert überhaupt nicht. Die kleine Religionsgemeinschaft der Bahai - Herr Beck, Sie brauchen uns nicht zu überzeugen - lebt unter großer Bedrängnis und in existenzieller Not. Wir führen ständig Gespräche mit ihren Vertretern in Deutschland. Natürlich stehen wir auch an der Seite der Bahai, aber das heißt doch nicht, dass wir nur dort den Blick hinwenden dürfen. Wir dürfen nicht verkennen, dass weltweit vor allem Christen die am häufigsten verfolgte und unter Druck stehende religiöse Minderheit sind. Sie sind die größte Religionsgemeinschaft weltweit, aber in den Ländern, in denen sie verfolgt werden, sind sie in einer Minderheitensituation. Keine andere Religionsgemeinschaft wird intensiver verfolgt als die christliche. Ich will nur wenige Beispiele nennen, man könnte eine seitenlange Liste aufführen. In Indonesien wurden in den Jahren 2000 bis 2001 rund 100 000 Christen von den Molukken vertrieben. Im indischen Bundesstaat Orissa wurden zwischen 2007 und 2009 rund 50 000 Christen vertrieben, ermordet oder vergewaltigt. Ich freue mich sehr, dass heute Vertreter der christlichen Minderheit hier sind. Bitte nehmen Sie folgende Botschaft mit zu Ihren Glaubensgeschwistern: Wir stehen an Ihrer Seite. Wir haben Sie nicht vergessen. Wir unterstützen Sie. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Lassen Sie mich weitere Beispiele nennen: Im Irak leiden rund 385 000 Christen unter Verfolgung. Wir müssen feststellen: 80 Prozent aller aus religiösen Gründen verfolgten Menschen sind Christen. Man geht weltweit von mindestens 200 Millionen verfolgten Christen aus. Das größte Ausmaß nimmt die Diskriminierung und Unterdrückung leider in mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern an. Selbst in der Türkei - das halte ich für besonders bedenklich -, die ihren Blick bekanntermaßen in Richtung Europa gelenkt hat, leben Christen nicht ungefährdet. Die Religionsfreiheit steht im Grunde genommen nur auf dem Papier. Der Bau von Kirchen ist nicht möglich, theoretisch wohl, aber in der Praxis lässt es sich fast nicht umsetzen. Christliche Geistliche schweben in Lebensgefahr, etliche sind schon umgebracht worden. Mission, ein Teil der christlichen Religion, ist unmöglich. Predigten dürfen nur an bestimmten Tagen abgehalten werden. Eine Zahl spricht Bände: Vor 60 Jahren betrug der Anteil der Christen in der Türkei 20 Prozent. Derzeit beträgt der Anteil an Christen in der Türkei nur noch 0,15 Prozent. Diese wenigen werden trotz der Beitrittsverhandlungen gezielt unterschwellig unterdrückt. In Ankara hören Sie nur Stimmen der Unterstützung und des Verständnisses, aber vor Ort sieht die Welt völlig anders aus. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Erst kürzlich hat mir ein Pastor aus Izmir, dessen Namen ich nicht nennen will, von seinen Ängsten und von seiner Drangsal berichtet. Diese ungute Entwicklung muss uns alle hier im Hause zutiefst beunruhigen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit brauchen wir ein friedliches Miteinander der Religionen. Herr Kollege Koenigs, Sie haben ausgeführt, dass es eigentlich kein christliches Abendland gibt. Ich sage Ihnen: Wir leben auf dem Fundament eines christlich geprägten Abendlandes, und das lasse ich mir auch nicht ausreden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Dann müssen Sie einmal einige Stellen in der Bibel nachlesen!) Als Christin füge ich auch hinzu: Selbstverständlich stehe ich solidarisch an der Seite anderer Christen. Herr Beck, Sie wissen doch selber, wo Sie solidarisch stehen. Ich als Christin stehe solidarisch an der Seite verfolgter Christen auf dieser Welt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich nicht nur! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist logisch!) - Nein, nicht nur, das habe ich eben deutlich gemacht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gibt es keinen Dissens!) Missverstehen Sie die Dinge doch nicht so, wie Sie es wollen. Ich glaube, es war gut und richtig, dass Deutschland seinerzeit verfolgte christliche Iraker aus Syrien und Jordanien aufgenommen hat. Es ist gut, dass wir uns im Deutschen Bundestag in einer Kernzeitdebatte dafür aussprechen, dass kein Mensch auf diesem Erdball wegen der Ausübung seiner Religion und seiner Religionszugehörigkeit verfolgt wird. Herr Außenminister, ich bedanke mich bei der Bundesregierung dafür, dass Sie bei Ihren Gesprächen mit Ihren Auslandskontakten immer wieder darauf hinweisen, dass die Religionsfreiheit für uns ein hohes Gut ist und dass wir von unseren Gesprächspartnern durchaus erwarten, dass sie das auch ernst nehmen. Ich bedanke mich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Volker Beck das Wort. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Er ist gar nicht angesprochen worden!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will es ganz kurz machen. Das ist keine persönliche Bemerkung, Herr Kauder, sondern eine Kurzintervention. Eigentlich wollte ich eine Zwischenfrage an Frau Steinbach stellen. Von Christ zu Christin: Sehen wir uns nur an der Seite anderer Christen, oder sehen wir uns an der Seite von Verfolgten? Das halte ich für die christliche Haltung. (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Das hat sie doch gesagt!) Können wir uns gemeinsam darauf verständigen, dass wir das Aggiornamento des II. Vatikanums zugrunde legen, obwohl Sie keine Katholikin sind? Wir können Gott, den Vater aller Menschen, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verwehren. Das ist vielleicht eine gute gemeinsame Grundlage. Da geht es nicht um Christen oder Nichtchristen, sondern um Menschen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Kollege Beck, wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Siegmund Ehrmann ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Siegmund Ehrmann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon mehrfach angesprochen worden: Europa und Deutschland sind durch fürchterliche Epochen gegangen. Das, was wir als unteilbare Menschenrechte verstehen, ist auch in unserem Land nicht vom Himmel gefallen. Die Freiheit des Glaubens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind Rechte des Einzelnen. Wir messen ihnen in unserer Verfassung den höchsten Rang zu. Ob Christ, Jude, Muslim, Buddhist, Hindu oder Mitglied einer anderen Glaubensgemeinschaft, alle haben das Recht, ihren Glauben zu leben, zu predigen, nach außen zu tragen. Das zeigt sich zum Beispiel an den Moscheen und Gotteshäusern, im Tragen des Kreuzes oder im Verzehr koscheren Essens. Doch nicht nur Art. 4 des Grundgesetzes schützt die Mitglieder von Glaubens- und Religionsgemeinschaften. Das Grundgesetz gibt uns außerdem auf, dafür Sorge zu tragen, dass keiner aufgrund seines Glaubens benachteiligt wird. Gläubige, die offen zu ihrer Religion stehen, müssen nicht fürchten, deswegen diskriminiert zu werden. Religionsfreiheit schließt allerdings auch ein, sich nicht religiös zu bekennen. Das ist der Verfassungsrahmen in unserem Land. Die Realität zeigt jedoch, dass es auch hier immer wieder zu Konflikten kommt, bei denen die Religionsfreiheit auf dem Prüfstand steht. Ich erinnere an die Debatten über die Ladenschlusszeiten, die Kopftücher oder die Moscheebauten. Die Bedeutung der werteprägenden Kraft von Religion und Glauben für das soziale Miteinander hebt Böckenförde in der oftmals zitierten Aussage hervor: Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Diese Voraussetzungen liegen eben auch in einer Werteorientierung, die von Religion und Glauben geprägt sind. Unser demokratisches Gemeinwesen nimmt Religions- und Glaubensgemeinschaften nicht etwa billigend in Kauf. Sie sind vielmehr eine Voraussetzung für das Zusammenleben. So weit der Blick auf unser Land. Die Topografie der Verfolgung religiöser Minderheiten ist hier an vielen Beispielen aus der Welt konkretisiert worden. Ich möchte zwei Beispiele anfügen: Kürzlich bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass insbesondere in Belarus aufgrund der Sonderstellung der russisch-orthodoxen Kirchen andere Religionsgemeinschaften durch eine repressive Politik und entsprechende Maßnahmen kriminalisiert und in die Defensive getrieben werden. Ein weiteres Beispiel bietet auf dem afrikanischen Kontinent Eritrea. Hier sind lediglich vier Konfessionen erlaubt. Alle anderen Religionen werden automatisch kriminalisiert. Das belegen die Zahlen der Inhaftierungen, welche die Sicherheitsdienste von Gläubigen anderer Religionsgemeinschaften vornehmen. Die Nichteinhaltung der Glaubens- und Religionsfreiheit ist - ich habe es eingangs deutlich gemacht - nicht nur ein außereuropäisches Problem. Das Minarettverbot in der Schweiz ist angesprochen worden. Ich beobachte das auch in unserer Region: Wenn es um den Bau von Moscheen und Minaretten geht, ist das nicht ganz so stressfrei, wie es hier in der Debatte angedeutet wird. (Beifall bei der SPD) Da werden - das ist rechtsstaatlich nicht zu beanstanden - die Instrumente des Bau- und Planungsrechts benutzt. Gleichwohl gibt es tiefe Nachbarschaftskonflikte, hinter denen sich auch andere Motive verbergen. Auch das, denke ich, muss benannt werden, wenn wir uns mit diesen grundlegenden Fragen auseinandersetzen. (Beifall bei der SPD - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die meisten Moscheen stehen im Gewerbegebiet! So sieht es aus!) Noch etwas möchte ich ausdrücklich ansprechen: Natürlich ist die Religionsfreiheit im positiven Sinne ein kostbares Gut. Aber dazu gehört auch die Freiheit, die Religion zu wechseln sowie keiner anzugehören. Es ist damit aber auch die Freiheit verbunden, sich kritisch zu besonderen religiösen Auffassungen zu äußern; denn nicht nur Gläubige werden in manchen Ländern erpresst, belästigt und bedroht. Gleiches gilt für Atheisten und Kritiker. Es gibt Länder, in denen nicht nur Andersgläubige, sondern eben auch Kritiker und Atheisten bedroht sind. Da wird das Spannungsverhältnis zwischen positiver Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit deutlich. Wir werden uns - das sage ich abschließend - in den Ausschüssen mit den Anträgen auseinandersetzen. Meine Fraktion wird sich mit einem eigenen Antrag an dieser Debatte beteiligen. Ich möchte an einen Gedanken erinnern, den Hans Küng in seinen Ausdeutungen des Weltethos formuliert hat: Was sind die Bedingungen für den Frieden? Kurz zusammengefasst stellt er fest: Die Bedingungen für den Frieden setzen einen Dialog der Kulturen voraus. Ein Dialog der Kulturen ist nur möglich, wenn es auch zu einem Dialog der Religionen kommt. Dieser Dialog - wie auch der Dialog der Religionen - setzt den Respekt vor den Überzeugungen der anderen voraus. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dr. Stefan Ruppert erhält das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir an so prominenter Stelle ein so wichtiges Thema wie die Religionsfreiheit, die wir weltweit schützen wollen, behandeln. Ich glaube, der Erfolg deutscher Außenpolitik wird davon abhängen, dass wir dieses Thema sehr ernst nehmen. Die Geschichte von der linearen Säkularisierung in Deutschland und weltweit - dabei geht es um den Bedeutungsverlust der Religionen -, die bisweilen erzählt wird, ist meiner Meinung nach so nicht richtig. Immer noch - als protestantischer Christ sage ich: zum Glück - bewegt Religion viele Menschen. Religion ist in der Lage, Emotionalität und Verhalten entscheidend zu beeinflussen. Deswegen ist die Globalisierung kein rein ökonomischer Prozess, sondern der Erfolg der Globalisierung wird auch davon abhängen, welchen Respekt wir Religionen bzw. religiösen Überzeugungen und dem religiösen Miteinander weltweit zollen. Meine Oma, die ich sehr schätze, sagt häufig - - Vielleicht sieht sie mich an dieser Stelle. (Heiterkeit im ganzen Hause) Ich will sie jetzt nicht grüßen. Aber sie sagt häufig - - Präsident Dr. Norbert Lammert: Aber Sie hätten doch sicher keine Einwände, wenn ich im Namen des Deutschen Bundestages herzliche Grüße übermitteln würde. (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause - Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Auch der Bundesregierung!) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Ich danke dem Präsidenten. - Meine Großmutter - sie ist eine tolerante und weltoffene Frau, deshalb meint sie es eigentlich nicht so, wie sie es sagt - sagt als überzeugte Lutheranerin aus Frankfurt: Der guckt schon so katholisch. An diesem Sprachgebrauch sieht man, dass das Gegeneinander von Konfessionen bisweilen bis weit in das letzte Jahrhundert hinein sehr wirksam war. Wir müssen den religiösen Dialog, den Respekt und die Toleranz in Deutschland und weltweit pflegen. Das ist eine Arbeit, die jeden Tag geleistet werden muss. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube auch nicht, dass es das Gegeneinander, das hier bisweilen im Raum stand, gibt. Es ist kein Gegensatz, auf der einen Seite auf die Situation von verfolgten Christen weltweit aufmerksam zu machen und auf der anderen Seite religiöse Toleranz gegenüber allen Religionen und religiöse Toleranz, auch nichts zu glauben, zu fordern. Dieser Gegensatz wurde hier bisweilen konstruiert. Wir weisen auf die Verfolgung der Christen hin und sagen, dass viele Hundert Millionen Menschen weltweit bedroht sind. Wir kämpfen aber auch für Weltoffenheit und Toleranz gegenüber allen Religionen. Ich glaube, das ist das Fundament einer guten Außenpolitik, wie diese Koalition sie prägt. Insofern sollten wir da keinen Gegensatz konstruieren. Ich bin sehr froh über diese Debatte am heutigen Vormittag. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Das war zauberhaft!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Ute Granold für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ute Granold (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Debatte brauche ich vieles von dem, das ich hier sagen wollte, gar nicht mehr zu erwähnen, da es bereits besprochen wurde. Lassen Sie mich ganz kurz auf einige Punkte eingehen. In einer Presseerklärung steht, dass der Menschenrechtsbeauftragte von missio Deutschland, Dr. Oehring - er ist heute auch anwesend -, gesagt hat, er finde es sehr gut, dass zu prominenter Zeit eine Debatte über die Religionsfreiheit weltweit stattfindet, bei der wahrscheinlich wortgewaltige Reden gehalten werden. Aber was kommt danach? Den Worten müssen Taten folgen. Ich denke, als ein Land, in dem Religionsfreiheit besteht, haben wir den Auftrag, den Menschen in Not, und zwar unabhängig davon, welcher Religion sie angehören, zu helfen. Diesem Auftrag sind wir auch bislang nachgekommen. Wir haben - Kollege Strässer und auch andere haben es vorhin angedeutet - im Jahr 1999 über eine Große Anfrage der Union zur Religionsfreiheit, zu den christlichen Minderheiten, zur Christenverfolgung debattiert. Wir haben dann in der Großen Koalition einen gemeinsamen Antrag auf den Weg gebracht. Nun liegt der Antrag der christlich-liberalen Koalition vor. Mittlerweile haben wir schon einiges umgesetzt. Wenn Sie, Herr Kollege Koenigs und Herr Beck, immer wieder auf Deutschland und Europa zurückkommen und da die großen Probleme sehen - zum Beispiel christliche Fundamentalisten? - dann haben Sie ein etwas verwischtes Bild. Ich finde das sehr bedauerlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir leben hier auf der Basis der Werte des christlichen Abendlandes. Ich nehme mir sehr wohl das Recht heraus, als Katholikin - gerade wurden die Protestanten genannt - dort in der Welt, wo die Christen unterdrückt werden, den Finger in die Wunde zu legen. Eine Religion wie zum Beispiel der Islam muss sich auch daran messen lassen, wie sie sich da verhält, wo sie eine Minderheit ist, beispielsweise in Europa, in Deutschland, und wie sie sich da verhält, wo sie in der Mehrheit ist; ich denke hier zum Beispiel an die Türkei oder den Iran. Wir haben in unserem Antrag natürlich die Bahai und die Muslime angesprochen. Ich würde Sie bitten, dass Sie den Antrag noch einmal lesen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bezweifelt niemand!) Es geht auch nicht darum, dass wir irgendeine Religion bevorzugt herausheben oder überhaupt nicht erwähnen, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau der Punkt!) sondern es geht darum, dass wir jedem seine Religion individuell lassen, dass jeder die Möglichkeit hat, seine Religion in der Gemeinschaft zu leben. Die Freiheit, keine Religion zu haben, oder auch die Möglichkeit, eine Religion zu wechseln, sind vielerorts nicht gegeben. Denken wir an Ägypten, den Iran und viele andere mehr. Selbstverständlich kümmern wir uns auch um all dies. Dieses Kümmern möchte ich ansprechen. Welche Möglichkeiten haben wir, unseren bedrängten christlichen Glaubensbrüdern und -schwestern, aber auch anderen in vielen Regionen dieser Welt zu helfen? Orissa in Indien wurde angesprochen. Wir haben Gäste aus Orissa, und der Kollege Kober und ich waren vor Ort. Dort sind die Christen massiv verfolgt worden; auch heute noch besteht eine ganz furchtbare Situation. Der Bundesstaat kommt nicht in die Gänge, um die schlimmen Verbrechen aufzuarbeiten, die 2008 geschehen sind. Heute sind noch viele unter prekären Verhältnissen auf der Flucht. Wir haben mit den Christen dort gesprochen. Sie waren so froh, dass es eine Solidarität im Glauben gibt, dass wir aus dem fernen Europa gekommen sind, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern und Solidarität zu zeigen. Es ist den Menschen sehr viel wert, Öffentlichkeit zu schaffen. Wir haben es versprochen und dann im Ausschuss beraten. Wir haben mit den Botschaftern gesprochen. Ich möchte aber auch erwähnen, dass wir in Gujarat waren. Das liegt in Westindien und ist einer der reichsten Bundesstaaten Indiens. Dort wurden 2 000 Muslime umgebracht. Die dortige Regierung war in dieses Massaker involviert. Auch das muss aufgearbeitet werden. Wir kümmern uns im Besonderen um die Christen - das stimmt. Ich denke an die Aktion damals, als wir den Flüchtlingen aus dem Irak helfen wollten, die zum größten Teil nach Syrien oder Jordanien geflüchtet waren und meist keine Möglichkeit hatten, in den Irak zurückzukehren. Diese Flüchtlinge sagten: Wir rennen um unser Leben. Davon hat uns etwa eine junge Mutter berichtet, die sagte: Wir möchten irgendwohin, nur nicht zurück in den Irak, weil wir nicht wissen, ob wir da am Leben bleiben werden. Wir richten hier einen Fokus auf die Christen, weil Angehörige anderer Religionen, die verfolgt werden - auch Muslime -, Rückzugsmöglichkeiten im arabischen Raum haben, die Christen aber nicht. Deshalb galt unser Augenmerk auch im Zusammenhang mit dem Irak den christlichen Religionsgemeinschaften. Bis zum heutigen Tage konnten 1 569 Angehörige religiöser Minderheiten von den 2 500 irakischen Flüchtlingen nach Deutschland kommen. Ich denke, das ist eine gute Sache; hier war Deutschland Vorbild für Europa, das insgesamt 10 000 Flüchtlinge aufnehmen wird. Diesen Weg haben wir gemeinsam beschritten; wir sollten ihn weitergehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es gibt viele Bereiche, in denen wir weiter tätig werden können, über die wir mit den Regierungen sprechen müssen. Unser Außenminister hat beim Menschenrechtsrat in Genf eine Rede gehalten. Wir waren kurz danach auch beim Menschenrechtsrat und wurden auf seine Rede angesprochen: Die wertegeleitete Außenpolitik und das Achten auf die Religionsfreiheit waren in den Gesprächen ein wichtiger Baustein. Deutschland hat eine führende Stellung in der Welt. Wenn es darum geht, den Finger in die Wunde zu legen, wenn Menschenrechte, insbesondere die Religionsfreiheit, verletzt werden, stellen wir die Bedingungen, die erfüllt werden müssen. Als Letztes möchte ich sagen, dass auch wir von der Union konkret handeln: Wir haben in Erinnerung an den ersten christlichen Märtyrer den Stephanus-Kreis gegründet und treffen uns, um anhand verschiedener Länder wie Indien und der Türkei über die Religionsfreiheit weltweit zu sprechen. Dabei wollen wir - auch finanziell - helfen und speziell die Menschen unterstützen, die in Not sind, die in Haft sind oder einem anderen Drangsal ausgesetzt sind. Wir haben für die Menschen in Orissa Geld von Misereor beschafft, damit sie aus ihren alten Zelten herauskommen. Über 5 000 ihrer Häuser wurden zerstört. Wir haben dafür gesorgt, dass Zelte gekauft werden, bevor der Monsun kommt. Danke an Misereor! Das ist ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein; aber viele kleine Tropfen helfen sicherlich auch. Ich möchte Sie alle bitten, weiter zu helfen. Wenn Probleme bestehen, müssen wir sie ansprechen und Öffentlichkeit schaffen. Viele wissen gar nicht, wie schlimm die Situation in Indien ist. Wir müssen das ansprechen, damit zum Beispiel Indien beim Thema Menschenrechte, insbesondere bei der Religionsfreiheit, einen besseren Weg beschreitet. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/2334 und 17/2424 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 4 a und 4 b: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Kelber, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Brennelementesteuer - Windfall Profits der Atomwirtschaft abschöpfen - Drucksache 17/2410 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Paus, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Atomkosten anlasten - Brennelementesteuer jetzt einführen - Drucksache 17/2425 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 2009 hat der damalige Bundesumweltminister Gabriel das erste Mal von einer Brennelementesteuer gesprochen, in dem Ansinnen, auch die Energieversorger, die Atommeiler betreiben, an den Kosten, die die Atomenergie verursacht, zu beteiligen. Gestern ist das Wort Brennelementesteuer im schwarz-gelben Kabinett angekommen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Angekommen? Sie haben doch nur geredet, aber nie Richtfest gefeiert!) Die Steuer ist im Rahmen des Sparpaketes als Erbringer von 2,3 Milliarden Euro pro Jahr angelegt. Leider gibt es wenig Inhaltliches zu vermelden. Ich habe das Gefühl, dass kein Konzept hinterlegt ist. Deswegen möchten wir mit unserem Antrag das Wort ein wenig mit Inhalt füllen. Wir wären froh und dankbar, wenn Sie zu unser aller Nutzen die Inhalte übernehmen würden. (Beifall bei der SPD) Im Jahre 2000 wurde der Atomausstieg vereinbart, der im Jahr 2021 abgeschlossen sein wird. Seit 2000 hat sich die Energieversorgung in unserem Land allerdings gravierend geändert. Die Kosten für die sichere Lagerung radioaktiver Abfälle und die Sanierungskosten haben sich seither vervielfacht. Wir alle wissen nicht, ob die Rückstellungen, die von den Atomkraftwerksbetreibern gebildet werden, ausreichen werden. Kosten, die nicht von den Verursachern getragen werden, muss der Steuerzahler tragen. Das Bundesumweltministerium rechnet alleine für die Sanierung von Asse II und Morsleben mit Kosten in Höhe von 7,7 Milliarden Euro. Die Atomenergiewirtschaft ist begünstigt, da sie keine CO2-Zertifikate kaufen muss. Da sie keine CO2-Schadstoffe ausstößt - in der Wertschöpfungskette schon, aber nicht bei der Energieerzeugung -, ist die Atomenergie gegenüber fossilen Energieträgern begünstigt. Die Emissionszertifikate, die kostenlos ausgegeben wurden, wurden eingepreist. Die Risiken der Atomenergie sind nirgendwo eingepreist worden. Sie entstehen erst, wenn das Risiko entstanden ist. Die daraus entstehenden Mitnahmegewinne der Atomenergie betragen laut Öko-Institut 3,4 Milliarden Euro. Jeder abgeschriebene Meiler produziert, wenn er läuft, 1 Million Euro Gewinn am Tag. (Ulrich Kelber [SPD]: Mindestens!) - Ja, mindestens. Nach einer Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft beliefen sich die Finanzhilfen und Steuervergünstigungen für die Atomenergie im Zeitraum von 1950 bis 2008 auf 125 Milliarden Euro. Eine Steuer, um diese Gewinne abzuschöpfen, ist mehr als berechtigt. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE] - Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die müssen auch investieren!) Eine derartige Steuer wird keine Auswirkungen auf den Strompreis haben. Denn er entsteht an der Strombörse und richtet sich nach den Grenzkosten des letzten fossilen Kraftwerkes. Die Atomenergie ist für den Grundlaststrom zuständig. Das heißt, sie ist davon nicht betroffen. Wir haben im Hinblick auf die Höhe der von uns geplanten Steuer aus den Zertifikatspreisen eine Preisspanne errechnet. Sie soll 2,5 Cent pro Kilowattstunde betragen. Wir brauchen allerdings noch 0,6 Cent pro Kilowattstunde für die Altlasten, die wir auch finanzieren müssen. Die Brennelementesteuer ist eine Steuer auf den Verbrauch von Brennelementen. Sie ist europarechtskonform. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sozialistische Planwirtschaft!) In Schweden gibt es sie in ähnlicher Form seit den 80er-Jahren. Daran hat sich nie jemand gestört. Es hat auch nie jemand ihre Abschaffung verlangt. Die Brennelementesteuer ist unabhängig von einer Laufzeitverlängerung - im Gegenteil. Sie wurde im Hinblick auf Laufzeiten bis 2021 berechnet. Ich denke, länger müssen die Laufzeiten der Atomkraftwerke in diesem Land auch nicht sein. Wir dürfen diesem Land durch alte Reaktoren nicht noch mehr Risiken zumuten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das würde in der Konsequenz übrigens eine beträchtliche Erhöhung der Steuer nach sich ziehen. Wir fordern die Bundesregierung zu Folgendem auf: Erstens. An den Laufzeiten, die im Jahr 2000 vereinbart wurden, muss festgehalten werden. Zweitens. Eine Verbrauchsteuer auf die Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, also eine Brennelementesteuer, muss eingeführt werden. Drittens. Der Tarif der Brennelementesteuer wird anfänglich, umgerechnet auf die erzeugte Elektrizitätsmenge, 3,1 Cent je Kilowattstunde betragen. Viertens. Alle zwei Jahre fordern wir von der Bundesregierung einen Bericht über die Entwicklung der Kosten der Kernenergie bzw. über die Auswirkungen, die die Erhebung der Brennelementesteuer auf die Ertragsteuereinnahmen der Gebietskörperschaften hat. Es muss natürlich einen fairen Bund-Länder-Ausgleich geben. Es kann nicht sein, dass die Gewinne der Atommeiler durch diese Steuer verringert werden, wodurch in den Ländern weniger Steuereinnahmen anfallen würden. Hier muss es, wie gesagt, einen Ausgleich geben. Das ist allerdings zu machen. Fünftens bitten wir die Bundesregierung, auf europäischer Ebene einen Anstoß zu geben und auch die Betreiber von Atomkraftwerken im restlichen Europa zur Finanzierung der Kosten der Atomenergienutzung heranzuziehen, damit wir bei der Energiebesteuerung in Europa eine Harmonisierung hinbekommen. Ich möchte Sie ausdrücklich bitten, dieses Vorhaben zu unterstützen, diese Steuer einzuführen und im Sinne der zukünftigen Generationen eine verantwortungsvolle Politik zu machen. Sie sprechen ja immer von nachhaltigem Wachstum. Ich sage Ihnen: Wachsende Nachhaltigkeit sollte die Maxime sein. Dazu möchte ich Sie auffordern. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dr. Frank Steffel ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Arndt-Brauer, Sie haben völlig recht: Die Bundesregierung hat gestern beschlossen, dass ab dem 1. Januar 2011 für die Betreiber von Kernkraftwerken in Deutschland eine Steuer auf den Verbrauch von Brennstäben eingeführt wird. Diese Brennelementesteuer bringt dem Bund jährlich 2,3 Milliarden Euro Steuereinnahmen und wird für den Schuldenabbau im Rahmen des Sparpakets genutzt. Wir halten diese Steuer aus ökologischen und ökonomischen Gründen für richtig und zielführend. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Dann haben Sie dazugelernt!) - Ich glaube, Sie sollten sich mit Ihren Zwischenrufen sehr zurückhalten, denn Folgendes ist schon sehr befremdlich: Nachdem gestern die Bundesregierung diesen wirklich wichtigen Beschluss getroffen hat, diskutieren wir heute Ihre Anträge dazu im Parlament, obwohl Sie dafür elf Jahre Zeit hatten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben das in der Großen Koalition doch abgelehnt! Jetzt bleiben Sie doch bei der Wahrheit! Das ist unglaublich!) - Ihnen steckt die Niederlage beim Fußball noch in den Knochen. Bleiben Sie gelassen! Lassen Sie uns das Thema sehr präzise diskutieren. Sie hatten unter Rot-Grün sieben Jahre dazu Zeit. Bundesumweltminister Trittin hatte erst mit Herrn Lafontaine und dann mit Herrn Eichel als Finanzminister Zeit, das Thema anzustoßen, möglicherweise sogar im Rahmen der Laufzeitverkürzung festzulegen, die Sie 2000 beschlossen haben. Dann hatten Sie in der Großen Koalition beide Ressorts. Herr Gabriel, Ihr Parteivorsitzender, der jetzt schlaue Vorschläge macht, hatte mit Finanzminister Steinbrück vier Jahre Zeit, das Thema zu diskutieren und voranzubringen. Sie haben es nicht getan. Heute machen Sie schlaue Vorschläge. Das geht frei nach Goethe: Man spürt die Absicht. Man ist verstimmt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Haben Sie eigentlich Lesen gelernt?) Wir halten es für richtig, diese Brennelementesteuer einzuführen, denn die Kernenergie ist eben nicht vom CO2-Emissionshandel betroffen und somit gegenüber anderen Energieträgern bevorzugt. Wir halten das auch für richtig, weil gerade die Kosten für Endlagerung und für den Rückbau der Kernkraftwerke im Wesentlichen vom Steuerzahler in Deutschland getragen werden. Wir halten das für richtig, weil der Strommarkt mehr Chancengleichheit braucht und gerade die großen vier nationalen Stromversorger hier einen Wettbewerbsvorteil gegenüber vielen kleinen und mittelständischen Stromanbietern haben. Auch hier wollen wir Chancengerechtigkeit und mehr Wettbewerb. Wir halten es für richtig, weil der Begriff "Steuer" irreführend ist. Es handelt sich im Wesentlichen nämlich nicht um eine Steuer, sondern um einen Subventionsabbau. Auch das ist Teil des Sparpakets. Deshalb sagen wir: Es werden die wirtschaftlichen Vorteile der Kernenergie reduziert und zusätzliche Anreize für regenerative Energien geschaffen. Das ist in den kommenden Jahren der richtige Weg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke hängt natürlich politisch mit diesem Thema zusammen; das wissen wir alle. Aber formal sagen wir sehr klar, dass die Einführung der Brennelementesteuer im Rahmen des Sparpakets damit nicht direkt im Zusammenhang steht. Die Bundesregierung wird zu dem Gesamtthema im Herbst ein Energiekonzept vorlegen. Dabei geht es im Wesentlichen um das Ziel, unseren Energiebedarf aus regenerativen Energien zu decken, und um die Frage, wie lange wir die Kernkraft als Brückentechnologie noch benötigen, nicht mehr und nicht weniger. Das Ziel ist es, den Energiebedarf der Deutschen so schnell wie möglich aus regenerativen Energien zu akzeptablen Preisen zu decken. Wir werden mit einem geschlossenen Energiekonzept das Zeitalter der regenerativen Energien vorbereiten. Deshalb freut es uns, dass uns die Opposition, sowohl die Grünen als auch die Sozialdemokraten, in ihren Anträgen grundsätzlich zustimmt und wir die Details in den Beratungen im Herbst sicherlich gemeinsam erarbeiten werden. Die heutige Debatte zeigt aber auch etwas anderes. Die heutige Debatte zeigt, dass die bürgerlich-liberale Bundesregierung mit dem Sparpaket die richtigen Schwerpunkte setzt. Wir werden innerhalb von nur zwei Jahren die Ausgaben von 319 Milliarden Euro auf 301 Milliar-den Euro senken und die Vorgaben der Schuldenbremse des Grundgesetzes einhalten. Das ist wirklich eine große politische Leistung in schwierigen Zeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir werden - auch dazu bekennen wir uns - Subventionen abbauen. So wie wir das beim heutigen Thema tun, werden wir das auch in anderen Bereichen tun. Gleichzeitig werden wir den Staat durch Stellenabbau dauerhaft effizienter und schlanker machen. Auch das ist die erklärte Politik und richtige Prioritätensetzung dieser bürgerlich-liberalen Bundesregierung. Wir werden keine Steuern erhöhen, während sich einige jeden Tag mit immer wieder neuen Vorschlägen selbst übertreffen. Wir sind der Auffassung, dass sich Arbeit und Leistungsbereitschaft gerade für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen in Deutschland weiterhin lohnen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir werden das alles tun und die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einhalten, und trotzdem werden wir in den kommenden Jahren 12 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung ausgeben. Auch das ist eine richtige Schwerpunktsetzung für die Zukunft unseres Landes und insbesondere für die Zukunft unserer Kinder. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Insofern zeigen die heutige Debatte und die Debatten der letzten Wochen, dass wir mit dem Sparpaket der Bundesregierung zum einen verantwortungsvoll mit der Zukunft unserer Kinder und zum anderen verantwortungsvoll mit unseren Ressourcen umgehen. Mein Eindruck ist, dass wir uns in der heutigen Debatte in sehr vielen Punkten einig sind. Einigen Details in Ihren Anträgen können wir nicht zustimmen, weil wir sie auch für übereilt halten, beispielsweise die Fixierung auf einen konkreten Centbetrag zum gegenwärtigen Zeitpunkt, da die Ausarbeitung in den zuständigen Ministerien noch vor uns liegt. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben doch gerade von 3,3 Milliarden Euro gesprochen!) - Es ist ja gut, dass Sie immer dazwischenrufen, aber lassen Sie mich meine Gedanken vortragen. Sie haben heute viel Redezeit beantragt: Nutzen Sie sie! Wir sind uns darin einig, dass die direkte Bevorzugung der Kernenergiewirtschaft beendet werden sollte und die beantragte Brennelementesteuer ein richtiger und wichtiger Weg dafür ist. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Glückwunsch zur Einsicht!) Wir sind uns einig, dass die Brennelementesteuer zielgerichtet und ein wirksames Instrument ist, und wir sind uns einig, dass wir bei den Beratungen im Herbst alle Details in Ruhe besprechen sollten. Denn es geht um einen wichtigen Wirtschaftsbereich in Deutschland und übrigens auch um die Frage, wie sich die Strom- und Energiepreise in Deutschland aufgrund des internationalen Wettbewerbs in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entwickeln werden. Insofern freuen wir uns, dass Sie uns heute mit Ihren Anträgen die Gelegenheit geben, noch einmal auf diesen Gesamtzusammenhang hinzuweisen. Für uns ist es wichtig, dass die Menschen in Deutschland wissen: Mit dem Sparpaket setzen wir die richtigen Schwerpunkte für die Zukunft. In der Energiepolitik wollen wir in ein Zeitalter regenerativer Energien eintreten. - Wir wissen allerdings, dass die Kernenergie als Brückentechnologie in den kommenden Jahren unverzichtbar dafür ist. Auch das zu sagen gehört zur Wahrheit, gehört zum Wirtschaftsstandort Deutschland, und vor allen Dingen gehört es zur Ehrlichkeit in der Politik, die ich uns allen in diesen Tagen empfehle. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Ulrich Kelber das Wort. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das bekommt er nachher alles wieder! Macht euch keine Sorgen! - Dr. Daniel Volk [FDP]: Er hat doch Redezeit!) Ulrich Kelber (SPD): Ich freue mich auf die Zwischenrufe, die ich zu hören bekommen werde, Herr Kollege. Herr Steffel, der Versuch der Geschichtsklitterung, den Sie gemacht haben, kann nicht eine Stunde lang unkommentiert bleiben. Sie haben uns als Sozialdemokraten gefragt, warum es noch keine Brennelementesteuer gibt. Sie sind ja erst seit Oktober letzten Jahres Kollege in diesem Haus. Wahrscheinlich ist Ihnen deswegen entgangen, dass die SPD in der Koalition von CDU/CSU und SPD in der letzten Legislaturperiode den Vorschlag einer Brennelementesteuer gemacht hat, den die Mitglieder Ihrer Fraktion in der Bundesregierung abgelehnt haben. Das war der erste Teil der Antwort. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Dann können Sie jetzt ja dem Sparpaket zustimmen!) Der zweite Teil. Sie haben mich gefragt, warum in der Zeit von Rot-Grün keine Brennelementesteuer eingeführt wurde. Die Antwort haben Sie sich eigentlich selber gegeben, ohne es zu bemerken. Sie haben gesagt, Sie wollen, wie wir, die Zusatzgewinne der Atomwirtschaft aus dem Emissionshandel mit einer Brennelementesteuer abschöpfen. Die rot-grüne Koalition hat bis 2005 regiert. Erst seit diesem Jahr gibt es den Emissionshandel. Bitte lassen Sie die Geschichtsklitterung und informieren Sie sich vorher. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Eva Bulling-Schröter von der Fraktion Die Linke ist die nächste Rednerin. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch eine leere Haushaltskasse werden manchmal Wunder bewirkt. Es wurde anscheinend nämlich das erreicht, was die Bundesregierung und auch die vorherigen Regierungen stets abgewiesen haben: die Einführung einer Brennelementesteuer zur Abschöpfung der Extragewinne der Atomwirtschaft aus dem Emissionshandel. Wir, die Linke, haben das in jeder Haushaltsberatung gefordert. Das wurde aber immer abgewiesen. Jetzt liegen entsprechende Anträge von SPD und Grünen vor, und auch die Bundesregierung wünscht sich das. Aber lieber jetzt als nie. Schließlich wird mit einer Brennelementesteuer ein unhaltbarer Zustand beendet, nämlich der, dass die Atomindustrie zusätzlich subventioniert wird, und zwar seit 2005 irrwitzigerweise durch ein vermeintlich umweltpolitisches Instrument, den Emissionshandel. Wie funktioniert das? Wir wissen, Unternehmen erhalten CO2-Zertifikate zum großen Teil kostenlos, ein Teil wird gehandelt. Durch den Emissionshandel steigt der Großhandelspreis an der Strombörse; denn die Betreiber von Kohlekraftwerken schlagen den Handelspreis der CO2-Zertifikate auf den Strompreis auf. Dass sie die Zertifikate bislang geschenkt bekommen haben und so Milliarden an Extraprofiten einfahren, halte ich für einen großen Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Wenigstens ab 2013 müssen die Kohlekraftwerke die Emissionsrechte ersteigern. Dann endlich könnte der Emissionshandel von einer Gelddruckmaschine zu einem Klimaschutzinstrument werden. Der zweite Skandal ist der, um den es sich hier heute dreht: Der höhere Handelspreis für Strom nützt auch der Atomindustrie, die mit dem ganzen CO2-Emissionshandel eigentlich nichts zu tun hat. Denn der Handelspreis bildet sich an der Strombörse nach den Grenzkosten des jeweils teuersten Kraftwerks, das noch zur Versorgung benötigt wird, und dies ist meist ein Kohlekraftwerk, das auch den CO2-Preis kalkulieren muss. AKWs liegen mit ihren laufenden Kosten stets darunter, verkaufen aber zum Kohlekraftwerkspreis. Die AKW-Betreiber streichen also zusätzliche Profite ein. Diese Windfall-Profits werden die Atomkonzerne auch noch nach 2012 kassieren - darauf haben wir immer wieder hingewiesen, das ist aber immer abgewiegelt worden -, wenn die Kohlekraftwerke längst ihre Zertifikate ersteigern müssen. Bisher wurde das von der Politik als verschmerzbarer Kollateralschaden behandelt. Ich halte das für absurd; denn es handelt sich um riesige Summen, die die Stromkonzerne starkmachen und für die die Verbraucherinnen und Verbraucher blechen müssen. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Das stimmt doch nicht! Das ist Unsinn!) Das Öko-Institut schätzt die leistungslosen Extraprofite pro Jahr für die Atomsparten von RWE, Eon, Vattenfall und EnBW auf insgesamt rund 3,4 Milliarden Euro. Diese Summe kommt noch obendrauf auf jene 125 Milliarden Euro Finanzhilfen und Steuervergünstigungen für die Atomabenteuer, die insgesamt von 1950 bis 2008 geflossen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke steht für einen unverzüglichen Atomausstieg. (Beifall bei der LINKEN) Bis dieser vollzogen ist, muss jedoch eine Brennelementesteuer die Extragewinne der Atomkonzerne aus dem Emissionshandel abschöpfen. Es geht also ausdrücklich nicht um einen Handel "Laufzeitverlängerung gegen Brennelementesteuer", wie es zum Beispiel Herr Kauder gestern im Morgenmagazin zusammenbastelte. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nein, es geht nicht um eine solche Verbindung. Allerdings müssten auch schnellstens jene Extragewinne kassiert werden, die die Kohlekraftwerksbetreiber bis 2012 aus dem Emissionshandel ziehen. Ansonsten könnten Böswillige tatsächlich von einer Bevorteilung der Kohle gegenüber der Atomkraft sprechen. Unbeachtet bleibt ja weiterhin, dass bis 2012 auch die Kohlekraftwerksbetreiber Windfall-Profits haben; denn sie bekommen bis dahin ihre Zertifikate geschenkt. Das spült ihnen - je nach Zertifikatspreis - 2 bis 3 Milliarden Euro pro Jahr in die Kassen. Diesen gewaltigen Brocken könnte der Bundesfinanzminister auch gerne einsammeln. Dann bräuchte er nicht an die Sozialleistungen heranzugehen. Aber dafür fehlt offensichtlich der politische Wille. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Jetzt kommt noch Hartz IV!) Zurück zur Brennelementesteuer. Was die Höhe angeht, so sollten zusätzlich zu den Emissionshandelsgewinnen auch jene Kosten berücksichtigt werden, die für die Altlastensanierung auflaufen. Die Bruchbuden Asse und Morsleben sind zu einem gehörigen Teil durch westdeutsche AKWs bestückt worden. (Zuruf von der FDP: Morsleben? - Gegenruf von Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wussten Sie das nicht? Erkundigen Sie sich mal! - Sylvia Kotting-Uhl [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr als die Hälfte!) Dafür haben sie nur Peanuts bezahlt. Darum ist jetzt ein Nachschlag fällig. Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, FÖS, hat zur Höhe der Steuer Vorschläge gemacht. Ich denke, ein Steuersatz, der am Ende rund 3,5 Cent je Kilowattstunde Atomstrom entspricht, wäre durchaus angemessen. Das ergäbe zusätzliche Haushaltseinnahmen von knapp 5 Milliarden Euro jährlich, (Dr. Daniel Volk [FDP]: Wer zahlt die denn?) also mehr als das Doppelte dessen, was dem Finanzminister vorschwebt. Atomkonzerne saftig besteuern statt Sozialleistungen kürzen - über den tollen Sparhaushalt wurde bereits diskutiert -: Stattdessen geht es immer nur um eine Umverteilung von unten nach oben. Es werden die Ärmsten sein, die durch diesen Sparhaushalt bluten müssen, statt diejenigen, die die Profite einfahren. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Die Ärmsten zahlen auch den Strompreis! - Gegenruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb wollen sie auch keinen Wettbewerb und die schlechte Wettbewerbssituation weiter beibehalten! Damit wir höhere Strompreise haben! Absurd ist das!) Atomkonzerne saftig besteuern statt Sozialleistungen kürzen - das wäre zukunftsfähige Finanzpolitik. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es wird immer gesagt, das gehe nicht, das sei nicht EU-kompatibel. Finnland und Schweden machen uns aber vor, dass eine vergleichbare Steuer möglich ist. (Beifall bei der LINKEN) Die Argumente, das alles sei nach EU-Recht nicht möglich, sind also vorgeschoben. Ich meine, Herr Schäuble sollte jetzt handeln. Ich komme zum Schluss. Wir haben gestern im Umweltausschuss sehr intensiv darüber diskutiert. An der Sitzung hat auch ein Vorstandsmitglied von RWE teilgenommen. Nach dem, was er sagt, könnte man meinen, sie wären sehr arm: Wenn sie eine Brennelementesteuer zahlen müssten, dann seien sie nicht mehr börsenfähig. Dabei werden enorme Gewinne erzielt, wie wir in den Börsenblättern lesen können. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, reden immer davon, dass der Verbraucher mehr bezahlen muss. Wir wollen an die Gewinne dieser großen Konzerne heran. Das ist sozial, und es ist ökologisch. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen mehr regenerative Energien. Mit der von Ihnen beabsichtigten Laufzeitverlängerung werden Sie den Ausbau regenerativer Energien verhindern. Sie wollen die Konzernmacht weiter stärken. Das wollen wir nicht. Aus diesem Grunde brauchen wir diese Steuer und eine Gewinnabschöpfung der großen Konzerne. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Birgit Reinemund von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Birgit Reinemund (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was Frau Bulling-Schröter am Ende ihrer Rede gesagt hat, wollen wir alle: Wir wollen an die Gewinne der Atomwirtschaft heran und einen Teil davon dem Haushalt zuführen. (Beifall bei der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Mit Verlängerung oder ohne?) Wenn die Opposition ein laufendes Gesetzesvorhaben der Bundesregierung begrüßt und sogar noch beschleunigen will, dann frage ich mich, was dahintersteckt. Wenn SPD und Grüne die Chance auf eine zusätzliche Einnahme wittern, dann löst das sofort den Reflex aus, festzulegen, wofür diese zusätzlichen Mittel konkret ausgegeben werden sollen. Sie wissen aber genauso gut wie ich, dass Steuereinnahmen nicht per se zweckgebunden sind, sondern in den allgemeinen Haushalt fließen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) So werden der Soli nicht für den Aufbau Ost, die Ökosteuer nicht für die Umwelt und die Brennelementesteuer nicht automatisch zur Finanzierung der Folgekosten der Atomwirtschaft verwendet, sondern sie dienen primär der Haushaltskonsolidierung. (Ulrich Kelber [SPD]: Die müssen aber auch aus dem Haushalt bezahlt werden!) Seit 1999 sind unter der Verantwortung von SPD-Finanzministern über 300 Milliarden Euro zusätzliche Schulden aufgenommen worden. Die Euro-Krise hat gezeigt, welche verheerenden Auswirkungen Staatsdefizite auf die Stabilität der Währung und auf die Stabilität ganzer Staaten haben. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Was hat das jetzt mit der Brennelementesteuer zu tun?) Das von der Bundesregierung vorgelegte Gesamtpaket zur Haushaltskonsolidierung inklusive der Brennelementesteuer in Höhe von beachtlichen 82 Milliarden Euro bis 2014 ist das größte Sparpaket in der Geschichte Deutschlands und bezieht alle mit ein: (Beifall bei der FDP) den Finanzsektor, die Wirtschaft, die öffentliche Verwaltung und den Sozialbereich, und zwar ausgewogen und maßvoll. Erstmals werden jetzt die Staatsausgaben real gesenkt: von 320 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 301 Milliarden innerhalb der nächsten zwei Jahre. Unser erklärtes Ziel ist es, die Neuverschuldung zurückzuführen, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einzuhalten, die Maastricht-Kriterien wieder einzuhalten sowie dem G-20-Beschluss Rechnung zu tragen und das Staatsdefizit zu halbieren. Dazu muss gerade auch die Atomwirtschaft ihren Beitrag leisten, besonders vor dem Hintergrund, dass sie in der Vergangenheit enorme Kosten für den Bundeshaushalt verursacht hat (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: In Zukunft auch noch!) und auch in Zukunft verursachen wird, zum Beispiel für die Sanierung von Asse, wie es im Koalitionsvertrag festgelegt ist. In Verbindung mit der geplanten Laufzeitverlängerung kann die Abschöpfung von Zusatzgewinnen, die Sie alle wollen, deutlich höher ausfallen als die jetzt eingeplanten 2,3 Milliarden Euro pro Jahr. (Ulrich Kelber [SPD]: Besteht dazu Einigkeit in der Koalition?) Ohne Zweifel wollen wir schnellstmöglich den Übergang zu regenerativen Energien schaffen. Trotzdem ist es - auf der Zeitschiene gesehen - notwendig, im Rahmen des kommenden Energiekonzepts Kernkraftwerke als Brückentechnologie länger am Netz zu lassen. Warum jetzt plötzlich die Eile? Sie hatten elf Jahre Zeit, das Thema anzugehen. (Ulrich Kelber [SPD]: Gerade erklärt!) Das Vorhaben ist bereits auf den Weg gebracht. Statt Ihrer Schnellschüsse und Vorfestlegungen, meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, gilt für die christlich-liberale Koalition: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Das gesamte Sparpaket inklusive Einführung einer Brennelementesteuer hat das Kabinett gestern beschlossen. Wir diskutieren derzeit über eine Steuer, deren konkrete Ausgestaltung mitten in der Prüfung ist. Viele Fragen sind dabei noch offen: Wie soll die Brennelementesteuer konkret ausgestaltet werden? Wird sie brutto oder netto erhoben? Gilt sie als Betriebsausgabe? Wie gehen wir mit den enormen Auswirkungen auf die Gewerbesteuer und damit auf die Einnahmen der Standortkommunen um? (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Die Gewerbesteuer wollen Sie auch abschaffen!) Kann eine zusätzliche Energiesteuer EU-konform gestaltet werden? - Das ist bei weitem nicht so klar, wie die Damen der Opposition uns suggerieren wollen. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Aber in Schweden klappt das auch!) Hier erwarten wir kurzfristig eine Klärung des Finanzministeriums. Seit gestern gehen Überlegungen von Finanzminister Schäuble auch in Richtung Fonds oder Abgabe. Das hätte den Charme, dass das Geld dann zweckbezogen verwendet werden könnte. Nutzen wir die Zeit, die besten Lösungen zu finden. Heute tagt die Kommission zur Neuordnung der Gemeindefinanzen. Ob die Gewerbesteuer in der Form weiter bestehen wird, um auf den Zwischenruf einzugehen, und ob diese Auswirkungen einberechnet werden müssen, bleibt zu klären. Am 27. August wird es einen Kabinettsbeschluss über das Energiekonzept für Deutschland geben. Es wäre schon geschickt, diese beiden Beratungsergebnisse in die Überlegungen einzubeziehen. Beschlossen ist, dass die Atomwirtschaft ihren Beitrag leisten muss. Beschlossen ist, dass dieser mindestens 2,3 Milliarden Euro betragen wird. In welcher Form? In der optimalen. Lassen Sie uns nach der Sommerpause über rechtlich geprüfte Gesetzentwürfe diskutieren. Ihre Anträge hier und heute sind eher Selbstbeschäftigung. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl von Bündnis 90/Die Grünen. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Aussage aus dem Kabinett ist richtig, nämlich die Aussage von Herrn Finanzminister Schäuble, von der er sich leider inzwischen schon wieder distanziert hat: Laufzeitverlängerung und Brennelementesteuer stehen in keinem Zusammenhang. - Sie dürfen auch in keinem Zusammenhang stehen. So ein Deal ist Mafiagebaren, das ist kein demokratisches Regierungshandeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist auch nicht in Ordnung, der Bevölkerung die beabsichtigte und nicht besonders geliebte Laufzeitverlängerung - wir wissen: längere Laufzeiten verlängern das Risiko, vermehren den Müll und stehen dem Ausbau der erneuerbaren Energien im Weg - dadurch schmackhaft zu machen, dass man sagt: Dafür gibt es Geld von den Konzernen, (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das ist eine Sauerei!) und das geben wir für euch aus. - All das ist unseriös. Seriös ist, die Brennelementesteuer mit einer Begründung zu erheben, wie wir sie in unserem Antrag geben. Wir sagen: An die gesellschaftlichen Schulden, die die Atomwirtschaft aufgehäuft hat, seit sie besteht - wir reden von 150 Milliarden Euro -, wollen wir rückwirkend gar nicht heran. Aber die 30 Milliarden Euro, die nach Schätzung der jetzigen Bundesregierung in den nächsten Jahrzehnten durch Rückbau und Sanierung der Endlager und der atomaren Forschungseinrichtungen auf uns zukommen, wollen wir nicht auch noch den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aufbürden. Die soll die Atomwirtschaft selbst bezahlen. Dafür wollen wir die Brennelementesteuer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Dr. Daniel Volk [FDP]: Warum haben Sie das nicht schon in den sieben Jahren Ihrer Regierungszeit getan? - Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das hätten Sie doch lange machen können!) - Hätten Sie in Bezug auf Atomkraft in Ihrer Regierungszeit auch nur halb so viel vor, wie wir damals gemacht haben, dann könnten wir mit Ihnen zufrieden sein. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber Sie fordern es doch jetzt!) - Die Verhältnisse haben sich geändert. Sie hätten vorhin Herrn Kelber zuhören sollen. Stellen Sie eine Zwischenfrage! (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben nur geredet!) Herr Dr. Steffel, der Bundestag führt eine Brennelementesteuer ein, nicht das Kabinett, wenn ich Sie daran erinnern darf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Was Sie gestern beschlossen haben, ist offensichtlich sowieso irrelevant; denn bereits gestern haben wir völlig andere Verlautbarungen gehört. Die Bundesregierung hat doch überhaupt nicht den Mut gegenüber der Atomwirtschaft, diese Brennelementesteuer ohne das Gegengeschenk der Laufzeitverlängerung einzuführen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Wo war denn Ihr Mut?) Die Atomwirtschaft verhandelt doch schon selber wieder mit, ob überhaupt und unter welchen Bedingungen sie eine Steuer oder eine Abgabe zahlt. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben doch Vereinbarungen mit der Atomwirtschaft getroffen!) Erzählen Sie doch nicht, was Sie beschlossen haben. Uns liegen heute zwei Anträge vor, einer der SPD und einer der Grünen. Stimmen Sie den Anträgen zu! Dann haben Sie eine anständige Begründung für die Brennelementesteuer und begeben sich nicht in ein vages, diffuses Feld irgendwelcher Deals, was mit seriöser Politik nichts mehr zu tun hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Dr. Daniel Volk [FDP]: Wer hat denn den Deal beschlossen, dass keine Abgabe bei der Stromwirtschaft erhoben wird? Das war doch Rot-Grün!) Wir fordern die Brennelementesteuer ohne Verbindung mit einer Laufzeitverlängerung. Zur Laufzeitverlängerung, die eines der großen Streitthemen der Regierung ist, will ich Ihnen noch etwas sagen. Sie sollten nicht so viele Ressourcen auf den Streit verschwenden, ob es 8 Jahre, 15 Jahre oder 28 Jahre sein sollen - mal mit Zustimmung des Bundesrates, mal ohne Zustimmung des Bundesrates. Dann legen die Bundesländer auch noch eigene Vorschläge vor. Was Sie da aufführen, ist doch ein Kasperletheater. Hören Sie auf damit! Hören Sie auf Ihren Sachverständigenrat! Hören Sie auf Ihr Umweltbundesamt! Sie alle rechnen Ihnen vor, dass Laufzeitverlängerungen nicht nur unnötig, sondern auch kontraproduktiv für das gemeinsame Ziel des Klimaschutzes sind. Sie müssen ja gar nicht auf die Opposition hören; (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das müssen wir wirklich nicht! Gott sei Dank!) wir wissen ja, dass Sie da beratungsresistent sind. Hören Sie aber auf Ihre eigenen Berater! Machen Sie, was die Ihnen empfehlen! Hören Sie mit diesem internen Regierungsstreit auf, der Ihre wenigen Ressourcen, die Sie ohnehin schon dauernd mit Streitereien vergeuden, auch an dieser Stelle noch bindet. Konzentrieren Sie sich auf das, was ansteht, nämlich auf den Umstieg in der Energieversorgung, um nach 2020 so schnell wie möglich auf einen Anteil von 100 Prozent erneuerbare Energien zu kommen. Dazu brauchen wir eine Flexibilisierung des Kraftwerks-parks, die Bereitstellung von Speichern und den Ausbau der Netze. Das haben wir gestern in der Anhörung alle gemeinsam gehört. Hören Sie auf Ihre eigenen Berater! Wenn Sie darüber hinaus noch ein bisschen mehr tun und einen Schritt der Vernunft gehen wollen, dann stimmen Sie heute einem der vorliegenden Anträge zu. Sie haben die Wahl zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Unsere Anträge unterscheiden sich nur marginal. Im Ziel - Brennelementesteuer ohne Verbindung mit einer Laufzeitverlängerung - unterscheiden sie sich nicht. Stimmen Sie einem dieser Anträge zu. Das wäre einer der ersten vernünftigen Schritte dieser Koalition. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Frau Kotting-Uhl, zunächst sage ich ein herzliches Dankeschön für Ihren Antrag - auch für den Antrag der SPD -, der uns wieder einmal die Gelegenheit gibt, uns über die Energiepolitik und auch über das wichtige Thema der Kernenergie zu unterhalten. Lassen Sie mich vorweg auf einen der Punkte eingehen, der Ihnen ganz besonders wichtig ist und auch im Antrag der SPD eine herausragende Stellung einnimmt, nämlich auf die Frage: Brauchen wir eine Laufzeitverlängerung? (Zurufe von der SPD: Nein!) Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir die Laufzeitverlängerung brauchen und dass dies auch nicht im Widerspruch zum Ausbau der erneuerbaren Energien steht, (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Doch!) sondern dass die erneuerbaren Energien in der Zukunft dadurch ergänzt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben eine ambitionierte Ausbaustrategie. Bis 2020 wollen wir einen Anteil von 30 Prozent erneuerbaren Energien erreichen. Mit diesem Ziel haben wir das, was Sie in den letzten Jahren gefordert haben, noch getoppt. (Ulrich Kelber [SPD]: Wir sind beeindruckt!) Bis 2050 wollen wir den Hauptanteil der Energie aus erneuerbaren Energieträgern generieren. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber 100 Prozent sind möglich! Warum machen Sie das nicht?) Auf dieser Wegstrecke haben wir aber enorme Herausforderungen zu meistern. Dies müssen wir gemeinsam angehen. Ich nenne nur das Thema Netzausbau. Wie wollen Sie gewährleisten, dass, wenn wir im Norden in Offshorewindparks 20 Gigawatt Leistung aufbauen und im Süden 12 Gigawatt vom Netz nehmen, diese Strommenge über die Riesendistanz von Norden nach Süden transferiert wird? Dazu müssen wir die Netze ausbauen. Das ist dringend notwendig. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Bareiß, ich muss Sie unterbrechen. Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Ja, sehr gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Fell. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Bareiß, Sie haben gerade das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 30 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energieträgern zu erzeugen, als ambitioniert bezeichnet. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass es eine Unmenge von Studien und Angeboten gibt, nach denen weit darüber hinausgegangen werden kann, wenn man die heutige Wachstumsgeschwindigkeit der erneuerbaren Energien fortsetzt? Schon vor Jahren hat der Bundesverband Erneuerbare Energie der Bundesregierung angeboten, bis 2020 fast 50 Prozent Strom aus erneuerbaren Energieträgern zu erzeugen und gleichzeitig auch noch 200 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. - Ich kann mir übrigens gar nicht vorstellen, wie in diesem Bereich neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, falls es zu einer Laufzeitverlängerung kommt. - Der Vertreter des Sachverständigenrats für Umweltfragen hat erklärt - so Herr Hohmeyer im Umweltausschuss -, bis 2030 könne man im Prinzip auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen. Das Umweltbundesamt hat dieser Tage ebenfalls eine neue Studie vorgestellt, wonach in kurzer Zeit eine Vollversorgung möglich ist. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Wo ist die Frage?) Warum ignorieren Sie all diese Möglichkeiten und behaupten einfach fest überzeugt, man brauche die Laufzeitverlängerung, wenn die Möglichkeiten der Nutzung der erneuerbaren Energien ausgebaut werden sollten? In Wirklichkeit wirkt die Laufzeitverlängerung doch wie eine Bremse, weil nicht mehr genügend Volumen für die erneuerbaren Energien unter Beibehaltung der heutigen Wachstumsgeschwindigkeit vorhanden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herr Fell, die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Ich sage Ihnen ganz offen: Um die Träger erneuerbarer Energien ans Netz zu bringen und in den Markt zu integrieren, brauchen wir zwei Dinge: einerseits eine bessere Netzinfrastruktur, sowohl im Übertragungs- als auch im Verteilungsnetzbereich, andererseits Speichertechnologie. Überall, wo man Netze ausbauen oder Speicher aufbauen will - beispielsweise den Schluchseespeicher im Schwarzwald; man versucht dort, ein 1000-Megawatt-Pumpspeicherkraftwerk zu errichten -, gibt es vor Ort grüne Gruppen, die gegen diese Projekte demonstrieren. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Dr. Daniel Volk [FDP]: Aha!) Sie behaupten, dass diese Projekte den Kernkraftausbau begünstigen. Das, was Sie hier sagen, passt nicht zu dem, was Ihre Parteifreunde vor Ort machen. Diesen Widerspruch müssen Sie einmal auflösen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es gibt die Probleme mit dem Netzausbau, die ich gerade beschrieben habe. Ein weiterer wichtiger Bereich sind die Speichertechnologien. Außerdem müssen wir die Frage beantworten, wie wir die erneuerbaren Energien in den Wettbewerb bringen. Auch damit wird in den nächsten Jahren eine ganz große Herausforderung verbunden sein. Wenn ich mir das Ganze ernsthaft anschaue, dann komme ich zu der Überzeugung, dass wir den von Rot-Grün beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie im Jahre 2022 leider nicht schaffen können. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie nicht!) Ich bin davon überzeugt, dass wir ihn auch 2025 nicht schaffen werden. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber eine Menge Wissenschaftler sehen das anders!) Auch 2030 werden wir ihn wahrscheinlich nicht schaffen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Deshalb brauchen wir die Laufzeitverlängerung. Ich sage Ihnen: Die Menschen wissen, dass wir die Laufzeitverlängerung brauchen, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen die Menschen eben nicht! Selbst die Kanzlerin hat das Gegenteil unterschrieben!) weil wir diese Herausforderung nicht so bewältigen können, wie wir es wollten. Wenn Sie ganz ehrlich sind, dann stimmen Sie uns doch zu. Eigentlich sind Sie dankbar, dass wir dieses Thema in den nächsten Monaten endlich anpacken. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Für den Satz haben Sie aber lange gebraucht!) Meine Damen und Herren, ich warne davor, dass wir auch in dieser Debatte irgendwelche Zahlenspielchen machen. Die einen sagen: Wir brauchen vier bis acht Jahre. Die anderen sagen: Wir brauchen 28 Jahre. Die besonders Schlauen sagen: Richtig ist die goldene Mitte; wir brauchen 15 Jahre. Ich glaube, so vorzugehen, ist keine seriöse Energiepolitik. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Wir brauchen in den nächsten Monaten eine solide Datenbasis. Eine solche Basis werden wir Ende August bekommen: Am 27. August erhalten wir die Szenarienberechnungen der Institute. Dann muss aufgeschlüsselt sein, was in den nächsten Jahren technisch machbar ist (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch gar nicht prüfen lassen! Sie haben doch 100 Prozent Erneuerbare gar nicht prüfen lassen!) und an welchen Stellschrauben wir ansetzen müssen. Wenn wir wissen, was das kostet, müssen wir überlegen, wie wir diese Kosten decken können und welche gesetzlichen Rahmenbedingungen notwendig sind. Unsere Überlegungen werden wir dann in ein Energiekonzept gießen. Das ist für mich eine verlässliche Politik in Sachen Energie. Ich glaube, es lohnt sich, sich im Herbst ganz viel Zeit zu nehmen. Ich sehe jetzt die große Chance, die Laufzeitverlängerung, die ich für notwendig halte, zu gestalten. Damit sind viele Themen verbunden. In vielen Punkten kommen wir sicherlich zueinander; manchmal werden wir vermutlich gegeneinander arbeiten. Ein Thema ist die Brennelementesteuer. Sie wird in diesem Zusammenhang eine große Rolle spielen. Eine Laufzeitverlängerung wird es nicht zum Nulltarif geben. Wir haben immer gesagt: Die Laufzeitverlängerung wird es nur in Verbindung mit der Abschöpfung von Zusatzgewinnen geben, und die so eingenommenen Mittel werden in Zukunftsprojekte investiert. Ein ganz wichtiges Projekt ist für mich hierbei die Energieeffizienz. Wir sind uns einig, dass wir in diesem Bereich viel mehr machen müssen. Wir dürfen an diese Aufgabe nicht nur ordnungspolitisch und durch die Stärkung des Wettbewerbs, was ich ebenfalls für wichtig und sinnvoll erachte, herangehen, sondern wir müssen auch Geld investieren, gerade im Gebäudesanierungsbereich. (Ulrich Kelber [SPD]: Deswegen haben Sie dort gekürzt!) - Auch ich bin damit nicht einverstanden, lieber Herr Kelber. - Wir müssen schauen, wie wir diese Mittel verstetigen. Ich sehe eine gute Chance, durch die Abschöpfung von Zusatzgewinnen den Übergang in das regenerative Zeitalter sinnvoll zu gestalten. Wir müssen in diesem Zusammenhang auch die Endlagerfrage klären. Ich bin dankbar, dass wir in der jetzigen Koalition dieses Problem der Endlagerung endlich angehen. Sie haben das über Jahre verhindert, (Ulrich Kelber [SPD]: Vorsicht! Wir fragen wieder nach!) haben dieses Thema aufs Abstellgleis geschoben. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Ja, nichts getan!) Wir packen es an. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU]) Das ist ein Schritt in die richtige Richtung: die Probleme lösen und nicht ständig nur Hindernisse sehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ein weiterer Punkt ist das Sicherheitskonzept. Auch das wird bei der Laufzeitverlängerung eine Rolle spielen. Wenn wir die Kernreaktoren hier - sie gehören schon heute zu den sichersten der Welt - länger laufen lassen wollen, dann müssen wir den Anspruch, den wir eh schon haben, noch einmal erhöhen und schauen: Wo gibt es Stellschrauben, mit deren Hilfe wir die Bedenken der Bevölkerung aufnehmen können? Wie können wir Sicherheit noch einmal neu und besser definieren? Dazu wird es bis Ende Juli Vorschläge der Bundesregierung geben. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Wirtschaftsminister will weniger Sicherheit als der Umweltminister!) Wir werden dann schauen, wie wir die konkret umsetzen. Das muss im Gesamtpaket eine wichtige Rolle spielen. Der letzte Punkt, liebe Frau Höhn, ist der Wettbewerb, und er ist wichtig. Das nehmen wir gern von Ihnen auf. Auch ich mache mir Sorgen über die Oligopolstruktur im Strombereich. 60 Prozent des Strommarkts werden über die vier großen Energieversorgungsunternehmen gehandelt. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Und das wollen Sie verlängern! - Gegenruf des Abg. Dr. Daniel Volk [FDP]: Unsinn!) Wir wollen schauen, wie eine Laufzeitverlängerung da hineinspielt. Das müssen wir einmal untersuchen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man leicht ausrechnen!) Darüber müssen wir sprechen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst verlängern und dann mal gucken!) Wir müssen schauen, welche Instrumente wir finden, um die Oligopolstruktur für die Zukunft aufzuheben; denn ein ganz großes Thema ist, den Wettbewerb im Strommarkt in den nächsten Jahren zu stärken, um stabile Preise für die Zukunft zu gewährleisten. Unsere Energiepolitik - ich glaube, das kann man nicht oft genug sagen - beruht auf drei Säulen. Wir wollen sichere und verlässliche Energie für die Zukunft. Wir wollen vor allen Dingen saubere und klimafreundliche Energie für die Zukunft. Dabei spielt auch die Kernenergie - das nur als Nebensatz - wegen der CO2-Freiheit eine ganz besondere Rolle. Wir wollen letztendlich eine bezahlbare und - das sage ich ganz offen - günstige Energie, nicht nur für Großfamilien mit vielen Kindern, die auch einen entsprechend hohen Energieverbrauch haben, sondern auch für die Industrie, weil sie für die Arbeitsplätze in Deutschland ganz wichtig ist. Auch das ist Kernbestandteil unserer Energiepolitik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben überhaupt keine Energiepolitik! Das ist das Hauptproblem!) - Warten Sie es einmal ab! Uns wird im September von der Bundesregierung ein Energiekonzept vorgelegt. Das werden wir diskutieren. Dazu wird der Bundestag viele Entscheidungen treffen müssen. Das werden wir also viel diskutieren. Wir machen ein Energiekonzept aus einem Guss - ich glaube, das ist dringend notwendig -, (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Atomkonzept aus einem Guss!) bei dem die Kernenergie eine Rolle spielt, bei dem aber der Ausbau der erneuerbaren Energien im Vordergrund steht. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz für die nächsten Jahre. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Oliver Kaczmarek von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Oliver Kaczmarek (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute im Deutschen Bundestag über die Brennelementesteuer debattieren, dann müssen wir zunächst einmal festhalten, dass die Vorzeichen erfreulicher sind als in der vergangenen Zeit; denn als Sigmar Gabriel noch als Bundesumweltminister diese Idee vorgebracht hat, (Dr. Daniel Volk [FDP]: Ist er gescheitert!) wurde ihm insbesondere aus den Reihen des damaligen Koalitionspartners, aus den Reihen der Union, "reine Ideologie" vorgeworfen: so etwa von Herrn Oettinger. Herr Dobrindt hat ihn sogar einen Ökostalinisten genannt. Dass die derzeitige Regierungskoalition sich nun im Grundsatz dieser Forderung angeschlossen hat, ist als Erfolg zu werten. Sie hätten es aber schon während der Großen Koalition haben können. Das gehört zur Wahrheit dazu. (Beifall bei der SPD) Mir scheint die Debatte in der Koalition aber immer noch ideologisch aufgeladen zu sein. Seit dem Gespräch, das der Bundesfinanzminister mit den Spitzen der Atomkonzerne geführt hat, ist auch wieder weniger deutlich, was eigentlich konkret umgesetzt werden soll. Dabei geht es in dieser Frage im Prinzip um einen simplen Sachverhalt. Derzeit muss der Steuerzahler für viele Kosten aufkommen. Es entstehen nämlich Kosten für den Rückbau kerntechnischer Anlagen, für die Sanierung der Endlager, teilweise zumindest, für die kerntechnische Forschung oder für die Sicherung der Castor-Transporte. Das sind Kosten, die der Steuerzahler nicht verursacht hat, aber von der Atomindustrie, wenn man so will, externalisiert werden. Die Beträge fließen bei den Atomkraftwerksbetreibern direkt in die Gewinne. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb führen wir keine ideologische Diskussion, sondern eine sachliche Diskussion über die Lastenverteilung bei den ökologischen und gesellschaftlichen Kosten der Atomenergie und über Wettbewerbsgleichheit. Deswegen - das will ich noch einmal sagen - ist es kein ideologischer Ballast, sondern vor allem eine ökonomische Notwendigkeit, über die wir heute Morgen diskutieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Allerdings - bei aller Freude, dass die Koalition auf diese Linie eingeschwenkt ist - fehlt ihr offenbar die Einsicht in die Notwendigkeit dieser Steuer; denn zu deutlich ist der Zusammenhang, der hier im Kontext von Sparpaket und Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke hergestellt wird. Die Bundesregierung will offensichtlich angesichts der dramatischen und von nahezu allen Kommentatoren festgestellten sozialen Schieflage ihres Sparpaketes den Anschein erwecken, auch die Großen zu schröpfen und ihnen etwas abzunehmen für die Sanierung des Staatshaushaltes. In Wahrheit geht es jedoch vor allem um die Akzeptanz für die Laufzeitverlängerung; denn die Atomenergie hat in Deutschland keinen guten Ruf. Sie wird von den Menschen einfach nicht akzeptiert. Das ist, wie der Umweltminister jüngst richtig festgestellt hat, auch nach 40 Jahren noch so. Es stellt sich langsam die Frage, warum wir über das Thema Laufzeitverlängerung jetzt diskutieren, wenn doch in den letzten 40 Jahren keine Akzeptanz bei den Menschen erreicht werden konnte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dennoch hat sich die derzeitige Regierungskoalition vorgenommen, gegen den gesellschaftlichen Widerstand die Laufzeiten für die 17 in Deutschland noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke zu verlängern. Diesen Widerstand dagegen reden wir nicht herbei. Ihn kann man sehen. Jüngst konnte man ihn - ich glaube, es war Ende April - bei einer Menschenkette mit mehr als 100 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen den Kernkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel beobachten. Die sachlichen Erwägungen gegen eine Laufzeitverlängerung sind gestern im Umweltausschuss breit debattiert und von den Experten ausführlich dargestellt worden. Es ist noch einmal deutlich gemacht worden, dass wir hier nicht über eine absolut sichere und risikofreie Technologie reden, sondern dass es Sicherheitsrisiken gibt. Dies wird insbesondere bei den ältesten Atomkraftwerken, deren Laufzeiten Sie verlängern wollen, deutlich: Das Atomkraftwerk Krümmel, 1983 in Betrieb genommen, hat seit 1994 82 sicherheitsrelevante Ereignisse gemeldet, Brunsbüttel, 1976 in Betrieb genommen, hat 80 und Biblis A, das älteste noch in Betrieb befindliche Atomkraftwerk Deutschlands, hat 66 solcher Ereignisse gemeldet. Auch wenn die Anzahl der im Jahresdurchschnitt gemeldeten Ereignisse gering erscheint - ich stelle mir die Frage, ob es bei einer solchen Hochrisikotechnologie tatsächlich eine Toleranzschwelle bei der Anzahl von Sicherheitsereignissen geben kann -, so ist doch Fakt: Die Stillstandszeiten sind in keinem anderen industriellen Bereich so hoch wie in Atomkraftwerken. Fakt ist auch, dass sie mit längerer Lebensdauer eben nicht weniger stör- und verschleißanfällig werden. Deswegen stellt eine Laufzeitverlängerung natürlich ein Sicherheitsrisiko dar. Zumindest verstößt sie gegen das Sicherheitsempfinden der Menschen. Das sollten wir im Deutschen Bundestag akzeptieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die Brennelementesteuer darf deshalb aus unserer Sicht nicht zum Alibi für eine Laufzeitverlängerung werden. Offensichtlich geht es der Bundesregierung auch darum, sich nachlassende Sicherheit in den älteren Atomkraftwerken mit dem Geld aus der Brennelementesteuer teuer bezahlen zu lassen. Aber ich sage auch ganz deutlich: Diese Art von Ablasshandel für Biblis A und andere alte Reaktoren werden wir und vor allem die Menschen im Land nicht mitmachen. Dagegen wird es Widerstand geben. Ich bin da sehr sicher. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Es ist deshalb mehr als nur Symbolik - es sei mir als Nordrhein-Westfale erlaubt, das hier anzusprechen -, es ist eine fundamentale energiepolitische und gesellschaftspolitische Entscheidung, wenn die neue Landesregierung von Nordrhein-Westfalen - ich bin sicher, sie wird dafür nicht nur im nordrhein-westfälischen Landtag die Mehrheit bekommen, sondern auch die Unterstützung der Menschen in Nordrhein-Westfalen - zusammen mit anderen Bundesländern im Bundesrat dafür sorgen wird, dass es keine Laufzeitverlängerung geben wird. Das ist ein Akt der politischen Vernunft und der Verantwortung und verdient Unterstützung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist dagegen unvernünftig, wenn die Koalition nun nach Wegen sucht, den Bundesrat auf der Grundlage zweifelhafter Gutachten zu umgehen. Es ist klar, dass sie damit einen neuen politischen und gesellschaftlichen Großkonflikt in dieser Republik mit allen Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen in Kauf nimmt. Diesen Konflikt und die damit verbundene Unruhe und Unsicherheit bei den Menschen zu riskieren, ist falsch in der Sache und stellt überdies eine Fehlkalkulation dar. Denn selbst wenn sie es wollte - so können wir nach den Erfahrungen der letzten Wochen und Monate sagen -, fehlte der jetzigen Regierungskoalition die Mehrheit im Volk, im Bundesrat und vor allem die politische Klarheit und Kraft, einen solchen Konflikt durchzustehen. Deswegen sollten Sie im eigenen Interesse davon Abstand nehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie erhalten die Unterstützung auch unserer Fraktion, wenn Sie eine ernst gemeinte Brennelementesteuer einführen wollen. Aber Sie werden den Widerstand nicht nur der Opposition hier im Haus, im Bundesrat oder vor dem Bundesverfassungsgericht, sondern vor allem in der gesamten Republik, in Gorleben, in Lüchow-Dannenberg, in Ahaus, Brunsbüttel und anderswo erleben, wenn Sie dieses Vorhaben an eine Laufzeitverlängerung koppeln wollen. Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Kaczmarek, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. (Beifall) Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kauch von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Kauch (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kaczmarek hat angesprochen, welche Großtaten die neue nordrhein-westfälische Koalition in rot-grüner Färbung vollbringen will. Ich habe mir gestern die Mühe gemacht, in diesen Koalitionsvertrag hineinzuschauen. Da wird die ganze Aberwitzigkeit Ihrer Klimapolitik deutlich; denn wegen Ihres grünen Koalitionspartners verzichten Sie auf das Kraftwerkserneuerungsprogramm. Die Grünen werden jetzt sagen: Prima. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!) Heimlich, still und leise steht im rot-grünen Koalitionsvertrag - zuerst dachte ich, es ist ein Druckfehler -, dass Sie die CO2-Emissionen um 25 Prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990 verringern wollen. Man denkt: Tolle Tat! Aber die alte Regierung wollte 33 Prozent, und im Bund haben wir 40 Prozent vorgesehen. Das heißt, Rot-Grün bedeutet weniger Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen, das ist doch absurd. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die alte Bundesregierung hat das gar nicht gemacht! - Dr. Frank Steffel [CDU/ CSU]: Das ist ein Skandal! Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht! - Dr. Daniel Volk [FDP]: Jetzt kommt Ihre Scheinheiligkeit ans Licht!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Kauch, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn? Michael Kauch (FDP): Ja. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte, Frau Höhn. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Kauch, können Sie bestätigen, dass sich Schwarz-Gelb in der letzten Legislaturperiode in Nordrhein-Westfalen gegen jede Windkraftanlage gestellt hat und dass sich dadurch die CO2-Reduktion in Nordrhein-Westfalen nicht gemindert hat? Sie sind massiv gegen erneuerbare Energien vorgegangen. Können Sie bestätigen, dass unter Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen die Kapazität der Kraftwerke enorm gestiegen ist? Damit stand zwar die Zahl - eine Reduktion von 33 Prozent bis 2020 - auf dem Papier, aber in der Politik ist das Gegenteil gemacht worden. Zu Ihrer Regierungszeit sind die CO2-Emissionen in Nordrhein-Westfalen gestiegen und nicht gefallen. Wir haben Ihre Altlasten jetzt abzutragen. Das ist die Wahrheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Dr. Daniel Volk [FDP]: Was hat das mit dem Koalitionsvertrag zu tun?) Michael Kauch (FDP): Liebe Frau Höhn, Sie kennen ebenso wie ich die Energieversorgungsstruktur in Nordrhein-Westfalen. Wir haben keine Kernkraftwerke, sondern wir haben vor allem Kohlekraftwerke. In Nordrhein-Westfalen stehen die größten CO2-Schleudern Europas. Die Politik von Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen war immer: Diese Dreckschleudern müssen durch moderne Kraftwerke ersetzt werden. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Fehler!) Genau das verhindern Sie. Deshalb sind Sie diejenigen, die in Ihrem Koalitionsvertrag offenbaren, dass man mit Ihrer Politik weniger CO2 einsparen kann als mit unserer Politik. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt es raus!) Im Übrigen, wenn man in Ihrem Koalitionsvertrag weiterliest, dann erfährt man, dass Sie keinen eigenen müden Euro aus Ihrem Landeshaushalt dafür aufwenden wollen, dass Klimaschutzprojekte auf den Weg gebracht werden. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch gar nichts eingespart!) Zur Finanzierung Ihrer Klimaschutzprojekte heißt es im Koalitionsvertrag: Der Bund muss quotiert 44 Prozent der Emissionshandelserlöse an Nordrhein-Westfalen abgeben. Sie wollen nur Klimaschutz betreiben, wenn es der Bund bezahlt. Das ist Ihr Versagen in Nordrhein-Westfalen. Davon können Sie nicht ablenken. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Kauch, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Kelber? Michael Kauch (FDP): Gerne. Das verlängert die Redezeit. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann mal zum Thema!) Ulrich Kelber (SPD): Das stimmt, das verlängert Ihre Redezeit. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er muss doch mal zum Thema kommen!) Trotzdem ist die Frage wichtig. - Können Sie erstens bestätigen, dass unter der jetzigen Landesregierung die frühere Vereinbarung von Rot-Grün mit der Kraftwerkswirtschaft, in der vorgesehen ist, alte Kraftwerke sofort abzuschalten, wenn das neue am Netz ist, beispielsweise im rheinischen Braunkohlerevier, aufgehoben wurde und deswegen die alten Kraftwerke weiterlaufen? Das ist Realität, nicht Ziel. (Joachim Poß [SPD]: Ach!) Können Sie zweitens bestätigen, dass Sie den Klimaschutz als Ziel aus den Landesgesetzen herausgestrichen haben? Michael Kauch (FDP): Lieber Herr Kelber, wenn Sie auf Datteln anspielen - darum geht es ja offensichtlich -, (Ulrich Kelber [SPD]: Lex Eon!) dann kann ich nur sagen, dass dies das effizienteste Kohlekraftwerk ist, das wir momentan in Deutschland bauen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Zusätzlich!) Das genau ist der Unterschied. Wir machen Klimaschutz mit dem Emissionshandel und versuchen nicht, den Bau solcher Anlagen durch Gerichtsurteile zu torpedieren. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zusätzlich emittieren!) Wir wollen, dass diese modernen Kraftwerke die Dreckschleudern ersetzen, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun Sie ja nicht!) deren Betrieb die rot-grüne Regierung, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Tagebau Garzweiler, ermöglicht hat, Herr Kelber. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Jetzt kommen wir zurück zum Thema, zu dem, was wir auf Bundesebene tun, zur Brennelementesteuer. Für die Brennelementesteuer werden im Kabinettsbeschluss sehr klug zwei Gründe genannt: Erstens geht es um die Kosten der Asse. Die FDP hat diesen Punkt in den Koalitionsverhandlungen sehr nachdrücklich unterstützt. Wir sagen: Wenn es Altlasten gibt, die dadurch entstanden sind, dass in der Vergangenheit viele Menschen Fehler gemacht haben, dann kann man das hinterher nicht einfach dem Stromkunden oder dem Steuerzahler vor die Füße werfen, sondern dann müssen sich auch diejenigen, die von diesem Bergwerk profitiert haben, beteiligen; das ist neben staatlichen Forschungseinrichtungen die Kraftwerkswirtschaft. Ganz klar ist: Die Asse wird maximal etwa 4 Milliarden Euro kosten. (Ulrich Kelber [SPD]: Das wissen Sie schon jetzt! - Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: "Maximal"!) Das entspricht den Einnahmen von zwei Jahren aus der Brennelementesteuer. Dadurch ist diese Steuer sehr klar legitimiert. Das Zweite ist die Ungleichbehandlung, die es ab 2013 geben würde, wenn wir keine Abschöpfung der Gewinne vornehmen würden. Momentan haben wir in der Tat eine Steigerung bei den Strompreisen; Frau Bulling-Schröter, ich war erstaunt, dass von einer Linken eine sachliche volkswirtschaftliche Darstellung kam. Dadurch, dass die Zertifikate, die man kostenlos bekommen hat, eingepreist wurden, haben die Unternehmen mehrere Milliarden Euro Zusatzgewinne gemacht. Jetzt haben wir fraktionsübergreifend durchgesetzt, dass die Zertifikate für die Kohlewirtschaft ab 2013 voll versteigert werden. Es wäre eine Wettbewerbsungleichheit, wenn wir es bei den mit Kernkraft produzierenden Unternehmen weiterhin so belassen würden. (Ulrich Kelber [SPD]: Jetzt wird versteigert!) Deshalb ist die Zielsetzung der Brennelementesteuer, die das Kabinett beschlossen hat, richtig. Dennoch sage ich: Natürlich gibt es einen politischen Zusammenhang zur Laufzeitverlängerung. Für uns ist das durchaus ein Paket. Ich sage aber auch: Für die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke ist das, was die Regierung hier vorlegt, nicht das Ende der Fahnenstange. Das ist nicht die Abschöpfung der Gewinne aus der Laufzeitverlängerung. Ich sage auch sehr deutlich: In den Wahlprogrammen von Union und FDP finden wir die Aussage, dass ein Teil der Erlöse, die aus der Laufzeitverlängerung resultieren, im Bereich erneuerbare Energien zu verwenden ist. Genau das lässt der Kabinettsbeschluss weiterhin zu. Wir haben 2,3 Milliarden Euro für den Haushalt. Ich glaube, der Finanzminister hat damit das, was er bekommen muss. Wenn wir für die Laufzeitverlängerung noch eine Schippe drauflegen, dann muss auch deutlich werden, dass der Bereich der erneuerbaren Energien davon profitiert. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Dezember 2009 postulierte die Bundesregierung in Fortsetzung ihrer Politik, sie plane keine Einführung der Brennelementesteuer. Im Juni 2010 kommt Ihnen die Erkenntnis dann doch, weil die Atomindustrie von dem Handel mit den CO2-Zertifikaten über höhere Strompreise profitiert. Das sind jährlich immerhin 3,4 Milliarden Euro. Allerdings sagen Sie - ich zitiere aus Ihrem Programm "Die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken" -: Es wird "im Rahmen eines Gesamtenergie-Konzepts notwendig sein, die Laufzeiten von Kernkraftwerken zu verlängern." (Michael Kauch [FDP]: Tolles Programm!) Zukunft stärken und Laufzeitverlängerung sind ein Widerspruch in sich, sagt die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Im Klartext: Die ganze Aktion der Brennelementebesteuerung ist ein ausgeklügelter Deal zwischen Ihnen und der Atomlobby; denn durch diesen billigen Trick wollen Sie den hart erkämpften Atomkompromiss aufweichen und damit ein späteres Abschalten aller Atomkraftwerke in Deutschland erreichen. Nun komme ich zu Ihrem tollen Plan. Sie wollen mit der Brennelementesteuer 2,3 Milliarden Euro jährlich einnehmen, unter anderem zum Zwecke der Sanierung - wie Sie selbst sagen; ich zitiere noch einmal -: Allein durch die Stilllegung und den Rückbau von kerntechnischen Anlagen - einschließlich voraussichtlicher Kosten für die Endlager von Atommüll - wird der Bund erheblich belastet. Selbst die Zwischenlager sind derzeit in einem skandalösen Zustand. Es gibt noch gar kein Endlager. Die Kosten für Lagerung und Sanierung der Lagerstätten haben sich vervielfacht; es wurde schon vorhin die Zahl von über 7 Milliarden Euro genannt. Nun planen Sie frisch und fröhlich eine Laufzeitverlängerung. In diesem Zusammenhang frage ich Sie: Wieso soll denn der Bund, das heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die Folgekosten für die Endlagerung tragen? Wieso sollen das nicht die Verursacher, die Atomwirtschaft, tun, und zwar selbstverständlich in voller Höhe? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat Ihnen ausdrücklich aufgeschrieben, dass es möglich ist, dass Deutschland als Industriestandort bei Weiterentwicklung der bisherigen erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2050 allen Strom aus diesen erneuerbaren Energien bezieht. Hierfür brauchen wir natürlich einen konsequenten Umbau hin zu den erneuerbaren Energien. Dazu braucht man eben - das wurde bereits erwähnt - umfangreiche Mittel für die Netzerneuerung und für das Erschließen neuer Speicherkapazitäten. Selbst der Bundesumweltminister, Herr Röttgen, bestätigte, dass der Anteil der erneuerbaren Energien 2022, konservativ gerechnet, auf knapp 40 Prozent gestiegen sein wird, sodass dann tatsächlich alle AKWs in Deutschland abgeschaltet werden könnten. Sie erinnern sich: Hierzu liegt eine Studie aus dem Jahre 2009 vor; inzwischen wird das oft verschwiegen. Das heißt, eine Verlängerung der Laufzeiten ist völlig irrational und falsch. Wir fordern deshalb einen schnellstmöglichen Atomausstieg und nicht erst 2022. (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern das auch deshalb, um die Folgekosten aus der Nutzung der Atomkraft zu reduzieren. Wir wollen, dass die Atomwirtschaft die von ihr verursachten Kosten in vollem Umfang trägt. Führen Sie deshalb als ersten Schritt die Brennelementesteuer so ein, dass mindestens 5 Milliarden Euro jährlich an Einnahmen erzielt werden. Diese Einnahmen sollten dann für einen Energiesparfonds verwendet werden, um die Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Nun möchte ich noch eine kurze Bemerkung zu Herrn Fuchs machen, der nachher noch spricht. (Zuruf von der FDP: Jetzt schon? - Heiterkeit) Sie haben in der vergangenen Woche das Erneuerbare-Energien-Gesetz als Begründung vorgeschoben, um Atomenergie weiterhin zu legitimieren. Ich sage Ihnen: Das ist schlicht eine Frechheit und ein Schlag ins Gesicht all der Menschen, die heute im Bereich der Erzeugung erneuerbarer Energien arbeiten. (Beifall bei der LINKEN) Sie sagten letzten Donnerstag, dass die Energiekosten für einen Vier-Personen-Haushalt im Rahmen des EEG ab dem nächsten Jahr um circa 200 Euro steigen würden. Deshalb brauchten wir auch weiterhin den ach so billigen Atomstrom. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Richtig!) Ich staune immer wieder über Ihre Kurzsichtigkeit. Sie sind es doch, die vernünftige Rahmenbedingungen schaffen könnten. Sie könnten erneuerbare Energien über eine vernünftige Steuergesetzgebung billiger machen. Wenn Sie beim Preis für den Atomstrom alle Folgekosten mit einfließen lassen würden, wäre Atomstrom eben nicht billig. Er ist schon heute viel teurer als der Strom aus erneuerbaren Energien. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Höll, kommen Sie bitte zum Schluss. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Schieben Sie den Schwarzen Peter nicht auf andere. Handeln Sie endlich selbst einmal weitsichtig; das ist notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich finde es bemerkenswert, dass wir die Diskussion offenbar so reflexhaft miteinander führen können, dass man, Frau Höll, bereits im Vorhinein auf einen nachfolgenden Redner eingehen kann; das ist schon etwas Besonderes. Ich bin jetzt nicht enttäuscht - das sage ich Ihnen ganz offen -, dass es keine Loblieder auf das gibt, was wir hier als Koalition planen, nämlich eine Brennelementesteuer, obwohl ich zugebe, dass ich schon das eine oder andere wohlwollende Wort erwarte, wenn man Dinge umsetzt, die andere vorher angeblich so gefördert haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist denn umgesetzt? Es ist doch noch nicht einmal im Bundestag!) Meine Damen und Herren von den Grünen, ich habe Ihren Antrag gelesen. Sie versuchen ja jetzt - husch, husch -, mit einem Anträglein nörgelnd auf dieses Trittbrett aufzuspringen und so zu tun, als sei man bei dem Thema dabei. Sie verwechseln bei dieser Gelegenheit Rücklagen und Rückstellungen, weil es aus Ihrer Sicht offenbar ökonomisch keine Rolle spielt. Damit zeigen Sie, welcher ökonomische Sachverstand hinter dem steht, was Sie beantragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keine Ahnung!) Ich sage auch ganz offen an die Adresse der SPD: Der SPD-Antrag ist ein verkrampfter Versuch, einen Zusammenhang mit Sigmar Gabriel herzustellen. Darin steht: "Anknüpfend an die Bestrebungen von Sigmar Gabriel ...". Die Brennelementesteuer, die wir beschließen, hat mit vielen Dingen zu tun, aber garantiert nichts mit Gabriel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]) Ich möchte das herausarbeiten, was die Kollegin Reinemund von der FDP unterstrichen hat. Es gibt keine Zweckbindung von Steuern. Es ist ganz wichtig, dass wir uns das hinter die Ohren schreiben. Wenn man bestimmte Dinge politisch durchsetzen will, wird oft anderes behauptet; aber diese Zweckbindung gibt es nicht. Deshalb sage ich an dieser Stelle ein bisschen nachdenklich, dass ich mir persönlich mit dem Geld durchaus eine Fondslösung zugunsten der Erforschung alternativer Energien hätte vorstellen können; das hätte den Haushalt auch entlastet. Aber sei es drum. Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit nutzen, um ein paar Fakten klarzustellen. Die Mär von der nichtverursachergerechten Kostentragung muss man abräumen. Entsprechend dem Atomgesetz werden bei Konrad die Versorger einen Anteil von 64,4 Prozent der Kosten zu tragen haben; das ist verursachergerecht. In Gorleben müssen die Versorger 96,5 Prozent der Kosten tragen. Das muss man doch einmal sagen. Man darf nicht immer einen anderen Eindruck erwecken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Themen Asse, ein ehemaliges Forschungsendlager des Bundes, und Morsleben, eine Altlast aus der ehemaligen DDR - deshalb würde ich den Linken empfehlen, an dieser Stelle ein bisschen leiser zu treten -, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Ich komme aus Bayern!) bleiben offen und werden den Haushalt belasten. Man braucht Einnahmen, mit denen man die Kosten ausgleichen kann. Nun haben Frau Kotting-Uhl, Frau Höll und etliche andere von einem Handel mit den Versorgern gesprochen, einem Deal mit Brennelementesteuer auf der einen Seite und Laufzeitverlängerungen auf der anderen Seite. Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, wer einen Deal gemacht hat: Sie im Jahr 2000. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Sie haben einen Deal gemacht. Die Verknüpfung zwischen der Brennelementesteuer und der Laufzeitverlängerung haben Sie damals verursacht, weil in diesem Deal ausdrücklich steht, dass es keine zusätzliche steuerliche Belastung der Kernenergie geben darf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Da steht: steuerliche Benachteiligung! Benachteilung und nicht Belastung!) Deshalb kann man, wenn man aus dem Thema Ausstieg aussteigt, eine Brennelementesteuer erheben. Wenn man aber bei dem bleibt, was zwischen Ihnen und den Versorgern damals vereinbart wurde, sieht es schlecht aus. Diese Verknüpfung haben Sie vollständig zu verantworten. Das möchte ich an dieser Stelle eindeutig sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Thema Windfall-Profits. Ja, da gibt es ungerechtfertigte Profite, die ökonomisch begründbar, politisch aber problematisch sind. Dass man dafür Sorge tragen muss, dieses Geld wiederzubekommen, ist unstrittig. Aber aus meiner Sicht muss das über den Emissionshandel, nämlich die vollständige Versteigerung, die bisher europapolitisch verwehrt war, erfolgen. Es ist doch völlig falsch, gerade dort anzuknüpfen, wo wir kein CO2-Problem haben, nämlich bei der Kernenergie. Das wäre doch widersinnig. Man muss einmal in aller Deutlichkeit sagen, dass diese Verknüpfung problematisch ist. Ich sage das ganz offen und offensiv. (Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Finanzministerium hat sie gerade wieder hergestellt!) - Liebe Frau Höhn, deshalb ist es gut, wenn neben den Finanzpolitikern der eine oder andere Fachpolitiker etwas sagt. Ich sage ganz klipp und klar: Um die Windfall-Profits aus dem Emissionshandel abzuschöpfen, sollte man aus meiner Sicht nicht da anknüpfen, wo der Emissionshandel konterkariert wird. Das wäre falsch. Sie haben aber richtig argumentiert, dass die Einnahmen in Höhe von 2,3 Milliarden Euro jährlich auch für andere Dinge notwendig sind. Ich sage dazu nur eines: Ihr Argument fällt aus meiner Sicht weg; es spricht nicht gegen die Brenn-elementesteuer. Auch das muss man einmal deutlich herausstellen. Abschließend möchte ich sagen: Nachdem ich vorhin den vollzogenen Handel so lang und breit erläutert habe, ist es mir ein Anliegen, die Doppelzüngigkeit dieser Debatte herauszuarbeiten. Es ist aus meiner Sicht doppelzüngig, jemandem einen Handel vorzuwerfen, wenn man selbst einen Handel gemacht hat. Ich möchte deutlich herausstellen, wie Sie sich, insbesondere die Grünen, bei diesem Deal im Jahr 2000 verbogen haben. Sie haben damals in den Wahlkämpfen immer von unverantwortbaren Risiken gesprochen, von der Notwendigkeit eines sofortigen Ausstiegs aus der Kernkraft, weil diese mit Risiken verbunden sei, die nicht hinzunehmen seien. Dann haben Sie bzw. der Staatssekretär Barke, damals die rechte Hand von Trittin, am 14. Juni 2000 eine Vereinbarung unterschrieben - ich habe sie hier -, wonach die Kernkraftwerke einen hohen Sicherheitsstandard haben. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Sie gerade abgesenkt haben! - Zuruf von der FDP: Wo ist denn der Trittin? - Gegenruf des Abg. Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Der traut sich nicht heraus, der Trittin!) Das haben Sie paraphiert. Sie haben also gesagt: Es ist unverantwortlich; aber obwohl es unverantwortlich ist, können wir das Ganze für weitere 20, 25 Jahre vertreten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon einmal was von Eigentumsrechten gehört?) Sie müssen uns erklären, woher die Motivation dazu kam, warum Sie das getan haben. Ich befürchte, es ging um etliche Dienstwagen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen Ihre eigenen Gedanken nicht auf uns übertragen!) Wenn es zumindest Dienstfahrräder gewesen wären, hätte ich das bei den Grünen noch verstanden. Sie sollten einmal über Ihre Politik nachdenken: Sie gehen für Dienstwagen solche Risiken ein - zumindest behaupten Sie, es sei riskant; im Hintergrund sehen Sie es vielleicht auch so, dass die Kernkraft sehr wohl kalkulierbar und beherrschbar ist -, schüren im Wahlkampf Angst und vereinbaren in der politischen Realität, wenn Sie auf den Boden der Tatsachen zurück sind, mit den Versorgern etwas anderes. Vielleicht kann Frau Höhn, die nach mir spricht, ein bisschen Licht in diese Sache bringen und sagen, warum Sie das getan haben. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn von Bündnis 90/Die Grünen. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Nüßlein hat uns jetzt demonstriert, dass er offensichtlich heimliche Wünsche hat, einmal in einem Dienstwagen zu sitzen. Sie sollten das aber nicht anderen unterstellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Wir machen Politik für die Menschen, nicht für die Dienstwagen. Belassen Sie es also bei Ihren eigenen heimlichen Wünschen. Wenn wir heute über die Brennelementesteuer reden, dann tun wir das, weil wir über ein Sparpaket reden. Es ist gut, über die Brennelementesteuer zu reden; denn es handelt sich vom Grundsatz her um eine alte grüne Forderung, es ist ein richtiges Instrument. Das begrüßen wir. Ich finde, dass Finanzminister Schäuble bei diesem Thema bisher eigentlich ziemlich gerade gestanden hat. Man muss allerdings sagen: Seit gestern hat er seine Taktik vollkommen verändert; er ist vollkommen von dem abgerückt, was er bisher behauptet hat. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Spannend ist, dass er wochenlang seitens des Finanzministeriums gefordert hat, dass diese Brennelementesteuer kommt, er sie aber gestern infrage gestellt hat. Warum? Was ist in der Zwischenzeit passiert? Vertreter der vier großen Energiekonzerne haben dem Finanzministerium einen kurzen Besuch abgestattet. Da muss man sagen: Das ist ein dreckiger Deal. Wir wollen ihn nicht unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das ist ein Einknicken vor der Atomlobby auf eine Art und Weise, die wir bisher noch nicht erlebt haben. Das ist wirklich ungeheuerlich. (Holger Krestel [FDP]: Sie kennen sich ja bestens aus!) Stellen Sie sich einmal vor, es würde jeder, bei dem eine Steuer anfällt, ins Finanzministerium eingeladen und man dürfte verhandeln. Das wäre interessant. Warum lädt eigentlich das Finanzministerium nicht die Hartz-IV-Empfänger ein, bei denen Sie gerade das Elterngeld streichen? Das wäre vielleicht ein fairer Ausgleich. Sie tun das aber nicht; denn Ihre Lobbyinteressen liegen eindeutig bei der Atomwirtschaft, nicht bei den Hartz-IV-Empfängern. Das ist der Unterschied. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Widerspruch bei der CDU/ CSU) Der erste Punkt ist, dass der Finanzminister gesagt hat: Von der Brennelementesteuer rücken wir eher ab; wir suchen nach Alternativen. Die Kollegin Reinemund hat eben bestätigt, dass jetzt andere Punkte in der Debatte sind. Der zweite Punkt ist genauso gefährlich. Bisher hat der Finanzminister immer gesagt, dass die Brennelementesteuer unabhängig von den Laufzeiten kommen soll. Ich wiederhole: unabhängig von Laufzeiten. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das haben Sie ja verhindert!) Noch am 11. Juni dieses Jahres hat er gesagt, die Brennelementesteuer sei unabhängig vom Beschluss über längere Laufzeiten der Atomkraftwerke. Anders als Sie, Herr Fuchs, hat Herr Schäuble bisher eine kluge Meinung vertreten. Denn es ist ganz entscheidend, dass die Brennelementesteuer unabhängig von der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in diesem Land ist. Ich sage Ihnen: Das ist absolut wichtig. Auch die Kanzlerin hat das bestätigt und damit Leuten wie Ihnen, Herr Fuchs, einen Riegel vorgeschoben. Gestern sagte der Finanzminister: Dass die Brennelementesteuer in einem politischen Zusammenhang mit der Frage der Restlaufzeiten stehe, sei völlig unbestritten. Das ist nichts anderes, als dass Sie sagen: Sicherheit gegen Geld. Sie wollen die Laufzeiten der alten Atomkraftwerke verlängern, um bei den Atomkonzernen Geld einsammeln zu können. Das ist ein Deal, den man nicht zulassen darf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wenn es um die Sicherheit von Atomkraftwerken geht, dann dürfen finanzielle Erwägungen keine Rolle spielen; das ist ganz entscheidend. Vor allen Dingen kommen Sie in eine große Bredouille. Wenn Sie Ihr Vorhaben nämlich, wie Sie es planen, am Bundesrat vorbei durchsetzen wollen, dann werden wir klagen. Wir von Grünen und SPD werden eine Normenkontrollklage auf den Weg bringen. Angesichts der Ergebnisse all der Gutachten, die uns vorliegen, bin ich sicher, dass wir recht bekommen werden. Sie werden den Ausstieg aus der Atomkraftnutzung nicht rückgängig machen können, indem Sie den Bundesrat umgehen. Dem werden wir einen Riegel vorschieben, und wir werden gewinnen. Sie kommen damit nicht einfach durch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Michael Fuchs [CDU/ CSU]: Ja, ja! Reden Sie nur! - Zuruf von der FDP: Warten Sie erst einmal die Wahl in NRW ab!) - Sie kommen damit nicht einfach durch. Dass vier Energiekonzerne einfach zum Finanzministerium gehen und dort Politik machen, ist ein unglaublicher Vorgang. Das müssen wir uns einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn ich höre, wie zum Beispiel der Fraktionsvorsitzende Kauder und die Fraktionsvorsitzende Homburger - ich sage es einmal so - den bösen Schein erwecken, als seien sie nichts anderes als die Sprecher von EnBW, sage ich Ihnen: Das wirft ein ganz schlechtes Licht auf Ihre Politik und Ihre Regierungskoalition. Das ist der Punkt: Diese Koalition vertritt die Interessen der großen Stromkonzerne und der Atomkonzerne, nicht mehr und nicht weniger. Das ist Ihr Fehler. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Zuruf von der FDP: Hören Sie doch endlich mal mit Ihrer künstlichen Erregung auf! Sie können von beiden noch viel lernen!) Das, was Herr Kauch zum Thema Wettbewerb gesagt hat, fand ich spannend. Denn der Chef des Kartellamts, ein FDP-Mann, hat gesagt, man darf der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nicht zustimmen, weil es auf dem Strommarkt dann keinen Wettbewerb mehr gibt, weil die großen Energiekonzerne die Preise in die Höhe treiben können und weil am Ende, egal wie hoch die Brennelementesteuer ist, die Verbraucherinnen und Verbraucher aufgrund dann höherer Strompreise große Gewinne in die Kassen der Energiekonzerne spülen werden. Das ist der Punkt. Ihr Mann an der Spitze des Kartellamts, ein FDP-Mann, sagt: keine Laufzeitverlängerung, damit die Preise für die Verbraucher nicht explodieren. (Ulrich Kelber [SPD]: Sein Vorgänger und sein Vorvorgänger haben das auch gesagt!) Das ist die Wahrheit über das Vorhaben, das Sie momentan auf den Weg bringen. Gleichzeitig muss man sehen, dass die Stadtwerke sagen: Wir können diese Laufzeitverlängerung nicht mit uns machen lassen, weil es dann keinen Wettbewerb mehr gibt. Dann können wir nicht mehr mithalten. Durch die Laufzeitverlängerung zerstören Sie den Wettbewerb auf dem Strommarkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Höhn, kommen Sie bitte zum Schluss. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. - 150 000 Menschen haben Ende April dieses Jahres gegen Ihren Ausstieg aus dem Atomausstieg demonstriert. 150 000 Menschen! (Zuruf von der FDP: Das ist doch die Minderheit! Es waren 150 000 von 82 Millionen!) All diese Menschen haben Sie nicht berücksichtigt. Ihre eigenen Leute in den Stadtwerken haben Sie nicht berücksichtigt. Umweltverbände und das Bundeskartellamt haben Sie nicht berücksichtigt. Wenn Sie nur die Interessen der Atomkonzerne vertreten, dürfen Sie sich nicht wundern, dass Sie dann letzten Endes nicht die Interessen des Volkes vertreten. Dafür sind Sie allerdings gewählt worden. Machen Sie sich nichts vor: Ihre schlechten Umfragewerte liegen an der Politik, die Sie machen. (Zuruf von der FDP: Schalten Sie doch endlich diese Phrasendreschmaschine ab! Das ist ja nicht auszuhalten!) Ändern Sie endlich Ihre Politik! Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Klaus Breil von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Breil (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir über die Einführung einer Brennelementesteuer. Darüber scheinen wir uns fast alle einig zu sein, doch die Gemeinsamkeiten verlieren sich leider im Detail. Sie nutzen nämlich diese Kostenerhebung als Generalangriff auf die Kernkraftindustrie. So sollen die Kernkraftbetreiber zum Beispiel die Entsorgung aller kerntechnischen Forschungsanlagen des Bundes gleich mitbezahlen. Wir hingegen schaffen einen angemessenen Ausgleich für die Kosten der Asse. Wir garantieren die Gleichbehandlung von Kohle und Kernkraft beim Emissionshandel. Für uns stehen zwei Ziele im Vordergrund: die Sanierung des Haushaltes und die regenerative Erneuerung unseres Energiewesens. Sie sehen also, dass wir in der Wirtschafts- und Umweltpolitik an einem Strang ziehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Gemeinsam in die falsche Richtung!) Sie aber operieren mit Zahlen und Forderungen, die aus der Luft gegriffen sind. Sie gaukeln uns etwas vor, was es nicht gibt. Sie führen die Bürger hinters Licht. Ihren Behauptungen nach wurden Kernkraftwerke vom Staat mit Finanzhilfen und Steuervergünstigungen von insgesamt 125 Milliarden Euro finanziert, eine Mär, die unters Volk zu bringen Sie nicht müde werden. (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU]) Für Sie scheint die Kernenergieindustrie so etwas wie ein großer Geldspeicher zu sein - wissen Sie, so einer wie bei Dagobert Duck -, und Sie sind die Panzerknacker: (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU]) Man muss das Ding nur anbohren, und schon sprudelt unablässig das Geld. So funktioniert das aber nicht. (Beifall bei der FDP) Die Betreiber von Kernkraftwerken erhielten keinerlei Steuersubventionen. Das wurde auch zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung immer wieder bestätigt. (Ulrich Kelber [SPD]: Wie bitte? - Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das ist Quatsch!) Lediglich im Bereich der Entwicklung und Forschung wurden staatliche Mittel eingesetzt. Der Rückbau stillgelegter Kernkraftwerke und die Entsorgung der Abfälle werden durch die Betreiber finanziert. Die Mittel dafür sind durch Rückstellungen der Energieversorger (Ulrich Kelber [SPD]: Steuerfreie Rückstellungen!) von annähernd 30 Milliarden Euro angesammelt worden. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, Gewinne aus einer Laufzeitverlängerung nutzbringend einzusetzen. Dies erfolgt nicht willkürlich, sondern wettbewerbskonform. Wie das konkret aussehen wird, ergibt sich aus unserem Energiekonzept. Bei uns herrscht schließlich das Ordnungsprinzip: erst der Rahmen, dann die Details. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben sich auf die Laufzeitverlängerung festgelegt!) Nach der Sommerpause im September wird die Bundesregierung dieses Konzept vorlegen. Es wird sich auf nüchterne Analysen gründen, nicht auf Hoffnungen oder Wunschdenken. Es wird die Kernenergie in den künftigen Energiemix einbeziehen, und zwar so weit, wie es sinnvoll ist. Die Fakten hierzu kennen wir alle: Immer noch stellt die Kernenergie 23 Prozent der Stromproduktion (Ulrich Kelber [SPD]: 21 Prozent!) und nahezu 50 Prozent des Grundlastanteils. So kann die Leistung der Kernenergieanlagen fast bis zur Hälfte flexibel gefahren werden. Produktionsschwankungen der Wind- und Sonnenenergie können durch sie aufgefangen werden. Und sie verursacht kein CO2. Die Zuverlässigkeit, mit der Strom produziert wird, liegt bei Anlagen der Kernenergie über 95 Prozent, bei Windenergie bei 5 bis 10 Prozent und bei Solaranlagen bei 1 Prozent. Dabei sind erneuerbare Energien ohnehin äußerst schwankende Energiequellen. Wir werden die Betreiber der Kernkraftwerke in eine angemessene gesellschaftliche Verantwortung nehmen: mit Maß und Vernunft, nicht mehr und nicht weniger. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ulrich Kelber (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Monaten muss Deutschland einen schwarz-gelben Überbietungswettbewerb von Ergebenheitsadressen und Gewinnversprechen an die Atomwirtschaft ertragen. Wenn es dann einmal einen lichten Moment wie die Kabinettsklausur gibt, in der man sich auf die Einführung einer Brennelementesteuer verständigt, gibt es sofort die Blutgrätsche des Herrn Kauder, Fraktionsvorsitzender der CDU, der direkt sagt: Wir führen die Brennelementesteuer mit Einnahmen von 2,3 Milliarden Euro nur dann ein, wenn wir vorher politisch festgelegt haben, den Betreibern von Kernkraftanlagen 6 bis 8 Milliarden Euro pro Jahr durch eine Laufzeitverlängerung zu schenken. Das ist dann die Reaktion auf den ersten lichten Moment. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jetzt geht es darum, den Spieß umzudrehen. Die SPD will die Atomlobby für die enormen Kosten der Altlasten zur Kasse bitten, und zwar nicht nur für Asse und Morsleben, Jülich und Karlsruhe, sondern auch für die leistungslosen Zusatzgewinne aus dem Emissionshandel. Es wurde nie zugesagt, dass diese Gewinne behalten werden können. Wir wollen das nicht mit einer Debatte über Laufzeitverlängerungen verbinden, sondern wir sind der Überzeugung, dass es jetzt nach diesem schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien längst um die Frage einer Laufzeitverkürzung geht. Wer in der politischen Diskussion die Brennelementesteuer mit einer Laufzeitverlängerung verbindet, der betreibt den Ausverkauf von Sicherheit in diesem Lande, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ach Gott!) und wer das mit der Zusage verbindet, dass 6 bis 8 Milliarden Euro an Zusatzgewinnen pro Jahr anfallen, der macht Geschenke an die bestverdienenden Unternehmen unseres Landes und verzerrt den Wettbewerb am Strommarkt. Die Kollegin Höhn hat den derzeitigen Präsidenten des Bundeskartellamts zitiert. Sein Vorgänger hat, wenige Wochen bevor er Staatssekretär dieser Regierung geworden ist, das Gleiche gesagt, und dessen Vorgänger hat in einem Gutachten für die Stadtwerke ebenfalls das Gleiche gesagt. Worum geht es? Erstens. Die Zusatzgewinne. Der Emissionshandel - erst ab 2012 gibt es eine volle Versteigerung, Herr Steffel - war vor zehn Jahren, zu dem Zeitpunkt, an dem der Atomkompromiss geschlossen wurde, noch nicht aktuell. Daraus sind Zusatzgewinne entstanden, die der Atomwirtschaft nie zugestanden haben; es wurde auch nie versprochen, dass sie sie behalten darf. Im Atomkompromiss - Sie hätten richtig zitieren sollen, Herr Dr. Nüßlein - steht nämlich nur etwas davon, dass es keine Zusatzbelastungen geben darf, und nichts vom Behalten von Zusatzgewinnen. Dieses Geld gehört nicht den Aktionären von Eon oder RWE; es gehört der Gesellschaft. So war der Emissionshandel von vornherein angelegt. Wir wollen dieses Geld abschöpfen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zweitens, die Altlasten von 10 Milliarden Euro für Asse, Morsleben, Karlsruhe und Jülich. In Jülich liegen aus der Zeit, in der die Atomwirtschaft aktiv war, Altlasten, von denen wir noch nicht wissen, wie wir sie technisch anfassen sollen. Dieses Geld soll nicht die nächste Generation zahlen, sondern dieses Geld sollen im Sinne der Nachhaltigkeit diejenigen zahlen, die davon profitiert haben. Auch das muss deswegen aus einer Brennelementesteuer bezahlt werden, die nicht an die Bedingung einer Laufzeitverlängerung geknüpft sein darf, weil das bereits entstandener Atommüll ist. Alles andere wäre eine Subvention der bestverdienenden Unternehmen dieses Landes. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Ich habe mitbekommen, dass die Kanzlerin den Finanzminister angewiesen hat, eine Alternative zur Brennelementesteuer zu prüfen, nämlich einen Fonds, den die Energiewirtschaft vorgeschlagen hat. Man muss sich das so vorstellen: Die Unternehmen nehmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau einen Kredit auf. Das ganze Geld, das man ihnen nehmen will - ein Viertel ihrer Zusatzgewinne -, wird mit einem Mal an die Bundesregierung übergeben. Dieser Kredit wird aber nur so lange abbezahlt, wie der Deutsche Bundestag die Laufzeitverlängerung nicht zurücknimmt. Danach müssen das wieder die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bezahlen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist ein Ausverkauf der Demokratie. Sie wollen den Menschen verbieten, sich bei Wahlen anders zu entscheiden, und Sie wollen dem Deutschen Bundestag verbieten, Energiepolitik zu machen. Wer das tut, der entmündigt die Bürger und dieses Parlament. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Man kann das ganz konkret machen: Stellen Sie sich vor, dieser Fonds wird von Ihnen eingeführt, Sie haben das Geld bekommen, und im Augenblick zahlen die Energiekonzerne den Kredit ab. Zu diesem Zeitpunkt sagen wir in der Politik: Wir schätzen die Terrorismusgefahr neu ein und wollen die ältesten Atomkraftwerke früher stilllegen, weil sie gegen Angriffe aus der Luft nicht richtig zu schützen sind. Dann wird gesagt: Ja, natürlich dürft ihr das machen. Ihr könnt uns anweisen, sie stillzulegen, aber pro Reaktor und Jahr wollen wir 500 Millionen Euro von euch an den Fonds gezahlt haben. Ein anderer Fall: Die Atomaufsicht sagt: Wir haben neue Erkenntnisse über den sicheren Betrieb, sodass wir euch jetzt etwas Neues vorschreiben wollen. Ansonsten legen wir die Anlage still. Dann wird gesagt: Ja, ihr dürft sie stilllegen, das kostet euch aber 250 Millionen Euro pro Jahr. Wenn die Atomaufsicht nicht mehr unabhängig arbeitet, sondern vor den finanziellen Konsequenzen ihrer Entscheidungen Angst haben muss, dann haben Sie mit Ihren Tricks an dieser Stelle nicht nur die Demokratie, sondern auch die Sicherheit ausverkauft. (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nach mir spricht ja noch Herr Dr. Fuchs, der auch in der Energiepolitik immer sehr vehement bei der Sache ist. Wir haben hier vielleicht die gleichen Emotionen. Sie haben ja die Chance, hier einmal ein paar Dinge klarzustellen: (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Er versteht davon auch ein bisschen mehr als Sie!) Ist das politisch verbunden? Wie viel Prozent der Zusatzgewinne wollen Sie abschöpfen? - All das können Sie heute hier einmal sagen. Was mich aber immer am meisten interessiert, ist die Gleichzeitigkeit in Ihrer Energiepolitik. Es geht gar nicht darum, dass im Augenblick gar keine Investitionen getätigt werden, weil alle auf ein immer wieder angekündigtes Energiekonzept warten, von dem ja nur eine Sache feststeht, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nämlich die Verlängerung der Atomlaufzeit. Was Sie in dieser Woche machen, ist aber doch spannend: Die Brennelementesteuer wird nur eingeführt, wenn wir ihnen durch eine Laufzeitverlängerung das Vierfache schenken, und die Unterstützung der Solarindustrie wird gekürzt, weil - das wird von CDU/CSU oft mit zittriger Stimme gesagt - dort zweistellige Renditen möglich sind. Wissen Sie eigentlich, dass RWE und Eon in ihren Unternehmenspublikationen ausweisen, dass dort jedes Jahr 15 Prozent Rendite erreicht werden und dass diese beiden Unternehmen zusammen mehr Gewinn machen als alle anderen börsennotierten deutschen Unternehmen zusammen, nämlich 200 Euro pro Kopf der deutschen Bevölkerung? Diese Gewinne fließen dorthin ab - Gewinne, die Sie nicht abschöpfen, sondern erhöhen wollen, während Sie bei den erneuerbaren Energien reingrätschen. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ach geh!) Herr Kauch - ist er noch da? -, Sie hatten ja gesagt, es ist nicht ausgeschlossen, dass die Einnahmen aus der Brennelementesteuer für den Ausbau der erneuerbaren Energien ausgegeben werden. Aber der Haushaltsentwurf liegt auf dem Tisch: Die Einnahmen aus der Brennelementesteuer sind darin enthalten, aber die Ausgaben für die erneuerbaren Energien werden in Ihrem Haushalt 2011 gekürzt. Das heißt, Sie erzielen Einnahmen, aber kürzen gleichzeitig die Ausgaben für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist schwarz-gelbe Energiepolitik schwarz auf weiß. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Kelber, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Pfeiffer und dann des Kollegen Kauch? Ulrich Kelber (SPD): Aber gerne doch. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielleicht lassen wir beide Zwischenfragen nacheinander stellen, und Sie können dann darauf antworten. Ulrich Kelber (SPD): Wenn beide stehen bleiben! - Gerne. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Kollege Kelber, Sie haben mehrfach ausgeführt, dass RWE und andere die größten Eigenkapitalrenditen haben, die sicherlich zum Teil auf mangelnden Wettbewerb zurückzuführen sind. Darin sind wir uns einig: Wir wollen einen besseren Wettbewerb erreichen. Die Aussage, dass das die höchsten Renditen sind, ist aber, glaube ich, nicht ganz korrekt. Wenn ich richtig informiert bin - vielleicht können Sie das bestätigen oder auch nicht -, dann hat beispielsweise die Solarworld AG in 2008 nicht eine Eigenkapitalrendite, sondern, wenn ich richtig informiert bin, eine Umsatzrendite - das ist ein kleiner Unterschied - von annähernd 50 Prozent erzielt, und zwar allein aufgrund von Aktivitäten, die durch das EEG und andere Dinge politisch verursacht sind. (Zuruf von der FDP: Hört! Hört!) Ist es in der Tat richtig, dass die Solarworld AG beispielsweise Ihnen sechsstellige Spendenbeträge überwiesen hat? Dazu muss ich sagen: Das ist dann unerhört. Gibt es dort Zusammenhänge? Oder können Sie das nicht bestätigen? Das ist schon spannend. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr peinlich!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kelber möchte direkt darauf eingehen. Ulrich Kelber (SPD): Ja, darauf muss man schon einzeln eingehen. Zunächst einmal: Ich würde mich freuen, wenn ich in der Lage wäre, einen Vergleich von RWE und Eon aus 2009 und entsprechende Zahlen aus 2009 zu nennen. Dann würden Sie nämlich sehen, dass viele der Solarunternehmen bereits ins Minus gerutscht sind. (Zuruf von der FDP: Aber nicht so lange!) Fragen Sie einmal Ihre Kollegen aus Sachsen-Anhalt, aus Thüringen und Sachsen. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Herr Dr. Pfeiffer, ich finde es schon spannend, dass Sie a) eine Lüge wiederholen und sich b) trauen, sich hier hinzustellen. Erstens. Ich als Person habe keinen Cent Spenden erhalten - Punkt. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie als Person!) - Ja, einen Augenblick. Wir kommen gleich dazu. Zweitens. Sie als Person weisen auf Ihrer Website aus, dass Sie - von wem auch immer und für welche Beratungsleistung auch immer - persönliche Einnahmen - also für Ihre Nebentätigkeit - in wer weiß welcher Höhe bekommen haben. Ich denke, Sie sind in diesem Parlament einer der Letzten, der sich auf Kolleginnen und Kollegen beziehen sollte, die über das gesetzliche Maß hinausgehend, Herr Hinsken, Spenden an Ortsverbände und Kreisverbände veröffentlichen. Das macht kein einziger Abgeordneter der CDU/CSU. Ich tue dies als einziger Abgeordneter freiwillig. Das sollten Sie sich vielleicht als Beispiel nehmen. Gewöhnen Sie sich an diese Transparenz, dann können wir uns gerne weiter unterhalten. Und nennen Sie endlich einmal die Namen der Unternehmen, für die Sie Beratungsleistungen für Ihre private Geldtasche erbringen, Herr Dr. Pfeiffer - vor allem mit Blick auf Ihre Herkunft aus der Energiewirtschaft. Das finde ich wirklich spannend. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt liegt noch eine Wortmeldung des Kollegen Kauch vor, den Sie auch angesprochen haben. Michael Kauch (FDP): Lieber Kollege Kelber, Sie haben quasi eine rückwirkende Zwischenfrage gestellt, die ich Ihnen gerne beantworten möchte. Ich habe eindeutig nicht gesagt, dass die Einnahmen aus der Brennelementesteuer in dem Umfang, wie es das BMF jetzt vorlegt, in die erneuerbaren Energien fließen. Ich habe deutlich gemacht, dass es bei einer Laufzeitverlängerung eine zusätzliche Abschöpfung der Gewinne geben muss. Und ich bin der Auffassung, dass diese dann in die erneuerbaren Energien fließen sollen. Ulrich Kelber (SPD): Ich würde mich freuen, wenn das nachher die Position von ganz Schwarz-Gelb wäre. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt können Sie zu Ihrem Schlusswort kommen. Ulrich Kelber (SPD): Ich hatte meinen Schlusssatz gesagt, bevor meine Redezeit abgelaufen war. Danach wurden noch zwei Zwischenfragen gestellt. Ich bedanke mich noch einmal. Ich habe am Ende ja das Fazit gezogen, dass der Vergleich im Umgang mit der Solarwirtschaft, der Vergleich im Umgang mit den Stadtwerken in der gleichen Art und Weise, wie man den am besten verdienenden Unternehmen dieses Landes Zusatzgewinne zuschanzen will, ein entsprechendes Licht auf die schwarz-gelbe Energiepolitik wirft. An ihren Zahlen sollt ihr sie erkennen - das wäre an dieser Stelle vielleicht eine schöne Variante. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Pfeiffer, habe ich Ihre Wortmeldung als Antrag auf eine Kurzintervention zu verstehen, oder ist das falsch? - Das ist so. Eine Zwischenfrage können Sie jetzt nicht mehr stellen. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Ich möchte kurz auf das eingehen, was der Kollege Kelber gesagt hat. Ich bin ihm dankbar, dass er das wiederholt hat, was er schon in einer früheren Plenardebatte angesprochen hat, ohne dass ich die Möglichkeit hatte, darauf einzugehen. Ich musste mich belehren lassen, dass hier alles gesagt werden kann; man kann nicht dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Er hat schon einmal hier behauptet, ich würde die Energiewirtschaft beraten - das hat er gerade wiederholt -, und darauf hingewiesen, dass ich aus der Energiewirtschaft komme. Dazu will ich in aller Deutlichkeit sagen, dass ich zwar in der Tat freiberuflich beratend tätig bin, aber zu keiner Zeit in der Vergangenheit oder heute - ich plane es auch nicht für die Zukunft - in irgendeiner Weise beratend oder in sonstiger Art und Weise für die Energiewirtschaft tätig bin. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Diese Unterstellungen!) Das möchte ich ein für alle Mal für das Protokoll und auch Herrn Kelber gegenüber öffentlich klarstellen. Insofern bin ich ihm für den Hinweis dankbar. Ich komme den Offenlegungspflichten in vollem Umfang nach, um auch das in aller Deutlichkeit festzustellen. Ich gehe davon aus, dass damit auch dieses Thema erledigt ist. Wenn Sie daraus eine Befangenheit ableiten wollen, dass jemand vor 20 Jahren in der Energiewirtschaft tätig war, dann kann ich nur antworten: Wenn Sachverstand nicht mehr gewünscht ist, dann führt das zu der Politik, die Sie verantworten, die elektrische Leistung und elektrische Arbeit nicht auseinanderhalten kann. Das ist nicht unsere Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zur Erwiderung Herr Kelber. Ulrich Kelber (SPD): Wem es zu heiß ist, der muss aus der Küche herausgehen. Wer anfängt, muss auch eine Antwort aushalten. Ich schlage einfach allen vor, die zuhören: Besuchen Sie die Website von Herrn Dr. Pfeiffer - Sie müssen leider auf die Bundestagswebsite zurückgreifen, weil auf seiner Seite gar nichts steht - und auf meine Website www.kelber.de! Der Unterschied ist: Wenn ich eine Nebentätigkeit ausübe, ist dort ein Name und eine Summe angegeben. Bei Herrn Dr. Pfeiffer steht "Kunde 1" und "Stufe 3". Das ist irgendein Betrag über 7 000 Euro. Ich glaube nicht, dass Sie der Richtige sind, um sich hier zu Wort zu melden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt der Kollege Dr. Michael Fuchs von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kelber, Lesen bildet. Es wäre sinnvoll, sich die Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages durchzulesen. Darin ist das, was Sie gerade gesagt haben, exakt aufgeführt. Der Kollege Pfeiffer verhält sich exakt so, wie es im Deutschen Bundestag vorgeschrieben ist. (Ulrich Kelber [SPD]: Ich mache nur einfach mehr!) Man kann ihm schlecht vorwerfen, dass er sich an die Vorschriften hält. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Sie verhindern Transparenz! Das ist ja unglaublich!) Der nächste Punkt: Sie sollten hier auch sagen - das mache ich für Sie -, dass Sie Ihren gesamten Wahlkampf durch Herrn Asbeck und die Firma Solarworld finanzieren lassen, der Ihre Kreispartei massivst unterstützt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Aber kommen wir zur Sache: Ja, wir führen eine Brennelementesteuer ein. Ja, wir werden auch die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängern. Allerdings zeichnet sich eine bürgerliche Koalition im Vergleich zu einer linken dadurch aus, dass sie den Unternehmen bei verbindlich getroffenen Vereinbarungen Verlässlichkeit bietet. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bürgerliche Koalition? Das ist ja lächerlich! Sie wissen gar nicht, was der Begriff "bürgerlich" bedeutet!) Wirtschaftspolitische Vernunft wird von Bürgern und der Wirtschaft außerordentlich geschätzt. Deshalb wurden wir gewählt und nicht Sie. In der Ausstiegsvereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde zwischen der Bundesregierung und den Kraftwerksbetreibern vereinbart, dass ihnen im Gegenzug zu den verkürzten Laufzeiten keine zusätzlichen Belastungen aufgebürdet werden können. Eine Brennelementesteuer unabhängig von einer Laufzeitverlängerung ist durch Ihr Handeln nicht möglich. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen die ganze Vereinbarung killen!) Sie fordern quasi dazu auf, eine Vereinbarung, die Sie selbst getroffen haben, zu brechen. Das ist nicht unsere Politik. So etwas tun wir nicht. Dass Sie sich von Schröder distanzieren, kann ich verstehen. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das heißt "von Herrn Bundeskanzler"!) Das haben Sie schon mehrfach gemacht. Dass Sie sich jetzt aber auch noch von Ihrem grünen Fraktionsvorsitzenden distanzieren - denn er hat das Ganze mit unterschrieben -, wie Sie es jetzt getan haben, kann ich nicht verstehen. Wahrscheinlich ist er nicht anwesend, weil er sich für Sie schämt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Fuchs, mir liegen mehrere Bitten um Zwischenfragen vor. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Nein, wir haben heute genug gehört. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Danke. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): In der Unionsfraktion gibt es keinen Zweifel daran, dass die Einführung einer Brennelementesteuer ausschließlich im Zusammenhang mit einer Laufzeitverlängerung gesehen werden muss. Durch Ihr Handeln sind wir dazu gezwungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Darüber hinaus zitiere ich aus unserem Koalitionsvertrag. Darin heißt es wörtlich: Der wesentliche Teil der zusätzlich generierten Gewinne aus der Laufzeitverlängerung der Kernenergie soll von der öffentlichen Hand vereinnahmt werden. Mit diesen Einnahmen wollen wir auch eine zukunftsfähige und nachhaltige Energieversorgung und -nutzung, z. B die Erforschung von Speichertechnologien - damit haben Sie sich nie beschäftigt - für erneuerbare Energien, oder stärkere Energieeffizienz fördern. Genau deswegen werden wir das so machen. Ich weiß, dass es Ihnen schwerfällt, zu begreifen, dass wir heute noch nicht aus der Kernenergie aussteigen wollen. Ich will Ihnen einfach einige Zahlen nennen. Wissen Sie, wie viele Stunden ein Jahr hat? 8 760. Kennen Sie die durchschnittliche Wirkungszeit einer Solarzelle in Deutschland? 940 Stunden. Sie können also 10,7 Prozent des Jahres mit Solarstrom abdecken. (Ulrich Kelber [SPD]: Aua! Leistung und Arbeit sollten Sie auch mal verstehen!) Kennen Sie die Ausnutzungsdauer von Onshorewindanlagen? 1 560 Stunden. Das sind 17,8 Prozent. Bei Offshoreanlagen sieht es ein bisschen besser aus. Da beträgt sie 3 000 Stunden; das entspricht 34,2 Prozent. Das zeigt ganz deutlich, dass wir bis heute keine Möglichkeit haben, auf die Grundlasterzeugung durch andere Energien zu setzen. Welche Grundlastversorgung haben wir? Wir haben fossile Energien, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr ideologisch, Herr Kollege!) wir haben in ganz kleinem Maße Biomasse - das liegt unter 1 Prozent -, und wir haben Kernkraft. Kernkraft deckt momentan 23 Prozent unseres gesamten Strombedarfs, aber 48 Prozent unserer Grundlast. Was passiert dann, wenn wir die Kernkraftwerke abschalten? Dann bleibt uns nichts anderes übrig - Frau Höhn, das sollten Sie wirklich irgendwann einmal lernen -, als fossile Energieträger zu nutzen, um die Lücke, die wir dann haben, auszufüllen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach falsch!) Wir sind eben nicht in der Lage, vernünftige Speichertechnologien zu entwickeln. Wir haben sie bislang noch nicht. Wir haben weder Wasserspeicher noch Druckluftspeicher in ausreichendem Maße. Mir geht es um eines - das hat der Kollege Steffel vollkommen richtig gesagt -, nämlich dass wir verlässlich preiswerte Energie in Deutschland zur Verfügung stellen. Die Zeitung Photon ist kein Parteiblatt der CDU. Darin steht, dass allein durch den Zubau an Solaranlagen in diesem Jahr - das haben Sie zu verantworten - der Strompreis im nächsten Jahr um bis zu 12 Prozent steigen wird. Dabei sind Windanlagen noch gar nicht berücksichtigt. Die kommen noch hinzu. Ich sehe noch kommen, dass wir hier demnächst darüber diskutieren, ob wir wegen der steigenden Ökokosten Sozialtarife für den Strombezug einführen sollen. Ich will nicht, dass in Deutschland die großen Industrien - Stahl, Glas, Textil etc. - aufgeben müssen, weil sie aufgrund zu hoher Stromkosten hier nicht mehr arbeiten können. Ich will nicht, dass die Preise so aus dem Ruder laufen, dass wir in Deutschland bestimmte Industrien nicht mehr halten können. Für mich ist Deutschland nach wie vor ein Industrieland. Dafür werde ich mich einsetzen, dafür kämpfe ich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte nicht, dass Deutschland ein Land wird, dessen Bruttoinlandsprodukt zu 75 Prozent von der Finanzbranche und der Dienstleistungsbranche abhängig ist. Die zentralen Bereiche der Industrie müssen hier erhalten werden. Dafür müssen wir alle uns einsetzen. Schauen Sie sich England an. Ungefähr 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in England - ich weiß nicht, ob Ihnen diese Zahl bekannt ist - werden in der City of London erzeugt - mit all den Problemen, die die Engländer jetzt haben: 12 Prozent Verschuldung etc. Wir sind auf einem wesentlich besseren Weg. Die Industrie läuft hier wieder, die Industrie erlebt richtige Boomzeiten. Haben Sie mitbekommen, dass der VDMA bekanntgegeben hat, dass der Auftragseingang im Maschinen- und Anlagenbau um 60 Prozent im Mai 2010 gegenüber dem Vorjahresmonat gewachsen ist? Das sind positive Zahlen. Die Entwicklung wird sich sehr schnell auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen. Darüber sind wir froh. Genau das wollen wir. Lassen Sie mich noch einen Satz zum Abschalten der Kernkraftwerke sagen. Würden wir die jetzt komplett abschalten, dann würde das bedeuten, dass wir rund 150 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich produzieren würden, weil wir die Differenz - ich habe eben versucht, Ihnen das zu erklären - mit fossiler Energie überbrücken müssten. Wissen Sie, Frau Höhn, wie viel 150 Millionen Tonnen CO2 sind? (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin Mathematikerin!) Das entspricht dem Ausstoß des gesamten deutschen Straßenverkehrs. Dies müssten wir in Kauf nehmen, wenn wir alle Kernkraftwerke ersetzten. Anders ist das nicht zu machen. Das sollten Sie wissen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bauen einen Popanz auf, den es gar nicht gibt, Herr Fuchs!) Deswegen werden wir die Kernkraftwerkslaufzeiten verlängern und eine Brennelementesteuer einführen, weil es gerecht ist, den Profit, der durch die Verlängerung der Laufzeiten entsteht, abzuschöpfen. Das ist unser Ziel. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Mir liegen zwei Meldungen zu Kurzinterventionen vor. Weitere Kurzinterventionen lasse ich allerdings nicht mehr zu. Zunächst hat der Kollege Ulrich Kelber das Wort. Ulrich Kelber (SPD): Es bleibt dabei: Wer Vorwürfe macht, muss sich die Antwort anhören. - Die Zahlen, die Herr Dr. Fuchs in Hilfestellung für Herrn Dr. Pfeiffer genannt hat, sind deswegen bekannt, weil sie auf der Webseite der Bonner SPD seit drei Jahren freiwillig - über jedes gesetzlich notwendige Maß hinaus - stehen. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Spenden über 20 000 Euro müssen veröffentlicht werden!) Welche Spenden an den CDU-Kreisverband Koblenz von Herrn Dr. Fuchs gegangen sind und welche Spenden an den CDU-Kreisverband Waiblingen von Herrn Dr. Pfeiffer gegangen sind, wird auf den entsprechenden Webseiten hingegen nicht veröffentlicht. Bei uns kann sich das jeder anschauen. (Zurufe von der CDU/CSU) - Das müssen Sie sich jetzt schon anhören. Es weiß auch niemand, wie viel Geld vom Bonner Unternehmen Solarworld gezahlt wurde. Seit der Rent-a-Rüttgers-Affäre ist bekannt, dass von Solarworld über die sogenannten Zukunftskongresse Geld an die NRW-CDU geflossen ist. Wann und wie viel, ist auf der Webseite der NRW-CDU nicht nachzulesen. Seit dieser Affäre weiß man auch, dass die Firma Solarworld der FDP und Herrn Westerwelle Geld gegeben hat. Das finde ich völlig in Ordnung; denn auch er ist ein Bonner Abgeordneter. Wie viel, können Sie bei der FDP nicht nachlesen. Das ist der entscheidende Unterschied. Es ist einfach peinlich, wenn die Intransparenten die Transparenten wegen angeblich mangelnder Transparenz angreifen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zur Erwiderung, Herr Fuchs. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Herr Kollege, man sollte vielleicht das Parteienfinanzierungsgesetz kennen, wenn man in diesem Hohen Hause arbeiten darf. (Ulrich Kelber [SPD]: So ist es!) Ich halte das schon für notwendig. Sie sind nämlich veröffentlichungspflichtig. Wenn ein Kreisverband eine Spende über 10 000 Euro erhält, muss das veröffentlicht werden. (Ulrich Kelber [SPD]: Nein! Was Sie sagen, ist falsch!) - Bitte schön, das können Sie beim Bundestagspräsidenten nachschauen. (Ulrich Kelber [SPD]: Mit zwei Jahren Verspätung in der Sammelübersicht!) Das ist veröffentlichungspflichtig. An meinen Kreisverband hat es nicht eine Spende über 10 000 Euro gegeben. Bitte sagen Sie uns dann auch - wir können es auch nachschauen -, wie viele Spenden Sie von Solarworld bekommen haben. (Ulrich Kelber [SPD]: Das steht auf der Webseite!) Das würde Ehrlichkeit bedeuten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Herr Fuchs, Sie sagen die Unwahrheit, und Sie wissen es!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zwar könnte ich Auskunft geben, weil ich darüber gut Bescheid weiß. Ich bin aber gehalten, mich hier neutral zu verhalten, (Ulrich Kelber [SPD]: Nach zwei Jahren in der Sammelübersicht der Bundespartei! Das ist der Unterschied!) keine Meinung zu äußern und auch keine Fachaufklärung zu leisten. Alle Spenden eines Spenders müssen aber - unabhängig davon, an wie viele Untergliederungen einer Parteien sie gehen - öffentlich berichtet werden. (Ulrich Kelber [SPD]: Als Sammelübersicht!) - Nein, sie müssen im Rechenschaftsbericht öffentlich berichtet werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt kommt eine weitere Kurzintervention der Kollegin Kotting-Uhl. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Dr. Fuchs, bei meiner Kurzintervention geht es nicht um Spenden, sondern um den Vertrag zum Atomkonsens, den Sie vorhin zitiert haben. In der Tat steht in diesem Vertrag zwischen den Betreibern und der damaligen rot-grünen Bundesregierung, dass keine einseitig diskriminierenden Maßnahmen getroffen werden sollen, wozu auch Steuern gehören, die die Atomkraft einseitig belasten. Wie wir heute mehrfach gehört haben - auch Sie haben es gehört, Herr Dr. Fuchs -, stehen wir inzwischen vor neuen Fakten. Mittlerweile sieht die Situation so aus, dass die Atomwirtschaft seit dem Emissionshandel de facto einseitig privilegiert ist. Wenn man denn wollte, könnte die Argumentation also wie folgt lauten: Dieses einseitige Privileg wird aufgehoben. Mir geht es in meiner Kurzintervention aber um etwas anderes. Sie haben sich hier der Klage der Atomwirtschaft angeschlossen und gesagt, das sei in der Tat ungerecht; wir würden mit unseren Anträgen jetzt den Vertrag brechen, den wir damals selbst unterschrieben hätten. Herr Dr. Fuchs, ist Ihnen bekannt, womit dieser Vertrag beginnt? In seiner Einleitung steht der Satz: Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen, dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird. Stimmen Sie mit mir überein, dass die Atomwirtschaft diesen Vertrag nicht einhält? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Fuchs zur Erwiderung. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Wir bringen in unserem Koalitionsvertrag klar zum Ausdruck - ich habe eben daraus zitiert -, dass wir die Laufzeiten verlängern wollen. Das ist eine politische Entscheidung der christlich-liberalen Koalition. Dazu stehen wir auch. Sie müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass nach dem von Ihnen ausgehandelten Vertrag zum sogenannten Atomkonsens die von Ihnen angestrebte Behandlung eben nicht möglich ist. Das ist eine technische Frage; man bricht diesen Vertrag ja nicht. Die Verlängerung der Laufzeiten ist eine politische Entscheidung der christlich-liberalen Koalition. Also können wir mit den Atomkraftwerksbetreibern durchaus einen neuen Vertrag vereinbaren; schließlich tun wir damit nichts Schädigendes - anders als Sie damals. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glückwunsch zur Logik!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/2410 und 17/2425 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 m und 11 b sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: 38 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Bettina Herlitzius, Friedrich Ostendorff, Undine Kurth (Quedlinburg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuchs - Beschränkung der Massentierhaltung im Außenbereich - Drucksache 17/1582 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die weitere Bereinigung von Bundesrecht - Drucksache 17/2279 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neue Initiative für Neuheitsschonfrist im Patentrecht starten - Drucksache 17/1052 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2009 - Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2009 - - Drucksache 17/2305 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Auch Verletztenrenten von NVA-Angehörigen der DDR anrechnungsfrei auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende stellen - Drucksache 17/2326 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Werner, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Menschenrechte und Friedensprozess in Sri Lanka fördern - Drucksache 17/2417 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wohnungslosigkeit in Deutschland - Einführung einer Bundesstatistik - Drucksache 17/2434 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Nestle, Winfried Hermann, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN PKW-Energieverbrauchskennzeichnung am Klimaschutz ausrichten - Drucksache 17/2435 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Tressel, Nicole Maisch, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN Reisende besser schützen - Drucksache 17/2428 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mindestbeiträge zur Rentenversicherung verbessern, statt sie zu streichen - Drucksache 17/2436 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Haushaltsausschuss k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte des Bundestages in Bezug auf Europäische Räte stärken - Drucksache 17/2437 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsamen Standpunkt der EU für Waffenausfuhren auch bei Rüstungsexporten an EU, NATO und NATO-gleichgestellte Länder konsequent umsetzen - Drucksache 17/2438 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Auswärtiger Ausschuss (f) Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Federführung strittig m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Josef Philip Winkler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland aufnehmen - Drucksache 17/2439 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Federführung strittig 11 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Modernisierung braucht Rechtsstaatlichkeit - Partnerschaft mit Russland fördern - Drucksache 17/2426 - Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 2 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Marieluise Beck (Bremen), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem EFSF-Rahmenvertrag vom 7. Juni 2010 - Drucksache 17/2412 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), Peter Altmaier, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Elke Hoff, Rainer Erdel, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Verbesserung der Regelungen zur Einsatzversorgung - Drucksache 17/2433 - Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu zwei Überweisungen, bei denen die Federführung strittig ist. Tagesordnungspunkt 38 l. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum gemeinsamen Standpunkt der EU für Waffenausfuhren auf Drucksache 17/2438 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Federführung beim Auswärtigen Ausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP - Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 38 m. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Aufnahme iranischer Flüchtlinge aus der Türkei auf Drucksache 17/2439 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Innenausschuss. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Wir stimmen zunächst über den Überweisungsvorschlag von Bündnis 90/Die Grünen ab. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen jetzt zu den unstrittigen Überweisungen. Ich gehe davon aus, dass Sie mit der Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse einverstanden sind. - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a bis 39 i sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 n auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 39 a: Beratung der Zweiten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland am 7. Juni 2009 - Drucksache 17/2200 - Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Wolfgang Götzer Marco Wanderwitz Michael Grosse-Brömer Michael Hartmann (Wackernheim) Christian Lange (Backnang) Stephan Thomae Dr. Dagmar Enkelmann Josef Philip Winkler Es ist vereinbart, dass der Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses das Wort zur Berichterstattung erhalten soll. - Herr Kollege Strobl, Sie haben das Wort. Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Herr Präsident! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Viele Menschen wissen gar nicht - manche Kollegin und mancher Kollege hier im Hohen Hause offensichtlich auch nicht -, dass es in Deutschland die Möglichkeit gibt, gegen Wahlen, namentlich gegen die Bundestagswahl oder auch gegen die Wahl der deutschen Abgeordneten für das Europäische Parlament, einen Wahleinspruch einzulegen. Jede Bürgerin, jeder Bürger hat das Recht, einen solchen Einspruch gegen eine solche Wahl einzulegen, wenn sie oder er der Meinung ist, dass bei der Wahl etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Ob der Einspruch berechtigt ist oder nicht, entscheiden der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages, das Plenum und anschließend das Bundesverfassungsgericht. Der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages sammelt alle Einsprüche, prüft jeden einzelnen Einspruch gewissenhaft und wendet sich dann mit einer Beschlussempfehlung an Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, im Plenum des Deutschen Bundestages. Dem Plenum steht die abschließende Entscheidung über die Wahleinsprüche zu. Gegen diese Plenarentscheidung kann dann der Einsprechende eine Wahlprüfungsbeschwerde in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht anstrengen. Um zwei solcher Beschlussempfehlungen geht es heute. In der ersten Beschlussempfehlung werden 33 Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag behandelt, und in der zweiten Beschlussempfehlung geht es um Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland. Hier ist im Plenum noch über 30 Einsprüche zu entscheiden. Während die Prüfung weiterer Einsprüche gegen die Bundestagswahl noch andauert, schließt der Deutsche Bundestag, wenn Sie heute der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen wollen und die Einsprüche zurückweisen, die Prüfung der Einsprüche betreffend die Wahl zum Europäischen Parlament ab. Insgesamt gab es gegen diese Wahl 54 Einsprüche. Die Prüfung der Gültigkeit der Wahl der deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments - zurzeit sind es 99 Abgeordnete - obliegt dem Deutschen Bundestag, übrigens seit der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament im Jahre 1979. Ein einheitliches europäisches Wahlprüfungsverfahren gibt es nicht. Der Zweck der Wahlprüfung sind die Sicherung des objektiven Wahlrechts und die Gewährleistung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Europäischen Parlaments, soweit die in der Bundesrepublik Deutschland gewählten Abgeordneten betroffen sind. Das bedeutet - das ist für das Verständnis unserer Entscheidungen wichtig -, dass ein Einspruch gegen die Europawahl nur dann Erfolg haben kann, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens muss ein Wahlfehler vorliegen. Das heißt, es muss gegen Vorschriften betreffend die Durchführung oder die Vorbereitung der Wahl verstoßen worden sein. Zweitens muss sich dieser Wahlfehler auf die Verteilung der Mandate ausgewirkt haben können; er muss also, wie wir sagen, mandatsrelevant sein. Ich darf Ihnen mitteilen, dass ein derartiger Fall im Rahmen der Prüfung der 54 Einsprüche gegen die Europawahl 2009 nicht vorgelegen hat. Nichtsdestoweniger ist der Wahlprüfungsausschuss jedem behaupteten Wahlfehler gründlich und sorgfältig nachgegangen. Wir haben in elf Fällen das Vorliegen eines Wahlfehlers bejaht, jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen können. Hierbei handelte es sich jedoch durchgehend um Mängel in konkreten Einzelfällen, die die Sitzverteilung im Europäischen Parlament nicht beeinflusst haben. So ging es beispielsweise um Fehler bei der Führung des Wählerverzeichnisses oder um Irrtümer der zumeist ehrenamtlich tätigen Wahlvorstände in den Wahllokalen. Auch wenn diese Einsprüche letztlich zurückgewiesen werden, gehe ich davon aus, dass die betroffenen Wahlorgane unsere Hinweise auf Mängel aufgreifen und darauf hinwirken, dass derartige Fehler in Zukunft unterbleiben. Einen Schwerpunkt der Prüfung der Einsprüche zur Europawahl bildeten diesmal insgesamt zehn Einsprüche, mit denen die Verfassungswidrigkeit der 5-Prozent-Hürde, die nach dem Europawahlgesetz für die Wahl der deutschen Europaabgeordneten gilt, geltend gemacht wurde. Diese Einsprüche konnten schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Deutsche Bundestag traditionell im Rahmen der Wahlprüfung die Verfassungsmäßigkeit der in der Regel von ihm selbst erlassenen Wahlrechtsnormen gar nicht prüft, sondern dies dem Bundesverfassungsgericht überlässt. Dieses kann im Rahmen der sogenannten Wahlprüfungsbeschwerde gegen jede unserer Entscheidungen angerufen werden. Ich möchte aber ergänzen, dass der Wahlprüfungsausschuss mit deutlicher Mehrheit festgestellt hat, dass er die Verfassungsmäßigkeit der 5-Prozent-Hürde bei der Europawahl nicht bezweifelt. Anderer Ansicht war in diesem Zusammenhang die Fraktion Die Linke. Einige der Einspruchsführer haben schon angekündigt, dass sie im Fall der Zurückweisung der Einsprüche gegen die 5-Prozent-Hürde durch den Deutschen Bundestag planen, den Weg nach Karlsruhe zu beschreiten. Dieser Weg zum Bundesverfassungsgericht wird durch den heutigen Beschluss frei. Ich möchte noch erwähnen, dass bei der Prüfung der Europawahl erstmals das im Jahr 2008 im Hinblick auf das Verfahren im Wahlprüfungsausschuss geänderte Wahlprüfungsgesetz Anwendung fand. Dieses ermöglicht dem Ausschuss, bei der Vorbereitung der Entscheidung regelmäßig auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten, sofern davon keine Förderung des Verfahrens zu erwarten ist. Dies war auch die gängige, langjährige Praxis. Diese Klarstellung im Gesetz hat sich aus meiner Sicht sehr bewährt. Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich die sachliche Atmosphäre, die bei den Beratungen im Ausschuss herrschte, ebenso hervorheben wie die Tatsache, dass - mit der soeben erwähnten Ausnahme - im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidungen durchweg Konsens zwischen allen Fraktionen bestanden hat. Deshalb möchte ich mich bei der Kollegin und bei den Kollegen im Wahlprüfungsausschuss recht herzlich für die sehr kollegiale und sehr konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Außerdem möchte ich sehr herzlich den Mitarbeit-erinnen und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats für ihre exzellente Arbeit und für die sehr gute Vorbereitung danken. (Zuruf von der FDP: Das ist wohl wahr!) Ich bitte Sie nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Beschlussempfehlungen des Wahlprüfungsausschusses Ihre Zustimmung zu erteilen. Ich bedanke mich bei Ihnen fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Damit kommen wir unverzüglich zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 39 b: Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag am 27. September 2009 - Drucksache 17/2250 - Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Wolfgang Götzer Marco Wanderwitz Michael Grosse-Brömer Michael Hartmann (Wackernheim) Stephan Thomae Dr. Dagmar Enkelmann Josef Philip Winkler Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 39 c: - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Änderungsprotokoll vom 11. Dezember 2009 zum Abkommen vom 23. August 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern - Drucksache 17/1943 - - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Juli 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der mazedonischen Regierung zur Vermeidung der Doppelbesteu-erung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 17/1944 - Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) - Drucksache 17/2248 - Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Birgit Reinemund Wir kommen zur zweiten Beratung und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Änderungsprotokoll zum Abkommen mit dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteue-rungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2248, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/1943 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen nun zur zweiten Beratung und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen mit der mazedonischen Regierung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2248, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/1944 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie eben angenommen. Tagesordnungspunkt 39 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verwendung von Verwaltungsdaten für Wirtschaftsstatistiken und zur Änderung von Statistikgesetzen - Drucksache 17/1899 - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) - Drucksache 17/2467 - Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Breil Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2467, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/1899 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegen-stimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 39 e: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 15. Mai 2003 zur Änderung des Europäischen Übereinkommens vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus - Drucksache 17/2067 - Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) - Drucksache 17/2370 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Patrick Sensburg Sebastian Edathy Jörg van Essen Halina Wawzyniak Jerzy Montag Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2370, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/2067 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 39 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Einhundertneunte Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - - Drucksachen 17/1624, 17/1819 Nr. 2, 17/2379 - Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2379, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 17/1624 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 39 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deklarationspflicht für Palmöl in Lebensmitteln - Drucksachen 17/1780, 17/2316 - Berichterstattung: Abgeordnete Carola Stauche Iris Gleicke Dr. Christel Happach-Kasan Karin Binder Cornelia Behm Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2316, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1780 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und von Bünd-nis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 39 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 116 zu Petitionen - Drucksache 17/2317 - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 116 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 39 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) Übersicht 3 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 17/2459 - Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen.1 Zusatzpunkt 3 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem ... Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - Drucksachen 17/1147, 17/1604, 17/1950, 17/2402 - Berichterstattung: Abgeordneter Jörg van Essen Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 17/2402? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 3 b: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Priska Hinz (Herborn), Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU-Forschungsetat auf Innovation und Nachhaltigkeit für 2020 fokussieren - Ratsentscheidung ITER-Projekt nicht zustimmen - Drucksache 17/2440 - Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zusatzpunkt 3 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 117 zu Petitionen - Drucksache 17/2442 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 117 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 3 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 118 zu Petitionen - Drucksache 17/2443 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 118 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 3 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 119 zu Petitionen - Drucksache 17/2444 - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 119 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 3 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 120 zu Petitionen - Drucksache 17/2445 - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 120 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 3 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 121 zu Petitionen - Drucksache 17/2446 - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 121 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 3 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 122 zu Petitionen - Drucksache 17/2447 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 122 ist bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 3 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 123 zu Petitionen - Drucksache 17/2448 - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 123 ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 3 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 124 zu Petitionen - Drucksache 17/2449 - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 124 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 3 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 125 zu Petitionen - Drucksache 17/2450 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 125 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 3 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 126 zu Petitionen - Drucksache 17/2451 - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 126 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 3 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 127 zu Petitionen - Drucksache 17/2452 - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 127 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 3 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 128 zu Petitionen - Drucksache 17/2453 - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 128 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 5 auf: Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" - Drucksachen 17/2414, 17/2415 - Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien hat bereits die Wahlvorschläge der Bundesregierung, des Bundes der Vertriebenen, der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Katholischen Kirche in Deutschland und des Zentralrats der Juden in Deutschland übermittelt. Dazu liegt Ihnen eine Unterrichtung auf Drucksache 17/2415 vor. Bevor wir zur abschließenden Wahl aller Mitglieder des Stiftungsrates kommen, müssen wir zunächst die vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder und Stellvertreter für die Wahl des Stiftungsrates benennen. Es gibt den Wunsch, vor Eintritt in diesen Wahlgang mündliche persönliche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung abzugeben, und zwar von der SPD-Fraktion, vom Bündnis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke.2 Zunächst für die SPD-Fraktion, Frau Kollegin Schwall-Düren. Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Heute beweist sich, dass die von der Mehrheit dieses Hauses beschlossene Form der Wahl von Stiftungsratsmitgliedern falsch ist. Bereits bei der Änderung des Gesetzes zur "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" hat die SPD-Fraktion zum Ausdruck gebracht, dass die Abstimmung über die Besetzung des Stiftungsrates im Gesamtpaket inakzeptabel ist, und hat deshalb das Gesetz abgelehnt. Der Berufungsprozess ist damit nämlich keinesfalls objektiviert. Im Gegenteil, nun werden auch Mitglieder des Stiftungsrates mit einer demokratischen Legitimation ausgestattet, an deren Engagement für den Stiftungszweck erhebliche Zweifel bestehen. Sicherlich steht die Mehrheit der vorgeschlagenen Personen eindeutig hinter den Stiftungszielen. Ich darf zur Erinnerung den Gesetzestext zitieren: Zweck der unselbstständigen Stiftung ist es, im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wachzuhalten. Heute steht der Bundestag allerdings vor dem Dilemma, dass zumindest bei zwei Vertretern des Bundes der Vertriebenen aufgrund von Äußerungen in der Presse bezweifelt werden muss, ob diese als künftige Stiftungsratsmitglieder die Arbeit der Stiftung auch im Sinne der Versöhnung unterstützen werden. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hartmut Saenger spricht beispielsweise in der Preußischen Allgemeinen Zeitung über den Beginn des Zweiten Weltkrieges wie folgt - ich darf zitieren -: Besonders kriegerisch führte sich Polen auf. Der 1918 wieder erstandene Staat schaffte es in der kurzen Zeit bis 1921, gleich mit vier Nachbarn ... im dauerhaften Streit zu liegen. Und weiter: Erst England machte den Krieg um Danzig zu einem weltweit ausgetragenen Krieg, der dann durch den Kriegseintritt der USA wegen seiner Interessen am Pazifik zum globalen Krieg ausuferte. Wenn das keine Form von Geschichtsrevision ist, dann weiß ich nicht, was man unter diesem Begriff verstehen kann. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Arnold Tölg sagt im Interview mit der Jungen Freiheit zum Thema Zwangsarbeiter: Wenn man über Zwangsarbeiterentschädigung spricht, müßte man auch deutlich machen, daß gerade die Länder, die am massivsten Forderungen gegen uns richten, genügend Dreck am Stecken haben, weil sie Hunderttausende deutscher Zwangsarbeiter in zahllosen Lagern hatten. Oder: Während in Nürnberg von den Siegern die deutschen Kriegsverbrecher zurecht verurteilt wurden, haben die gleichen Länder bezüglich Zwangsarbeitern ähnliche Verbrechen begangen wie Hitler-Deutschland. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Unglaublich! - Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sollen wir heute wählen?) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dennoch ist die vorgeschlagene Gesamtliste abzulehnen für einen Teil der Kollegen der SPD-Fraktion und auch für mich keine Option, da das positive Engagement der anderen Stiftungsratsmitglieder nicht infrage gestellt werden kann. Uns ist daran gelegen, dass die Stiftung endlich die Arbeit aufnehmen kann. Deshalb stimme ich der Wahl trotz dieser großen Bedenken zu. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verstehe, wer will!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer persönlichen Erklärung hat nun Kollegin Jochimsen. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme dem Gesamtvorschlag für die Mitglieder und Stellvertreter des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" nach sorgfältiger Prüfung nicht zu. Grund meiner Ablehnung ist das undemokratische Wahlverfahren, das mir - wie allen anderen Abgeordneten - nur die Möglichkeit gibt, über einen Vorschlag abzustimmen, der nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden kann. Ich würde also bei einer Zustimmung nicht nur den von den Fraktionen benannten Mitgliedern des Deutschen Bundestags meine Stimme geben, sondern ebenso allen anderen Mitgliedern, auf deren Auswahl ich keinerlei Einfluss hatte. Das ist für mich nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein vergleichbares Wahlverfahren gibt es derzeit bei keiner anderen Gremienbesetzung, so die Auskunft des Wissenschaftlichen Dienstes. Damit widerspricht das Wahlverfahren den demokratischen Gepflogenheiten, denen wir bisher im Deutschen Bundestag bei der Besetzung der Gremien folgten. Es gibt den Abgeordneten des Bundestages auch keineswegs mehr Einflussmöglichkeit. Im Gegenteil: Bei einem solchen Gesamtvorschlag kommt der Wille des Parlaments nur ungenügend oder verfälscht zum Ausdruck. Letztlich können wir nur Ja oder Nein sagen. Das entmündigt das Parlament. Meine Kolleginnen und Kollegen, Sie entmündigen sich bei dieser Abstimmung selbst! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Begründung für die Veränderung des Besetzungsverfahrens heißt es im Gesetzentwurf, dass die Erhöhung der Anzahl der Sitze im Stiftungsrat und die Änderung des Berufungsverfahrens aufgrund der besonderen geschichtspolitischen Komplexität des Projektes erfolgen und um der Komplexität der Aufgabenstellung und des Meinungsspektrums noch besser Rechnung tragen zu können. Hinzu komme, dass durch die Entscheidung des Bundestages gewährleistet sei, dass übergeordnete politische Belange beachtet werden. Ich sage Ihnen: Das ist purer Hohn bei dieser Wahl. (Beifall bei der LINKEN) Das neue Gesetz und das darin festgelegte Besetzungsverfahren vermehren nur die Zahl der Ämter und Sitze in der Stiftung und degradieren das Parlament zu einem Zustimmungsapparat. 63 Mitglieder der Linksfraktion sehen das genauso und haben sich meiner Erklärung schriftlich angeschlossen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die Linke hat mit Einheitslisten lange Erfahrungen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun hat Kollege Volker Beck Gelegenheit zu einer persönlichen Erklärung. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mitglieder meiner Fraktion und auch ich persönlich werden die beiden Wahlvorschläge ablehnen. Dies hat zwei Gründe. Einmal finden wir den Deal, den die Bundesregierung mit dem Bund der Vertriebenen gemacht hat und der zu der jetzigen Zusammensetzung des Stiftungsrats führt, inakzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Herr Westerwelle hat mit gutem Grund und völlig zu Recht der Benennung von Erika Steinbach als Mitglied des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" widersprochen, weil dies die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland belastet hätte. Frau Steinbach hat damals gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gesprochen und abgestimmt und sich in zahlreichen Äußerungen gegenüber unseren europäischen Nachbarn, unseren ehemaligen Kriegsgegnern, in einer Art und Weise geäußert, dass ihre Benennung dort nicht als Signal der Versöhnung verstanden worden wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dafür kann der Bundestag nichts, dafür kann die Bundesregierung nichts, auch diese Stiftung kann dafür nichts. Deshalb braucht es dafür, dass Frau Steinbach nicht in dieses Gremium kommt, keine Kompensation durch Aufblähung der Zahl der Sitze für den Bund der Vertriebenen. Es gibt einige relevante Organisationen, die in diesem Stiftungsrat nicht vertreten sind. Es gibt zwei Fraktionen des Deutschen Bundestages, die in diesem Stiftungsrat nicht vertreten sind. Deshalb ist es völlig unangemessen, diese Art der Besetzung hier vorzunehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein zweiter wesentlicher Grund, warum wir diesen Wahlvorschlägen heute nicht zustimmen können, sind zwei Personen, die auf der Benennungsliste stehen. Frau Kollegin Schwall-Düren hat schon einiges dazu gesagt. In der Preußischen Allgemeinen Zeitung schreibt Hartmut Saenger, einer der für den Stiftungsrat benannten Mitglieder und Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft, zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges: Oft genug geschieht das - die Beschreibung des Ausbruches - unter Kurzformeln wie: "... der vom nationalsozialistischen Regime entfesselte Weltkrieg". Solche Kurzformeln werfen naturgemäß mehr Fragen auf als beantwortet werden. Er beantwortet sie dann: Der historische Kontext zum Sommer 1939 weist bei allen europäischen Großmächten eine erstaunliche Bereitschaft zum Krieg aus, um staatliche Ziele durchzusetzen oder Bedrohungen durch Bündnisse abzuwehren. Besonders kriegerisch führte sich Polen auf. ... Im März 1939 machte Polen sogar gegen Deutschland mobil und gab damit Hitler die Möglichkeit der Aufkündigung des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes von 1934. Polen hat demnach doch den Krieg begonnen; wir haben auch nur zurückgeschossen. In den weiteren Ausführungen erklärt er England, Frankreich und die Vereinigten Staaten sozusagen für schuldig, einen imperialistischen Krieg gegen Deutschland geführt zu haben. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den sollen wir heute wählen!) Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie können doch heute nicht ernsthaft mit diesem Mann diesen Aussagen Ihre Zustimmung erteilen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich appelliere an Sie: Ziehen Sie den Wahlvorschlag hier heute zurück und lassen Sie uns darüber noch einmal reden. Das ist völlig inakzeptabel. Ein weiterer Vertreter auf dieser Liste des Bundes der Vertriebenen ist Herr Arnold Tölg, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der ist untadelig!) der im Zusammenhang mit der Zwangsarbeiterentschädigung den Bundespräsidenten Rau dafür kritisierte, dass er diese Entschädigungen begrüße, anstatt deutlich zu machen, dass die Empfängerländer in Osteuropa eine ähnliche oder vergleichbare Schuld wie Deutschland auf sich geladen hätten. Er sagte im Zusammenhang mit den Nürnberger Urteilen: Während in Nürnberg von den Siegern die deutschen Kriegsverbrecher zu Recht - immerhin - verurteilt wurden, haben die gleichen Länder bezüglich Zwangsarbeitern ähnliche Verbrechen begangen wie Hitler-Deutschland. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Ein Irrer!) Meine Damen und Herren, das darf nicht die Botschaft dieser Versöhnungsstiftung sein! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich bin selbst ein Kind aus einer Vertriebenenfamilie. Ich distanziere mich mit Nachdruck von solchen Aussagen, wenn es um die Aufarbeitung des Unrechts der Vertreibung geht. Menschen, die vertrieben worden sind, teilen diese Thesen nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Deshalb kann so jemand nicht im Stiftungsrat einer Bundesstiftung der Bundesrepublik Deutschland sitzen, mit der Zustimmung des Deutschen Bundestages. Das ist in keiner Weise hinnehmbar. Lassen Sie uns diese Frage anders lösen. Ich appelliere an Sie von der Union und von der FDP: Machen Sie das jetzt nicht! Sie richten großen Schaden in unseren europäischen Beziehungen an. Sie blamieren sich als Koalition, wenn Sie jetzt einfach daran festhalten. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das wünschen Sie sich nur!) Es besteht immer noch die Möglichkeit, das jetzt von der Tagesordnung zu nehmen und noch einmal neu darüber zu reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vielleicht waren Ihnen diese Äußerungen nicht bekannt; das setze ich einmal voraus. Dann muss man jetzt aber dementsprechend angemessen handeln und darf das nicht einfach durchwinken. Der Bundestag ist kein Abnickorgan. Sie sind hier als Abgeordnete alle einzeln dafür verantwortlich, wie Sie hier jetzt abstimmen bzw. ob Ihre Fraktionen diese Vorschläge jetzt zurücknehmen und die Entscheidung vertagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Jens Spahn [CDU/CSU]: Machen Sie mal halblang! - Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Auch noch Drohungen ausstoßen! Unverschämt! - Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/ CSU]: Sie sind peinlich! - Gegenruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich sind Ihre Vorschläge!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (SPD): Wir kommen damit zur Abstimmung über den Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP bezogen auf die vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder und Stellvertreter. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Wahlvorschlag bezogen auf die Mitglieder des Bundestages angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Linken bei Stimmenthaltung der Grünen und zweier Abgeordneter der SPD. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind dagegen! - Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben dagegengestimmt! Weil wir ausgeschlossen sind, stimmen wir dagegen! Ich bitte die Kollegen der anderen Fraktionen, das zu respektieren!) - Entschuldigung. Also: bei Gegenstimmen der Grünen und einigen Enthaltungen seitens der SPD-Fraktion. Damit können wir nun über den Gesamtvorschlag über die Mitglieder des Stiftungsrates auf Druck-sache 17/2415 einschließlich des soeben angenommenen Wahlvorschlags des Deutschen Bundestages abstimmen. Der Gesamtvorschlag kann nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Demokratie!) Hierzu liegen - ich werde gerade daran erinnert - einige persönliche Erklärungen in schriftlicher Form vor. Wer stimmt für diesen Gesamtvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesamtvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jeder blamiert sich, so gut er kann! - Claudia Roth [Augsburg] [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Auweia! Das gibt Ärger!) gegen die Stimmen der Linken, der Grünen und der SPD - in der SPD-Fraktion gab es einige Enthaltungen und eine Zustimmung - angenommen. Die Mitglieder und ihre Stellvertreter im Stiftungsrat der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" sind damit gewählt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Gesundheitspolitik ohne Perspektive Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollegin Martina Bunge für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben beantragt, heute eine zweite Aktuelle Stunde in dieser Sitzungswoche zur Gesundheitspolitik durchzuführen. Während wir uns gestern über den zutiefst unsozialen Charakter des Konzepts von Ihnen, Herr Minister Rösler, und der Kolleginnen und Kollegen der Koalition ausgetauscht haben, hat die Linke für heute eine Aktuelle Stunde beantragt, die zeigen soll, dass Ihr Konzept, dass Ihre Politik ohne Perspektive ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie bieten für die Zukunft keine brauchbaren Antworten. Mit Beitragssatzerhöhungen und Zusatzbeiträgen muten Sie den gesetzlich Versicherten mit 10,2 Prozent, 8,2 plus 2 Prozent, den höchsten Beitragssatz aller Zeiten zu; den müssen schon bald alle schultern. Heute Morgen gab es ja die ersten Meldungen, dass das Defizit 2011 laut Rechnungen des Bundesgesundheitsministeriums gedeckt sein könnte, dass aber schon Milliardendefizite für 2012, 2013 und 2014 - wir reden über 4 bis 10 Milliarden Euro - absehbar sind. Das allein sollen die Versicherten schultern, und insbesondere Menschen mit den kleinsten Einkommen, also Geringverdiener, Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende, überproportional, während die Arbeitgeber und Bestverdienenden außen vor bleiben? Das alles ist zutiefst unsozial. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber das Ganze ist nicht ohne Alternative. Die Stimmen in der Öffentlichkeit, die eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung befürworten, mehren sich. Viele fordern: Sie muss her! Es geht dabei um eine Versicherung, in die wirklich alle Bürgerinnen und Bürger einbezogen werden, also auch Beamte, Abgeordnete, Minister, Selbstständige und Manager, und in die auch alle Einkommen einbezogen werden, von denen Menschen heutzutage leben, also auch Kapital- und Zinseinkünfte. Natürlich müssen sich auch die Arbeitgeber wieder zu gleichen Teilen an der Finanzierung beteiligen. Die Parität muss wiederhergestellt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auf dieser neuen Basis reichten für Versicherte und Arbeitgeber 10 Prozent, also 5 plus 5 Prozent, aus, um alle gesundheitlichen Leistungen zu bezahlen. Zuzahlungen und die unsägliche Praxisgebühr könnten sogar abgeschafft werden. Außerdem hätten wir Spielraum für die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Alle reden von den Erfordernissen aufgrund des demografischen Wandels bzw. der älter werdenden Gesellschaft und vom rasanten medizinischen Fortschritt. Wie eine Monstranz trägt man das vor sich her. Aber sind wir wirklich darauf eingestellt? Wir sagen Nein. (Beifall bei der LINKEN) Ein Blick in Ihr lange ausgebrütetes Konzept bestätigt dies: kein Wort zu Strukturveränderungen. Vielmehr: Der Wettbewerb soll es richten. Ausgaben werden dabei pauschal gekürzt. Nehmen wir nur das Beispiel der Krankenhäuser: Der Ausgabendeckel wird gesenkt - die Ausgaben dürfen maximal in Höhe der halben Steigerung der Grundlohnsumme wachsen -, und für Mehrleistungen ist ein Effizienzabschlag von 30 Prozent zu zahlen. Meinen Sie denn, die Deutsche Krankenhausgesellschaft spricht aus Jux und Dollerei von einem Sanierungsdefizit in Höhe von 50 Milliarden Euro? Meinen Sie, Verdi fordert aus Jux und Dollerei: "Weg mit dem Deckel!"? Die Finanzlöcher in den Krankenhäusern werden zulasten der dort Beschäftigten gestopft. Immer unerträglichere Arbeitszeiten, enorme Arbeitszeitverdichtungen, physische und psychische Belastungen von Ärztinnen und Ärzten, Schwestern und Pflegern sind die Realität. Letztlich wirkt sich dies auch auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten aus. Technik und Pillen allein heilen nicht. Zum Heilungsprozess gehören auch ein aufmunterndes Lächeln und ein gutes Wort. Doch wo gibt es das bei allem Engagement der Beschäftigten - das will ich nicht in Abrede stellen - noch? (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen endlich konsequente Schritte, um den medizinischen Bedarf in den Regionen unseres Landes konkret zu ermitteln und dabei auch schier unüberwindbare Sektorengrenzen zu überdenken. Man muss entscheiden: Wo wird die Behandlung am besten gemacht? Wo können sich Krankenhaus und ambulant Tätige gemeinsam engagieren? Neue Versorgungsformen wie das erfolgreiche Modell AGnES brauchen eine echte Chance. Dann könnten auch unter Bundesbeteiligung Investitionsmittel in die Hand genommen und ein zielgerichteter Ausbau der Infrastruktur gewährleistet werden. Dann könnten Krankenkassenbeiträge für medizinische Leistungen und Beschäftigte in ausreichendem Maße dorthin fließen, wo die Behandlung effizient stattfindet. Dann würde Arbeit im Gesundheitsbereich endlich wieder attraktiv. Machen Sie mit der Bürgerinnen- und Bürgerversicherung das Gesundheitssystem zukunftsfest! Lassen Sie von Ihrer verkappten Kopfpauschale die Finger! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Jens Spahn für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jens Spahn (CDU/CSU): Herr Präsident, Sie sagen zu Recht zu mir: Sie habe ich doch schon gestern gehört. Das ist richtig. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Morgen noch einmal!) Das macht deutlich, dass es der Opposition offensichtlich nicht gelungen ist, sich darauf zu einigen, wie sie denn mit diesem Thema in dieser Woche umgehen will. (Zurufe von Abgeordneten der LINKEN) Sie können uns gerne ob der einen oder anderen Debatte kritisieren, die wir in der Koalition führen. Aber wir führen die Debatten wenigstens in der Sache und ringen um die beste Lösung für die Gesundheitsversorgung der Menschen. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Aber weil sich Linke und SPD nach der Zerlegung bei der Bundespräsidentenwahl nicht einigen können und sich vollends auf die Taktiererei nach dem Motto verlegt haben: "Und täglich grüßt das Murmeltier", gab es gestern eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema und heute wieder eine. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freuen Sie sich doch!) Das ist das eigentliche Armutszeugnis dieser ganzen Veranstaltung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das gibt uns andersherum die Gelegenheit, noch einmal deutlich zu machen, warum der Kompromiss der Koalition gelungen ist. (Heinz Lanfermann [FDP]: Bis sie es verstehen!) Wir haben ein faires Paket geschnürt, das in seiner Kombination sowohl kurzfristig die Herausforderungen angeht als auch strukturell für die Zukunft eine Perspektive beinhaltet. Erstens. Angesichts eines Defizites von über 10 Milliarden Euro - das größte Defizit in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung - müssen wir es schaffen, die Ausgabenzuwächse im nächsten Jahr zu begrenzen. Da geht es etwa um Bereiche wie die Versorgung durch Niedergelassene, die Krankenhäuser und die Verwaltungskosten der Krankenkassen. Es ist schon spannend, immer wieder zu hören - ich ahne es, Sie werden es gleich wieder sagen, Herr Kollege Lauterbach; auch gestern klang das schon an -, all das sei viel zu wenig. (Bärbel Bas [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!) Ich will Ihnen sagen - Frau Kollegin Bunge hat darauf schon hingewiesen -, was das für die Beschäftigten in den Krankenhäusern bedeutet: für die vielen Pflegekräfte, die Ärzte und die vielen Beschäftigten in den niedergelassenen Praxen. Wir haben auch Gespräche mit den Betriebsräten der Pharmaunternehmen geführt. Natürlich wollen wir die Kostensteigerungen der nächsten Jahre begrenzen. Natürlich müssen wir die großen Ausgabenblöcke in den Blick nehmen. Wenn wir angesichts von Hunderten Milliarden Euro bis zu 4 Milliarden Euro einsparen wollen, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, aber sagen, das seien nur Kleckerbeträge, dann ist das ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Menschen, die sich Sorgen machen. Deswegen sollten Sie genau aufpassen, wie Sie sich an dieser Stelle einlassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Normalerweise fordern Sie immer abstrakt das Sparen ein. Abstrakt Sparen zu fordern, ist immer einfach. Aber wenn es dann konkret wird, wird es schwieriger. Sie sind in den letzten Wochen einmal konkret geworden. Sie haben gesagt, wir sollen den Rabatt der Pharmaindustrie auf Arzneimittel um 10 Prozentpunkte erhöhen. Wir haben vor zwei Wochen hier im Deutschen Bundestag mit dem GKV-Änderungsgesetz die Erhöhung des Zwangsrabattes auf Arzneimittel für die gesetzliche Krankenversicherung durch die Pharmaindustrie um 10 Prozentpunkte beschlossen. Die einzige Fraktion, die dagegengestimmt hat, war die SPD-Fraktion. (Ulrike Flach [FDP]: Hört! Hört!) Das soll mir doch einmal jemand erklären: Sie stellen sich hierhin, schreien fortwährend, man solle sparen, wenn aber dann gespart wird, dann stimmen Sie dagegen. Das ist doch nicht mehr zu verstehen, Herr Kollege Lauterbach. Das macht das Ganze nur noch alberner. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der SPD: Zuhören!) Zweitens. Neben der Frage der Zuwachsbegrenzung im nächsten Jahr ist die Rückkehr zum alten Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung von 15,5 Prozent ein weiterer Punkt. Diesen Beitragssatz haben wir zum 1. Januar 2009 in der Großen Koalition gemeinsam beschlossen. In der Finanz- und Wirtschaftskrise haben wir den Satz Mitte 2009 auf 14,9 Prozent gesenkt, um Anreize zu setzen, Arbeitsplätze zu erhalten und zusätzliche zu schaffen. Jetzt, zum Ende der Krise - die Zahl der Arbeitslosen sinkt bemerkenswert stark, die Wirtschaft erholt sich gut -, kehren wir zu diesem alten Beitragssatz zurück. Entgegen dem, was an der einen oder anderen Stelle behauptet wird, ist es im Übrigen auch völlig in Ordnung, dass auch die Arbeitgeber mit in der Verantwortung sind und zusätzlich zahlen müssen. Zum Dritten werden wir - das ist die Perspektive für die Zukunft - den Zusatzbeitrag, den wir übrigens - auch das will ich Ihnen einmal sagen - in der Großen Koalition zusammen beschlossen und eingeführt haben - SPD und Union haben diesen Zusatzbeitrag gemeinsam beschlossen; (Mechthild Rawert [SPD]: Gedeckelt!) ich weiß, dass Sie diesbezüglich eine politische Demenz haben, das haben wir ja gestern schon hinreichend gehört -, so weiterentwickeln, dass das, was damit bezweckt ist, auch erreicht wird (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Schwarz-gelbes Chaos!) und dass wir zu gerechteren Verhältnissen als bisher kommen. Wir werden nämlich den sozialen Ausgleich aus Steuermitteln vornehmen, das heißt, wir werden den sozialen Ausgleich auf mehr und breitere Schultern verteilen. Nicht mehr nur die 28 Millionen abhängig Beschäftigten und ihre Arbeitgeber, die in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen, sondern auch alle anderen Steuerpflichtigen - die Bezieher aller Einkommensarten, die Privatversicherten und auch die Bezieher von Einkommen über der Bemessungsgrenze - finanzieren den Sozialausgleich. Das ist am Ende gerechter und sollte doch gerade die Sozialdemokratische Partei Deutschlands freuen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Am Ende steht das Ziel - um das geht es im Kern -, eine flächendeckende Versorgung zu erhalten. Ich komme aus dem Münsterland, also einer ländlichen Region. Es geht nicht nur um Spitzenmedizin in München, Düsseldorf oder Berlin. Der Zugang zu medizinischer Innovation ist ein hohes Gut. Wir haben eines der wenigen Gesundheitssysteme auf der Welt, innerhalb dessen medizinische Innovationen und neue Arzneimittel für die gesetzlich Versicherten direkt verfügbar und zugänglich sind. Vor allem sind sie für jeden in Deutschland zugänglich. Was nützt Ihnen eine Spitzenmedizin, wenn wie zum Beispiel in den USA noch immer bis zu 40 Millionen Menschen ohne Versicherung und Gesundheitsschutz sind? Diese drei Ziele wollen wir erreichen: eine flächendeckende Versorgung, einen weiterhin direkten Zugang zu Innovationen, und zwar für jedermann - unabhängig vom Alter und Einkommen. Damit das in einer älter werdenden Gesellschaft und bei medizinischem Fortschritt, etwa bei der Krebsdiagnose und -therapie, möglich ist, braucht man eine breitere Finanzierungsgrundlage. Es ist es übrigens wert, in einer Koalition ein paar Wochen und Monate darum in der Sache zu ringen, wenn am Ende ein gutes Ergebnis dabei herauskommt. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Neun Monate!) Genau das wollen wir in den nächsten Wochen und Monaten umsetzen. Es wäre schön, wenn Sie sich einmal konstruktiv und nicht nur durch Geschrei in Aktuellen Stunden beteiligen würden. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Keine Hoffnung!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen uns daran erinnern, was hier von Minister Rösler und auch von der Koalition versprochen wurde. Es sollte eine Reform aus einem Guss werden: keine Flickschusterei, keine Beitragssatzerhöhung. Die solidarische Absicherung sollte ein Stück weit geschützt werden, und die 1-Prozent-Regel - so wurde damals behauptet - sollte auch nicht wegfallen. Es sollte eine nachhaltige Reform werden. Echte Strukturreformen wurden angekündigt. Das ist also das, was damals angekündigt wurde. Wenn Sie eine solche Reform gemacht hätten, dann hätten Sie tatsächlich unsere Zustimmung verlangen und erwarten können. Was haben Sie stattdessen vorgelegt? Was liegt heute vor? Seien wir doch ehrlich! (Elke Ferner [SPD]: Murks!) Es liegt eine Beitragssatzerhöhung vor, aber überhaupt keine Strukturreform; es gibt ein paar unsystematische und im Wesentlichen nicht besonders wirksame Sparvorschläge, die Kopfpauschale wurde "durch die Hintertür" eingeführt - hier ist Herr Seehofer, das sage ich einmal ganz offen, relativ erbärmlich eingeknickt -, (Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie verstehen es nicht!) und es gibt einen Sozialausgleich mit Alibifunktion. Das ist das, was vorliegt. Daher ist diese Reform aus meiner Sicht auf der ganzen Linie gescheitert. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Minister Rösler hat damals sinngemäß gesagt - ich muss sagen, das fand ich beeindruckend, weil das eine außergewöhnliche Ankündigung war -: Wenn die Reform misslingt, dann will mich niemand mehr als Minister haben. - Ich kann nur sagen: Dieser Fall ist jetzt eingetreten; jetzt ist es so weit. Das ist jetzt sozusagen der Zeitpunkt dafür, den zweiten Schuh fallen zu lassen. Es ist so weit. Die Reform ist misslungen, und daher will der Bürger Sie als Minister, ehrlich gesagt, auch nicht mehr haben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ist das hier Ihre Fernsehshow?) - Machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind ja gar nicht zu sehen, Herr Kollege. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu Ihnen gibt es keinen Kommentar. Sie sind nicht zu sehen, von daher gibt es auch keine Kritik. (Zuruf von Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]) Wäre diese Beitragssatzerhöhung vermeidbar gewesen? Natürlich wäre die Beitragssatzerhöhung vermeidbar gewesen. Seit neun Monaten haben wir keinerlei Sparbemühungen gesehen. Wir haben auch kein Vorschaltgesetz gesehen. Wir haben damals unter dem Druck drohender Beitragssatzerhöhungen immer Vorschaltgesetze gemacht. Jetzt steigen die Kosten im Pharmabereich, im Krankenhausbereich und bei den niedergelassenen Ärzten um 6 Prozent; und jetzt kommt die Beitragssatzerhöhung. Da sagen Herr Spahn und andere, wir hätten Sie mit den Schulden belastet. Das ist schlicht und ergreifend eine Lüge. (Beifall bei der SPD) Als wir damals das Ministerium an Herrn Rösler übergeben haben (Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer ist wir? Das deutsche Volk!) - nein, die Große Koalition; unter anderem wir beide -, (Heiterkeit im ganzen Hause - Beifall bei der SPD und der LINKEN) als die Große Koalition das Ministerium übergeben hat, hatten wir in der KV-45-Tabelle (Heinz Lanfermann [FDP]: Ich wusste gar nicht, dass Sie dabei waren, Herr Spahn!) - Herr Lanfermann, das wäre auch für Sie ganz interessant - einen Überschuss von 1,4 Milliarden Euro. Jetzt schwadronieren Sie von einem Defizit von 10 Milliarden Euro und verbreiten die Legende, um nicht zu sagen, die Lüge, wir hätten Sie mit einem Schuldenhaushalt von 10 Milliarden Euro belastet. Das stimmt doch gar nicht! (Beifall bei der SPD - Heinz Lanfermann [FDP]: Was haben Sie denn gegen den Schätzerkreis?) Die Wahrheit ist doch, dass wir Überschüsse hatten. Keine einzige Krankenkasse hatte einen Zusatzbeitrag erhoben. Das wissen Sie selbst doch ganz genau. Wir hatten einen ausgeglichenen Haushalt. Jetzt kann man unterschiedlicher Meinung sein, wie viel davon - - (Heinz Lanfermann [FDP]: Kennen Sie den Schätzerkreis? - Ulrike Flach [FDP]: Das ist aber eine Geschichtsklitterung! Schämen Sie sich!) - Die KV-45-Tafel ist keine Schätzung, sondern das waren die Zahlen bei der damaligen Übergabe, das war der Bestand. Das ist die Bilanz, Herr Lanfermann. Die Bilanz war damals positiv mit 1,4 Milliarden Euro. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Heinz Lanfermann [FDP]: Das Defizit kommt vom Schätzerkreis!) Aber Sie sagen, wir hätten Ihnen 10 Milliarden Euro an Schulden überlassen. Das ist schlicht und ergreifend eine Lüge, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das sind Ihre Schulden. (Beifall bei der SPD - Ulrike Flach [FDP]: Das sagen nicht wir, das sagt der Schätzerkreis!) - Das ist keine Schätzung, verstehen Sie. (Ulrike Flach [FDP]: Natürlich! Was denn sonst!) Ich wiederhole ja nur, was Herr Spahn sagt. (Heinz Lanfermann [FDP]: Das Defizit von 2011 stammt vom Schätzerkreis!) - Nein, ich muss es Ihnen erläutern. Es geht nicht um den Schätzerkreis. Herr Spahn sagt, wir hätten Ihnen ein Defizit von 10 Milliarden Euro hinterlassen. Ich sage: Das ist schlicht eine Lüge. (Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist für 2011 zu erwarten! - Gegenruf von Elke Ferner [SPD]: Wie können wir denn für 2011 etwas hinterlassen?) Das hat nichts mit dem Schätzerkreis zu tun: Hören Sie genau zu, was ich sage! Was ist passiert? Ich bringe es auf den Punkt: Wir haben hier keine Strukturreform, wir haben die Kopfpauschale durch die Hintertür. Die Kopfpauschale wird die Bezieher mittlerer und geringer Einkommen besonders belasten. Die kleinen Leute werden belastet. Kapitaleigner, Gutverdiener, Privatversicherte, diejenigen, die oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegen, werden geschont. Die Arbeitgeber sollen demnächst nicht mehr mitbezahlen. Nur die kleinen Selbstständigen, nur die kleinen Arbeitnehmer müssen bezahlen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie quetschen die Menschen aus, die von ihrer Hände Arbeit leben müssen. Dafür werden Sie abgewählt. Sie stehen jetzt bei 4 Prozent. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie werden die Netto-Lügen-Partei sein. Man wird Ihnen bis zum Schluss, bis zur Abwahl vorwerfen, dass Sie die Netto-Lügen-Partei sind. Sie haben gelogen, als Sie gesagt haben, Sie würden die Bezieher mittlerer Einkommen entlasten. Denn Sie haben genau dort zugeschlagen. Daher sind Sie ab heute - ob Sie das wollen oder nicht; da können Sie filibustern, wie Sie wollen - die Netto-Lügen-Partei. Das ist auch richtig so, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Christine Aschenberg-Dugnus für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Nun haben wir uns heute hier versammelt, um erneut über Gesundheit zu diskutieren. Mir kommt es so vor, als wäre es erst gestern gewesen - aber von mir aus immer wieder gerne. Kommen wir zur Sache: Die Menschen werden im Schnitt immer älter. Das müssen wir immer wieder verbreiten. Der medizinische Fortschritt ist eine erfreuliche Tatsache. Die altersbedingten Krankheiten werden stark zunehmen. Dazu im Einzelnen ganz konkret: Die Zahl der zu erwartenden Herzinfarkte steigt bis zum Jahr 2050 um 75 Prozent. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie an der Regierung bleiben, bestimmt!) Bei Schlaganfällen gibt es ein zu erwartendes Plus von 62 Prozent, und die Zahl der Demenzpatienten wird sich bis zum Jahr 2050 verdoppelt haben. An dieser Tatsache kommen wir leider nicht vorbei. Sogar ein Schulkind kann sich ausrechnen: mehr alte Menschen, mehr Krankheiten, die erst bei alten Menschen auftreten, mehr Möglichkeiten, die Krankheiten erfolgreich zu therapieren. All das kostet Geld, und zwar mehr als das, was uns bis dato zur Verfügung steht. Wir sagen den Menschen hier ganz ehrlich: Ja, wir brauchen mehr Geld für die Gesundheit. Ja, die Menschen werden deshalb in Zukunft mehr bezahlen müssen als in der Vergangenheit. Ja, es wird auf absehbare Zeit nicht billiger, sondern eher teuerer. Aber dafür werden wir auch weiterhin das beste und weltweit anerkannteste Gesundheitssystem behalten, und das ist gut so. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Markus Kurth [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen wir aber die Finanzierung gerechter machen!) Die Alternative dazu wäre Rationierung. Ich hoffe, wir sind uns darüber einig, dass wir das nicht wollen. (Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ganz klare Ansage!) Zur Stabilisierung der Gesundheitsfinanzen müssen und werden alle beitragen: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Leistungserbringer und auch die Krankenkassen. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Die Privatversicherten! - Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur nicht die Apotheker!) Daher begrenzen wir den Zuwachs bei der Vergütung der ambulanten Versorgung bei Ärzten und Zahnärzten. (Elke Ferner [SPD]: Die haben immerhin noch einen Zuwachs!) Es wird eine Begrenzung des Vergütungsniveaus bei Hausarztverträgen geben, (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Die armen Hausärzte!) und auch im stationären Bereich wird es Einsparungen geben. Beachtliche Einsparvolumina gibt es auch im Arzneimittelsektor. Das entsprechende Gesetz kennen Sie bereits. Es ist ein gutes Gesetz. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU - Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht!) Wenn die Leistungserbringer ihren Teil zur Reform beitragen, müssen selbstverständlich auch die Leistungsempfänger herangezogen werden. Das ist genauso fair wie einleuchtend. (Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht gleich doppelt!) Deshalb wird der allgemeine Beitragssatz auf das Vor-Wirtschaftskrisenniveau von 15,5 Prozent angepasst. Damit nehmen wir die im Zuge der Konjunkturkrise mit Steuermitteln, also auf Pump, finanzierte Absenkung der Beiträge wieder zurück. Denn die Zeit der ungebremsten Verschuldung ist endgültig vorbei. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Markus Kurth [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Rekordverschuldung!) Mit der Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge kommen wir endlich weg von der beschäftigungsfeindlichen Koppelung der Krankheitskosten an die Einkommen der Arbeitnehmer. Wir haben doch erlebt, dass sich jede Konjunkturschwankung direkt auf die Gesundheitskassen auswirkt. Das können wir nicht weiter hinnehmen. Die Kassen erhalten nun die Möglichkeit, einkommensunabhängige, individuelle Zusatzbeiträge festzulegen. (Zuruf von der LINKEN: Das ist unsozial!) Die Kassen erhalten damit mehr Beitragsautonomie; denn die Zusatzbeiträge landen direkt bei der Krankenkasse und werden nicht über den Gesundheitsfonds geschleust. Auch das war uns sehr wichtig. Damit schaffen wir den dringend notwendigen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unterschiedliche Prämien bieten nämlich Anreize für Kassen und Patienten. Der Patient kann also die völlig transparenten Preise und Leistungen der Kassen vergleichen. Man darf den Menschen ruhig zutrauen, dass sie unterschiedliche Preisniveaus bewerten können. (Ulrike Flach [FDP]: Das ist wohl wahr!) Ich zitiere Herrn Böll auf Spiegel Online vom gestrigen Tage: Wer wegen einer 5-Cent-Ersparnis beim Joghurt fünf Kilometer fährt, dürfte auf solche Preissignale bei den Zusatzbeiträgen ebenfalls reagieren. Recht hat der Mann! (Mechthild Rawert [SPD]: Das machen nur die Leute mit geringerem Einkommen!) Außerdem führen wir weitere strukturelle Änderungen im System durch: eine Honorarreform für den ambulanten Bereich mit klar erkennbaren Preisen, Ausweitung der Kostenerstattung und die Reform der Selbst-verwaltungsorgane. Außerdem werden wir eine Präventionsstrategie entwickeln und die Gesundheits- und Versorgungsforschung ausbauen. Der Vorwurf der Opposition entbehrt daher jeder Grundlage, Frau Bunge und Herr Lauterbach. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das werden Sie sehen! Keine Sorge!) Wir stellen sicher, dass die Zusatzbeiträge direkt an die Kassen gehen und dass diejenigen, die davon überfordert werden, einen Ausgleich erhalten. Sie sehen also: Wettbewerb und soziale Verantwortung gehen bei uns Hand in Hand. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Ich komme zum Ende. - Mit den von uns eingeleiteten Maßnahmen zur Reduzierung der Ausgaben und Stabilisierung der Einnahmen haben wir ein sehr wirksames Mittel gefunden, der bisherigen Planwirtschaft im Gesundheitswesen ein Ende zu bereiten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Mechthild Rawert [SPD]: Planwirtschaft hat wenigstens noch einen Plan! - Heinz Lanfermann [FDP]: Man kann ja auch sachlich reden, wie es gerade gemacht wurde!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Maria Klein-Schmeink für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie immer bekomme ich die besonderen Stichworte von den Vorrednerinnen und Vorrednern der FDP. Das war auch dieses Mal der Fall. Wenn hier von Planwirtschaft gesprochen wird, dann muss man doch der FDP ganz klar vorwerfen: Sie sind marktradikale Anhänger einer Theorie, die die Steuerung der gesundheitlichen Versorgung dem Wettbewerb überlassen will. (Ulrike Flach [FDP]: Das glauben Sie nicht wirklich!) Das werden wir jedenfalls nicht mitmachen, und das wird auch der Großteil der Bevölkerung nicht mitmachen. Seien Sie sich dessen sicher! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben sich sehr viel Mühe gegeben, meine Vorredner und Vorrednerinnen von den Regierungsparteien, deutlich zu machen, es handle sich hier um ein faires Paket. Was fair daran sein soll, dass sämtliche Kostensteigerungen in der Zukunft allein von den Versicherten aufgefangen werden müssen - einmal über die Beiträge, zum anderen über die Zusatzbeiträge -, müssen Sie uns und der Bevölkerung einmal erklären. Ich glaube, das wird Ihnen nicht gelingen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Nicht zugehört!) Wenn Sie in die Presse schauen, können Sie feststellen, dass keiner der Autoren Ihre Argumentation auch nur in Ansätzen nachvollzogen hat. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Da lesen Sie die falschen Zeitungen!) Alle sagen rundweg - Sie können sich den Pressespiegel anschauen -: Es handelt sich um einen faulen Kompromiss. - Es ist völlig klar: Die Zuwächse werden von den Patienten und von den Versicherten zu zahlen sein. Das heutige Thema sind aber die Perspektiven der Gesundheitspolitik. Da stellt sich die Frage, welche Perspektiven eigentlich aufscheinen. Haben Sie uns überhaupt Perspektiven aufgezeigt? Als Erstes haben Sie es gerade einmal geschafft, das kommende Defizit in den Griff zu bekommen. Darauf sind Sie stolz wie Oskar. Ich verstehe diesen Stolz nicht. Sie hätten dieses Defizit gleich zu Beginn dieses Jahres durch einen Federstrich vermeiden können. Das wäre im Haushaltsgesetz leicht möglich gewesen. Sie hätten sich dieses ganze Theater sparen können. Es ist überhaupt kein Stolz angebracht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Spahn, Sie haben gestern stolz darauf verwiesen, dass Sie etwas in Sachen Gesundheitspolitik geschafft haben, und gleichzeitig der SPD Versäumnisse vorgeworfen. Es sei daran erinnert: Dieses Defizit geht genauso auf Ihr Konto wie auf das der SPD. Machen Sie sich da keinen schlanken Fuß! (Jens Spahn [CDU/CSU]: Hätten Sie den Krankenhäusern nicht mehr Geld gegeben?) - Darauf komme ich gleich. - (Jens Spahn [CDU/CSU]: Nein, das ist entscheidend!) Sie brauchen acht Monate, um die Situation zu ändern. Das ist Ihr Kardinalfehler. Es geht gar nicht darum, dass es Kostensteigerungen gegeben hat. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Aha!) Sie haben dieses Defizit von vornherein im Gesetz einkalkuliert. Sie sind von einem Deckungsbeitrag für die GKV in Höhe von 95 Prozent ausgegangen. Alles andere haben Sie wissentlich in Kauf genommen. Das ist doch völlig klar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Deshalb standen Sie in der Verantwortung, für diese Situation eine Lösung anzubieten. Sie haben also keinen Grund, stolz zu sein. Kommen wir zu den Perspektiven. Frau Aschenberg-Dugnus und viele andere haben angesprochen, dass uns die demografische Entwicklung große Probleme bereiten wird. Haben Sie bisher auch nur eine einzige Lösung auf den Tisch gelegt oder gesagt, wie Sie mit diesem Problem umgehen wollen? Keine einzige. Es hilft nicht, die ländliche Versorgung zu beschwören, wenn man keinen einzigen Lösungsbeitrag vorlegt. Es hilft auch nicht, einen Zusatzbeitrag einzuführen, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Jetzt erzählen Sie mal, wie Sie damit umgehen!) der gerade die Rentnerinnen und Rentner belasten wird, die es nicht schaffen werden, einfach in eine andere Krankenversicherung zu wechseln. Sie haben keine Lösung für die Probleme, die vor uns liegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich bin mir sicher: Sie werden bei der nächsten Wahl genau dafür die Quittung erhalten. In dieser Woche hat es eine Umfrage unter 1 200 Personen gegeben, von denen sich 80 Prozent für ein Solidarsystem mit einer paritätischen Finanzierung ausgesprochen haben - das wollen auch wir -, die aber auch Versorgungslücken gesehen haben und eine verbesserte Zusammenarbeit und mehr Investitionen in die Prävention gefordert haben. Das sind die großen Aufgaben, die wir angehen müssen. Davon haben Sie nicht eine einzige in Angriff genommen. Sie schieben das in die Zukunft. Kein einziges der strukturellen Probleme haben Sie auch nur annähernd gelöst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In den letzten Tagen habe ich immer nur gehört: Wir setzen auf Wettbewerb. - Welche Wettbewerbsstrukturen sollen denn sicherstellen, dass die Aufgaben der ortsnahen Versorgung und der Behebung des Fachkräftemangels auch nur annähernd bewältigt werden können? Das werden sie natürlich nicht. Das wird mit 160 im Kartenwettbewerb zueinander stehenden Krankenkassen, die ständig damit beschäftigt sind, welchen Zusatzbeitrag sie nun nehmen dürfen und welcher Zusatzbeitrag sie in diesem Wettbewerb schlecht dastehen lässt, nicht möglich sein. Mit so aufgestellten Krankenkassen werden Sie die drängenden Probleme in dieser Form nicht lösen können. Es hilft nicht, allein auf Wettbewerb zu setzen. Es ist vielmehr nötig, dass man eine sozial orientierte, eine solidarische und eine sozial verantwortliche Gesundheitspolitik und mehr Zusammenarbeit auf den Weg bringt. Genau dafür fehlt Ihnen jedes Rezept. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun die Parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Verlauf der heutigen Debatte zeigt, wie notwendig und richtig es ist, dass die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen durch einen mutigen Schritt ein weitreichendes Konzept vorgelegt haben. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Wahrnehmungsstörungen!) Das, was Sie von der Linken hier präsentiert haben - mit zweimal 5 Prozent Beitrag die Finanzierung des Systems und die Krankenhauskosten mit einer Unterdeckung von 50 Milliarden Euro zu finanzieren -, beruht auf Rechenkünsten aus dem Wolkenkuckucksheim. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Das habe ich überhaupt nicht gesagt! Hören Sie zu!) Herr Kollege Lauterbach, bis jetzt sind Sie jeden Vorschlag schuldig geblieben. Sie haben nicht ein einziges Finanzierungskonzept vorgelegt. Sie haben hier im Parlament nicht einen einzigen konkreten Einsparvorschlag mitgetragen. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Wir haben ein Arzneimittelpaket abgegeben! - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Es geht doch auch um Ihre Politik, um Ihre Misswirtschaft! Es geht um Ihren Murks!) Im Gegenteil: Was Sie hier im Parlament eingebracht haben, waren Änderungsanträge, die die Pharmaindustrie begünstigt hätten. Ich erinnere nur an die Arzneimittel-importeure; das ist gerade einmal wenige Tage her. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es gibt keine verantwortbare Alternative zu den Maßnahmen, die wir jetzt beschlossen haben. Wir schaffen damit die Grundlage für ein stabiles, ein transparentes, ein gerechtes und ein effizientes Gesundheitssystem. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das glaubt Ihnen kein Mensch, und es stimmt vor allen Dingen nicht!) Das ist ein klarer Schritt in Richtung einer dringend erforderlichen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir verhindern mit diesen Maßnahmen, dass die gesetzlichen Krankenkassen im nächsten Jahr unter der Last eines Defizits von 11 Milliarden Euro zusammenbrechen. (Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist auch Ihre Aufgabe! Das ist doch das Mindeste!) Die Zusatzbeiträge auf der Grundlage eines kasseninternen Sozialausgleichs, wie sie heute existieren, hätten doch dazu geführt, dass sich die Krankenkassen selbst strangulieren. Dies gilt insbesondere für diejenigen, für die Sie doch sonst meinen, Politik zu machen. Ich meine die Krankenkassen, die Menschen mit geringen Einkommen versichert haben. (Ulrike Flach [FDP]: So ist es! - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Almosen sind das!) Wir sind deren Fürsprecherinnen und Fürsprecher. Deshalb ändern wir dieses System der Zusatzbeiträge. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Krankenkassen hätten doch bei diesem Defizit gar keine Möglichkeit und keine Perspektive mehr, die qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung unserer Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Was wären denn die Perspektiven gewesen? Insolvenzen? Leistungskürzungen? Leistungsausschlüsse? Rationierung von Leistungen? Höhere Zuzahlungen? (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Ein neues System wäre die Konsequenz gewesen!) Die Leidtragenden dieser Perspektiven, die Sie in Kauf nehmen wollen, wären die Kranken und die Schwachen gewesen, die auf die Stabilität dieses Systems angewiesen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich kann Ihnen nur sagen: Ein vorrangiges Ziel ist es, dass die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung stabilisiert werden. Das erreichen wir durch kurzfristige Einsparungen auf der Seite der Leistungserbringer, und zwar der Krankenhäuser, der Ärzte, der Pharmaindustrie - vom Hersteller über den Großhändler bis in die Apotheke - und bei den Verwaltungskosten der Krankenkassen. Wir verlangen von allen Beteiligten einen Beitrag zur Stabilisierung der Ausgaben. (Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nur von einigen besonders viel!) Wir verlangen ihn aber mit Sinn und Verstand, und zwar ohne notwendige und sinnvolle Leistungen einzuschränken oder die Menschen vom medizinischen Fortschritt abzukoppeln. Ich kann nur sagen: Es geht nicht, dass man im Parlament und im Ausschuss immer wieder größtes Verständnis für die Nöte der Beschäftigten äußert - ob sie nun im Krankenhaus als Ärzte oder Pflegekräfte beschäftigt sind oder die medizinische Versorgung im ländlichen Raum abdecken -, sich aber dann, wenn es darum geht, ihnen auch eine leistungsgerechte Vergütung zukommen zu lassen bzw. diese abzusichern, durch die Gänge zu machen. Das geht nicht. Wir handeln an dieser Stelle verantwortlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das tun wir nicht!) Mit dem Ziel der Ausgabenstabilisierung ist auch eine mittel- und langfristige Perspektive verbunden. Wir werden in dieser Legislaturperiode strukturelle Reformen im Gesundheitswesen auf den Weg bringen, Reformen, die mehr Wahlfreiheit für den Einzelnen, weniger Bürokratie und vor allen Dingen mehr Wettbewerb schaffen. Die zentrale Voraussetzung für funktionierenden Wettbewerb sowohl zwischen den Krankenkassen als auch zwischen den Leistungserbringern ist, dass Krankenkassen wirklich Planungssicherheit haben und damit die langfristige Perspektive besitzen, gestalten zu können. Deshalb müssen wir die Finanzgrundlagen stärken. Das erreichen wir auf folgenden Wegen: Erstens. Wir sehen einen zusätzlichen Steuerzuschuss von 2 Milliarden Euro für das Jahr 2011 vor. Dazu kann ich nur sagen: Das ist eine notwendige und richtige Maßnahme. Zweitens. Wir stellen den Zustand von vor der Wirtschaftskrise wieder her. Ministerin Schmidt und allen Beteiligten war schon klar, dass die Beitragsabsenkung vorübergehend ist und dass dieses Defizit wieder entstehen wird. Vielleicht haben Sie, Kollege Lauterbach, in den entsprechenden Sitzungen in der letzten Legislaturperiode gefehlt; wahrscheinlich hat Frau Schmidt mit Ihnen darüber nicht gesprochen. Dass Ihnen dies nicht klar war, zeigt, wie weit Sie von der gesundheitspolitischen Realität in unserem Land entfernt sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Drittens. Wir haben den Krankenkassen über die Zusatzbeiträge die erforderliche Finanzautonomie zurückgegeben. Auch das ist dringend notwendig. Schauen Sie einmal: Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten 15 Jahren sind deutlich stärker und dynamischer gewachsen als die beitragspflichtigen Einnahmen, und das, obwohl wir eine Vielzahl von Maßnahmen in unterschiedlichen Koalitionsformationen durchgeführt haben, obwohl Kosten über Budgets oder über Zwangsabgaben gedämpft wurden, obwohl wir in der Vergangenheit strukturelle Maßnahmen ergriffen haben - denken Sie an die DRGs, denken Sie an Regelleistungsvolumina, denken Sie an Festbeträge! -, obwohl wir mehr Wettbewerb ins System gebracht haben. Denken Sie an Rabattverträge, an Verträge zur Integrierten Versorgung, an Ausschreibungen! Trotzdem hat sich der Abstand zwischen Einnahmen und Ausgaben weder verringert, noch ist er gleich geblieben, sondern er ist sogar größer geworden. Das zeigt ganz klar: Demografische Entwicklungen und medizinischer Fortschritt haben Folgen für das Gesundheitswesen, und sie fordern ihren Preis. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer im Interesse der Menschen diesen Bedarf decken will, der hat keine Alternative, wenn er Arbeitsplätze nicht gefährden und Konflikte nicht auf dem Buckel der Kranken und der sozial Schwachen austragen will. Wir wollen das nicht tun. Zu diesen Maßnahmen gibt es keine Alternative. Wir schaffen neue Perspektiven für dieses System. Neben der erforderlichen Stärkung der Finanzierungsgrundlage ist unser erklärtes Ziel, sicherzustellen, dass die Versicherten nicht über Gebühr belastet werden. Deshalb gestalten wir den Zusatzbeitrag gerecht. (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wie geschieht dies? Wir sorgen dafür, dass der soziale Ausgleich nicht mehr innerhalb der einzelnen Krankenkasse, sondern im gesamten GKV-System stattfindet. Das Ganze ist fair gestaltet, da der Ausgleich vom ersten Euro des Zusatzbeitrags an durchgeführt wird. Es geht also nicht mehr um einen Betrag von 8 Euro, bei dem keine Einkommensprüfung stattfindet. (Elke Ferner [SPD]: Den wollten Sie doch haben! Sie haben darauf bestanden!) Wir finanzieren den Sozialausgleich aus Steuermitteln. Damit beteiligen sich privatversicherte Einkommensbezieher und eben auch Arbeitgeber - das sind die stärkeren Schultern in unserem Land - an diesem Ausgleich. Dadurch ist unser Ansatz deutlich gerechter. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir gestalten diesen Ausgleich unbürokratisch: Er wird über den Arbeitgeber bzw. den Rentenversicherungsträger gewährt. (Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie das geht, zeigen Sie uns noch!) Wir schaffen die Nachteile im Wettbewerb derjenigen Krankenkassen ab, die hauptsächlich Einkommensschwache versichern. Wir befördern damit über Preissignale endlich wieder den Wettbewerb um eine effizientere Versorgung der Versicherten mit innovativen Konzepten. Wir stellen Transparenz hinsichtlich Preis und Leistung her. Wir schaffen beim Versicherten den Anreiz, in eine günstigere, in eine effizientere Krankenkasse zu wechseln. Das sind Perspektiven für Krankenkassen und für Versicherte, hochwertige Verträge abzuschließen, ein gutes Versorgungsmanagement zu organisieren und eine effiziente Verwaltung aufzubauen. Das sind Perspektiven, die unser Konzept schafft, und das sind Perspektiven, die den Menschen in unserem Lande zugutekommen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bärbel Bas für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bärbel Bas (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In den letzten Tagen konnte man dazu wirklich viele Überschriften in den Medien lesen. Ich will sie jetzt gar nicht alle wiederholen; darüber haben wir gestern schon gesprochen. Für mich bestätigt sich das, was ich schon in einer Rede im April gesagt habe, nämlich dass der Minister als Tiger gestartet ist und mit seinen Vorschlägen als Bettvorleger landen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt auch stärkere Bilder! - Gegenruf des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD]: Es war aber ein treffendes Bild!) Sie, Herr Minister, sind mit dem Ziel angetreten, alles gerechter, sozialer, stabiler und transparenter zu machen. Vor allem wollten Sie es anders machen als Ihre Vorgänger im Amt. (Elke Ferner [SPD]: Anders ist nicht besser!) Was ist von diesen Ankündigungen übrig geblieben? Letztendlich ist nichts davon übrig geblieben. Sie kündigen Kostendämpfungen und gleichzeitig eine Beitragssatzerhöhung an. Ich möchte wirklich einmal wissen, wo die Unterschiede zu Ihren Vorgängern liegen. Ich habe nachgeforscht, welche Unterschiede es denn tatsächlich zu Ihren Vorgängern gibt. Mir sind ganze drei eingefallen: Erstens haben Sie extrem lange gebraucht, zweitens haben Sie vorher etwas völlig anderes gesagt, als Sie jetzt machen, und drittens kassieren Sie die gesetzlich Versicherten in einem Ausmaß ab, das, glaube ich, vorher noch nie da gewesen ist. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will Ihnen einmal sagen, wie die Vorschläge aussehen. Sie belasten die Wirtschaft und die Versicherten mit 6 Milliarden Euro. Das ist eine ganz erhebliche Summe. Daneben machen Sie ein Sparpaket von nur 3,5 Milliarden Euro. Ich sage deshalb "nur", weil ich es nicht für gerecht halte, (Beifall bei der SPD) wenn bei einem Defizit von 11 Milliarden Euro Versicherte und Wirtschaft 6 Milliarden Euro tragen, die Pharmaindustrie, Ärzte und Krankenhäuser aber nur 3,5 Milliarden Euro. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wollen Sie bei den Ärzten mehr sparen?) Das ist eine ungerechte Verteilung der Belastung. Da müssen Sie es schon hinnehmen, dass das als nicht gerecht bezeichnet wird. Jetzt kommt es noch besser. Wenn das nicht reicht, müssen die Kassen eine Kopfpauschale erheben - und das in Zukunft in unbegrenzter Höhe. Damit haben Sie den Weg dafür freigemacht, dass die Kassen bis zu 10 Milliarden Euro bei den Versicherten abschöpfen können - das hat es, glaube ich, bisher auch noch nicht gegeben -, und zwar ohne einen Euro Ausgleich. Sie haben nämlich die Hürde für den Sozialausgleich mal eben auf 2 Prozent hochgesetzt. Erst dann gibt es einen Ausgleich - bisher waren die Zusatzbeiträge auf 1 Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen begrenzt -, (Dr. Erwin Lotter [FDP]: Ohne Sozialausgleich!) und das ist überhaupt nicht sozial und gerecht schon gar nicht. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Unvermeidbare Ausgabensteigerungen werden durch Zusatzbeiträge der Versicherten finanziert. Mit diesem Satz haben Sie endlich die Katze aus dem Sack gelassen. Ab 2012 zahlen nämlich die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung die Zeche ganz allein. Das nenne ich ebenfalls nicht sozial, nicht ausgewogen und nicht gerecht. Wenn Sie sich schon dafür feiern, dass die gesetzliche Krankenversicherung die Beitragsautonomie zurückbekommt, dann müssen Sie ihr auch zeitgleich Möglichkeiten geben, stärker als bisher Rabatte auszuhandeln, Verträge mit Ärzten und Krankenhäusern zu schließen. Aber hier bleiben Sie genauso wie mit Ihrem Arzneimittel-Neuordnungsgesetz im Ansatz stecken. Nichts davon liegt auf dem Tisch. Sie rühmen sich weiterhin, den Ausgleich ganz unbürokratisch zu gestalten. Konsequenterweise hätten Sie auch die Erhebung des Zusatzbeitrags über den sogenannten Quellenabzug organisieren müssen. Vor allem wäre das auch wirtschaftlicher gewesen. Sie sagen: Das alles geht ganz einfach. Die Arbeitgeber können das EDV-gestützt leisten. Die Rentenversicherer können das EDV-gestützt leisten. - Nur haben Sie offenbar vergessen, dass die Zusatzbeiträge von den Kassen eingesammelt werden müssen. Jetzt nenne ich Ihnen einmal ein paar Zahlen, die ganz interessant sind - die Deutsche BKK, die schon einen Zusatzbeitrag erhebt, hat das für 2010 einmal ausgerechnet -: Von 8 Euro gehen 1,60 Euro in die Verwaltung. Das macht bei der Kasse 12 Millionen Euro. 10 Prozent der Verwaltungsausgaben entfallen damit auf die Erhebung des Zusatzbeitrags. (Ulrike Flach [FDP]: Aber das haben Sie auf den Weg gebracht, Frau Bas! Das ist die alte Regelung! Warum beschweren Sie sich über Ihre eigene Regelung?) - Ich beschwere mich nicht. Aber Sie wollen es doch besser machen. (Ulrike Flach [FDP]: Aber Sie zeigen gerade, wie schlecht es ist!) Sie verschwenden über die Verwaltungskosten bei einer Kasse 12 Millionen Euro. Damit könnten Sie 6 000 medizinische Rehamaßnahmen oder 3 000 Mutter- oder Vater-Kind-Kuren finanzieren. Das sind nur einige Beispiele für das, was wir mit Ihrer Bürokratie verschwenden. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie aber einen Fehler gemacht! - Ulrike Flach [FDP]: Eigentor!) - Das war kein Eigentor; denn die Vorschläge, die Sie jetzt auf den Tisch gelegt haben, sind weder gerecht noch sozial ausgewogen. Sie stabilisieren damit in keiner Weise das Gesundheitssystem, sondern lediglich die Arbeitgeberbeiträge und Ihre chaotische Koalition. Der Satz Ihres Generalsekretärs Lindner "Der Staat ist ein teurer Schwächling" hat für mich Gestalt angenommen in Person des Gesundheitsministers. (Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU/ CSU und der FDP: Oh!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Erwin Lotter für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Dr. Erwin Lotter (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde auf Antrag der Linken beweist doch eigentlich nur eines: Nicht in der Gesundheitspolitik der Regierung herrscht Perspektivlosigkeit, sondern in der Fraktion Die Linke selbst. Ganz offensichtlich weiß die Opposition nicht, wovon sie redet. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Sie haben doch keinen Plan!) Von Perspektivlosigkeit kann nach dem vergangenen Dienstag doch überhaupt nicht mehr die Rede sein. (Beifall bei der FDP - Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber vorher, oder was?) Seit der Bundestagswahl ist kaum mehr als ein halbes Jahr vergangen, und wir haben endlich eine Gesundheitsreform, die diesen Namen auch verdient. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten - ich betone: seit Jahrzehnten - geht es bei dieser Reform nicht nur um Kostendämpfung. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr wolltet doch gar keine Kostendämpfung!) Es geht um den Einstieg in eine solide, nachhaltige und gerechte Finanzierung des Gesundheitssystems. Zugegeben, die Verhandlungen in der Koalition waren nicht einfach. Aber für uns war der Koalitionsvertrag der Maßstab, und die vereinbarten Maßnahmen haben wir in einem ersten Schritt klar umgesetzt. Die Regierung hat ein zukunftsweisendes Paket geschnürt. Es enthält sinnvolle Einsparungen in Milliardenhöhe (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Belastungen zukünftiger Generationen!) ebenso wie erste Schritte zum Einstieg in eine nachhaltige Finanzierung des Gesundheitswesens - und dies ohne Einschränkung der Qualität. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die einkommensunabhängigen Zusatzbeiträge werden nicht prozentual berechnet. Vielmehr erhebt jede Krankenkasse eine fixe Summe pro Versicherten. Dies bedeutet zum einen mehr Wettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen, da die Vergleichbarkeit der Beiträge direkt gegeben ist, und zum anderen mehr Transparenz für die Versicherten, die endlich einen klaren Überblick über die Angebote der verschiedenen Kassen erhalten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für die Kassen bedeutet die Aufhebung der Deckelung der Zusatzbeiträge mehr Freiheit bei der Tarifgestaltung. Für die Arbeitgeber bedeutet das Einfrieren ihrer Beiträge Entkoppelung von den Arbeitskosten, endlich Planungssicherheit über Jahre hinaus. Das ist gut für Investitionen, gut für das Wachstum und gut für das Vertrauen in eine Politik, die nicht jedes Jahr eine neue Sau durchs Dorf jagt. (Beifall bei der FDP) Für die Liberalen ist besonders wichtig, dass die Neuregelung der Zusatzbeiträge auch einen Einstieg in das System des Sozialausgleichs bedeutet, den es bislang nicht gab. (Zuruf von der LINKEN: Das ist eine Mogelpackung!) Für den Ausgleich über Steuermittel sind Steuererhöhungen nicht erforderlich. Wir werden genau beobachten, wie sich dies auf Geringverdiener und Bezieher mittlerer Einkommen auswirkt. Ganz im Gegensatz zu den substanzlosen Behauptungen der Opposition gilt bei uns: Wir wollen verhindern, dass die Versicherten überfordert werden. Dass die Mehrwertsteuerlüge-Partei SPD uns hier ausgerechnet Lügen vorwirft, das ist schon dreist. (Beifall bei der FDP - Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Netto-Lüge-Partei FDP!) Bisher führten steigende Gesundheitskosten zu steigenden Arbeitskosten. Alle bisherigen sogenannten Gesundheitsreformen waren reine Gesetze zur Kostendämpfung. Das Ergebnis war: Deckelungen und Budgetierungen, die dem Gesundheitssystem immer mehr Fesseln angelegt haben. Die Entkoppelung der Gesundheits- von den Arbeitskosten führt auch zu mehr Freiheit im Gesundheitssystem. (Beifall bei der FDP - Mechthild Rawert [SPD]: Für wen?) Selbstverständlich müssen Mediziner und Angehörige der Heilberufe künftig darauf achten, dass die Verantwortung gegenüber den Patienten und die Verantwortung gegenüber der Finanzierbarkeit des Systems im Gleichgewicht bleiben. Dieses Gleichgewicht wird jedoch nicht mehr zentralistisch verfügt wie bisher, sondern in die Hände des Fachpersonals gelegt. Das ist eine echte, eine fundamentale Verbesserung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uns allen geht es doch darum, die exzellente medizinische Versorgung in Deutschland aufrechtzuerhalten und fortzuentwickeln. Hohe Qualität und das Schritthalten mit dem technischen Fortschritt sind nicht zum Nulltarif zu bekommen. Der Koalition ist es gelungen, unvermeidliche Kosten auf so viele Schultern wie möglich zu verteilen und weniger abhängig von den Schwankungen der Konjunktur zu werden. Gleichzeitig haben wir den Weg zu einkommensunabhängigen Zusatzbeiträgen geebnet. Das ist ein Ausweg aus den stümperhaften Nachbesserungsmaßnahmen, die für die Gesundheitspolitik der letzten zehn Jahre kennzeichnend waren. Das soll Chaos sein? (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das ist zu pauschal!) Ich möchte nicht das Chaos erleben, das losbricht, wenn die Opposition weiterhin an unserem Gesundheitssystem herumpfuscht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden weiterhin mit Nachdruck Bundesgesundheitsminister Rösler unterstützen. Wir zeigen Ihnen eine Perspektive auf. Wir haben eine Vision, und an dieser halten wir fest. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Weinberg (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Prozess des vorliegenden Reformwerkes, die verschiedenen Stufen und die verschiedenen Ideen, die uns dargelegt wurden, zeigen uns im Wesentlichen eines: Die Bundesregierung - darin vor allem die FDP - hat keinen Plan. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen geht es mit dem Chaos - das Sie uns vorwerfen wollen - weiter. Es gab eine Pressemeldung, in der zu lesen war, dass die CSU am unbürokratischen Sozialausgleich zweifelt. Ihr Gesundheitsexperte Straubinger führt aus: "Ich kann nicht erkennen, wie das umgesetzt werden soll." So geht das mit dem Chaos in dieser Regierung ein Stück weiter. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Wir diskutieren wenigstens in der Sache!) "Wichtig ist, was hinten rauskommt", sagte Helmut Kohl. Seiner politischen Erbin hingegen, der jetzigen Kanzlerin, scheint es egal zu sein, was das Ergebnis für die Versicherten, die Patientinnen und Patienten sowie für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler bedeutet. Hinten rauskommen soll vor allem eines: der Koalitionsfrieden. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Hauptsache für die Bundesregierung! Genau!) Liebe Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande, raten Sie mal, wer das zahlen darf. (Beifall bei der LINKEN) Die Menschen in diesem Land wissen genau, dass die Koalition auf ihre Kosten gerettet werden soll. Herr Rösler wird zwar nicht müde, zu behaupten, der Einstieg in eine dauerhaft solide Finanzierung sei geschafft. Das glauben ihm nach einer Umfrage auf tagesschau.de, an der sich schon 15 000 Bürgerinnen und Bürger beteiligt haben, gerade mal 2,4 Prozent. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Es gibt noch zu viele FDP-Wähler! - Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Damit glauben ihm das noch nicht einmal die 4 Prozent verbliebenen FDP-Anhänger. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Koalition will Unvereinbares zusammenbringen. Einerseits hätte die FDP das Gesicht verloren, wenn es keine Kopfpauschale gegeben hätte, andererseits war die CSU - im Übrigen zu Recht - dagegen. Was haben Sie gemacht? Sie haben pauschale Zusatzbeiträge geschaffen, die der Kopfpauschale in nichts nachstehen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Doch! Das ist ein großer Unterschied! Sie haben das nicht kapiert! - Ulrike Flach [FDP]: Die Kopfpauschale hat keiner gewollt!) Die sind das ungerechteste Finanzierungsinstrument, das es überhaupt gibt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ihr Problem ist: Sie wollen einen kompletten Systemwechsel - zumindest die eine Seite der Koalition -, aber gleichzeitig soll es so aussehen, als bliebe alles beim Alten. Was dabei herauskommt, ist unsozialer Murks. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Rösler, Sie meinen, Sie hätten eine nachhaltige und soziale Finanzierung geschaffen. Ihr Modell läuft darauf hinaus, dass in wenigen Jahren die Zusatzbeiträge bis zur Belastungsgrenze von 2 Prozent des Einkommens steigen werden, zuerst bei den armen Versicherten, später bei allen, zuerst bei klammen Kassen, später bei allen Kassen. Was passiert denn dann, nachdem Sie allen eine 2-prozentige Einkommenskürzung verpasst haben? Dann verwandelt sich Ihr sogenannter Sozialausgleich automatisch in ein Instrument, das alle weiteren Kostensteigerungen aus Steuern finanziert. Ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem? Ist das das liberale Idealbild? Ihren Vorschlägen ist eines gemein: Am Ende zahlen die Versicherten. Wie schon die Vorgängerregierungen laden Sie fast alle Kostensteigerungen bei den Versicherten und bei den Kranken ab. Als Feigenblatt haben Sie sich überlegt, den Arbeitgeberbeitrag zunächst um 0,3 Prozent zu erhöhen, dann aber für alle Zeiten festzuschreiben. Das heißt, über kurz oder lang haben die Versicherten eine zusätzliche Belastung von 2,3 Prozent. Sie belasten die Versicherten in unserem Land fast achtmal stärker als die Arbeitgeber. Ich frage Sie: Ist das sozial gerecht? Ist es sozial gerecht, dass die Versicherten ohnehin schon 0,9 Prozent mehr Beiträge zahlen als die Arbeitgeber? Dazu kommen die Praxisgebühr, Zuzahlungen, wirtschaftliche Aufzahlungen und Leistungen, die nicht mehr von der Krankenkasse übernommen werden. Das ist weder sozial noch gerecht, und das wissen alle Menschen draußen im Land. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Noch eine Bemerkung zum Mythos Lohnnebenkosten, der auch hier wieder bemüht worden ist: Die Exportindustrie hat diese Koalition offensichtlich vor den Karren gespannt. Sie kämpfen bei den Lohnnebenkosten merkwürdigerweise um jeden Cent Entlastung, wohlgemerkt als höchstes Ziel der Gesundheitspolitik. Mit Händen und Füßen wehren Sie sich zum Beispiel dagegen, das Defizit des nächsten Jahres dadurch auszugleichen, dass die Arbeitgeber wieder den gleichen Beitragssatz zahlen wie die Versicherten. Wie würde sich eine Beitragssatzsteigerung um 0,9 Prozentpunkte für die Arbeitgeber auf die Exportindustrie auswirken? Nehmen wir ein typisches Exportgut, den VW Golf mit einem Listenpreis von 18 275 Euro. Diese Beitragssatzsteigerung würde bei einem Lohnkostenanteil von 15 Prozent - Tendenz sinkend - am Preis gerade einmal 20 Euro ausmachen. 1 Prozent Wechselkursschwankungen, die wir in der letzten Zeit ja mitunter täglich haben, machen 185 Euro aus. Das ist also deutlich mehr. Sie hingegen belasten den VW-Facharbeiter durch den 0,9-prozentigen Sonderbeitrag mit 405 Euro zusätzlich im Jahr. Das soll gerecht sein? Wirtschaftlich sinnvoller wäre es, wenn sich der Arbeitgeber an diesen Kosten wieder zur Hälfte beteiligen würde und der Facharbeiter das Geld zum Ausgeben hätte. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dadurch, dass Sie über Ihr Konzept schreiben, es sei gerecht, sozial, stabil, wettbewerblich und transparent, wird das, was unter dieser Überschrift steht, nicht besser. Die Menschen wollen keine stufenweise Abschaffung der Solidarität im Gesundheitssystem. Sie wollen eine tatsächlich sozial gerechte Finanzierung, bei der starke Schultern mehr tragen als schwache. Das will die Linke auch. Das werden wir versuchen, durchzusetzen. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Stephan Stracke für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Stephan Stracke (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei den Redebeiträgen der Opposition von gestern und heute habe ich ein Rauschen im Ohr. Das klingt wie ein Föhn. (Mechthild Rawert [SPD]: Gehen Sie einmal zum Hausarzt!) Sie produzieren in diesem Saal nichts als heiße Luft. Mir ist klar geworden, warum Sie zwei Aktuelle Stunden brauchen - gestern und heute -: Sie verstehen es einfach nicht, und, schlimmer noch, Sie haben keine eigenen Vorschläge. (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD) Wenn es dem Erkenntnisfortschritt auf der linken Seite dieses Hauses dient, erklären wir Ihnen die gute Gesundheitspolitik der christlich-liberalen Koalition herzlich gerne. Durchgängig bildet sich ein deutliches Muster ab: Da steht die deutsche Sozialdemokratie, den Linken zugewandt, mit weit ausgebreiteten Armen, (Lachen bei der SPD - Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Bekämpfen Sie den Populismus!) mit offenem Herzen, aber trübem Blick, sei es, wenn es um die Wahl des Bundespräsidenten geht, sei es, wenn es um NRW geht; doch die Linke lässt sie abblitzen. Ja, enttäuschte Liebe kann ganz schön nachtragend machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Nicht anbiedern, Herr Lauterbach, sondern mit guter Politik überzeugen! Weil Sie dazu nicht in der Lage sind, sind Sie zu Recht da, wo Sie hingehören, nämlich auf den Oppositionsbänken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Nicht mehr lange!) Weil Sie nicht in der Lage sind, verantwortungsvoll Politik zu gestalten, haben Sie auch keine Antworten auf die Herausforderungen, jedenfalls nicht solche, die über den Tag hinausreichen. Das gilt insbesondere für die Gesundheitspolitik. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es! - Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Fangen Sie an mit Ihrer Rede!) Die Herausforderungen sind wirklich groß. Das für 2011 erwartete Defizit beträgt rund 11 Milliarden Euro. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben geht stark auseinander. Deswegen ist die Politik aufgefordert, zu reagieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei ist die Leitlinie unserer Politik: Wir wollen keine Kürzungen von Leistungen zulasten der Patientinnen und Patienten; wir wollen keine Rationierung und Priorisierung von Leistungen. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Sie haben noch nichts Konkretes gesagt! Sie haben noch gar nichts gesagt!) Im Gegenteil: Wir gewährleisten, dass jede und jeder ungehinderten Zugang zu unserem exzellenten Gesundheitswesen hat, unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen und Krankheitsrisiko. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!) Wir sorgen dafür, dass jede und jeder Teilhabe hat an Innovationen und medizinisch-technischen Fortschritten. Herr Lauterbach, genau dafür sorgen wir mit unseren vorgelegten Eckpunkten. (Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP]) Dabei gehen wir anders vor als die Opposition. Diese betrachtet ausschließlich die Einnahmeseite mit der Idee einer sozialistischen Einheitsversicherung im Kopf, (Lachen bei der SPD - Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Solidarisch, nicht sozialistisch!) die hinsichtlich der Wirkungen nichts anderes ist als ein tiefer Griff in die Taschen der Menschen in Form einer zweiten Einkommensteuer und im Ergebnis eine schlechtere medizinische Versorgung für alle bedeutet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir hingegen machen im Bereich der Gesundheit zunächst genau das, was wir auch beim Bundeshaushalt tun, wenn es um die Reduzierung der Neuverschuldung geht: Wir heben Sparpotenziale - gerecht und fair -; denn es ist fair, dass zunächst nach möglichen Sparbeiträgen im System gesucht wird. Vorschläge der Opposition dazu gibt es - bis auf ganz kleine - nicht, Fehlanzeige. Wir hingegen ziehen alle Akteure heran, die Leistungserbringerseite mit der Pharmaindustrie, den Apothekern, den Ärzten und Krankenhäusern auf der einen Seite und natürlich auch die Krankenkassen auf der anderen Seite durch einen Stopp bei den Verwaltungskosten. Der Sparbeitrag beträgt rund 3,5 Milliarden Euro im nächsten Jahr und 4 Milliar-den Euro im Jahr 2012. Wir nehmen auch die Arbeitgeber mit in die Verantwortung, indem wir den paritätisch finanzierten Beitragssatz wieder auf das Niveau von vor der Finanz- und Wirtschaftskrise anheben. Ferner nehmen wir Steuermittel in Form eines steuerlichen Bundeszuschusses in die Hand. So nehmen wir zur Bewältigung des Defizits alle in den Blick: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, die Leistungserbringer, die Krankenkassen und den Steuerzahler. Ich finde, wir haben hier ein ausgewogenes Konzept auf den Weg gebracht, das Einseitigkeiten vermeidet und die Solidarität im Gesundheitswesen erhält. Sicherlich wird es auch nach dieser Reform Kostensteigerungen geben. Wir verzeichnen jährlich Steigerungen von 1 bis 3 Prozent. Wenn wir auch in Zukunft einen ungehinderten Zugang zum Gesundheitswesen und Teilhabe an Innovation und Fortschritt gewährleisten wollen, dann müssen wir auch künftige Kostensteigerungen mit aufnehmen. Deshalb bedarf es Veränderungen auf der Einnahmeseite, und diese nehmen wir auch vor. Klar ist aber auch: Die Begrenzung zukünftiger Ausgabensteigerungen wird eine Daueraufgabe sein. Ich glaube, dass bei einem Gesamtvolumen von 174 Milliar-den Euro, die wir Jahr für Jahr in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeben, genug Spielraum sein wird, um das System zu optimieren. Im Bereich der Verwaltungskosten der Krankenkassen und im Bereich der gesamten Behandlungskette müssen wir die Schnittstellen im System zu Nahtstellen machen. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Filibustern!) Was den Mehrwert für Patienten angeht, so müssen wir, genauso wie im Arzneimittelbereich, bei der Behandlung Instrumente entwickeln, die qualitätsgerichtet sind, sei es in der integrierten Versorgung, sei es im Disease-Management. Vor uns liegen viele Herausforderungen. Wir werden diese entschlossen anpacken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Filibustern!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Steffen-Claudio Lemme für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Steffen-Claudio Lemme (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Dr. Rösler, Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz! Ich muss zugeben, dass die sogenannte Gesundheitsreform der schwarz-gelben Regierungsko-alition meine Erwartungen mehr als übertroffen hat. Ich hatte mir, ehrlich gesagt, bis vorgestern nicht vorstellen können, wie respektlos diese Bundesregierung, insbesondere der Gesundheitsminister, mit den 50 Millionen GKV-Beitragszahlern in unserem Land umgeht. (Beifall bei der SPD) Diese Regierung ist dabei - nach rund neun Monaten Koalitionsgezänk und kollektiver Orientierungslosigkeit in der eigenen Gesundheitsreformdebatte -, sich ihre Handlungsunfähigkeit von den Beitragszahlern finanziell ausgleichen zu lassen. (Beifall bei der SPD) In Kurzform: Es wird bei den Versicherten mit einer Beitragsanhebung und einer glatten Verdoppelung des Zusatzbeitragsvolumens ungeniert abkassiert. Damit wird die Konjunktur geschwächt und somit durch die Hintertür auch die kleine Variante der unsozialen sogenannten Kopfpauschale eingeführt. Bei dieser Gesundheitsreform komme ich nicht umhin, festzustellen, dass die Führungsriege im Gesundheitsministerium wohl völlig den Bezug zu den Versicherten verloren hat. (Beifall bei der SPD und der LINKEN - Zuruf von der SPD: Dafür haben die ja uns!) Ich empfehle den Kolleginnen und Kollegen auf der Regierungsbank dringend, sich mit den Nöten der Bürgerinnen und Bürger sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu befassen, denen durch Ihr Sparpaket Sozialleistungen gestrichen und gleichzeitig noch deutlich höhere Ausgaben für ihren Krankenversicherungsschutz zugemutet werden. Für die Damen und Herren der Regierungskoalition ein kurzes Rechenbeispiel: Der Durchschnittsverdienst meiner Thüringer Landsleute liegt gegenwärtig bei 1 857 Euro brutto. Diese Beitragszahler müssen sich nun aufgrund Ihrer Politik auf Mehrausgaben in Höhe von 5,60 Euro für den regulären Beitrag und in der Obergrenze auf 37,14 Euro Zusatzbeitrag einstellen. Das sind über 40 Euro weniger Haushaltseinkommen im Monat. Ich finde das, ehrlich gesagt, skandalös. (Beifall bei der SPD und der LINKEN - Ulrike Flach [FDP]: Das ist aber nicht das Modell!) - Frau Flach, genau das ist das Modell. (Ulrike Flach [FDP]: Eben nicht!) - Sie können es ja selbst nicht erläutern - das ist ja Ihr Problem -, und andere verstehen es nicht. Deshalb ist so ein Wirrwarr entstanden. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie verstehen es nicht! Das ist wahr!) Ich möchte kurz auf zwei Detailfragen eingehen. Zum einen ist meiner Ansicht nach die zukünftige Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages nichts anderes als ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (Beifall bei der SPD) Die Arbeitgeber werden ganz bewusst aus der Verantwortung für das zukünftige Wachstum der Gesundheitskosten entlassen. Wir als SPD-Fraktion fordern unmissverständlich die Rückkehr zur Parität, (Beifall bei der SPD - Jens Spahn [CDU/ CSU]: Wer hat sie denn aufgegeben?) um das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital wiederherzustellen und die Lasten gerecht zu verteilen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das habt ihr in der Vergangenheit genauso gemacht, oder?) Die paritätische Finanzierung war ursprünglich die Legitimationsgrundlage für die Mitbestimmung der Versicherten und Arbeitgeber in den Kassen. Ihre Beitragsdisparität muss sich in meinen Augen nun auch in der Zusammensetzung der sozialen Selbstverwaltung der Kassen mit Vertretern beider Seiten niederschlagen. Das heißt, dass derjenige, der mehr in die sozialen Versicherungssysteme einzahlt, auch mehr Mitbestimmungsrechte in den Selbstverwaltungsgremien genießt. Zum anderen wird unter Punkt 1 des Gesundheitsreformpapiers, bei der Frage der Ausgabenstabilisierung, der Anschein erweckt, Sie würden die Leistungserbringer im selben Maße zur Konsolidierung der GKV heranziehen wie die Versicherten. Sie verschweigen der Öffentlichkeit jedoch - ich glaube, mit Methode -, dass Sie etwa bei den Zahnärzten bereits jetzt das Ende der Grundlohnsummenanbindung für die Budgetsteigerungen und damit die späteren Einkommenszuwächse zugesagt haben, (Jens Spahn [CDU/CSU]: Wollen Sie Ost-West-Angleich?) frei nach dem Motto: Haltet noch kurz die Füße still, der große Schluck aus der Pulle wird nachgereicht. (Beifall bei der SPD - Jens Spahn [CDU/CSU]: Will Thüringen Ost-West-Angleich oder nicht? - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Vor einem halben Jahr haben Sie noch das Gegenteil gesagt!) Diese Koalition hat vorgestern den nächsten Akt ihrer verfahrenen Gesundheitspolitik - nennen wir es einmal so - eingeläutet. Nur haben die Hauptakteure noch nicht mitbekommen, dass ihnen das Publikum nicht applaudieren kann, da es aus Enttäuschung und Frust bereits den Saal verlassen hat. In Richtung der Regierungsbank sage ich: Ziehen Sie bitte schnell Ihre Konsequenzen und beenden Sie alsbald Ihre Spielzeit. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Rolf Koschorrek für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns innerhalb weniger Stunden zum zweiten Mal in einer Aktuellen Stunde mit dem gleichen Thema. Das ist eine interessante Déjà-vu-Veranstaltung. (Zuruf von der SPD: Weil Sie es beim ersten Mal nicht verstehen!) Wir haben jetzt mittlerweile zwölf Redner der Opposition gehört, die Kritik an Dingen üben, die wir gar nicht beschlossen haben, (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber haben wir gar nicht gesprochen!) und die uns bisher keine eigenen Vorschläge genannt haben. Der einzige konkrete Vorschlag, der heute im Raum steht, ist die Forderung nach einem Vorschaltgesetz, was auch immer das beinhalten mag. Ansonsten waren zum Teil ganz drollige Dinge zu hören. Herr Kollege Lemme, wir haben vor nicht langer Zeit gemeinsam eine Resolution mit unterschrieben, in der wir genau das gefordert und dringend angemahnt haben, was Sie jetzt gerade kritisieren. Es geht darum, dass wir sehr wohl für die Angleichung der Ost- an die Westhonorare eingetreten sind. Bis vor wenigen Stunden war ich der Meinung, dass Sie das mitgetragen haben. Ich kann Ihnen Ihre Unterschrift unter der Resolution gern zeigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Aber nicht nur bei den Zahnärzten, Herr Kollege!) Bei den anderen Bereichen ist das längst erfolgt; vielleicht sind Sie da noch nicht auf dem neuesten Stand. Seit einigen Jahren ist das in allen anderen Leistungsbereichen abgearbeitet worden. (Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Wir haben keinen flächendeckenden Mindestlohn!) Insofern hinken Sie da gewaltig hinterher. Ich muss sagen: Das, was hier in den letzten zwei Tagen gelaufen ist, ist für mich erschreckend. Wir haben sicherlich einen gewissen Anteil des Salärs, das wir hier bekommen, unter der Rubrik Schmerzensgeld zu verbuchen. Das, was wir hier hören mussten, ist grenzwertig und zeigt, dass Sie überhaupt nicht bereit sind, konstruktiv an der Lösung unserer Probleme mitzuarbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das, was Sie in der Debatte des heutigen Tages zur Bewältigung der Zukunftsprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung gesagt haben - Sie haben das Thema selbst gewählt -, war beschämend, gerade auch von Ihnen aus der Abteilung der Linken. Sie reden von einer Bürgerinnen- und Bürgerversicherung und wissen ganz genau, dass Sie damit rechts- und finanzpolitisch einen Blindflug der allerersten Sorte hinlegen, weil Sie ein entsprechendes Modell weder bestimmen noch berechnen können. Sie würden damit in einer nicht umsetzbaren Weise in Rechtsbestände eingreifen. Deswegen haben Sie bis zum heutigen Tag das vor langem gemachte Versprechen nicht einlösen können, ein wirklich durchgerechnetes und im Hinblick auf die Rechtssystematik haltbares Modell einer Bürgerinnen- und Bürgerversicherung - so nennen Sie es - vorzulegen. Dort scheitern Sie schon im Ansatz; das Modell ist nicht einmal vorlagefähig. Auch wir von CDU und CSU haben durchaus schon harte Zeiten in der Opposition verbracht. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Bald wieder!) Unsere Auffassung von der Opposition war aber immer, nicht nur zu kritisieren, sondern die jeweils Regierenden mit konstruktiven Vorschlägen dazu zu ermutigen, (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Besser wäre das jetzt!) zu besseren, schnelleren und konstruktiveren Lösungen zu kommen; wir haben uns da gemeinsamen Lösungen nicht verschlossen. Wir haben im nächsten Jahr ein Defizit zu erwarten, das eine konstruktive Mitarbeit, nicht nur destruktive Kritik, dringend erforderlich macht. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Fangen Sie mit der CSU an!) Ich finde, Sie sollten sich in den nächsten Wochen zusammenreißen. Wir haben schon morgen die nächste Gelegenheit, in einer Gesundheitsdebatte miteinander zu ringen, um diese Dinge vernünftig voranzubringen. Ich hoffe, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen zu konstruktiveren Ansätzen kommen. Die Vorschläge, die wir gemacht haben, sind ein Weg zur Verbesserung der Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Wir werden das System demografiefester machen. Wir werden dafür sorgen, dass wir in den nächsten Jahren die finanzielle Basis bekommen, auf der wir miteinander Diskussionen über die Strukturen führen können. Auf diese Diskussionen freue ich mich sehr. Wir können aber nur vor dem Hintergrund einer zumindest mittelfristig gesicherten Finanzplanung über strukturelle Reformen diskutieren. Die Grundlage dafür - nicht mehr und nicht weniger - haben wir mit diesem Gesetzespaket, mit diesen Initiativen gelegt. Ich bitte um Unterstützung. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letzte Rednerin in der Aktuellen Stunde erteile ich Kollegin Maria Michalk für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Maria Michalk (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt haben wir über eine Stunde lang die Aktuelle Stunde auf Antrag der Linken verfolgt. Außer Vorurteilen, Zweckbehauptungen (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Planwirtschaft nicht vergessen!) und umfragengestützter Politik haben wir nichts gehört. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Sie sind so etwas von beratungsresistent, dass ich es mir jetzt schenke, meine Rede zu halten. Sie kapieren die Vorgänge jedenfalls heute offensichtlich nicht. Deshalb können Sie das besser im Protokoll nachlesen. Danke schön. (Abg. Maria Michalk [CDU/CSU] überreicht Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse ihr Redemanuskript - Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Liebe Kollegin, ich hoffe, Sie haben nicht gemeint, dass ich das jetzt vorlese. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich schließe also mit unser aller Einverständnis die Aussprache. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 6 a bis 6 c: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Weiss (Wesel I), Holger Haibach, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Harald Leibrecht, Helga Daub, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Bemühungen zur Umsetzung der Millenniums-entwicklungsziele bis 2015 verstärken - Drucksache 17/2421 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette Hübinger, Holger Haibach, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Harald Leibrecht, Helga Daub, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Bildung in Entwicklungs- und Schwellenländern stärken - Bildungsmaßnahmen anpassen und wirksamer gestalten - Drucksache 17/2134 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Heidelberg), Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Herausforderung Millenniums-Entwicklungsziele - zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Annette Groth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Steigerung der Entwicklungshilfequote auf 0,7 Prozent gesetzlich festlegen - zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit dem Global Green New Deal die Millenniumsentwicklungsziele erreichen - Drucksachen 17/2018, 17/2024, 17/2132, 17/2464 - Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Weiss (Wesel I) Dr. Sascha Raabe Harald Leibrecht Niema Movassat Thilo Hoppe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Gudrun Kopp das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Wir haben fast zwei Drittel des Weges hin zur Erfüllung der acht Millenniumsentwicklungsziele, die wir selbst gewählt hatten, hinter uns. Wir müssen jetzt die nächsten fünf Jahre nutzen, um den Rest der Forderungen, die wir uns selber auferlegt hatten, umzusetzen. Es ist wichtig, in besonderer Weise auf zwei Millen-niumsziele einzugehen, nämlich auf die Verbesserung der Gesundheit von Müttern und auf die Senkung der Kindersterblichkeit. Diese beiden Millenniumsziele standen auch im Blickpunkt des G-8-Gipfels, auf den sich die Bundeskanzlerin dieser Tage fokussiert hat. Zweifellos ist es notwendig, an dieser Stelle voranzukommen und mehr Erfolge zu erzielen. Wir im Ministerium sind davon überzeugt, dass dafür unter anderem folgende Aspekte notwendig sind: der Aufbau eines Gesundheitssystems, Hygiene, sanitäre Anlagen, sauberes Wasser und Nahrung, Familienplanung und reproduktive Gesundheit. Ich will darauf hinweisen, dass es in diesem Bereich auch positive Meldungen gibt. Ich nenne Ihnen eine Zahl: Während im Referenzjahr 1990 noch 12,5 Millionen Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr starben, ging diese Zahl bis zum Jahre 2008 auf 8,8 Millionen zurück. Das bedeutet: Pro Tag konnte durch die Bemühungen der Entwicklungszusammenarbeit 10 000 Kindern weltweit das Leben gerettet werden. In neuesten Studien geht man sogar von einer noch höheren Zahl aus, nämlich von 13 000 Kindern pro Tag, und erwartet bis 2010 eine Reduktion auf 7,7 Millionen. Diese Zahl ist natürlich noch immer viel zu hoch; gar keine Frage. Dennoch zeigt sie, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung muss auf diesem Gebiet vorankommen. Wir müssen die Millenniumsziele ganzheitlich betrachten. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es notwendig ist, in allen Bereichen eine gute Regierungsführung, die Beachtung der Menschenrechte, die Stärkung der Rechte von Frauen und die Stärkung der Zivilgesellschaft, um nur einige Punkte zu nennen, in den Mittelpunkt zu rücken. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir richten unsere Entwicklungszusammenarbeit auf inklusives Wachstum aus, das geeignet ist, armutsmindernd zu wirken. Wir wollen beim Aufbau von Steuersystemen und Gesundheitssystemen helfen. Wir möchten gerne, dass die internationalen Handelspolitiken so ausgerichtet werden, dass auch eine Marktöffnung für die Entwicklungsländer erfolgen kann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel für eine positive Entwicklung. Es ist in kürzester Zeit gelungen, in einem der ärmsten Länder dieser Welt, in Malawi, das Ausmaß der Sterblichkeit von Kindern bis zu ihrem fünften Lebensjahr zu halbieren, und zwar durch kostengünstige Maßnahmen wie die Erhöhung der Zahl der Geburtshelfer, die Steigerung der Impfquoten und die Versorgung mit Vitamin-A-Präparaten. Ich nenne dieses Beispiel, weil mir wichtig ist, dass wir in dieser Debatte nicht nur auf Geldbeträge und Quoten achten, sondern auch darauf setzen, eine höhere Wirksamkeit und Effizienz unserer Hilfen zu erreichen. (Harald Leibrecht [FDP]: Genau! Das ist das Entscheidende!) Die Effizienz und die Zielgenauigkeit unserer Maßnahmen gehören in den Mittelpunkt dieser Debatte. Ich will betonen, wie wichtig es ist, dass wir, was die Effizienzerhöhung und eine Strukturreform zum Zwecke einer wirkungsvolleren technischen Zusammenarbeit angeht, ein gehöriges Stück vorangekommen sind. Am gestrigen Tag hat das Bundeskabinett diese Maßnahmen verabschiedet. In einem unglaublichen Kraftakt ist es Bundesminister Niebel gelungen, Reformansätze zu entwickeln und eine Reform auf den Weg zu bringen, die das DAC OECD-weit und weltweit eingefordert hat. Damit haben wir nicht nur die entsprechenden Forderungen des Koalitionsvertrages erfüllt, sondern es ist uns auch gelungen, den im Koalitionsvertrag formulierten anspruchsvollen Zeitplan ressortabgestimmt umzusetzen. Das finde ich hervorragend. Das ist eine gute Meldung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zum Schluss darf ich noch auf eines aufmerksam machen: Im Hinblick auf die Mittel, die wir bereitstellen, und bei der Arbeit, die wir in der Entwicklungszusammenarbeit leisten, ist es überaus wichtig, auch auf die Akzeptanz im Parlament und in der Bevölkerung zu achten. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass die Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit hinter den USA und Frankreich der weltweit drittgrößte Geber ist und dass es natürlich wichtig ist, dass wir unsere Verpflichtungen einhalten. Wir haben auch vor, eine ODA-Quote von 0,7 Prozent zu erreichen. Das ist weiterhin unser Ziel. Wir haben mit dem vorgelegten Haushalt 2011, der gerade im Kabinett verabschiedet wurde, dargelegt, dass der Gesamthaushalt mit 6,07 Milliarden Euro wirklich ambitioniert ist angesichts der schwierigen Zeiten, in denen es darum geht, Schulden abzubauen. Auch damit beweisen wir einmal mehr, dass es uns wichtig ist, in der Entwicklungszusammenarbeit ein gehöriges Stück weiterzukommen, sowohl in der Wirksamkeit als auch mit dem finanziellen Einsatz. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Bärbel Kofler für die SPD-Fraktion. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin immer wieder erstaunt, was man in solchen Debatten zu hören bekommt. Sehr verehrte Frau Staatssekretärin, Sie haben von einem ganzheitlichen Ansatz gesprochen, von einem Steuer- und Gesundheitswesen in den Entwicklungsländern, das sie aufbauen wollen, und von einem ganz fantastischen Haushalt, den Sie gestern ins Kabinett eingebracht haben. Ich glaube, was gestern passiert ist, ist sehr dramatisch und sehr traurig. Das, was gestern als Haushalt vorgelegt worden ist, ist leider der Abschied von internationalen Vereinbarungen, leider der Abschied von der Vereinbarung zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele, die wir getroffen haben, leider der Abschied vom 0,7-Prozent-Ziel. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vor kurzem hat Ihr eigener Staatssekretär, Herr Beerfeltz, gesagt - das war in einer Tickermeldung zu lesen -, ein Aufwuchs von 400 Millionen Euro sei das unerlässliche Minimum, das man unbedingt in diesem Haushalt haben müsse, um weiterhin glaubwürdig zu sein und um bei der Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit weiterzukommen. Ich finde, das, was gestern vorgelegt worden ist, ist angesichts der Probleme, die wir heute im Zusammenhang mit unserem Antrag und unserer Fragestellung zu den Millenniumsentwicklungszielen diskutieren, beschämend. Es stimmt: In den letzten Jahren sind wir in einigen Punkten weitergekommen. Es gibt eine gestiegene Einschulungsrate, zum Beispiel in Subsahara-Afrika. Das ist richtig und gut. Aber diese erreichten Ziele sind gefährdet. Auch sind eine ganze Reihe von Zielen nicht erreicht worden. Mit Verlaub: Gerade der Bereich der Mütter- und Kindersterblichkeit ist kein gutes Beispiel für das Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele. Jährlich sterben in den Entwicklungsländern immer noch 530 000 Frauen während der Schwangerschaft und Entbindung, weil sie keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Es ist und bleibt unabdingbar, finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Dabei darf man sich nicht hinter einer Effizienzdebatte verstecken, so wie Sie das tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben in der Anhörung zu den Millenniumsentwicklungszielen von allen Experten eines ganz deutlich gehört: Wir brauchen beides, Effizienz und die nötigen Mittel. Niemand in diesem Haus ist gegen Effizienz und gegen eine effiziente Mittelausgabe. Das unterstelle ich Ihnen nicht. Ich finde es allerdings ungehörig, das immer wieder uns und der Vorgängerregierung zu unterstellen. (Beifall bei der SPD) Niemand wehrt sich gegen einen effizienten Mitteleinsatz. Aber was wir auch brauchen, sind die Mittel, die wir effizient einsetzen wollen; denn ohne Moos nix los. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Sie schreiben in Ihrem eigenen MDG-Antrag - ich zitiere Punkt 2 Ihres Forderungskataloges -, die Bundesregierung solle ... sich auf dem MDG-Gipfel der Vereinten Nationen im September 2010 dafür einsetzen, dass die internationale Staatengemeinschaft sich erneut zu den Millennium Development Goals bekennt und ihre gemeinsamen Verpflichtungen bekräftigt ... Was machen Sie denn mit diesem Haushalt? Sie halten Ihre eigenen Vorgaben nicht ein und haben sich davon verabschiedet. Man kann doch nicht nach New York fliegen und so tun, als habe man zu Hause seine Hausaufgaben erledigt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das kennen wir leider aus dieser Ecke des Hauses von den verschiedenen internationalen Konferenzen, von Kopenhagen bis zu dem anstehenden Gipfel in New York. Sie fahren hin, halten schöne Reden - die Kanzlerin ist gut darin, international einen schönen Auftritt hinzulegen -; aber auf dem Rückweg sind die Worte, die man gesagt hat, schon längst vergessen. Es geht hier darum, die Entwicklungszusammenarbeit im Interesse der Ärmsten der Armen zu finanzieren. Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade von der Akzeptanz in der Bevölkerung gesprochen. Dazu gehört auch, sich eine Petition anzuschauen, die von 66 000 Bürgerinnen und Bürgern unterschrieben worden ist und die zeigt, wie viele Menschen in diesem Land sich die Einführung der Finanztransaktionsteuer wünschen, und zwar aus verschiedenen Gründen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Darüber reden wir gleich! Genau!) Die Verursacher der Krise sollen an den Folgen der Krise beteiligt werden, und Spekulationen, durch die neue Krisen hervorgerufen werden, sollen verhindert werden. Insbesondere soll der krisenbedingte Rückfall in Armut - das erleben wir ja auch in Bezug auf die MDGs -, zu dem es durch die Wirtschaftskrise und verzocktes Geld gekommen ist, verhindert werden. Es geht darum, dort die Mittel einzunehmen, wo sie herkommen müssen. Dort, wo das Geld verzockt worden ist, muss auch wieder Geld eingefordert werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich kann nicht verstehen, dass sich ausgerechnet der Entwicklungsminister diesen Vorstellungen verschließt. Warum das Ganze? Ich nenne Ihnen zwei Beispiele. Erstes Beispiel: Thema Bildung. Wir diskutieren heute ja auch über einen Antrag der Koalition zur Bildung. 70 Millionen Kinder sind noch immer vom Zugang zur Bildung ausgeschlossen; in dieser Analyse sind wir uns einig. Ich habe Ihren Antrag gelesen und bin von den Kollegen der Union, ehrlich gesagt, ein bisschen enttäuscht. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Ach nein!) - Ja, das kommt manchmal noch vor. - Wir haben in der letzten Legislaturperiode gemeinsam einen Bildungsantrag formuliert, in dem wir sauber und detailliert zu allen Fragen - von der Grundbildung bis zur beruflichen Bildung - Stellung genommen haben. Er enthielt auch die Forderung an unsere damalige Bundesregierung, in diesem Bereich mehr zu tun. Was haben Sie hier und heute als Papier vorgelegt? Sie betonen, wie wichtig die Privatwirtschaft im Bildungssektor sei. (Harald Leibrecht [FDP]: Jawohl!) Ehrlich gesagt: Dieser Antrag ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist. Treten Sie ihn in die Tonne, und nehmen Sie unseren alten Bildungsantrag! Der ist wesentlich besser, wesentlich fundierter. (Beifall bei der SPD - Harald Leibrecht [FDP]: In Ihren Ländern funktioniert die Bildung überhaupt nicht ohne die Privaten! Das wissen Sie doch!) Bildung ist eine urstaatliche Aufgabe. Das wurde von Frau Napoe, der Vorsitzenden der Globalen Kampagne für Bildung, in der öffentlichen Anhörung noch einmal deutlich gemacht. Bildung muss öffentlich und kostenlos sein. Dabei darf man nicht die Möglichkeitsform gebrauchen, wie Sie das in Ihrem Papier in mehrfacher Weise tun: Es "solle" gebührenfrei etwas zur Verfügung gestellt werden, darauf "sollten" entwicklungspolitische Maßnahmen abzielen, man "solle" das Bildungssystem stärken. - Die Möglichkeitsform haben Sie hier weidlich benutzt, um sich aus der Affäre zu ziehen, da die Mittel aus Ihrem Haushalt dafür nicht reichen. (Harald Leibrecht [FDP]: Aber Sie haben in elf Jahren gar nichts gemacht!) Wir brauchen eine verlässliche und weltweit abgestimmte und koordinierte Initiative für Bildung. Deutschland muss sich verlässlich daran beteiligen. Aber gerade daran, sich auf internationaler Ebene verlässlich zu beteiligen, hapert es bei dieser Regierung. (Miriam Gruß [FDP]: In den letzten elf Jahren haben Sie nichts gemacht!) Es hapert auch an der Umsetzung des MDG 7, bei dem es um die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit geht; das ist das zweite Beispiel. Es kann doch nicht sein, dass man sagt, Klimaschutz sei ein Schlüssel zur Armutsbekämpfung, die Folgen des Klimawandels wie Überflutung, Dürre und schwere Stürme träfen insbesondere die Ärmsten der Armen, Entwicklungsprozesse würden zurückgedreht und durch die Folgen des Klimawandels aufgehalten, und gleichzeitig im gestern vorgelegten Haushaltsentwurf die einzigen beiden Titel, die es in diesem Haushalt für Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern gibt, streicht, auf null fährt, rasiert. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Werden sie jetzt gestrichen, auf null gefahren oder "rasiert"?) Hier geht es um die Gelder, die Sie der Weltgemeinschaft in Kopenhagen so großzügig zugesagt haben. Von den zugesagten 420 Millionen Euro haben Sie schlappe 70 Millionen Euro im laufenden Haushalt eingestellt, und die werden jetzt auch rasiert. Für den Fall, dass ein nachfolgender Redner der Union oder der FDP versuchen möchte, das schönzureden: (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Union!) Bei den Mitteln, die Sie dann immer benennen - es gibt ganze Ausarbeitungen dazu -, geht es um Mittel wie beispielsweise für die Internationale Klimaschutzinitiative, die bereits 2007 vereinbart und 2008 in den Haushalt eingestellt wurden. All das rechnen Sie uns jetzt als Klimaschutzmaßnahme für die Entwicklungsländer vor. So geht das nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn man international ernst genommen werden will, dann muss man mit seinen Finanzierungszusagen glaubwürdig sein. Man muss auch bei der Umwelt- und Energiepolitik im eigenen Land glaubwürdig sein. Zudem sollte man tunlichst auf Forderungen wie die im Antrag formulierten verzichten, zum Beispiel die, in den Entwicklungsländern die Sensibilität für das Thema Klimaschutz zu fördern. Ja, wie denn? Indem Sie gegenüber den Entwicklungsländern gemachte Versprechen brechen? - Wie wollen Sie denn so auf internationalen Konferenzen Sensibilität bei den Partnerländern fördern? Das ist doch Humbug. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. (Holger Haibach [CDU/CSU]: Allerdings! Wird auch Zeit!) Dr. Bärbel Kofler (SPD): Ich komme zum Ende. Es hat sehr lange gedauert, bis Sie dieses Papier vorgelegt haben. Es ist erst nach einer Nacht-und-Nebel-Aktion heute Morgen vorgelegt worden. Ich glaube, Sie hätten sich die Mühe für diesen MDG-Antrag sparen können. Stimmen Sie dem Antrag der SPD-Fraktion zu! Dann haben Sie ein vernünftiges Papier. Danke. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube nicht, Frau Kofler, dass wir Ihrem SPD-Antrag zustimmen werden. (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das befürchte ich! - Miriam Gruß [FDP]: Da sind wir ganz sicher!) Wenigstens war das bei uns so nicht ausgemacht. Daran halten wir uns natürlich. Ich möchte zuerst eine wenig erfreuliche Feststellung machen: Für viele Menschen in Afrika sind viele Hoffnungen, die mit der Unabhängigkeit verbunden waren - allein in diesem Jahr begehen 17 Staaten Afrikas den 50. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit -, nicht in Erfüllung gegangen. Zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo: Wer heute dort geboren wird, erlebt statistisch gesehen den 100. Jahrestag der Unabhängigkeit nicht; denn die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei nur 47 Jahren. Oder in Äthiopien: Dort haben nur 20 Prozent der Bevölkerung Zugang zu einer geordneten Sanitärversorgung. Oder in Mosambik: Dort stirbt fast jedes fünfte Kind vor seinem fünften Lebensjahr. Es gibt aber gerade in vielen afrikanischen Ländern Gott sei Dank auch Entwicklungsfortschritte. In Benin zum Beispiel ist der Anteil der Menschen, die Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, von 12 Prozent in 1990 auf inzwischen über 30 Prozent gestiegen. In Ghana ist die Armutsquote von 40 Prozent in 1998 auf 28,5 Prozent in 2005 gesunken, und in Tansania gehen inzwischen fast alle Kinder in die Grundschule, nachdem es 1991 nur 62 Prozent waren. Die Bilanz ist also gerade auf dem Problemkontinent Afrika durchaus durchwachsen. Es gibt gute Nachrichten; es gibt schlechte Nachrichten. Aber für mich als Abgeordneter, der seit 20 Jahren in der Entwicklungspolitik tätig ist, folgt daraus: Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wenn die Regierung eines Landes sich dem Wohl seiner Bevölkerung verschrieben hat, wenn Korruption bekämpft wird, wenn rechtsstaatliche Prinzipien zur Geltung kommen und die Verwaltung besser arbeitet, dann geht es auch mit der Entwicklung und den Millenniumszielen vorwärts und dann ist auch Entwicklungspolitik und Unterstützung von außen bei der Entwicklung wirksam - sonst nicht. Genau davon handeln die Millenniumserklärung und die Millenniumsziele aus dem Jahre 2000. Neben den inhaltlichen Zielen zur Armutsbekämpfung wird die kollektive Verantwortung der Staats- und Regierungschefs, also die gemeinsame Verantwortung von Entwicklungs- und Industrieländern, auch für die Ärmsten betont. Es wird explizit hervorgehoben, wie wichtig gute Regierungsführung innerhalb jedes Landes ist. Die Staats- und Regierungschefs haben sich auch alle verpflichtet, Demokratie zu fördern, den Rechtsstaat zu stärken und die Menschenrechte zu beachten. Die christlich-liberale Koalition rückt genau diese Gesichtspunkte, nämlich gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, in den Mittelpunkt der Entwicklungspolitik; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) denn dies ist die beste Hilfe zur Selbsthilfe. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die stärkere Förderung der Bildung, wie es in unserem Antrag zum Ausdruck kommt. Dabei sehe ich Bildung nicht nur als ökonomischen Faktor an, der den Menschen zu einem Arbeitsplatz verhilft, von dem sie gut leben können. Bildung ist ebenso wichtig, um gute Regierungsführung zu stärken und notwendige Reformprozesse in Entwicklungsländern in Gang zu bringen und den Rückhalt der Bevölkerung dafür zu gewinnen. Das ist auch beste Hilfe zur Selbsthilfe. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn wir bei diesen Themen keine Fortschritte machen, dann werden wir trotz aller finanziellen Mittel weder die materiellen Armutsbekämpfungsziele erreichen, noch können wir dann kulturell und menschlich von einer erfolgreichen Entwicklung sprechen. Deswegen dürfen wir diese Punkte in der öffentlichen Diskussion nicht übersehen, und wir müssen auch genau auf die inhaltlichen Ziele achten. Es ist falsch, den Gebern die Schuld zu geben, wenn diese Ziele nicht erreicht werden. Richtig ist, dass die Forderung nach guter Regierungsführung keine Einbahnstraße ist. Auch wir müssen unsere Hausaufgaben machen und die Wirksamkeit unserer Hilfe stärken. Wie in der Koalitionsvereinbarung festgehalten, haben wir dabei mit der Reform der technischen Zusammenarbeit begonnen. Ich gratuliere Bundesminister Niebel dazu, wie geräuschlos und effizient er die Vorfeldreform angegangen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die geplante organisatorische Fusion von GTZ, InWEnt und DED stärkt die deutsche TZ und macht sie sichtbarer. Gleichzeitig erleichtert die Zusammenlegung die Steuerung durch das Ministerium und verbessert die Kohärenz des Auftritts der deutschen EZ. Das ist sehr wichtig, weil es dabei auch um die Schlagkraft unserer EZ geht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Insgesamt ist diese Reform ein erster wichtiger Beitrag zur Erreichung der Millenniumsziele durch diese christlich-liberale Koalition, an dem sich die frühere Leitung des Hauses die Zähne ausgebissen hat. (Zuruf von der FDP: Das ist die Wahrheit!) Auch in anderen Bereichen müssen die Geber ihre Hausaufgaben machen, um eine stärkere Kohärenz ihres Handelns zu erreichen. Zum Beispiel müssen die Geber gegenüber rohstoffreichen Staaten gemeinsam und koordiniert auftreten, um zerstörerische Fehlentwicklungen wie mit Blutdiamanten oder Blutöl zu vermeiden. Sie dürfen sich dabei nicht wegen Wirtschaftsinteressen gegeneinander ausspielen lassen. Als Entwicklungspolitiker müssen wir uns dafür einsetzen, dass aus dem Fluch von Rohstoffreichtum ein Segen für die Entwicklung der Menschen wird. Das Gleiche gilt für die Handelspolitik. Auch da haben wir viele Gemeinsamkeiten. Wir müssen Wert darauf legen, dass jede weitere Öffnung durch die Doha-Runde oder durch die EPAs auch zu entwicklungspolitischen Fortschritten in diesen Ländern führt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jetzt komme ich zum Geld. Wir können nicht über die Millenniumsziele sprechen, ohne über Geld zu sprechen. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) - Genau. - Ich weiche dieser Diskussion auch nicht aus, weil es wahr ist, dass wir nach wie vor vor großen Herausforderungen stehen: beim Klimaschutz, beim Schutz der Ökosysteme, beim Aufbau von fragilen Staaten, bei der Ernährungssicherung und vielem mehr. Darüber sind wir uns völlig einig. Aber, liebe Bärbel Kofler und Sascha Raabe, das Dauergezetere der Opposition zur ODA - da bin ich mir sicher - ist polemisch, scheinheilig und unseriös. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir werden Ihnen nachweisen, dass das nicht so ist!) - Zu Ihnen komme ich noch. - Die großen Versprechungen hat Bundeskanzler Schröder gemacht. Er hat aber null Komma gar nichts dafür getan. In der ganzen Regierungszeit von Rot-Grün blieb der BMZ-Haushalt fast konstant knapp unter 4 Milliarden Euro. Das Volumen hat in der Zeit sogar abgenommen. Das ist der erste Teil der Wahrheit. Der zweite Teil der Wahrheit ist, dass erst mit dem Antritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel der BMZ-Haushalt in nur einer Legislaturperiode um 50 Prozent auf über 6 Milliarden Euro gestiegen ist. Diese Zahlen sind nicht so kompliziert, dass man sie sich nicht merken könnte. Frau Wieczorek-Zeul, Sie waren doch mit mir einig, dass es ein Glück war, dass Schröder nicht mehr Kanzler war und Bundeskanzlerin Merkel Ihre Chefin wurde. (Lachen bei der SPD - Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Wie man sich täuschen kann!) Das hat Ihnen einen unverhofften und auch berechtigten Geldsegen beschert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wahr ist auch, dass Ihr letzter Haushaltsentwurf einen Anstieg um 23 Millionen Euro vorsah. Damals hatte nämlich bereits die Krise eingesetzt. Wir haben damals zusammen regiert, und das, was Sie jetzt sagen - oder auch du, Bärbel Kofler -, stand in einem ganz anderen Zusammenhang. Das war damals die Wahrheit, und jetzt soll alles falsch sein. Die christlich-liberale Koalition hat in ihrem ersten Haushalt einen Aufwuchs zu verzeichnen, der das Zehnfache des Ansatzes der ehemaligen Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul ausmacht. Daran erkennt man eure fadenscheinigen Argumente. Zu den Grünen möchte ich prophylaktisch nur eines sagen: Nachdem ihr aus der Regierung ausgeschieden wart, wurde der Ansatz für Klimaschutzmaßnahmen im BMZ verdreifacht, der für die Biodiversität wurde vervierfacht. Daran sieht man, wer die wahren Grünen im Parlament sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir kämpfen dafür, obwohl wir zur Schuldenbremse stehen, die auch die SPD mitbeschlossen hat, und obwohl wir knappe Haushaltsmittel haben - Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege! Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): - das ist mein letzter Satz -, dass die Bundeskanzlerin - darauf können sich auch die NGOs verlassen - ihre Zusagen einhalten kann. Das gilt auch für diesen Herbst. Sie hat bis jetzt mit unserer Hilfe noch jede Zusage einhalten können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen heute im Vorfeld der Überprüfung der sogenannten Millenniumsentwicklungsziele im September über die bisherigen Erfolge bzw. Misserfolge beim Erreichen der selbstgesteckten Ziele. Die Bilanz - das haben wir schon gehört - ist durchwachsen. Jetzt werden viele Vorschläge gemacht - manche sind konkret, manche weniger konkret -, was man denn verbessern könnte. Mir fehlt in der gesamten Diskussion ein kritischer Blick auf die Millenniumsentwicklungsziele selbst. Viele Menschen, die heute hier zuhören, wissen sicher gar nicht ganz genau, was die Millenniumsentwicklungsziele überhaupt sind. Das liegt unter anderem am Zustandekommen dieser Ziele. Das ist nämlich weitgehend ein Prozess ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft. Acht Ziele wurden von Institutionen wie der OECD, dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank entwickelt und sind von den Regierungen der Entwicklungsländer und der Industriestaaten umzusetzen. Wir waren aber bei der weltweiten Armutsbekämpfung schon einmal weiter. In den 90er-Jahren wurden nämlich UN-Beschlüsse mit der Mobilisierung von Menschen verbunden, zum Beispiel im Rahmen des Rio-Prozesses für nachhaltige Entwicklung. Die Ideen wurden in die Kommunen getragen; in vielen Städten und Gemeinden entstanden sogenannte lokale Agenda-21-Gruppen, die sich mit dem Zusammenhang von weltweiter Armut, Klimawandel und unserem Konsummodell und dem Ressourcenverbrauch in den reichen Industriestaaten beschäftigt haben. Die Millenniumsentwicklungsziele dagegen sprechen diese Strukturen gar nicht mehr an. Sie sagen nichts über Ursachen der Armutsbekämpfung und Strategien zur Armutsbekämpfung. Deshalb fordern wir: Wenn wir von Armutsbekämpfung sprechen, müssen wir auch von den strukturellen Ursachen der Armut sprechen. (Beifall bei der LINKEN) Damit kommen wir zu dem heute herrschenden Weltwirtschaftssystem. Allein durch die Finanz- und Wirtschaftskrise sind laut Aussagen der Weltbank im letzten Jahr mindestens 100 Millionen Menschen mehr in Armut zurückgefallen. Das ist eine größere Anzahl als Deutschland Einwohnerinnen und Einwohner hat. Deshalb ist es auch fatal, dass Sie, Herr Niebel, nun neue Weichen in der Entwicklungszusammenarbeit stellen wollen und mit Ihren neoliberalen wirtschaftspolitischen Vorstellungen, die Armut erzeugen, Armut bekämpfen wollen. Sie werden nicht müde, hier und in den Entwicklungsländern die freie Marktwirtschaft als Entwicklungsmodell zu propagieren. (Zuruf von der FDP: Soziale Marktwirtschaft, Frau Kollegin! Das ist ein Unterschied!) Was bedeutet das konkret für die Länder des Südens? Ich möchte zwei Beispiele nennen. Erstens. Die Bundesregierung verhandelt im Rahmen der EU über ein Freihandelsabkommen mit Indien. Die Europäische Union will in diesem Zusammenhang das Patentrecht verschärfen, was zum Ergebnis hat, dass billige Nachahmerprodukte erst viel später und deutlich teurer produziert werden können. Die Bundesregierung vertritt ganz im Sinne der freien Marktwirtschaft (Miriam Gruß [FDP]: Soziale Marktwirtschaft!) die Interessen der Pharmakonzerne gegen die Interessen von Millionen von Menschen, die bisher keinen Zugang zu billigen Medikamenten haben. Das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD] - Miriam Gruß [FDP]: So ein Unfug!) Dies läuft drei Millenniumsentwicklungszielen gleichzeitig zuwider, nämlich denen, die sich mit Kindersterblichkeit, Müttergesundheit und dem Kampf gegen Aids und Malaria beschäftigen. Zweitens: Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der EU für ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru starkgemacht, das bereits unterzeichnet wurde. Darin geht es unter anderem um bessere Möglichkeiten des Imports von Palmöl aus Kolumbien in die EU. Davon profitieren ebenfalls große Konzerne, die in Kolumbien Ölpalmen auf Land anbauen, das Kleinbauern gehörte, die vertrieben wurden. Mittlerweile gibt es in Kolumbien mehr als 4 Millionen vertriebene Menschen, die in größter Armut in den Slums der großen Städte leben. Das Brisante ist, dass die kolumbianische Armee an diesen Vertreibungen beteiligt ist und die illegalen Ölpalmenplantagen auch noch schützt. Ich frage mich, wie sich Angela Merkel gestern dazu geäußert hat, als sie sich mit dem kolumbianischen Präsidenten getroffen hat. Ich habe nichts von Kritik an dieser Politik, die konkret zu Armut beiträgt, gehört. Auch das ist völlig inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein ganz entscheidender Punkt, der in der Diskussion viel zu kurz kommt, ist, dass wir nicht von Armutsbekämpfung sprechen können, ohne über Krieg zu sprechen. Viele arme Menschen leben in Kriegs- und Krisenregionen und werden so lange nicht aus der Armut herauskommen, solange diese Kriege andauern. Das zeigt sich unter anderem am Beispiel Afghanistan. Trotz neun Jahren Aufbauhilfe gehört Afghanistan zu einem der ärmsten Länder der Welt und hat eine der höchsten Kindersterblichkeitsraten weltweit. Deshalb gilt für uns: Wir müssen dringend ein neues Millenniumsentwicklungsziel formulieren: den Krieg als Mittel der Politik zu überwinden. (Beifall bei der LINKEN) Die Rüstungsausgaben von mehr als 1 Billion Dollar übersteigen die weltweiten Entwicklungsausgaben um das Zehnfache. Das ist im Zusammenhang mit Armutsbekämpfung völlig inakzeptabel. Die Millenniumsentwicklungsziele sind ein Minimalkonsens, an dem es viel zu kritisieren gibt. Die Ausgabenpolitik der Bundesregierung wird aber nicht viel dazu beitragen, diesen Minimalkonsens zu erreichen. Dazu gehören auch - das wurde bereits erwähnt - zahllose nicht gehaltene Versprechen, zum Beispiel auf G-8-Gipfeln. Mittlerweile haben wir den Überblick über die zahlreichen Zusagen und nicht eingehaltenen Versprechen verloren. So hat Angela Merkel in Kanada 80 Millionen Euro für Mütter- und Kindergesundheit in Aussicht gestellt. Davon ist im neuen Haushalt aber nichts zu sehen. Es wird eine Nullrunde geben und höchstens umgeschichtet. Das ist ein Armutszeugnis für den Entwicklungshilfeminister. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD) Herr Niebel, es legt den Verdacht nahe, dass Sie im Rahmen Ihrer Institutionenreform deshalb ständig von Effizienz in der Entwicklungszusammenarbeit sprechen, um sich vor einer substanziellen Erhöhung des Entwicklungshaushalts zu drücken. Genau deswegen hat die Fraktion Die Linke einen Antrag eingebracht. Wir wollen das 0,7-Prozent-Ziel für Entwicklungsausgaben bis zum Jahr 2015 verbindlich gesetzlich festlegen, damit Ihre Politik der Trickserei und Täuschung bei den Entwicklungsausgaben ein Ende hat. (Beifall bei der LINKEN - Miriam Gruß [FDP]: So ein Blödsinn!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Ute Koczy für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines steht fest: Wenn wir die international vereinbarten Ziele zur Halbierung der Armut, zur Senkung der Müttersterblichkeit und für mehr globale Partnerschaft erreichen wollen, dann müssen wir mehr tun. Dann reichen die Anstrengungen der letzten zehn Jahre nicht aus. Vor diesem Hintergrund richtet sich meine Frage an die Koalition aus CDU/CSU und FDP: Wie ernst nehmen Sie Ihren Antrag eigentlich? (Zuruf von der FDP: Mehr als Sie!) Die Überschrift dieses Antrags lautet: "Bemühungen zur Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele bis 2015 verstärken". Ich frage Sie: Wie ist das zu verstehen? Diese Bemühungen des Verstärkens sind doch für das Jahr 2010, also für dieses Jahr, schon gescheitert. Mittlerweile hat uns aus dem Kabinett die dröhnende Ansage erreicht: Deutschland verabschiedet sich nicht nur sang- und klanglos vom europäisch vereinbarten Ziel von 0,51 Prozent im Jahr 2010, sondern auch von einer weiteren Erhöhung im Jahr 2011. Das bedeutet Nullwachstum im Rahmen der Millenniumsentwicklungsziele. Deutschland landet mit Schwarz-Gelb voraussichtlich bei nur 0,4 Prozent, (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Voraussichtlich!) und das ist ein Skandal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, dieser Antrag muss sich an dem messen lassen, was jetzt im Haushalt auf den Weg gebracht wird. Da handelt es sich offensichtlich um eine Täuschung der Öffentlichkeit. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wir haben doch erst die Haushaltsberatungen, Frau Koczy! Im September geht's los!) Gestern posaunte Minister Dirk Niebel auch noch, dass die Reform der entwicklungspolitischen Institutionen ein starkes Signal an den UN-Millenniumsgipfel im September aussende. Da täuscht er sich gewaltig. Sowohl diese Reform wie auch dieser Antrag gehen vor der Dramatik des gebrochenen Versprechens in die Knie. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich wissen doch wir alle hier, warum und weswegen wir aus der Entwicklungspolitik für die MDGs kämpfen; da sind wir uns fraktionsübergreifend einig. Uns Grünen wurde im Ausschuss schon bestätigt, dass unsere Forderungen zu den Zielen in vielen Bereichen auch für die Koalition akzeptabel seien. Wir Grünen meinen, dass wir einen umfassenden Ansatz wie den globalen Green New Deal brauchen, damit die Finanzmärkte effektiv reguliert werden, damit sich die Wirtschaft ökologisch und sozial ausrichtet, damit ein sozialer Ausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern stattfindet und damit besonders in den Entwicklungsländern gegen die katastrophalen Wirkungen des Klimawandels gekämpft werden kann. Für all dies brauchen wir Handlungsstrategien und natürlich einen weltweiten MDG-Aktionsplan, der auch finanziell unterstützt und unterfüttert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Da muss ich Ihren Antrag, den Koalitionsantrag, im Vorfeld der UN-Konferenz als Täuschungsmanöver sehen. Die harten Haushaltsfakten sprechen eine andere Sprache. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wir haben ja den Haushalt noch gar nicht!) Sie führen mit Ihrem Antrag schon die Rückzugsgefechte und legen die Argumente vor, die schon heute rechtfertigen sollen, warum es nicht so wichtig ist, das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen. Sie führen die Verantwortung der Steuerzahler an. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja, das ist wahr!) Sie führen an, dass die Gelder wirksam und effizient ausgegeben werden sollen. Sie glauben an die Effizienzgewinne in Milliardenhöhe in der EZ, die untermauern sollen, dass Steigerungsraten für Entwicklung nicht die einzigen Herausforderungen sind. (Anette Hübinger [CDU/CSU]: Genau!) Das alles tun Sie nur, um sich reinzuwaschen von dem großen politischen Versagen, ein international gegebenes Versprechen gebrochen zu haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Harald Leibrecht [FDP]: Welche Dramatik!) Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie mit dem Finger auf die Vergangenheit zeigen und die damaligen Versäumnisse anprangern. Zwar sage auch ich: "Es ist nicht ganz verkehrt, daran zu erinnern", doch es nützt Ihnen hier und heute nichts. Sie tragen für 2010 und für 2011 die Verantwortung. Sie verantworten, dass es nicht mehr Mittel für die Entwicklungspolitik gibt. Was fehlt, ist politischer Wille. Mein Fazit: Lug und Trug. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Harald Leibrecht für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Harald Leibrecht (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die MDG-Überprüfungskonferenz im September ist in der Tat ein wichtiger Meilenstein für die internationale Entwicklungspolitik. Uns allen ist doch klar, dass noch große Aufgaben vor uns liegen. Natürlich können wir mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden sein. Viele Industriestaaten haben ihre Hausaufgaben, die selbstgesteckten Ziele - sei es bei der ODA-Quote oder bei den MDGs -, bisher nicht erreicht. Gerade das Erreichen der MDGs ist für die Bundesregierung in der Tat eine Herkulesaufgabe, der sie sich jedoch mit ganzer Kraft stellt. Es ist wirklich bitter, dass die SPD, aber auch die Grünen in den vielen Jahren, in denen sie in diesem Bereich Verantwortung hatten, leidlich wenig erreicht haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Doch jetzt gilt es, den Blick nach vorn zu richten. Meine Damen und Herren, wir müssen den Entwicklungsländern eine Perspektive geben. Staatssekretärin Kopp hat die wichtigen Aspekte zu den MDGs genannt. Ich möchte die wenigen Minuten Redezeit nutzen, um das Thema "Bildung in Entwicklungsländern" anzusprechen. Es hat hier vor allem im Bereich der Grundbildung in den letzten Jahren durchaus Erfolge gegeben. Um ein Land aber auf lange Sicht erfolgreich aus der Armut zu befreien, müssen wir in Zukunft auf eine qualifizierte und nachhaltige Bildung in den Entwicklungsländern setzen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nur dann, wenn Menschen eine solide Schulbildung bekommen, haben sie die Chance, ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen und sich von Abhängigkeit zu befreien. Doch Grundbildung alleine reicht bei weitem nicht aus. Für den Aufbau von Justiz, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft bedarf es einer breiten Bildungsschicht, ja einer Bildungselite, die ihr Land in eine bessere Zukunft führt. Wenn ein Staat bei der Bildung versagt, wie das in Entwicklungsländern so oft der Fall ist, dann ist es doch durchaus sinnvoll, Frau Kofler, wenn es private Anbieter gibt. Warum eigentlich auch nicht? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich kenne viele Beispiele dafür, dass der Staat versagt und dass es nur dank der Privaten funktioniert. Junge Menschen, Männer und Frauen gleichermaßen, müssen die Chance haben, nach der allgemeinen Schulbildung einen qualifizierten Beruf zu erlernen oder eine höhere Schulbildung bis hin zur Universität zu erhalten. Besonders der Lehrerausbildung kommt eine große Bedeutung zu, da sie die Basis für ein gut funktionierendes Schulsystem ist. Minister Niebel hat vor wenigen Wochen ein Teacher Training College in Afghanistan eröffnet. Dort werden mit deutscher Hilfe jährlich bis zu 2 000 Lehrer ausgebildet. Wir bauen also nicht nur Schulen, sondern wir sorgen auch für qualifizierte Lehrer. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass gut ausgebildete und hochqualifizierte Menschen sich in ihrem Land mit ihrem Wissen einbringen und so ihren Beitrag zur Entwicklung ihres Landes leisten. Der Braindrain, also das Abfließen der Bildungselite aus einem Entwicklungsland, lässt viele Bildungsmaßnahmen wirkungslos verpuffen und muss deshalb vermieden werden. Schon heute leistet Deutschland mit weltweiten Bildungskooperationen einen bedeutenden Beitrag. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist eine wichtige Säule der deutschen Außenpolitik, und viele junge Menschen in der Welt erhalten durch die Hilfe unseres Landes eine bessere Bildung. Aus-, Fort- und Hochschulbildung sind die beste langfristige Hilfe zur Selbsthilfe und Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklungspolitik. Hierum geht es auch in unserem Antrag für eine bessere Bildung in Entwicklungsländern, wofür ich um Ihre Unterstützung werbe. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Sascha Raabe für die SPD-Fraktion. Dr. Sascha Raabe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Sascha, ganz ruhig!) Es ist klar, dass wir zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele auch mehr Geld brauchen. Darüber haben wir schon bei der ersten Lesung diskutiert. Die eine oder der andere unter den Rednerinnen und Rednern hatte mir danach vorgeworfen: Wenn es um die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele geht, darf man nicht laut werden, nicht emotional werden. Wir alle sind uns doch eigentlich einig. Das ist ein ernstes Thema. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: "Polemisch", das war es!) Wissen Sie, wir sind hier nicht auf dem Kirchentag, sondern im Bundestag. Für die ärmsten Menschen in der Welt reicht es nicht, wenn wir in Sonntagsreden immer wieder sagen, dass wir Hunger und Armut überwinden müssen, aber dann, wenn es darum geht, auch die Mittel zur Verfügung zu stellen, das nicht leisten, so wie es bei dieser Bundesregierung der Fall ist, Herr Kollege Ruck. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Bist du eigentlich schon länger im Parlament, oder bist du das erste Mal hier?) Sie haben mir vorhin, bevor ich hier überhaupt geredet habe, Polemik vorgeworfen. Es ging darum, dass wir als Opposition kritisieren, dass die Bundesregierung ihre Versprechen nicht einhält. Ich möchte Ihnen dazu in Erinnerung rufen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Regierungserklärung 2005 hier vor uns gesagt hat: Wir haben uns deshalb dazu verpflichtet ... bis 2010 mindestens 0,51 Prozent und bis 2015 die ODA-Quote von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aufzubringen. Ich weiß, was ich da sage. Dann hat sie - Herr Kollege Ruck, hören Sie gut zu! - am 7. Juni 2007 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesagt: Und wir fühlen uns und ich fühle mich den Zielen für 2010 verpflichtet. Da wird abgerechnet. Herr Ruck, (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wir sind doch beim Du! Christian heiße ich!) wenn im Jahr 2010 anstatt 0,51 Prozent nur 0,4 Prozent da sind, dann stellt man nun einmal fest, dass eine Kluft vorhanden ist. Da ist ein Versprechen gebrochen worden. Das ist keine Polemik. Da muss man nur rechnen können. Herr Ruck, nehmen Sie einen Taschenrechner und reden Sie sich da nicht heraus. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zuruf des Abg. Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]) Es ist nun so, Herr Kollege Ruck, lieber Christian, (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Danke!) dass die Kanzlerin wesentlich weiter ist als du. Sie hat mir dieses Versprechen in vielen persönlichen Gesprächen immer wieder gegeben. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Ich habe sie vor wenigen Wochen im Rahmen der Debatte zum Haushalt 2010 angesprochen. Da hat sie mir gesagt: Ja, ich fühle mich sündig; ich habe da mein Versprechen gebrochen. - Ich als guter Katholik sage: Ich wäre bereit, einer Sünderin zu verzeihen. Aber das setzt aufrichtige Reue voraus. Angesichts der Tatsache, dass es im Haushaltsentwurf für 2011 keine Steigerung gibt und dass die Versprechen ganz klar aufgegeben werden, kann ich nur sagen: So können wir die Millenniumsziele nicht erreichen. Die Kanzlerin hat die Öffentlichkeit belogen und die ärmsten Menschen betrogen. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! - Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Quatsch! - Anette Hübinger [CDU/CSU]: Als Christ kommen Sie damit nicht durch!) Das werden wir als Opposition Ihnen immer wieder sagen, ob es Ihnen gefällt oder nicht, Herr Kollege. Frau Staatssekretärin, ich bin gerne bereit, Effizienz und Wirksamkeit in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, wie Sie es gefordert haben. Aber dass Sie, wie gestern in der Pressekonferenz groß angekündigt, die Zusammenführung der technischen Institutionen im Entwicklungsbereich als die große Lösung und den großen Wurf in der Effizienzdebatte bezeichnen, das ist doch wirklich sehr stark übertrieben. Der DAC-Bericht, auf den Sie sich immer beziehen, fordert, die Trennung von technischer und finanzieller Zusammenarbeit zu überwinden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schuster zu? Dr. Sascha Raabe (SPD): Ja. Marina Schuster (FDP): Herr Kollege Raabe, Sie haben in Ihren Ausführungen mehrmals auf die Quote Bezug genommen. Zum Schluss haben Sie die Effizienz angesprochen. Sind Sie bereit, anzuerkennen, dass es sehr wichtig ist, dafür zu sorgen, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie benötigt wird? Ihre Ministerin hat auch solchen Staaten Budgethilfe zugesagt, von denen wir später wussten, dass diese Gelder in den Apparaten der jeweiligen Regime versickern und eben nicht den Ärmsten der Armen zur Verfügung gestellt werden. (Zuruf von der SPD: Das ist eine faustdicke Lüge!) Man muss auch einmal darüber diskutieren, wie man erreichen kann, dass das Geld da ankommt, wo es benötigt wird. Ich möchte Sie ferner fragen: Sind Sie nicht auch der Meinung, dass die Reform der Durchführungsorganisationen notwendig ist? Von vielen, die in den Organisationen arbeiten, haben wir die Aufforderung vernommen: Packt es endlich an! - Wir wollten dies schon viele Jahre. Aber die damaligen Regierungen haben es nicht geschafft. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Sascha Raabe (SPD): Liebe Kollegin Schuster, ich möchte zunächst auf den zweiten Teil Ihrer Frage antworten. Was die Reform der Institutionen angeht, ist es so, dass das Verhältnis von finanzieller zu technischer Hilfe, was ihr Haushaltsvolumen angeht, zwei zu eins beträgt. Wir geben also doppelt so viel Geld für die finanzielle Zusammenarbeit aus wie für die technische Zusammenarbeit. Natürlich ist es ein erster wichtiger Schritt, wenn man im technischen Bereich etwas zusammenführt. Aber es wäre wesentlich sinnvoller - da werden Sie mir sicherlich zustimmen -, dass man den Bereich, der ein doppelt so großes Volumen aufweist, auch in die Reform einbezieht. Tut man dies nicht, gibt es für die Menschen in den Partnerländern weiterhin zwei Ansprechpartner. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Wollen Sie das etwa im Finanzministerium ansiedeln?) Das ist doch gerade das, was im DAC-Bericht kritisiert wird. Die Ministerin hat in der letzten Legislaturperiode zu Recht gesagt: Erst einmal müssen wir die KfW-Entwicklungsbank mit der GTZ fusionieren. Dann reformieren wir den technischen Bereich. Denn nur auf diese Weise erhalten wir eine Lösung aus einem Guss. - Das steht auch, wie ich gerade schon ausgeführt habe, im DAC-Bericht der OECD. Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass Staatssekretär Beerfeltz gestern im Ausschuss und danach Minister Niebel im Rahmen der Regierungsbefragung gesagt haben, dass sie auch zukünftig die KfW Entwicklungsbank mit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit nicht zusammenlegen wollen. Damit brechen Sie ein Versprechen, weil Sie anfangs gesagt hatten, diese Zusammenlegung sei der zweite Schritt. Herr Beerfeltz hat sogar noch eine Bestandsgarantie für die KfW Entwicklungsbank abgegeben. Liebe Frau Kollegin Schuster, zu diesem Teil Ihrer Frage kann ich also ganz klar zusammenfassend sagen: Es ist zu kurz gesprungen. Sie müssen eine große Reform durchführen, wie sie von allen Experten gefordert wird. Nur dann ergibt sie einen Sinn. Zum ersten Teil Ihrer Frage, Frau Kollegin Schuster, zur Budgethilfe. Da haben Sie einen schwerwiegenden Vorwurf erhoben. Sie haben gesagt, dass die alte Bundesregierung in Person der damaligen Entwicklungsministerin im Rahmen von Budgethilfe Geld an Länder gegeben hätte, welches dort versickert wäre. Das ist auch das Kernargument von Minister Niebel. Er sagt immer wieder, Frau Kollegin Schuster, dass er die Budgethilfe möglichst zurückfahren möchte. Dazu sage ich Ihnen: Das Problem ist, dass wir in manchen Ländern 120 bis 130 Geberländer oder verschiedene Ansprechpartner haben. Das heißt, die Italiener, die Spanier oder die Franzosen - wir hatten das Beispiel im Bildungsbereich - wollen Schulen bauen oder ein eigenes Lehrprogramm auflegen. Eine staatliche bzw. eine internationale Organisation gibt der nächsten die Klinke in die Hand. Das überfordert unsere Partnerländer. Das schwächt auch die Eigenverantwortung der Parlamente. (Beifall bei der SPD - Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Dafür gibt es die Basket-Finanzierung!) Deswegen wollen wir Budgethilfe dann geben, Frau Kollegin, wenn sie mit einer klaren Rechenschaftspflicht verbunden ist, das heißt, es muss ein Rechnungshof vorhanden sein. Ich weise es daher zurück, dass wir jemals Budgethilfe irgendwo hingegeben hätten, ohne klare Kriterien festzulegen, dass die Parlamente dort zum Zuge kommen und das Vorgehen kontrolliert wird. Frau Kollegin Schuster, ich zitiere keinen Sozialdemokraten, sondern einen liberalen Politiker, den ehemaligen EU-Entwicklungskommissar Louis Michel, der Ihrer Partei angehört. (Harald Leibrecht [FDP]: Nein, nein! Das wäre mir neu!) Er hat im Jahr 2008 im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Folgendes gesagt - ich zitiere -: Die Frau Ministerin - Heidemarie Wieczorek-Zeul - und ich selbst kommen gerade zurück von der Konferenz in Accra ... - Das war die Aid-Effectiveness-Conference. - Ich bin der festen Überzeugung, dass das Instrument der Budgethilfe am besten geeignet ist, diese Prinzipien zur Erhöhung der Wirksamkeit in unserer Entwicklungszusammenarbeit zu verwirklichen. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das war auch ein Schmarrn, was er gesagt hat!) Budgethilfe verstärkt den demokratischen Prozess. Der Haushaltsplan entspricht der politischen Vision und spiegelt die sozialen und wirtschaftlichen Prioritäten der Regierung wider. Der Haushaltsplan fördert Transparenz und Rechenschaftspflicht durch die Einbeziehung und Kontrolle des Parlaments. Am Haushaltsplan lässt sich auch ablesen, inwieweit die Regierung sich um die Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele bemüht. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das war ja auch Quatsch, was er erzählt hat!) Budgethilfe unterstützt somit direkt die Entwicklungsstrategien der Partnerregierungen und nimmt sie gleichzeitig in die Verantwortung, diese Prioritäten umzusetzen und Resultate vorzuweisen. Sie erhöht die Rechenschaftspflicht der Partnerländer - das tut weh, stimmt's? - gegenüber ihren Bürgern und Parlamenten. Ich könnte fortfahren. Für uns ist noch wichtig, dass er gesagt hat: Die Auszahlung der Mittel - hören Sie gut zu, Frau Schuster, wir führen eine MDG-Debatte - wird vom Fortschritt beim Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) abhängig gemacht. Statt über die Verwendung jedes Euros mitzubestimmen (inputs), wie bei der Projekthilfe, wollen wir von der Regierung Resultate (outputs) sehen. Darum geht es bei der Budgethilfe. Wenn der Staatssekretär Beerfeltz im Ausschuss dieses moderne Instrument der Entwicklungshilfe als Suppenschüsselsozialismus tituliert, dann frage ich mich, wer einen Sprung in der Schüssel hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das gerade Zitierte hat Ihr Entwicklungskommissar der EU gesagt. Ich finde, Sie sollten aufhören, Vorurteile an Stammtischen zu bedienen, (Harald Leibrecht [FDP]: Wer hat das Geld verplempert?) und so zu tun, als würden wir Geld verplempern. Nehmen Sie die Worte des ehemaligen Kommissars der Europäischen Union zur Kenntnis, der der Partei der Liberalen angehört. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das war eine Flasche!) In Wirklichkeit wollen Sie, Herr Minister - darum geht es Ihnen auch bei der Institutionenreform -, nicht gemeinsam mit anderen Ländern eine abgestimmte Entwicklungspolitik machen, indem wir multilateral mit vielen anderen Gebern gemeinsam eine vernünftige, einheitliche Entwicklungszusammenarbeit machen, sondern Sie wollen - das sagte Ihr Staatssekretär gestern im Ausschuss -, dass überall dort, wo Deutschland drin ist, auch Deutschland draufsteht. Sie wollen viele deutsche Fahnen auf möglichst vielen kleinteiligen Projekten sehen, anstatt gemeinsam mit den anderen Staaten dieser Erde eine moderne Entwicklungspolitik zu machen. Auf diese kleingeistige Kleinstaaterei lassen wir uns nicht mehr ein. Das wäre der Kernpunkt einer Debatte über Effizienz und nicht das, was Sie mit einer kleinen Institutionenreform machen, Herr Minister. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dazu gehört auch, dass Sie im Koalitionsvertrag festgelegt haben - das muss man sich einmal überlegen -, dass nur noch ein Drittel der künftigen Entwicklungszusammenarbeit multilateral ausgegeben werden darf. Sie widersprechen hundertprozentig dem, was in Accra bei der Konferenz über Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit vereinbart wurde. Deswegen haben wir in unserem Antrag, den wir als Aktionsplan zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele geschrieben haben, ganz klar formuliert, dass wir gemeinsam mit anderen Ländern für eine moderne und wirksame Entwicklungspolitik stehen. Zu den finanziellen Zusagen. Wir wollen Quantität und Qualität nicht gegeneinander ausspielen. Wir brauchen mehr Mittel. Wir brauchen eine abgestimmte Politik. Wir brauchen dort multilaterale, moderne Mittel wie die Budgethilfe, wo die Kriterien stimmen. Wir wollen vor allem, dass der Hunger in der Welt halbiert wird. Deswegen sind wir der Meinung, dass unser Antrag dieses Ziel befördern könnte. Ich bitte deshalb um Zustimmung zu diesem Antrag. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt erteile ich der Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort für eine Kurzintervention. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier steht eine wahrheitswidrige Behauptung im Raum. Ich erwarte, dass Frau Schuster diese zurücknimmt. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass über alle Budgethilfeanträge im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages abgestimmt worden ist. Sie werden wohl nicht unterstellen wollen, dass Ihr jetziger Koalitionspartner, die CDU/ CSU-Fraktion, in diesen Abstimmungen Geld verplempert hat. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das würden wir nie machen!) Der Haushaltsausschuss hat diese Anträge sehr sorgfältig überprüft und dazu beigetragen, dass die Linie des Ministeriums, nur dann Mittel gezielt zur Verfügung zu stellen, wenn man weiß, wie der gesamte Haushalt des Partnerlandes aussieht, eingehalten wurde. Demgegenüber haben Sie bei der Projektitis nur ein kleines Projekt, das Sie sich anschauen können, aber der Gesamthaushalt des Partnerlandes wird nicht überprüft. Das ist das, was wir gemacht haben. Dazu stehe ich ausdrücklich. Wahrheitswidrige Behauptungen bitte ich hier zurückzunehmen. (Beifall bei der SPD - Harald Leibrecht [FDP]: Das macht die Sache aber nicht besser!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt gebe ich Frau Schuster die Gelegenheit zur Erwiderung. Marina Schuster (FDP): Frau Wieczorek-Zeul, ich habe mich nicht auf die Haushaltsberatungen des Deutschen Bundestages bezogen, sondern ich habe mich darauf bezogen, dass sich bei den Reisen, die wir durchgeführt haben, Abgeordnete aus afrikanischen Ländern bei uns beschwert haben, dass ihre Regierungen vor Ort die Budgethilfe nicht in einem transparenten Verfahren verwenden. Das war mein Punkt. Die Parlamentarier in diesen Ländern sagen selbst: Das Geld kommt nicht bei den Ärmsten an; es wird bei den Machthabern gebunkert, statt die Projekte umzusetzen, die den Armen vor Ort nützen. Das war mein Punkt. Ich habe mich nicht auf die Haushaltsberatungen bezogen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Harald Leibrecht [FDP]: So sieht es aus!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Weiss von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich will zum Thema zurückkommen und nicht in die Haushaltsberatungen eintreten, die erst im September stattfinden. Das wird Mitte September alles andere als eine bequeme Sitzung, wenn die Vereinten Nationen in New York zusammenkommen, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Es geht um acht ambitionierte Ziele, um Armut und Hunger auf dieser Welt zu mindern und Krankheit und Elend einzudämmen, um fehlende Bildung auszugleichen und Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern herzustellen. 15 Jahre gab man sich im Jahr 2000 Zeit. Nun, im September 2010 wird überprüft, wo die Weltgemeinschaft nach zwei Dritteln der Wegstrecke steht. Diese Zwischenbilanz - ich denke, darin sind wir uns einig - wird uns im Ergebnis nicht zufriedenstellen; das einmal vorweg. Sie kann aber - ich denke, auch das muss erwähnt werden - Mut machen, wenn wir den Blick auf die Bereiche richten, in denen wir vorwärtsgekommen sind. Wir haben beispielsweise in China und Indien gesehen, dass über die wirtschaftliche Entwicklung tatsächlich Armut bekämpft werden kann. Wir haben gesehen, dass der Zugang zu Bildung im Grundschulbereich tatsächlich verbessert werden konnte, und dies eben nicht nur für die Jungen. Wir haben Erfolge bei der Bekämpfung von HIV, Malaria und Tuberkulose zu verzeichnen, und wir können eine nachhaltige Reduzierung der Treibhausgasbelastung feststellen. Mut machen kann die Zwischenbilanz da, wo wir sehen, dass der Weg der richtige ist: ambitionierte, klare und messbare Ziele, die gemeinsame Verpflichtung von Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern sowie die aktive Beteiligung der internationalen Hilfsorganisationen und der Privatindustrie. Dieser Weg kann zu Fortschritten führen, wenn man ihn denn beherzt und konsequent geht. Genau hier, denke ich, liegt der Schlüssel für das weitere Vorgehen im September. Wir müssen konstatieren: In den meisten Bereichen liegen wir weit hinter dem Plan. Gerade bei den Millenniumszielen 4 und 5 wird dies erschreckend deutlich. Es wurde heute zwar schon einige Male gesagt, aber ich denke, angesichts der Dramatik kann es nicht oft genug gesagt werden: Wenn nach wie vor jährlich Millionen Kinder in den Entwicklungsländern sterben, bevor sie 5 Jahre alt geworden sind, wenn nach wie vor 350 000 Mütter jährlich die Geburt nicht überleben, wenn nach wie vor einfachste Krankheiten in den armen Ländern zum Tode führen können, nur weil die hygienischen und medizinischen Voraussetzungen fehlen, und wenn dies - das empfinde ich als sehr dramatisch - dann auch noch geschieht, ohne dass die bundesrepublikanische Öffentlichkeit aufgerüttelt wird, dann ist das in meinen Augen ein Skandal erster Güte. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen weiterhin konstatieren: Die Welt hat sich seit dem Jahr 2000 geändert. Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hatte man damals eben nicht auf der Rechnung. Und die Fachleute sind sich einig: Die härtesten Auswirkungen wird diese Krise ohnehin auf die Ärmsten der Armen haben. Also dürfen wir diese Millenniumsziele nicht leichtfertig aufgeben. Wir haben sie auch nicht aufgegeben. Frau Koczy und Herr Raabe, wir - das gilt also auch für mich - lassen uns von niemandem hier in diesem Hause oder von draußen unterstellen, dass wir Lug und Trug begehen. Wir meinen es ehrlich. Wir nehmen den Kampf auf, und wir werden die Fahne weiterhin hochhalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die rote Fahne! - Gegenruf des Abg. Holger Haibach [CDU/ CSU]: Garantiert nicht!) Wir müssen die Millenniumsziele weiter bekräftigen und an ihnen festhalten - und dies eben nicht als Akt der Barmherzigkeit oder des Gutmenschentums. Die Verpflichtung zu den Millenniumszielen beruht vielmehr - wie wir es in unserem Antrag formuliert haben - auf dem Fundament weltweiter Solidarität und Gerechtigkeit. Die Millenniumsentwicklungsziele sind ein ambitionierter Fahrplan, um einen großen Teil der Menschheit von Elend und Hunger zu befreien. Wem damit alleine nicht gedient ist: Diese Verpflichtung ist auch ein aktiver Beitrag zur Konflikt- und Terrorismusprävention. Und sie schafft die Voraussetzung zur Vermeidung unkontrollierbarer Flüchtlingsströme. Ich füge hinzu: Gerade in Zeiten der weltweiten Wirtschaftskrise ist niemandem damit gedient, wenn die weltweiten Märkte durch Armut, Hunger und auch Perspektivlosigkeit zusammenbrechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir müssen uns dabei aber auch, bitte, ehrlich in die Augen schauen und ein Weiteres konstatieren: Die aktuelle Finanzsituation macht erhebliche Steigerungen im Haushalt eher schwierig bis unwahrscheinlich. Wir alle können uns das natürlich wünschen; aber dieser Wunsch wird auf absehbare Zeit ein solcher bleiben. Wir müssen also umschichten und Prioritäten setzen. Aber genau dies ist verantwortliche Politik: das Machbare wirklich möglich machen. Es muss aber machbar sein. Wie können wir also den Millenniumszielen näher kommen, ohne gleichzeitig mit dem großen Füllhorn durch die Gegend zu laufen? Für mich liegt der Schlüssel in einer umfassenden Effizienzkontrolle. Und glauben Sie mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, da ist noch eine ganze Menge Musik drin. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jeder von uns Entwicklungspolitikern - ich sage das ohne Vorwurf - kennt Beispiele, wo viel Geld auch ineffizient ausgegeben wurde. Ich möchte hier niemanden - keine Person und keine Organisation - infrage stellen, aber bei der Effizienzkontrolle unserer Entwicklungshilfemittel kann noch viel gemacht werden. Das sind wir den Menschen in den Entwicklungsländern schuldig. Ich denke, der deutsche Steuerzahler muss sicher sein, dass jeder einzelne Euro unserer Finanzhilfe so effizient wie möglich angelegt wird. Wir Entwicklungspolitiker - auch das möchte ich im Rahmen heftiger Debatten sagen - sollten in der Sache zusammenhalten. Wir müssen uns ehrlich, kritisch, aber auch selbstkritisch für eine gute Politik für die Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern und damit gemeinsam für eine bessere Welt einsetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe von Bünd-nis 90/Die Grünen. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Weiss, ich möchte Ihren Appell gerne aufnehmen. Sie haben Ehrlichkeit eingefordert. Es gab im Ausschuss eine heftige Debatte über Glaubwürdigkeit. Ich möchte hier gerne klarstellen, dass ich keiner Kollegin und keinem Kollegen aus dem Entwicklungsausschuss unterstellen würde, sich nicht für die Erreichung der Millenniumsziele und auch für die Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels voll einzusetzen. Aber zur Ehrlichkeit gehört auch - das betone ich; ich habe das bereits im Rahmen der letzten Haushaltsdebatte getan und will das gerne wiederholen -, dass bisher alle Bundesregierungen das vollmundige Versprechen, diesen Pfad zu beschreiten und das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen, nicht mit den notwendigen Haushaltszahlen unterlegt haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Das ist also Anlass zur Kritik und auch zur Selbstkritik. Dieses Theater mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen können wir uns wirklich schenken. (Harald Leibrecht [FDP]: Wir dürfen aber keine Geschenke annehmen!) Zur Wahrheit gehört auch, dass es sehr schwer ist, das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen. Aber ich möchte denjenigen heftig widersprechen, die sagen, es sei unmöglich und unrealistisch. Wenn wir die Zahlen genau betrachten, dann sehen wir, dass im Haushalt 2011 - die Zahlen liegen ja schon vor - für die Finanzierung der MDGs 4 Milliarden Euro fehlen. Ich lasse mir von niemandem sagen, dass es unrealistisch ist, diesen Betrag aufzubringen. Denn es war zum Beispiel in der letzten Legislaturperiode möglich, einmal eben aus dem Handgelenk über Nacht 5 Milliarden Euro für eine Abwrackprämie zur Verfügung zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Sie haben von der Fahne gesprochen, die wir hochhalten sollen. Vielleicht können wir sie ja gemeinsam hochhalten. Wir sind uns im Entwicklungsausschuss ja einig. Wir müssen aber auch zugeben, dass es an einer falschen Prioritätensetzung jeweils im Gesamtkabinett gescheitert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Erreichung der 0,7 Prozent ist weder an Heidemarie Wieczorek-Zeul gescheitert noch jetzt an Dirk Niebel - beide wären dankbar über mehr Geld in ihrem Etat gewesen -, sondern an Fehlentscheidungen des Gesamtkabinetts und des jeweiligen Haushaltsausschusses. Wenn wir, die Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker aller Fraktionen, wirklich gemeinsame Sache machen würden, wenn wir wirklich Rückgrat hätten, dann würden wir jetzt ganz energisch einfordern: Die Versprechen müssen eingehalten werden. Es ist möglich, es ist finanzierbar. Es kommt einzig und allein auf die Prioritätensetzung an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann könnte unser Ausschuss wirklich Profil gewinnen, so wie das in der letzten oder vorletzten Legislaturperiode der Menschenrechtsausschuss geschafft hat, als er die Fesseln von Fraktionszwängen abgelegt hat. Ich habe jetzt in der kurzen Redezeit über das Geld gesprochen. Natürlich ist viel mehr notwendig, um die MDGs zu erreichen. Wir haben einen umfassenden Antrag vorgelegt, in dem wir einen Global Green New Deal fordern. Wir brauchen gerechtere Strukturen in der Weltwirtschaft. Einige Kolleginnen und Kollegen haben darauf hingewiesen. Wir brauchen eine Effizienzsteigerung. Der Weg zur Institutionenreform ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir dürfen uns um Gottes Willen nicht davor drücken, die Zusagen einzuhalten und das Geld zur Verfügung zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Anette Hübinger von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Anette Hübinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Kollegin Kofler, den Antrag werden wir bzw. ich mit Sicherheit nicht in die Tonne treten. Wir mussten feststellen, dass unser zugegebenermaßen guter Antrag aus der letzten Legislaturperiode nicht die Strahlkraft ins Ministerium hatte, wie wir uns das vorgestellt hatten. Auch eine Nachfrage zum Ende der Legislaturperiode, was nun umgesetzt ist, hat uns nicht befriedigt. Was nicht funktioniert, muss erneuert werden. Deswegen haben wir heute die Erneuerung auf dem Tisch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das ist keine Erneuerung!) - Ja, doch. Aber nun zum Thema unseres Antrags: Bildung als Millenniumsziel. Dazu muss ich Ihnen vorab einige Zahlen nennen, die plastisch machen, um was es geht. 2,2 Milliarden Menschen auf der Welt sind heute jünger als 18 Jahre, davon leben 1,9 Milliarden in den Entwicklungsländern. Das heißt, ein Großteil der Kinder und Jugendlichen wächst in Ländern auf, in denen sie keinen Zugang zu Bildung haben. Weitere Zahlen: 72 Millionen Kinder, mehr als die Hälfte davon Mädchen, können noch immer keine Grundschule besuchen. Ein Drittel der eingeschulten Kinder in Afrika bricht die Grundschule frühzeitig ab. 776 Millionen Jugendliche und Erwachsene können weder schreiben noch rechnen. Das sind erschütternde Zahlen. Hinzu kommt, dass die Bildungssysteme in den Entwicklungsländern oft unterfinanziert und den Lernbedürfnissen nicht angepasst sind. Die Schulklassen sind überfüllt. Früher Schulabbruch ist weit verbreitet. Lehrkräfte sind ungenügend aus- und fortgebildet. Angesichts dieser Realität scheint die Erreichung des zweiten Millenniumsziels - Grundschulbildung für alle Kinder bis 2015 - trotz erzielter Fortschritte schwer erreichbar und erfordert vermehrte Anstrengungen. Ich sage "erfordert"; ich spreche nicht im Konjunktiv. Bildung ist der Schlüssel zur Bekämpfung von Armut. Bildung ist der beste soziale Impfstoff gegen HIV/ Aids und Hunger. Bildung ist ausschlaggebend für eine Teilhabe der Menschen an gesellschaftlichen Prozessen, für Demokratisierung und nicht zuletzt für Innovationen und Wirtschaftswachstum. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kurz: Ohne Bildung hat ein Land keine Zukunft. Deshalb haben wir als Koalition Bildung zu einem Schwerpunkt in unserer Entwicklungszusammenarbeit gemacht und die Mittel im diesjährigen Fachhaushalt - 200 Mil-lionen Euro - fast verdoppelt. Das zeigt deutlich, dass wir diesen Bereich der Entwicklungszusammenarbeit in den kommenden Jahren quantitativ, aber auch qualitativ weiter voranbringen wollen. Dabei liegt die Betonung insbesondere auf der Qualität; denn es nutzt den Kindern und Jugendlichen nichts, wenn sie die Schule besuchen konnten, aber nach dem Ende der Schulausbildung kaum lesen und schreiben oder rechnen können. Bildungsinvestitionen sind das Fundament für eine nachhaltige Entwicklung in unseren Partnerländern. Deshalb möchte ich Ihnen, Herr Minister Niebel, danken und Sie ermuntern, den Bildungsbereich in der EZ weiterhin so zu fördern, wie bis jetzt geschehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte einige Aspekte unseres Antrags hervorheben. Durch die steigende Einschulungsrate und wegen des rasanten Bevölkerungswachstums fehlen bereits jetzt 18 Millionen Grundschullehrkräfte. Deshalb wollen wir mit einer verstärkten Förderung der Aus- und Weiterbildung von Lehrern, durch partizipative Unterrichtsmethoden und mehrsprachigen Unterricht, bei dem auch die indigenen Sprachen berücksichtigt werden, und nicht zuletzt durch eine angemessene Bezahlung der Lehrerinnen und Lehrer die Qualität der Bildung verbessern. So wichtig und richtig Grundbildung ist, so reicht ihre alleinige Förderung nicht aus. Eine Entwicklung in unseren Partnerländern gelingt nur, wenn ein gleichmäßiger Aufbau aller Bildungsbereiche - frühkindliche Bildung, Primar- und Sekundarbildung, berufliche Bildung, Hochschulbildung und Erwachsenenbildung - gewährleistet wird. Auch hier muss gelten: kein Abschluss ohne Anschluss. Junge Menschen müssen die Chance haben, nach einer allgemeinen Schulbildung einen Beruf zu erlernen oder eine höhere Schulbildung bis hin zur Universität zu erlangen. Qualifizierte Arbeitskräfte sind in unseren Partnerländern genauso wie bei uns hier in Deutschland für das Wirtschaftswachstum entscheidend. Der bewährte deutsche Ansatz der dualen Berufsausbildung wird in einzelnen Schwellen- und Entwicklungsländern bereits praktiziert und immer mehr nachgefragt. Hier gibt es enormes Entwicklungspotenzial. Deshalb wollen wir künftig noch stärker in Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen innovative Angebote in der beruflichen Bildung fördern; denn Berufsausbildungsprogramme spielen in diesen Ländern gerade im non-formalen Bildungssektor eine große Rolle. Für viele Menschen ist eine solche Ausbildung die einzige Möglichkeit, eine berufliche Qualifizierung und damit die Möglichkeit zu einem selbstbestimmten Leben zu erhalten. Im Bereich der Hochschul- und Wissenschaftskooperation leistet Deutschland schon heute einen wichtigen Beitrag zum globalen Wissensaustausch. Ich nenne hier beispielhaft den DAAD, die Stiftungen, Kirchen, die GTZ, die KfW und InWEnt, die jungen Menschen mithilfe von unterschiedlichsten Förderprogrammen und -maßnahmen den Zugang zu einer Universitätsausbildung ermöglichen. Dabei ist uns besonders wichtig, dass wir die Kapazitäten im Wissenschafts- und Forschungsbereich vor Ort, in den Partnerländern, gezielt unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Herausforderungen sind groß. Wir müssen die frühkindliche Bildung ausbauen, mehrere Millionen Kinder in die Grundschule bzw. Schule bringen, die Lernstandards und die Lernangebote für Jugendliche und Erwachsene erweitern. Good Governance ist der Schlüssel zur Erreichung dieser Ziele. Ungleichheiten, die auf Armut, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht oder anderen Faktoren der Benachteiligung beruhen, müssen von den Regierungen in unseren Partnerländern abgebaut werden. Die nationalen Ausgaben der Partnerländer für Bildung müssen erhöht werden. In diesem Zusammenhang ist die politische Bildungsarbeit unserer Stiftungen vor Ort in den Bereichen Good Governance, Demokratiebildung und Stärkung der Zivilgesellschaft von zentraler Bedeutung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Bildungsbereich ist ein Schlüsselsektor für nachhaltige Entwicklung, Wachstum und Wohlstand, in unserem Land genauso wie in unseren Partnerländern. Deshalb bitten wir als CDU/CSU-Fraktion um Zustimmung zum Antrag der Koalition. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/2421 mit dem Titel "Bemühungen zur Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele bis 2015 verstärken". Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen die Oppositionsfraktionen angenommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2134 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 17/2464. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2018 mit dem Titel "Herausforderung Millenniums-Entwicklungsziele". Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2024 mit dem Titel "Steigerung der Entwicklungshilfequote auf 0,7 Prozent gesetzlich festlegen". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2132 mit dem Titel "Mit dem Global Green New Deal die Millenniumsentwicklungsziele erreichen". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulla Jelpke, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz) - Drucksache 17/1199 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Halina Wawzyniak von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Direkte Demokratie ist wieder im Gespräch. Genau das ist die Stärke der direkten Demokratie. Die Menschen reden nämlich über Sachfragen und nicht über Machtfragen. Sie reden über Dinge, die sie wirklich interessieren. Auch nach dem erfolgreichen Volksentscheid in Bayern, über dessen Ausgang man durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann, (Zurufe von der LINKEN: Nein!) mehren sich die Stimmen in Bevölkerung, Medien und Politik, die fordern, dieses Instrument auch auf Bundesebene einzuführen. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben heute die Chance, dies auf den Weg zu bringen. Die Fraktion Die Linke hat als einzige Fraktion einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht, über den wir nunmehr diskutieren. Ich sage insbesondere im Hinblick auf die Fraktionen, die in der letzten Legislaturperiode einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht haben: Liebe FDP, liebe Grüne, geben Sie sich einen Ruck! (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich den Inhalt in seinen wesentlichen Grundzügen kurz skizzieren. Die Volksgesetzgebung gliedert sich nach diesem Gesetzentwurf in ein dreistufiges Verfahren: Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid. Um eine Volksinitiative zu starten, benötigen die Initiatoren 100 000 Unterschriften. Danach können sie dem Bundestag eine Gesetzesvorlage zur Änderung eines Bundesgesetzes oder des Grundgesetzes vorlegen. Einzige Einschränkung: Die Gesetzesvorlage muss verfassungsrechtlich zulässig sein. Sie ist es nicht, wenn zum Beispiel der Kerngehalt der Grundrechte berührt wird. Eine Wiedereinführung der Todesstrafe ist zum Beispiel unmöglich. Das ist gut so. (Beifall bei der LINKEN) Der Gesetzentwurf greift auch einen anderen wichtigen Punkt auf. Unzulässig sind allein Volksinitiativen, die sich auf das Haushaltsgesetz beziehen. Dies ist aus unserer Sicht wichtig, da zu häufig Volksinitiativen mit dem Verweis auf haushaltsrechtliche Auswirkungen als unzulässig abgelehnt wurden. Der Bundestag muss über die Zulässigkeit und den Inhalt der Initiative beschließen. Dem Bundesrat muss die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Wird die Initiative für unzulässig erklärt, steht den Vertrauensleuten der Rechtsweg offen. Stimmt der Bundestag mit Mehrheitsbeschluss dem Inhalt der Initiative zu, dann erlangt diese Initiative Gesetzeskraft. Lehnen die Abgeordneten den Inhalt ab, dann haben die Initiatoren die Möglichkeit, die zweite Stufe, also die Volksgesetzgebung, zu beschreiten: Das Volksbegehren wird eingeleitet. Dafür müssen dann 1 Million Unterschriften gesammelt werden, bei einer Grundgesetzänderung 2 Millionen. Wird das Begehren abgelehnt, kommt die dritte Stufe, der Volksentscheid, bei dem nunmehr die wahlberechtigte Bevölkerung über den Inhalt abstimmt. Gesetzeskraft erlangt der Inhalt bei einer Abstimmung dann, wenn ein Viertel der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilnimmt und davon die Mehrheit mit Ja stimmt. Bei einer Grundgesetzänderung müssen zwei Drittel mit Ja stimmen. So weit die Gesetzesinitiative. Gute und gefestigte Demokratien zeichnen sich durch eine Vielfalt von demokratisch geprägten und demokratieförderlichen Institutionen und Prozessen in allen gesellschaftlichen Bereichen aus. Ihre Grundlage ist die möglichst intensive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an allen öffentlichen Angelegenheiten. Die Volksgesetzgebung ist nur ein Element. Um ihr zu ihrer tatsächlichen Wirkung zu verhelfen, ist es wichtig, das Engagement der Bürgerinnen und Bürger auch strukturell zu unterstützen. Das bedeutet weitestgehende Transparenz aller Entscheidungsprozesse: im Parlament, in der Regierung und in der Verwaltung. (Beifall bei der LINKEN) Öffentlichkeit von Sitzungen und parlamentarischen Gremien gehört genauso dazu wie Akteneinsichtsrechte für Abgeordnete und Bürger. Zum Schluss möchte ich auf den Vorschlag von Professor Dr. Roland Roth, Politikwissenschaftler an der Fachhochschule Magdeburg und Autor der bemerkenswerten Expertise Handlungsoptionen zur Vitalisierung der Demokratie aufmerksam machen. Er fordert die Einsetzung einer Demokratie-Enquete des Bundestages. Aufgabe dieser sollte es sein, grundlegende und längerfristige gesellschaftliche und politische Problemlagen aufzuarbeiten und politische Lösungswege vorzuschlagen. Die Einsetzung dieser Kommission wäre mit den Stimmen von Rot-Rot-Grün möglich. Ich möchte aber zunächst vorschlagen, dass wir gemeinsam die Volksgesetzgebung einführen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Helmut Brandt (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ceterum censeo: Jedes Jahr aufs Neue debattieren wir über die Einführung einer direkten Demokratie. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir werden auch nie aufhören!) - So alt werden Sie gar nicht, Herr Ströbele, als dass ich das nicht erleben könnte. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden Sie noch erleben!) Zum wiederholten Male müssen wir uns heute daher diesem Thema widmen. Ich freue mich, dies heute für meine Fraktion tun zu können. Ich werde deutlich machen, dass es sich hierbei um einen rein populistischen Antrag und eine rein populistische Forderung der Linken handelt, mit der man möglicherweise die Gunst der Bevölkerung leicht gewinnen kann, die aber keine zum Nutzen unserer Demokratie ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) An unserer Argumentation, die in den letzten Jahren bei den einschlägigen Debatten immer wieder vorgebracht wurde, hat sich im Kern nichts verändert. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie haben nichts gelernt!) Die Befürworter von Plebisziten tun gerade so, als sei unsere parlamentarisch-repräsentative Demokratie eine quasi minderwertige Form der Demokratie, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unvollkommen!) ein geschichtliches Versehen, das endlich korrigiert werden muss. Das ist eine Geisteshaltung, die ich nicht teilen kann. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das steht doch nirgendwo!) Es wird dabei suggeriert, die Einführung von Volksentscheiden sei ein Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Auch das steht nirgendwo!) - Das steht zwar nirgendwo, aber das steht hinter Ihrem Antrag. - Es wird behauptet, nur durch die direkte Demokratie könnten das bürgerschaftliche Engagement gestärkt und die Wähler wieder an die Wahlurnen zurückgeholt werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Auffassung teilen wir ausdrücklich nicht. Es sprechen nämlich gewichtige Gründe klar gegen Plebiszite auf Bundesebene und für eine Beibehaltung unserer parlamentarisch-repräsentativen Demokratie. Volksabstimmungen bergen die Gefahr des Missbrauchs und der politischen Destabilisierung in sich. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Die CDU macht sie doch ständig, gerade hier in Berlin! Eine nach der anderen macht Ihre Partei!) - Herr Wieland, ich hatte von der Bundesebene und nicht von Berlin gesprochen. - Herr Wieland, Sie wissen mit Sicherheit - ich weiß, dass Sie das wissen -, dass durch diese Form des Plebiszits in der Weimarer Zeit das Volk aufgewühlt und gespalten und das Vertrauen in das Parlament zusätzlich erschüttert wurde. Ich brauche Sie auch nicht daran zu erinnern, dass gerade während der Naziherrschaft Volksabstimmungen geradezu missbraucht wurden, um diktatorische Entscheidungen zu legitimieren. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren ja auch nicht frei!) Mit Volksabstimmungen kann man den immer schwierigeren und komplexen Fragestellungen unserer pluralistischen Welt gerade nicht gerecht werden. Ein Volksentscheid ist ein vereinfachtes Verfahren, bei dem eine Frage - und das steht in Ihrem Antrag - mit Ja oder Nein entschieden wird. So sind komplexe Probleme nicht zu lösen. (Beifall bei der CDU/CSU - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das müssen Sie bei jedem Gesetz hier auch machen: mit Ja oder Nein stimmen!) Im Gegensatz dazu ist unser bestehendes Gesetzgebungsverfahren ein lernendes Verfahren. Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es eingebracht wurde. Nach der ersten Lesung schließt sich eine intensive Beratung in den Ausschüssen an. Sachverständigenanhörungen, Expertengespräche und Berichterstattergespräche werden durchgeführt. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die direkte Demokratie hat drei Stufen!) Zudem wird eine Folgenabschätzung vorgenommen. Ich erinnere unter anderem auch an die Einrichtung des Normenkontrollrates. Es ist also ein umfassender Vorgang, bei dem alle Gesichtspunkte erörtert werden konnten, bis schließlich das Gesetz verabschiedet wird. Solch ein gründliches Verfahren, bei dem regelmäßig auch Kompromisse zum Wohle der Allgemeinheit, aber eben auch zum Wohle der Minderheiten ausgehandelt werden, ist nach unserer Auffassung das besser geeignete Instrument. Das beste Beispiel dafür - das haben Sie nicht erwähnt, weil Ihnen das natürlich nicht in den Kram passt - wird durch die Schweiz geliefert, wo bei einer Abstimmung durch in diesem Fall zwei rechtspopulistische Parteien überraschend eine Mehrheit von 57 Prozent herauskam. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Populistische Entscheidungen kommen im Bundestag nie vor! Niemals!) Durch diese Abstimmung wurden nicht nur bei den in der Schweiz lebenden Muslimen, sondern auch im Ausland und bei uns zu Recht große Proteste ausgelöst. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Brandt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele? Helmut Brandt (CDU/CSU): Bitte schön. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte, Herr Ströbele. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Präsident. - Herr Kollege, haben Sie eine Erklärung dafür, warum es auf europäischer Ebene mit einem Volksentscheid klappen soll, während es auf Bundesebene nicht klappen soll? Wenn ich mich richtig erinnere, dann hat Ihre Fraktion - vermutlich haben Sie selber das auch getan - für den Lissabon-Vertrag und vorher für die Europäische Verfassung gestimmt, in denen das ja ausdrücklich vorgesehen ist. Wir wissen ja, dass im Augenblick noch sehr intensiv an den Einzelheiten gearbeitet wird. Helmut Brandt (CDU/CSU): Ich habe deshalb keine Erklärung dafür, weshalb das klappen sollte, weil ich an ein solches Verfahren nicht glaube. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es ist doch vorgesehen! - Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch dafür gestimmt!) - Unabhängig davon, Herr Wieland, ob das im Lissabon-Vertrag vorgesehen ist oder nicht, wird man abzuwarten haben, was im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens im Europäischen Parlament dazu beschlossen wird. So wie Sie das anstreben und wie es in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen ist, klappt das weder auf Bundesebene noch auf europäischer Ebene. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich hatte gerade die Schweiz und die dort mit Volksabstimmungen verbundenen Probleme erwähnt. Darauf gehen Sie natürlich nicht ein, weil das Ihnen nicht passt. Für besonders groß halte ich auch die Gefahr, dass wichtige Fragen nicht nach sachbezogenen Gesichtspunkten entschieden werden, sondern danach, welche Interessengruppe die bessere Lobbyarbeit macht, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das passiert hier im Bundestag natürlich nie!) wie schlagwortartig Parolen - darin sind Sie ja groß - unter das Volk gejubelt werden und wer welche Prominenten mit entsprechender Werbewirkung für seine Sache gewinnt. Die Folge ist doch klar: unsachlicher Abstimmungskampf, der die Gefahr von Manipulation in sich birgt. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist nicht zu fassen! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja unglaublich!) - Das ist nicht unglaublich, Herr Wieland. Sie wissen genau, wovon ich spreche. Meines Erachtens ist es nicht einzusehen, dass sich Parlamentarier ihrer Verantwortung entziehen und unpopuläre oder schwierige Entscheidungen dem Volk überlassen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieland? Helmut Brandt (CDU/CSU): Selbstverständlich, bitte schön. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege Brandt. - Wenn das Instrument des Volksbegehrens bzw. des Volksentscheides nur ein Instrument für Unwissende ist, für Demagogen, für Spalter der Bevölkerung, warum wird es denn dann auf Ebene der Bundesländer zum Teil mit großem Erfolg praktiziert? Warum stellt sich Ihre Partei auf Ebene der Bundesländer gerne hinter solche Volksbegehren, hier in Berlin zum Beispiel beim Thema Religion oder Offenhaltung des Flughafens Tempelhof? Warum haben Ihre Parteifreundinnen und -freunde von der CSU gefordert, dass über den Vertrag von Lissabon eine Volksabstimmung stattfinden solle, der ja nun wirklich nicht einfach zu lesen und zu verstehen war? Warum kommen solche Forderungen aus Ihrer Partei, wenn dieses Instrument, wie Sie sagen, nur etwas für plakative Parolen und zur Volksverdummung ist? Helmut Brandt (CDU/CSU): Erstens habe ich das so, wie Sie es jetzt wiedergeben, nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, dass eine solche Gefahr besteht. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Zum anderen ist es ein großer Unterschied, ob man in einer Stadt wie Berlin mit 3,6 Millionen Einwohnern ein solches Verfahren durchführt oder in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Was ist der Unterschied?) - Das ist zahlenmäßig ein großer Unterschied. Das werden Sie vielleicht nicht so weit nachvollziehen können, aber ich kann Ihnen das vorrechnen. Dann kommt noch eines hinzu, Herr Wieland: Wenn Sie schon Berlin erwähnen, dann werden Sie doch auch die Worte des Herrn Regierenden Bürgermeisters Wowereit kennen, der sagte, es wäre ihm vollkommen egal, wie das Volk in dieser Volksabstimmung entscheidet, er wird sich ohnehin nicht daran halten, Tempelhof würde geschlossen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Herr Wowereit kann sich irren! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist offenbar so wenig ein Freund von Volksabstimmungen wie Sie!) So viel zum Verständnis der Grünen, der Roten und anderer in dieser Frage. Ich denke, dass Ihre Frage damit beantwortet ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich habe es ja gerade erwähnt - ich verstehe das auch oft in der Diskussion nicht -: Für mich ist nicht einzusehen, weshalb wir uns als Parlamentarier auf diese Art und Weise zum Teil aus der Verantwortung stehlen sollten. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht im Grundgesetz! Haben Sie mal das Grundgesetz gelesen?) Herr Ströbele, ich denke auch, dass das insgesamt eine Abwertung des Parlaments bedeuten und damit ein Bedeutungsverlust einhergehen würde, der bereits durch die Normenflut der europäischen Institutionen - und wir wissen ja aus dem Innenbereich, was es damit auf sich hat - (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Art. 20!) und die unsägliche Neigung, politisch brisante Debatten mehr in Talkshows zu diskutieren als im Parlament auszutragen, eingetreten ist. All das würde gefördert. Letztlich wäre die föderale Grundstruktur unseres Staates tangiert, weil die in Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes garantierte grundsätzliche Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung nicht mehr in der vom Grundgesetz garantierten Form gewährleistet wäre. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Lesen Sie doch den Gesetzentwurf! Da steht die Beteiligung der Länder drin!) - Sie müssen meinen nächsten Satz abwarten, dann wissen Sie, was fehlt. Eine Konkurrenzvorlage durch den Bundesrat sieht Ihr Gesetzentwurf nämlich nicht vor - auch andere Regularien nicht. Er wird lediglich beteiligt, aber nicht in der vom Grundgesetz vorgesehenen Form. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Machen Sie einen Vorschlag!) Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind damit die Gründe für eine Ablehnung im Wesentlichen die gleichen, die wir bereits anlässlich der früher vorgelegten ähnlichen oder gleichartigen Gesetzentwürfe genannt haben. Kommen wir zu den Hauptargumenten derjenigen, die den Gesetzentwurf eingebracht haben. Sie behaupten immer wieder, durch die Möglichkeit von Plebisziten auf Bundesebene könne man der Politikverdrossenheit und dem Vertrauensverlust der Politiker entgegenwirken. Das stimmt einfach nicht. Ich habe bis heute nicht verstanden, warum der Vorschlag, dem Parlament in wichtigen Fragen die gesetzgeberische Entscheidungskompetenz zu entziehen und sie dem Volk zu übertragen, zu einem größeren Vertrauen gerade in das Parlament führen soll. Das ist für mich ein Widerspruch in sich. Was die behauptete höhere Wahlbeteiligung anbelangt, beweisen nicht nur der aktuell in Bayern durchgeführte Volksentscheid zum Nichtraucherschutz, sondern auch die in den vergangenen Jahren in Berlin durchgeführten Volksentscheide das Gegenteil. Die Wahlbeteiligung war stets konstant niedrig. Sie lag immer bei 36 oder 37 Prozent, also deutlich unter der Beteiligung bei anderen Wahlen. Diese Zahlen sprechen nach meiner Auffassung für sich. Direkte Demokratie führt eben nicht zu einer stärkeren Beteiligung der Bevölkerung. Auf die Äußerungen des Herrn Wowereit habe ich eben schon Bezug genommen. Das kann ich mir jetzt sparen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Wowereit scheint Ihr Kronzeuge zu sein! Ein ganz schlechter Kronzeuge! - Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Vorbild!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, neue Argumente sind für uns nicht ersichtlich. Deshalb hat sich auch unsere Einstellung zu diesem Gesetzentwurf nicht verändert. Ich fasse zusammen: Schon die Ergänzung unserer repräsentativen Demokratie um plebiszitäre Elemente auf Bundesebene würde die Wesenszüge unserer Demokratie verändern. Ich kann nur raten: Unterschätzen wir nicht die Gefahr des Populismus, der in Plebisziten steckt! Geringschätzen wir nicht unsere geschichtlichen Erfahrungen damit! Überschätzen wir nicht die Bedeutung von Plebisziten beim Kampf gegen Politikverdrossenheit! Deshalb plädiere ich dafür, unser ausgewogenes Verfahren und unseren starken Föderalismus wertzuschätzen. Wir lehnen den Gesetzentwurf ab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Michael Hartmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir vorhin in Vorbereitung auf unsere Debatte am heutigen Nachmittag die Mühe gemacht, nachzulesen, wie oft wir in den letzten Wahlperioden über diese Fragen diskutiert haben. Es waren sage und schreibe zehn Mal. Es wird noch ein elftes, zwölftes und dreizehntes Mal geben müssen. Eines Tages wird die Kraft der Argumente auch die CDU/CSU-Fraktion erreichen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn es macht durchaus Sinn, auch in einer parlamentarischen Demokratie mehr Bürgerbeteiligung einzuführen. Angesichts der Debatten könnte man sagen: Täglich grüßt das Murmeltier. Ich bin Optimist und sage: Steter Tropfen höhlt den Stein. Denn alles, was gegen mehr direkte Demokratie eingewandt wird, trifft nicht. In der Tat hatten die Eltern des Grundgesetzes 1949 die schlechten und schlimmen Erfahrungen der Weimarer Republik vor Augen. Angesichts der Teilung Deutschlands und des beginnenden Kalten Krieges sahen sie auch die Möglichkeiten, die nationale Karte manipulativ zu ziehen. Das alles ist wahr. Aber wir haben gerade im letzten Jahr gemeinsam mit Stolz das 60-jährige Bestehen des Grundgesetzes gefeiert. Auch unter unserer erheblichen Beteiligung haben wir das Grundgesetz, das gut ist, immer besser gemacht, indem wir es verändert haben. Heute sind wir so weit, dass wir sagen können: Es ist kein Abbruch parlamentarischer Demokratie, wenn wir Volksabstimmungen zulassen, sondern ein Zugewinn für parlamentarische Prozesse. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen hatten auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes keineswegs die Tür dafür zugeschlagen. Denn in Art. 20 heißt es sehr wohl, dass das Volk in Wahlen und Abstimmungen seiner Meinung Ausdruck verleihen kann. Das sollten wir heute ernster nehmen denn je, in Zeiten, in denen wahrhaftig nicht die Rede davon sein kann, dass hier die Untertanen sind, die gar nicht wissen, wie ihnen geschieht, und dort die weisen Volksvertreterinnen und Volksvertreter, die das würdevoll und gescheit an ihrer Stelle für sie entscheiden. Das wäre ein fatales Missverständnis dessen, was parlamentarische Demokratie ausmacht. Jeden Tag gibt es eine neue Meinungsumfrage, die täglich aufs Neue die Politik beeinflusst. Wäre es nicht klüger, sinnvoller, kanalisierender und in höherem Maße Demagogie verhindernd, wenn wir in einem geordneten Verfahren den Bürgerinnen und Bürgern von Zeit zu Zeit die Möglichkeit gäben, uns zu sagen, was sie über unsere Politik denken? (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Helmut Brandt [CDU/CSU]: Das tun sie alle vier Jahre!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Hartmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grosse-Brömer? Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Gerne. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Kollege Hartmann, Sie haben gerade die Umfragen angesprochen. Würden Sie mir recht geben, dass es gerade in der Vergangenheit häufig politische Entscheidungen gegeben hat, die in der Bevölkerung auf große Skepsis oder große Ablehnung gestoßen sind? Ich nenne exem-plarisch die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik oder den NATO-Doppelbeschluss. Diese Entscheidungen wurden in einem parlamentarischen Verfahren mit ausgiebigen Debatten gegen die Mehrheit der Bevölkerung getroffen, wobei die Parlamentarier über Informationen verfügten, über die der einzelne Bürger nicht verfügt hat. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ist der Bürger dümmer?) Dies barg im Übrigen die Gefahr für die Parlamentarier, nicht wiedergewählt zu werden. Im Nachhinein haben sich diese Entscheidungen aber als fundamental wichtig für die weitere Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland erwiesen. Das ging hin bis zur Ermöglichung der Wiedervereinigung. Würden Sie angesichts dieser Tatsachen akzeptieren, dass es manchmal sogar sinnvoll ist, nicht so sehr auf Umfragen zu schauen, sondern intensiver parlamentarisch zu beraten, parlamentarische Verantwortung wahrzunehmen und darüber nachzudenken, wie man die Bevölkerung auf Landes- und auf Kommunalebene besser einbinden kann? Würden Sie mir zustimmen, dass manche Entscheidungen hier im Parlament bewusst von verantwortungsvollen Politikern, die gewählt worden sind, wahrgenommen werden müssen? (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieses Recht wird uns doch nicht genommen! - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Verantwortungsvoller als der Bürger, oder was?) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege, ich bin mir sicher - wäre es anders, dann wäre es fatal -, dass Sie einem Missverständnis unterliegen. Volksabstimmungen oder Volksentscheide einzuführen, heißt nicht, einer Gefälligkeitsdemokratie das Wort zu reden. Werter Herr Kollege, vielleicht würde es uns allen guttun, wenn wir das, was wir wollen und vielleicht gegen Widerstände der Öffentlichkeit durchzusetzen haben - das ist gelegentlich unsere Pflicht -, genauer und besser erklären würden. Wenn wir uns einem Volksentscheid stellen müssten, dann müssten wir viel offener und transparenter, als das heute der Fall ist, über das rechten und das verantworten, was wir wollen. Deshalb ist das gerade ein gutes Element in der parlamentarischen Demokratie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Zeit hat heute sehr schön zu dem Thema unter der Überschrift "Wir beißen nicht" geschrieben: Plebiszit ist nicht das Gegenteil von Parlament. Die Politik sollte weniger Angst vor dem Souverän haben. Das passt genau zu Ihrer Zwischenfrage. Es wird immer das volkspädagogische Argument ins Feld geführt, die Leute könnten über all diese komplexen Fragen, über die wir hier debattieren und über die wir hier zu entscheiden haben, nicht mit der Tiefe und der Sachkompetenz entscheiden, wie wir das können. Dem halte ich entgegen: Können wir das immer - seien wir bitte ehrlich - mit der Tiefe und Detailgenauigkeit bei dem Zeit- und Termindruck, dem wir ausgesetzt sind? Sind wir denn frei von manipulativen Angriffen von Lobbyisten und anderen? Ist bei uns alles so transparent, wie wir es uns wünschen würden? Je mehr Öffentlichkeit bei den richtigen und notwendigen Fragen, umso besser für die parlamentarische Demokratie. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Natürlich gibt es Fragen und Themen, die sich einem Volksentscheid entziehen. Die Grenzen dafür sind sehr klar beschrieben. Das sind die Grenzen, die das Grundgesetz setzt. Das Grundgesetz würde zum Beispiel diskriminierende Fragestellungen, Fragen, die religiös oder anderweitig ausgrenzen - ich denke an ein Minarettverbot -, auf jeden Fall von vornherein nicht zulassen. Wenn jemand die Weisheit der Wählerinnen und Wähler, der Bürgerinnen und Bürger bezweifelt, dann rate ich, nach Bayern zu schauen. Egal ob einem das Ergebnis gefällt oder nicht, egal ob das Quorum so hoch war, wie man es sich wünschen würde - das ist eine andere Frage -: Klar ist doch, dass die Unentschlossenheit der Politik durch die Entschlossenheit der Wählerinnen und Wähler, die an dieser demokratisch legitimierten und von der bayerischen CSU gelobten Volksabstimmung - zumindest als Instrument gelobten Volksabstimmung - teilgenommen haben, beseitigt wurde. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Es gibt keine andere als die bayerische CSU!) Ich sagte bereits: Wir reden zum elften Mal über diese Frage, und es wird noch weitere Male geben. Vielleicht schaffen es die Linken, manche Unstimmigkeiten in ihrer Initiative im parlamentarischen Beratungsprozess zu eliminieren. Dazu gehört zum Beispiel, Wahlen mit Einzelfragen zu verknüpfen, die dann auch zur Abstimmung gestellt werden. Ein anderes Beispiel sind die niedrigen Quoren. Wenn wir es schaffen, das Ganze noch zu verbessern, und wenn wir es schaffen, dass die Linke, die Grünen, die FDP - hoffentlich auch heute noch - und die SPD all diese Elemente einer dreistufigen Volksgesetzgebung befürworten, dann wird es eines Tages gelingen, auch die Union davon zu überzeugen; schließlich sprechen sich CDU und CSU auf europäischer Ebene dafür aus und befürworten sie auf Länderebene schon lange. Ich baue darauf und hoffe, dass das Misstrauen den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber auch bei der Union bald überwunden sein wird. Wir sind kein Untertanenstaat mehr. Ich hoffe allerdings auch, dass die Linke das Ganze nicht nur als eine rhetorische Form der Auseinandersetzung ansieht. Denn ihr eigenes Agieren bei der Wahl des Bundespräsidenten hat nicht unbedingt dem Volkswillen entsprochen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Der Kollege Jimmy Schulz ist nun der nächste Redner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jimmy Schulz (FDP): Heute mache ich es mit Papier. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Winston Churchill sagte 1947 in einer Rede im Unterhaus: Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind. Er kannte das Grundgesetz noch nicht. Darin ist ein demokratischer Rechtsstaat beschrieben, der ohne Frage den höchsten Ansprüchen genügt. Diese Demokratie gilt es jedoch behutsam, aber beständig weiterzuentwickeln und zu verbessern. Das haben wir Liberale immer gefordert und in vielen Anträgen dokumentiert. Heute aber steht ein Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Beratung, der eben nicht den Anforderungen einer positiven Weiterentwicklung genügt. Es geht darum, ob wir Volksentscheide auch auf Bundesebene wollen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich aus gutem Grund für eine repräsentative Demokratie entschieden. (Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP]) Man muss die Ergebnisse von Volksbegehren und Volksentscheiden nicht immer mögen, um sich trotzdem für sie einzusetzen. Darum geht es nämlich nicht. Sicherlich kann man solche Entscheidungen auch kritisch hinterfragen; als Bayer sei mir das heute erlaubt. Das ist für mich aber ein Grund, an der grundsätzlichen Richtigkeit der direkten Elemente in unserem politischen Gemeinwesen auf keinen Fall zu zweifeln. Deswegen setzen wir Liberale uns für die Stärkung der direkten Demokratie ein, auf kommunaler Ebene, auf Länderebene, auf Bundesebene und natürlich auf europäischer Ebene; das habe ich unlängst an dieser Stelle klar dargelegt. (Beifall bei der FDP) Ich freue mich über bürgerliches Engagement und Initiative, insbesondere in der Politik. Ich halte plebiszitäre Elemente und eine Fortentwicklung der Demokratie für einen guten und richtigen Prozess, auch wenn ich mit dem Blick nach Bayern manchmal daran verzweifeln möchte. Trotzdem, nein, gerade deswegen bin ich ein großer Fan der Bürgerbeteiligung in den Ländern. Denken Sie nur daran, wie selten die bayerische Verfassung geändert wurde. Das liegt daran, dass nur das Volk die Möglichkeit dazu hat. Dem Grundgesetz hätte ein solcher Schutz manchmal ganz gutgetan. Die FDP-Fraktion hat in der letzten Wahlperiode einen Antrag zu demselben Thema gestellt. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der war gut! Der war sehr gut! - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Genau!) Wir wünschen uns damals wie heute, dass die Bürger unseres Landes tiefgreifender an politischen Prozessen beteiligt werden. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine repräsentative Demokratie. Daran soll auch in Zukunft kein Zweifel bestehen. Und doch wollen wir dieses Haus für mehr Bürgerbeteiligungen öffnen. Gerade die großen Fragen und die harten Entscheidungen können durch Bürgerbeteiligungen in ihrer Legitimation gestärkt werden. Trotzdem lehnen wir den Gesetzentwurf der Linken ab. Scheinbar haben Sie seit den Diskussionen in der letzten Legislaturperiode nichts dazugelernt. Ihr Gesetzentwurf jedenfalls ist weitgehend derselbe. Immer noch sind die Schwellen, die Sie anlegen, viel zu niedrig. Wir wollen die Beteiligung der Bürger, nicht aber die Diktatur durch Minderheiten. Es muss sichergestellt bleiben, dass auch Volksinitiativen auf ähnlich breiter gesellschaftlicher Basis stehen wie die Entscheidungen dieses Parlaments. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!) Gleichzeitig darf aber die Hürde für die Beteiligungen nicht unmöglich hoch oder abschreckend sein. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist die Kunst!) Die FDP hat sich immer für eine Schwelle von 400 000 Unterstützern eingesetzt. Dies scheint mir immer noch eine angemessene Höhe zu sein. Auch das Quorum, das Sie bei der zweiten Stufe, bei den Volksbegehren, anlegen, sollte überdacht werden. Eine prozentuale Koppelung an die Gesamtzahl der Wahlberechtigten erscheint mir deutlich sinnvoller als eine absolute Zahl, die zur Folge hätte, dass wir bei jeder Änderung der Bevölkerungs- und Wahlberechtigtenzahlen das Grundgesetz ändern müssten. Es gibt aber nicht nur inhaltliche Gründe, warum wir diesen Gesetzentwurf ablehnen - obwohl diese vollkommen ausreichend wären. Im Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsfraktionen darauf verständigt, die Beteiligung der Bürger über die Reform des Petitionswesens auszubauen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, darf ich Sie unterbrechen? Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wawzyniak? Jimmy Schulz (FDP): Wenn es der Erheiterung des Publikums dient. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Herr Schulz, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie bereit sind, mit meiner Fraktion und mir über diesen Gesetzentwurf in den nächsten Lesungen wohlwollend zu reden, wenn wir ein bisschen über die Quoten sprechen? Jimmy Schulz (FDP): Sie haben richtig verstanden, dass wir eine Bürgerbeteiligung am demokratischen Prozess sehr wohl unterstützen, und das werden wir auch weiterhin tun. Die Regierungsfraktionen haben sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, diesbezüglich in einem ersten Schritt über eine Änderung des Petitionsrechts zu beraten. Das werde ich gleich ausführlicher darstellen. (Beifall bei der FDP - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Also nein!) Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag - dann verstehen Sie das vielleicht -: Wir wollen die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung an der demokratischen Willensbildung stärken. Dazu werden wir das Petitionswesen weiterentwickeln und verbessern. Bei Massenpetitionen werden wir über das im Petitionsausschuss bestehende Anhörungsrecht hinaus eine Behandlung des Anliegens im Plenum des Deutschen Bundestages unter Beteiligung der zuständigen Fachausschüsse vorsehen. Darauf haben wir uns geeinigt, und das wollen wir so umsetzen. (Beifall bei der FDP - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit Volksbegehren zu tun? Das ist doch etwas völlig anderes!) Wir haben im letzten Jahr sehen können, welche Dynamik eine solche Petition bekommen kann. Ich selbst habe zusammen mit 134 000 engagierten Bürgerinnen und Bürgern die Petition von Franziska Heine gegen Internetsperren gezeichnet, und dadurch wurde eine breite Debatte über politische Fehlentwicklungen ausgelöst. Dieses Petitionsrecht wollen wir nun deutlich ausbauen. Diese Umsetzung hat für uns Priorität, weil das Petitionsrecht die Strukturen dieses Hauses einbezieht. Das heißt, dass das Plenum erfolgreiche Massenpetitionen an die zuständigen Ausschüsse überweisen kann, wo dann fachkundige Beratungen stattfinden. Wir haben nun seit fünf Jahren das Verfahren der Onlinepetitionen, das Interaktionen zwischen Bürger und Parlament endlich auf eine zeitgemäße Ebene gehoben hat. Durch die Ausbreitung des Internets stehen wir vor der Verwirklichung eines alten Traums, nämlich der Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen am Meinungsbildungsprozess unserer Republik. Durch die öffentlichen Petitionen können wir Schichten erreichen, die der politischen Teilhabe früher fernstanden. Der mündige und informierte Bürger kann seinem Anliegen nun öffentlich Gehör verschaffen und Missstände anprangern. Lassen Sie mich noch einmal klar sagen: Ich bin für eine weitergehende Beteiligung der Bürger an der Politik, auch am Gesetzgebungsverfahren. Ich habe das zuletzt in meiner Rede zur Europäischen Bürgerinitiative hier gesagt, in einer Rede, die übrigens erhebliche Aufmerksamkeit bekommen hat. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht vom Inhalt her! Das ist genauso wie bei dieser Rede!) Ich halte es für einen sehr interessanten und diskussionswürdigen Ansatz. Lassen Sie uns gemeinsam Schritt für Schritt unsere Demokratie weiterentwickeln. Einen ersten wichtigen Schritt werden wir nach der Sommerpause mit dem erweiterten Petitionsrecht tun. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Ingrid Hönlinger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle hier im Hause wissen: Unser Grundgesetz ist die beste Verfassung, und unsere Demokratie ist die beste Regierungsform, die wir je in Deutschland hatten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Helmut Brandt [CDU/CSU]: So soll es auch bleiben!) Wir haben freie, gleiche und geheime Wahlen auf allen Ebenen. Dadurch beteiligen sich die Bürgerinnen und Bürger an der Demokratie. Diese Art der repräsentativen Demokratie hat sich bewährt. Auch wir Grünen sind überzeugt davon: Wir haben hier in Deutschland eine gute und funktionierende Demokratie. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Ende der Rede!) Aber Demokratie fällt nicht vom Himmel, und sie ist auch nicht in Stein gemeißelt. Die ständig sinkende Wahlbeteiligung ist für mich ein ernstes Anzeichen dafür, dass wir schnell und aktiv an der inneren Stärkung unseres demokratischen Gemeinwesens arbeiten müssen. Wir dürfen hier nicht stehen bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier ist es genauso wie in Wissenschaft und Forschung: Stehen bleiben bedeutet Rückschritt. Was wir brauchen, ist demokratischer Fortschritt. Wie soll dieser demokratische Fortschritt aussehen? (Zuruf von der CDU/CSU: Gute Frage!) Nach unserer Überzeugung können wir ihn mit mehr Elementen direkter und partizipativer Demokratie erreichen. Jede Bürgerin und jeder Bürger sollte auch zwischen den Wahltagen die Möglichkeit haben, Demokratie aktiv zu leben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern sehr schnell mehr direkte Beteiligung ermöglichen, und zwar auch den Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund. Vielleicht ist das auch ein Schlüssel zur Terrorismusbekämpfung; denn überzeugte Demokraten, meine Damen und Herren, überzeugte Demokraten sind nicht anfällig für extremistische Positionen. Für uns Grüne ist direkte Demokratie, sind Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide eine Herzenssache. Wir haben schon mehrfach Vorschläge zu dem Thema unterbreitet. Jetzt greift die Linke das Thema auf. Das ist lobenswert. Aber im Detail sehen wir doch noch einige Mängel in ihrem Gesetzesentwurf. Auch aus unserer Sicht sind die Quoren zu niedrig angesetzt. Das kann schnell zu riskanten Zufallsergebnissen führen. Die Fristen für den Übergang von einer abgelehnten Volksinitiative zum Volksbegehren und dann zum Volksentscheid sind uns zu kurz. Wir sollten dadurch kein Einfallstor schaffen, das wir im Einzelfall bedauern könnten. Deshalb sollten wir mit allen Fraktionen, gern auch mit der FDP, überparteiliche Antworten finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen - jetzt spreche ich ganz besonders zu den Damen und Herren von der CDU und der CSU -: (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gebt euch mal einen Ruck!) Wir haben ganz aktuell zwei herausragende Beispiele für direkte Bürgerbeteiligung. Das erste Beispiel: Im Zusammenhang mit der Bundespräsidentenwahl hat sich die Bevölkerung ein eigenes Urteil über die Kandidaten gebildet und dieses Urteil auch geäußert. Damit hat sie sich ein hervorragendes demokratisches Reifezeugnis ausgestellt. Das wird weiterwirken, und das muss auch weiterwirken, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte schön. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte sehr. Manuel Höferlin (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Kollegin, würden Sie mir darin zustimmen, dass in dem von Ihnen genannten Beispiel der Bundespräsidentenwahl Umfragen vor der Wahl ein anderes Ergebnis hatten als Umfragen nach der Wahl? Nach der Wahl hat die überwiegende Zahl der Menschen in Deutschland auf die Frage, ob der neue Bundespräsident, Herr Christian Wulff, ihrer Meinung nach ein guter Bundespräsident wird, plötzlich eine drastisch veränderte Meinung geäußert. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch nach der Bundestagswahl, Herr Kollege! Auch bei der FDP! - Weitere Zurufe) - Ich stelle jetzt meine Frage, Herr Kollege Wieland. Dann können Sie, wenn Sie wollen, Ihrer Kollegin ja auch noch eine Frage stellen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich mache nur einen Zwischenruf!) Sind Sie auch der Meinung, dass dies bei dem, was Sie gerade gesagt haben, zu beachten ist? Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Umfragen hängen natürlich immer ganz stark von der Fragestellung ab. (Zurufe von der FDP: Ah! - Manuel Höferlin [FDP]: Das ist der Punkt!) Ich schätze unsere Bevölkerung einfach als fair ein. Die Bevölkerung hat sich vor der Wahl ein Bild gemacht in der Frage, welchen Kandidaten oder welche Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin sie am besten findet, und sie hat nach der Wahl akzeptiert, dass wir hier eine demokratische Wahl durchgeführt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dann zu sagen, dass Herr Wulff als Bundespräsident in Ordnung ist, ist doch wirklich demokratisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der FDP 5 Prozent zuzubilligen, ist genauso richtig und demokratisch!) - Genau. Ich habe noch ein zweites leuchtendes Beispiel für mehr direkte Bürgerbeteiligung, und dieses Beispiel kommt aus Bayern. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!) Jetzt sage ich "aus Bayern" und nicht "von der CSU"; denn die CSU hat mit ihrem Schlingerkurs nicht erreicht, dass die Bevölkerung das akzeptiert hat, was dort gerade Gesetz ist. Entgegen dem Schlingerkurs der CSU (Michael Frieser [CDU/CSU]: Wieso Schlingerkurs?) und entgegen der Meinung der FDP hat die bayerische Bevölkerung die Zigarette ausgedrückt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN - Stefan Müller [Erlangen] [CDU/ CSU]: Können Sie uns erklären, wie Sie das meinen?) Sie hat durch den Volksentscheid das schärfste Rauchverbot durchgesetzt, das wir in Deutschland haben. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Dafür könnt ihr uns doch einmal loben!) Das finde ich wirklich erstaunlich, zumal die Tabakindustrie und die Gastronomie die Raucherkampagne mit mehr als 600 000 Euro unterstützt hatten. Ich denke, wir können hier bundesweit von den Bayern lernen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Stefan Müller [Erlangen] [CDU/ CSU]: Prima! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur an der Stelle!) Mein Fazit lautet: Die Bürgerinnen und Bürger sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. 60 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes sind die Deutschen reif für mehr direkte Demokratie. Diesen Demokratisierungsprozess müssen wir auch hier im Parlament unterstützen; denn er nutzt überparteilich uns allen. Wir hier im Parlament haben die Aufgabe, Regeln zu setzen für die direkte Demokratie. Wir müssen die Verfassung, die Grundrechte und auch die Minderheiten schützen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Volksentscheide nur bei Themen, die Ihnen passen! Das ist doch Ihr Vorschlag!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss will ich sagen: Wir sollten in diesem Haus mit der Unterstützung von allen Fraktionen direkter Demokratie mehr Chancen geben. Lassen Sie uns gemeinsam unsere Demokratie stärken! Das macht sie bunter, lebendiger und zukunftsfester. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Helmut Brandt [CDU/CSU]: Bunter ja, besser nein!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der nächste Redner ist Michael Frieser für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Michael Frieser (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Soweit ich mich erinnern kann, wurden die bayerische Politik, die CSU und die Ergebnisse ihrer direkten Volksbeteiligung noch nie so oft erwähnt wie in den letzten Reden. Darauf kann man als Bayer durchaus stolz sein. Das sage ich auch an die Adresse des Kollegen Schulz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Darüber freuen wir uns. Ich kann immer wieder nur sagen: Ein Blick nach Bayern schadet auch in dieser Frage nichts. Von Bayern kann man einiges lernen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sagen Sie es Ihren Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion!) Aber die Schlüsse, die Sie ziehen, sind mitunter leider Gottes etwas kurzsichtig, wenn es um die Attraktivität von Bürgerbeteiligung und um die Intensivierung von demokratischen Prozessen geht. Wenn Sie das Bewusstsein für demokratische Prozesse erhöhen wollen, dann seien Sie bitte ehrlich. Das Grundgesetz hat in dieser Frage keinen Zweifel gelassen. Es wurde übrigens damals nicht zur Volksabstimmung gestellt. Trotzdem ist es eine der besten Verfassungen, die es überhaupt auf der Welt gibt. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bayern haben nicht zugestimmt, Herr Kollege! Die Bayern waren die Einzigen, die nicht zugestimmt haben!) - Ja, deshalb enthält die bayerische Verfassung diese unglaubliche Form von Volksbeteiligung. Wenn Sie mir jetzt geneigt zuhören wollen, dann erkläre ich Ihnen einmal, warum in einem föderalen System, bestehend aus Bundesstaaten wie in der Bundesrepublik Deutschland, in einzelnen Landesteilen Volksentscheide möglich sind und auf Bundesebene nicht. Ich will zuvor etwas Grundsätzlicheres sagen. Ich habe schon ein bisschen den Eindruck, als ob es Ihnen hierbei um die Frage geht, was man damit eigentlich bezwecken kann. Haben wir das richtig verstanden, dass es Volksabstimmungen immer nur dann geben soll, wenn das Thema in Ihre politischen Vorstellungen passt? Denn wenn es nach Ihnen geht, soll es keine Volksentscheidungen bei religiösen Grundsatzfragen, bei moralischen Grundsatzfragen und Ähnlichem geben. Kann man also davon ausgehen, dass es eine Volksabstimmung nur bei unwichtigen Themen geben soll? (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man nicht!) Aber wenn es um wichtige Fragen geht und man Angst vor dem Ergebnis hat, dann soll eine Volksabstimmung nicht vorgesehen sein. Das funktioniert nicht. Es tut mir leid. (Beifall bei der CDU/CSU - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen das Grundgesetz kennen!) Sie wissen genau, welche Kombination wir gerade dank des Grundgesetzes haben, nämlich eine Balance zwischen einer sehr basisdemokratischen und sehr grundsätzlichen Beteiligung des Volkes einerseits und den in der repräsentativen Demokratie unabhängigen Abgeordneten andererseits. Der Abgeordnete ist somit kein Befehlsempfänger, und er hat auch kein imperatives Mandat. Im Gegenteil: Er ist nur seinem Gewissen verpflichtet, soweit er denn eines hat. Er muss seine Entscheidungen auf seinen Sachverstand und auf seine Erfahrungen beispielsweise aus Gesprächen, die er in seinem Wahlkreis führt, gründen und diese Intentionen hier einbringen. Auf der einen Seite steht der Volkswille bzw. der Bürgerwille und auf der anderen Seite steht die politische Umsetzung dieses Willens. Das haben die Väter des Grundgesetzes mit dem Begriff "Willensbildungsprozess" gemeint. Sie wissen auch, dass diese Balance kein Minus im Hinblick auf die Legitimation ist. Wenn man auch die wichtigen Fragen zum Diskurs stellen möchte, dann muss damit ein intensiver Prozess verbunden sein. Nicht nur im Bundestag bedarf es einer intensiven Abstimmung. Wie wollen Sie Sachverständigenanhörungen in Volksabstimmungen einbringen und Sachverständigengremien im Falle von Volksabstimmungen einbeziehen? Wie wollen Sie dann das Prinzip, dass Diskussionen, die untereinander geführt werden, mitunter in Kompromisse bzw. in einen Konsens münden, aufrechterhalten? Dies alles würde bei Volksabstimmungen wegfallen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wie funktioniert das in Bayern?) Im Ergebnis hebeln Sie auch das Prinzip der Beteiligung der Länder aus. Sie verwandeln nicht nur das Prinzip der Beteiligung - darüber könnte man noch reden -, sondern Sie verwandeln auch das Grundgerüst unseres Staates, indem Sie das föderale Prinzip ein ganzes Stück weit aufgeben. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Drucksachen lesen!) Ich höre, Sie wollen wichtige Themen wie die Todesstrafe nicht zur Abstimmung stellen. Das soll eine Ausnahme sein. Schon sind wir beim nächsten Thema. Wie sieht es mit der Sicherungsverwahrung aus? (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Grundgesetz nicht verstanden!) Zu all solchen Themenkomplexen müssten Sie einen Katalog erstellen, der immer nur den Zeitgeist abbilden kann. Man kann nur das Hier und Heute in einem entsprechenden Gesetzentwurf abbilden. Meines Erachtens geht es nicht um mehr politische Stabilität, sondern schon auch um das Ziel, das parlamentarische System durch das hochgehaltene Warnschild, man könne zu einem bestimmten Thema eine Volksabstimmung durchführen, aus der Balance zu bringen. Das kann der Abbildung des Bürgerwillens nicht unbedingt dienlich sein. Was wäre denn bei Abstimmungen zum Thema Euro oder zum Thema Wiedervereinigung - Kollege Brandt hat schon darauf hingewiesen - passiert? Ist es nicht gerade auch das Ziel des Antragstellers, Entscheidungen zu Themen, die wir nach schwierigen Diskussionen bewusst getroffen haben, beispielsweise zu Auslandseinsätzen, auf diese Art und Weise wieder aufzuheben? Damit werden allerdings die Interessen des Staates wirklich massiv aufs Spiel gesetzt. Letztendlich muss auch folgendes Argument zählen: Was ist bei Handlungsdruck? Sie wissen, dass Volksabstimmungen eines langen Vorlaufs bedürfen. Man kann dann nicht schnell entscheiden bzw. auf manche Entwicklungen nicht schnell genug reagieren. Im Ergebnis: Versuchen wir nicht immer wieder, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Anscheinend war es schon früher so - selbst als Neuer kann ich das sagen, wenn ich in die Annalen blicke -, dass es in einem Zeitraum von einem Dreivierteljahr immer wieder kommt. Umgekehrt sehe ich, dass, wenn es um Themen geht, bei denen wir uns nicht einer Zustimmung von mehr als 51 Prozent der Bürger sicher sind, gesagt wird, dass man sich eine Entscheidung auch ohne direkte Demokratie vorstellen kann. So würde ich mich darüber freuen, in unserem Land eine Abstimmung durchzuführen, um endlich zu erfahren, wo die SED-Milliarden geblieben sind. (Zuruf von der LINKEN: Im Bundeshaushalt!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Fograscher hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Fograscher (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch die SPD setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, Elemente direkter Demokratie ins Grundgesetz zu schreiben. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2009 haben wir geschrieben - ich zitiere -: Wir wollen Volksbegehren und Volksentscheide auch auf Bundesebene ermöglichen und dabei die Erfahrungen der Länder berücksichtigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Na prima! Fangen wir an!) Unsere parlamentarisch-repräsentative Demokratie hat sich bewährt. Aber wir sind der Meinung, dass es an der Zeit ist, diese durch direkte Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu ergänzen. Es wäre auch ein Schritt zu mehr europäischer Gemeinsamkeit; denn in vielen unserer Nachbarstaaten und auch in Europa, im Lissabon-Vertrag, gibt es diese Instrumente bereits, ebenso wie in allen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland, auch in den CDU- bzw. CSU-regierten. Warum also nicht auch im Bund? Alle Fraktionen dieses Hauses, bis auf die CDU/CSU, haben in der Vergangenheit Gesetzentwürfe vorgelegt. Der Gesetzentwurf der FDP aus der 16. Wahlperiode ist immer noch auf deren Homepage zu finden. Leider steht zu diesem Thema nichts in Ihrem Koalitionsvertrag. Herrn Kollegen Schulz möchte ich sagen - er hat sich gerade entschuldigt, er musste gehen -: Es ist etwas anderes, das Petitionsrecht zu stärken und zu ändern, als das, was unsere Intention ist, nämlich direkte Bürgerbeteiligung zu ermöglichen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) In der konkreten Ausgestaltung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden gibt es allerdings sehr unterschiedliche Vorschläge. Für die erste Stufe, die Volksinitiative, fordern SPD und Grüne und auch die FDP ein Quorum von 400 000 Stimmberechtigten, die Linke fordert in ihrem heute vorgelegten Gesetzentwurf nur ein Quorum von 100 000 Stimmberechtigten. Sie begründen das damit, dass in etwa so viele Stimmen zur Erlangung eines Bundestagsmandats nötig seien. Ich halte dieses Quorum für zu gering, um Bagatellinitiativen zu verhindern. Auch das Argument, dass die Zahl von 100 000 Wählerstimmen einem Bundestagsmandat entspricht, ist keine vernünftige Begründung; denn ein einzelner Abgeordneter kann im Bundestag allein keine Initiative einbringen. Für Volksbegehren forderte Rot-Grün in einem gemeinsamen Antrag in der 14. Legislaturperiode ein Quorum von 5 Prozent. Das entspricht etwa 3 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Die FDP fordert sogar 10 Prozent, also etwa 6 Millionen Unterstützer. Der Linken reicht ein Quorum von 1 Million, also etwa 1,7 Prozent. Auch das halte ich für zu gering. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Dann reden wir darüber!) - Gerne. Wir wollen die Themen nicht wie Sie in einem Katalog auflisten. Sie werden nämlich automatisch durch das Grundgesetz begrenzt. Die darin enthaltenen Regelungen sind ausschlaggebend dafür, ob eine Fragestellung zulässig ist oder nicht. Was mir an dem Vorschlag der Linken völlig unverständlich ist, sind die Vorschläge zu Art. 82 c Abs. 4 des Grundgesetzes - ich zitiere -: Drei Wochen nach Festlegung des Wahltermins zum Bundestag hat jede Fraktion des Bundestages das Recht, eine Sachfrage zur Abstimmung am Wahltermin vorzuschlagen. Weiter: Der gewählte Bundestag - es müsste heißen: der neu gewählte Bundestag - ist für seine Wahlperiode an die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger in diesen Fragen gebunden. Unserer Ansicht nach hat ein Volksentscheid den Zweck, dass sich Bürgerinnen und Bürger zwischen den Wahlterminen zu Sachfragen direkt äußern können. Wenn Sie den Volksentscheid an die Bundestagwahl knüpfen, wäre dieser Zweck hinfällig. Warum sollen nur die im Bundestag vertretenen Fraktionen berechtigt sein, Sachfragen zur Abstimmung zu stellen? Warum dürfen das nicht alle Parteien, die zur Bundestagwahl zugelassen sind? Und warum sollen Parteien Sachfragen vorgeben, wo doch Volksentscheide schon allein vom Namen her aus der Mitte des Volkes kommen sollen? Was soll das denn bringen, und wem soll das nützen? Den Wählerinnen und Wählern bringt das sicher nichts. Die Parteien und ihre Bewerber treten mit einem umfassenden Programm, soweit sie eines haben, zu unterschiedlichen Themen zur Bundestagwahl an, und der Wähler trifft dazu seine Entscheidung. Mit der Bindung des Bundestages an die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger während der gesamten Legislaturperiode würde der Rahmen der politischen Gestaltungsmöglichkeiten nicht ergänzt, wie wir es wollen, sondern eingeschränkt. Diesen Vorschlag halte ich deshalb für verfehlt. Wir werden ihm nicht zustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch wenn alle bislang eingebrachten Gesetzentwürfe letztlich dasselbe Ziel haben, so unterscheiden sie sich doch in vielen Punkten. Bei den Quoren wird das wohl am deutlichsten. Solange sich CDU und CSU aber standhaft weigern, mehr Bürgerbeteiligung zuzulassen, werden wir auch in dieser Legislaturperiode keine grundgesetzändernden Mehrheiten erreichen. Ich bedauere es, dass sich die FDP von diesem Ziel offensichtlich verabschiedet hat. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, ich bedauere, dass Ihre Redezeit bereits abgelaufen ist. Gabriele Fograscher (SPD): Einen Satz noch. - Das müssen Sie in der Koalition vielleicht noch einmal klären. Ich jedenfalls freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Man soll die Hoffnung ja nie aufgeben. Es hat, wie der Kollege schon sagte, bereits zehn Anläufe gegeben. Vielleicht ist der elfte entscheidend und bringt den Durchbruch. Danke schön. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Punkt. Es ist verabredet, den Gesetzentwurf auf Druck-sache 17/1199 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist diese Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt - Beschäftigungschancengesetz - Drucksache 17/1945 - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) - Drucksache 17/2454 - Berichterstattung: Abgeordneter Paul Lehrieder Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/2455 - Berichterstattung: Abgeordnete Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Bettina Hagedorn Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller, Anette Kramme, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Arbeitsmarktpolitik erfolgreich umsetzen und ausbauen - Drucksachen 17/2321, 17/2454 - Berichterstattung: Abgeordneter Paul Lehrieder c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entfristung der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung - Drucksache 17/1141 - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) - Drucksache 17/1636 - d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige entfristen und ausbauen - Drucksachen 17/1166, 17/1636 - Berichterstattung: Abgeordneter Paul Lehrieder Zu dem Entwurf eines Beschäftigungschancengesetzes der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Es ist verabredet, hierzu eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Auch dazu höre und sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Brauksiepe für die Bundesregierung. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat dem Hohen Haus den Entwurf eines Beschäftigungschancengesetzes vorgelegt, über den wir heute abschließend beraten wollen. Das gibt die Gelegenheit, mal wieder über die tatsächliche Lage in Deutschland in diesem Sommer 2010 zu sprechen. Gestern beim Fußball waren andere besser als wir; aber wenn man die Lage auf dem Arbeitsmarkt sieht, muss man sagen: Seit Monaten ist niemand in Europa besser als wir. Seit Monaten ist Deutschland der einzige EU-Mitgliedstaat, in dem die Arbeitslosigkeit im Jahresvergleich sinkt. Das ist etwas, meine Damen und Herren, worauf wir stolz sein können in diesem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist Champions League!) - Das ist nicht nur Champions League, Herr Kollege Kolb; denn Champions League ist ja, wie die Kundigen wissen, etwas, das auf Europa beschränkt ist. Aber unsere Erfolge sind schon ein bisschen größer. Deutschland ist das einzige Industrieland in der OECD, einer weltweiten Organisation mit rund 30 Mitgliedsländern, in dem die Arbeitslosigkeit wieder unter den Stand vor der Wirtschaftskrise gefallen ist. Das sagen nicht wir, die Bundesregierung, sondern die OECD selbst hat das veröffentlicht. Wir sind im Industrieländervergleich weltweit spitze bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Auch das ist etwas, worauf wir stolz sein können, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der SPD: Wie ist das mit der Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland?) Es gilt in der christlich-liberalen Koalition, was früher in der Großen Koalition auch schon galt: Politik ist weder allmächtig noch ohnmächtig. Politik hat das nicht allein geschafft. Aber natürlich hat auch die Arbeitsmarktpolitik - neben Gewerkschaften und Arbeitgeber-verbänden, die wichtige Vereinbarungen miteinander getroffen haben - unbestreitbar einen hohen Beitrag geleistet. Entgegen allen ursprünglichen Erwartungen ist es uns in Deutschland gelungen, einen spürbaren Einbruch bei der Zahl der Erwerbstätigen und den Anstieg der Zahl der Arbeitslosen in einem selbst von Optimisten nicht abzusehenden Ausmaß zu begrenzen. Führen wir uns noch einmal die Situation vor der Krise vor Augen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Im Herbst 2008 lag die Arbeitslosigkeit zeitweise bei unter 3 Millionen. Seit 2005 waren rund 1,5 Millionen neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen worden. Es gab über 40 Millionen Erwerbstätige. In der Krise ist die Arbeitslosigkeit um rund 300 000 gestiegen, die Erwerbstätigkeit in einem etwa ähnlichen Maße zurückgegangen. Das war deutlich geringer als erwartet. Dies haben wir neben der Beschäftigungspolitik der Unternehmen vor allem dem massiven Einsatz von Kurzarbeit zu verdanken. Über 300 000 Vollzeitstellen wurden durch Kurzarbeit ersetzt. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit wäre ohne Kurzarbeit womöglich doppelt so hoch ausgefallen. Deswegen sage ich: Es war richtig, dass die Regierung, die zu der Zeit, als die Krise ausbrach, die Verantwortung hatte, also die Große Koalition, diese Maßnahmen ergriffen hat. Und es ist richtig und wichtig, dass die christlich-liberale Koalition jetzt daran anknüpft und das Signal gibt: Es ist viel erreicht worden, aber wir sind noch nicht durch die Krise durch. Wir werden diesen Weg, der einmalig erfolgreich ist, auch gemeinsam weitergehen. Das ist die Botschaft dieses Gesetzes. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir stehen am Anfang einer konjunkturellen Erholung, nachdem die Auswirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt vergleichsweise gering geblieben sind - nicht deswegen, weil in großem Maße irgendwelche niedrig bezahlten Jobs entstanden wären, sondern deswegen, weil wir mit unseren Maßnahmen vor allem Beschäftigung gehalten haben. Genau das, was es im Zusammenhang mit der Kurzarbeit an Skepsis gegeben hat - dass möglicherweise Arbeitslosigkeit nur verlagert wird -, ist eben nicht eingetreten. In der jetzigen Situation haben wir über 200 000 Beschäftigungsverhältnisse mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der Kurzarbeiter, die sich zwischenzeitlich aufgrund der Fördermaßnahmen, die wir ergriffen haben, von rund 100 000 auf anderthalb Millionen verfünfzehnfacht hatte, ist jetzt wieder auf ein deutlich niedrigeres Maß zurückgegangen. Das heißt, die Menschen sind nicht aus der Kurzarbeit in die Arbeitslosigkeit gegangen, sondern sie sind wieder in Beschäftigung gekommen, weil die Betriebe mit ihren Beschäftigten durch diese Krise gegangen sind. Das wollten wir erreichen, und das ist gelungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wissen, dass dies nicht zum Nulltarif zu haben war. Viele unserer Partner aus unseren Nachbarländern fragen uns, was der Kern des deutschen Jobwunders ist - ein Begriff, den nicht wir erfunden haben, sondern der aus dem Ausland an uns herangetragen wurde. Der Kern ist, dass es gelungen ist, Gewerkschaften und Arbeitgeber mit den Beitrags- und Steuerzahlern in einem Bündnis zusammenzubringen, das Arbeitsplätze erhalten und neue Arbeitsplätze geschaffen hat. Dieses Miteinander, diese Sozialpartnerschaft, die dieses Land über 60 Jahre stark gemacht hat, hat auch die letzten Jahre mitgeprägt. Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis. Jenseits allen politischen Streites - auch des Streites über notwendige Sparmaßnahmen in diesen Tagen - muss man einfach einmal ein herzliches Dankeschön an die Sozialpartner in unserem Land sagen, die dieses Land mit großgemacht haben und mit durch diese Krise geführt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Weil wir mit unserer Politik in dieser Krise bisher gut gefahren sind, aber sie noch nicht überwunden haben, ist es richtig, dass wir jetzt mit diesen Maßnahmen fortfahren in dem Wissen, dass neben der gelebten Sozialpartnerschaft der Erfolg bei der Bewältigung der Krise auch teuer erkauft wurde. Wir haben die Reserven, die wir in der Arbeitslosenversicherung hatten, in der Tat aufgebraucht. Wir haben deswegen gesagt: Damit die Arbeitsmarktpolitik handlungsfähig bleibt, damit die Bundesagentur für Arbeit handlungsfähig bleibt und damit für die Langzeitarbeitslosen weiterhin etwas getan werden kann, unterstützt der Bund die Bundesagentur in diesem Jahr mit einem Zuschuss. Wir werden weiter für die Handlungsfähigkeit der arbeitsmarktpolitischen Akteure in diesem Land sorgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wenn wir im Jahr 2013, in dem wir aller Voraussicht nach noch weniger Arbeitslose haben als jetzt, so viel für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgeben, wie wir es im Jahr 2006 bei weit über 4 Millionen Arbeitslosen getan haben, zeigt das, dass wir auf Dauer deutlich mehr Geld in die Arbeitsmarktpolitik geben, als das früher der Fall war. (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir betreiben also keinen Abbau von Maßnahmen, sondern es gibt bezogen auf die Zahl der Menschen, die Hilfe brauchen, einen Aufbau von arbeitsmarktpolitischem Engagement. Das ist richtig so. Diese christlich-liberale Koalition steht für Aufbau und nicht für Abbau in der Arbeitsmarktpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie das Sparpaket nicht? - Weiterer Zuruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir stehen in der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzentwurfes. Das heißt, wir reden auch über Änder-ungsvorschläge, die aus dem Haus gekommen sind und über die im federführenden Ausschuss diskutiert worden ist. Die Bundesregierung begrüßt die Änderungsanträge, die eingebracht worden sind. Den Änderungsantrag zum Thema Bürgerarbeit will ich zum Anlass nehmen, an dieser Stelle etwas dazu zu sagen. Dieser Änderungsantrag und diese abschließende Beratung gehen einher mit dem Modellprojekt "Bürgerarbeit", das in den Startlöchern ist. Bundesweit haben rund 200 Grundsicherungsstellen gesagt, dass sie bei diesem Projekt mitmachen wollen. Dieses Projekt ist gerade in Sachsen-Anhalt von der dortigen Landesregierung erfolgreich erprobt worden. Es geht bei dem Projekt darum, Menschen zu aktivieren, ganz gezielt zu fördern, sechs Monate lang ganz viele Anstrengungen koordiniert und gebündelt zu unternehmen, um diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen. Nur für die, bei denen das nicht gelingt, wird es Bürgerarbeitsplätze geben, die der Bund finanziert, damit sie weiter eine Chance auf sinnvolle Beschäftigung in unserer Arbeitswelt haben. Diese christlich-liberale Koalition - dafür steht auch die Ausweitung der Bürgerarbeit zu einem bundesweiten Projekt - lässt niemanden am Wegesrand stehen, lässt niemanden zurück, sondern kümmert sich gerade um die, die die meiste Unterstützung brauchen. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Gerade für diese Menschen setzen wir neue Akzente, stellen wir etwas zur Verfügung. Wir reden nicht darüber, sondern wir handeln. Ich bedanke mich herzlich für die Initiativen, die ergriffen worden sind, und für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Anette Kramme spricht jetzt für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Anette Kramme (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns wurden gerade die Heldentaten der Union verkündet: Man wolle die aktive Arbeitsmarktpolitik auf dem Level des Jahres 2006 fortsetzen. Ich weiß nicht, ob ich das tatsächlich als Heldentat empfinden kann. Man sollte nämlich berücksichtigen, dass die tatsächlichen Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik im Jahr 2006 besonders niedrig waren. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da haben Sie doch regiert!) Sie kennen auch die Gründe, warum die Ausgaben besonders niedrig waren: Sie waren besonders niedrig, weil wir einen riesigen Umstellungsprozess bei den Argen hatten und die Arbeitsmarktmittel deshalb nicht vollumfänglich ausgeschöpft werden konnten. Das soll jetzt der Vergleichsmaßstab sein. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Erbärmlich!) Der Name dieses Stückwerkgesetzes mutet etwas seltsam an: Für die Regierung mag zwar vorübergehend Beschäftigung entstanden sein; aber mit Chancen hat dieses Regelwerk relativ wenig zu tun. Ich will eine Ausnahme machen: Sie sind endlich bereit, die Regelungen zur Kurzarbeit zu verlängern. Aber auch hier mussten wir Sie zum Jagen tragen: (Zurufe von der CDU/CSU: Nee!) Noch im April haben Sie sich geweigert, die Förderung der Kurzarbeit inklusive der Befreiung von Sozialabgaben und attraktiver Angebote zur Weiterbildung zu verlängern. Warum? Aus schierem Trotz, weil nicht sein kann, was nicht sein darf; ein von einem Sozialdemokraten, Olaf Scholz, entwickeltes Modell ist nämlich in einer schwarz-gelben Koalition nicht opportun. Dabei sind sich alle Experten, von DGB bis OECD, vollumfänglich einig gewesen: Kurzarbeit hat wesentlich dazu beigetragen, höhere Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Sogar der Arbeitgeberverband sekundierte seinerzeit. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ex post ist es immer einfach!) Es wird auch immer betont, dass Kurzarbeit wesentlich billiger als Arbeitslosigkeit ist. Im Durchschnitt ist nämlich nur ein Drittel der Arbeitszeit durch die Sozialleistung zu ersetzen. Kurzarbeit ist auch deshalb vernünftig, weil Unternehmen nach einer Krise sofort starten und ihre Fachkräfte im Zuge eines zunehmenden Fachkräftemangels halten können. (Beifall bei der SPD) Nun, meine Damen und Herren von der Koalition, wir freuen uns über Einsicht, auch über späte Einsicht. Endlich fangen Sie an, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Zwei Aber gibt es dennoch: Aber Nummer eins: Für etliche Unternehmen kommt die Einsicht zu spät. In vielen Unternehmen haben Entlassungsprozesse eingesetzt, weil Sie nicht zu Potte gekommen sind. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Wo soll denn da gekündigt werden? Wir haben sinkende Arbeitslosenzahlen!) Sie haben nicht beachtet, dass einerseits Kündigungsfristen eingehalten werden müssen und andererseits langwierige und komplizierte Sozialplanverhandlungen zu führen sind. Häufig konnten diese Unternehmen nicht länger warten, weil sie in finanzieller Not waren und nicht wussten, was nun im nächsten Jahr Sache ist. Hätte die Regierung eher gehandelt, wäre Mitarbeitern die Entlassung erspart geblieben. Aber Nummer zwei: Auch diesmal wollen Sie die Kurzarbeit nur vorübergehend verlängern. Da stellt man sich die Frage: Warum eigentlich so schüchtern? Wir von der SPD schlagen vor: Kurzarbeit soll künftig generell unter den aktuellen Bedingungen möglich sein. Wir fordern eine Entfristung unter den erleichterten Bedingungen, die eine Erstattung der Sozialversicherungsabgaben ermöglichen. Wir wollen darüber hinaus die reguläre Bezugsdauer von sechs auf zwölf Monate ausdehnen, die maximale Bezugsdauer auf immerhin 36 Monate. Alle sind sich einig: Kurzarbeit hat geholfen. Alle sind sich einig: Kurzarbeit ist billiger als Arbeitslosigkeit. Warum sollte man dann daraus keine Dauerlösung machen? Sollten die Regelungen in wirtschaftlich guten Zeiten nicht gebraucht werden, ist eine Verlängerung unschädlich; (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen, Frau Kramme!) ohne Nutzung entstehen keine Kosten. Sollten die Regelungen gebraucht werden, muss nicht erst ein langwieriger Gesetzgebungsprozess in Gang gebracht werden; die Reaktionszeiten werden kürzer, die Hilfe effektiver. Lieber Herr Kolb, Sie können den mahnenden Zeigefinger, der vor Missbrauch warnt, getrost unten lassen. Die Gefahr des Missbrauchs wird nämlich völlig überschätzt. (Beifall bei der SPD) Unternehmen haben gar kein Interesse, Kurzarbeit unnötig auszudehnen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wahr!) Zum einen bleiben nämlich immerhin noch Remanenzkosten - so hat es das IAB errechnet - in Höhe von mindestens 24 Prozent übrig. Die Firmen wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie diese ohne Not zahlen würden. Zum anderen ist es für Unternehmen schlichtweg lukrativer, Aufträge abzuarbeiten und Gewinne einzufahren. Wenn wir uns aufraffen, meine Damen und Herren, die neue Kurzarbeit von einer befristeten Sonderregelung zu einem neuen regulären Instrument der Arbeitsmarktpolitik zu machen, ist das mehr als nur eine kleine Paragrafenänderung. Das wäre ein Paradigmenwechsel. Früher gehörte es in der Wirtschaft zum guten Ton, Cost-Cutting durch Entlassung zu betreiben. In den letzten Monaten war es anders. Manchmal fühlte man sich fast an das alte "Modell Deutschland" erinnert. Damals galt es als klug, auf seine Mitarbeiter zu achten. Auch in dieser Krise galt es als klug, seine Mitarbeiter möglichst lange im Unternehmen zu halten, um in Zeiten anspringender Konjunktur sofort weiterproduzieren zu können und nicht erst Fachkräfte neu einstellen zu müssen. Es setzte ein Effekt ein, bei dem sich Arbeitgeber sogar in Unternehmerkreisen rechtfertigen mussten, wenn sie die Kurzarbeit nicht nutzten. Die besseren Regelungen zur Kurzarbeit haben Flexibilität für Unternehmen in der Krise geschaffen und gleichzeitig dem "hire and fire" ein Ende gesetzt. Ich sage: Diese Wirkung ist aber auch nur deshalb eingetreten, weil wir nach wie vor ein relativ gut funktionierendes Kündigungsschutzgesetz und Strukturen haben, die die Betriebsratsarbeit effektiv gestalten. Daran müssen wir anknüpfen. Diesen Mentalitätswechsel müssen wir erhalten. Deshalb, meine Damen und Herren von der Koalition: Nehmen Sie das Beschäftigungschancengesetz wörtlich, und ergreifen Sie die Chance, die Kurzarbeit wirklich und endgültig von einem flügellahmen Entlein zu einem schönen Schwan zu machen. In diesem Sinne herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Heinrich Kolb spricht für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gestern in Paris vorgestellte OECD-Studie ist für uns ein Grund zu großer Freude; das will ich sehr deutlich sagen. Es ist ein positives Zeichen, das wir aus Paris erhalten haben. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist das!) Wir neigen manchmal dazu - Schwarz-Gelb mehr als andere in diesem Haus -, unser Licht unter den Scheffel zu stellen. (Anette Kramme [SPD]: Sie? Na ja!) Das wollen wir heute ausdrücklich nicht tun. Ich will, ebenso wie es der Staatssekretär getan hat, festhalten - dann sitzt es besser; dann kommt auch die Botschaft besser an -: In der Krise ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland deutlich zurückgegangen, während sie in anderen OECD-Ländern erheblich gestiegen ist, und das, obwohl Deutschland vom Wirtschaftseinbruch besonders stark betroffen war. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das lag aber nicht an der FDP!) Das ist ein Riesenerfolg für unser Land, für unsere Wirtschaft und auch für unsere Regierung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Weil Sie manchmal behaupten, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz habe nur negative Wirkungen gehabt, sage ich Ihnen: Das ist nicht der Fall. Es war ein wesentlicher Baustein. Die Maßnahmen zur Verbesserung der Kaufkraft, die Anfang dieses Jahres in Kraft getreten sind, all das sind wesentliche Signale, die zusammenspielen. Deswegen sage ich: Wir sind auf einem guten Weg. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die OECD lobte zum einen das Kurzarbeitergeld und zum anderen, (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Etwa Ihre Umsatzsteuerreduktion für Hotels?) dass Unternehmen, Belegschaften und Gewerkschaften mit flexiblen Arbeitszeitregelungen einen erheblichen Beitrag geleistet haben; das darf man nicht übersehen. Es ist beileibe nicht so, Frau Kramme, dass all das alleine durch die Kurzarbeit erreicht worden ist, (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist genau der Punkt!) sondern ein Gutteil der Last ist von den Unternehmen selbst getragen und geschultert worden. Dazu ist übrigens in erheblichem Umfang Liquidität eingesetzt worden. Ich betone das deswegen, weil gerade von Ihrer Fraktion, Frau Kramme, immer unterstellt wird, Unternehmen hätten nur den schnöden Mammon im Sinn, und alles andere spiele für sie keine Rolle. (Anette Kramme [SPD]: Nein! Ich habe lediglich von entlastenden Maßnahmen gesprochen!) Hier ist im Zusammenspiel von Unternehmen und Gewerkschaften sozial sehr verantwortlich gehandelt worden. Auch dies gilt es hier und heute zu betonen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auf das, was wir erreicht haben, bin ich stolz. Wir haben es uns nicht leicht gemacht, Frau Kollegin Kramme. Aber am Ende haben wir uns geeinigt und eine gute Regelung getroffen; Herr Kollege Schiewerling sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt. Wir haben die Kurzarbeiterregelung mit Augenmaß verlängert. Auch die OECD hat darauf hingewiesen: Es hat sich um eine Ausnahmesituation, eine Krise gehandelt. Irgendwann muss die Kurzarbeit zurückgeführt werden. - Wir müssen dabei so vorgehen, dass wir davon auch diejenigen profitieren lassen, die die Last - weil nicht alle Branchen gleichzeitig von der Krise betroffen sind, sondern manche früher, andere später - erst am Ende des Krisenzyklus zu tragen haben. Deswegen soll es - das hat die Anhörung bestätigt - auch jetzt noch die Möglichkeit geben, neue Kurzarbeitsanträge mit längerer Frist zu stellen. Das alles läuft aber aus und wird langsam zurückgenommen. Es erfolgt elastisch, damit harte Brüche, die zu Entlassungen führen könnten, vermieden werden. Das alles ist sehr vernünftig. Zeitarbeitnehmern wird es weiter ermöglicht, Kurzarbeitergeld in Anspruch zu nehmen. Frau Kramme, das alles wird dazu führen, dass wir elastisch aus der Kurzarbeit aussteigen und mit dem Wiederanziehen der Auslastung in den Unternehmen aufgrund der guten konjunkturellen Situation wieder zum Normalfall zurückkehren. Die Fristen werden dann wieder kürzer sein. Auch die Erstattungsmöglichkeiten werden nicht mehr so großzügig sein. Die Bundesagentur für Arbeit wird dann bei den einzelnen Anträgen etwas genauer hinschauen. Das alles halte ich für sinnvoll und vernünftig. Ihre Anträge sind nicht sinnvoll und vernünftig. Teilweise gibt es erhebliche Sprünge. Wenn ich Ihren Antrag "Beschäftigte vor Kurzarbeit schützen - Konditionen für Kurzarbeit verbessern", den Sie in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im April eingebracht haben, mit dem vergleiche, was Sie heute vorlegen, dann stelle ich fest, dass es erhebliche Unterschiede gibt. (Anette Kramme [SPD]: Wir haben noch mehr Erfahrungswerte gesammelt und mittlerweile zwei Sachverständigenanhörungen durchgeführt!) Damals war die gesetzliche Festschreibung der Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge nicht Teil des Forderungskatalogs Ihrer Fraktion. Jetzt, zweieinhalb Monate später, haben Sie auf einmal die dringende Notwendigkeit erkannt - erstaunlich, vielleicht auch ein Stück weit unverständlich -, genau dies zu tun. Das ist für mich nur ein weiterer Beleg für die Sprunghaftigkeit Ihrer Politik gerade im Bereich des Arbeitsmarktes. Solchen Vorschlägen kann man nicht zustimmen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich bin leider am Ende meiner Redezeit und kann zu dem Antrag der Linken, Frau Zimmermann, nichts mehr sagen. Was Sie vorgelegt haben, ist ohnehin das Übliche: reduzierte Höchstarbeitszeit, Mindestlohn, Verlängerung der Bezugsfrist usw. Das kann man sich ersparen bzw. werden wir bei nächster Gelegenheit kommentieren. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sie sagen ja auch das Übliche dazu!) Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und verweise auf meinen Kollegen Vogel, der alles andere, was nicht das Kurzarbeitergeld betrifft, später kommentieren wird. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sabine Zimmermann ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, eines muss man Ihnen lassen: Sie sind richtig große Verpackungskünstler. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das war Christo auch! - Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das muss man auch können! - Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/ CSU]: Entscheidend ist, ob der Inhalt stimmt!) Ich will es Ihnen erklären. Ihre Gesetze tragen so tolle Namen wie Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Finanzmarktstabilisierungsgesetz und heute Beschäftigungschancengesetz. Wenn die Bürgerinnen und Bürger sich dieses Gesetz aber genauer anschauen, müssen sie feststellen, dass da nur heiße Luft drin ist. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Na, na! Das ist jetzt nicht fair!) - Das muss man schon so sagen. Sie sind wirklich große Verpackungskünstler. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Sie hätten das Geschenk einfach auspacken müssen, dann hätten Sie es gefunden!) - Frau Connemann, hören Sie mir bitte zu! Dann kann ich Sie vielleicht aufklären. Im Juni meldete die Bundesagentur für Arbeit 3,2 Mil-lionen offiziell registrierte Arbeitslose. Aber wir alle in diesem Haus wissen: Die Dunkelziffer ist wesentlich höher. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als 4,3 Millionen; hier muss ich Sie korrigieren, Herr Kolb. Zu diesem Ergebnis kommt man, wenn man die Teilnehmer an Maßnahmen und diejenigen, die sich in Warteschleifen befinden, sowie die älteren Arbeitslosen hinzuzählt. Diese sind in der Statistik gar nicht enthalten. Das zeigt uns: Es ist notwendig, ja überfällig, dass die Bundesregierung Vorschläge vorlegt, die dazu dienen, die Chancen auf Beschäftigung zu erhöhen. Das tun Sie aber nicht. (Beifall bei der LINKEN) Dabei müssen Sie uns aber mal erklären: Wie wollen Sie die Beschäftigungschancen erhöhen, wenn Sie die Mittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik kürzen? Sie betreiben Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik und beschneiden so die Chancen von Erwerbslosen, wieder in Arbeit zu kommen. Das wird die Linke nicht hinnehmen. (Beifall bei der LINKEN) Um es ganz klar zu sagen: Das Sparpaket ist sozial ungerecht und beschäftigungspolitisch falsch. Bevor ich darauf genauer eingehe, einige Worte zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf: Erstens. Die Regierung will die Kurzarbeiterregelung verlängern. Da gehen wir mit, auch wenn wir uns weiter gehende Regelungen gewünscht hätten, wie zum Beispiel eine längere Bezugsdauer. Frau Kramme hat auch schon einige Hinweise dazu gegeben. Zweitens. Die Regierung will die Regelung zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige verlängern. Dazu muss man natürlich sagen, dass die Linken und die Grünen schon im März einen Gesetzentwurf bzw. Antrag dazu eingebracht haben. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten einen besseren!) Schön, dass Sie dem nun gefolgt sind, aber leider natürlich mit einer abrupten Beitragserhöhung. So erzielt die Regelung jedoch vor allen Dingen bei Selbstständigen mit einem geringen Einkommen überhaupt keine Wirkung. Auch damit verstoßen Sie gegen das Gleichbehandlungsgebot. Drittens. Die Regierung will die Dauer bestehender arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen verlängern. Einiges davon unterstützen wir. Wir sagen aber auch: Arbeitsmarktpolitik darf nicht bedeuten, dass die Arbeitgeber subventioniert werden. Abgeschafft gehört zum Beispiel der sogenannte Vermittlungsgutschein. 2 000 Euro erhält ein privater Arbeitsvermittler, wenn er einen Erwerbslosen in Beschäftigung gebracht hat. Tatsache ist doch - das hat der Kollege vom DGB auch noch einmal deutlich gemacht -: 50 Prozent der über diesen Weg Vermittelten melden sich nach sechs Monaten wieder arbeitslos. 25 Prozent der Kolleginnen und Kollegen werden im Rahmen der Leiharbeit tätig. Das hat nichts mit guter Arbeitsmarktpolitik zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung plant einen Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik. Allein 16 Milliarden Euro will die Regierung durch die Umwandlung von sogenannten Pflicht- in Ermessensleistungen kürzen. Was bedeutet das? Millionen Menschen verlieren ihren Rechtsanspruch auf bestimmte Fördermaßnahmen. Ich nenne einmal ein Beispiel: Eine junge Frau - nennen wir sie Susanne - konnte wegen der Geburt eines Kindes noch keine Ausbildung machen. Heute gehört sie noch zu den Glücklichen, die ein Anrecht auf eine sogenannte berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme haben. Über 38 000 Personen haben dieses Instrument in Anspruch genommen, und zwar mit Erfolg: In mehr als jedem zweiten Fall führte dies zu einer Beschäftigung. Dieses Instrument und damit diese Chance für junge Mütter wie Susanne werden nun wie viele andere auch infrage gestellt. Betroffene sollen kein Anrecht mehr darauf haben, und es droht eine Arbeitsmarktpolitik nach Kassenlage. Sie schaffen keine Chancen, sondern Sie vernichten sie. Das machen wir nicht mit. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Frau von der Leyen hat Ende April angekündigt - ich zitiere -: "Wir werden nicht sinnlos kürzen." Keine zwei Monate später hat sie im Kabinett die Hand für eine beispiellose Kürzung in der Arbeitsmarktpolitik gehoben. Frau von der Leyen - Herr Brauksiepe, Sie können es ihr ja vielleicht ausrichten -, ich muss Ihnen sagen: Sie sind eine Ankündigungsministerin. Das wird vor allen Dingen durch die ganzen Ankündigungen im Bereich der Leiharbeit gezeigt. In der Öffentlichkeit kritisieren Sie seit Monaten die Missstände. Was haben Sie bis jetzt getan? Nichts! Es ist nichts passiert. Fangen Sie endlich an, etwas zu tun. Halten Sie es vielleicht ein bisschen mit Goethe: "Es ist nicht genug, zu wollen, man muss es auch tun." Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Brigitte Pothmer spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch die letzte Umfrage wurde gezeigt, dass 8,6 Millionen Menschen in Deutschland einen Arbeitsplatz suchen oder aber mehr arbeiten möchten, als es ihnen derzeit möglich ist. Ich will gar nicht bestreiten, dass die neuesten Arbeitsmarktzahlen auf Entspannung hinweisen. Frau Zimmermann hat aber darauf hingewiesen: Die Unterbeschäftigung ist noch immer sehr hoch; es fehlen über 4 Millionen Vollzeitstellen. Wenn man die stille Reserve hinzunimmt, die in keiner Statistik auftaucht, dann kann man nicht leugnen, dass wir es mit einem riesengroßen Problem zu tun haben. Herr Kolb, gleichzeitig haben wir schon jetzt einen riesengroßen Fachkräftemangel. Durch all das wird gezeigt: Wir brauchen tatsächlich neue Impulse in der Beschäftigungspolitik, und wir brauchen tatsächlich Chancen für die Arbeitslosen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Darin stimmen wir ja überein!) - Darin stimmen wir überein. Die Frage, die sich jetzt stellt, lautet, ob mit dem Gesetzentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, diese Chancen für die Betroffenen tatsächlich eröffnet werden. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: In Teilen ist absolut das Gegenteil der Fall. Zum Teil erschweren Sie den Weg hin zu einem neuen Job; Sie erschweren zum Beispiel die Gründung von neuen Unternehmen. Betrachten wir einmal das Beispiel der Alten- und Krankenpflege. Sie beenden die Förderung von Umschulungen in der Alten- und Krankenpflege. In diesem Bereich gibt es bereits heute einen exorbitanten Fachkräftemangel. Experten rechnen uns vor, dass wir in zehn Jahren 230 000 Vollzeitarbeitskräfte in diesem Bereich bräuchten. Wenn Umschulung an irgendeiner Stelle sinnvoll und notwendig ist, dann doch wohl in diesem Bereich! Wo könnte das Geld besser angelegt sein? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nehmen wir das andere Beispiel: Sie wollen die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige verlängern. Gleichzeitig machen Sie sie aber unbezahlbar, indem Sie die Beiträge vervierfachen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Das sind geringe Summen!) Viele der Solo-Selbstständigen haben schon jetzt erhebliche Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt und die Krankenversicherungsbeiträge zu finanzieren und für das Alter vorzusorgen. Und jetzt sagen Sie mir, dass sie bereits ein Jahr nach Gründung 1 000 Euro im Jahr für die Arbeitslosenversicherung zahlen können. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist nicht wahr! Das sind 90 Euro im Monat!) Das wird nicht funktionieren. Damit versetzen Sie diesem Instrument einen Dolchstoß. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Koalitionsvereinbarung steht: "Deutschland muss wieder zum Gründerland werden." Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass Sie mit dieser Politik einen Gründungsboom auslösen werden. Mit dieser Politik wird Ihnen das nicht gelingen. Nein, meine Damen und Herren, das, was Sie hier wirklich großspurig als Beschäftigungschancengesetz anpreisen, ist bei genauerer Betrachtung nichts anderes als eine dem Kürzungsdiktat geschuldete Billigversion der Beschäftigungspolitik von Olaf Scholz. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Diesen Vergleich weisen wir zurück!) Da gibt es keinen einzigen neuen Impuls, keine einzige neue Idee. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kein Mensch behauptet, dass es falsch ist, das Kurzarbeitergeld zu verlängern. Aber warum bleibt eigentlich der Qualifizierungsanreiz in dieser Frage auf der Strecke? Ich will Ihnen einmal vorlesen, was die Bundesagentur für Arbeit in ihrer schriftlichen Stellungnahme dazu sagt: Der im Hinblick auf den absehbaren Fachkräftemangel sinnvolle und äußerst notwendige Qualifizierungsimpuls wird deutlich abgeschwächt. Und jetzt komme ich auch einmal zur OECD. In jeder OECD-Studie zu diesem Thema wird nachgewiesen, dass sich Deutschland, was das lebenslange Lernen und die Weiterbildung angeht, im unteren Mittelfeld bewegt. (Zuruf von Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Wenn wir so weitermachen, dann stolpern wir genau auf das Szenario zu, vor dem Frau von der Leyen immer gewarnt hat: nämlich auf einen dramatischen Fachkräftemangel bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hatten wir vor der Krise in der Tendenz auch schon!) - Hören Sie einmal zu, ich zitiere jetzt nämlich Ihren Minister Brüderle: Jeder Arbeitslose, der einen Job bekommt, macht sein eigenes Konjunkturprogramm. Er hat mehr Einkommen und damit mehr Konsummöglichkeiten. Ich finde, da hat Herr Brüderle - und ich stehe nicht im Verdacht, ihm ungerechtfertigt recht zu geben - ausnahmsweise recht. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU] - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da klatsche ich ausnahmsweise auch mal!) Aber solange Sie die Arbeitsförderung weiter kaputtsparen und kaputtkürzen, wird von diesen Beschäftigungschancen bei den Langzeitarbeitslosen jedenfalls nichts ankommen. Daraus wird nichts! Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das war aber eine sehr pessimistische Rede!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Schiewerling hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der CDU/CSU: Guter Mann!) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! So unterschiedlich kann die Welt sein. Bei Pippi Langstrumpf gibt es den sogenannten Sachensucher. Ein Sachensucher ist jemand, der immer vor sich auf die Straße guckt und ganz kleine Sachen findet, die er sorgsam hütet und pflegt. Ihre Reden, Frau Kramme, Frau Zimmermann, Frau Pothmer, erinnerten mich an dieses Spiel bei Pippi Langstrumpf. Sie haben lange suchen müssen, bis Sie in diesem Gesetz etwas gefunden haben. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Ich sage Ihnen: Es ist Ihnen zwar gelungen, etwas ausfindig zu machen; nur hat das leider mit unserer Politik nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Beschäftigung sichern, Arbeitsplätze fördern, gestärkt aus der Krise herauskommen - das ist das Thema dieses Beschäftigungsförderungsgesetzes. Ich sage Ihnen: Das liegt auf einer Linie mit dem, was Bundeskanzlerin Angela Merkel in 2008, als die Finanzmarktkrise begonnen hat, bereits gesagt hat: Wir wollen aus dieser Krise stärker herausgehen, als wir hineingegangen sind. Wir befinden uns in genau dieser Phase und dieser Entwicklung. Da können Sie reden, wie Sie wollen: Die Arbeitsmarktdaten sprechen für uns. Es gibt mittlerweile 3,15 Millionen Arbeitslose. Das sind deutlich weniger als die 5 Millionen noch in 2005. Wenn Sie die Statistik bezweifeln wollen, dann können Sie das gerne tun. Sie können das Ganze hoch- und runterrechnen. Der Chef der Agentur für Arbeit, Weise, pflegt zu sagen, dass die Deutschen die strengsten Kriterien für die Arbeitslosenstatistik haben. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt ja nicht!) Innerhalb des europäischen Vergleiches hat diese Statistik damit auch weiterhin Bestand. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Bundesregierung geht von einem Wachstum von 1,4 Prozent aus. Viele Forschungsinstitute und internationale Organisationen gehen von mehr als 2 Prozent aus. Staatssekretär Dr. Brauksiepe und auch Herr Dr. Kolb haben es dargestellt: Wir haben eine äußerst stabile Situation am Arbeitsmarkt. Wir alle wissen: Das Geheimnis sind die arbeitsmarktpolitischen Instrumente, und zwar insbesondere die Kurzarbeit. Ich will das alles nicht im Detail wiederholen, sondern nur eines deutlich sagen, Frau Kramme: Wir sind weder zum Jagen getragen worden, noch hat uns jemand zwingen müssen. Wir haben die Entscheidung alleine getroffen, und zwar unter Abwägung der Gegebenheiten, insbesondere der Entwicklung am Arbeitsmarkt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Insofern haben wir mit Augenmaß eine gute und vernünftige Entscheidung getroffen. Ich halte es für zwingend geboten, diese Dinge vernünftig und mit Augenmaß weiterzuentwickeln. Dazu gehört, dass die Unternehmen dieses Instrument nicht ausgenutzt haben. Obwohl dieses Instrument mit der Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge weiter besteht, wird es weit weniger in Anspruch genommen, weil die Konjunktur entsprechend angesprungen ist. Mit dem Gesetzentwurf wollen wir die gesetzlichen Regelungen verlängern, damit diejenigen, die die Krise noch nicht überwunden haben, die Sicherheit haben, Unterstützung vom Staat zu bekommen, damit das Ganze entsprechend gestaltet werden kann. So verstehen wir Arbeitsmarktpolitik mit Augenmaß. Ein großer Dank, dass das so geklappt hat und dass wir so dastehen, wie es jetzt der Fall ist, gilt der Flexibilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, die in dieser schwersten Krise geholfen haben, sodass wir heute gut dastehen und es weiter aufwärts gehen kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mit dem Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung, die christlich-liberale Koalition, ihren erfolgreichen Kurs in der Arbeitsmarktpolitik und im Bereich Arbeit und Soziales weiter fort. Ich will einmal Revue passieren lassen, was wir in den letzten Monaten erreicht haben. Wir haben erreicht, dass ein Mindestlohn in der Pflege in Kraft treten wird. (Anette Kramme [SPD]: Und in der Leiharbeit?) Wir haben am Beispiel der Firma Schlecker das Thema Zeitarbeit aufgegriffen. Das haben weder die Linken noch die SPD und die Grünen auf den Weg gebracht, (Anette Kramme [SPD]: Weil Sie es verweigert haben! Sie haben aber ein kurzes Gedächtnis!) sondern das ist die christlich-liberale Koalition angegangen. Wir waren diejenigen, die den Finger in die Wunde gelegt und benannt haben, was nicht ordentlich läuft, und wir haben bei den Tarifpartnern der Zeitarbeitsbranche einen intensiven Diskussionsprozess in Gang gesetzt. Dass dort heute viele Selbstheilungskräfte wirken, verdanken wir genau dieser Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Anette Kramme [SPD]: In der eigenen Partei kriegen Sie es nicht hin!) Ich will noch eines ansprechen, das im Kampfgetümmel und Getöse nicht von dem nötigen Krach begleitet wurde, um Beachtung zu finden, obwohl es erfolgreich zu Ende gegangen ist: (Anette Kramme [SPD]: Warten wir es ab!) Wir haben gemeinsam mit der SPD in diesem Hohen Hause in einem hervorragenden und verantwortungsbewussten Verfahren die Jobcenter-Organisation durchgeführt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Anette Kramme [SPD]: Einmal Hü und einmal Hott!) - Frau Kollegin Kramme, es ist verständlich, dass Sie für sich das Recht in Anspruch nehmen wollen, andere permanent zum Jagen getragen zu haben. Das ist aber nicht der Fall. Wir haben nämlich das Ganze von uns aus auf den Weg gebracht. Ich gestehe zu, dass die Bundesländer kräftig mitgeholfen haben. Aber wir haben es auf den Weg gebracht, und wir haben es geschafft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir klären zurzeit, was im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes möglich ist. Ich denke, dass wir auch das bald gemeinsam schaffen werden. Insofern haben wir im Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in den letzten Wochen und Monaten in aller Ruhe Schritt für Schritt sehr viel erreicht. Das haben uns die wenigsten von der linken Seite des Hauses zugetraut. Es gab eine hervorragende Zusammenarbeit, und wir haben viel miteinander geschafft. Das hat auch etwas mit der guten Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsministerin zu tun, die ihre Politik in sehr kluger und stringenter Weise gestaltet und nach vorne bringt. Dabei hat sie unsere Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will den Blick aber nicht nur zurückwenden, sondern auch nach vorne richten. In der zweiten Jahreshälfte geht es um die uns vom Bundesverfassungsgericht mit Recht auferlegte Regelung der Kinderbedarfssätze und die Frage der Bildung. Das steht im Mittelpunkt. Wir wollen Kindern, die in einer sehr schwierigen sozialen Lage sind, Bildungschancen eröffnen. Es geht aber nicht nur um diese Kinder, sondern auch um Kinder von Eltern, deren Verdienst nur wenig über dem Regelsatz nach Hartz IV liegt. All diesen Kindern wollen wir Perspektiven eröffnen. Das ist unsere Aufgabe. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Alles wird gut, Frau Kramme!) Diesem Thema werden wir uns in der zweiten Jahreshälfte konkret widmen. (Anette Kramme [SPD]: Deshalb stellen Sie 500 000 Euro zur Verfügung, und das Elterngeld wird gekürzt! Es geht auch um die Hinzuverdienstgrenzen. Auch dieses Problem müssen wir miteinander in der zweiten Jahreshälfte lösen. Dahinter steckt mehr, als wir im Augenblick wahrhaben wollen. Das ist ein sehr kompliziertes Thema. Es gilt, unsererseits volkswirtschaftlich sinnvolle Anreize zu setzen, um Arbeit aufzunehmen. Das werden wir miteinander vereinbaren. Wir müssen auch sehen - auch das sage ich deutlich -, dass viele Aktivitäten in der Schattenwirtschaft stattfinden. Das betrifft nicht nur diejenigen, die dort arbeiten, sondern auch diejenigen, die Arbeit anbieten. Dazu gehören auch - das betrifft gerade SGB-II-Empfänger - nicht wenige Privathaushalte. Ich halte es für notwendig, darüber nachzudenken, ob die rechtlichen Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, nicht verschärft werden müssen. Vielleicht sollten wir härtere Sanktionen beschließen. (Anette Kramme [SPD]: Gegen die mafiösen Strukturen der Schwarzarbeit sollte man vorgehen!) Wir verlängern mit diesem Gesetz einige arbeitsmarktpolitische Instrumente. Diese werden weiterhin evaluiert. Wir werden im nächsten Jahr an diese Fragen herangehen. Wir werden passgenaue, regionale Lösungen finden. Wir werden diejenigen, die dort tätig sind und an Lösungen mitwirken, ermuntern, ihren Beitrag zu leisten, indem sie Verantwortung vor Ort übernehmen. Eines treibt uns - da gebe ich Frau Pothmer recht - um: Ich meine die gespaltene Situation auf dem Arbeitsmarkt. Auf der einen Seite werden Facharbeiter gesucht, auf der anderen Seite haben weniger Qualifizierte große Mühe, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. Dieser Herausforderung stellen wir uns. Wir alle werden unseren Beitrag dazu leisten, dass auch die weniger Qualifizierten eine Perspektive haben. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Silvia Schmidt für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Schiewerling, Pippi Langstrumpf hat manchmal in der Villa Kunterbunt äußerst eklige Sachen gefunden. Der Gesetzentwurf zum Kurzarbeitergeld kommt einfach zu spät. Der Bezug des Kurzarbeitergeldes sollte entfristet werden. (Beifall der Abg. Anette Kramme [SPD]) Ich möchte Ihnen etwas zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Regelsatz für Kinder von Hartz-IV-Empfängern auf den Weg geben: Bitte keinen schwarz-gelben Rucksack für Kinder von Hartz-IV-Empfängern, (Beifall der Abg. Anette Kramme [SPD]) bitte keine Gutscheine, mit denen diese Menschen einkaufen müssen. (Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage) - Bleiben Sie sitzen, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen. Sehr verehrter Herr Brauksiepe, Sie haben eben Sachsen-Anhalt - ich finde, zu Recht - im Zusammenhang mit der Bürgerarbeit gelobt. Wir als Sozialdemokraten wollen mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Die Männer und Frauen, die drei Jahre Bürgerarbeit geleistet haben, haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das wissen wir. Es wäre doch deutlich besser, wenn man den Kommunen Geld zur Verfügung stellen würde, damit sie selbst entscheiden können, welche Arbeiten sie vergeben, um zum Beispiel ihre älteren Bürgerinnen und Bürgern zu unterstützen. Frau Pothmer hat die Bildung im Alter angesprochen. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir brauchen lebenslanges Lernen; denn gerade gering Qualifizierte und ältere Arbeitnehmer, die in kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen können, sind die Ersten, die gegebenenfalls entlassen werden. Wenn sie entlassen werden, haben sie die geringsten Chancen, wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt Arbeit zu finden. Gerade dieser Personenkreis wurde durch dieses Programm gefördert. Das ist eine sehr gute Sache. Mit Sicherheit hat es auch die Unternehmen angespornt, sich selbst um Weiterbildung sowie um Qualifizierungs- und Ausbildungsmaßnahmen zu kümmern. Man sollte dieses Programm nicht verteufeln, sondern es generell entfristen. Was mir am meisten am Herzen liegt, ist, dass wir das dritte Ausbildungsjahr für Altenpfleger und Krankenpfleger nicht mehr finanzieren. Ich gebe dem Arbeitgeberverband und auch dem DGB recht, wenn sie sagen, die Branche müsste das selber tun. Das ist richtig. Denn die Renditen der Heimbetreiber - das wissen wir von der Bundesinitiative Daheim statt Heim - liegen an den Börsenmärkten zwischen 6 und 10 Prozent. Auch diese Branche hat gegenüber ihren Mitarbeitern und ihrer Klientel, um die sie sich kümmert, normalerweise die Verpflichtung, Ausbildung und Weiterbildung mitzufinanzieren. Wir können nach neun Monaten nicht einfach sagen: Stopp! Bis zum letzten Ausbildungsjahr sind 14 000 Menschen aus dem Regelkreis SGB II herausgekommen und haben in diesem Bereich ein neues Beschäftigungsfeld gefunden. Deshalb können wir jetzt nicht einfach einen Schlussstrich ziehen. Als wir nicht finanziert haben - das war in den Jahren 2004 und 2006 -, lagen die Zahlen zwischen 3 000 und 4 000 Menschen. Das kann so nicht fortgesetzt werden. Frau Pothmer ist ausdrücklich auf den demografischen Wandel eingegangen und hat entsprechende Zahlen genannt; ich muss sie jetzt nicht wiederholen. Ich kann Sie nur immer wieder auffordern, dieses Programm wieder aufzulegen. Wir müssen die Branche unter Druck setzen, damit die Ausbildung gesichert wird. (Beifall bei der SPD) Dass wir einen massiven Fachkräftemangel haben, spiegelt sich natürlich auch in der Qualität der Pflege wider. Als Politiker bekommen wir ständig Gutachten um die Ohren gehauen. Als Politiker wissen wir somit auch genau, was die Menschen wollen. Sie wollen eine gute und qualitativ hochwertige Pflege. Diese erreichen wir aber nicht, indem wir nur Hilfskräfte einsetzen. Das geht nicht. Wir brauchen eine große Anzahl von ausgebildeten Altenpflegekräften, die sich in guter Arbeit um die Pflege kümmern. Es handelt sich um Assistenzleistung, wenn ein Buch vorgelesen wird. Dafür braucht man keine Pflegefachkraft; das ist richtig. Man muss aber sehen, dass die Qualität der Pflege gesichert ist. Dies ist im Moment nicht der Fall. Ich bitte Sie, dies zu prüfen und im Auge zu behalten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Johannes Vogel für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Schmidt, wir freuen uns über konstruktive und sachdienliche Hinweise zur Ausgestaltung der Bildungsausgaben für Kinder. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es gut ist, dass wir in den Hartz-IV-Sätzen überhaupt Bildungsausgaben für Kinder vorgesehen haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es! Das hat die Kollegin leider vergessen! - Gegenruf der Abg. Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Sie aber auch!) Bisher sind diese nämlich überhaupt nicht vorgesehen. Das ist aber das wahre Problem, wenn wir über Qualifikation reden. Ich möchte auf die OECD-Studie eingehen; mein Kollege Kolb hat das bereits getan. Sie hat in der Tat zwei interessante Ergebnisse gebracht: Erstens. Deutschland steht sehr gut da, wenn es um die Vermeidung von Arbeitslosigkeit in der Krise geht. Deswegen setzen wir diesen Weg durch eine maßvolle Verlängerung der Kurzarbeitsregelung sinnvoll fort. Zweitens. Im internationalen Vergleich stehen wir aber nicht so gut da, wenn es darum geht, Arbeitslosigkeit schnell wieder zu beenden, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen und ihnen eine Perspektive zu geben. Das Beschäftigungschancengesetz mit seinem Zweiklang greift im Hinblick darauf aber sehr gut. Deshalb ist das Beschäftigungschancengesetz der Ansatz der Bundesregierung, sich diesem Zweiklang zu stellen. Wir verlängern die Laufzeit arbeitsmarktpolitischer Instrumente, um sie nächstes Jahr zu evaluieren und zu schauen, was genau die Menschen wirklich in Beschäftigung bringt. Liebe Frau Pothmer, wir tun auch etwas für die Qualifikation der Fachkräfte: erweiterte Berufsorientierung, Ausbildungsbonus bei Insolvenz - das wird auch verlängert, teilweise sogar länger als ein Jahr - und Verlängerung der freiwilligen Arbeitslosenversicherung, um etwas für die Existenzgründer zu tun. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie sich doch gar nicht leisten!) - Frau Kollegin Pothmer, ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie das kritisiert haben. Deswegen möchte ich noch einmal darauf eingehen. Das ist es wert. Sie sind auf das Thema Beiträge eingegangen. Ich kann Ihnen sagen, was wir machen: Wir schließen die Gerechtigkeitslücke bei den Beiträgen. Bisher wurden die Selbstständigen den Angestellten gegenüber massiv bevorteilt. Ich weiß, Sie haben die Anhörung am Montag in unserer aller Anwesenheit genutzt, um einen empirischen Beleg für Ihre These zu finden, die besagt, dass wir alles kaputtmachen. Nur muss man eben auch sagen: Diesen Beleg haben Sie nicht bekommen. Kein Sachverständiger hat Ihnen das bestätigt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich zitiere einmal aus der schriftlichen Stellungnahme des DGB, des Deutschen Gewerkschaftsbundes: Es ist nach Auffassung des DGB nachvollziehbar, dass für die Risikogruppe der freiwillig Versicherten ein einigermaßen angemessenes Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben bestehen muss, weil ansonsten eine Quersubventionierung durch die übrigen Versicherten erfolgen würde. Richtig ist also das Gegenteil von dem, was Sie behaupten: Wir machen nichts kaputt, sondern wir sorgen für eine Vereinfachung, weil endlich die Antragsfrist verlängert wird. Die zu kurze Antragsfrist ist nämlich das eigentliche Problem der Betroffenen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie haben uns darauf hingewiesen, dass man als Firmengründer natürlich andere Sorgen hat, dass man Tausend Dinge im Kopf hat, dass man genug Probleme mit der deutschen Bürokratie hat und dass man sich oft nicht gleich innerhalb des ersten Monats nach der Firmengründung für die freiwillige Arbeitslosenversicherung entscheiden möchte. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer zulassen? Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Sehr gerne sogar. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Vogel, haben Sie in der Anhörung auch zur Kenntnis genommen, dass die Vertreter der Bundesagentur für Arbeit die Regierungsfraktionen darauf hingewiesen haben, dass die in Ihrem Gesetzentwurf zugrunde gelegten Zahlen über die Entwicklung und die Inanspruchnahme der freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige angesichts Ihrer Gestaltung dieser Versicherung bei weitem nicht erreicht werden? Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Frau Pothmer, ich habe zur Kenntnis genommen, dass IAB und BA Ihren Thesen und Ihrer Behauptung, dass diese Zahlen nicht zutreffen, nicht zustimmen wollten. (Widerspruch der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) - Doch, es ist so. - Die Vertreter der Bundesagentur für Arbeit haben nur gesagt, dass sich die Weiterentwicklung dieser Versicherung natürlich nicht prognostizieren lässt. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht in der schriftlichen Stellungnahme!) - Ich war dabei. Ich habe genau zugehört. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch!) Für Ihre Aussage, dass die freiwillige Arbeitslosenversicherung kaputtgemacht werde, konnten die Vertreter von BA und IAB Ihnen nicht den empirischen Beleg liefern, den Sie haben wollten. Das habe ich sehr wohl zur Kenntnis genommen. Ich will noch eine Kleinigkeit zum Vermittlungsgutschein sagen. Das, was dazu festgestellt wurde, war ein weiteres interessantes Ergebnis dieser Anhörung. Auch da haben uns BA und IAB bestätigt, dass wir, wenn es darum geht, Menschen in Beschäftigung zu bringen, alle Register ziehen müssen: Erstens. Wichtig ist die Eigeninitiative der Betroffenen, sich selbst einen Job zu suchen. Zweitens. Wichtig ist darüber hinaus die Vermittlungstätigkeit der Bundesagentur für Arbeit. Drittens. Von Bedeutung ist außerdem die Vermittlungstätigkeit von privaten Arbeitsvermittlern. Es ist also gut, dass wir die Gültigkeitsdauer des Vermittlungsgutscheins verlängern. Gut ist auch die Verkürzung der Wartefrist auf sechs Wochen. Wir meinen es wirklich ernst und ziehen alle Register, um Menschen in Beschäftigung zu bringen. Ich kann konstatieren: Diese Koalition hat die OECD-Studie wirklich verstanden. Wir verlängern nicht nur die Geltungsdauer sinnvoller Kriseninstrumente, um Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit zu verhindern, sondern wir setzen auch darauf, noch mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen. Hierzu haben wir erste Maßnahmen ergriffen. Wir werden diesen Weg weitergehen. Mein Kollege Schiewerling hat schon darauf hingewiesen. Wir werden uns im Herbst zum Beispiel noch mit den Hartz-IV-Sätzen und der Frage der Zuverdienste beschäftigen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auch das werden wir gut machen!) Auch das ist nämlich ein Punkt, bei dem die OECD explizit anmahnt, dass die positiven Anreize zur Aufnahme einer Beschäftigung in Deutschland nicht ausgeprägt genug sind. Genau das werden wir verbessern. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt - Beschäftigungschancengesetz. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2454, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/1945 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, aufzustehen. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2463. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion abgelehnt. Dagegen haben gestimmt CDU/CSU, FDP und Bünd-nis 90/Die Grünen. Die SPD hat sich enthalten. Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel "Arbeitsmarktpolitik erfolgreich umsetzen und ausbauen". Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2454 empfiehlt der Ausschuss für Arbeit und Soziales, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2321 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt hat die SPD-Fraktion. Enthalten haben sich die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Entfristung der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1636, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1141 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Zugestimmt haben die einbringende Fraktion, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen gestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Enthalten hat sich die SPD-Fraktion. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/1636 fort. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1166 mit dem Titel "Freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige entfristen und ausbauen". Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke gestimmt. Die SPD hat sich im Wesentlichen enthalten. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Insolvenzrechtsreform unverzüglich vorlegen - Außergerichtliche Sanierungsverfahren stärken - Insolvenzplanverfahren attraktiver gestalten - Drucksache 17/2008 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Hier ist verabredet worden, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kollegin Christine Scheel für Bündnis 90/Die Grünen. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition hat im Koalitionsvertrag als das wichtigste wirtschaftsrechtliche Vorhaben die Reform des Insolvenzrechts benannt. Wir finden, dass es auch notwendig ist, zu einer Verbesserung des Insolvenzrechts zu kommen, und zwar in der Richtung, in der Bundesrepublik Deutschland mehr Planinsolvenzen durchführen zu können. Wir haben nämlich festgestellt, dass gerade in den letzten Jahren, auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise, Tausende von Firmen in die Insolvenz gestürzt sind. Wir hatten allein im ersten Halbjahr 2010 noch 17 360 Insolvenzen. Es wird davon gesprochen, dass es im Laufe des Jahres eine Zunahme auf etwa 36 000 geben soll. Das ist natürlich ein Schaden für die gesamte Volkswirtschaft. 2009 hat das Justizministerium von 50 Milliarden Euro gesprochen. Ich will jetzt nicht nur Arcandor bzw. KarstadtQuelle und all die anderen Unternehmen nennen, die in der Presse stehen; betroffen sind auch sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen, deren Namen in der Presse nicht so oft aufgetaucht sind. Es besteht also nach wie vor die Situation, dass Unternehmen unter Kreditzurückhaltung und verschärften Bonitätsforderungen der Banken leiden. Vor diesem Hintergrund ist uns als Grüne nicht verständlich, warum die Bundesregierung nicht früher darauf gekommen ist, eine Vorlage einzubringen. Ich habe die Woche über die Wirtschaftsteile der Zeitungen aufmerksam gelesen. Wir konnten feststellen, dass unser Antrag die Bundesjustizministerin anscheinend dazu gebracht hat - darüber freuen wir uns -, ihre Vorstellungen jetzt in die Öffentlichkeit zu tragen, sodass wir uns damit endlich auseinandersetzen können. Das ist ein schöner Fortschritt. Das haben wir, glaube ich, ganz gut hinbekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Aufgefallen ist, dass vonseiten des Ministeriums kein Wort darüber verloren wurde, wie sich die von Herrn Minister Schäuble in der Finanzplanung vorgesehene Wiedereinführung des Fiskusprivilegs auf die Unternehmen und die Insolvenzentwicklung auswirken wird. Ich stelle einmal die Behauptung auf, dass die Reformabsichten der Justizministerin konterkariert würden, wenn sich der Bundesfinanzminister mit seinen Plänen durchsetzen sollte. Im Zuge der Beratungen über das Jahressteuergesetz 2007 hatten wir schon eine Diskussion über diesen Punkt. Wir haben damals aus der Opposition heraus dafür gesorgt, dass das Fiskusprivileg nicht wieder eingeführt wird. Jetzt wird dieser Punkt offensichtlich wieder als Sparbüchse aus der Schublade geholt und soll in der Finanzplanung mit 500 Millionen Euro veranschlagt werden. Wir waren froh - ich sage das mit aller Ernsthaftigkeit an die Adresse der jetzigen Regierung -, dass wir es unter Rot-Grün im Jahr 1999 geschafft haben, dieses Fiskusprivileg abzuschaffen. Es gab damals sehr gute Gründe dafür. Wenn wir es nicht geschafft hätten, dann hätten wir jetzt eine Situation, in der es nicht möglich wäre, beispielsweise die Arbeitsplätze bei Karstadt zu retten. Denn wenn der Vorgriff des Fiskus wieder eingeführt worden wäre, könnte Karstadt heute auch mit der Perspektive auf eine Umstrukturierung nicht überleben. Man muss klar erkennen, dass eine Insolvenzrechtsreform überfällig ist und dass wir verschiedene Dinge erreichen müssen. Nur 2 Prozent aller Fälle gehen in das Insolvenzplanverfahren. Dieser Anteil ist zu gering. Es gibt Beispiele aus anderen Ländern. Ich nenne beispielsweise das Chapter-11-Verfahren aus den USA. Das sind gute Beispiele dafür, wie wir auch in Deutschland zu einer besseren Infrastruktur in Bezug auf die Gerichtszuständigkeit kommen können. Wir müssen außerdem für Klarheit sorgen, was die qualifizierte Auswahl von Insolvenzverwaltern betrifft und vieles mehr. Es gibt also in der Struktur viel zu verändern, um das von uns allen gewünschte Ergebnis zu erreichen. Wir wollen den Unternehmen Zukunftsperspektiven eröffnen. Die politische Seite kann mehr dafür tun, dass weniger Unternehmen in die Insolvenz gehen müssen. Das muss unser aller Ziel sein. Ich freue mich in dem Zusammenhang auf eine anregende Diskussion. Sie werden Ihre Position jetzt darlegen. Wir sind jedenfalls stolz darauf, dass wir dieses Thema im Parlament vorangetrieben haben. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Elisabeth Winkelmeier-Becker hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Wenn aus der Opposition die Aufforderung kommt, wir sollten den Koalitionsvertrag schnell und zügig umsetzen, dann freuen wir uns natürlich zunächst einmal über das Lob, das darin steckt. In der Tat steht im Koalitionsvertrag, dass wir uns des wichtigen Themas annehmen werden, die Chancen für die Sanierung strukturell gesunder Unternehmen oder Unternehmensteile zu verbessern. Ich bedanke mich für dieses Lob, indem ich meine Rede mit guten Nachrichten beginne. Wir sind ziemlich weit mit unserer Arbeit vorangekommen. Wir arbeiten in der Koalition sehr gut zusammen und werden einen Gesetzentwurf in Kürze vorlegen. Man sieht, dass wir in der Tat auf einem guten Weg sind. Bei unserer Arbeit ist uns der Blick auf die Praxis sehr wichtig. Denn es geht nicht darum, eine komplizierte rechtliche Konstruktion einzuführen, sondern wir wollen etwas hinbekommen, das in der Praxis auch wirkt. Deshalb stehen wir in einem intensiven Dialog mit der Fachwelt, zuletzt im Rahmen eines Kolloquiums im Bundeswirtschaftsministerium. Es ist klar: Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Sanierungen besser möglich werden, dass nicht unnötig Werte zerstört werden und Arbeitsplätze verloren gehen. Wenn man genau hinschaut - die Beachtung dieses Punktes ist damals bei der Insolvenzordnung ein bisschen versäumt worden -, dann geht es gar nicht so sehr um rechtliche Dinge, sondern sehr viel um Psychologie und Zeitabläufe, um Zuständigkeiten bei Gericht und um Anreize, die durch Honorarregelungen gesetzt werden. Man muss sich sehr genau anschauen, wo es Fehlanreize gibt, und man muss verhindern, dass die handelnden Personen sich leichtfertig für Insolvenzpläne entscheiden. Wir werden dazu in Kürze ein gut durchdachtes und zielführendes Paket vorlegen. Ich erlaube mir, einige Punkte daraus zu verraten, weil die Neugier anscheinend ziemlich groß ist. Schwerpunkte werden sein: die Ergänzungen im Insolvenzplanverfahren und die Stärkung der Eigenverwaltung. Etliches ist bereits in der 16. Wahlperiode diskutiert worden. Obwohl vieles auf dem Tisch lag, sind wir nicht weitergekommen. Wir konnten uns in einzelnen Punkten nicht einigen, sonst hätten wir das schon erledigt. Aus der Analyse ergibt sich Folgendes: Nach zehn Jahren stellen wir fest, dass sich die damaligen Erwartungen an die Insolvenzordnung nicht in vorgegebenem Maße erfüllt haben. Die Annahme, dass ein Insolvenzplanverfahren immer die bessere Lösung für die Quote, also sowohl für den ungesicherten Gläubiger als auch für die Arbeitnehmer ist, hat sich bestätigt. Trotzdem müssen wir an dieser Stelle nachlegen. Die Wirtschaftskrise hat die Notwendigkeit hierfür verstärkt. Wir erwarten für dieses Jahr etwa 36 000 Insolvenzen. Warum gelingt eine Sanierung im Planverfahren so selten? Welche Hindernisse gibt es? Das Insolvenzplanverfahren ist ziemlich komplex. Es kann nur gelingen, wenn alle ihren Beitrag dazu leisten: die Schuldner, die Gläubiger, die Insolvenzverwalter und das Gericht. Die Gläubiger müssen die Chance sehen, dass sie mit dem Insolvenzplanverfahren letztendlich eine höhere Quote erzielen als bei einer Zerschlagung. Oft nehmen sie nicht den Spatz in der Hand, weil sie die Taube auf dem Dach für realistisch halten. Von ihnen wird eventuell sogar neues Kapital erwartet, was in der Praxis häufig fehlt. Die Bereitschaft, neues Kapital einzubringen, werden Gläubiger nur dann haben, wenn sie deutlich früher Einfluss auf die Entscheidungen des Insolvenzverfahrens bekommen, wenn sie bereits zu Beginn auf die Auswahl des Verwalters einwirken können und dessen Entscheidungen nicht einfach hinnehmen müssen. Deshalb wollen wir diese Möglichkeit stärken und die Gläubiger deutlich früher in den vorläufigen Gläubigerausschuss einbeziehen, damit wesentliche Entscheidungen nicht an ihrem Sachverstand vorbei getroffen werden. Wir wollen die Rechte der Anteilseigner in den Plan einbeziehen, sodass die Forderungen der Gläubiger durch den Debt-Equity-Swap in Eigenkapital umgewandelt werden können; denn man kann nicht von den Gläubigern erwarten, dass sie neues Geld einbringen, wenn die Anteilseigner ungeschoren davonkommen, sich aber die Erfolge der Sanierung lediglich bei denjenigen auswirken, deren Anteile vorher einen wirtschaftlichen Wert von null hatten. Wir werden außerdem die obstruierenden Gläubiger, die vernünftige Lösungen torpedieren, in ihren Möglichkeiten beschränken. Natürlich darf niemand durch einen Insolvenzplan schlechtergestellt werden, als er es sonst wäre. Aber wer darüber hinaus noch etwas möchte und gegen den gemeinsam erarbeiteten Plan vorgeht, der muss seine Interessen künftig außerhalb des Plans verfolgen. Er darf damit nicht die ganze Sanierung in Gefahr bringen. Die Bereitschaft der Gläubiger, ihre Forderungen erst einmal stehen zu lassen und Kapital für eine Sanierung zur Verfügung zu stellen, ist essenziell. Deshalb müssen wir in der Tat das Fiskusprivileg sehr kritisch prüfen. Das hat die Regierung in ihrem Sparpaket vorgesehen. Wir im Parlament müssen uns die Freiheit nehmen, das kritisch zu hinterfragen; (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn es darf nicht dazu führen, dass das Finanzamt mit seiner gut gesicherten Forderung einer Sanierung das Wasser abgräbt und sich zunächst selbst bedient. Dann hätten wir für die Sanierung nichts mehr übrig und könnten alle Überlegungen einpacken. Das hat mit dem hochgehaltenen Grundsatz der par conditio creditorum nichts mehr zu tun. Deshalb müssen wir überlegen, was zu tun ist. Vielleicht fällt uns eine Alternative ein, die man als Gegenvorschlag bringen kann. Für die Gläubiger ergeben sich drei wesentliche Verbesserungen: frühere und deutlich effizientere Mitwirkung, der Debt-Equity-Swap und der Schutz vor obstruierenden Gläubigern, die eine wirtschaftliche Gesamtlösung nicht mittragen wollen. Das sind die wesentlichen Schritte, über die lange diskutiert worden ist. Jetzt schreiten wir endlich zur Tat. Der Schuldner - das ist ein Befund - ignoriert die Krisensignale oft konsequent und unternimmt untaugliche Rettungsversuche, bevor er irgendwann doch den Insolvenzantrag stellt. Doch dann ist das Kapital weg, das man für eine Sanierung gebraucht hätte. Wir wollen die Eigenverwaltung stärken und damit die Hemmschwelle für einen frühzeitigen, rechtzeitigen Insolvenzantrag senken. Ich denke, das ist wirklich innovativ; denn eine Insolvenz in Eigenverwaltung mit einem Sachwalter an der Seite hat einen ganz anderen Charakter als ein Verfahren, in dem man einen Insolvenzverwalter vor die Nase gesetzt bekommt. Bei der Eigenverwaltung bleibt man nach außen derjenige, der handelt und die Geschäfte führt. Bisher ist es aber sehr ungewiss, ob man mit dem Antrag auf Eigenverwaltung durchkommt. Der Schuldner kann das nicht steuern. Das wollen wir ändern. Wir wollen, dass das Gericht in Zukunft deutlich mehr Anträge auf Eigenverwaltung positiv bescheidet. Dazu soll zum einen beitragen, dass das Gericht die Ablehnung des Antrags begründen muss. Zum anderen sollte es ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung geben, damit es in deutlich mehr Fällen - jetzt haben wir eine 1-Prozent-Marge bei der Eigenverwaltung - so gehandhabt wird. Außerdem wollen wir eine frühzeitige Antragstellung belohnen. Derjenige Schuldner, der schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit den Antrag auf Eigenverwaltung und Insolvenz stellt, soll vom Gericht Hinweise erhalten, wenn es eine Eigenverwaltung nicht zulassen will, sodass der Antrag dann sogar zurückgenommen werden kann. Das ist wie ein Freischuss, den man ohne Risiko unternehmen kann, ohne die Gefahr, dass das Ganze eine Eigendynamik entwickelt. Ich denke, das ist eine ziemlich gute Idee. Das ist ein wirkliches Angebot an den Schuldner und ein Anreiz, die Sanierungsmöglichkeiten frühzeitig zu nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ein weiterer Mosaikstein ist die Einschränkung des Vorbefassungsverbots. Wir wollen es ausdrücklich ermöglichen, dass der Schuldner mit dem Sanierer, mit dem er einen guten Plan entworfen hat, in das Insolvenzverfahren geht, wenn die Gläubiger zustimmen. Das kann sehr sinnvoll sein, weil man dann keinen Bruch hat und sich nicht auf einen neuen Insolvenzverwalter einstellen muss. Dieser Sanierer ist an Weisungen übrigens nicht gebunden. All das bietet zusammen die Möglichkeit, dass man mit einem vorbereiteten Sanierungsplan, den Schuldner, Gläubiger und ein sachkundiger Sanierer zusammen entwickelt haben, in das Insolvenzverfahren geht und seine Möglichkeiten nutzt. Praktisch geht man mit einem Prepacked Plan in das Insolvenzverfahren. Das ist ein echtes Angebot, mit dem wir den Bedarf nach einem vorgerichtlichen, vertraulichen Sanierungsverfahren weitgehend decken. Das hat vor allem den Vorteil, dass das geregelte Insolvenzverfahren letztlich nicht durch erfolglose Sanierungsbemühungen verzögert und am Ende schwieriger wird. Es hat außerdem den Vorteil, dass es klar definierte Regeln gibt. Man weiß, mit welchen Mitteln man agieren kann: Anfechtung bzw. Lösung von unbequemen Verträgen und Insolvenzgeld für die Arbeitnehmer. Es gelten aber auch klare Publizitätsvorschriften. Ich denke, das ist der bessere Weg und sinnvoller, als dem Stigma der Insolvenz mit Vertraulichkeit zu begegnen. Lieber wollen wir einen offenen Umgang mit der Insolvenz, sodass der Markt weiß, woran er ist. Wir wollen die Krise nicht geheim halten und die anderen ins offene Messer laufen lassen, sondern sagen: Wir sind in der Insolvenz, versuchen aber die Sanierung und haben gute Chancen. Dann weiß jeder, woran er ist. Das ist aus unserer Sicht der bessere Weg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ganz kurz kann und möchte ich auf weitere Punkte eingehen: Die Professionalisierung der Gerichte steht auf der Agenda. Das betrifft zum einen die Zentralisierung der Gerichtsstände, aber auch die funktionale Zuständigkeit von Richtern und Rechtspflegern. Wenn wir im Insolvenzplan den Debt-Equity-Swap etablieren, dann ist das ein Eingriff in die Eigentumsrechte. Das setzt die Entscheidung des Richters voraus. Deshalb müssen wir diesbezüglich zu Änderungen kommen. Die Verwalterauswahl ist sicherlich auch ein wichtiges Thema. Hier ist vieles aber schon ausgeräumt, wenn die Gläubiger einen besseren und weitergehenden Einfluss bekommen. Wir werden schauen müssen, ob im Vergütungssystem der Insolvenzverwalter Fehlanreize bestehen. Die Sonderregeln für die Konzerninsolvenz, die Insolvenzfestigkeit von Lizenzen und das Verbraucherinsolvenzverfahren sind ebenfalls zu prüfen. Es steht also eine ganz lange Liste von Punkten an. Diese Liste gehen wir in sehr konkreten Arbeiten und Besprechungen an und stehen, wie gesagt, an einigen Punkten kurz vor einem guten Ergebnis. Natürlich bieten wir allen an, konstruktiv mit uns zusammenzuarbeiten; denn gute Ideen sind immer gefragt. In diesem Sinne: Machen wir uns an die Arbeit! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD-Fraktion hat Burkhard Lischka das Wort. (Beifall bei der SPD) Burkhard Lischka (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Winkelmeier-Becker! Wir haben hier - ein Stück weit durchaus mit Genugtuung - zur Kenntnis genommen, dass Sie die Arbeit im Insolvenzrecht aufgenommen haben. Es ist ja auch besonders wichtig, in der schwersten Wirtschaftskrise der deutschen Nachkriegszeit hier etwas auf den Weg zu bringen. Ich hoffe nach den Erfahrungen der letzten Tage in Bezug auf die Sicherungsverwahrung, dass das diesmal zwischen Union und FDP ein bisschen besser abgestimmt wird. Dem Thema wäre es sicherlich nicht dienlich, wenn in diesem Fall ein Entwurf aus dem BMJ kommt, der am nächsten Tag vonseiten der Union zerrissen wird. Ersparen Sie uns das bitte, koordinieren Sie das ein bisschen besser. Die einzig konkrete Maßnahme - das hat Frau Kollegin Scheel eben zu Recht gesagt -, die die schwarz-gelbe Regierung bisher zum Insolvenzrecht ausgeheckt hat, ist die im Rahmen des Sparpakets geplante Wiedereinführung des Fiskusprivilegs. Für unsere Zuschauer bei Phoenix, die nicht wissen, was das ist: Das bedeutet, dass sich das Finanzamt, wenn eine Firma insolvent wird, dann schlicht und einfach vorab, vor allen anderen Gläubigern, also Geschäftspartnern, Lieferanten und Handwerkern, aus der Insolvenzmasse bedient. Die anderen Gläubiger gucken dann entsprechend in die Röhre und bleiben auf ihren Rechnungen sitzen. - Ich sage Ihnen vorab: Das wird aus unserer Sicht zu mehr Firmenpleiten führen. Es wird Arbeitsplätze in unserem Land vernichten. Deshalb wird das auf den erbitterten Widerstand der SPD-Bundestagsfraktion stoßen. (Beifall bei der SPD) Man muss sich das einmal vorstellen: Wir haben derzeit schon die wirklich unbefriedigende Situation, dass von einer unbezahlten Rechnung über 100 Euro im Falle der Insolvenz am Ende im Schnitt ganze 3,60 Euro für die Gläubiger übrig bleiben. Bei zwei Drittel aller Insolvenzen gehen die Gläubiger sogar komplett leer aus. - Jetzt wollen Sie, dass der Staat die Insolvenzmasse komplett abschöpft. Das ist wirklich unglaublich. Im Klartext heißt das, dass diese Bundesregierung beabsichtigt, künftige Bundeshaushalte auch auf Kosten von Insolvenzmassen zu sanieren und sich bei denjenigen zu bedienen, die ohnehin am Boden liegen. Das ist ökonomisch unsinnig, schäbig und ungerecht. Aber ich sage Ihnen: Sie werden damit Schiffbruch erleiden. (Beifall bei der SPD) Das Fatale an diesem Vorschlag ist - das wissen Sie doch ganz genau -: Wenn von der Insolvenzmasse nichts mehr übrig bleibt, dann ist an fortführende Insolvenzen sowie an erfolgreiche Betriebssanierungen gar nicht mehr zu denken. Stattdessen würden Unternehmen nur noch abgewickelt, Existenzen und damit viele Arbeitsplätze vernichtet. Das geschieht ausgerechnet in einer Situation, in der wir - seit dem Jahr 2009 - eine regelrechte Insolvenzwelle haben; allein im ersten Quartal dieses Jahres ist die Zahl der Insolvenzen noch einmal um 6,7 Prozent gestiegen. Wir brauchen eigentlich genau das Gegenteil, nämlich mehr und frühzeitige Sanierungen. Wir brauchen ein Insolvenzrecht, mit dem versucht wird, möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten. Im Übrigen brauchen wir eine Politik, die dafür die notwendigen Rahmenbedingungen auch im Insolvenzrecht schafft. Aber das machen Sie bestenfalls auf dem Papier. In Ihrem Koalitionsvertrag - das ist interessant - lehnen Sie das Fiskusprivileg übrigens noch ausdrücklich ab. Darin formulieren Sie - ich darf einmal zitieren - eigentlich ziemlich eindeutig: Eine wesentliche Errungenschaft der Insolvenzordnung ist die Gleichbehandlung aller Gläubiger. Jetzt planen Sie offensichtlich wider besseres Wissen, genau das Gegenteil zu tun. Das zeigt wieder einmal, dass bei dieser Bundesregierung Worte und Taten häufig überhaupt nicht zusammenpassen und Sie ständig genau das Gegenteil von dem tun, was Sie vorher großspurig versprochen haben. Aber, wie gesagt, damit werden Sie Schiffbruch erleiden. Dafür werden wir sorgen. Danke. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Christian Ahrendt spricht jetzt für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Ahrendt (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kollegen! Erst einmal danke ich den Grünen für diesen Antrag. Das ist ein konstruktives Sichauseinandersetzen mit dem Thema, auch wenn Sie ein bisschen spät dran sind. Wir haben uns des Themas recht frühzeitig angenommen. Herr Kollege Lischka, ich muss Sie an die letzte Legislaturperiode erinnern. Da haben Sie § 28 e SGB IV eingeführt. Das ist heute - Gott sei Dank - wegen der BGH-Rechtsprechung totes Recht. Aber wenn Sie hier über Vorrechte reden, sollten Sie sich daran erinnern, was Sie in der letzten Legislaturperiode selber auf den Weg gebracht haben, und ganz still sein. (Burkhard Lischka [SPD]: Reden Sie einmal über Ihren Koalitionsvertrag!) Ich will die Zeit nutzen, um Ihnen einmal kurz darzustellen, wohin die Reise geht; denn dies ist ein Thema, mit dem man sich sehr sorgfältig auseinandersetzen muss. Die Kollegin Winkelmeier-Becker hat es schon angesprochen. Es geht um die Frage: Wie machen wir für den Mittelstand das Sanieren von Unternehmen attraktiv? Wie ermöglichen wir es einem Unternehmer, der in der Krise ist, jetzt die Chance der Insolvenzordnung zu nutzen und sein Unternehmen aus eigener Kraft zu sanieren? Dafür muss man kein neues Sanierungsrecht schaffen. Vielmehr muss man die Institute, die wir in der Rechtsordnung haben, schärfen. (Zuruf des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) - Hören Sie zu! Dann lernen Sie etwas. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wir haben zwei Institute, die dazu geeignet sind. Das sind das Institut der drohenden Zahlungsunfähigkeit und das Institut der Eigenverwaltung. Ein zentraler Ansatz des Gesetzentwurfes, an dem wir zurzeit arbeiten, ist, die Eigenverwaltung und die drohende Zahlungsunfähigkeit zu verbinden, damit der sanierungswillige Insolvenzschuldner zu einem sehr frühen Zeitpunkt in das Verfahren gehen kann. Wenn wir zudem erreichen, dass er mit seinen Gläubigern einen Sachwalter, der ihn durch das Verfahren begleitet, selbst auswählen kann, dann schaffen wir Planungssicherheit. Damit verhindern wir die heutige Situation, dass jemand, der ein Sanierungsinteresse hat und sich frühzeitig mit seiner Situation auseinandersetzt, in Unsicherheit gestürzt wird, wenn er vor Gericht steht und nicht weiß, welchen Insolvenzverwalter er bekommt und wie das Verfahren für ihn läuft. Diese Planungssicherheit ist für jemanden, der über Sanierung nachdenkt, ein wichtiges Thema. Als zweiten Punkt wollen wir das Insolvenzplanrecht wesentlich überarbeiten. Wir brauchen keine verstärkte Nutzung der Eigenverwaltung, auch nicht bei drohender Zahlungsunfähigkeit. Wir wollen das Insolvenzplanrecht so lassen, wie es ist; ansonsten würde es zu überfrachtet werden. Wir wollen, dass jemand, der die Möglichkeit der Eigenverwaltung bekommt, in kürzester Zeit verpflichtet ist, einen Plan vorzulegen, damit Gläubiger und weitere an dem Verfahren Beteiligte wissen, wohin die Reise geht. Es gibt verschiedene Beispiele in der Praxis, die zeigen, dass es innerhalb von wenigen Monaten erfolgreich gelingen kann, ein Unternehmen wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das liegt unter anderem daran, dass das Planrecht sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Eine der Gestaltungsmöglichkeiten, die wir schaffen - das ist ein wesentlicher Wurf -, besteht darin, im Rahmen des Plans in Eigentumsrechte einzugreifen, insbesondere auf Gesellschafterebene. Das ist die Einführung des sogenannten Debt-Equity-Swaps, des Umwandelns von Verbindlichkeiten in Kapitalanteile. Das brauchen wir; dann haben wir ein Planrecht. Zusammen mit den anderen Aspekten, die Frau Winkelmeier-Becker schon vorgestellt hat - ich will sie jetzt nicht wiederholen -, wird erreicht, dass das Planrecht einfach handhabbar und beim Sanierungsverfahren konstruktiv ist. Der entscheidende Punkt bezieht sich - da gebe ich Ihnen recht - auf den Vorschlag des Finanzministers, das Insolvenzverfahren mit einem Vorrecht zu belasten. Wenn das in die Richtung geht, wie ich mir das vorstelle - ich habe das 15 Jahre lang in anwaltlicher Praxis gemacht -, dann wird es im Wesentlichen nicht mehr um die Frage des Vorrechtes gehen. Denn die Kernfrage, über die wir uns am Ende des Tages unterhalten müssen, ist: Brauchen wir noch ein Vorverfahren? Wenn jemand, der drohend zahlungsunfähig ist, einen Eigenverwaltungsantrag stellt und wir unterstellen, dass er redlich ist, und es beim Vorverfahren nur um die Frage geht, ob die Mittel im Unternehmen ausreichen, um die Gerichtskosten und die Kosten des Verwalters zu bezahlen, dann können wir uns das Vorverfahren möglicherweise sparen. Das heißt, mit dem Antrag auf Eigenverwaltung bei drohender Zahlungsunfähigkeit wird auch sofort, ohne weiteren Zwischenschritt, das Insolvenzverfahren eröffnet mit der Folge, dass die Vorrechtsfrage gar nicht entsteht. (Burkhard Lischka [SPD]: Dann ist das ja eine Luftbuchung!) Denn wenn das Unternehmen in diesem Verfahrensstadium fortgeführt wird, sind alle Verbindlichkeiten, die in § 55 der Insolvenzordnung genannt werden, automatisch Masseverbindlichkeiten. Dann entsteht die Situation, dass Sie Gläubiger und Schuldner ohnehin gleichmäßig im Rahmen einer Fortführung des Unternehmens bedienen müssen; das ist Bestandteil einer Sanierung. Insofern erledigt sich genau an dieser Stelle die Vorrechtsfrage. (Burkhard Lischka [SPD]: Dann ist das eine Luftbuchung! - Christine Scheel [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher kommen dann die 500 Millionen Euro?) - Die 500 Millionen Euro kommen aus der Fortführung des Unternehmens, weil das Unternehmen weiter am Markt tätig ist, seine Arbeitnehmer bezahlen kann, seine Steuern bezahlen kann und im Grunde genommen weiterhin erfolgreich am Wirtschaftsleben teilnimmt. Das ist die Planung. Ich gehe davon aus, dass wir in der Sommerpause an diesem Gesetzentwurf arbeiten werden und ihn dann im Herbst vorliegen haben. Danach werden wir gerne mit Ihnen in den Ausschüssen über diesen Weg diskutieren. Wir haben dann in kürzester Zeit umgesetzt, was wir von der FDP-Fraktion schon in der Opposition mit unserem Antrag vom März letzten Jahres auf den Weg gebracht haben. Das ist konstruktives, schnelles Regierungshandeln für den Mittelstand. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Richard Pitterle spricht für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für das Jahr 2010 werden 40 000 Unternehmensinsolvenzen erwartet. Daher ist das heutige Thema sehr aktuell. Die in der Insolvenzordnung vorhandenen Möglichkeiten eines Insolvenzplanverfahrens wurden kaum genutzt; da stimme ich zu. Auch ist die Aussage im Antrag der Grünen richtig, dass wir das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren im Interesse des Erhalts vieler Unternehmen und damit auch der Arbeitsplätze dringend benötigen. Im Antrag wird die Regierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Medienberichten von vor zwei Tagen entnehme ich, dass ein solcher Entwurf bereits in der Schublade der Justizministerin liegt. Da wird es Zeit, die Schublade zu leeren, damit wir im Parlament zur Diskussion und Beschlussfassung kommen. Ich frage mich: Warum ist die Bundesregierung so lange untätig geblieben? Ich sage aber auch: Besser spät als nie. Grundsätzlich begrüßen wir Linke die Stoßrichtung des vorliegenden Antrags. Wenn man das Insolvenzrecht reformieren will, muss man meines Erachtens auch die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedenken; denn nur mit motivierten Beschäftigten ist eine Sanierung von Unternehmen überhaupt denkbar. Hier besteht bei dem Antrag Ergänzungsbedarf. (Beifall bei der LINKEN) In meiner Tätigkeit als Fachanwalt für Arbeitsrecht habe ich wiederholt Fälle erlebt, in denen der Insolvenzverwalter von den Beschäftigten gefordert hatte, ihre bereits erhaltene Arbeitsvergütung zurückzuzahlen. Das muss man sich vorstellen: Da bekommt ein Arbeitnehmer sechs Monate lang die Hälfte des vertraglichen Lohns, bleibt trotzdem im Betrieb, weil der Chef sagt, es sei Land in Sicht; dann folgt die Insolvenz und der Insolvenzverwalter will von ihm Geld zurück. - Das müssen Sie einem solchen Arbeitnehmer erklären; er versteht die Welt nicht mehr. Doch nach § 130 Insolvenzordnung sind Lohnansprüche anfechtbare Gläubigerforderungen im Insolvenzverfahren anstatt geschützte Masseforderungen. Ich finde, das müssen wir ändern. (Beifall bei der LINKEN) Genauso ungerecht ist es, wenn sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen bereit erklären, gegen eine Sozialplanabfindung aus dem Betrieb auszuscheiden; geht der Betrieb dann in die Insolvenz, gehen sie leer aus und müssen ihren Abfindungsanspruch zur Insolvenztabelle anmelden. Zusammen mit dem DGB sind wir der Meinung, dass die Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis Vorrang vor anderen Gläubigeransprüchen haben müssen. Genau so ist es im französischen Insolvenzrecht geregelt; das wollen wir auch hier. (Beifall bei der LINKEN) Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist die Auszahlung des Lohns von existenzieller Bedeutung, (Zuruf von der CDU/CSU: Für manche Unternehmer auch!) ganz im Gegensatz zum Beispiel zur finanzierenden Bank, die legitimerweise ihre Kreditraten erhalten möchte, jedoch nicht in gleicher Weise darauf angewiesen ist. Genauso wichtig ist es, dem Betriebsrat ein Vetorecht gegen die Einsetzung eines Insolvenzverwalters einzuräumen. Während sich früher in Deutschland circa 50 Insolvenzverwalter um die Aufträge durch das Insolvenzgericht bemühten, sind es heute circa 2 000. Jeder, der sich in dem Bereich nur ein wenig auskennt, weiß jedoch: Mehr Quantität geht hier nicht mit mehr Qualität einher. Daher bin ich mir an dieser Stelle mit den Antragstellern einig, dass Regelungen zur Auswahl der Insolvenzverwalter dringend nötig sind. (Beifall bei der LINKEN) Im Interesse der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fordern wir insbesondere eine bessere Absicherung der Arbeitszeitkonten und der Altersteilzeit im Blockmodell gegen die Insolvenz, die Streichung der verkürzten Kündigungsfristen und der Namenslisten in der Insolvenzordnung, eine Verbesserung der Insolvenzgeldregelung sowie die Verankerung von Ansprüchen des Betriebsrats auf Auskünfte zum Stand des Verfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter in der Insolvenz-ordnung. Wie Sie sehen, gibt es viel zu diskutieren. Es ist höchste Zeit, damit anzufangen. Ich sehe: Meine Zeit ist abgelaufen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Daher kommt jetzt das Wichtigste: der Schluss. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben die Redezeit auf die Minute genau eingehalten. Das war sozusagen fast protestantischer Redezeit-ethos. Die nächste Rednerin ist Sonja Amalie Steffen für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das vor rund zehn Jahren eingeführte Insolvenzplanverfahren ist ein sehr sinnvolles Instrument in der Insolvenzordnung. Das wurde heute schon festgestellt; darin sind sich alle Anwendenden ausnahmsweise einig. Der Insolvenzverwalter erstellt im Zuge dieses Verfahrens ein vom zuständigen Gericht abzusegnendes Sanierungskonzept für das Unternehmen und verhandelt mit den Gläubigern über Verzichtsmöglichkeiten. Darüber hinaus kann das Unternehmen Insolvenzgeld in Anspruch nehmen. Das ist eigentlich ein sehr sinnvolles Verfahren, könnte auf diesem Weg doch ein Großteil der sanierungsfähigen Unternehmen tatsächlich gerettet werden. Prominente Beispiele für ein gelungenes Insolvenzplanverfahren sind die großen Firmen Ihr Platz, Sinn-Leffers und Herlitz. Das Verfahren bietet aber nicht nur für Schuldner Vorteile. Ziel des Insolvenzplanverfahrens war auch eine bessere Gläubigerbefriedigung. So sind zum einen die Befriedigungsquoten im Planverfahren durchschnittlich um ein Vielfaches höher als im normalen Regelverfahren - das haben wir heute schon gehört -, nämlich bei rund 20 Prozent der Forderung im Vergleich zu 3 bis 5 Prozent im Regelverfahren. Zum anderen erhalten die Gläubiger ihr Geld oftmals bereits innerhalb weniger Monate und nicht erst nach Jahren. Anhand des Kriteriums Arbeitsplatzsicherung lässt sich ein weiterer positiver Effekt des Planverfahrens ausmachen. Seit 2003 waren schätzungsweise rund 30 000 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vom Insolvenzplanverfahren betroffen. Gut die Hälfte dieser Stellen konnte dadurch bislang erhalten bleiben, mit positiven Auswirkungen im Hinblick auf Steuereinnahmen und soziale Sicherungssysteme. Doch wird das Insolvenzplanverfahren viel zu selten in Anspruch genommen. Nach Hochrechnungen gab es im vergangenen Jahr in Deutschland rund 29 800 Firmenpleiten. Vorhin haben wir schon gehört: In diesem Jahr werden es voraussichtlich 36 000 sein; wir hoffen, dass es in den kommenden Jahren nicht noch mehr werden. Im letzten Jahr wurde jedoch für nur 640 Unternehmen ein Insolvenzplan erstellt. Das sind tatsächlich nur 2,15 Prozent der Fälle. Das heißt, dass rund 98 Prozent der insolventen Betriebe nach wie vor zerschlagen werden, und das bei einer gleichzeitig leider steigenden Zahl von Insolvenzen vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Ein Grund für die mangelnde Inanspruchnahme des Insolvenzplanverfahrens ist, dass der Insolvenzantrag oftmals erst dann gestellt wird, wenn die Masse des Unternehmens schon aufgebraucht ist und kein Handlungsspielraum mehr vorhanden ist. Außerdem bestehen strukturelle Mängel beim Insolvenzplanverfahren. Viele Insolvenzverwalter kritisieren, das Planverfahren sei zu kompliziert, und wenden es daher nicht an. Es bedarf also einer verbesserten fachlichen Qualifikation für das Handeln der Insolvenzverwalter, der Richter und der Rechtspfleger. (Beifall bei der SPD) Darüber hinaus versagen die Gerichte zu oft die Eigenverwaltung. Die Insolvenzordnung sieht schon gegenwärtig die Möglichkeit vor, dass die bisherige Unternehmensleitung den Insolvenzplan selbst umsetzt und die Geschäfte fortführt. In der Praxis hat sich die Eigenverwaltung bislang jedoch leider nicht durchgesetzt. Entsprechende Anträge finden bei Gericht viel zu selten Gehör. Vermutlich ist das Misstrauen zu groß, denselben Menschen die Sanierung des Unternehmens zu überlassen, die es zuvor nicht vor der Insolvenz bewahren konnten. Will man das Insolvenzplanverfahren stärken, so ist ein Vertrauensvorschuss zwingend notwendig. Die Eigenverwaltung sollte grundsätzlich gewährt werden, wenn ein plausibler Insolvenzplan vorgelegt wird und der Antrag frühzeitig, also nicht erst bei Vorliegen eines zwingenden Insolvenzgrundes, gestellt wird. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen enthält diese Anregungen und wird von uns daher voll unterstützt. Es freut uns natürlich, dass die Bundesjustizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, nun eben-falls Gesetzespläne im Hinblick auf Änderungen beim Insolvenzrecht für Firmen angekündigt hat; Einzelheiten wurden uns bereits von der Frau Kollegin Winkelmeier-Becker erläutert. Es bleibt zu hoffen, dass das unselige Fiskusprivileg zumindest im Zusammenhang mit dem Insolvenzplanverfahren abgeschafft wird. Abschließend möchte ich an dieser Stelle unsere frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zitieren: Sanieren statt zerschlagen ist das oberste Gebot der Stunde - es geht vor allem um den Erhalt von Arbeitsplätzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist sehr sinnvoll, dass sich der Deutsche Bundestag nun dafür einsetzt, das Insolvenzrecht stärker auf die Rettung von Unternehmen auszurichten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2008 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie - Drucksachen 17/1720, 17/1803 - Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) - Drucksache 17/2472 - Berichterstattung: Abgeornete Ralph Brinkhaus Manfred Zöllmer Björn Sänger Dr. Axel Troost Dr. Gerhard Schick b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) - zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stabilisierung des Finanzsektors - Eigenkapitalvorschriften für Banken angemessen überarbeiten - zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung Bericht über die Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie - Drucksachen 17/1756, 16/13741, 17/2472 - Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Manfred Zöllmer Björn Sänger Dr. Axel Troost Dr. Gerhard Schick Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Linken und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir kommen heute das letzte Mal vor der Sommerpause zum Thema Finanzmarkt zusammen. Wir haben uns in den letzten neun Monaten des parlamentarischen Jahrs ziemlich oft mit diesem Thema befasst. Das ist auch ganz gut so, weil es weiterhin gilt, Lehren aus der Bankenkrise zu ziehen. Wir haben dabei entdeckt, dass wir uns in einem Spannungsfeld befinden, einem Spannungsfeld aus dem, was national wünschenswert ist, und dem, was international umsetzbar ist. Wir haben erkannt, dass die meisten Regeln nur dann Sinn machen, wenn sie international umgesetzt werden. Dabei sind wir an unsere Grenzen gestoßen, ganz frappierend wieder in Toronto. Bestimmte, wichtige Länder haben uns gesagt: Das ist eure Krise; das ist nicht unsere Krise. - Dazu gehören die Chinesen, die Australier, die Koreaner, die Kanadier und viele andere. Insofern bin ich froh, dass wir heute über zwei Vorhaben beraten, die auf internationalen bzw. europäischen Vorgaben beruhen. Wir wollen heute in zweiter und dritter Lesung ein Gesetz zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie verabschieden. Das heißt, wir wollen europäisches Recht in deutsches Recht überführen. Darüber hinaus - das finde ich bemerkenswert - bringen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen einen gemeinsamen Antrag im Hinblick auf den sogenannten Basel-III-Prozess ein. Wir alle haben uns mit beiden Vorhaben intensiv befasst. Wir haben durchaus sehr oft Einigkeit erzielt. Als ein Ergebnis dieser Beratungen werden wir heute über eine ganze Reihe von Änderungsanträgen zum ursprünglichen Gesetzentwurf zu beraten haben. Wir werden auf Antrag der Opposition in der heutigen Debatte noch über einen dritten Punkt sprechen, nämlich über die Finanztransaktionsteuer. Auch da liegen wir inhaltlich gar nicht so weit auseinander, wie es manchmal scheint. Ich möchte im Folgenden alle drei Blöcke kurz erläutern. Zuerst zur geänderten Bankenrichtlinie und Kapitaladäquanzrichtlinie. Es handelt sich hier um ein sehr umfangreiches Paket von Regulierungsmaßnahmen für Finanzdienstleister, für die Bereiche Eigenkapital, Großkreditgrenzen, Verbriefungen, europäische Aufsicht, Pfandbriefrecht und viele andere, kleine Punkte. Für den Laien hört sich das nicht sehr spannend an, ist es aber trotzdem; denn durch dieses Gesetz wird sich viel verändern. Ich will versuchen, diese komplizierte Materie in möglichst einfachen Worten verständlich zu machen. Ich möchte dabei auf zwei große Punkte dieses Gesetzentwurfs eingehen. Erstens, zu den Großkreditgrenzen. Dahinter steckt die Überlegung, dass es für eine Bank ein großes Risiko ist, zu hohe Kredite an einen Kreditnehmer herauszulegen. Man möchte vermeiden, dass durch die Schieflage eines einzelnen Kunden ein ganzes Institut gefährdet wird. Wie hoch ein Kredit sein wird, hängt von der Größe der Bank ab. Diese Regelung galt bislang aber leider nicht für Kredite, die sich Banken untereinander gegeben haben. Das musste geändert werden; das ist eine Konsequenz aus der Krise. Insofern ist es gut und richtig, dass wir das mit diesem Gesetz tun. Zweitens, zu den Verbriefungen. Das ist für mich eindeutig der Teil des Gesetzentwurfs, der am meisten verändern wird. Man spricht von Verbriefungen, wenn zum Beispiel eine Bank eine Kreditforderung an eine andere Bank weiterverkauft. Das hört sich zunächst sehr harmlos an, war aber ein wesentlicher Grund für die Finanzkrise im Oktober 2008. Was war passiert? Kredite wurden nicht eins zu eins verkauft, sondern mit anderen Krediten vermischt und dann mehrfach weiterverkauft, mit dem Ergebnis, dass viele Investoren überhaupt nicht mehr erklären konnten, was in ihren Büchern steht. So sind zum Beispiel amerikanische Immobilienkredite im Depot der deutschen Landesbanken gelandet. Das war nicht gut. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird nun verlangt, dass derjenige, der eine Verbriefung kauft, der Investor, genau darüber Auskunft geben können muss, was diese Verbriefung enthält. Er muss das Risiko einschätzen und diese Verbriefung in sein Risikomanagement integrieren. Das ist gut und richtig. Das ist ein Quantensprung in der Regulierungsphilosophie; denn gerade die fehlende Transparenz, die Tatsache, dass viele Bankmanager nicht wussten, was in ihren Depots lag, war ein Grund dafür, dass wir 2008 so viele Schwierigkeiten bekommen haben. Transparenz ist der Schlüssel für eine funktionierende Marktwirtschaft, und es ist ordnungspolitisch völlig legitim, dass der Staat regelnd eingreift, wenn diese Transparenz vom Markt ignoriert wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Insoweit waren wir uns noch alle einig. Ein zweiter Punkt, der in diesem Bereich geregelt wird, ist, dass derjenige, der eine Verbriefung auflegt, zukünftig einen Eigenbehalt leisten muss; er muss einen Teil des Risikos übernehmen. Die europäischen Regeln sehen 5 Prozent vor. Damit sind wir hier im Haus nicht unbedingt auf Einigkeit gestoßen. Die FDP hat auf 10 Prozent gedrängt, die Linken auf 15 Prozent, die SPD gar auf 20 Prozent. Dahinter steht folgende Philosophie: Wenn man einen hohen Eigenbehalt leisten muss, wird man keine schlechten Kredite herauslegen und dann weiterverbriefen. - Die Idee mag richtig sein; einen empirischen Nachweis dafür gibt es allerdings noch nicht. Wir als Union sehen diesen Eigenbehalt eigentlich auch nicht als entscheidend an. Für uns sind die Transparenzvorschriften entscheidend. Jeder kann dann entscheiden, was er in sein Depot aufnimmt und in seine Bücher schreibt. Viele europäische Länder sehen das genauso. Deswegen ist diese 5-Prozent-Regelung eigentlich europäischer Standard. Nichtsdestotrotz machen wir einen Kompromissvorschlag, um Einigkeit in diesem Haus zu erzielen, weil wir denken, dass es gut wäre, dieses Gesetz gemeinsam zu verabschieden: Wir legen auf deutscher Ebene zunächst für zwei Jahre 5 Prozent als Eigenbehalt fest und werden diesen Anteil dann auf 10 Prozent erhöhen. Dadurch haben wir Zeit, zu prüfen, ob 10 Prozent, 15 Prozent oder 20 Prozent richtig sind, und vor allen Dingen haben wir dadurch Zeit, die europäischen Partner davon zu überzeugen, auch auf die 10-Prozent-Regel überzugehen; denn wenn wir sie nicht überzeugen, müssen wir damit rechnen, dass der Verbriefungsmarkt in andere Länder, zum Beispiel nach Luxemburg, abwandert. Ich denke, diesen Weg kann man durchaus gehen, und ich würde mich freuen, wenn Sie von der Opposition diesen Weg mitgingen. Wir können dann immer noch 15 Prozent oder 20 Prozent einführen, wenn wir am Ende des Tages bessere Erkenntnisse haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das hilft nicht!) Alles in allem packen wir mit diesem Gesetzentwurf sehr viele Problembereiche in Bezug auf die Finanzkrise an. Das ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu besseren und sicheren Finanzmärkten. Ich kann nur um Zustimmung werben. Zum zweiten Block, zum gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu Basel III. Es gibt ein internationales Expertengremium, das derzeit Vorschläge zur Verbesserung der Eigenkapitalvorschriften erarbeitet. Dieser Basel-III-Prozess ist gut und richtig und auch notwendig; denn wir haben in der Finanzkrise gesehen, dass die Koppelung von Haftung und Risiko nicht mehr gegeben ist. Durch das Eigenkapital wird genau diese Koppelung erreicht. Hier haben wir Defizite. Um das ernsthaft zu benennen: Das gilt auch für Deutschland. Deutsche Banken haben teilweise zu wenig Eigenkapital. Hier besteht Nachholbedarf. - Das ist das Gute an diesem Projekt. Das weniger Gute ist, dass wir erfahren haben, dass das Basel-III-Projekt, an dem viele Länder beteiligt sind, genutzt wurde, um Standortpolitik zu betreiben. So haben die Amerikaner im Vorgängerprozess - Basel II - sehr, sehr harte Forderungen gestellt, diese im Gegensatz zur EU aber nicht umgesetzt. Darüber hinaus haben wir in Deutschland ein einzigartiges Bankensystem, bestehend aus Sparkassen, Volksbanken und Geschäftsbanken, das wir erhalten wollen; das müssen wir berücksichtigen. Daneben ist es auch sehr wichtig, dass die verschärften Eigenkapitalvorschriften nicht dazu führen, dass wir in eine Kreditklemme geraten, weil sich die Banken in Deutschland damit beschäftigen, Eigenkapital aufzubauen, und nicht damit, Kredite herauszugeben. - Deswegen brauchen wir Übergangsvorschriften. Das haben wir in diesem gemeinsamen Antrag formuliert. Das ist gut und richtig, weil sich im Basel-Prozess momentan viel bewegt. Es werden dort Positionen von Ländern und Interessenverbänden aufgebaut, und ich glaube, es ist legitim, dass der Bundestag an dieser Stelle eine Gegenposition einnimmt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) - Jetzt können alle klatschen; das ist ja ein gemeinsamer Antrag. Sie dürfen auch mitklatschen, Herr Troost. (Manfred Zöllmer [SPD]: Er ist aber nicht dabei! - Joachim Poß [SPD]: Annäherungsversuch!) - Wir hätten ihn aber gerne dabeigehabt. Der dritte Punkt beschäftigt sich mit der Finanztransaktionsteuer. Es gibt drei Anträge zur Finanztransaktionsteuer. Nur zur Erklärung: Die Bundesregierung hat als einzige Vertretung einer großen Volkswirtschaft in Toronto für eine Finanztransaktionsteuer gekämpft, wohl wissend, dass es schwierig wird. Das Ergebnis ist bekannt: Es ist nicht erfolgreich ausgegangen. Die Bundesregierung wird jetzt zusammen mit Frankreich auf europäischer Ebene versuchen, eine Finanztransaktionsteuer durchzusetzen. Auch das wird schwierig werden. Ich erinnere nur daran: Steuern müssen einstimmig beschlossen werden. Wenn es auch auf EU-Ebene nicht gelingt, dies zu erreichen, dann gilt das Versprechen unseres Finanzministers, es dann auf der Ebene des Euro-Raums zu versuchen. Wenn wir es auf Euro-Raum-Ebene auch nicht schaffen, dann werden wir versuchen, eine Lösung hier in Deutschland zu finden. Meine Damen und Herren, wir müssen eine solche Lösung auch finden, weil wir im Rahmen unseres Sparpakets versprochen haben, die Banken mit mindestens 2 Milliarden Euro an den Kosten der Krise zu beteiligen. Weg, Zeitplan und Absicht sind also definiert. Insofern besteht eigentlich auch überhaupt kein Anlass, einen weiteren Antrag zu diesem Thema zu stellen. Wir sollten zügig daran arbeiten, diesen Komplex umzusetzen, und darauf verzichten, Anträge für die Galerie zu machen. Das hilft nämlich niemandem. (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der CDU/CSU: Super, das ist es nämlich!) Meine Damen und Herren, ich möchte zusammenfassen: Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben in den letzten neun Monaten vier Projekte im Bereich Finanzmarkt abgeschlossen: die Regulierung der Ratingagenturen, (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht abgeschlossen!) die Regulierung der Vergütungssysteme, die Einschränkung der Leerverkäufe und heute - in den nächsten zehn Minuten - die Umsetzung der Kapitaladäquanzrichtlinie. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ein bisschen länger wird es schon noch dauern!) Wir werden darüber hinaus nach der Sommerpause Regelungen zum Anlegerschutz in den parlamentarischen Prozess einbringen. Bis zum Herbst werden wir - insofern ist es schön, dass die Kollegen vom Rechtsausschuss hier sitzen - das wirkliche Mammutprojekt Restrukturierung im Bereich der Banken und Finanzinstitute auf den Weg bringen. Das wird epochal sein; das wird wegweisend sein. Insofern kann man wirklich nicht sagen, dass diese Bundesregierung und diese Koalition in diesem Bereich nicht ernsthaft oder langsam arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Auf europäischer Ebene verhandeln wir darüber hinaus über weitere Maßnahmen: die Regulierung von Hedgefonds, weitere Eigenkapitalregeln, die Regulierung des Derivatehandels, die Neuordnung der Einlagensicherung, die Schaffung von europäischen Aufsichtsstrukturen, (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist euch doch alles vorgelegt worden!) um nur einige Beispiele zu nennen. Meine Damen und Herren, wir werden die Banken an den Kosten der vergangenen und zukünftigen Krisen beteiligen. Wir haben systemrelevante Banken unter den Schutz des Bundes, des SoFFin, gestellt. Schließlich kann ich nur sagen - das ist deutlich geworden -: Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben die Bedeutung des Themas erkannt. Sie arbeiten hart an den richtigen Maßnahmen, und zwar auf allen Ebenen: national, europäisch und international. Das Ihnen vorliegende Gesetz und der gemeinsame Antrag sind ein wichtiger Schritt dazu. Ich werbe daher um Ihre Zustimmung. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Manfred Zöllmer hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gab von der Bundesregierung mehrfach die Ankündigung, nun wolle man den Finanzmärkten endlich Daumenschrauben anlegen. Der Kollege Brinkhaus hat eben ja versucht, das noch einmal zu unterstreichen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er nicht nur versucht, das hat er gemacht!) - Er hat es versucht. Mit den vorliegenden geänderten Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinien können Sie in der Tat für sich in Anspruch nehmen, die Daumenschrauben mal vorgezeigt zu haben. Ob sie auch angelegt werden, wollen wir uns jetzt einmal gemeinsam anschauen. Zuerst das Lob: Mit diesem Gesetzentwurf wird ein überfälliger Schritt gemacht, um Verantwortlichkeit zu stärken, Transparenz zu verbessern, einheitliche Standards zu implementieren und damit Lehren aus der Finanzkrise zu ziehen. Der Kollege Brinkhaus hat das hier im Detail erläutert. Ich werde es mir schenken, auf Einzelheiten einzugehen, und nur einen Punkt ausführlicher mit Ihnen diskutieren, und zwar den Punkt Verbriefung. Der grundlegende Ansatz, den Sie gewählt haben, den Investor in den Mittelpunkt der Regulierung zu stellen, ist richtig und nachvollziehbar. Wir begrüßen das. Denn er muss sich jetzt intensiv mit den Produkten auseinandersetzen und ein entsprechendes Risikomanagement implementieren. Ich hoffe, dass damit die Zeiten vorbei sind, in denen es in den USA hieß: Diese Produkte werden an ein paar "stupid Germans" verkauft - die würden alles nehmen. Nun gibt es aber einen ganz wichtigen Dissens zwischen uns, den Sie auch schon angesprochen haben. Es geht dabei um den Selbstbehalt bei Verbriefungen. Sie haben eben erläutert, was Verbriefungen sind: Banken kaufen und verkaufen inzwischen Risiken. Dies hat bei der Finanzkrise als auslösender Faktor eine ganz wichtige Rolle gespielt. Verbriefungen und Wiederverbriefungen führten schließlich dazu, dass Bankvorstände nicht einmal die leiseste Ahnung davon hatten, was sie im Portfolio hatten. Sie hatten sich nur auf die Bonitätsnoten der Ratingagenturen verlassen. Und da die Ratingagenturen klotzig daran verdient haben, haben sie immer Bestnoten vergeben. Nun hatten wir im Finanzausschuss eine Anhörung zu diesem Thema. Diese Anhörung hat sehr deutlich gemacht, dass der Vorschlag der Bundesregierung, bei der Verbriefung der Kredite einen Selbstbehalt von nur 5 Prozent vorzusehen, keine Verbesserung der Regulierung bedeuten würde; es wäre nur eine Festschreibung des Status quo. (Beifall bei der SPD) Die Sachverständige Frau Dr. Metzger vom Berliner Institut für Finanzmarktforschung brachte es in der Anhörung auf den Punkt, als sie formulierte, es gebe nur sehr wenige Verbriefungen, bei denen der Selbstbehalt des Forderungsverkäufers weniger als 5 Prozent betrage. Das bedeutet, wenn Sie einen Selbstbehalt von 5 Prozent im Gesetz festschreiben, dann gibt es keine Veränderung gegenüber der derzeitigen Praxis. Sie haben eben deutlich gemacht, dass Sie die 5 Prozent nur für zwei Jahre festschreiben und dann auf 10 Prozent anheben wollen. Wenn aber 10 Prozent nach zwei Jahren nach Ihrer Auffassung die richtige Größe sind, Herr Brinkhaus, frage ich Sie, warum das jetzt nicht der Fall sein soll. Das können Sie nicht plausibel erklären. (Beifall bei der SPD) Dieser Ansatz hat wohl mehr mit koalitionsinternen Problemen als mit ökonomischer Vernunft zu tun. (Beifall bei der SPD - Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Schon wieder diese Leier! - Gegenruf des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist doch wahr!) - So dünnhäutig sind Sie inzwischen geworden? Das tut mir aber leid. Man konnte nämlich im Vorfeld der Presse entnehmen, dass die CDU 5 Prozent und die FDP 10 Prozent wollte. Dann hat man sich offenkundig auf diesen Kompromiss mit der Zeitschiene verständigt. Kompromisse sind wichtig, doch dies ist offensichtlich ein fauler Kompromiss zulasten der Finanzmarktstabilität. Hier hat sich offenkundig die Finanzmarktlobby wieder einmal durchsetzen können. Meine Damen und Herren, Daumenschrauben anlegen sieht anders aus. Wir als Sozialdemokraten beantragen 20 Prozent Selbstbehalt, weil wir nicht bereit sind, Praktiken zu unterstützen, die dazu geführt haben, dass ein ganzes Finanzsystem in Richtung Abgrund geführt wurde und nur mithilfe von Milliarden an Steuergeldern gerettet werden konnte. Dies ist nicht hinnehmbar, Herr Kollege Brinkhaus. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten. (Zuruf von der FDP: Buh!) Nächstes Stichwort: Basel III. Sie haben erläutert, was der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht macht. Ich stimme Ihnen zu: Es geht wirklich um den Kern einer angemessenen Regulierung, die die Stabilität der Finanzinstitutionen deutlich erhöht. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir haben uns in unserem gemeinsamen Antrag darauf verständigt, die Bundesregierung aufzufordern, dafür zu sorgen, dass gemäß den G-20-Forderungen künftig jedes Produkt, jeder Akteur und jeder Finanzmarkt reguliert und einer Aufsicht unterstellt wird. Bezüglich der Frage, ob es eine sogenannte Leverage Ratio, eine Schuldenbremse für Banken, geben soll, gibt es unterschiedliche Akzentuierungen. Ich glaube, es war richtig, dass wir in dem Antrag fordern, erst einmal die Ergebnisse abzuwarten und dann zu einem späteren Zeitpunkt zu entscheiden, ob eine solche Schuldenbremse für Banken als zusätzliches verpflichtendes und begrenzendes Element der richtige Weg ist. Das wird in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich gesehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man alle Forderungen des gemeinsamen Antrages eins zu eins umsetzen würde, dann hätten wir den Finanzmarktakteuren in der Tat Daumenschrauben angelegt. Der nächste Punkt ist die Finanztransaktionsteuer. Für uns Sozialdemokraten war es immer wichtig, die Verursacher der Krise auch an deren Kosten zu beteiligen. Verursacher sind die Spekulanten und Zocker, die das Finanzmarktkasino betrieben haben. Deshalb sollen sie herangezogen werden. Jedes Gut, das wir in Deutschland kaufen, ist mit einer Mehrwertsteuer belegt, nur Finanzprodukte sind es nicht. Finanzprodukte werden daher in Deutschland durch die Steuerfreiheit letztlich subventioniert. Riskante Finanzspekulationen haben uns in die Krise geführt, die dann nur mit Steuermitteln bekämpft werden konnte, und eine Subventionierung dieser Produkte ist zutiefst ungerecht. (Beifall bei der SPD) Wir haben uns deshalb sehr gefreut, dass Finanzminister Schäuble in einer Rede im Deutschen Bundestag deutlich gemacht hat, dass er eine solche Steuer jetzt auch europaweit durchsetzen will. Herr Kollege Brinkhaus, ich habe mit großem Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass Sie für die CDU/CSU-Fraktion erklärt haben, dass dies auch deutschlandweit, also national, eingeführt wird. Ich betone das extra für das Protokoll. Sie haben es jedenfalls hier so gesagt. In der Anhörung ist deutlich geworden, dass es ein ganz wichtiges Signal wäre, wenn der Deutsche Bundestag eine solche Forderung parteiübergreifend unterstützen würde. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb haben alle Oppositionsfraktionen jeweils einen fast wortgleichen Antrag eingebracht, in dem sie die Aussage des Bundesfinanzministers bekräftigen und unterstützen. Nur die Koalitionsfraktionen haben keinen Antrag eingebracht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Nicolette Kressl [SPD]: Komisch!) Was bedeutet das politisch? Der Minister steht im Regen. Es gibt keine Einigkeit zwischen den Regierungsfraktionen. Das ist leider die Realität der Politik dieser Bundesregierung: Streit und Konflikt, wohin man schaut. Vielleicht wird das Wort "Neustart" zum Unwort des Jahres. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte überlegen Sie, ob Sie den Anträgen der Opposition zustimmen können. Es wäre ein wichtiges Signal, ein Signal der Unterstützung des Finanzministers und ein richtiges Signal in Richtung Finanzmärkte, dass wir die Daumenschrauben nicht nur vorzeigen, sondern sie ihnen auch anlegen wollen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Björn Sänger spricht jetzt für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Björn Sänger (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie, sich kurz etwas vorzustellen. Stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie seien eine Kfz-Versicherung. Sie bieten ausschließlich Tarife ohne Selbstbehalt an. Jetzt überlegen Sie, welchen Fahrertyp Sie als Kunden mit einem solchen Angebot gewinnen. Überlegen Sie weiter, welche Auswirkungen das auf die Stabilität Ihres Unternehmens hat. Wenn Sie mit diesen Überlegungen fertig sind, dann überlegen Sie, welche Risiken denn wohl in Kreditverbriefungen schlummern, wenn es keinen Selbstbehalt gibt. Wir haben gesehen, dass verbriefte Kredite eine der Kernursachen der Banken- und Finanzkrise gewesen sind. Deshalb möchte ich darauf den Schwerpunkt meiner Rede legen, zumal der Kollege Brinkhaus, bei dem ich mich für die gute und jederzeit angenehme Zusammenarbeit an dieser Stelle ausdrücklich bedanken möchte, auf alles Weitere eingegangen ist. Es würde nichts bringen, wenn ich das wiederholen würde. Deswegen werde ich mich auf die Kreditverbriefungen konzentrieren und die Frage stellen, was zu tun ist. Dazu möchte ich Ihnen drei Punkte nennen: Erstens. Man muss einen Selbstbehalt einführen. Ein gewisser Teil des Risikos muss beim Originator verbleiben. Das ist in der Richtlinie mit der 5-Prozent-Regel gelöst. Zusätzlich muss es Transparenz geben. Der Investor muss sich einen Überblick über das verschaffen, was in den Verbriefungen enthalten ist. Bei der Kfz-Versicherung hieße das: Sie müssen das Alter der Fahrer angeben, Sie müssen angeben, ob sie eine Garage haben oder nicht, und auch die Kilometerleistung pro Jahr spielt eine Rolle. Zweitens. Der Selbstbehalt - das ist der Kernpunkt - muss hinreichend hoch sein. Dazu haben wir in der Anhörung einiges gehört. In einem Punkt waren sich eigentlich alle einig, nämlich darin, dass 5 Prozent sicherlich nicht der optimale Wert sind, den man allerdings - auch das wurde gesagt - nicht empirisch bestimmen kann. Das ist im Übrigen auch die Position des Bankenverbandes und des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands, niedergelegt in dem Schreiben, das wir alle kürzlich erhalten haben. Also kann man davon ausgehen - wir als Freie Demokratische Partei gehen davon aus -, dass 10 Prozent der nachhaltigere Wert im Sinne einer effektiven Regulierung sind. (Beifall bei der FDP) Für die Kfz-Versicherung hieße das: Je höher der Selbstbehalt, desto niedriger die Prämie. Das ist eine schöne Analogie. Drittens. Diese Regeln müssen international kompatibel sein, damit es nicht zu Wettbewerbsnachteilen kommt. Mit der EU-Richtlinie und der Festlegung auf 5 Prozent ist das EU-weit geregelt, aber das ist nicht der Wert, den wir möchten. Wir gehen von 10 Prozent aus. Das ist für uns zunächst einmal die richtige Größe. Denn wenn man die 10 Prozent einführen würde, wäre ein Verkauf von deutschen Kreditverbriefungen im Ausland nach wie vor möglich, weil der Selbstbehalt dort nur 5 Prozent beträgt. Problematisch wird es nur, wenn man sie innerhalb des Landes verkaufen will. Die Frage ist, was für ein Geschäftsmodell wir überhaupt unterstützen, wenn wir bei den 5 Prozent bleiben. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege? Björn Sänger (FDP): Mir ist eine Aussage eines Bankenvertreters in Erinnerung, die ich sehr interessant fand. Er hat gesagt: Wir müssen unseren Mist in irgendeiner Art und Weise loswerden. - Das ist sicherlich nicht das Geschäftsmodell, das wir für die Banken in Deutschland haben wollen. Das sind nicht die Geschäftsmodelle, die wir vorantreiben. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Herr Schick würde gerne eine Frage an Sie loswerden. Ist das möglich? Björn Sänger (FDP): Die kann er gerne loswerden. Ich gehe davon aus, dass es kein Mist ist. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eben. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke. - Sie haben viel zum Selbstbehalt gesagt. Mich würde in Bezug auf die Anträge der Oppositionsfraktionen interessieren, ob die FDP-Fraktion die Initiative des Bundesfinanzministers auf europäischer Ebene zur Einführung einer Finanztransaktionsteuer unterstützt. Björn Sänger (FDP): Lieber Kollege Schick, wenn Sie meine letzte Rede zur Finanztransaktionsteuer aufmerksam verfolgt haben, dann wissen Sie sicherlich, dass ich dort bestimmte Punkte genannt habe, die als Parameter gelten müssen. Wir stehen einer Finanztransaktionsteuer nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber und unterstützen die internationalen Bemühungen der Bundesregierung, in dieser Hinsicht zu einer Lösung zu kommen. Der Finanzminister wird auch von der FDP mitgetragen. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Stehen Sie hinter dem Finanzminister oder daneben?) - Davor, dahinter und daneben. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Dann können Sie ja zustimmen!) Damit kommen wir zu einer weiteren Frage. Ich halte es für die Kernfrage, ob wir die Finanzmärkte wirklich regulieren wollen oder ob wir so weitermachen wollen wie bisher. Ich sage für die Freie Demokratische Partei: Wir wollen die Finanzmärkte regulieren. Wir wollen eben nicht so weitermachen wie bisher, weil wir aus der Krise gelernt haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen in Europa eine Benchmark setzen. Ich finde, dass wir eine sinnvolle Lösung ausgearbeitet haben. Wir bleiben zunächst einmal bei den 5 Prozent; so ist es in der Richtlinie auch vorgesehen. Außerdem wollen wir bereits im Gesetz festschreiben, dass wir nach zwei Jahren auf 10 Prozent gehen. Damit geben wir der Branche Zeit, sich auf diese Regelung einzustellen. Wir geben der Bundesregierung Zeit, in der EU auf eine einheitliche Regelung - 10 Prozent Selbstbehalt - zu kommen. Das halte ich für realistisch. Herr Kollege Zöllmer, ich komme zu der Frage, welcher der richtige Wert ist. Wir haben zwei Jahre Zeit, um empirisch zu evaluieren, welcher der optimale Wert ist, wenn man ihn denn bestimmen kann. (Manfred Zöllmer [SPD]: Wenn das nicht gelingt, haben wir die nächste Krise!) Ich kann nur wiederholen, was der Kollege Brinkhaus gesagt hat: Wenn ein anderer Wert als 10 Prozent herauskommt, dann sind wir die Letzten, die einer Änderung entgegenstehen. Insgesamt ist es ein logischer Ansatz, der das Gesetz abrundet und zu einem echten Regulierungsgewinn führt. Dies ist nicht nur eine Benchmark für Europa. Dieser Gesetzentwurf ist zielführend für die gesamte Welt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Axel Troost spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alles in allem stehen wir hier vor einem recht mutlosen Gesetzentwurf. Das liegt in ganz erheblichem Maße daran, dass eine relativ mutlose EU-Vorgabe national umgesetzt werden muss. Nach wie vor stellt sich aber die Frage, welche Rolle die Bundesregierung bei der Entwicklung solcher EU-Vorgaben spielt. Ich will nicht verschweigen, dass wir uns durchaus freuen, dass zumindest die Einwände der Opposition und der Sachverständigen dazu geführt haben, dass es jetzt über die 5 Prozent hinaus zu einem größeren Selbstbehalt kommt. Dennoch sind wir der Ansicht, dass ein Selbstbehalt von 10 Prozent viel zu niedrig ist. Das EU-Parlament war sich relativ lange fraktionsübergreifend einig, dass 20 Prozent eigentlich der richtige Wert wären, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) bevor dann die Brüsseler Lobbyistenmaschine systematisch gearbeitet und den Wert gedrückt hat. Wir fordern in unserem Antrag einen Selbstbehalt von 15 Prozent plus dem Anteil der Tranche mit dem höchsten Risiko. Würde man dem folgen, läge der Selbstbehalt bei 20 Prozent und bei riskanten Geschäften sogar darüber. Des Weiteren wollen wir - das ist uns noch viel wichtiger - ein konsequentes Verbot der Wiederverbriefung. Es war gerade das wiederholte Um- und Neuverpacken von ohnehin wackligen Immobilienkreditpaketen, das die globale Finanzkrise ausgelöst hat. Diese Praxis der systematischen Risikoverschleierung muss endlich abgestellt werden, und dazu dient unser Änderungsantrag. (Beifall bei der LINKEN) Da ich nur vier Minuten Redezeit habe, möchte ich nun zu unseren Entschließungsanträgen im Zusammenhang mit der Einführung einer Finanztransaktionsteuer kommen. Wir haben von Herrn Brinkhaus gehört, dass es - das ist völlig richtig - ein sehr schwieriges Vorhaben wird, die Euro-Partner zu überzeugen, eine solche Steuer mitzutragen. Deswegen ist es ungeheuer wichtig, dass die Bundesrepublik wirklich mit mehr oder weniger einheitlicher Stimme sprechen kann. Es ist ein Unterschied, ob nur die Bundeskanzlerin, der Finanzminister oder der Deutsche Bundestag in Verhandlungen für eine bestimmte Position steht. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Seit langem haben das belgische Parlament, das französische Parlament und seit kurzem hat das österreichische Parlament entsprechende mehr oder weniger einmütige bzw. einstimmige Beschlüsse gefasst. Ich finde, es ist schon ein großes Problem, dass wir in der Bundesrepublik das gerade in dieser zugespitzten Situation nicht zustande bringen. Das heißt letztlich, sich für diese Steuer nicht entschieden genug einzusetzen. Später werden wir hören, wie kompliziert die Einführung dieser Steuer auf nationaler Ebene ist. Sie haben die ganzen letzten Monate argumentiert, dass man sie nur weltweit oder bestenfalls europaweit einführen könnte. Gehen Sie da wirklich noch einmal in sich! Man muss sich das vorstellen: Sämtliche Abgeordnete der Linken haben einen Entschließungsantrag unterzeichnet, in dem es heißt: Wir unterstützen die Bundesregierung in diesem Vorhaben. Mehr Einheitlichkeit kann man doch eigentlich nicht bieten. (Holger Krestel [FDP]: Wenn Sie das gleich gesagt hätten!) - Dann haben Sie es wenigstens jetzt mitbekommen. Wir befürchten ein relativ abgekartetes Spiel. Zumindest im Sommer könnte es so sein, dass Herr Brinkhaus und Teile der CDU durch das Land laufen und sagen: "Selbstverständlich sind wir für eine Finanztransaktionsteuer", während Herr Sänger und die FDP durch das Land laufen und sagen: Wollen wir doch einmal sehen; wir werden das schon verhindern. Das führt letztlich dazu, dass diese Steuer nicht eingeführt werden kann. Das fände ich wirklich schändlich. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Gerhard Schick hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über eine ganze Menge von Richtlinien und Einzelregelungen. Aufgrund der Kürze der Zeit will ich nur weniges herausgreifen. Unter den vielen Regelungen befindet sich natürlich auch das eine oder andere Gute. Insbesondere bei den Verbriefungen gibt es jetzt eine klare Verpflichtung der Banken - Herr Brinkhaus, Sie haben es dargestellt -, darauf zu schauen, was sie in ihren Büchern haben. Man möchte meinen, das sei selbstverständlich. Es scheint aber notwendig zu sein, dass der Gesetzgeber das tut. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Sehen Sie mal, wie gut wir regulieren können!) Das gilt allerdings auch für andere Gebiete, und dort ist keine Kontrolle durch den Gesetzgeber vorgesehen. Ich möchte an eine meiner Erfahrungen im Hypo-Real-Estate-Untersuchungsausschuss erinnern. Man konnte dort sehen, wer alles wie viele ungesicherte Einlagen in einer Bank hatte, die wackelte. Es wurde deutlich, dass eine einzelne Bank, in diesem Fall die Bayern LB, über 2 Milliarden Euro bei der Hypo Real Estate angelegt hat. Angesichts dessen kann man sich ausrechnen, wodurch die von allen beklagten Dominoeffekte in dieser Krise zustande kommen: Dies geschieht nämlich, wenn eine Bank bei einer anderen zu viel "im Feuer" hat. Die Frage der Großkredite ist von entscheidender Bedeutung, und deswegen haben wir einen entsprechenden Änderungsantrag gestellt. 25 Prozent vom Eigenkapital allein an eine Bank auszuleihen, ist nämlich zu gefährlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich verstehe nicht, warum man beim Wert 25 Prozent bleibt. Wir haben den Wert 10 Prozent vorgeschlagen, weil wir glauben: Wenn wir den Dominoeffekt an dieser Stelle nicht stoppen, dann werden unsere Finanzmärkte nicht sicher genug. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich will einen zweiten Punkt nennen, den Pfandbrief. Wir haben an die Gesetzentwürfe zur Umsetzung des EU-Rechts noch eine Mini-Pfandbriefrechtsnovelle gehängt. Wenn man weiß, welche Bedeutung der Pfandbrief in der Diskussion um die Bankenrettung hatte - das war ein zentrales Argument dafür, dass man mit vielen Milliarden an Steuerzahlergeld bei der HRE eingestiegen ist -, dann kann man bei dem, was die jetzige Regierung in Sachen Pfandbrief tut, auf jeden Fall nicht stehen bleiben. Das sind nämlich nur Kleinigkeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben einen Vorschlag gemacht, der weiter geht, und wir werden weitere Vorschläge vorlegen. Ich halte das, was vonseiten der Koalition dazu vorgesehen ist, für völlig unzureichend. Wir haben gesagt: Die Investoren brauchen mehr Transparenz, damit eine Unsicherheit: "Was steckt eigentlich dahinter? Ist das überhaupt noch sicher?", erst gar nicht entstehen kann. Sie haben das abgelehnt. Dabei hätte man es in dieser Novelle direkt regeln können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich noch kurz auf unseren gemeinsamen Antrag eingehen. Ich bin froh darüber, dass es uns gelungen ist, die Position, die Bundesbank, BaFin und Finanzministerium in den Baseler Verhandlungen bisher hatten, in ein paar Punkten zu korrigieren. Ich will einen Punkt herausgreifen, weil er mir sehr wichtig ist, und das ist die Größenbremse für Banken. Wenn man das Wort "too big to fail" - manche Banken sind so groß, dass es ganze Volkswirtschaften ruinieren kann, wenn sie kippen - ernst nimmt, dann muss man fragen: Was tut man eigentlich dagegen? Mit all den Maßnahmen, Herr Brinkhaus, die Sie genannt haben, ist dieses Problem von der Regierungskoalition bisher nicht beantwortet worden. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Aber von Ihnen?!) Das gilt auch für das, was Sie noch in der Verhandlung haben. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sagen Sie, was Sie machen! - Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Was ist Ihre Antwort?) Deswegen ist der Punkt, den wir in den gemeinsamen Antrag eingebracht haben, so wichtig. Wir brauchen eine Größenbremse: steigende Eigenkapitalunterlegung bei wachsendem Bilanzvolumen und größere Liquiditätsanforderungen, je größer das Institut ist; denn große Institute sind gefährlicher als kleine Institute. Deswegen brauchen große Institute schärfere Eigenkapitalregeln als kleine Institute. - Sie haben das mit unterstützt. Sie können deswegen jetzt mitklatschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mein allerletzter Punkt betrifft etwas, was ich für prioritär halte. (Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) - Ich will die Zwischenfrage gern zulassen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das war für mich leider verdeckt. - Bitte schön. Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Vielen Dank. - Herr Kollege Schick, würden Sie zugestehen, dass bei der Systemik einer Bank nicht nur die Größe und das Volumen entscheidend sind, sondern mehr noch ihre Vernetztheit? Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Dautzenberg, das kann ich sehr gerne zugestehen. Ich habe meine Rede nämlich genau mit diesem Problem der Vernetztheit begonnen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein, Sie haben auf die Größe abgestellt!) Deswegen haben wir die Änderung zur Großkreditregelung beantragt. Dabei geht es genau um die Vernetzung. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein!) Eine Bank darf nicht zu viel Geld bei einer anderen Bank im Feuer haben. Wir spielen die Fragen "Zu vernetzt?" und "Zu groß?" aber nicht gegeneinander aus, sondern wir versuchen, für beide Probleme Lösungen vorzuschlagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Deswegen Regelungen zu den Großkrediten und deswegen steigende Eigenkapitalunterlegung bei großen Banken. Die Banken sollen eben nicht so groß werden; denn wir wissen gerade aus der Diskussion, die wir als Finanzausschuss in der Schweiz geführt haben, dass es für ein Land gefährlich sein kann, wenn eine sehr große Bank kippt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wenn sie vernetzt ist!) - Beide Probleme sind wichtig, Herr Dautzenberg, nicht nur das eine und nicht nur das andere. Der zentrale Punkt ist - da haben Sie mich gerade mit der Frage unterbrochen; das will ich noch kurz sagen -: Wir brauchen eine Schuldenbremse für Banken. Es ist zu gefährlich, wenn Banken auf jeden Euro Eigenkapital 49 Euro Schulden auftürmen, wie das einzelne Banken in Deutschland tun. Das ist zu riskant. Je mehr Schulden bezogen auf eine Einheit Eigenkapital gemacht werden, desto größer ist potenziell die Rendite, aber desto größer ist auch das Risiko für den Steuerzahler. Bei dieser Frage entscheidet sich, ob man für Gewinne der Banken oder für die Sicherheit der Gelder der Steuerzahler ist. Deswegen fordere ich Sie auf, das Thema "Schuldenbremse für Banken" endlich auf die Agenda zu nehmen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer finanziert die Realwirtschaft?) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2472, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/1720 und 17/1803 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Die SPD hat sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf ist, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2473. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt bei Zustimmung durch die Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Dagegen haben die Koalitionsfraktionen gestimmt. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2474. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist ebenfalls abgelehnt, mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2475. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Entschließungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor abgelehnt. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 17/2472 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1756 mit dem Titel "Stabilisierung des Finanzsektors - Eigenkapitalvorschriften für Banken angemessen überarbeiten" in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung durch CDU/ CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 16/13741 über die Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Roth (Esslingen), Burkhard Lischka, René Röspel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Deutschlands Verantwortung für die Gesundheit in Entwicklungsländern - Vernachlässigte Krankheiten bekämpfen, Kinder- und Müttersterblichkeit verringern und Globalen Fonds stärken - Drucksache 17/2135 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Ziele der Bundesregierung in der Weltgesundheitsorganisation neu ausrichten - Drucksachen 17/1581, 17/2465 - Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Weiss (Wesel I) Karin Roth (Esslingen) Dr. Christiane Ratjen-Damerau Niema Movassat Uwe Kekeritz Es ist vorgesehen, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Kollegin Karin Roth für die SPD-Fraktion. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute beraten wir den Antrag der SPD zur Verantwortung Deutschlands für die Gesundheit in den Entwicklungsländern. Armutsbedingte, vernachlässigte Krankheiten sind mitverantwortlich dafür, dass die Lebenserwartung der Menschen in den Entwicklungsländern bis zu 30 Jahre unter der der Industrienationen liegt. Fast 5 Millionen Tote gibt es allein durch die drei großen Krankheiten HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose. Während unserer 30-minütigen Debatte sind wieder 500 Kinder unter fünf Jahren an Krankheiten gestorben, die leicht zu vermeiden gewesen wären, wenn die Weltgemeinschaft die Kindersterblichkeit - jährlich sterben insgesamt 9 Millionen Kinder - nicht einfach hinnehmen würde. Es gibt keinen großen Aufschrei, sondern meist bedauerndes Schulterzucken und beschämte Betroffenheit. Stärkere Reaktionen gibt es angesichts dieser gnadenlosen Zahlen fast nie. Wie reagieren Politik und Regierungen in den Industriestaaten? Wie reagieren wir als Abgeordnete? Werden wir unserer Verantwortung angesichts dieser Zahlen gerecht? Was tun wir, um dies alles zu ändern? Es stellt sich auch die Frage: Was haben wir getan? Was werden wir tun? In der vorletzten Woche stand das Thema Bekämpfung der Kinder- und Müttersterblichkeit auf der Tagesordnung des G-8-Gipfels. Leider gab es, wie so oft, viel Wind um nichts. Die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin haben sich wieder einmal verpflichtet, mehr Geld zur Bekämpfung der Mütter- und Kindersterblichkeit bereitzustellen: 80 Millionen Euro jährlich für die nächsten fünf Jahre. Was sind diese Zusagen wert? Bereits vor fünf Jahren haben die G-8-Staaten 50 Milliarden US-Dollar zusätzlich pro Jahr bis zum Jahr 2010 für die Erreichung der Millenniumsziele versprochen. Deutschland hat es - das wissen wir in diesem Hohen Haus - nicht geschafft, diese Zusage einzuhalten. Auch die neuen Versprechungen finden sich im Haushalt der Bundesregierung für 2011 leider nicht wieder; denn die 80 Millionen Euro werden innerhalb des Haushaltes umgeschichtet, das heißt, andere dringende Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit werden gekürzt. Am Ende gibt es nicht mehr, sondern weniger Geld zur Erreichung der Millenniumsziele. Das ist die bittere Wahrheit. Das ist ein Offenbarungseid, der durch die lang anhaltende Diskussion über die Kürze der Regierungszeit, die wir heute schon geführt haben, nicht besser wird; (Beifall bei der SPD) denn die Frage ist doch: Wie viel Geld ist in den Haushalten? So wie ich das sehe, ist auch mittelfristig nur Haushaltskosmetik vorgesehen, aber keine wirkliche Verbesserung. Beim Thema Gesundheitsvorsorge in den Entwicklungsländern geht es nicht um die Frage, ob wir uns das leisten können, sondern ob wir es hinnehmen vor dem Hintergrund unserer Werte - Herr Minister, Sie betonen das immer - und unserer Moral, dass Millionen Menschen sterben, obwohl sie zu einem vergleichsweise geringen Preis gerettet werden könnten. Es ist zynisch, wenn die FDP im Ausschuss bei der Frage, ob wir alle gemeinsam darum ringen, dass wir zum Beispiel durch die Einführung einer Transaktionsteuer nicht nur die Spekulanten an der Wirtschaftskrise beteiligen, sondern einen Teil dieser Einnahmen für die Bekämpfung des Hungers in der Welt verwenden, darauf hinweist, dass mehr Geld an der Situation nichts ändern würde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man sehe am Beispiel von Hartz IV, so die FDP, dass mehr Geld im System nicht automatisch dazu führen würde, dass Menschen Arbeit aufnehmen. Vor dem Hintergrund dieser dramatischen Situation ist das zynisch und obszön. Das haben die Menschen in den Entwicklungsländern nicht verdient. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Keine Frage: Wir müssen bestrebt sein, dass die Steuermittel, die wir ausgeben, effizient genutzt werden, nicht nur in den Entwicklungsländern, auch bei uns. Die Nichteinhaltung der ODA-Quote von 0,7 Prozent durch eine Effizienzdebatte zu vertuschen und sie gegeneinander auszuspielen, ist durchsichtig und gegenüber den Partnerländern in hohem Maße unglaubwürdig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die SPD zeigt mit ihrem Antrag, dass der Zugang zu kostengünstigen Medikamenten ein Schlüssel zur Verbesserung der Gesundheit in den Entwicklungsländern ist. Gerade jetzt, ganz aktuell, verhandelt die EU mit Indien, der sogenannten Apotheke der Dritten Welt, über den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten. Die Regierung kann jetzt beweisen, dass sie im Rahmen der EU dafür sorgt, dass dieser Zugang nicht blockiert wird; denn dies hätte katastrophale Auswirkungen auf die Arbeit des Global Fund, der eingerichtet wurde, um Aids, Malaria und Tuberkulose zu bekämpfen. Die erfolgreiche Arbeit des Globalen Fonds wollen wir mit unserem Antrag unterstützen. Wir fordern daher eine Verdoppelung der Mittel in den nächsten drei Jahren. Aber was macht die Bundesregierung? Im Haushaltsentwurf werden die Mittel für den Globalen Fonds um 4 Millionen Euro gekürzt, obwohl seine erfolgreiche und effiziente Arbeit vom Ministerium nicht bestritten wird. Dafür gibt es aber zum Beispiel im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit 63,5 Prozent mehr Geld, um das Erscheinungsbild des Ministers in den Medien aufzupolieren. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Hört! Hört!) So viel zur besseren Sichtbarkeit der deutschen Entwicklungspolitik. Wenn es schon wenig zu verteilen gibt, dann sollte die Bundesregierung sich auf das Wesentliche konzentrieren. Im Bereich der Gesundheitspolitik heißt das, den Ausbau von Gesundheitssystemen in den Entwicklungsländern zu fördern und den Bereich Forschung und Entwicklung finanziell zu unterstützen, um zur Bekämpfung der vernachlässigten Krankheiten, aber auch zur Bekämpfung von HIV und Aids, von Malaria und Tuberkulose beizutragen. Dabei unterstützen wir auch neue Kooperationen zwischen Pharmaindustrie und öffentlichen Forschungseinrichtungen im Rahmen von sogenannten Produktentwicklungspartnerschaften. Es geht also um eine kohärente Strategie, um den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern und die Versorgung mit medizinischem Personal besser zu organisieren. Die Industrienationen müssen allen Versuchen widerstehen, das medizinische Personal aus den Entwicklungsländern abzuwerben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) In Subsahara-Afrika steht für 65 000 Menschen ein Arzt zur Verfügung, und bei uns kommt ein Arzt auf 294 Menschen. Daraus folgt auch, dass wir mehr Geld in die Ausbildung des medizinischen Personals investieren müssen. Auch dadurch erreichen wir mehr Effizienz in diesem System. Die komplexe Aufgabe im Bereich der Gesundheit - ganz zu schweigen von der Bekämpfung des Hungers, der Verbesserung der Bildung und der Stärkung der Frauenrechte - zeigt, wie notwendig es ist, dass die Weltgemeinschaft an einem Strang zieht, die Kräfte bündelt und die Aufgaben verteilt, und zwar gemeinsam. Multilaterales Denken und Handeln und bilaterale Verantwortung - das sind die zwei Seiten einer Medaille. Ich denke, das ist notwendig, um den Anforderungen gerecht zu werden und auf der Höhe der Zeit zu sein. Wer wie die FDP weniger über die Mittel und die Höhe der Ausstattung diskutiert, sondern mehr über die Effizienz, der sollte sich die Frage stellen, ob ein großer, nicht abgestimmter Flickenteppich von Einzelprojekten wirklich effizient ist oder ob es nicht notwendig ist, eine Entwicklungspolitik zu machen, die auch Strukturpolitik ist, damit Nachhaltigkeit erzeugt wird. (Beifall bei der SPD) Eine moderne Entwicklungspolitik versteht sich nicht nur als Hilfe zur Selbsthilfe. Das zwar auch, aber es geht ihr vor allem darum, finanzielle Mittel einzusetzen, um nachhaltige Strukturen zu schaffen, die zur Stärkung der Zivilgesellschaft, zu Transparenz, Kontrolle und Verantwortung führen. Von solchen Konzepten sind Sie, Herr Minister, doch weit entfernt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gerade im Gesundheitsbereich könnten mit einer sektoralen Budgethilfe einerseits - wir haben gelernt, dass das bei Ihnen die sozialistische Suppenküche ist; aber das ist natürlich falsch - Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit? Karin Roth (Esslingen) (SPD): - und der Stärkung des Globalen Fonds andererseits gute Voraussetzungen geschaffen werden, um Millionen Menschenleben zu retten. Es geht um nichts weniger als das. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, achten Sie auf die Redezeit! Karin Roth (Esslingen) (SPD): - Danke schön. In unserem Antrag haben wir einige Wege aufgezeigt und Maßnahmen vorgeschlagen. Es wäre gut, wenn Sie unserem Antrag folgen könnten. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun die Kollegin Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist für uns alle unstrittig, dass wir uns mit dem jetzigen Stand der Umsetzung der Millenniumsziele nicht zufriedengeben können. Gerade im Bereich der Gesundheitsziele 4 und 5 - Frau Roth, Sie erwähnten es - liegen wir weit zurück. Mehr noch: Es besteht die Gefahr, dass die weltweite Entwicklung infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise die Ziele noch schwerer erreichbar macht, als wir uns das noch vor zwei Jahren haben vorstellen können. Das darf uns als Abgeordnete, die sich auf die christlichen Grundwerte berufen bzw. das Soziale auf ihre Fahnen schreiben, nicht kaltlassen. Deutschland hat eine Verantwortung für die Gesundheit in den Entwicklungsländern, und die müssen wir gemeinsam wahrnehmen, auch wenn dieses Thema nicht gerade für die vielbeschworene Hoheit über den Stammtischen tauglich ist. Vernachlässigte Krankheiten bekämpfen, Kinder- und Müttersterblichkeit senken: Wer von uns würde da widersprechen? Hier im Deutschen Bundestag werden wir niemanden finden, der die Verantwortlichkeit unseres Staates ablehnt. Draußen im Wahlkreis sieht die Lage allerdings durchaus anders aus. Da nämlich müssen wir den Menschen erklären, warum wir uns um die Weltgesundheit kümmern und internationale Verpflichtungen in Milliardenhöhe eingehen, die hier vielleicht zur Senkung der Krankenkassenbeiträge eingesetzt werden könnten. Da erleben wir sogar, dass rechtsradikale Rattenfänger diesen guten Konsens der Demokraten diskreditieren und für ihre Zwecke ausnutzen wollen. Umso wichtiger ist es also, dass wir uns einheitlich und machtvoll zu unserer Verantwortung bekennen und dies auch außerhalb des "Raumschiffes Berlin" deutlich machen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Kollegin Roth, seien wir doch wirklich froh, dass der letzte G-8-Gipfel ausdrücklich mehr Geld für die Umsetzung der Millenniumsziele 4 und 5 in Aussicht gestellt hat. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Im Haushalt nicht!) Das ist nämlich ein klares Bekenntnis dazu, die Fragen der weltweiten Gesundheit mit Priorität zu bedienen. Das kann keiner bestreiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen Antragsteller, ich tue mich mit einem Forderungskatalog von 34 Einzelpunkten in dem hier zu debattierenden Antrag schwer. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Wir haben etwas zu sagen!) Es mag ja durchaus sein, dass all diese 34 Punkte gut und richtig sind. Sie entsprechen auch ohne Zweifel den wichtigsten Forderungen unserer Partner - seien sie nun auf der staatlichen Ebene, bei den internationalen NGOs oder den vielen nationalen Entwicklungshilfeorganisationen angesiedelt. Ich verstehe auch den Wunsch unserer Partner, gerade in Zeiten des knappen Geldes möglichst viele ihrer begründeten Forderungen durch einen Beschluss im Deutschen Bundestag mit einem Haken versehen zu wissen. In der Politik aber - und das ist hier - sind Ehrlichkeit, Realismus und Prioritätensetzung gefragt. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Wenn Ehrlichkeit heißt, auch Geld zur Verfügung zu stellen!) Mit Verlaub: Bei einem Forderungskatalog von 34 Einzelpositionen vermag ich dies nur schwer zu erkennen. Wenn wir ehrlich sind, liebe Antragsteller, ist es doch so: Wenn man die finanziellen Bedürfnisse in Bezug auf Ihre 34 Forderungen grob überschlägt, hätten Sie diese selbst in Zeiten von Rot-Grün nicht durchsetzen können. Und da war von der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise überhaupt noch nichts zu sehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich setze auf die Einsicht und den Zusammenhalt derer, die sich ihrer weltpolitischen Verantwortung bewusst sind, und zwar unabhängig von ihrer jeweiligen Fraktionszugehörigkeit. Wir sorgen uns um die Gesundheit in den Entwicklungsländern. Wir anerkennen Deutschlands Verantwortung und die führende Rolle des Globalen Fonds. Wir sehen die enorme Herausforderung, hierfür auch in der globalen Finanzkrise finanzielle Mittel bereitzustellen. Wir werden uns auch der Herausforderung stellen und uns für mehr finanzielle Mittel starkmachen. Diese Mittel aber - das ist mein Credo - müssen bis auf den letzten Cent effektiv und wirksam angelegt sein. Dies will ich wissen, bevor ich meine Hand für Forderungen hebe, egal wie überzeugend sie auch formuliert sein mögen. Denn das liegt auch - das muss immer erwähnt werden - im Interesse der deutschen Steuerzahler. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es liegt natürlich auch im Interesse der Millionen Menschen weltweit, denen unser Geld nutzen und helfen soll. Ich denke, wir müssen uns die Mühe machen, wieder auf die Kernaussagen zu schauen und gemeinsam zu überlegen, was am erfolgversprechendsten und am wichtigsten ist, statt uns gegenseitig mit möglichst umfangreichen Forderungskatalogen zu überbieten. Wir müssen es einsehen und akzeptieren: Das Geld, mit dem wir arbeiten können, ist begrenzt. Das wird es in den nächsten Jahren auch bleiben. Geben wir es also da aus, wo es am meisten bewirkt. Das ist die große Herausforderung für die kommenden Jahre. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Niema Movassat für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einigen Tagen wurden wir alle Zeugen eines Trauerspiels. Da saßen die G 8 in Kanada zusammen und diskutierten darüber, wie man die UN-Millenniumsziele in den Bereichen Kinder- und Müttergesundheit erreichen kann. Der Nachholbedarf ist enorm. So wurden im Bereich der Müttergesundheit gerade einmal 9 Prozent der Millenniumsmarken erreicht. Während die G 8 1 Milliarde Dollar allein für die Sicherheit ihrer Konferenz ausgaben, waren sie nur bereit, 5 Milliarden Dollar - das ist ein lächerliches Fünftel des Bedarfs - für die Erreichung dieser Ziele auszugeben. Damit haben sie sich von ihrem selbst gesteckten Ziel endgültig verabschiedet. (Beifall bei der LINKEN) Sie von der Bundesregierung haben Ihre eigene unrühmliche Rolle dabei gespielt. Sie sagten nur magere 500 Millionen Dollar zu. Der aktuelle Haushaltsentwurf deutet darauf hin, dass es sich dabei nicht um neues Geld handeln wird, sondern vielmehr um Geld, das umgeschichtet wird und damit woanders, bei den Armen und Ärmsten dieser Welt, eingespart wird. Das ist Betrug zulasten der Entwicklungsländer. (Beifall bei der LINKEN) Ferner müsste die Bundesregierung einen Schwerpunkt auf die öffentliche Forschung zu vernachlässigten Krankheiten legen. Denn das sind die Krankheiten, an denen Millionen Menschen in den Entwicklungsländern sterben. Auf die Pharmaindustrie kann man hier nicht zählen. Von den etwa 1 500 pharmazeutischen Wirkstoffen, die zwischen 1975 und 2004 entwickelt wurden, zielten nur 21 auf die Heilung vernachlässigter Krankheiten, einschließlich Malaria und Tuberkulose. Denn die Pharmaindustrie will Milliardenprofite einstreichen. Das ist mit Medikamenten gegen Krankheiten, die in armen Ländern auftreten, nicht möglich. Denn es fehlt schlicht an der zahlungskräftigen Kundschaft. Öffentliche Forschung in diesem Bereich, die neu entwickelte Wirkstoffe patentfrei und damit für alle frei zugänglich und bezahlbar macht, würde Menschenleben retten und ist daher die Forderung der Stunde. (Beifall bei der LINKEN) Es ist gut und richtig, dass der SPD-Antrag feststellt, dass Patentlizenzen und das System handelbarer geistiger Eigentumsrechte die Herstellung und Verteilung lebenswichtiger Generika behindern oder unmöglich machen. Aber ziehen Sie daraus doch bitte den richtigen Schluss. Auch das TRIPS-Abkommen, auf das Sie sich positiv beziehen, gefährdet Menschenleben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir brauchen hier eine grundlegende Revision, die den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten gewährleistet. Die Gesundheit und das Überleben der Menschen in den Entwicklungsländern müssen Vorrang vor den Interessen von Konzernen haben. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Insofern muss die EU - das wäre ein kleiner Schritt in die richtige Richtung - beim Freihandelsabkommen mit Indien auf die Verlängerung von Patentlaufzeiten verzichten. Das würde Hunderttausende Menschenleben retten. Insgesamt müssen sich die Bundesregierung und die EU für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung einsetzen. Denn nur dann können Entwicklungsländer funktionierende Gesundheitssysteme aufbauen. (Beifall bei der LINKEN) Nur 0,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens wären nötig, um die deutsche Zusage zur Erreichung der Millenniumsziele im Gesundheitsbereich zu erfüllen. Wir sind heute bei gerade einmal 0,03 Prozent. Frau Weiss, eine aktuelle Umfrage zeigt, dass die deutsche Bevölkerung durchaus bereit ist, mehr Geld in die Entwicklungshilfe zu stecken. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/ CSU]: Schön wäre es!) Der politische Wille dazu ist nötig; denn es ist finanzierbar. Wir, die Linke, haben hier die Einführung einer Finanztransaktionsteuer und den Stopp von Rüstungsprojekten als Finanzierungsmöglichkeit vorgeschlagen. Dafür wäre es jedoch notwendig, dass Sie sich endlich davon verabschieden, die Interessen der deutschen Wirtschaft, etwa der Pharmaindustrie, der Banken und der Rüstungsindustrie, über die Interessen der Menschen in den Ländern des Südens zu stellen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Leider sind Sie dazu offensichtlich nicht bereit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Dr. Christiane Ratjen-Damerau. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Deutschland erfüllt als drittgrößter Geldgeber selbstverständlich seine Pflicht im Sinne der weltweiten Solidarität und Gerechtigkeit. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Unser Ziel ist es, die Gesundheit der Weltbevölkerung, insbesondere der benachteiligten Regionen unserer Welt, deutlich zu verbessern. Allein das Problem der schlechten Gesundheitsversorgung von Frauen in der Dritten Welt trifft uns und ruft uns zum Handeln auf. Die hohe Mütter- und Kindersterblichkeit macht uns ganz besonders betroffen. Es ist aber schon ein unglaublicher Erfolg, dass beim letzten G-8-Gipfel das Erreichen der Millenniumsziele im Mittelpunkt stand. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ja, ohne Konsequenzen!) - Nun warten Sie doch ab! Ich fange erst an; ich bin erst beim ersten Absatz. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Maßgeblich ist das übrigens der Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verdanken. Sie hat dafür gesorgt, dass die Mütter- und Kindergesundheit in den Entwicklungsländern das zentrale Thema auf diesem Gipfel war. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Weltgesundheitsversammlung hat bei ihrem letzten Treffen im Mai eine Resolution zur Verfügbarkeit, Sicherheit und Qualität von Blutprodukten verabschiedet. Wenn man bedenkt, dass nur 56 Prozent der Testungen von circa 81 Millionen Blutspenden in 178 Ländern pro Jahr auf Krankheitserreger wie HIV oder Hepatitisviren internationalen Standards entsprechen, dann erkennt man, dass diese Resolution ein wichtiger Schritt im Hinblick auf die Verbesserung dieser schlechten Lage ist. Die Zahl der Blutspenden, die gar nicht oder nicht ausreichend getestet werden - weltweit jährlich 28 Millionen -, muss drastisch gesenkt werden. Das gilt gerade auch im Hinblick auf die hohe Sterberate von Frauen in den Entwicklungsländern: Sie ist oft auf einen Mangel an sicheren Blutkonserven zurückzuführen; durch eine bessere Testung kann sie eingedämmt werden. Die WHA hat sich im Mai auch auf anderen Feldern mit den Millenniumszielen der Mütter- und Kindergesundheit intensiv beschäftigt. Wie Sie richtig festgestellt haben, konnten wir bis heute trotz aller sonstigen Erfolge gerade bei diesen wichtigen Zielen keine akzeptablen Ergebnisse erreichen: Noch immer erleben 9 Millionen Kinder pro Jahr nicht ihren fünften Geburtstag; noch immer sterben eine halbe Million Mädchen und Frauen an Komplikationen während der Schwangerschaft oder Entbindung. Richtig ist aber, dass die Stärkung der Gesundheitssysteme vorangetrieben werden muss. Dies betrifft insbesondere die Forschung zur Medikamentenversorgung bei vernachlässigten Krankheiten und ihre Umsetzung. Mit einem systemischen Ansatz könnte hier vieles besser erreicht werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Liebe Kollegen und Kolleginnen von der SPD, es ist allerdings interessant, wie schnell Sie Ihre Betrachtungsweise geändert haben. Es war doch Ihre Ministerin, die die Aufteilung bilateral zu multilateral im Verhältnis von einem Drittel zu zwei Dritteln für unantastbar erklärt hat. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch der größte Quatsch! - Ulrich Kelber [SPD]: Das hat Ihnen aber jemand falsch aufgeschrieben!) - Ja, wahrscheinlich. Soll ich den Satz noch einmal vorlesen? - Es war doch Ihre Ministerin, die die Aufteilung multilateral zu bilateral im Verhältnis von zwei Dritteln zu einem Drittel für unantastbar erklärt hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren die Haushälter aller Fraktionen, das Parlament! Meine Güte!) - So, ich habe es noch einmal vorgelesen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Raabe? Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP): Nein. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Da brauchen Sie gar nicht zu lachen! Das sind doch Fakten! - Zuruf von der SPD: Es steht wohl nicht auf dem Zettel, was dann zu antworten ist!) Schön ist aber, dass wir jetzt einer Meinung sind. In unserem Koalitionsvertrag steht: Wir wollen eine Verteilung der bilateralen sowie der europäischen und multilateralen Leistungen Deutschlands im Verhältnis von zwei Dritteln zu einem Drittel erreichen, um die Gestaltungsmöglichkeiten der deutschen Entwicklungspolitik zu erweitern und den Wirkungsgrad der eingesetzten Haushaltsmittel zu erhöhen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Bundesregierung steht zu diesen multilateralen Verpflichtungen. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Aha! Haben Sie die Mittel deswegen um 4 Millionen Euro gekürzt?) Die Arbeit des Global Fund, der Globalen Allianz für Impfstoffe und Immunisierung und der anderen Organisationen wird hoch geschätzt und nicht infrage gestellt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Erhöhung der Mittel im Haushalt 2010 um 4 Millio-nen Euro hat das gezeigt. Aber es ist angesichts unserer Haushaltslage doch mehr als unseriös, geradezu unverantwortlich, eine Verdopplung des Global-Fund-Anteils in diesem Einzelplan zu fordern, ohne dass Sie auch nur ansatzweise sagen, woher das Geld kommen soll. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Doch! Transaktionsteuer! Wir haben die Instrumente doch genannt!) Zu Ihren Forderungen nach dem TRIPS-Abkommen möchte ich nur sagen, dass Sie sich nicht immer einseitig zum Sprachrohr der NGOs machen lassen sollten. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Oh!) Beurteilen Sie die Diskussion einmal verantwortlich und vor allem gesamtpolitisch. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Aber man sollte sich auch nicht zum Sprachrohr der Pharmaindustrie machen lassen!) - Dazu komme ich jetzt; Moment. - Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, eines möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen: Allein der Verzicht auf Patente bringt kein Heil über diese Welt. Ein Unternehmen, das aus seinen Aufwendungen für die Forschung keinen Gewinn mehr erzielt, kann auch nichts mehr entwickeln. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ja! Aber da ist die Pharmaindustrie schon weiter! Die machen Produktentwicklungsgesellschaften!) Unternehmen sind nicht unsere Feinde, sondern sie helfen auch aus eigenem Antrieb, Innovationen und Wohlstand zu schaffen. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Na ja!) Es muss ein Ausgleich geschaffen werden. Natürlich sind wir uns völlig einig, dass insbesondere die armen Länder einen möglichst umfassenden Zugang zu Medikamenten bekommen müssen. Aber auch hier unterscheiden wir uns in dem Wie. Ich denke, es ist an der Zeit, dass die Entwicklungszusammenarbeit ganzheitlich und vor allem rationaler angegangen wird. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Aha! Wieso das denn? Die Pharmaindustrie arbeitet doch schon international!) Damit nachhaltige Erfolge erzielt werden können, müssen gesundheitspolitische und handelspolitische Ziele in einer Balance zueinander stehen. Ein gutes Modell wäre der Verzicht auf Patentrechte innerhalb des WHO-Netzwerkes, also bei staatlichen Laboratorien. Ich denke, dass wir uns darauf einigen könnten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nun noch ein abschließendes Wort zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bei allem Dank für das Lob, das Sie der Arbeit der Bundesregierung in diesem Antrag zollen, hat der AwZ zu Recht mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen die Ablehnung dieses Antrages beschlossen. (Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP]) Meine Kollegin Helga Daub hat bei der ersten Lesung dieses Antrages bereits auf die maßgeblichen Unterschiede unserer Auffassungen hingewiesen. Sowohl das BMZ als auch die FDP-Fraktion betrachten das bloße Geldgeben sehr differenziert. Ohne deutlich mehr Transparenz und Effizienz in der Entwicklungspolitik als bisher wird es keine zukunftsweisenden, langfristigen Erfolge geben. (Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP]) Die Effizienz der Mittel muss an erster Stelle stehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit. Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP): Noch ein Satz. - Good Governance und damit der verantwortungsvolle Umgang mit Geldern ist eine Voraussetzung für das Wirken von sektoraler Budgethilfe. Daher können wir Ihrer Forderung nach sektoraler Budgethilfe zur Stärkung des Gesundheitssystems nicht zustimmen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ui!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Raabe. Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Kollegin, ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie noch nicht lange im Bundestag sind. Sie haben gerade Ihre zweite Rede gehalten. Wenn Sie aber - auch wenn es erst Ihre zweite Rede war - eine Behauptung aufstellen, die nachweislich unwahr ist, muss ich von Ihnen fordern, dass Sie das richtigstellen. Ich bin seit 2002 Mitglied dieses Hauses und gehöre seitdem auch dem Entwicklungsausschuss an. Ich habe in der Zeit, in der Ministerin Heide Wieczorek-Zeul Verantwortung hatte, jeden Haushalt ihres Ministeriums zusammen mit ihr aufgestellt. (Holger Haibach [CDU/CSU]: Hört alle gut zu! Das ist ein wichtiger Mann! - Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das hört sich so an, als hätte sie unter Ihnen gedient! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!) - Wir waren seit 2002 - daran werden Sie sich noch erinnern - immer an der Regierung und hatten somit auch die Verantwortung, für eine Mehrheit für den Haushalt zu sorgen. Es gibt keine einzige Aussage der Ministerin, dass sie nur ein Drittel der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, wie Sie behauptet haben, für multilaterale Ausgaben zur Verfügung stellt. Ganz im Gegenteil, diese Ministerin hat im Haushaltsausschuss sehr oft interveniert, und zwar erfolgreich, sodass wir insbesondere im multilateralen Bereich immer wieder Mittelsteigerungen zu verzeichnen hatten. Gerade im Hinblick auf den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria hat Ministerin Heide Wieczorek-Zeul immer durchgesetzt, dass die Mittel hierfür erhöht wurden. Sie haben die Ein-Drittel/ zwei-Drittel-Regelung in Ihren Koalitionsvertrag aufgenommen. Stehen Sie dazu, und nehmen Sie Ihre Behauptung zurück, oder weisen Sie nach - das werden Sie aber nicht können -, dass Ministerin Heide Wieczorek-Zeul jemals gesagt hat, das sei unantastbar. Das ist Quatsch. Wir stehen zu einer sinnvollen multilateralen Entwicklungspolitik. Ich bitte Sie, diese unwahre Behauptung zurückzunehmen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wollen Sie antworten, Frau Kollegin? - Nein. (Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Sie hat ja keinen Zettel! Sie kann nicht anders!) Das Wort hat nun der Kollege Uwe Kekeritz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Weiss, ich möchte kurz Ihren Lieblingsbegriff aufgreifen, den Sie immer wieder gebrauchen, auch im AwZ. Sie sprechen ständig von Ehrlichkeit. Sie wissen, dass die ODA-Quote 40-jähriges Jubiläum hat und dass sich jede Bundesregierung eindeutig zur ODA-Quote bekannt hat. Daher gehört es zur Ehrlichkeit, alles zu tun, um die ODA-Quote zu erreichen. Das sehe ich momentan aber nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt noch immer keinen Stufenplan. Deswegen ist Ihr Appell an die Ehrlichkeit etwas fragwürdig. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das habe ich in Ihrer Regierungszeit auch nicht gesehen!) - Das ist kein Widerspruch zu meiner Aussage. Kommen wir zum G-8-Gipfel. Die Kanzlerin hat dort großzügig 400 Millionen Euro zugesagt. Wir hatten den Eindruck, dass es sich dabei um frisches Geld handelt. Ich habe nicht daran geglaubt, beim BMZ nachgefragt und als schriftliche Antwort bekommen: Ob sich durch aktuelle oder künftige G-8-Zusagen Anpassungserfordernisse ergeben, kann derzeit nicht ausgeschlossen werden. Ins Deutsche übersetzt heißt das: Es wird an anderer Stelle gekürzt. Während die gesundheitlichen Aspekte gestärkt werden sollen, sollen zum Beispiel die Mittel für die Ernährung, die Wasserversorgung oder die Schulbildung gekürzt werden. Ich denke, auch das hat nichts mit Ehrlichkeit gegenüber den betroffenen Menschen zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wie lauten die Lieblingsbegriffe unserer Kanzlerin: Vertrauen, Transparenz, Zuverlässigkeit. Wo sind übrigens die 20 Milliarden von Gleneagles geblieben? So gesehen war der Gipfel in Kanada ein voller Erfolg: 5 Mil-liarden zugesagt, 20 Milliarden gestrichen. Das macht ein Plus von 15 Milliarden. Frau Merkel, Zuverlässigkeit kann man eben nicht nur von anderen einfordern. Mit Ihren leeren Versprechungen und dem Bilateralismustrip des Ministers Niebel ruiniert die Regierung Deutschlands Ruf und verschlechtert die internationale Zusammenarbeit. Das ist alles andere als effizient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zur SPD. Sie plädieren in Ihrem Antrag für eine drastische Anhebung der Beiträge an den Global Fund auf 420 Millionen Euro jährlich. Zweifelsohne hat der Global Fund schon unzählige Menschenleben gerettet. (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: 4 Millionen!) Daher unterstützen wir grundsätzlich die Stärkung des Global Fund. Allerdings ist es unerlässlich, Antworten auf die Frage zu finden, wie es mit dem Global Fund weitergehen soll. Die ausschließlich vertikale Konzentration auf HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose ist nicht zukunftsweisend. Der Global Fund möchte längst selbst seinen Aktionsradius ausweiten. Darin sollten wir ihn unterstützen. Im Sinne einer transparenten und effizienten Mittelverwendung muss im Gegenzug eine unabhängige Kontrolle des Fonds und seiner Projekte eingeführt werden. Es geht jedoch nicht nur um den Global Fund. Globale Gesundheitspolitik umfasst auch Fragen des Patentrechts, der Forschung, Handelsfragen, Gesundheitssystemfragen, Ernährung und Bildung. Es geht auch um das Thema Braindrain. Das riesige Feld der globalen Gesundheit muss aufgrund der Komplexität zukünftig besser koordiniert, das heißt verstärkt multilateral, sogar international bearbeitet werden. Dafür brauchen wir eine Koordinationsstelle. Meiner Ansicht nach kann eine solche Koordinationsstelle nur bei der WHO angesiedelt werden. Nur die WHO ist ausreichend legitimiert und hat das Potenzial dazu. Aus diesem Grund fordern wir in unserem Antrag, dass die WHO die Führungsrolle in der globalen Gesundheitspolitik übernimmt. Die Bundesregierung hat bis 2012 einen Sitz im Exekutivrat der WHO und sollte darauf hinarbeiten, die Koordinationsfunktion der WHO zu stärken. Gemeinsam koordinierte, demokratisch legitimierte globale Gesundheitspolitik ist das Gebot der Stunde und hat nichts mit Suppenschüsselsozialismus, wie Staatssekretär Beerfeltz diesen Effizienzansatz diffamiert, zu tun. Sie ist Voraussetzung - ich bin gleich fertig - für eine effizientere Gesundheitspolitik. Eine höhere Effizienz - Herr Niebel, hören Sie gut zu - darf allerdings nicht durch finanzielle Abstriche konterkariert werden. Die ODA-Quote von 0,7 Prozent muss für Deutschland verpflichtend bleiben. (Beifall der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluss dieser Debatte die schlimmste Krankheitsgeißel dieser Welt in den Mittelpunkt meiner Ausführungen stellen. Etwa 33 Millionen Menschen weltweit sind mit HIV infiziert. Das entspricht der Gesamtbevölkerung von Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern. In den vergangenen Jahrzehnten erlitten 25 Millionen Menschen den meist qualvollen Tod aufgrund einer Aids-bedingten Erkrankung. Die Auswirkungen dieser humanitären Katastrophe konnten wir bisher und können wir auch weiterhin nicht hinnehmen. Aus diesem Grund ist es notwendig, in den nächsten Jahren eine neue nachhaltige Strategie zu entwickeln und diese vor allen Dingen auch mit Konsequenz und kühlem Kopf durchzusetzen. Bei einer nüchternen Betrachtung der vielfältigen weltweiten Bemühungen im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit muss man konstatieren, dass es in den Entwicklungsländern oft an Bewusstsein, an Aufklärung und an medizinischer Hilfe fehlt. Hinsichtlich des Bewusstseins gilt das aber besonders auch für die Industrieländer. Gerade bei uns hat sich die Wahrnehmung in den letzten Jahren verschoben. Man sagt: Medikamente helfen. - Die Krankheit ist und bleibt jedoch tödlich. HIV/Aids wird unter der Mehrzahl der Menschen dieser Erde noch immer totgeschwiegen, als Gottesstrafe verunglimpft oder als Schwulenkrankheit gebrandmarkt. Diese Gleichsetzungen sind nicht nur falsch, sie zeugen auch davon, dass Prävention und Aufklärung im Umgang mit dieser Krankheit weiterhin verstetigt werden müssen. HIV und das Vollbild dieser Krankheit, Aids, sind für die Entwicklungsländer eine gesellschaftliche Katastrophe. Öffentliche Haushalte und die privaten Spender müssen in Zukunft einen Fokus auf die Auswirkungen der Krankheit auf die Gesellschaftsstrukturen unserer Partnerländer legen. Ich glaube, das ist besonders wichtig. Die bisherigen Schwerpunkte, die besonders von multilateralen Organisationen bevorzugt werden, reichen nicht aus. Anstrengungen in der medizinischen Versorgung, zum Aufbau einer Gesundheitsstruktur für ein lebenslanges Einnehmen der Medikamente sowie Prävention sind nur Teilaspekte einer nachhaltigen Strategie gegen diese Krankheit. HIV/Aids ist derzeit schon - das ist besonders wichtig - eine Querschnittsaufgabe im Rahmen der bilateralen EZ. Für diesen Ansatz müssen wir auch verstärkt auf den multilateralen Ebenen werben. Ich kann das BMZ nur unterstützen, wenn es mit seiner Strategie ganz im Gegensatz zum Global Fund wirtschaftliche, soziale und sicherheitspolitische Auswirkungen von HIV/Aids in seine programmatische Arbeit mit einbezieht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutschland handelt dabei fortschrittlich, und ich bitte dringend darum, bei der Vergabe der Mittel und bei der Zweckbindung die sektorenübergreifenden Projekte der GTZ stärker zu unterstützen. Immer neues Geld für den Global Fund ist möglicherweise nicht im gleichen Maße effektiv. (Ulrich Kelber [SPD]: Oh!) Fakt ist: Sollte die internationale Gemeinschaft die derzeit meist multilaterale HIV/Aids-Politik weiterverfolgen, dann sind die bisherigen kleineren Erfolge im Kampf gegen Aids schnell obsolet. Dies ist nicht im Sinne einer verantwortungsvollen Entwicklungspolitik. Meine Damen und Herren, im Süden Afrikas ist inzwischen mehr als ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung infiziert. In Simbabwe und Botsuana sind es derzeit knapp 40 Prozent - fast jeder Zweite. In einem solchen Umfeld ist die gesamte Entwicklungsstrategie ohne direkten Bezug auf HIV/Aids nicht mehr erfolgreich. Wir benötigen vor allen Dingen übergreifende Antworten, und ich kann noch einmal sagen: Wir halten diese Antworten im Rahmen der deutschen bilateralen EZ vor. Es ist kein Geheimnis, dass die Epidemie in Afrika besonders drastische Auswirkungen hat. Nur wenige wissen jedoch, dass sich in Zukunft Ähnliches auch in anderen Regionen dieser Welt abspielen könnte. Aids ist nicht nur ein afrikanisches Problem; das stellen wir immer mehr fest. Es ist ein Problem ganzer Gesellschaften - ob in Osteuropa, im Iran oder auch in vielen asiatischen Staaten. In Asien sind bereits 5 Millionen Menschen infiziert. Länder wie Kambodscha, Myanmar oder Laos haben weltweit die größten Zuwachsraten, vor allem auch in der heterosexuellen Bevölkerung. Meine Damen und Herren, schlimmer noch: Schon jetzt gibt es in Ländern wie China oder Indien Infektionsraten wie in Afrika vor 20 Jahren. Und dort sind aktuell fast 20 Prozent der Bevölkerung infiziert. Was müssen wir tun? Wir müssen erstens Programme dazu entwickeln, wie wir den Verlust des Humankapitals umgehen können. Wir müssen Strategien entwickeln, damit Schulen und Universitäten auf die Situation reagieren können und insbesondere ältere Menschen im Arbeitsleben gehalten werden können. Jugendliche müssen in der Breite eine qualifizierte Ausbildung erhalten. Wir müssen versuchen, die Waisen anzusprechen, sonst zerstören Kriminalität und andere Strukturen ihre Zukunft. Die Budgethilfe ist oftmals nicht zielgerichtet genug. Wir müssen Korbfinanzierung im Gesundheitssystem anbieten. Vor allem müssen wir sicherstellen, dass die Sicherheit und Stabilität ganzer Regionen durch die hohe Infektionsrate in den afrikanischen Armeen nicht gefährdet werden. Denn in diesem Bereich gibt es eindeutig hohe Zuwachsraten. Die Folgekosten von Kriegen und der direkten Ausbreitung der Krankheit werden sonst unabsehbar sein. Der tragische Zyklus beim Thema HIV/Aids-Bekämpfung scheint sich weiter fortzusetzen. Deswegen ist es wichtig, weltweit über neue Strategien nachzudenken und sie in die Tat umzusetzen. Die deutsche Strategie hat den Anspruch, HIV/Aids als Querschnittsaufgabe zu definieren. Die sektorübergreifenden Konzepte sind Lösungsansätze, die weltweit eingesetzt werden sollten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache. Beim Tagesordnungspunkt 13 a wird interfraktionell Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2135 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 13 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel "Die Ziele der Bundesregierung in der Weltgesundheitsorganisation neu ausrichten". Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2465, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1581 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der SPD-Fraktion. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung (Berichtszeitraum 6. April 2006 bis 25. März 2009) - Drucksachen 16/12560, 17/790 Nr. 35, 17/1807 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Thomas Gebhart Dr. Matthias Miersch Michael Kauch Ralph Lenkert Dorothea Steiner Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre und sehe dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und darf nun um Aufmerksamkeit für den ersten Redner in dieser Debatte bitten, den Kollegen Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Der Bericht ist gut - also können auch diejenigen, die jetzt eigentlich gehen wollen, noch bleiben. Denn ich glaube, einem guten Bericht folgt auch gute Arbeit. (Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nun weiß ich zwar nicht, ob die fußballgetrübten Augen jetzt erhellt werden, aber Nachhaltigkeit ist ja längerfristig angelegt und nicht kurzfristig. Insofern will ich bei dem Bericht Dinge - nicht ganz auf der inhaltlichen Ebene - herausstellen, die, glaube ich, wichtig sind. Denn ich glaube, wir haben vieles gemacht, was wichtig und richtig war - Stichworte dazu: demografischer Wandel, Indikatoren für Nachhaltigkeit, Stellungnahme zum Fortschrittsbericht, Generationengerechtigkeit. Auch die Diskussion über die Nachhaltigkeitsprüfung in der Gesetzesfolgenabschätzung und die Planung einer nachhaltigen Infrastruktur betraf wichtige und richtige Themen, deren inhaltliche Breite jetzt nicht darstellbar ist. Der Bericht macht noch einmal deutlich, dass wir beim Thema Nachhaltigkeit die Bretter deutlich schneller und besser gebohrt haben als in den Jahren davor. Aber ich glaube, wir müssen jetzt auch mit Blick auf die aktuelle Legislaturperiode diskutieren, ob wir beim Bohren auch die richtigen Mechanismen benutzt haben oder ob wir den Bohrer hier und da verändern sollten. Zurück zum Einsetzungsbeschluss, der deutlich macht, was vom Beirat erwartet wird. Zu seinen Aufgaben gehört die Begleitung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Des Weiteren kann sich der Parlamentarische Beirat Schwerpunkte setzen und Berichte und Empfehlungen vorlegen. Auf der Ebene der Bundesregierung geschaffene Institutionen werden parlamentarisch begleitet. Es können Empfehlungen zu mittel- und langfristigen Planungen abgegeben werden. Weitere Aufgaben sind die Kontaktpflege und Beratungen mit anderen Parlamenten, die parlamentarische Begleitung der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie und die Unterstützung der gesellschaftlichen Diskussion in diesem Bereich. Das alles ist wichtig und richtig. Ich glaube, wir haben in der letzten Legislaturperiode bewiesen, dass wir das alles gut gemacht haben, um der Nachhaltigkeit einen neuen Impuls zu geben. Trotzdem möchte ich zwei Punkte ansprechen, mit denen wir uns in der aktuellen Legislaturperiode befassen sollten. Der erste Punkt ist die Federführung bei der Nachhaltigkeitsstrategie. Die Arbeit des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung hat auch gewisse Schwächen der Konstruktion aufgezeigt. Problematisch bei der Arbeit des Parlamentarischen Beirats waren die fehlende formale Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren und die fehlende Möglichkeit des Beirats, eigenständig Initiativen einzubringen. Jeder Parlamentarier ist aufgerufen, sich aktiv zu beteiligen - das machen wir auch in den Fachausschüssen -, allerdings konnten wir als Beirat keine parlamentarischen Initiativen einbringen. Ich glaube, dieser Punkt ist zu diskutieren. Gutachterliche Stellungnahmen sind wichtig und richtig, aber wie man weiß, erntet man mit zu vielen Stellungnahmen hier und da möglicherweise die Kritik der Kolleginnen und Kollegen. Wir haben die Mechanismen der Empfehlungen auch sehr dosiert genutzt, finde ich. Trotzdem bleibt die Frage, wie federführend Beteiligung möglich ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Dass das ureigenste Thema der Nachhaltigkeit, nämlich die nationale Nachhaltigkeitsstrategie, nicht federführend in unserer Zuständigkeit liegt, ist sicherlich nicht unproblematisch. Ich muss allerdings in diesem Zusammenhang feststellen, dass die Federführung für nachhaltigkeitsrelevante Themen beim Umweltausschuss liegt. Herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen, insbesondere aus dem Umweltausschuss, die uns gut unterstützt haben. Für diese Kooperation können wir uns nur bedanken. Trotzdem bleibt der Wunsch, dass auch wir eines Tages die Federführung für diesen Bereich bekommen werden. Das haben wir auch in unserer Stellungnahme zum Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie deutlich gemacht. Darin haben wir den Wunsch geäußert, dass, da die Nachhaltigkeit eine übergeordnete Bedeutung hat und eine wichtige Querschnittsaufgabe darstellt, die Zuständigkeit vielleicht am besten dem Bundeskanzleramt zu übertragen wäre. Wie wir in der letzten Beiratssitzung gehört haben, gibt es Länder, in denen die Präsidenten das Thema an sich gezogen haben. Wie es funktionieren kann, wird man in Zukunft sehen müssen. Ich glaube aber, dass es ein wichtiger Impuls wäre, wenn solche Themen, die Querschnittsaufgaben darstellen und auch in der politischen Betrachtung eine neue Dimension bedeuten, an einer entsprechenden Stelle angesiedelt sind. Das können wir zwar alles von der Bundesregierung fordern, aber die Frage ist, wie wir im parlamentarischen Bereich die Bedeutung der Nachhaltigkeit verstärken können. Gerade beim Thema Nachhaltigkeit wünschen wir uns, dass wir nicht hinter der Entwicklung in anderen Ländern zurückstehen. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP ist deutlich formuliert worden, dass wir uns die Federführung für die Nachhaltigkeit wünschen. Das wird auch im zweiten Halbjahr ein wichtiges Thema sein. Ich glaube, wir sind auch argumentativ so gut aufgestellt, dass wir das erreichen können. Ich denke, wir können auch ein wenig stolz darauf sein, dass wir das nächste Brett gebohrt haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Der zweite Punkt, der für uns wichtig sein sollte, ist die Kontinuität und die Funktion im parlamentarischen Geschehen. In der 16. Legislaturperiode erfolgte die Einsetzung des Parlamentarischen Beirats im April 2006 und damit deutlich zu spät. Das hat sich deutlich verbessert. In der laufenden Legislaturperiode erfolgte der Einsetzungsbeschluss im Dezember 2009. Im April 2006 war es aber nicht ganz so einfach, weil der Übergang von der guten Arbeit in der 15. Legislaturperiode problematisch war. Im Grunde ist der Beirat für nachhaltige Entwicklung nichts anderes als ein Ausschuss. Wir sollten nicht über die Formulierung streiten, sondern wir sollten sehen, dass wir die Rechte eines Ausschusses wahrnehmen können. Ob das Gremium "Beirat" oder "Ausschuss für nachhaltige Entwicklung" heißen wird, sei dahingestellt. Ich glaube, dass wir uns mit Blick auf die Erfahrung der Vergangenheit Gedanken darüber machen sollten, wie wir im Parlament stärker Kontinuität wahren können und wie der Parlamentarische Beirat noch weiter in der parlamentarischen Normalität ankommen kann. (Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das waren zwei leicht formalkritische Anmerkungen. Unter dem Strich bleibt das Fazit: Die Wahrnehmung der Nachhaltigkeit wird durch die Arbeit des Parlamentarischen Beirates deutlich gesteigert. Die inhaltliche Schwerpunktsetzung wird im Bericht deutlich. Ich glaube, wir haben alles abgedeckt, was als Querschnittsaufgabe anzusehen ist. Jetzt wünschen wir uns für die Beratungen in den nächsten Wochen und Monaten, dass wir bei der Wahrnehmung im Parlament, aber auch bei der Frage der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie neue Schwerpunkte setzen können. Ich freue mich, wenn wir in vier Jahren den nächsten Bericht haben und wir, was gewisse Verfahrensfragen angeht, einen Schritt weiter sind. Herzlichen Dank für die Arbeit und herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Matthias Miersch für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! "Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung" - ich frage mich, was eigentlich die Zuschauerinnen und Zuschauer denken, was ein Beirat für nachhaltige Entwicklung leisten soll. Das Wort "Nachhaltigkeit" wird von diesem Pult mit Sicherheit in fast jeder zweiten Rede von einem oder einer Abgeordneten verwendet. Der Begriff ist - das ist die Gefahr - inzwischen fast beliebig geworden. Das Spannende ist, den Begriff zu definieren und zu schauen, woher er eigentlich kommt. Wenn man erkennt, dass er, aus der Forstwirtschaft kommend, eigentlich beinhaltet, dass man nur so viele Bäume fällen kann, wie man gleichzeitig neu pflanzt, dann erschließt sich der Sinn dieses Begriffs. Wenn man diesen Sinn an viele Debatten hier als Messlatte anlegen würde, dann würde man feststellen: Das ist ein Thema, das alle anderen Themen in den Schatten stellt. Es geht nämlich um die Frage, ob wir es schaffen, die großen Herausforderungen, denen wir alle miteinander gegenüberstehen, zu meistern und die Probleme der heutigen Generation, aber auch der künftigen Generationen - das ist das Entscheidende; ich sehe nämlich viele jüngere Personen auf der Tribüne - zu lösen. Um bei dem Bild des Brettes, das Sie, Herr Weinberg, gewählt haben, zu bleiben: Das Brett ist noch lange nicht gebohrt. Vielmehr ist das, was wir die letzten vier Jahre miteinander gemacht haben, vielleicht eine kleine Einkerbung gewesen, aber es war noch lange nicht der Durchbruch. Die großen Themen haben wir besprochen, zum Beispiel die demografische Entwicklung. Unsere Gesellschaft wird sich in den nächsten Jahrzehnten rasant ändern. Welche Folgen hat das für unsere sozialen Sicherungssysteme? Welche Auswirkungen hat das für die Infrastruktur, von der Wasserleitung, die plötzlich nicht mehr genutzt wird, weil die Leute in der Region nicht mehr leben, bis hin zum Arzt, zu dem keiner mehr geht und der deswegen schließen muss? Ich nenne das große Thema der Haushaltsverschuldung. Was hat es mit Generationengerechtigkeit zu tun, wenn wir den nachfolgenden Generationen immer mehr Schulden aufbürden? Ich nenne das Thema Energie. Wir hinterlassen Müll von Atomkraftwerken und wissen heute noch nicht, wo er eigentlich gelagert werden soll. Aber wir produzieren immer weiter. Das sind die großen Themen, die uns hier in diesem Parlament auf allen Gebieten beschäftigen. Entscheidend ist, so glaube ich, dass wir jetzt an einem Punkt angekommen sind, an dem wir sagen: Nachhaltigkeit muss durch den Parlamentarischen Beirat ein Gesicht bekommen. Wir müssen noch deutlicher sichtbar werden als bisher. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) All den Riesenherausforderungen, die wir vor uns haben, haben wir uns heute noch nicht zufriedenstellend gestellt. Sonst könnten wir sagen, wir können die Arbeit auch einstellen. Ich habe den Eindruck, dass wir teilweise in zwei Welten leben. Es gibt eine interessierte Fachwelt, die uns sagt: Das, was ihr da macht, ist viel zu wenig; ihr müsst viel mehr einsetzen. - Andere fragen: Warum soll jetzt über einen Zeitraum von 20, 30 Jahren nachgedacht werden? Jetzt sind die Probleme drängend. - Darüber müssen wir in diesem Beirat reden. Wir haben aus meiner Sicht ein ganz entscheidendes Kriterium nach langem, schwerem Kampf eingeführt. Ich spreche Andreas Jung an, mit dem ich als Berichterstatter damals für die Nachhaltigkeitsprüfung gestritten habe. Es war richtig schwer, in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien zu verankern, dass sie bei ihren Gesetzesvorhaben eine Nachhaltigkeitsprüfung vornehmen müssen. Heute, wo dies in der Gemeinsamen Geschäftsordnung verankert ist, sehen wir, wenn wir einen Gesetzentwurf lesen, keine Ausführungen dazu, inwieweit er nachhaltig ist. Somit können wir die entsprechende Bewertung, die ja im politischen Raum vorzunehmen ist, heute noch nicht vornehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir können als Parlamentarier nicht sagen: Die Regierung hat sich dieses Thema vorgeknöpft und sich mit der Interessensabwägung beschäftigt. Wir finden keine ausreichenden Ausführungen, die es uns als Parlamentarischem Beirat ermöglichen, den Ausschussmitgliedern, die sich jetzt mit dem Gesetzentwurf beschäftigen, zu sagen: Guckt da noch einmal genauer hin. - Dies darf nicht so bleiben, wenn wir als Beirat nicht ebenso der Beliebigkeit ausgesetzt werden wollen, wie es teilweise auf den Begriff der nachhaltigen Entwicklung zutrifft. Ich glaube, wir sind an einer ganz entscheidenden Weichenstellung angekommen. Wenn es uns in dieser Legislaturperiode nicht gelingt, dieses einzufordern, dann wird die Glaubwürdigkeit unseres Gremiums - das glaube ich jedenfalls - nicht größer werden. Es wird unter Umständen vielmehr dazu kommen, dass man sagt: Das Parlament ist nicht in der Lage, die Gesetze auch an einer solchen Messlatte auszurichten. Deswegen ist das meines Erachtens - das ist auch die Haltung meiner Fraktion - eine der entscheidenden Aufgaben in dieser Legislaturperiode. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das zweite Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, ist das große Thema Wachstum. Welchen Begriff von Wachstum haben wir eigentlich? Neben Nachhaltigkeit kommt auch Wachstum in jeder zweiten Rede vor. Wohin wollen wir eigentlich wachsen? Ist die Welt, die auf ein "immer höher, immer weiter" setzt, eigentlich eine zukunftsfähige Welt? Denken wir nur an die Endlichkeit von Ressourcen wie Öl und Gas. Denken wir auch an die Finanzwelt. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass das "immer höher, immer weiter" kläglich gescheitert ist. Das muss uns eigentlich zu denken geben. Wir müssen umdenken. Wir müssen aus der Wachstumsfalle herauskommen, in die wir hineingelaufen sind und in der wir teilweise noch feststecken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir brauchen einen neuen Begriff, hinter dem sich Menschen versammeln können und der sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene als Leitbild dienen kann. Das Motto der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio "Global denken, lokal handeln" müssten wir eigentlich wieder zum Leben erwecken. Das ist unsere Aufgabe. Ich wünsche mir, dass wir im Parlamentarischen Beirat den Menschen in Deutschland in den nächsten Monaten und Jahren zeigen, dass es auch Entwürfe einer tatsächlich auch auf künftige Generationen bezogenen Lebensweise gibt. Wir müssen aber auch überlegen, ob das Weniger nicht letztlich viel mehr ist. Das ist das Entscheidende. Ich als heute Verantwortung tragender Politiker glaube, dass wir das mit Jüngeren und mit Älteren diskutieren müssen. Wir dürfen Generationen nicht auseinanderdividieren, sondern müssen überlegen, wie wir die großen Herausforderungen, die ich anfangs skizziert habe, gemeinsam meistern. Ich bin mir sehr sicher, dass wir bei dieser Suche gänzlich neue Lebensentwürfe finden werden. Das müsste eigentlich die über allem stehende Aufgabe dieses Parlaments sein. Ich wünsche mir deshalb, dass wir irgendwann einmal hier in diesem Haus eine Debatte führen, bei der dieser Saal voll besetzt ist und bei der ganz viele Leute vor den Fernsehern sitzen und sagen: Mensch, da sind die Impulse, für die es sich lohnt, vor Ort zu streiten. - Wir haben ganz viel vor. Das Brett ist ganz dick. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Kauch (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Gremium des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung ist darauf ausgerichtet - das kommt in diesem Parlament selten vor -, Konsens zu erzielen. Eine gewisse Einigkeit jenseits von Fraktionsgrenzen ist für nachhaltige Entwicklung von großer Bedeutung. Wir müssen nämlich einen roten Faden entwickeln, der auch über Legislaturperioden hinweg hält und nach einem Wechsel von Regierungen dieses Landes nicht reißt. Es ist also wichtig, dass es dieses Gremium gibt. Ich finde es ausgesprochen angenehm, wie in diesem Gremium gearbeitet wird. Dort gibt es eben nicht den üblichen Reflex, dass die Opposition einen Antrag stellt, die Regierung ihn ablehnt bzw. umgekehrt. Davon könnten wir uns an der einen oder anderen Stelle, zumindest in den Fachausschüssen - ich weiß, das ist ein frommer Wunsch -, eine Scheibe abschneiden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU, der SPD und der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir wollen mehr Generationengerechtigkeit; das ist unser Anliegen. Die Finanzkrise hat deutlich gemacht, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. Die Rechnung - sie ist das Ergebnis der Rettungspakete, die geschnürt wurden - wird den kommenden Generationen präsentiert werden. Diese Generationen werden die angehäuften Schulden abtragen müssen. Wir haben unsere Sozialsysteme nicht ausreichend an den demografischen Wandel angepasst. Wir schaffen eine Infrastruktur, die an die Perspektive einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung oft nicht angepasst ist. Aber das haben wir erkannt und versuchen jetzt als Demokraten, Veränderungen vorzunehmen. (Beifall des Abg. Michael Link [Heilbronn] [FDP]) An dieser Stelle möchte ich ganz deutlich sagen: Es gibt abschreckendere Beispiele in der deutschen Geschichte dafür, wie nachhaltige Politik nicht aussehen sollte. Wir sind im 20. Jahr der deutschen Einheit. Nach der Sommerpause werden die Einheitsfeierlichkeiten stattfinden. Man muss einmal zurückschauen: Was war denn in der DDR? Was war denn unter der SED-Diktatur? Da gab es nicht nur Menschenrechtsverletzungen. Damals wurde auch die unnachhaltigste Politik betrieben, die ein deutscher Staat je erlebt hat. In die Gebäude wurde nicht investiert; sie wurden heruntergewirtschaftet. Vor 20 Jahren war man auch finanziell am Ende. Es gibt keine andere Region in Deutschland, die 1990 ökologisch so heruntergewirtschaftet war wie die Gebiete, über die die SED geherrscht hat. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich freue mich schon auf den Beitrag der Linken. Wahrscheinlich wird man wieder erklären, dass Generationengerechtigkeit nicht so wichtig ist wie die Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich. Gerechtigkeit zwischen den Generationen ist eine Grundvoraussetzung für soziale Gerechtigkeit. Wer die Gerechtigkeit zwischen den Generationen mit Füßen tritt, der wird keine soziale Gerechtigkeit erreichen können. Vielen Dank, meine Damen und Herren! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Das klingt ja so, als wenn Sie sie gegeneinander ausspielen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kollege Ralph Lenkert. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Demografische Entwicklung und nachhaltige Infrastrukturpolitik waren im Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung in der 16. Wahlperiode ein wichtiges Thema. Die Feststellung, dass die Betrachtung der Nachhaltigkeit bei der Infrastrukturentwicklung bisher zu kurz gekommen ist und mehr Bedeutung erlangen muss, war wichtig und gut. Infrastrukturentscheidungen benötigen Jahre und wirken Jahrzehnte. Straßenbauprojekte, Stromnetze, Schulgebäude, Altersheime usw. können optimal, zu knapp oder zu groß geplant werden. Krasse Negativbeispiele für falsche Annahmen finden sich beispielhaft bei der völlig überdimensionierten Kläranlagenplanung in Ostdeutschland in der Mitte der 90er-Jahre. (Beifall bei der LINKEN) Allerdings fand bei diesen eben keine Nachhaltigkeitsbetrachtung statt, sondern man verließ sich auf alte Statistiken, Erfahrungswerte und Berater wie einen quirligen Professor, der mehr seinen Gewinn im Auge hatte als eine optimale nachhaltige Projektabrechnung. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!) Ausbaden müssen diese Fehler jetzt Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen in Form von hohen Abwassergebühren und Kommunen in Form von dauerhaften Lasten in ihren Haushalten. In Kahla, ein Ort mit 8 000 Einwohnern, liegen die Abwasserbeiträge bei über 15 Euro je Kubikmeter - dank der Beratung dieses Professors, der übrigens einen Honorarvertrag mit der beauftragten Baufirma hatte. Der Freistaat Thüringen sprang subventionierend ein. Trotzdem musste die Stadt wegen der Kläranlagenschulden jahrelang unter Zwangsverwaltung leben. Zu Recht bemängelte der Parlamentarische Beirat in der letzten Wahlperiode, dass gerade im Infrastrukturbereich im Bund, in den Ländern und in den Kommunen der Nachhaltigkeitsgedanke fehlt. Jeder von uns weiß: Politische Mehrheiten ändern sich während der Lebensdauer von Infrastruktureinrichtungen öfter. Deshalb begrüßt die Linke, dass der Beirat sich bemüht, seine Bewertungen im Konsens der Fraktionen zu treffen. Sicher haben wir teilweise unterschiedliche Vorstellungen, aber wenn wir im Beirat im Konsens bewerten, besteht die Chance, dass entsprechende Entscheidungen auch lange gelten. (Beifall bei der LINKEN) Eine Schienennetzplanung, die von Schwarz-Gelb 2011 erfolgt, könnte dann 2015 zum Beispiel von Rot-Grün ergänzt statt rückgängig gemacht werden, und die Linke könnte 2018 in Regierungsverantwortung auf den vorherigen Konzepten aufbauen. (Beifall bei der LINKEN) Gelingt es dem Beirat für Nachhaltigkeit, mit seiner Arbeit eine solche Politik zu erreichen, dann ist er unglaublich wertvoll. Sollte dann 2030 die Union die Opposition vielleicht mal wieder verlassen können, wird sie es schätzen, dass der Beirat auch unter linker Kontrolle im Konsens wirkte. Leider können wir Linken heute nur das Bemühen des Parlamentarischen Beirats zur fraktionsübergreifenden Arbeit feststellen. Die Weigerung der Unionsfraktion, gemeinsam mit der Linken Anträge zu stellen, selbst dann, wenn man gleicher Meinung ist, ist dumm. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der SPD: Ungeheuerlich!) Das ist ein Zeichen von Demokratieunfähigkeit und verachtet die freie politische Meinung jeder achten Wählerin und jeden achten Wählers. Liebe Unionisten, werfen Sie Ihre Vorurteile über Bord! Wer Demokratiebekenntnisse einfordert, muss Demokratie vorleben; sonst gefährdet er selbst die Demokratie, und zwar nachhaltig. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Erzählen Sie uns nichts über Demokratie!) Wenn die Linke 2017 die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler stellt, werden wir die Demokratie hochhalten, auch für Sie von der CDU/CSU. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Dann bin ich nicht mehr da! - Daniela Raab [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Die Hitze verträgt nicht jeder! Ihr solltet euren Kollegen bei der Hitze besser kühlen!) Bis dahin arbeiten wir im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung konstruktiv mit. Der Bericht des Beirats für Nachhaltigkeit für die letzte Wahlperiode ist inhaltlich akzeptabel. Da aber das Bemühen um nachhaltige Zusammenarbeit mit der Union bisher umsonst war, will die Linke der Union die Zustimmung zum Bericht erleichtern und enthält sich deshalb der Stimme. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Valerie Wilms für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute schon eine ganze Menge zum Thema "nachhaltige Entwicklung" gesagt worden. Sicherlich trifft das zu, Herr Weinberg, was Sie als derjenige, der auch Erfahrung aus der letzten Wahlperiode hat - diese Erfahrung habe ich leider nicht unmittelbar -, gesagt haben: Da sind sauber dicke Bretter gebohrt worden. Ich bin aber jetzt in die Erstellung des Tätigkeitsberichts eingestiegen und mit Ihnen dabei. Was ich zumindest feststellen kann, ist: Gegenüber dem, was mir aus den letzten Wahlperioden berichtet wurde, haben wir deutlich an Fahrt aufgenommen. Wir sind schnell in Gang gekommen. Wir haben nach der Einsetzung nur ein Vierteljahr gebraucht. Insofern möchte ich das, was Sie zuerst gesagt haben, unterstützen. Wir müssen zukünftig deutlich anders aufgestellt werden und dürfen nicht nur über einzelne Initiativen in Gang kommen. Wir müssen tatsächlich wie ein Ausschuss behandelt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schauen wir mal, ob wir das in dieser Wahlperiode hinbekommen! Wenn uns das gelingt, hätten wir ein weiteres dickes Brett sauber gebohrt. Vor einer Woche haben wir hier schon über das Thema "Peer Review" diskutiert, also darüber, wie die externen Fachleute aus dem Ausland auf uns schauen. Jetzt schauen wir einmal, was in den letzten vier Jahren gemacht worden ist. Dazu ist in der letzten Wahlperiode eine umfassende Stellungnahme eingebracht worden. Wir können Folgendes feststellen: Die Bundesregierung hat die Anregungen, die vom damaligen Parlamentarischen Beirat gegeben wurden, durchaus aufgenommen. Denn - das ist auch für uns Grüne entscheidend - beim Thema Nachhaltigkeit müssen wir alle an einem Strang ziehen. Sonst erreichen wir wenig oder gar nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir uns interfraktionell aufstellen. Nur so schaffen wir es, unabhängig von Wahlperioden und wechselnden Mehrheiten Erfolge zu erzielen. Volker Hauff, der ehemalige Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, hat es plastisch dargestellt: Würden wir die Zeit bis zum Erreichen des Ziels der nachhaltigen Entwicklung in 24 Stunden einteilen, dann wäre gerade einmal eine halbe Stunde vergangen. Wir benötigen noch 23,5 Stunden. Das ist eine ganze Menge Zeit. Wir müssen wirklich intensiv weiterarbeiten. Eine sehr große Leistung, die der Beirat in der letzten Wahlperiode vollbracht hat, ist das Etablieren einer Nachhaltigkeitsprüfung in der Gesetzesfolgenabschätzung. Kollege Miersch hat schon darauf hingewiesen, welche Probleme es dabei gibt. Wir sind in dieses Thema eingestiegen. Schauen wir einmal, ob sich die Regierung bewegt und ob sie die entsprechenden Dokumente immer liefert. Denn jedes Ministerium ist verpflichtet, die Auswirkungen von Gesetzesvorhaben auf zukünftige Generationen zu überprüfen. Schauen wir uns einmal das Beispiel Staatshaushalt an. Wir nehmen Kredite auf ohne Ende, in jeder Wahlperiode wieder neu. Unabhängig davon, wer an der Regierung ist, werden neue Kredite aufgenommen. Wir alle - nicht nur wir, die wir hier sitzen - müssen die Kosten für Tilgung und Zinsen zahlen. Gerade unsere Kinder und Kindeskinder und noch mehrere darauffolgende Generationen müssen dafür aufkommen. Wir müssen also einen Weg aus der Verschuldung finden. Sonst bleibt nichts mehr übrig für sinnvolle und wichtige Investitionen. Sparen bedeutet, durch vernünftiges Handeln den finanziellen Gestaltungsspielraum, den wir haben, zu erhalten. Wir Grüne haben dafür eine lange Liste von Vorschlägen erarbeitet, die durchaus zügig umgesetzt werden können. Einen entscheidenden Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang ansprechen. Es geht um das Thema externe Kosten. Wir müssen uns damit sehr viel intensiver beschäftigen. Denn bisher herrscht die Meinung vor, dass etwas, das nichts kostet, es nicht wert ist, berücksichtigt zu werden. Was gibt es umsonst? Luft und Umwelt, denn Schäden bezahlt der Steuerzahler. Das geht so nicht weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Wir brauchen dringend eine Lösung für dieses Problem und müssen es schaffen, die Kosten von Umweltauswirkungen mit einzuberechnen. Herr Miersch, es ist daher sicherlich sinnvoll, sich mit dem Thema Wachstum zu beschäftigen und sich zu fragen, ob Kennzahlen wie das Bruttoinlandsprodukt das richtige Maß sind. Für mich ist entscheidend, dass wir als Parlamentarier in diesem Hohen Hause dafür gewählt worden sind, Leitplanken zu setzen. Diese Aufgabe sollten wir endlich angehen. Lassen Sie uns in Sachen Nachhaltigkeit weiterhin an einem Strang ziehen! Die Menschen in unserem Lande erwarten, dass wir auch einmal über den Tellerrand des täglichen Hickhacks hinausschauen. Diese Art von Auseinandersetzung führen wir in den Ausschüssen viel zu oft. Sorgen wir also dafür, dass wir weiterhin in diesem Parlamentarischen Beirat so erfolgreich arbeiten und ihn auch noch institutionalisiert bekommen. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Günter Krings für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt, sollte selbst auch nachhaltig handeln. Daher ist es richtig, dass wir uns heute die Ergebnisse aus der letzten Wahlperiode anschauen und uns fragen, wie wir sie für die aktuelle und für künftige Wahlperioden nutzbar machen können. Nachhaltiges Arbeiten des Ausschusses bzw. des Beirates heißt natürlich auch, Kontinuität zu wahren. Als Vorsitzender in der letzten Wahlperiode habe ich natürlich ein besonderes Interesse daran, zu schauen, welche Erkenntnisse aus der letzten Wahlperiode wir sozusagen retten können und welche Vorarbeiten wir jetzt umsetzen können. Wir haben in der vergangenen Wahlperiode - ich will nur drei Stichworte nennen - eine Reihe spezieller, teilweise auch recht breit aufgestellter Themen in diesem großen Bereich Nachhaltigkeit bearbeitet. Ich denke dabei an umfangreiche Anhörungen, die wir durchgeführt haben, und an Anträge, die wir zum Bereich demografischer Wandel und Infrastruktur erarbeitet haben. Es klang eben schon bei den Vorrednern an, dass es nicht nur um Sozialversicherungen oder Geldfragen geht, sondern auch um die Fragen: Wie bauen wir unser Land? Wie machen wir es fit für die Zukunft? Wie stellen wir sicher, dass wir bei Infrastrukturentscheidungen nicht nur an den Bedarf der nächsten 5, 10 Jahre denken, sondern auch an den Bedarf, soweit er absehbar ist, der nächsten 30, 40, 50 Jahre? Wir haben uns mit dem Thema Generationenbilanzen beschäftigt. Wir haben uns mit dem Megathema der Nachhaltigkeit im Umweltbereich, dem Klimawandel beschäftigt. Zu diesem Thema haben wir eine gemeinsame Anhörung des Umweltausschusses und des Forschungsausschusses veranstaltet. Vor allem haben wir uns in der vergangenen Legislaturperiode konzeptionell mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Wir haben uns etwa angesehen, wie man Nachhaltigkeitsprüfungen in der Gesetzgebung verankern kann. Wir haben es durchgesetzt - Herr Miersch ist bereits darauf eingegangen -, dass es in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien verankert wird. Das klingt alles nicht besonders sexy, nicht nach einer besonders tollen Aktion, die man plastisch darstellen kann, aber es ist die Voraussetzung dafür, dass Nachhaltigkeit nicht nur in Sonntagsreden auftaucht, sondern praktisch umgesetzt und methodisch abgearbeitet werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt kommt es darauf an - auch darin stimme ich dem Kollegen Miersch zu -, dass wir in der aktuellen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages die Konzepte mit Leben füllen und umsetzen. Die Hauptaufgabe wird dabei sein, die seit Jahren bestehende Nachhaltigkeitsstrategie - wir haben gute Ziele formuliert, aber in manchen Bereichen kann man noch etwas verbessern - in der konkreten Gesetzgebungsarbeit umzusetzen. Das sind, wenn man so will, die beiden Welten, von denen Sie gesprochen haben. Das eine ist die Welt einer Strategie, die man mit Fachleuten diskutieren kann, und das andere ist das hier stattfindende Tagesgeschäft, die Gesetzgebung. Das muss etwas miteinander zu tun haben; denn sonst ist das eine nur etwas Nettes für die Galerie, das das andere aber nicht beeinflusst. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aus diesem Grunde bin ich der pragmatischen Auffassung, dass nicht nur das Grundgesetz auf den Schreibtisch eines jeden Ministerialbeamten, der Gesetzentwürfe erarbeitet, gehört. Auf jeden Schreibtisch gehört beispielsweise auch die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Ich will nun nicht durch alle Büros der Bundesregierung und der Ministerien gehen, um das zu kontrollieren, aber ich kann jeden, der in einem Ministerium arbeitet, ermuntern, sich die Strategie durchzulesen bzw. zu fragen, ob die Strategie bekannt ist; denn wie können wir erwarten, dass die formulierten Ziele bei einem Gesetzgebungsvorhaben rückgekoppelt werden, wenn die Strategie nicht bekannt ist? Insbesondere sollten sich alle, und zwar nicht erst, wenn sie an einem Gesetzentwurf arbeiten, schlau machen, was überhaupt in der Nachhaltigkeitsstrategie steht, und fragen, was Nachhaltigkeit bedeutet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der traditionelle Ansatz von Politik ist meines Erachtens oft nicht strategisch, nicht zielorientiert, sondern inputorientiert. Ein Minister bzw. eine Ministerin lässt sich eher dafür feiern - daran kann man ja angeblich wunderbar das Wirtschaftswachstum ablesen -, wie viel Geld er ausgeben darf bzw. wie viel er von seinem Haushalt gerettet oder ihm hinzugefügt hat. Ich finde, das ist kein taugliches Mittel einer modernen Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Richtig wäre ein erfolgsorientierter Ansatz, in dem bestimmte Ziele definiert werden, wie das in der Nachhaltigkeitsstrategie geschieht. Aufgabe müsste es also sein, die Ziele mit möglichst wenig Mitteln zu erreichen. Die Ziele sind das Entscheidende, nicht das Geld, das ausgegeben wird. Ich finde nicht, dass es besonders lobenswert ist, wenn ein Minister besonders viel Geld für einen Etat ausgibt, sondern es ist lobenswert, wenn er die Ziele, die man vorher gemeinsam definiert hat, besonders gut erreicht. (Daniela Raab [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Neues Denken hat immer auch mit der Generationenfrage zu tun. Ich möchte niemanden zurücksetzen, aber mir ist in der Spardiskussion über den Bundeshaushalt der letzten Tage und Wochen schon aufgefallen, dass die Minister unterschiedlich damit umgegangen sind. Ich will inhaltlich nichts zum Sparpaket sagen, dazu gibt es genug Debatten in diesem Haus. Mir hat es imponiert - um ein Beispiel herauszugreifen -, dass unsere Familienministerin Schröder sehr früh überlegt hat - ihr Etat hat an sich sehr viel mit Generationen, mit Jung und Alt, zu tun -, welche Sparvorschläge sie machen kann. Sie hat proaktiv und gestalterisch Ansätze gesucht. Ich finde, das müsste Schule machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Generationengerechtigkeit drückt sich eben nicht nur darin aus, möglichst viele Einzelprojekte für Jung und Alt, also für die verschiedenen Generationen, aufzulegen, sondern Generationengerechtigkeit heißt eben auch - Frau Wilms, Sie haben es eben gesagt -, dass man möglichst viel Geld für zukünftige Generationen zusammenhält. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]) Zurzeit ist die Nachhaltigkeit ein mehr denn je drängendes Problem. Lassen Sie mich einige Stichpunkte nennen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die wir erleben, hat maßgeblich mit mangelnder Nachhaltigkeit beim Wirtschaften zu tun. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr!) Nachhaltige Haushaltspolitik ist ein Postulat und in Zeiten der Finanzkrise nötiger denn je. Ich persönlich bin der Auffassung - über die Einzelheiten kann man streiten -, dass wir diese Krise und ihre Konsequenzen besser durch Regulierung als durch Geldausgeben in den Griff bekommen. (Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir müssen auch feststellen, dass der Klimawandel, der uns in den letzten Jahren stärker beschäftigt hat, keine Pause eingelegt hat, als die Finanzmarktkrise über uns hereingebrochen ist. Wir müssen aufpassen, dass diese langfristig wirklich wichtigen Themen nicht unter die Räder der aktuellen Politik kommen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will zum letzten Punkt kommen und zwei Bemerkungen zur Rolle des Nachhaltigkeitsbeirats und zur Verwirklichung des Nachhaltigkeitsgedankens machen: Es ist gut und wichtig, dass wir, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, erste wichtige Schritte unternommen haben - weitere werden folgen - und die Nachhaltigkeitsstrategie federführend beim dafür eingesetzten Gremium, dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung, verhandeln. Das war eine gute und wichtige Errungenschaft. Das werden wir durchsetzen. Der zweite Punkt ist: Wir werden die Wachhundfunktion, die oft angesprochen worden ist, stärker wahrnehmen. Meine langfristige Vision beim Thema Nachhaltigkeit ist - den Gedanken darf ich vielleicht noch sagen -, dass dieser Nachhaltigkeitsbeirat irgendwann einmal überflüssig ist, weil der Gedanke der Nachhaltigkeit allen Gremien dieses Hauses in Fleisch und Blut übergegangen ist. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg; auch das ist deutlich geworden. Ich freue mich, diesen Weg in der aktuellen Wahlperiode als einfaches Mitglied dieses Beirates mitgehen zu können. Ich freue mich auf weitere lebhafte Debatten und gemeinsame Ergebnisse. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/1807 zu dem Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Berichts auf Drucksache 16/12560 eine Entschließung anzunehmen. Über diese Beschlussempfehlung werden wir nun abstimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eva Högl, Dr. Peter Danckert, Sebastian Edathy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (Ratsdok. 8157/10) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Menschenhandel bekämpfen - Opferschutz stärken - Drucksache 17/2344 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Ute Granold, Dr. Eva Högl, Jörg van Essen, Ulla Jelpke und Jerzy Montag. Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute über einen Antrag der SPD-Fraktion, der eine Stellungnahme des Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 Grundgesetz zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz zum Gegenstand hat. Die besagte Richtlinie sieht vor, den EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des Menschenhandels aus dem Jahr 2002 abzuändern. Bereits im März 2009 hatte die Kommission einen inhaltsgleichen Rahmenbeschluss eingebracht, diesen dann aber wieder zurückgezogen. Sie hat stattdessen eine Richtlinie auf den Weg gebracht, da nach ihrer Auffassung Änderungen der nationalen Strafvorschriften nur mittels einer Richtlinie geregelt werden können. Im Bereich des materiellen Strafrechts sieht diese insbesondere vor, das Schutzalter von 16 auf 18 Jahre hochzusetzen. Zudem sollen die gerichtliche Zuständigkeit und die Strafverfolgung einheitlich geregelt werden. Der Schwerpunkt des Richtlinienentwurfs liegt allerdings in der Verbesserung der Opferrechte im Strafverfahren sowie der Unterstützung der Opfer. So soll die Unterstützung der Opfer künftig nicht von deren Bereitschaft abhängen, als Zeuge auszusagen. Außerdem sieht die Richtlinie die Schaffung nationaler Berichterstatter vor. Das Europäische Parlament hat in einer Entschließung die Zielrichtung des Richtlinienentwurfs und die darin vorgeschlagenen Maßnahmen ausdrücklich begrüßt - diese betrifft vornehmlich die Verbesserung des Opferschutzes. Zusätzlich zu den im Richtlinienentwurf vorgesehenen nationalen Berichterstattern plädiert das Europäische Parlament für die Schaffung einer neuen Stelle, die die Bekämpfung des Menschenhandels europaweit koordinieren soll, ein sogenannter EU-Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels. Von besonderer Bedeutung ist die Forderung des Europäischen Parlaments, im Sinne einer wirksameren Prävention auch die Nachfrageseite in den Fokus zu nehmen. Das Parlament fordert hierzu explizit - ich zitiere - Die weitere Prävention und das weitere Vorgehen sollten sich auch an die Personen richten, die von den Opfern des Menschenhandels angebotene Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass sowohl die Verhältnismäßigkeit als auch der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt sind. Auch im Unterausschuss Europarecht des federführenden Rechtsausschusses des Bundestages gab es diesbezüglich keine Bedenken. Von der Möglichkeit einer Rüge wurde daher nicht Gebrauch gemacht. Die SPD-Fraktion kann sich zwar mit der Zielsetzung der Richtlinie identifizieren, will jedoch darüber hinaus von der Bundesregierung in den weiteren Beratungen im Rat verschiedene Ergänzungen und Klarstellungen durchgesetzt sehen. Auch wir begrüßen den Richtlinienvorschlag der Kommission ausdrücklich. Der Kampf gegen Menschenhandel ist für uns seit Jahren ein wichtiges Anliegen. Wir haben 2005 gemeinsam die Strafvorschriften gegen Menschenhandel umfassend neu geregelt und einen neuen Straftatbestand "Menschenhandel" in das Strafgesetzbuch eingeführt. In der letzten Legislaturperiode haben wir dann die Richtlinie über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren, umgesetzt. Diese so genannte Opferschutzrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einer Reihe von Maßnahmen zugunsten jener Opfer, die bereit sind, mit den Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten zusammenzuarbeiten und sich als Zeugen zur Aufklärung und Verfolgung entsprechender Straftaten zur Verfügung zu stellen. Zu diesen Maßnahmen zählen insbesondere die Einräumung eines Aufenthaltsrechts zumindest für die Dauer des Strafverfahrens, Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildungsangeboten sowie die medizinische Versorgung, Beratung und Betreuung. Diese Vorgaben hat die Bundesrepublik mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz eins zu eins umgesetzt: Nach § 25 Abs. 4 a Aufenthaltsgesetz steht den Menschenhandelsopfern aus Drittstaaten nunmehr ein Recht zum vorübergehenden Aufenthalt für die Zeitdauer der Mitwirkung im Strafverfahren unter Befreiung von allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu. Zudem wurde im Aufenthaltsgesetz eine Ausreisefrist von mindestens vier Wochen als Bedenkzeit für eine Kooperation mit den zuständigen Behörden festgelegt. Darüber hinaus wird den Betroffenen für die Dauer des Aufenthaltstitels der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildungsangeboten eröffnet. Schließlich gewährleistet das Asylbewerberleistungsgesetz eine hinreichende medizinische Versorgung sowie Beratung und soziale Betreuung. Die Bundesrepublik erfüllt somit schon jetzt die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Akuter gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht demnach zumindest aus europarechtlichen Gründen nicht. Im Übrigen ist die konkrete Umsetzung des geltenden Gemeinschafts-rechts, also hier die von der SPD aufgeworfene Frage, ob § 25 Abs. 4 a Aufenthaltsgesetz als Kann- oder Sollvorschrift ausgestaltet werden soll, gerade nicht Gegenstand der derzeit anhängigen Beratungen zur neuen Richtlinie. In Fällen unzureichender Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben wäre es vielmehr zunächst Sache der Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik einzuleiten. Wie ich bereits ausgeführt habe, haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Dahin gehende Überlegungen in der Kommission sind daher auch nicht zu erwarten. Unabhängig davon sind wir als Union jedoch grundsätzlich dafür offen, auch über eine Verbesserung des aufenthaltsrechtlichen Status der Menschenhandelsopfer zu sprechen. Bereits gegen Ende der letzten Legislaturperiode waren wir auf einem guten Weg, gemeinsam mit unserem damaligen Koalitionspartner eine vielversprechende Gesetzesinitiative auf den Weg zu bringen. Bei den Beratungen haben wir nicht nur über die sogenannte Freierstrafbarkeit, sondern auch über konkrete Verbesserungen des aufenthaltsrechtlichen Status von Menschenhandelsopfern gesprochen. Zu unserem Bedauern hat die SPD jedoch aus wahltaktischen Gründen keine Einigung gewollt. Der jetzige Antrag erscheint allerdings auch aus anderen Gründen problematisch. Die SPD fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der entsprechende Änderungen im Aufenthaltsgesetz zum Gegenstand haben soll. Das heißt, die Bundesregierung soll auf nationaler Ebene ein Gesetz vorlegen. Hierfür ist eine Stellungnahme nach Art. 23 Abs. 3 Grundgesetz das falsche Instrument. Eine solche Stellungnahme zielt nämlich ausschließlich darauf ab, der Bundesregierung ein Mandant für die Verhandlungen und die Gesetzgebung auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene zu geben. Mit Blick auf die Forderungen, die Änderungen im deutschen Aufenthaltsrecht betreffen, hätte die SPD folglich nicht eine Stellungnahme nach Art. 23 Abs. 3 Grundgesetz, sondern einen auf Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs gerichteten Antrag einbringen oder gegebenenfalls einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen müssen. Der vorliegende Antrag erscheint daher schon aus formellen Gründen problematisch. Ähnlich verhält es sich mit der Forderung an die Bundesregierung, das Übereinkommen des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels zeitnah zu ratifizieren. Besagtes Übereinkommen steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Richtlinienvorschlag. Europarat und Europäische Menschenrechtskonvention auf der einen sowie Europäische Union und Gemeinschaftsrecht auf der anderen Seite bilden zwei unterschiedliche Ebenen bzw. Rechtsräume. Bei dem Übereinkommen handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der nicht mit der Europäischen Union verwechselt werden darf. Der Europäischen Union fehlt nach geltendem Gemeinschaftsrecht in diesem Bereich die Kompetenz für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge. Diese liegt alleine bei den Mitgliedstaaten des Europarates. Es wäre insofern irrelevant, wenn die Bundesregierung auf Gemeinschaftsebene im Rahmen der Verhandlungen zum Richtlinienvorschlag eine zügige Ratifizierung des Europaratsüberkommens fordern würde. Auch insofern ist die Stellungnahme nun einmal das falsche Instrument. Nur am Rande sei erwähnt, dass nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung die Zuständigkeit für die Ratifizierung dem Bundesgesetzgeber und nicht der Bundesregierung zugewiesen ist. Der Antrag verkennt also die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung - ein weiterer formeller Grund, den Antrag abzulehnen. Nur der Vollständigkeit wegen sei darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung das Übereinkommen bereits am 17. November 2005 gezeichnet hat. Eine Ratifizierung soll nun in Kürze erfolgen. Wir stimmen aber überein, dass europarechtliche Vorgaben keine Regelungen enthalten sollten, die die Kohärenz des nationales Sanktionssystem gefährden können. Da jedoch die Bundesregierung wiederholt klargestellt hat, dass sie diese Auffassung voll und ganz teilt und somit ein eigenes Interesse hat, diese Position in den weiteren Beratungen der Richtlinie zu vertreten, bedarf es insofern auch keiner Stellungnahme des Bundestages. Wie in der Vergangenheit sind wir aber bereit, bei diesem wichtigen Thema fraktionsübergreifend nach guten Lösungen zu suchen, die uns im Kampf gegen diese menschenverachtende Form der organisierten Kriminalität weiterhelfen können. Dazu lade ich Sie alle ein. Lassen Sie mich an dieser Stelle einen Aspekt ansprechen, der uns besonders am Herzen liegt: Alle Anstrengungen - sei es nun im Bereich der internationalen Koordinierung, der Ausstattung von Polizei und Strafverfolgungsbehörden oder des Opferschutzes - sind notwendig und gleichermaßen wichtig. Wirkliche Erfolge im Kampf gegen Menschenhandel werden wir allerdings nur erzielen können, wenn es uns auch gelingt, die Nachfrage nach den von den Opfern angebotenen Dienstleistungen nachhaltig zu drosseln; denn ohne Nachfrage kein Angebot. Ich begrüße daher ausdrücklich die Forderung des Europäischen Parlaments, dass die weitere Prävention und das weitere Vorgehen sich auch an jene Personen richten muss, die von den Opfern des Menschenhandels angebotene Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Das ist eine Bestätigung unserer Forderung, über einen Straftatbestand "Sexuelle Ausbeutung von Menschenhandelsopfern" auch jene Freier ins Visier zu nehmen, die wissentlich die Zwangslage und Hilflosigkeit der Opfer ausnutzen. Ich habe die Hoffnung, dass wir den Mut und die Kraft für einen ganzheitlichen Ansatz finden, der den Opferschutz und die Prävention gleichermaßen zum Gegenstand hat. Dr. Eva Högl (SPD): Ganz ausdrücklich begrüße ich den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz. Es ist richtig, über Menschenhandel in Europa intensiv zu diskutieren und wirksame Maßnahmen, die in ganz Europa gelten, zu beschließen. Menschenhandel ist nichts anderes als die moderne Form der Sklaverei. Es handelt sich dabei um eine der weltweit schwersten Straftaten. Besonders verwerflich ist, dass dabei unter Verletzung der Menschenrechte der Betroffenen ein äußerst gewinnbringendes Geschäftsfeld überwiegend im Bereich der organisierten Kriminalität betrieben wird. Frauen werden zur Prostitution gezwungen, Jugendliche zu Hungerlöhnen und unter schlimmen Bedingungen beschäftigt, Kinder zum Betteln genötigt. Sie alle werden mit falschen Versprechungen in fremde Länder gelockt und systematisch und gezielt ausgebeutet. Die beständig hohen Zahlen der Fälle von Zwangsprostitution erschrecken uns ebenso wie die steigende Zahl von Zwangsarbeit und wirtschaftlicher Ausbeutung. In allen Fällen ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Hier ist dringender Handlungsbedarf! Wir dürfen nicht länger zusehen! In drei Viertel der Fälle finden die Straftaten grenz-überschreitend statt, im Bereich der Zwangsprostitution etwa stammen zwei Drittel der Opfer aus osteuropäischen EU-Staaten. Es liegt daher auf der Hand, dass eine wirksame Bekämpfung des Menschenhandels nur international abgestimmt erfolgreich sein kann. Deshalb ist es richtig und gut, dass die Europäische Kommission eine Richtlinie vorschlägt. Zwar existiert in Deutschland bereits ein großer Teil der im Richtlinienentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen und Straftatbestände, doch ist dies kein Grund, sich zurückzulehnen. Deutschland ist Zielland des Menschenhandels. Das heißt, dass die Kette der Straftaten nicht mit dem Menschenhandel im engeren Sinne hinter den Grenzen im Inland endet, sondern die Straftaten in unserem Land überhaupt erst ermöglicht. Das erbarmungswürdige Schicksal in Bordellen, Restaurantküchen oder auf Baustellen erleiden die Betroffenen nicht irgendwo auf der Welt, sondern auch und gerade in unserer Nachbarschaft. Dies zeigt, dass wir Menschenhandel mit den bisher existierenden Maßnahmen noch nicht in ausreichendem Maße begegnen konnten. Der vorgelegte Richtlinienentwurf verpflichtet alle EU-Mitgliedstaaten dazu, abgestimmte strafrechtliche Mindeststandards zu verabschieden. Ebenfalls enthalten ist die Notwendigkeit der engeren und besseren Zusammenarbeit aller Behörden sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene. Dieser Ansatz ist zu begrüßen. Wir brauchen aber weitergehende Maßnahmen, um die der Richtlinienvorschlag ergänzt werden muss. Diese haben wir in unserem Antrag dargestellt. Das Vorgehen gegen Menschenhandel und - genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger - die Vermeidung von Menschenhandel erfordern einen integrierten Ansatz. Denn die strafrechtliche Ahndung ist immer nur das letzte zur Verfügung stehende Mittel. Neben den strafrechtlichen Regelungen benötigen wir umfassende Maßnahmen der Prävention und des Opferschutzes. Es müssen alle betroffenen Politikfelder verzahnt und zivilgesellschaftliches Engagement einbezogen werden. So sind etwa Nichtregierungsorganisationen oft die einzigen Ansprechpartner, denen ein vertrauensvoller Zugang zu den Opfern gelingt. Ihre Bedeutung ist sowohl auf der Ebene der Europäischen Union als auch in den Mitgliedstaaten noch stärker zu betonen. Hier greift der Richtlinienvorschlag zu kurz, hier brauchen wir mehr und bessere Regelungen! Am Anfang aller Bemühungen muss die Prävention in allen Herkunftsregionen der Opfer, zu denen übrigens auch Deutschland selbst gehört, ansetzen, um Menschenhandel von Anfang an den Boden zu entziehen. Hier sehe ich noch großen Nachholbedarf. Ferner muss dafür Sorge getragen werden, dass die Opfer nicht nur während der Dauer eines Strafverfahrens als Zeuginnen und Zeugen, sondern auch darüber hinaus die Sicherheit eines Aufenthaltstitels erhalten. Eine erfolgreiche Strafverfolgung ist ohne umfassenden Opferschutz nicht möglich. Eines der Haupthemmnisse für die Strafverfolgung ist die mangelnde Aussagebereitschaft von Opfern, die um ihre Existenz fürchten. So erhalten Betroffene in Deutschland den Schutz eines Aufenthaltstitels nur für die Dauer des Strafverfahrens. Deshalb müssen in ganz Europa die einschlägigen Regelungen des Aufenthaltsrechtes verbessert werden. Wer in sein Herkunftsland zurückkehrt, benötigt auch dort Sicherheit für einen Neuanfang. Hier sind bei den örtlichen Behörden Strukturen zu schaffen, die das ermöglichen. Darüber hinaus ist es dringend notwendig, dass Minderjährige speziell auf sie abgestimmte Schutz- und Betreuungsprogramme erhalten. Das Europäische Parlament hat bereits in einer Entschließung vom Februar dieses Jahres mehr Prävention und Opferschutz angemahnt. Diese Forderungen haben wir als SPD-Bundestagsfraktion in unserem Antrag aufgegriffen. Wir sprechen uns für den auch vom Europäischen Parlament geforderten integrierten Ansatz aus und schlagen weitere, sehr wirksame und sinnvolle Maßnahmen zur Vermeidung und Bekämpfung von Menschenhandel vor. Ich werbe um Ihre Unterstützung dafür, damit wir einem der abscheulichsten Verbrechen unserer Zeit wirksam den Kampf ansagen und die Menschenrechte europaweit durchsetzen. Die Bundesregierung fordere ich auf, bei den weiteren Verhandlungen im Rat sowie mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament darauf hinzuwirken, dass die noch zu verbessernden Punkte Berücksichtigung finden. Schließlich weise ich darauf hin, dass es aus deutscher Sicht ausgesprochen unglücklich ist, andere Mitgliedstaaten und Parlamente auf ihre Bringschuld hinsichtlich der Umsetzung von Maßnahmen gegen Menschenhandel hinzuweisen, solange auch Deutschland noch nicht alle seine Hausaufgaben in diesem Bereich gemacht hat. Deshalb fordere ich die Bundesregierung nachdrücklich dazu auf, das Übereinkommen des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels endlich zu ratifizieren und umzusetzen. Lassen Sie uns gemeinsam den Menschenhandel wirksam bekämpfen und die vorgeschlagene Richtlinie gezielt verbessern, um unseren Werten auch Taten folgen zu lassen. Jörg van Essen (FDP): Das Thema Opferschutz liegt mir seit vielen Jahren besonders am Herzen. In Verbindung mit dem besonders abscheulichen Verbrechen des Menschenhandels - oder um es deutlicher zu formulieren: der modernen Form der Sklaverei - wird dieses Thema besonders brisant. Gleichzeitig haben uns Vorschläge der Europäischen Union zum Strafrecht und insbesondere zum Sexualstrafrecht in den letzten Jahren bereits mehrfach intensiv beschäftigt. Zum einen ist nicht zu übersehen, dass es in vielfältiger Form sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel gibt, dem wirksam begegnet werden muss. Menschen, die Opfer einer solchen Ausbeutung geworden sind, verdienen Schutz und Anerkennung ihrer Opfersituation. Zum anderen werden von europäischer Seite Vorschläge eingebracht, die mit den Vorstellungen des Deutschen Bundestages und der deutschen Rechtsordnung in einigen wesentlichen Punkten nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Die wegweisenden Reformen des Sexualstrafrechts zu Beginn der 1990er-Jahre haben sich nach Bekundung meiner staatsanwaltschaftlichen Kolleginnen und Kollegen bestens bewährt und bedürfen keiner Änderung. Aus diesem Grund darf es auf dem Weg über Europa auch nicht zu einem "Rollback" in die Moralvorstellungen der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts kommen. In diesem Zusammenhang hat meine Fraktion es schon immer kritisch gesehen und sieht es weiter kritisch, dass nach den Vorstellungen der Europäischen Union alle Personen, die 18 Jahre und jünger sind, als Kinder gesehen werden. Dies wird der Wirklichkeit der sexuellen Entwicklung und dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht der Jugendlichen nach ihrer Pubertät nicht einmal ansatzweise gerecht. Die FDP legt deshalb großen Wert darauf, dass es bei dem differenzierten System mit dem absoluten strafrechtlichen Schutz von Kindern, also Personen bis zum 14. Lebensjahr, ebenso bleibt wie bei dem hohen Schutz von Jugendlichen in der Pubertät. Bei Jugendlichen nach der Pubertät, also nach dem 16. Lebensjahr, bedarf es - wie in den Reformgesetzen vom Anfang der 90er-Jahre - generell nur noch des notwendigen Schutzes, um dem sexuellen Selbststimmungsrecht der Jugendlichen gegenüber Übergriffen von Erwachsenen, aber auch anderen Jugendlichen gerecht zu werden. Die FDP hat sich auch immer dagegen gewandt, dass Mindest- und Höchststrafen festgesetzt werden. Die von europäischer Ebene vorgesehenen Strafrahmen passen nicht in die Systematik des deutschen Strafrechts und würden Anhebungen des Strafmaßes erforderlich machen, die zu grotesken Fehlbewertungen gegenüber anderen schweren Straftaten führen würden. Außerdem haben wir uns fraktionsübergreifend zu Recht immer wieder gegen die Strafmöglichkeit gegenüber juristischen Personen gewandt, die dem deutschen Recht fremd ist und weiter aus guten Gründen auch fremd bleiben sollte. Heute fordert die SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag einen umfassenden Ansatz bei der Bekämpfung des Menschenhandels und seinen Folgen für das Opfer. Es sind sowohl die menschenrechtlichen als auch die innen- und rechtspolitischen Ansätze miteinander zu verzahnen. Dabei ist sicherzustellen, dass nach den bewährten Regeln des Strafrechts und des Aufenthaltsrechts eine Aussagebereitschaft und Hilfe bei der Aufklärung dieser schweren Delikte durch die Rechtsordnung honoriert wird. Ein Schwerpunkt für die FDP-Bundestagsfraktion bei der Bekämpfung des Menschenhandels ist die Prävention in den Herkunftsländern. Insbesondere Jugendliche und junge Frauen müssen mit Unterstützung der Europäischen Union gegen die Verlockungen, mit denen die Menschenhändler arbeiten, stark gemacht werden. Der in EU-Dokumenten immer wieder verwendete Begriff der Cyberkriminalität ist weiterhin unscharf und bedarf dringend einer Präzisierung. Bereits diese Beispiele zeigen, dass der Bundestag gut beraten ist, sich mit den Vorschlägen der EU, aber auch mit denen dieser Vorlage intensiv auseinanderzusetzen. Meine Fraktion wird sich entsprechend in die Beratungen mit einbringen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir debattieren heute über einen Antrag der SPD zur Bekämpfung des Menschenhandels, mit dem sie sich auf einen Richtlinienvorschlag der EU-Kommission bezieht. Die Bundesregierung soll bei den weiteren Verhandlungen zur Verabschiedung dieser Richtlinie eine Reihe von Forderungen berücksichtigen, die in diesem Antrag aufgelistet sind. Die SPD-Fraktion versucht, mit diesem Antrag von den neuen Instrumentarien des Deutschen Bundestages Gebrauch zu machen, über die Bundesregierung auf die Politik der EU einzuwirken. Die Bekämpfung des Menschenhandels ist ein ernstes Anliegen, das sicherlich von allen hier geteilt wird. Umso ärgerlicher ist die fehlende Ernsthaftigkeit, mit der die SPD dieses Thema bearbeitet. Sie waren sich doch wirklich nicht zu schade, einfach einen guten Teil von Forderungen aus einer Entschließung des Europäischen Parlaments abzuschreiben, und zwar wortwörtlich, und dann sind Sie auch noch so dreist, diese Vorlage des Europäischen Parlaments mit keinem Wort zu erwähnen. Vielleicht wäre es Ihnen ja peinlich gewesen, wenn man darüber gleich gemerkt hätte, dass Sie hier aus reiner Profilsucht ein Plagiat vorlegen. Vielleicht war Ihnen aber auch peinlich, was Sie aus dieser guten Vorlage nicht abgeschrieben haben. Es sind zwei ganz wesentliche Punkte, die ich Ihnen nennen werde. Zum einen ist es ein ganz allgemeiner Punkt: Das Europäische Parlament fordert, einen auf die Opfer ausgerichteten Ansatz zu wählen. In erster Linie soll es also um den Schutz der Opfer gehen, um Zugang zu Betreuung und rechtlicher Beratung, also weniger um die repressiven Aspekte der Bekämpfung des Menschenhandels. Denn nur mit einer hohen Strafandrohung, wie sie der Richtlinienvorschlag enthält, ist den Opfern noch nicht geholfen. Zum anderen geht es mir um einen ganz konkreten Punkt, den die SPD-Fraktion in ihrem Antrag einfach unter den Tisch fallen lässt: das Aufenthaltsrecht für die Opfer von Menschenhandel, die aus Ländern außerhalb der EU kommen. In der Entschließung des EP wird gefordert, dass diese Menschen mindestens - ich betone: mindestens - einen befristeten Aufenthaltstitel erhalten sollten, unabhängig von ihrer Bereitschaft, in Strafverfahren zu kooperieren. Bei der SPD bleibt von dieser Forderung nur das übrig, was ohnehin im Richtlinienvorschlag der EU-Kommission steht, wonach die Mitgliedstaaten vorsehen können, den Opfern von Menschenhandel nach ihrer Aussage in einem Strafverfahren noch einen längeren Aufenthalt zu gewähren. Diese Gnade müssen sie sich aber erst mit einer Aussage in einem Strafverfahren verdienen. Damit bleibt die SPD der Linie der Kommission, des Bundesinnenministeriums und der Unionsfraktion treu, Opfer von Menschenhandel lediglich für Strafprozesse instrumentalisieren zu wollen und sie gleich darauf in ihr Herkunftsland abzuschieben - eine Politik, die die SPD übrigens in der Großen Koalition mitgetragen hat, als sie auf weitergehende Regelungen bei der Änderung des Aufenthaltsgesetzes im Sommer 2007 verzichtet hat. Auch diese Peinlichkeit lässt die SPD-Fraktion nicht aus: Sie fordert in ihrem Antrag eine korrekte Umsetzung der bereits bestehenden Richtlinie der EU zur Erteilung von Aufenthaltstiteln an die Opfer von Menschenhandel, ganz so, als ob sie das in der Koalition mit der Union in den vergangenen Jahren nicht selbst verbockt hätte. Die Linke hat schon in den damaligen Debatten ganz klar gefordert, Opfern von Menschenhandel einen Aufenthaltstitel zu gewähren, ob sie sich nun als Zeugen für Strafverfahren zur Verfügung stellen oder nicht. Gerade Opfern sexueller Ausbeutung und Zwangsprostitution droht in ihren Herkunftsländern soziale Ausgrenzung und damit ökonomisches Elend. Dazu kommt, dass sie in ihren Herkunftsländern wieder ins Visier jener kriminellen Netzwerke geraten, deren Opfer sie bereits geworden sind. Das gilt auch für andere Opfergruppen von Menschenhandel, ob sie nun als Haushaltshilfen oder auf dem Bau arbeiten. Eine Abschiebung ist deshalb unzumutbar und gerade das Gegenteil von Opferschutz. In diesem Sinne fordern auch wir die Bundesregierung zu einer Revision ihrer bisherigen Verhandlungsposition auf. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gestatten Sie mir zunächst eine grundsätzliche Vorbemerkung: Ihr Antrag ist ein Antrag gemäß Art. 23 Abs. 3 Grundgesetz. Der Bundestag wirkt mit diesen Anträgen an der europäischen Gesetzgebung mit. Ihr Antrag enthält jedoch überwiegend eine Aufzählung von - wie ich finde - vielen guten und unterstützungswürdigen allgemeinen Forderungen zur Bekämpfung des Menschenhandels und zum Opferschutz. Der Sinn und Zweck eines Antrags nach Art. 23 Abs. 3 Grundgesetz ist es indessen, im Rahmen eines konkreten Gesetzesvorhabens auf europäischer Ebene Forderungen zu formulieren, die die Bundesregierung bei den Verhandlungen im Rat zu berücksichtigen hat. Dieses wichtige Instrument, das es dem Bundestag erlaubt, aktiv an der europäischen Gesetzgebung mitzuwirken, sollte zielgerichtet eingesetzt werden und nicht allgemeine Forderungen enthalten, die im Rahmen des konkreten Gesetzgebungsverfahren irrelevant und vor allem auch gar nicht umsetzbar sind. Das Instrument der Stellungnahme nach Art. 23 GG ist das "schärfste Schwert", das der Bundestag im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsprozesses besitzt. Es wird zu einem "stumpfen Schwert", wenn die Stellungnahmen Forderungen im Allgemeinen enthalten, die die Bundesregierung im Allgemeinen beachten soll, im Konkreten aber gar nicht beachten kann. Nach dieser allgemeinen Vorbemerkung möchte ich nun noch zu einzelnen Punkten des Antrags Stellung nehmen: Unter II.2. wird gefordert, die Gewährung eines Aufenthaltstitels für Opfer von Menschenhandel, die in einem Strafprozess als Zeugen aussagen, aufgrund einer Ermessensentscheidung im Einzelfall auch über den Strafprozess hinaus zu ermöglichen. Wir unterstützen diese Forderung, jedoch ist es notwendig, Kriterien für eine solche Ermessensentscheidung, wie zum Beispiel Gefahr für Leib und Leben für die Betroffenen und ihre Familienangehörigen in ihrer Heimat, aufzustellen. Den in II.3. beschriebenen allgemeinen Opferschutzansatz begrüßen wir, allerdings wird nicht deutlich, inwiefern weitergehender Schutz denn konkret noch notwendig ist. Angesichts vielfacher Verbesserungen der Regelungen des Opferschutzes in den letzten Jahren können und müssen weitere Reformschritte konkret benannt werden. Die Forderung, wonach FRONTEX sowie die einzelstaatlichen Grenzschutzbehörden angehalten werden sollen, Opfer des Menschenhandels von illegalen Einwanderinnen und Einwanderern zu unterscheiden, klingt gut - aber ist sie auch gut? Anhand welcher Kriterien sollte denn eine solche Unterscheidung an den Grenzen vorgenommen werden können? Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Prävention sind zu begrüßen. Sie müssen sich jedoch - sollen sie europäisch geregelt werden - an die Kompetenzgrenzen des Lissabon-Vertrags halten. So sieht Art. 84 AEUV im Bereich der Kriminalprävention lediglich Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung der Mitgliedstaaten vor. Die unter II.4. gestellte Forderung nach einer neuen Koordinationsstelle der EU für die Bekämpfung des Menschenhandels sehen wir ebenfalls skeptisch. Der Menschenhandel ist zweifellos ein weltumspannendes Phänomen, das typischerweise grenzüberschreitend ist und daher allein im nationalen Kontext nur sehr bedingt wirksam bekämpft werden kann. Daher ist Informationsaustausch und eine intensivere Zusammenarbeit und Koordination notwendig. Die Frage ist allerdings, ob hierfür eine neue Stelle geschaffen werden sollte oder ob dies nicht bereits hinreichend in bestehenden Strukturen verwirklicht werden kann, wie etwa durch Eurojust und das Justizielle Netz für Strafsachen. Mit einer gewissen Verwunderung nehme ich die in II.5. enthaltene Forderung nach neuen Straftatbeständen für mit dem Menschenhandel zusammenhängende Cyberkriminalität zur Kenntnis. Gerade von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, hätte ich den Ruf nach weitergehenden Straftatbeständen in diesem Zusammenhang nicht erwartet, da ja gerade Sie den Begriff der Cyberkriminalität in anderem Kontext - und zwar bei den Deliktsgruppen - wegen seiner Unbestimmtheit vehement kritisiert haben. Wir Grüne jedenfalls sind und bleiben grundsätzlich skeptisch bezüglich der Einführung neuer Straftatbestände im Allgemeinen und bezüglich Straftatbeständen im Zusammenhang mit dem unbestimmten Begriff der Cyberkriminalität im Besonderen. Die unter I.8. und II.5. geäußerte Kritik bzw. Sorge, dass die Richtlinie die strafrechtliche Systematik durch Mindesthöchststrafen aus dem Gefüge bringt, teilen wir Grünen - jedenfalls aus deutscher Sicht - nicht. Im Vergleich zum Rahmenbeschlussentwurf zur Bekämpfung des Menschenhandels, den die Kommission im vorherigen Jahr noch vor Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags vorgelegt hat, wurden die Mindesthöchststrafen im vorliegenden Richtlinienentwurf gesenkt, sodass jedenfalls im deutschen Recht kein Eingriff in die Strafrechtssystematik zu befürchten ist. Auch die unter I.9. und II.5. geäußerte Kritik erscheint uns unbegründet. Zum einen kennt das deutsche Recht bereits die Verantwortlichkeit juristischer Personen. So sieht § 30 OWiG die Verhängung von Geldbußen gegen juristische Personen vor. Zum anderen liegt hier auch keine isolierte Einführung vor, denn im Richtlinienentwurf der Kommission zur Bekämpfung der Kinderpornografie ist ebenfalls die Verantwortlichkeit juristischer Personen vorgesehen - Art. 11 und 12 des Entwurfs. Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass wir Grünen die Bekämpfung des Menschenhandels ausdrücklich unterstützen und insbesondere auch einen umfassenden und praktikablen Opferschutz und damit den Tenor dieses Antrags. Was jedoch das Instrument angeht - ein Antrag nach Art. 23 Abs. 3 Grundgesetz -, sind wir äußerst skeptisch, ebenso aufgrund der vorstehend angesprochenen Kritikpunkte. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2344 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16 auf: Vereinbarte Debatte Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2010 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Oliver Luksic für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Oliver Luksic (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wirtschaftskrise und die daraus resultierende Währungskrise in der EU stellen uns, aber auch die Kommission vor große Herausforderungen. Die Kommission muss jetzt erforderliche Impulse geben. Ich betrachte es mit Sorge, dass immer mehr Entscheidungen im Rat oder aufseiten der Staats- und Regierungschefs getroffen werden. Ich glaube, die Kommission muss ihre Position als Motor der europäischen Integration verteidigen und sich offensiv positionieren. Wir als FDP wollen eine starke Kommission mit einem ambitionierten Arbeitsprogramm. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Natürlich läuft das Tagesgeschäft der EU auch in Zeiten der Krise weiter. Ich bin zuversichtlich, dass das auch unter belgischer Ratspräsidentschaft trotz der dort vorhandenen innenpolitischen Turbulenzen der Fall sein wird. Jetzt endlich muss der EAD eingerichtet werden. Die Erweiterungsverhandlungen insbesondere mit Kroatien müssen weitergeführt und im Jahre 2010 zum Abschluss gebracht werden. Das ist nicht nur für die EU und Kroatien wichtig, sondern auch ein entscheidendes Zeichen für den gesamten westlichen Balkan. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu Recht nimmt die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise den größten Raum des Programms der Kommission ein. Europa ist in den letzten Jahren weniger gewachsen als die USA. Asien ist die Wachstumslokomotive im 21. Jahrhundert. Wir in der Euro-Zone haben auch jetzt, nach der Krise, nur ein geringes Wachstum zu verzeichnen. Deswegen können wir uns ein Scheitern der Strategie "Europa 2020", wie das beim Lissabon-Vertrag der Fall war, nicht leisten. Ich bin hier allerdings nicht sehr optimistisch. Jetzt steht die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in den Mitgliedstaaten an, ebenso vonseiten der EU eine Neuausrichtung der Politik. Denn immer noch fließt zu viel Geld in Agrar- und Strukturfonds und zu wenig in Zukunftsinvestitionen. Deswegen ist es jetzt bei der finanziellen Vorausschau wichtig, dass wir hier neue Prioritäten setzen, weniger umverteilen und konsumtive Ausgaben tätigen, aber mehr in Innovation und Wachstum investieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Kommission betont in ihrem Programm zu Recht die Bedeutung von Forschung und Entwicklung sowie des Ausbaus von innovativen Technologien. Sie möchte auch eine industriepolitische Initiative starten. Das kann man begrüßen, auch wenn man hier genau hinschauen muss, was damit gemeint ist. Im Programm steht unserer Meinung nach zu wenig über bessere Rahmenbedingungen für kleinere und mittlere Unternehmen, die auch in Europa den größten Anteil an Beschäftigung und Ausbildung haben. Ich glaube, hier muss vonseiten der Europäischen Union und der Kommission mehr kommen. Was eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung angeht, brauchen wir in der Debatte mehr Klarheit. Ob Wirtschaftsregierung, Economic Governments oder Gouvernement Économique - es gilt, diese Begriffe mit Inhalten zu füllen. Das ist jetzt an der Zeit. Auch wenn viele anzugehende Maßnahmen nationale Kompetenzen betreffen, ist klar, dass viele Probleme nur mit einer verstärkten Koordinierung der Wirtschaftspolitiken in Europa lösbar sind. Unserer Meinung nach soll das zentral vor allem im Wettbewerbsfähigkeitsrat stattfinden; denn wir kommen nicht mit weniger Wettbewerbsfähigkeit aus der Krise heraus. Wer im Inland oder auch im Ausland den Abbau des deutschen Exportüberschusses fordert, der nimmt den Abbau von Arbeitplätzen in Kauf. Diesen Weg werden wir als Koalition nicht mitgehen. Wir müssen nicht schlechter werden, alle in Europa müssen besser werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Herausforderung besteht darin, in Europa den Teufelskreis aus zu hoher Staatsverschuldung und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit zu durchbrechen. Dies hat im Kern zur Griechenlandkrise und damit auch zur Währungskrise geführt. Wir begrüßen ausdrücklich die Vorschläge von Kommissar Rehn, die eine Stärkung des Stabilitätspaktes zum Ziel haben, und wollen als Koalition auch weiterhin die Van-Rompuy-Gruppe konstruktiv begleiten. Denn die Verabschiedung des Rettungspakets bzw. des Rettungsschirms war eine schwierige, aber unverzichtbare Entscheidung. In der Zukunft gilt es, genau darüber zu wachen, dass alles umgesetzt wird. Der aktuelle Bericht der Kommission zur Lage in Griechenland bzw. zur Umsetzung der notwendigen Reformen zeigt, dass dies erfolgreich angepackt wird. Gerade vor dem Hintergrund der Sparbemühungen in Deutschland müssen wir der griechischen Regierung unseren Respekt dafür zollen, dass die richtigen Reformen auf den Weg gebracht wurden und dass sie sich nicht vom Weg abbringen lässt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Lassen Sie mich aber auch sagen, dass es unserer Meinung nach für die Zukunft klar sein muss, dass es sich bei Hilfspaketen um Ausnahmen handeln muss, die nicht zur Regel werden dürfen. Die Entfristung von Rettungspaketen sowie die Institutionalisierung von Finanzhilfen halten wir als Liberale für falsch, egal ob man das "permanenter Krisenmechanismus" oder "Europäischer Währungsfonds" nennt. Wir wollen keine Transferunion. Wir wollen keinen Länderfinanzausgleich auf europäischer Ebene. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Position der Kommission, aber auch die der Zentralbank kann ich in diesem Zusammenhang nicht ganz teilen; denn allzu oft hat sich die Kommission in der Vergangenheit bei der Durchsetzung des Stabilitätspaktes dem politischen Druck des Rates gebeugt. Sie befürwortet jetzt die Institutionalisierung von Finanzhilfen, was die Glaubwürdigkeit des Stabilitätspaktes schwächt. Auch die EZB ist jetzt dafür. Das halte ich - gerade nach der fragwürdigen Entscheidung über den Ankauf von Anleihen - für bedenklich. Ich glaube, die EZB muss, wie in der Vergangenheit auch, Garant eines stabilen Euros sein; denn der Euro ist eine Erfolgsgeschichte. In Deutschland und Europa können wir uns sein Scheitern nicht leisten. Deswegen müssen wir jetzt Wachstumskräfte stärken und dafür sorgen, dass die Währungsunion in Europa nicht zur Transfer-union wird. Für diese Grundüberzeugung muss die Bundesregierung das Ruder wieder in die Hand nehmen und den richtigen Kurs bestimmen, auch wenn nicht alle in Europa das so sehen. Dafür lohnt es sich, zu kämpfen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat der Kollege Michael Roth für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michael Roth (Heringen) (SPD): Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission ist eine Chance für den Bundestag, frühzeitig Initiativen aus der Mitte Europas zu bewerten und sich möglichst frühzeitig und umfassend mit ihnen zu beschäftigen. Es ist deshalb ein bisschen schade, dass wir erst jetzt zu diesem späten Zeitpunkt kurz vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause, nachdem die Kommission das Arbeitsprogramm für dieses Jahr am 31. März 2010 beschlossen hat, die Zeit finden, uns damit auseinanderzusetzen. Natürlich ist der späte Zeitpunkt auch der späten Amtseinsetzung der EU-Kommission geschuldet. Dennoch sollten wir uns dieses Programm sehr genau anschauen. Es gibt zumindest eine Besserung; das will ich durchaus an den Anfang meiner Ausführungen stellen. Während die Kommission ihr Legislativ- und Arbeitsprogramm in den vergangenen Jahren immer nur für ein Jahr festgestellt und präsentiert hat, wird jetzt ein Stückchen mehr Wert auf Kontinuität gelegt. Es werden auch schon Initiativen, Maßnahmen und Projekte aufgezeigt, die erst in den nächsten Jahren auf die Tagesordnung der Europäischen Union gesetzt werden. Aber machen wir uns nichts vor: So wichtig es ist, dass die Europäische Kommission die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten gerückt hat, so sehr fällt wieder auf, dass es ein Sammelsurium von Projekten und Initiativen ist. Es ist recht schwer, angesichts der Fülle von Projekten einen roten Faden zu erkennen. Dafür gibt es natürlich Gründe; darüber sollten wir reden. Jeder der Kommissarinnen und Kommissare - zwischenzeitlich haben wir 27 mit mehr oder weniger bedeutenden Zuständigkeiten - will sich natürlich in seinem bzw. ihrem Aufgabenbereich profilieren. Profil meint man dadurch gewinnen zu können, indem man in jedem Bereich einen Vorschlag unterbreitet. Ob das dem politischen Gewicht der EU-Kommission als Ganzes zuträglich ist, daran habe ich meine Zweifel. Denn wir alle spüren: Die EU ist insgesamt im Wandel und nicht nur zum Guten. Wir müssen uns fragen, welche EU-Kommission wir eigentlich wollen und welche Erwartungshaltung wir an die Arbeit der Europäischen Kommission anlegen. Traditionell hat sich der Bundestag immer als ein ganz enger und verlässlicher Partner der EU-Kommission verstanden, weil uns eines klar war: Die Kommission ist Motor der Integration, Hüter der Verträge, und sie wahrt das europäische Gemeininteresse. Das ist schwieriger geworden. Daran sind wir auch selbst schuld. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die schleichende Intergouvernementalisierung der Europäischen Union schwächt die Kommission. Das ist nicht gut. Wer profitiert davon? Angesichts der 27 Kommissarinnen und Kommissare profitiert erst einmal der Kommissionspräsident davon. Wir haben es im Prinzip mit einem Präsidialsystem zu tun. Er hat die Fäden in der Hand. Je schwächer die einzelnen Kommissarinnen und Kommissare, desto stärker der Kommissionspräsident. Der Kommissionspräsident wird wiederum am Gängelband der nationalen Regierungen, insbesondere der großen, geführt. Die nationalen Regierungen als Ganzes profitieren natürlich auch von einer möglichst schwachen Europäischen Kommission. Der neu ins Amt gekommene Vorsitzende des Europäischen Rates, der nun für zweieinhalb Jahre bzw. fünf Jahre im Amt ist, profitiert auch. Ich sehe das mit Sorge, meine Fraktion sieht das mit Sorge. Mitverantwortlich für diesen Weg ist auch die Bundesregierung. Ich kann Ihnen das bei aller Wertschätzung, Herr Staatsminister Hoyer, heute Abend nicht ersparen. Das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 war: "Europa gelingt gemeinsam." Wo ist dieser Gemeinsinn eigentlich hingekommen? Es ist nicht mehr viel davon übrig geblieben. Das ist schade und politisch hochgefährlich. Dazu haben sich in den vergangenen Wochen viele geäußert, die nicht im Verdacht stehen, sich auf irgendeine Weise nur kritisch oder destruktiv mit der Bundesregierung auseinandersetzen zu wollen, ob es Habermas - um ganz oben anzufangen - oder Helmut Schmidt ist. Die Bundeskanzlerin führt nicht. Es gibt keine wegweisenden Impulse, die von der Bundesregierung in Sachen Europa ausgehen. Der deutsch-französische Motor stottert. Auch das belastet die Arbeit der Gemeinschaftsinstitutionen und natürlich zuvorderst der Kommission. Es gibt ein Kompetenzgerangel zwischen Bundeskanzleramt und Auswärtigem Amt. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Es gibt viele Reibungsverluste und nicht wenige Konflikte zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt. Es gibt nationale Interessen und weniger gemeinsame Interessen. (Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Kommen Sie mal zum Thema! Es geht um die Kommission!) - Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören; aber ich möchte es Ihnen dennoch nicht ersparen. Denn all das hat auch etwas mit der Arbeit der Europäischen Kommission zu tun. Wenn wir uns eine schwache Kommission wünschen, können wir auch kein starkes, innovatives, pointiertes Arbeitsprogramm der EU-Kommission erwarten. - Die nationalen Interessen stehen nun einmal in den letzten Wochen leider im Vordergrund. Das haben wir auch bei der Bewältigung der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise auf europäischer Ebene gespürt: Oftmals wurde nur bis zum nationalen Tellerrand gedacht und gearbeitet; das gemeinsame Interesse wurde vernachlässigt. Eine schwache Kommission liegt weder im deutschen noch im europäischen Interesse. Wir sollten uns für eine starke Kommission einsetzen, die sich auf das Wesentliche konzentriert und von einem selbstbewussten Europäischen Parlament kontrolliert und begleitet wird. Insofern habe ich auch an Sie, die Vertreter der Bundesregierung, entsprechende Erwartungen. Bislang sind Sie - das darf ich für meine Fraktion sagen - hinter diesen Erwartungen zurückgeblieben. Sie sollten da einfach noch einen Zahn zulegen. Ich erwarte von der Europäischen Kommission als Ganzes, dass sie sich ernster nimmt und sich in noch stärkerem Maße von den nationalen Regierungen emanzipiert. Vor allem ist das in unserem Interesse: Eine starke Kommission ist gut für Deutschland, nicht nur gut für die Europäische Union. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Bettina Kudla für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bettina Kudla (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir behandeln heute das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für das Jahr 2010. Nachdem der Beginn dieses Jahres von der Beratung und Beschlussfassung der Strategie "Europa 2020" geprägt war, wird der Schwerpunkt der kommenden Monate und Jahre darauf liegen, die Folgen der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise zu überwinden. Die Kommission hat dazu strategische Maßnahmen mit den drei folgenden Zielen veranlasst: erstens die verstärkte wirtschaftspolitische Überwachung und Abstimmung im Euro-Raum, zweitens einen Beitrag zur nachhaltigen Stabilisierung der öffentlichen Finanzen zu leisten, indem eine Bewertung der nationalen Stabilitäts- und Konvergenzprogramme vorgenommen wird, und drittens die Gewährleistung stabiler, verantwortungsvoller Finanzmärkte im Dienste der Gemeinschaft. Lassen Sie mich auf alle drei genannten strategischen Schwerpunkte kurz eingehen: Zum ersten Ziel. Die Kommission kündigt an, Vorschläge vorzulegen, wie die Kontrolle der öffentlichen Finanzen verbessert und makroökonomische Ungleichgewichte, darunter Unterschiede bei der Wettbewerbsfähigkeit, behoben werden sollen. Es ist positiv zu bewerten, dass die Kontrolle der öffentlichen Finanzen entsprechend verbessert sowie verstärkt auf die Einhaltung der Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geachtet werden soll. Eine Ursache der Euro-Krise ist, dass man im Wesentlichen einen Verstoß gegen die Maastricht-Kriterien hingenommen hat, ohne entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Die Folgen dieses Vorgehens belasten die gesamte EU und die Nationalstaaten gleichermaßen. Die geplante wirtschaftspolitische Überwachung sollte jedoch nur dazu dienen, Fehlentwicklungen wie beispielsweise Spekulationsblasen auf dem Immobilienmarkt frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Zweifellos sollte der Binnenmarkt gestärkt werden. Keinesfalls darf dies dazu führen, dass marktwirtschaftliche Grundprinzipien außer Acht gelassen werden. Die Kommission nimmt auch auf den Monti-Bericht Bezug. Dieser beinhaltet im Bereich der Steuerpolitik als Teil der Wirtschaftspolitik einige gute Vorschläge, zum Beispiel zur Bekämpfung steuerlichen Missbrauchs. Gleiches findet sich auch in dem aktuell vorgelegten Programm der belgischen Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union. Abzulehnen sind jedoch die im Monti-Bericht enthaltenen Forderungen nach einer steuerlichen Angleichung zwischen den Nationalstaaten, um den steuerlichen Wettbewerb zu regulieren. Wettbewerb zwischen den Regionen hat immer zu positiven Wirtschaftsimpulsen und damit zu Wohlstandsmehrungen geführt. In Deutschland gehört es zu den Grundfesten unseres Wirtschaftssystems, dass zum Beispiel die Kommunen zumindest in einem Teil ihres Einnahmebereichs durch das Hebesatzrecht ihr Steueraufkommen beeinflussen und Standortpolitik betreiben können. Eine verbesserte steuerliche Koordinierung innerhalb der EU ist zu begrüßen, eine steuerliche Angleichung ist abzulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zum zweiten strategischen Ziel. Der Kommissionsbericht über die Bewertung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme von 14 EU-Mitgliedstaaten hat verdeutlicht, dass fast alle Euro-Länder - teils erheblich - gegen die Kriterien des Stabilitätspaktes verstoßen. Aus diesem Bericht sind Schlussfolgerungen für die Haushaltskonsolidierung für jeden Nationalstaat zu entnehmen. Für die Bewertung der Haushaltsdaten von Deutschland stellt die Kommission fest - ich zitiere -: Wachsender Schuldenstand, Ad-hoc-Änderungen an der Rentenanpassungsformel und Finanzbedarf des Sozialversicherungssystems unterstreichen, wie wichtig die Sicherung der langfristigen Tragfähigkeit ist. ... Deutschland wird folglich aufgefordert, die Haushaltsstrategie mit konkreten Maßnahmen für die Korrektur des übermäßigen Defizits und die Senkung des Schuldenstands zu unterlegen und die neue Schuldenregel einzuhalten. Wohlgemerkt, der Bericht ist vom März dieses Jahres; das war noch vor der Vorlage des Konsolidierungspaketes der Bundesregierung. Nun gilt es, das Konsolidierungspaket umzusetzen. Die richtige Schlussfolgerung aus der Wirtschafts- und Finanzkrise ist: Nur wenn wir den Bundeshaushalt konsolidieren, werden wir die Folgen der Wirtschaftskrise überwinden. Das ist eine klare Haltung der Kommission, und sie gilt für alle EU-Staaten, sowohl für die Euro-Länder als auch für die Nicht-Euro-Länder. Übrigens, der ebenfalls aktuelle Konvergenzbericht für die Nicht-Euro-Staaten vom Mai dieses Jahres hat im Grunde ein erschreckendes Bild gezeigt, was die Eignungskriterien bezüglich der Einführung des Euros betrifft. Nun zur dritten strategischen Maßnahme gegen die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise, nämlich zur Stabilität der Finanzmärkte. Die Kommission hat allein dazu acht Einzelinitiativen aufgelistet. Im Hinblick auf die Regulierung der Finanzmärkte gilt es, die Ergebnisse des G-8- und des G-20-Gipfels des vergangenen Monats umzusetzen. Die beiden Gipfel haben gezeigt, dass das ursprüngliche Ziel der Bundesregierung, eine Finanzmarkttransaktionsteuer international, also weltweit, einzuführen, nicht durchsetzbar ist. Gleichwohl halten wir die Finanzmarkttransaktionsteuer für eines der wichtigsten Instrumente zur Eindämmung von Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Folglich gilt es, die Finanzmarkttransaktionsteuer auf europäischer Ebene einzuführen. (Beifall des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Kommission sollte dieses Thema mit Nachdruck angehen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Thomas Nord für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Thomas Nord (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einem Dreivierteljahr bin ich jetzt Bundestagsabgeordneter. Wenn ich mir die Berichte über die letzten Tagungen des Europäischen Rates in Erinnerung rufe, war es stets so, dass die Teilnehmer ins Flugzeug stiegen und beim Aussteigen die Tagesordnung der Beratung in der Regel eine andere war als kurz zuvor. Ich kann also aus vollem Herzen dem Satz in der Einleitung des Arbeitsprogramms der Kommission zustimmen: "Weitermachen wie bisher ist ausgeschlossen." Ein kluger Satz. Wenn ich aber das Programm lese, dann stelle ich fest, dass die politischen Folgen dieses Satzes darin weitgehend ausgeblendet sind. Der größere Teil des Arbeitsprogramms ist der Konkretisierung der Strategie "Europa 2020" gewidmet. Diese ist eine Fortsetzung der Lissabon-Strategie. Hier im Plenum waren sich alle Fraktionen einig: Diese ist gescheitert. Uneinigkeit bestand doch nur darüber, warum sie gescheitert ist. Die Koalition und Teile der Opposition sind der Meinung: Die Strategie war überfrachtet und unverbindlich. Die Linke ist der Auffassung: Lissabon war ein grundlegend falscher Weg. (Beifall bei der LINKEN) Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung sind die falschen Mittel für ein dauerhaft friedlich geeintes Europa. Ohne die Deregulierung der Finanzmärkte der letzten Jahre wäre die Krise, so wie wir sie jetzt haben, gar nicht möglich gewesen. Mit ihr wurden die Banken und die Spekulanten doch geradezu zu ihrem Handeln animiert. In der Folge - mit den Folgen hatten wir in den letzten Wochen viel zu tun - hatten wir eine Banken- und Finanzkrise. Die Staaten mussten dann massiv finanzpolitisch intervenieren; auch damit haben wir uns hier ausführlich befasst. Die Folge ist, dass wir heute eine Krise vieler europäischer Staaten haben. Die Lissabon-Strategie ist nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch gescheitert. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt ebenso für viele Vertragsgrundlagen der Europäischen Union. Die Wettbewerbsfixierung des Binnenmarktes, der Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie die strikte Bindung der EZB an Preisstabilität statt an Wachstum und Beschäftigung haben die Krise verschärft und nicht geholfen, sie zu lösen. Im Arbeitsprogramm der Kommission findet sich gerade hierzu kein kritisches Wort. Die Diskussion über eine europäische Wirtschaftsregierung, über solidarische Ausgleichsmechanismen in einer Währungsunion und über Mindeststandards zur Beschränkung des Lohn- und Steuerdumpings findet in diesem Arbeitsplan nicht statt. Die Kommission sieht die Lösung der Krise - genauso wie die Bundesregierung - im Sparen. Bis 2013 soll das Staatsdefizit der entwickelten Industrienationen halbiert werden. Ab 2016 soll es mit dem Abbau der Schulden losgehen. Dann steht der Schuldenstand für Deutschland etwa bei 2 Billionen Euro. Selbst wenn die Bundesregierung jedes Jahr 10 Milliarden Euro zurückzahlen würde - das sind gut 3 Prozent des Haushaltsplans 2011 -, dauerte das ohne Berücksichtigung von Zins und Zinseszins etwa 2000 Jahre. Das sehen wir alle doch wohl eher als unrealistisch an. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen endlich eine grundsätzliche Veränderung der Einnahmesituation. Die Krisenprofiteure müssen zur Sanierung der Staatskassen beitragen, auch wenn das der FDP nicht passt. (Beifall bei der LINKEN) Auch davon steht nichts im Arbeitsprogramm, weder davon, wie Geldinstitute und Spekulanten an der Finanzierung der Bewältigung der Krisenfolgen beteiligt werden, noch von einer Finanzmarkttransaktionsteuer. Die Kommission legt das Arbeitsprogramm auf, als gäbe es eine Perspektive der Normalität. Die Realität sieht jedoch anders aus: Generalstreik in Griechenland, Generalstreik in Rumänien, Generalstreik in Spanien, Generalstreik in Ungarn, Generalstreik in Italien. Europaweit ist der Widerstand gegen die Sparpolitik zu hören. Dieser Widerstand ist nicht nur hinsichtlich der persönlichen Betroffenheit nachvollziehbar. Er ist auch ökonomisch sinnvoll und absolut notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Das Sparen führt zu einem Schrumpfen der Nachfrage und damit zu einer Verschärfung der Krise, nicht zu ihrer Überwindung. Ich komme zum Schluss. (Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Das Arbeitsprogramm der Kommission 2010 beschreibt eine Normalität, die so nicht in Sicht ist. Die Kommission stellt die Frage nach den Ursachen für die jetzige Situation nicht. Daher gibt sie darauf auch keine Antworten, entwickelt keine tragfähigen Lösungen. Die teils sinnvollen Einzelinitiativen schweben im Raum. Ihnen fehlt ein Fundament. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Manuel Sarrazin. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine neue Zeit - so hat die EU-Kommission das Arbeitsprogramm sozusagen genannt. Am Anfang des Arbeitsprogramms hat sie nämlich noch einmal die Feststellung getroffen: Wir leben in einer neuen Zeit. Der Kollege Roth hat schon darauf hingewiesen, dass sich gerade etwas Gewichtiges verschiebt. Das beobachten wir alle. Wir erleben, dass Entscheidungen mehr und mehr vom Europäischen Rat und so schnell getroffen werden, dass wir als Deutscher Bundestag oftmals "hinterherhecheln" und sich die Frage stellt, wie gewährleistet werden kann, dass die verschiedenen Kompetenzen, die in der Bundesregierung vorhanden sind, auch weiterhin in diese Entscheidungen einfließen können. Ich denke, wir als Deutscher Bundestag müssen uns dieser Verschiebung stellen. Ich möchte mich der Kritik des Kollegen Roth an der Bundesregierung ausdrücklich anschließen, aber auch dazu sagen: Ich glaube, dass das Auswärtige Amt Kompetenzen hinsichtlich Europa hat, die wir in der Europapolitik und auch im Europäischen Rat weiterhin brauchen, auch wenn die Außenminister selber dort nicht regelhaft dabeisitzen. (Beifall des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich denke aber auch, dass wir als Deutscher Bundestag Debatten gerade auch mit dem Kanzleramt gezielt früher führen müssen, um unsere Meinung einzubringen. Wir haben deswegen einen Antrag vorgelegt, mit dem wir uns diesem Thema widmen und der auch eine Anregung für die anderen Fraktionen sein soll, darüber zu diskutieren, wie wir diesem neuen Anspruch besser gerecht werden können, weil es richtig ist, was Herr Roth gesagt hat: Wir brauchen die Europäische Kommission aus verschiedenen Gründen. Natürlich haben wir als Deutscher Bundestag zunächst die Aufgabe, die Bundesregierung zu kontrollieren, zu noch besseren Ideen zu bringen und falsche Ideen zu skandalisieren und zu verhindern. Wir haben aber natürlich auch die Aufgabe, im Sinne der parlamentarischen Solidarität zu gucken, wie das Europäische Parlament weiterhin eine wichtige Funktion in der Europäischen Union ausüben, seinen Kontrollrechten nachkommen und seiner demokratischen Legitimation entsprechen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Dafür ist es wichtig, dass man bei den Themen, die jetzt zur Diskussion anstehen, immer betont: Nur wer der EU-Kommission eine gewisse Rolle zubilligt, wird auch das Europäische Parlament am Ende mit im Boot haben. Deswegen ist es wichtig, dass wir über die Strategie "EU 2020" und darüber reden, wie die wirtschaftspolitische Koordinierung mit Schlüsselrollen für das EP und die EU-Kommission erfolgen kann - dann natürlich auch in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Rat. Eines ist auch wichtig - das möchte ich hier ebenfalls betonen -: Leider ist diese EU-Kommission nicht immer die, für die man als Grüner sozusagen mit besonders viel Überzeugung und Verve in die Bresche springt. Weder ist Herr Barroso sozusagen unser liebstes Kind noch versteht die EU-Kommission, wie sie dafür sorgen kann, dass sie diesen Ansprüchen gerecht wird, nämlich einerseits durch entschiedeneres Handeln und mehr Konzentration, andererseits aber auch dadurch, dass für die EU-Kommission immer außer Frage stehen sollte, dass man die Rechte der Parlamente achtet - das gilt für die nationalen Parlamente, zum Beispiel bei Übersetzungen, das gilt aber auch für das Europäische Parlament, beispielsweise bei der Konstruktion des 60-Milliarden-Euro-Schirms -, sodass man die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament ebenfalls als Motor betrachtet. Meine Damen und Herren, Wolfgang Proissl hat kürzlich eine Denkschrift mit dem Titel "Why Germany fell out of love with Europe" herausgegeben. Ich denke, dass wir auch hier im Hause die Debatte darüber führen müssen, warum die Europabegeisterung nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch unter uns nicht mehr so selbstverständlich ist, wie wir alle das vielleicht noch bis zum 1. Dezember 2009 glaubten. Ich denke, hier müssen wir zusammenstehen. Dafür brauchen wir an erster Stelle aber eine starke, entschiedene und vernünftige Europäische Kommission, die von einer deutschen Bundesregierung unterstützt wird, die eben Triebfeder, Motor und zum Teil auch Tandem für die europäische Integration und nicht nur Bedenkenträger sein will. Danke sehr. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Matthias Lietz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Matthias Lietz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Die letzte Debatte zum Arbeitsprogramm der EU-Kommission liegt inzwischen mehr als anderthalb Jahre zurück. Inzwischen haben wir - das ist hier bereits erwähnt worden - eine neue EU-Kommission und ein neu gewähltes Europäisches Parlament. Der Vertrag von Lissabon ist in Kraft getreten. Das Bundesverfassungsgericht hat sein Urteil zum Lissabon-Vertrag gesprochen; und die Griechenland-Krise sowie der Rettungsschirm für den Euro haben uns seitdem beschäftigt. Aber die Krise hat uns auch eines deutlich gemacht, nämlich dass Europa es schaffen kann, wenn es gemeinsam handelt. Nationale Alleingänge bei Themen, die alle betreffen, waren und sind nicht erfolgversprechend. Mit Blick auf langfristige Herausforderungen, die vor uns stehen - ich denke an die Globalisierung, den Klimaschutz oder den demografischen Wandel -, ist ein gemeinsames Handeln der Union aktueller denn je. Wir haben schon von den Vorrednern gehört, dass es vielleicht auch kritikwürdig ist, dass diese Debatte zu diesem späten Zeitpunkt in diesem Hause stattfindet. Meine Damen und Herren, das vorgelegte Arbeitsprogramm der EU-Kommission konzentriert sich auf vier Aktionsbereiche: zum Ersten die Bewältigung der Krise und die Bewahrung der sozialen Marktwirtschaft in Europa, zum Zweiten eine Agenda für mehr Bürgernähe, die den Menschen in den Mittelpunkt der EU-Maßnahmen stellt, zum Dritten die Entwicklung einer ehrgeizigen und kohärenten außenpolitischen Agenda globaler Reichweite und zum Vierten die Modernisierung der Instrumente und der Arbeitsweise der Europäischen Union. Den größten Raum nehmen sinnvollerweise die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die weitere Ausarbeitung der Wachstums- und Beschäftigungsstrategie Europa 2020 ein. Diese Schwerpunktsetzung im Arbeitsprogramm ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings muss bei den geplanten Europa-2020-Leitinitiativen ganz klar der europäische Mehrwert zu erkennen sein. Ebenso müssen die Leitinitiativen einer genauen Subsidiaritätsprüfung unterzogen werden. Mit Blick auf die Agenda für mehr Bürgernähe ist die Schwerpunktlegung auf die Umsetzung des Stockholmer Programms ebenfalls zu begrüßen. Im Zentrum der Umsetzung muss hier auf jeden Fall der stärkere Schutz der Bürgerrechte liegen. Was die Modernisierung der Instrumente und die Arbeitsweise der EU betrifft, ist das verstärkte Bestreben der Kommission, Bürokratie abzubauen und neue Rechtsakte einer besseren Folgenabschätzung zu unterziehen, ein Punkt, zu dem nicht nur die europäischen, sondern alle staatlichen Ebenen aufgerufen sind. Effiziente Verwaltung und Regulierung müssen Ziel der gesamten staatlichen Verwaltungen sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hinsichtlich der Arbeitsweise der Europäischen Union warten wir übrigens noch immer auf die dringend überfällige Übersetzungsstrategie. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In diesem Punkt weist das Arbeitsprogramm der Kommission eine wesentliche Lücke auf. Gerade wegen der stärkeren Einbindung auch des Deutschen Bundestages durch die Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon erhält dieser Punkt eine besondere Dringlichkeit. Künftig muss sichergestellt sein, dass Schriftstücke der Europäischen Union frist- und formgerecht mit der Originalfassung in deutscher Sprache vorliegen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf! Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch in wenigen Punkten auf die im Zusammenhang mit der Schwerpunktsetzung angelaufenen Gespräche zur Gestaltung der künftigen Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 eingehen. Die Kommission und die belgische Präsidentschaft planen für das Jahr 2010, einen umfangreichen und ambitionierten Maßnahmenkatalog im Bereich der Landwirtschaft abzuarbeiten. Im Zentrum dieses Maßnahmenkatalogs stehen in diesem und in den kommenden Jahren die Weichenstellungen für eine grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Zur Zukunft dieser Agrarpolitik wird die Kommission im vierten Quartal eine Mitteilung vorlegen, der im Jahr 2011 konkrete Gesetzgebungsvorschläge folgen sollen. Die Gespräche werden auch unter der Prämisse geführt, welchen Beitrag sie zur Strategie "Europa 2020" leisten kann und wie eine nachhaltige, produktive und wettbewerbsfähige Landwirtschaft sichergestellt werden kann. Einen wesentlichen Schwerpunkt für die kommende Finanzierungsperiode in der Agrarpolitik muss deren Vereinfachung sein. Der bereits beschrittene Weg ist hier konsequent fortzusetzen. Rund 80 Prozent der Bürokratiekosten für die Wirtschaft in den Bereichen Landwirtschaft, Ernährung und Lebensmittelsicherheit gehen auf das europäische Recht zurück. Die Überprüfung der Instrumente hinsichtlich ihres vermeidbaren bürokratischen Aufwandes sollte daher auf jeden Fall weitergehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Vertrag von Lissabon gesprochen. Das Gericht hat dem Deutschen Bundestag mehr Verantwortung im Prozess der europäischen Integration auferlegt. Es hat eine stärkere Rolle des Parlaments in der Europapolitik gefordert. Wir als Abgeordnete dieses Hohen Hauses sind dazu aufgefordert, uns dieser Verantwortung zu stellen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Daðdelen, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausgrenzung beenden - Einbürgerungen umfassend erleichtern - Drucksache 17/2351 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Sevim Daðdelen für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer sich auf Dauer in einem Staat niederlässt, zumal wenn sich dieser als Demokratie versteht, hat Anspruch auf politische und soziale Rechte. Dieser Anspruch kann im Prinzip auf zwei Arten erfüllt werden: über einen unkomplizierten Zugang zur Staatsangehörigkeit oder über das Wahlrecht auch für die im Land lebenden Menschen ohne deutschen Pass. Das, was wir von der Bundesregierung erleben, ist aber genau das Gegenteil. Sie schafft weder die Möglichkeit eines entsprechenden Wahlrechts - noch nicht einmal auf kommunaler Ebene -, noch versucht sie, Einbürgerungen tatsächlich zu ermöglichen und zu vereinfachen. Stattdessen erschwert und verhindert sie Einbürgerungen. Das konnten wir letzte Woche aus den aktuellen Einbürgerungszahlen des Statistischen Bundesamtes erfahren, denen zufolge immer weniger Menschen deutsche Staatsangehörige werden, weil die geltende Rechtslage und die schlimme Einbürgerungspraxis zu hohe Hürden darstellen. Vor 20 Jahren, 1990, legte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber in einem Grundsatzurteil nahe, eine demokratische Lücke zu schließen. Denn Millionen Menschen, die dauerhaft in der Bundesrepublik lebten, waren von allen Ebenen der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen. Gemeint waren damals 5,5 Millionen Menschen in Deutschland, die keinen deutschen Pass hatten, aber im Durchschnitt bereits mehr als zwölf Jahre hier lebten. Das war ein richtiger und wichtiger Hinweis des Verfassungsgerichts, was die Linke unterstützt. (Beifall bei der LINKEN) Die bisherigen Regierungen haben sich aber leider nicht an die Empfehlungen des höchsten Gerichts gehalten. Nein, das vom Bundesverfassungsgericht kritisierte Demokratiedefizit hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verschärft. Heute leben über 7 Millionen Menschen ohne deutschen Pass in Deutschland, und ihre durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt sogar fast 19 Jahre. Die Einbürgerungszahlen befinden sich auf einem Tiefstand. Unter dem alten Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht aus dem Jahr 1913 wurden 1999 noch über 143 000 Menschen eingebürgert. Damals galt noch das Abstammungsrecht. Zehn Jahre danach, 2009, lagen wir mit knapp über 96 000 Einbürgerungen deutlich darunter. Seit der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes unter Rot-Grün im Jahr 2000 und den Verschärfungen unter der Großen Koalition von SPD und CDU/CSU im Jahr 2007 haben wir bei den Einbürgerungen einen kontinuierlichen Rückgang zu verzeichnen. Für dieses Jahr ist schon wieder mit einem Sinken der Zahlen zu rechnen, worauf die aktuell zurückgehenden Zahlen der Einbürgerungstests hindeuten. Die Linke will das ändern. Mit unserem Antrag wollen wir das vom Bundesverfassungsgericht angesprochene Demokratiedefizit in Deutschland beseitigen. Wir wollen deutlich machen, dass der Schlüssel zur politischen Integration und Chancengleichheit in der rechtlichen Gleichstellung liegt. Diese Gleichberechtigung wiederum schaffen wir mit einem radikal vereinfachten und erleichterten Einbürgungsverfahren. Wir wollen damit den Menschen, die in Deutschland leben, ein Signal geben, nämlich das Signal, dass die Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben, als fester und gleichberechtigter Teil in unserer Gesellschaft angesehen werden. (Beifall bei der LINKEN) Wer in diesem Land seit fünf Jahren seinen Lebensmittelpunkt hat, soll unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltstitel einbürgungsberechtigt sein. Wir wollen, dass Einbürgerung und politische Gleichberechtigung nicht vom sozialen Status und Einkommen abhängig sind. Deshalb wollen wir die Einbürgerungsgebühren auf einen symbolischen Betrag senken. Gleiche Rechte sollten nicht vom Bildungsstand abhängig gemacht werden. Deshalb sollten einfache Sprachkenntnisse ausreichen. Wir wollen keine Einbürgerungstests, um Menschen auf eine vermeintliche Einbürgerungsfähigkeit zu testen. Wir wollen die Staatsangehörigkeit per Geburt und die Abschaffung des absurden Prinzips der Optionspflicht. Wir wollen Mehrfachstaatsangehörigkeiten, die in einem Großteil der EU-Mitgliedstaaten erlaubt sind, grundsätzlich zulassen. Wir wollen Ihnen mit unserem Antrag die Möglichkeit geben, den hier in Deutschland dauerhaft lebenden Menschen Rechte zu geben und ihre andauernde Ausgrenzung zu beenden. Das können Sie, wenn Sie unserem Antrag zustimmen und nicht nur in Ihren Sonntagsreden über Willkommenskultur in Deutschland sprechen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Helmut Brandt das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Helmut Brandt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Daðdelen, die Aussage, dass die Linke uns die Demokratie bringen wird, ist das, was ich in Ihrer Rede am wenigsten vermutet habe, aber auch das, was Ihnen in diesem Hause keiner abkauft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] - Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Das müssen Sie mit Ihrer Vergangenheit gerade sagen!) - Über meine Vergangenheit können wir gerne reden; über Ihre zu reden, fangen wir besser nicht an. - In ihrem Antrag "Ausgrenzung beenden - Einbürgerungen umfassend erleichtern" kritisiert die Fraktion Die Linke unter Hinweis auf vermeintlich kontinuierlich zurückgehende Zahlen der Einbürgerungen zum einen, dass die Bundesregierung ungeachtet dessen Einbürgerungserleichterungen ablehne. Zum anderen fordert sie die Bundesregierung auf, das Staatsangehörigkeitsgesetz mit dem Ziel umfassender Einbürgerungserleichterungen zu ändern. Gestatten Sie mir gleich zu Beginn, Folgendes dazu zu sagen: Schon der Titel Ihres Antrags hat mich irritiert. Es ist doch tatsächlich so, dass wir uns in den letzten Jahren mehr als alle Regierungen zuvor um die Integration hier lebender Migranten bemüht haben. Ich will an dieser Stelle einige Stichworte nennen: Integrationsgipfel, Integrationsplan, erfolgreiche Integrationskurse. Lassen Sie mich noch eines erwähnen. Ich weiß nicht, ob Sie sich für Fußball interessieren. Die Zusammensetzung der deutschen Nationalmannschaft ist der beste Beweis dafür, dass wir in Deutschland keine Ausgrenzung betreiben, sondern Migranten optimal integrieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wie kann man in einer solchen Situation von Ausgrenzung sprechen? Das Gegenteil ist tatsächlich der Fall. Die Frage, weshalb die Einbürgerungszahlen tatsächlich zurückgegangen sind, ist sicherlich zu stellen. Nun muss man dazu sagen, dass die Einbürgerung eine individuelle und freiwillige Entscheidung eines jeden Ausländers ist, der die Voraussetzungen dafür erfüllt. Auf diese persönliche Entscheidung kann und sollte die Politik nur begrenzt Einfluss nehmen. Zudem sollten die Ergebnisse des inzwischen von der Bundesregierung eingeleiteten längerfristigen Forschungsprojektes über die Motive von Ausländern, sich einbürgern zu lassen oder auch darauf zu verzichten, zunächst einmal abgewartet werden. Das ist ein Grund, weshalb wir Ihren Antrag ablehnen. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Sehr verwunderlich!) Der zweite Grund ist, dass die von Ihnen geforderten Änderungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes den bisherigen bewussten und auch richtigen Festlegungen des Deutschen Bundestages überwiegend zuwiderlaufen. Beginnen wir mit Ihrer Forderung, auf die Teilnahme an Staatsbürgerschaftskursen als Einbürgerungsvoraussetzung zu verzichten. Stattdessen sollen die Kurse freiwillig und kostenfrei sein. Ich persönlich betrachte es als selbstverständlich und eine absolut unabdingbare Voraussetzung, dass sich ein Mensch, der beabsichtigt, dauerhaft in einem Land zu leben, Kenntnisse über dieses Land, seine politischen und gesellschaftlichen Strukturen sowie seine Geschichte und seine Werte verschafft. Dies ist in meinen Augen ein unverzichtbarer Teil eines notwendigen Integrationsprozesses, ohne den Integration gar nicht möglich ist. Wir reden hier doch von Menschen, die aus völlig anderen Kulturkreisen stammen. Wir alle haben in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass sich viele der Migrantinnen und Migranten diese Kenntnisse eben nicht freiwillig aneignen. Ich finde Ihre Forderung deshalb wirklich absurd. Sie haben eben auch von den Einbürgerungstests gesprochen. Diese wirken Ihrer Auffassung nach abschreckend. Das kann von der Sache her nicht stimmen. 98,5 Prozent der Einbürgerungstests werden bestanden, und zwar in allen Bundesländern. Wie soll ein solcher Test dann abschreckend wirken? Ich kann auch Ihre Forderung nicht nachvollziehen, dass Einbürgerungsberechtigte nicht auf ihre innere Anschauung und ihre Gesinnung überprüft werden sollen. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum macht man dann den Test, wenn ihn sowieso jeder besteht?) - Weil sich nicht alle dem Test unterziehen, die diese Gesinnung vielleicht nicht haben. In diesem Fall macht es Sinn; denn nicht jeder, der hier lebt, will die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder sich dieser Frage unterwerfen. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Quatsch!) Integration kann nur gelingen, wenn Ausländer, die hier leben möchten, bereit sind, unsere Verfassung und unsere Grundwerte zu akzeptieren. Wer in Deutschland lebt, muss diese zentralen Werte und Normen kennen und sie akzeptieren und annehmen. Das ist für mich eine unabdingbare Voraussetzung, um die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Nur so macht das auch Sinn. Schließlich muss ich Ihnen noch eines sagen: Die bisher vorliegenden Erkenntnisse darüber, warum viele die Einbürgerung nicht für sich beantragt haben, fußen darauf, dass sie es nicht als notwendig empfinden. Bringen wir es doch einmal auf den Punkt: Abgesehen von all den Rechten, die ihnen das Ausländerrecht sowieso gibt, ist das Recht zur Beteiligung an der Wahl das Einzige, was die Einbürgerung hier langfristig lebenden Ausländern zusätzlich bringt. Auf der anderen Seite steht die mit einer Einbürgerung verbundene Pflicht, die sie möglicherweise scheuen. Ich bin deshalb gar nicht sicher, ob die Zahl derer, die die Einbürgerung beantragen, die Zahl jener, die eingebürgert werden, tatsächlich übersteigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Daniela Kolbe. (Beifall bei der SPD) Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen, Sie haben sich heute eine spannende Debatte zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht ausgesucht. Die Linke bemerkt zu Recht, dass wir in den letzten Jahren sinkende Einbürgerungszahlen zu beobachten haben. Ich persönlich finde das beunruhigend. Erhielten auf dem Allzeithoch im Jahre 2000 nach der rot-grünen Reform der Staatsangehörigkeit noch etwa 190 000 Menschen einen deutschen Pass, so sind es heute, zehn Jahre später, nur noch etwa 90 000 Menschen. Damit liegen wir leider wieder fast auf dem Niveau von vor der Reform. Dabei war es doch das Ziel von Rot-Grün, dass mehr Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit anstreben und auch erhalten. (Patrick Döring [FDP]: Denken Sie mal darüber nach!) - Ich denke darüber nach. Die SPD-Fraktion hat einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Die SPD hält an ihrem Ziel fest: Wir wollen, dass möglichst viele zugewanderte Menschen, die langfristig in unserem Land leben, die deutsche Staatsbürgerschaft anstreben, sie bekommen und damit alle Rechte und Pflichten als Bürger dieses Landes erhalten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wenn es stimmt, was der gestern vorgelegte Integrationsbericht besagt - das bestätigt eigentlich auch der gesunde Menschenverstand -, dass Integration besonders dann gelingt, wenn Menschen eine Zukunftsperspektive und einen sicheren Aufenthalt haben, wenn sie sich zu Hause fühlen, dann ist es doch geradezu plausibel, dass wir als Politikerinnen und Politiker eine Kultur anstreben sollten, die Menschen ermuntert, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Wir brauchen in Deutschland eine echte Willkommenskultur, die Menschen, die hier schon sehr lange leben, dazu einlädt, wirklich alle Rechte und Pflichten anzunehmen. Außerdem benötigen wir die rechtlichen Rahmenbedingungen, dass sie das auch tun können. Leider ist von einer solchen Willkommenskultur zu wenig zu spüren. Wir konfrontieren hier geborene junge Menschen, die mit der Geburt eine doppelte Staatsbürgerschaft erhalten, in der Phase des Erwachsenwerdens, in der sie mitunter auch andere Dinge zu tun haben, damit, dass sie sich für eine Staatsangehörigkeit bzw. gegen einen Teil ihrer Identität entscheiden müssen. Wir bauen mit unserem Staatsangehörigkeitsrecht Hürden auf, die für viele Menschen unüberwindbar erscheinen oder unüberwindbar sind. Auf der anderen Seite blitzt diese Willkommenskultur, die ich mir so sehr wünsche, aber auch auf, sei es in unserer wirklich toll spielenden Fußballnationalmannschaft (Patrick Döring [FDP]: Ja!) - ja! - oder sei es in der Niedersächsischen Staatskanzlei. (Patrick Döring [FDP]: Wer regiert denn da?) - Sie haben recht. Sie dürfen sich darüber freuen. - Da sitzt mit David McAllister von der CDU ganz selbstverständlich der erste Ministerpräsident mit Migrationshintergrund in diesem Land. Ganz nebenbei hat er auch noch eine doppelte Staatsbürgerschaft: die deutsche und die britische. Die Welt dreht sich weiter; sie ist nicht untergegangen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hat doch dann angeblich Loyalitätskonflikte! - Rüdiger Veit [SPD]: Er ist aber noch nicht im Schottenrock vereidigt worden!) Mit dieser Situation können wir alle ganz locker und leicht umgehen; wir können uns darüber freuen. Diese Leichtigkeit und diese Gelassenheit stehen uns gut und sind berechtigt; denn doppelte Staatsbürgerschaft ge-hört auch in Deutschland längst zur Realität. Auch Ole von Beust von der CDU, Hamburgs Erster Bürgermeister, hat am Anfang dieses Jahres das Zulassen der doppelten Staatsbürgerschaft gefordert. Das sind Stimmen aus dem 21. Jahrhundert. Davon wünsche ich mir mehr auch in diesem Haus. (Patrick Döring [FDP]: Merkwürdig, dass Sie keinen Sozialdemokraten zitieren!) Wenn wir über Willkommenskultur reden, dann geht es um viel und um viele: Es geht um 5 Millionen Menschen, die länger als acht Jahre in Deutschland leben, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen zu haben. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Und sich hier wohlfühlen!) Ein kleines Rechenbeispiel: Wenn wir bei den jetzigen Einbürgerungszahlen blieben, dann bräuchten wir 50 Jahre und mehr, um diese Menschen einzubürgern. Das sind Zahlen, mit denen wir uns als SPD keineswegs zufriedengeben; denn wir wollen, dass Menschen, die lange hier leben, sich wirklich zu diesem Land bekennen und deutsche Staatsbürger werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ganz offensichtlich bestehen aber weiterhin große Hemmnisse, die die Menschen davon abhalten; darüber wurde schon gemutmaßt. Es braucht aus meiner Sicht deshalb zweierlei: Erstens. Es braucht die Debatte. Schon deshalb finde ich es gut, dass wir heute - wenn auch relativ spät - erneut über dieses Thema hier im Plenum diskutieren. Schon die Debatte hilft, Signale in die Bevölkerung zu senden, dass hier im Hohen Haus der Wunsch besteht, dass sich mehr Menschen zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft entschließen. Das Signal muss lauten: Nicht nur da, wo es um Prestige geht, gibt es eine solche Willkommenskultur, nicht nur auf dem Fußballfeld und in der Niedersächsischen Staatskanzlei existiert sie, sondern sie muss überall in der Gesellschaft existieren. Spiegel Online hat dazu gestern im Zusammenhang mit der Fußballnationalmannschaft und der Integration getitelt: "Aus dem Traum muss Alltag werden". Das ist doch sehr treffend. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zweitens. Wir brauchen konkrete Gesetzesänderungen, die es mehr Menschen ermöglichen, vom Staatsangehörigkeitsrecht zu profitieren. Aus diesem Grunde haben wir als SPD-Fraktion bereits Anfang des Jahres einen wirklich sehr guten, sehr konkreten und angemessenen Gesetzentwurf vorgelegt. In manchen Punkten gehen wir mit dem Antrag der Linken konform, in anderen Punkten halten wir den Antrag der Linken für zu weitreichend bzw. meinen wir, dass er aus der Systematik des Aufenthaltsrechts herausfällt. Ein Beispiel dafür, wo wir übereinstimmen: In der Frage der Optionsregelung stimmen wir überein. Doppelte Staatsbürgerschaften sind auch ohne Optionsmodell außerhalb der Niedersächsischen Staatskanzlei schon längst geübte Praxis. In Deutschland wird im Moment bei circa 53 Prozent der Einbürgerungen eine doppelte Staatsbürgerschaft akzeptiert. Es gibt deshalb aus meiner Sicht keinen Grund, da einen Unterschied zu machen. Das Optionsmodell für hier geborene Menschen sollte abgeschafft werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) An anderen Stellen widersprechen wir dem Antrag der Linken. Ich freue mich schon auf eine spannende Debatte im Ausschuss dazu. Aus unserer Sicht macht es überhaupt keinen Sinn, bei den Voraussetzungen für die Beantragung einer Staatsangehörigkeit noch unter denen für eine Niederlassungserlaubnis zu bleiben. Das bezieht sich auf die Frage der Dauer des Voraufenthalts und auf die Frage der Erwerbstätigkeit. Wir schlagen zur Dauer des Voraufenthalts eine Absenkung auf sieben Jahre vor, bei besonderen Integrationsleistungen auf sechs Jahre. Bei der Frage der Sicherung des Lebensunterhalts schlagen wir Ausnahmen für junge Erwachsene vor. Wir berücksichtigen damit, dass sie sich noch in der Ausbildung befinden. Junge Leute sollen ja auch eine Ausbildung absolvieren. Ein Punkt in Ihrem Antrag hat mich persönlich irritiert. Es geht um Ihre Ansicht, dass es für den Erwerb der Staatsangehörigkeit ausreichen soll, sich einfach mündlich verständigen zu können. Das sehen wir anders. Wir möchten gern bei dem geforderten höheren Sprachniveau bleiben. Gleichwohl setzen wir uns für Ausnahmen ein, etwa für Analphabeten und ältere Menschen. Bei diesen halten wir das für angemessen. Zum Thema Spracherwerb noch eines. Wenn wir Sprachkenntnisse voraussetzen, dann muss es natürlich auch die Möglichkeit geben, Sprachkenntnisse zu erwerben. Das Mittel der Wahl - darüber sind wir uns mittlerweile einig - sind die Integrationskurse. Lassen Sie mich an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Es beunruhigt mich schon, dass es die Bundesregierung bisher noch nicht in Angriff genommen hat, die sich in diesem Jahr auftuende Lücke von 30 Millionen Euro bei den Integrationskursen zu schließen. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Falsch!) Frau Böhmer hat gestern 15 Millionen Euro angekündigt. Das ist ein erster Schritt, ein erster Schritt von zwei gleich großen Schritten. 30 minus 15 sind 15. Es fehlen also noch 15 Millionen Euro. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Es gab keine Bundesregierung, die so viel Geld für Integrationskurse ausgegeben hat!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, ich muss Sie auf das Ende der Redezeit aufmerksam machen. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Das betrifft vor allem Menschen, die schon lange hier leben und die gern einen Integrationskurs belegen würden. Bitte werden Sie da tätig! Im Übrigen freue ich mich auf spannende Diskussionen im Ausschuss zu einem spannenden Thema. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über die aktuellen Einbürgerungszahlen und die Konsequenzen daraus ist wichtig, aber dieser Antrag der Linken ist keine ernsthafte Diskussionsgrundlage. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was Sie diesem Hohen Hause hiermit schon wieder vorlegen, ist nichts anderes als ideologischer Ballast. Auf der Basis Ihres Antrags kann nicht ernsthaft eine vernünftige Diskussion geführt werden. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Dann ersparen Sie sich das!) Die Linken fordern eine Einbürgerung unabhängig vom Aufenthaltstitel. Das heißt im Klartext: Einbürgerung auch für Illegale. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Kein Mensch ist illegal!) Was ist denn das für eine neue Gemeinschaft von Deutschen, die wir hier kreieren sollen? Was ist denn das für eine Wertegemeinschaft? Die Linken fordern eine Abschaffung des Optionsmodells. Dieses Optionsmodell war ein wichtiger Einstieg in eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts hin zu einem Jus Soli. (Rüdiger Veit [SPD]: Ein bedauerlicher, aber notwendiger Kompromiss!) Aber es gibt noch keine weiteren Erkenntnisse über die Wirkungen dieses Optionsmodells, lieber Kollege. Aus meiner Sicht gilt es, erst die Wirkungen eines Rechts zu evaluieren, bevor man an diesem Recht schon wieder herumschraubt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Genau diese Evaluierung hat die Koalition vor. Dies ist so vereinbart. Dies werden wir auch so durchführen. Aber es geht noch weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Linken fordern, die Mehrstaatigkeit generell zu akzeptieren. (Sebastian Blumenthal [FDP]: Nur zwei Linke!) - Richtig, es sind nur zwei Linke. - Wie wäre es denn da mit einer vierten, fünften oder sechsten Staatsangehörigkeit? Es gibt dagegen nicht nur juristische Bedenken. Was die Linken hier vorhaben, ist das Verramschen der deutschen Staatsangehörigkeit. Das können wir nicht mitmachen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Das ist so unter der Gürtellinie! Das ist ja unglaublich!) Richtig entlarvend in dem Antrag ist Folgendes: Der generelle Einbürgerungsanspruch soll unabhängig vom Einkommen und unabhängig von der Frage nach dem Sozialleistungsbezug bestehen. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Und das nennt sich liberal!) Das heißt im Klartext: Es soll nach dem Willen der Linken eine Zuwanderung in die deutschen Sozialversicherungssysteme geben. (Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: Die ist doch schon da!) Das heißt auch, liebe Kolleginnen von den Linken, weniger Geld für die, die in Deutschland schon Sozialleistungen bekommen und darauf angewiesen sind. Es wäre anständig, wenn Sie dazusagen würden, wem Sie dieses Geld, das Sie anderweitig zur Verfügung stellen wollen, wegnehmen wollen - offensichtlich den Sozialhilfeempfängern. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Sie verdrehen einem das Wort, Herr Kollege! - Stephan Thomae [FDP]: Der Kuchen bleibt gleich groß!) Interessant ist - der Kollege Brandt sagte schon einige richtige Worte dazu - (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Was, nur einige?) - viele richtige Worte, Herr Hofmann -, dass die Linken auf die Forderung nach ausreichenden Deutschkenntnissen verzichten wollen. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Bei Profifußballern verzichten Sie auf alles!) Dabei weiß jeder, der Integrationspolitik betreibt, dass das Beherrschen der deutschen Sprache für das gegenseitige Verstehen, für die gegenseitige Akzeptanz und auch für die Wertevermittlung wichtig ist. Natürlich sieht es den Linken ähnlich, dass sie kein Interesse mehr an den Staatsbürgerkursen haben. Linke sind in der Integrationsdebatte nicht ernst zu nehmen. Sie fangen nicht einmal bei null an; sie liegen bei unter null. Fortschritt heißt Gleichberechtigung, freie Kommunikation und Wertevermittlung sowie Religionsfreiheit - wir haben heute eine sehr gute Debatte darüber gehabt -, Demokratie und Meinungsfreiheit. Was die Linken hier präsentieren, ist Vorbeirutschen an der Aufklärung und finstere Reaktion. Dieser Forderungskatalog der Linken ist absurd und deswegen aus meiner Sicht keine vernünftige Diskussionsgrundlage. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Was Sie von sich geben, ist reaktionär! Das ist ja rechter als die CDU!) Viele Menschen haben die Einbürgerung in Deutschland geschafft. Es sollen mehr die Einbürgerung in Deutschland schaffen. Wir sind stolz auf diejenigen, die sich in Deutschland haben einbürgern lassen. Aus meiner Sicht müssen wir verhindern, dass die Leistung derjenigen, die die Einbürgerungsprozedur auf sich genommen haben und die gerne Deutsche werden wollten, aufgrund der Forderungen der Linken entwertet wird. Einbürgerungsregeln, die nicht von weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert werden, schaden der Akzeptanz von Migranten. Die Forderungen der Linken sind kontraproduktiv für den Erfolg der Integration und auch kontraproduktiv für eine möglicherweise spätere Anpassung des Staatsangehörigkeitsrechts. (Stephan Thomae [FDP]: Völlig richtig!) Die Einbürgerungspolitik der Linken ist skurril, negativ konsequent und keiner intakten Gesellschaft zuzumuten. Es geht darum, eine Willkommenskultur zu schaffen; (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie denn jetzt zufrieden mit den Einbürgerungszahlen?) es geht darum, Offenheit zu schaffen und für die Akzeptanz von Kriterien zu sorgen. Integration heißt fördern und fordern. Integration heißt Klarheit über die Kriterien für die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit. Integration heißt auch, für Werte zu werben. Integration heißt, die Zukunft zu gestalten, und nicht ideologisches Laufenlassen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Von welchen Werten reden Sie? Mövenpick, oder was?) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat der Kollege Memet Kilic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mit dem südländischen Temperament von Herrn Wolff nicht Schritt halten; aber ich werde mein Bestes geben. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die demokratische Gesellschaft ist eine Gemeinschaft in Vielfalt; das hat uns der Bundespräsident in seiner Antrittsrede vor Augen geführt. Dass wir eine Gemeinschaft in Vielfalt geworden sind, hat auch zu Veränderungen des Einbürgerungsrechts geführt. Eingewanderte sollen leichter die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen können. Menschen, die auf Dauer in Deutschland leben, sollen der Staatsgewalt nicht nur unterworfen sein, sondern auch daran teilhaben können. (Beifall des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Diesem Interesse wird unser derzeit geltendes Staatsangehörigkeitsrecht aber kaum gerecht. Von den bundesweit etwa 6,7 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit leben fast 5 Millionen seit mehr als acht Jahren in Deutschland und erfüllen somit eine der wesentlichen Einbürgerungsvoraussetzungen. (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Daran will Wolff nichts ändern!) Dennoch erlangen pro Jahr nur rund 90 000 die deutsche Staatsangehörigkeit. Seit 2004 sind die Einbürgerungszahlen sogar um rund ein Fünftel zurückgegangen. So kommt es, dass Deutschland im europäischen Vergleich eine der schlechtesten Einbürgerungsquoten hat. Prozentual ist die Einbürgerungsrate in Schweden fast dreimal höher als in Deutschland. Wir Grüne wollen daher die Einbürgerungsvoraussetzungen erleichtern. Wir möchten Hindernisse abbauen, die die hier lebenden Einwanderer davon abhalten, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. An dieser Stelle möchte ich nur einige Forderungen nennen, die wir noch in einem eigenen Antrag in den Bundestag einbringen werden. Die Fristen für eine Einbürgerung sollen verkürzt werden. Hierfür sehe ich eine reelle Möglichkeit. Nicht nur die SPD und die Linke befürworten eine Verkürzung der erforderlichen Aufenthaltsdauer auf sechs bzw. fünf Jahre, sondern auch die FDP ist für eine Einbürgerung nach fünf Jahren. Das finde ich richtig. Ich gratuliere der FDP zu dieser Forderung. Turboeinbürgerung nennt man das; das finde ich gut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP - Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Dazu hat er nichts gesagt! - Patrick Döring [FDP]: Unser Programm ist halt gut!) Wir sind dafür, den Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit aufzugeben. Auch hierin stimmen wir mit der SPD, der Linken und der FDP überein. Zahlreiche Untersuchungen haben bestätigt, dass, wenn ausländische Staatsangehörige ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten dürfen, die Bereitschaft zur Einbürgerung um ein Vielfaches steigt. Eine nachvollziehbare Begründung, an dem Verbot der Mehrstaatigkeit festzuhalten, gibt es nicht. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Das sieht das Bundesverfassungsgericht aber anders!) Wie meine Kollegin von der SPD bereits gesagt hat, hat auch der Ministerpräsident von Niedersachsen neben der deutschen eine ausländische Staatsangehörigkeit. Keiner sieht deswegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr. Der Einbürgerungstest hat seine abschreckende Wirkung bereits gezeigt. Wir brauchen eine Einbürgerungspolitik, die einer modernen Einwanderungsgesellschaft gerecht wird. Zu einer einladenden Einbürgerungspolitik gehört auch, dass Rentnerinnen und Rentner, die ihre Jugend in den Aufbau unseres Landes investiert haben, ohne Sprachtest und Lebensunterhaltssicherung eingebürgert werden können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Schließlich wollen wir die Einbürgerung von jungen Migrantinnen und Migranten vereinfachen und die Einbürgerungsgebühren senken. Einbürgerung ist weder Beginn noch Krönung der Integration, sondern ein wesentlicher Schritt dorthin und ein wunderbares Mittel, um den Eingewanderten ein Zugehörigkeitsgefühl zu geben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Sevim Daðdelen [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen - ich glaube, heute darf man das noch -, Ihnen, sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr herzlich zu Ihrem gestrigen Geburtstag zu gratulieren und Ihnen für die Zukunft alles Gute zu wünschen. (Beifall) Der Antrag der Linkspartei, den wir heute debattieren, ist sowohl integrationspolitisches als auch gesellschaftspolitisches Harakiri. (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt aber Japanisch!) Die Forderungen, die Sie stellen, sind völlig realitätsfern und weltfremd. Zu Ihrem Antrag fällt mir nur eines ein: alter Wein in neuen Schläuchen. Vor vier Jahren haben Sie exakt die gleichen Forderungen in einem ähnlichen Antrag gestellt; Sie haben lediglich die Begründung ausgewechselt. Am Forderungskatalog haben Sie nichts geändert. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mir kommt der Antrag der Fraktion Die Linke vor wie das Ungeheuer von Loch Ness - in unregelmäßigen Abständen taucht er immer wieder auf. Aber ich bin zuversichtlich, dass Ihr Antrag das gleiche Schicksal wie das Ungeheuer von Loch Ness erfahren wird: Es ist nie Realität geworden. Weil Sie immer behaupten, die Einbürgerungszahlen seien im Vergleich zu den 90er-Jahren dramatisch zurückgegangen, muss ich sagen: Sie verwechseln hier Äpfel mit Birnen. In den 90er-Jahren hat das Statistische Bundesamt sämtliche Spätaussiedler, die aus Kasachstan oder Russland zu uns gekommen sind, hinzugezählt. Deswegen kann man die Einbürgerungszahlen der 90er-Jahre nicht mit den Einbürgerungszahlen dieses Jahrzehnts vergleichen. Da besteht ein diametraler Unterschied. Die Zahl der Einbürgerungen ist zurückgegangen; das ist ein Faktum. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Was denn nun? Fakt oder nicht Fakt?) Man kann sich natürlich darüber Gedanken machen, worauf dies zurückzuführen ist. Das mag vielleicht ganz profan daran liegen, dass viele derjenigen, die Anspruch auf eine Einbürgerung haben, schon längst eingebürgert sind. Es kann auch daran liegen - auch das gilt es zu bedenken -, dass viele derjenigen, die an sich anspruchsberechtigt sind, überhaupt kein Interesse daran haben, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. (Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: Das ist doch aber schlimm, oder?) - Sehr verehrte Frau Kollegin Kolbe, Sie haben erwähnt, dass über 5 Millionen Ausländer seit mehr als acht Jahren in Deutschland leben. Schon nach dem heute geltenden Staatsangehörigkeitsrecht könnten diese sofort einen Antrag auf Einbürgerung stellen. (Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: Lesen Sie das Gesetz! - Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Reden Sie mal mit denen!) Ich denke, man sollte sich eher die Frage stellen, weshalb diese über 5 Millionen Ausländerinnen und Ausländer kein Interesse daran haben, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist interessant! - Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Sagen Sie mal, warum!) Dem Antrag der Linksfraktion wohnt aus meiner Sicht - das ist ganz deutlich - der folgende Grundgedanke inne: Deutsche Staatsbürgerschaft! Wer hat noch nicht? Wer will noch mal? - Sie wollen die deutsche Staatsbürgerschaft auf dem Jahrmarkt feilbieten. Dies wird in keiner Weise dem Wert der deutschen Staatsangehörigkeit gerecht; denn sie ist ein hohes Gut. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bin sehr froh, dass wir es in der Großen Koalition geschafft haben, den Akt der Ausreichung der deutschen Staatsbürgerschaft zu heben. Viele Landratsämter und viele kreisfreie Städte veranstalten wunderschöne, sehr angemessene und sehr würdige Feierlichkeiten, in deren Rahmen die deutsche Staatsbürgerschaft erworben wird. (Rüdiger Veit [SPD]: Das ging doch vorher schon!) Ich glaube, das ist ein schönes Zeichen, ein schönes Symbol für gelungene Integration. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Symbolpolitik ist das!) Eine weitere Fehlauffassung von Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke: Sie sind der Auffassung, dass das Ausreichen der deutschen Staatsbürgerschaft die Integration in die deutsche Gesellschaft erleichtert. (Zuruf von der LINKEN: Natürlich! Was denn sonst?) Das Gegenteil ist der Fall: Das Ausreichen der deutschen Staatsbürgerschaft kann nur am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses stehen. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Der Lagebericht von gestern widerspricht dem doch!) Das ist der grundlegende Fehler, den Sie machen. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut, und es gilt, dies immer wieder klarzumachen. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist mit Rechten verbunden, aber genauso auch mit Pflichten. Deswegen halten wir es für fatal, dass Sie den diametralen Wechsel vom Jus Sanguinis zum Jus Soli fordern. Sie fordern, dass jeder, der in Deutschland geboren wird und von dem nur ein Elternteil ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland hat, automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhält, unabhängig davon, wie gut und erfolgreich die Eltern in Deutschland integriert sind. Das ist ein großer Fehler. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Das ist doch Sippenhaft!) Ich kann daraus nur den Schluss ziehen, dass es Ihr einziges Bestreben ist, sich ein anderes Staatsvolk zu schaffen. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Was für ein Rechtsverständnis haben Sie eigentlich, Herr Kollege?) Sie wollen sich ganz bewusst ein neues, ein anderes Staatsvolk schaffen. Dazu sage ich ganz deutlich: Da machen wir nicht mit. Die Sprach- und Orientierungskurse, die wir in der Zeit der Großen Koalition geschaffen haben, sind ein Erfolg. Insgesamt stehen in diesem Jahr 233 Millionen Euro dafür zur Verfügung. Fast eine viertel Milliarde Euro steht in diesem Jahr für Sprachkurse und Integrationskurse zur Verfügung. (Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: Das ist immer noch zu wenig!) In den letzten fünf Jahren haben insgesamt ungefähr 500 000 Menschen mit Migrationshintergrund erfolgreich an diesen Sprach- und Orientierungskursen teilgenommen. Ich glaube, darauf können wir alle in Deutschland stolz sein. Das ist ein schönes Zeichen. (Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: 15 Millionen fehlen in diesem Jahr!) Ich sage auch ganz offen: Trotz aller Konsolidierungsbestrebungen und Sparnotwendigkeiten macht die christlich-liberale Koalition vollkommen klar, dass an diesem Punkt nicht gespart wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: Das stimmt nicht!) Wenn Sie in den Entwurf des Haushaltes für das Jahr 2011 blicken, der gestern vom Kabinett verabschiedet wurde, sehen Sie, dass dort wiederum 233 Millionen Euro für Sprach- und Orientierungskurse eingestellt sind. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Linke Tasche, rechte Tasche!) Das ist ein sehr ehrgeiziges und sehr mutiges Zeichen. Es wird an vielen Stellen - teilweise sehr leidvoll und mit unbequemen Einschnitten - gespart. Aber bei diesem wichtigen Punkt "Sprach- und Orientierungskurse" wird nicht gespart. Ich glaube, das ist ein schönes Zeichen. Darauf kann die christlich-liberale Koalition stolz sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein weiterer Erfolgsschlager sind meines Erachtens die Einbürgerungstests. Es ist schon erwähnt worden: Die Erfolgsquote liegt bei fast 99 Prozent. Ich halte es für außerordentlich subtil, wenn jetzt behauptet wird: Wenn 99 Prozent den Einbürgerungstest bestehen, dann brauchen wir ihn doch gar nicht. - Auch das ist eine Fehlauffassung, sehr geehrter Herr Kollege Winkler; denn es ist doch schön, wenn sich alle bemühen, nicht nur entsprechend Deutsch zu lernen, sondern sich auch mit der deutschen Geschichte, der deutschen Soziallehre und dem deutschen Staatsaufbau auseinanderzusetzen, um den Einbürgerungstest erfolgreich abzuschließen. Dieser Einbürgerungstest schließt niemanden aus. Ganz im Gegenteil, er ist ein wichtiger Beitrag zur Integration. Deswegen kann ich Ihnen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, nur zurufen: Stampfen Sie endlich diese Forderungen, stampfen Sie endlich dieses Ungeheuer von Loch Ness ein. Diese Forderungen umzusetzen, wäre schlecht für Deutschland und die in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer und schlecht für einen erfolgreichen Integrationsprozess. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2351 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses (5. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Alt-ötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Europa in Bewegung - Mit Kompetenz und Verantwortung für einen europäischen Mehrwert im Sport - zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Sabine Bätzing, Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Den Sport in Europa voranbringen - zu dem Antrag der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Winfried Hermann, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sport in der Europäischen Union - Den Lissabon-Vertrag mit Leben füllen - Drucksachen 17/2129, 17/1406, 17/1420, 17/2468 - Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Martin Gerster Joachim Günther (Plauen) Katrin Kunert Viola von Cramon-Taubadel In der Tagesordnung wurde bereits ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Klaus Riegert, Stephan Mayer (Altötting), Martin Gerster, Axel Schäfer (Bochum), Joachim Günther (Plauen), Jens Petermann und Viola von Cramon-Taubadel. Klaus Riegert (CDU/CSU): Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009 und mit dem Art. 165 AEUV erhielt die Europäische Union eine ausdrückliche, unterstützende Zuständigkeit und Kompetenz für den Bereich Sport. Der erwähnte neue Sportartikel bietet auf der Grundlage des "EU-Weißbuchs Sport" und des "Aktionsplans Pierre de Coubertin" nachhaltige Chancen für den Sport in Europa. Eine ziel- und zweckgerichtete Ausgestaltung dieser neuen EU-Kompetenz findet in Abgrenzung zu nationalen Aktivitäten und Maßnahmen einen notwendig, begrenzenden Rahmen. Im Mittelpunkt eines gemeinsamen Interesses in diesem Bereich steht demnach das Erzielen eines europäischen Mehrwertes. In Form von EU-Sportforen, bilateralen Treffen und eines Konsultationsprozesses gilt es, fortführend für die EU-Kommission mit den 27 EU-Mitgliedstaaten und bedeutenden Sportorganisationen inhaltliche Vorschläge zur Ausgestaltung des neuen Sportartikels zu finden. Gleichwohl vielfältiger Aspekte weist die EU-Kommission in ihrem Non-Paper auf eine Priorisierung der angestrebten Ziele nach Größe des Mehrwertes und Handlungsbedarfs hin. Zudem wird auf ihre lediglich unterstützende Kompetenz für eine Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und auf die begrenzten finanziellen Mittel hingewiesen. Es soll nicht um die Auflistung eines möglichst breiten Ziel- und Forderungskataloges gehen, sondern um den Fokus auf gut begründbare und gewichtete Ziele mit einem Wertzuwachs auf europäischer Ebene. Eine Missachtung dieses grundlegenden Hinweises der EU-Kommission durch Aufführen von mehr als 25 Punkten weckt Unverständnis - nicht nur im Blick auf die zukünftige Konsensfindung und inhaltlichen Überschneidungsbereiche der 27 EU-Mitgliedstaaten. Aber genau dies findet man in den Anträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD-Fraktion, wobei die Grünen geschickterweise ihre 25 Punkte in fünf Unterpunkte gepackt haben. Das Initiativrecht für Maßnahmen im Sport verbleibt jedoch schließlich bei der Europäischen Kommission. Es genügt zusammenfassend demnach nicht der undifferenzierte Wahlspruch "Den Sport in Europa voranbringen", sondern es bedarf der Beachtung der strukturellen, institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen sowie einer Abwägung der sportpolitischen Inhalte. Auch die wohl gemeinte Idee, "den Lissabon-Vertrag mit Leben zu füllen", darf mit einem breiten Forderungskatalog nicht einer inhaltlich, thematischen Zerstreuung oder Überforderung gleichkommen. Eine nachhaltige EU-Sportagenda bedarf eines angemessenen Entwicklungsprozesses und nicht einer überstürzten Anhäufung oder vorschnellen Überfrachtung. Trotz diverser durchaus interessanter Vorschläge zur EU-Sportagenda können sportpolitische und vor allem EU-rechtliche Rahmenbedingungen nicht ignoriert werden. So kann von einer Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften in weiten Teilen nicht ausgegangen werden. Weiterhin sollen die Chancen für den Sport und für Europa in gemeinsamer Verantwortung wechselseitig genutzt werden, ohne dabei gleichzeitig einer bürokratischen Überregulierung mit Überwachungs-, Prüfungs- und Koordinationsmechanismen zur Umsetzung der EU-Leitlinien zu verfallen. Letztlich steht der Wertzuwachs für den europäischen Sport mit dessen Agenda im Vordergrund und nicht unnötiges Behördenhandeln. Zu beachten ist ebenfalls, dass trotz des Lissabon-Vertrages im Sport auf Europaebene auch zukünftig keine Rechtsakte erlassen, sondern nur Empfehlungen ausgesprochen und daraufhin finanzielle Zuwendungen gesteuert werden. Legitimieren lassen sich diese Zuwendungen und Maßnahmen im Sport weiterhin nur durch einen eindeutig transnationalen Bezug und Mehrwert auf EU-Ebene. Denn nur vor dem Verständnis einer reflektierten und zielgerichteten Unterstützung durch die EU kommt man einem aufgeklärten Verständnis des Sports in Europa nach - jedoch nicht mit einer allein wohlgemeinten Alimentation und letztlichen Bevormundung. Dieses Verständnis sollte jedoch nicht nur hinsichtlich finanzieller Förderprogramme, sondern für alle Maßnahmen der Sportagenda als Grundsatz gelten. Dabei ist der Sport mit dessen sozialer Wirklichkeit und Besonderheit in Abgrenzung zur Wirtschaft in angemessener Weise zu berücksichtigen. Basale Prinzipien wie zum Beispiel das Subsidiaritätsprinzip und die Autonomie des Sports sichern daran anknüpfend ein nachhaltiges Sportmodell in Europa mit zukünftig sinnvollen, konzentrierten und vor allem realisierbaren Maßnahmen. Die Potenziale des Sports in Europa erhalten ihre Gestaltungskraft und Signalwirkung erst durch eng definierte und rational-nachvollziehbare Ziele. Dabei beschränken sich diese Zielvorstellungen längst nicht mehr auf rein wirtschaftliche oder rechtliche Verbindungslinien und Implikationen des Sports in der EU, sondern reichen ebenfalls hin zu sozialen Funktionen, zum Beispiel im Sinne von Integrationsleistungen für ein "Europa der Bürger". In Anschluss an das erwähnte EU-Weißbuch des Sports und den "Aktionsplan Pierre de Coubertin" sollen auf europäischer Ebene verbindende Werte und Ziele, wie Fairness, gegenseitige Achtung und Respekt im und durch den Sport gefördert werden. In Analogie zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion werden unter Berücksichtigung der genannten Prinzipien daher zielgerichtete Vorschläge aus vier Themenfeldern benannt, die zudem auch bei wichtigen Partnern Deutschlands in der EU auf breite Zustimmung treffen: Die Förderung des Antidopingkampfes, die Verbesserung der dualen Karrieremöglichkeiten und der Mobilität von im Sport Beschäftigten, die Bedeutung von körperlicher Aktivität und des Sports für Gesundheit und Prävention sowie das bürgerschaftliche Engagement. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, sich in der EU für eine maßvolle Fortentwicklung der EU-Sportpolitik einzusetzen: Erstens. Durch die Einrichtung eines Netzwerkes der europäischen Antidopingorganisationen, NADOs, sowie einer "Monitoring-Task-Force" kann der Kampf gegen Doping im Sport maßgeblich unterstützt und weiterentwickelt werden. Zweitens. Die Möglichkeiten einer dualen Karriere sollen durch die Anerkennung von Trainerlizenzen und äquivalenten Ausbildungsinhalten auf EU-Ebene sowie durch die Unterstützung der Mobilität von im Sport beschäftigten Personen deutlich verbessert werden. Die erfolgreiche, berufliche Eingliederung von Athleten steht im Mittelpunkt dieses Anliegens. Drittens. Im Blick auf die Bedeutung des Sports und der Bewegung für Gesundheit und Prävention sollen Programme in Verbindung zu den EU-Leitlinien für körperliche Aktivität ohne bürokratische Überregulierungen fortgeführt werden. Hierbei sind vielfältige Aktivitäten in Anlehnung an den Nationalen Aktionsplan "IN FORM" unter Berücksichtigung der regionalen, nationalen Gegebenheiten sowie des europäischen Kontextes zu erschließen bzw. durchzuführen. Ziel ist es, durch eine verbesserte Aufklärung und Sensibilisierung der Menschen das Ernährungs- und Bewegungsverhalten in Deutschland und in der EU nachhaltig zu verbessern. Viertens. In Bezug auf die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements ist es das Ziel, dies im und durch den Sport zu fördern sowie die grenzüberschreitende Mobilität von Ehrenamtlichen in der EU zu erleichtern. Hierbei sollen die Programme "Jugend in Aktion" sowie der Europäischen Freiwilligendienste weitergeführt und die Ergebnisse der Studie zur Freiwilligenarbeit in der EU mit deren Maßnahmen zur Gewinnung von Ehrenamtlichen im Sport umgesetzt werden. Zusammenfassend und umrahmend ist bei den genannten Maßnahmen darauf hinzuwirken, dass zur Erzielung eines europäischen Mehrwertes im Sport die genannten Leitlinien und grundlegenden Prinzipien gewahrt werden, sodass Sport in Europa letztlich das ist und zukünftig wird, was in Vielfalt die sporttreibenden und sportbegeisterten EU-Bürger bewegt und vereint. Europa befindet sich in Bewegung - Sport in Europa bewegt! Mit Kompetenz und Verantwortung für einen europäischen Mehrwert im Sport wird man diesem Verständnis gerecht. In diesem Sinne fordere ich Sie auf, unserem Antrag zuzustimmen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Fairness, Achtung und Respekt - das sind Tugenden, die weltweit Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene im Sport mit am besten verinnerlichen können. Deshalb begrüße ich es einerseits, dass die Europäische Union mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und mit Art. 165 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union den Sport unterstützen will. Andererseits möchte ich ausdrücklich bedenken: Ich sehe durchaus die Gefahr, dass Sportler und Beschäftigte im Sport plötzlich unnütz hohe bürokratische Hürden auf EU-Ebene mit komplizierten Überwachungs-, Prüfungs- und Koordinationsmechanismen erklimmen müssen. Das Prinzip der Subsidiarität muss deshalb unbedingt gewahrt bleiben. Es muss Aufgabe der Bundesregierung sein, die Autonomie des Sport, die grundlegend für ein Engagement der Bürger ist, zu wahren. Nur wenn wir das schaffen, fördern wir das sportliche Engagement der Bürger weiterhin effektiv und nachhaltig. Deshalb fordern die CDU/CSU und die FDP eine klare, verständliche und zielgerichtete Regelung. Darum kann ich es auch nicht verstehen, dass die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen schwammig formulierte Anträge stellen. Damit leisten Sie einem undurchsichtigen Regelwerk doch geradezu Vorschub. Die EU-Kommission forderte mit ihrem Non-Paper auf, zu priorisieren und zu konzentrieren. Mit ihrem Antrag erfüllt die SPD-Fraktion diese Aufgabe nur bedingt. Sie listen zwar 19 Aspekte auf, setzen aber keine Schwerpunkte. Die verehrten Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen setzen ebenfalls keine Prio-ritäten. Hinzu kommt, dass beide Parteien die Autonomie des Sports, die im Spannungsfeld zum EU-Recht steht, nur unzureichend schützen. Die SPD fordert eine stärkere Unterstützung des Sports auf EU-Ebene in Bereichen wie Bildung oder Entwicklungspolitik. Prinzipiell begrüße ich das natürlich. Aber ich bezweifle, dass ihr Anliegen in dieser Form auch durchführbar ist. Eine Harmonisierung des EU-Rechts in diesen Bereichen ist doch eher unwahrscheinlich und auch nicht erstrebenswert. Die Grünen beziehen in ihrem Antrag gar keine Stellung dahin gehend, wo die Autonomie des Sports sinnvoll erscheint. Sie thematisieren das Spannungsfeld zum EU-Recht nicht einmal. Sowohl die SPD als auch das Bündnis 90/Die Grünen zielen mit ihren Forderungen zu ungenau darauf ab, die Kompetenzen der Mitgliedstaaten und damit auch die Kompetenzen von Deutschland zu wahren. Wenn die SPD mehr Unterstützung der EU beim Sport im Bereich der Bildung fordert, dann laufen Sie Gefahr, eine der wichtigsten Aufgaben der Bundesländer zu beschneiden. Auch die Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen fordern zum Beispiel EU-Projekte zur Integration von Frauen und Gesundheit. Dabei vergessen sie anscheinend, dass diese Bereiche in die nationale Zuständigkeit fallen. Damit nicht genug: Sie bleiben vage und benennen noch nicht einmal den Gewinn, den Sie wohl erwarten. Die CDU/CSU und die FDP fordern in ihrem Antrag, den Fokus auf gut begründbare und gewichtete Ziele zu legen. Zudem muss der Mehrwert auf europäischer Ebene ersichtlich sein. Der Antrag von CDU/CSU und FDP respektiert und schützt die Autonomie des Sports. Wir warnen vor einer Bevormundung durch die EU. Wenn die Akteure auf EU-Ebene allerdings die Autonomie des Sportes anerkennen und reflektiert sowie zielgerichtet unterstützen, können wir mit einem aufgeklärten Verständnis von Sport in Europa gewinnen. Vor allem beim Kampf gegen Doping ist der Mehrwert ersichtlich. Der Markt für Dopingmittel, der sich leider nicht nur an Profisportler, sondern zunehmend auch an Breitensportler richtet, kümmert sich nicht um Ländergrenzen. Deshalb ist es unsere Pflicht und auch unser Wunsch, die Dopingbekämpfung auf EU-Ebene besser zu koordinieren. Die Gründung eines EU-Netzwerkes der nationalen Antidopingorganisationen ist hier eine große Chance. Ich bin mir sicher: Mit dem Antrag der CDU/CSU und der FDP schaffen wir eine Basis sowohl für den Breiten- als auch für den Spitzensport. Die Bürgerinnen und Bürger bekommen mit uns bessere duale Karrieremöglichkeiten. Darüber hinaus schaffen wir für Beschäftigte im Sport mehr Mobilität. Das Wichtigste bleibt aber, dass wir bessere Bedingungen schaffen, mit Sport die Gesundheit und Prävention sowie das bürgerschaftliche Engagement zu stärken. Martin Gerster (SPD): Wir diskutieren heute drei Anträge zum Thema "Sport und Europa". Der Vertrag von Lissabon bringt neue Kompetenzen Europas für die Förderung des Sports mit sich, der Art. 165 legt fest, dass die Union zur Förderung der europäischen Dimension des Sports beiträgt. Die Chancen, die sich daraus ergeben, muss die Politik nutzen. Die europäische Sportpolitik wird zukünftig ein wichtiger Bereich der Gemeinschaftspolitik sein, den die Koalition, wie allerdings so viele andere Dinge auch, beinahe verschlafen hätte. Erst unser Antrag, den wir im Vorfeld des ersten formellen Sportministertreffens am 10. Mai 2010 eingebracht haben, um unsere Vorstellung von Schwerpunkten europäischer Sportpolitik deutlich zu machen, war für die Koalition der Weckruf. Allerdings hat es bis zum 16. Juni 2010 gedauert, bis die Koalition ihren - aus unserer Sicht inhaltlich dürftig gehaltenen - Antrag formuliert hatte. Ich will der Koalition keine Unlust unterstellen. Wahrscheinlich lag es vielmehr daran, dass für die Koalition nach den Vorschlägen aus unserem fast zwei Monate vorher eingebrachten Antrag keine weiteren guten Ideen mehr übrig waren. Diese Annahme wird noch deutlicher, wenn man den Inhalt des Koalitionsantrages "Europa in Bewegung - Mit Kompetenz und Verantwortung für einen europäischen Mehrwert im Sport" genauer betrachtet. Dieser enthält nur wenig konkrete Vorstellungen für eine moderne europäische Sportpolitik. Statt Chancen und Herausforderungen zu suchen, bremst sich die Koalition im Antragstext selbst aus: Was bitte verstehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, denn unter einer nicht wünschenswerten "wohlgemeinten Alimentation" bei gleichzeitig "hoch zu achtender Autonomie des Sports", der "der Politik selbstverständlich wie bisher einen begrenzenden Rahmen vorgeben" wird? Der Bund ist der wichtigste Förderer des Spitzensportes, und er alimentiert nur dann nicht, wenn er auch zukünftig willens und ermächtigt ist, gewisse Entscheidungen des autonomen Sports zu hinterfragen oder im begründeten Einzelfall auch kritisch zu widersprechen. Ansonsten gölte das Prinzip: "zahlen und schweigen". Das mag der fromme Wunsch des Gesundheitsministers an die Bürgerinnen und Bürger sein - nicht nur in der Sportpolitik sieht meine Fraktion dies jedoch ein wenig anders. Die Koalition lehnt unseren Antrag ab, da er Priorisierung und Konzentration vermissen lasse - eine wenig überzeugende Begründung! Wir haben in unserem Antrag sehr deutlich gemacht, dass sportpolitische Konsequenzen aus dem Lissabon-Vertrag breit und vielschichtig sein müssen. Die Bekämpfung von Doping, Manipulation und Rassismus im Sport muss auch auf europäischer Ebene Thema sein. Die Relevanz des Sports als Instrument der Begegnung und damit europäischer Integration und die Wichtigkeit von Ehrenamt im und für den Sport und der Wunsch nach Förderung des bürgerschaftlichen Engagements in Europa sollten unstrittig sein. Die europäische Dimension des Sports geht aber darüber hinaus, es gibt wichtige Überschneidungen auch in andere Politikfelder. Darum finden Sie in unserem Antrag auch Forderungen in Richtung Entwicklungs-, Medien-, Gesundheits- und Bildungspolitik. Dazu müssen Finanzmittel zur Verfügung stehen - daher unsere Forderung nach einer sinnvollen und ausreichenden Ausgestaltung des geplanten EU-Sportförderprogramms. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, auch wenn Sie es bestreiten, unser Antrag hat sehr wohl eine klare Ausrichtung - daher hätte er Ihre Zustimmung verdient! Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen teilt viele unserer Ideen und macht sinnvolle Vorschläge; daher werden wir deren Antrag auch zustimmen. Der Ko-alitionsantrag hingegen ist nichtssagend; mehr als Floskeln sind nicht erkennbar. Glauben Sie in der Tat, dass der Kampf gegen Doping nur gewonnen werden kann durch Netzwerke zwischen den europäischen Antidopingorganisationen? Was ist denn aus dem Versprechen der Bundeskanzlerin am Rande der Leichtathletik-WM 2007 in Osaka geworden, sich auf internationaler Ebene für eine konsequente Bekämpfung des Dopings einzusetzen? Ich hoffe, dass die anderen europäischen Regierungen tiefergehende Vorschläge machen werden als die von Ihnen angeregte Anerkennung von Trainerlizenzen auf europäischer Ebene. Das ist sicher wichtig, aber es gibt größere sportpolitische Projekte in Europa. Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Der Vertrag von Lissabon ist ein Meilenstein für den europäischen Einigungsprozess - und für die Sportpolitik in Europa. Denn mit dem Vertrag erlangt die Europäische Union erstmals Kompetenzen für die Förderung der europäischen Dimension des Sports. Einher mit dieser neuen Kompetenz geht eine Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung der sportpolitischen Zukunft. Diese Verantwortung liegt nicht alleine bei der Europäischen Kommission, sie liegt vor allem bei den Regierungen der Mitgliedstaaten und somit auch bei unserer Bundesregierung. Dieser Verantwortung scheint die schwarz-gelbe Koalition aber nicht gerecht werden zu können oder zu wollen. Ihr Antrag jedenfalls ist kaum zielgerichtet, wenig progressiv und weist gar keinen Mehrwert auf. Wer so Sport betreibt, wird nicht weit kommen, und dasselbe gilt auch für die Sportpolitik von Schwarz-Gelb. Fünf Punkte umfasst der Forderungsteil Ihres Antrages, und den wenigen Gestaltungsideen, die er enthält, fehlt es leider an jeder Ambition. Mit dem "Kampf gegen Doping", der Förderung "Dualer Karrieren" und bürgerschaftlichen Engagements sowie einer diffusen Idee zur Gesundheitsförderung durch Sport in Europa bleiben Ihre Forderungen hinter dem Potenzial des Lissabon-Vertrages für den Sport zurück. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, machen Sie sich bis zum nächsten Sportministertreffen ein paar zusätzliche Gedanken, damit Deutschland bei den Beratungen im Rat nicht verfrüht wegen Einfallslosigkeit und mangelnder Motivation ausscheidet. Welche Arbeitsaufträge wollen Sie der von Ihnen getragenen Regierung für die europäische Sportpolitik mitgeben? Sie haben, das wissen Sie hoffentlich, seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der entsprechenden Begleitgesetze die Möglichkeit, ja die Verantwortung, an der deutschen Politik in Europa mitzuwirken. Das Knüpfen neuer Antidopingnetzwerke und die Einrichtung einer Monitoring-Task-Force können doch nicht im Ernst Ihre finalen Ideen einer europäischen Strategie in der Dopingbekämpfung sein. Wir, die SPD-Fraktion, haben Ihnen mit unserem Antrag eine gute Vorlage für eine breite inhaltliche Diskussion mit den Sportministerinnen und Sportministern gegeben. Wir sind Ihnen sicher nicht böse, wenn die deutschen Regierungsvertreterinnen und -vertreter diese Ideen mit in die nächsten Gesprächsrunden auf europäischer Ebene einfließen lassen. Wir leiten aus der neu geschaffenen Kompetenz des Art. 165 des Lissabon-Vertrages Verantwortung ab. Wir wollen neben der nationalen Sportpolitik europäische Sportpolitik gestalten. Dazu haben wir 19 Vorschläge gemacht. Sie fordern eine "Begrenzung auf inhaltlich realistische Vorschläge". Nach erneuter Prüfung unseres Antrages kann ich Ihnen sagen, dass wir Ihre Forderung - salopp gesagt - oppositionsuntypisch erfüllen - alle 19 Vorschläge sind sehr realistisch. Sie sind klar und zielgerichtet formuliert. Aus unserem Antrag wird deutlich, wie die Ausgestaltung eines EU-Sportförderprogrammes aussehen könnte, wie europäische Dopingbekämpfung funktionieren kann, welchen Wert Sport als Instrument in der Bildungs-, Integrations- und Gesundheitspolitik hat und welchen Gefahren im Sport, zum Beispiel Rassismus, Manipulation und Gewalt, gemeinsam begegnet werden muss. Wir sehen die Mitgliedstaaten als die zentralen Akteure in der Sportpolitik. Aus Ihrem Antrag schimmert einmal mehr die Dominanz der Autonomie des Sports hervor. Glauben Sie uns und unserem Antrag: Man kann Sportpolitik sehr wohl gestalten, ohne die Selbstverwaltung des Sports und seiner Organisationen zu umgehen oder auszuhebeln. Die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen haben das in ihrem Antrag ebenfalls deutlich gemacht. In vielen Ideen und Herausforderungen stimmen unsere Vorstellungen überein. Daher werden wir zu diesem Antrag, der den Lissabon-Vertrag mit Leben erfüllen will, ebenfalls Ja sagen. Zum Antrag der Koalition sagen wir Nein. Zu oberflächlich sind die Gestaltungsideen, zu konzeptionslos ausgewählt die Maßnahmen. Ich hoffe aber, dass Union und FDP erst am Beginn einer positiven Entwicklung stehen. Das ist auch in der gemeinsam zu tragenden Sportpolitik und den EU-Kompetenzen so. Joachim Günther (Plauen) (FDP): Die FDP sieht es grundsätzlich als positiv an, dass mit dem Vertrag von Lissabon in Art. 165 eine unterstützende Kompetenz auf europäischer Ebene für den Sport geschaffen wurde. Mit der Verankerung im Primärrecht fällt der Sport auch erstmalig mit in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union, ohne dass die nationale Verantwortung aufgegeben wird. Der Sport hat jetzt neben leistungssportlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Merkmalen vor allem auch einen sozialen Aspekt für die Bürger von Europa! Begriffe wie "Integration", "Toleranz" und "Zusammenhalt" gibt es in der Welt von sportlich Aktiven nicht nur theoretisch, dort werden sie gelebt! So ist der Sport auch Sinnbild für ein gedeihliches Miteinander. Dieser Tatsache wird mit dieser neuen Kompetenz auch Rechnung getragen. Dies bietet eine Reihe von Chancen für den Sport, wenn man die Kompetenz im Hinblick auf einen Mehrwert für den Sport sinnvoll, aber maßvoll einsetzt. Da sind zunächst natürlich die besseren finanziellen Möglichkeiten zu nennen, zum Beispiel das für 2012 geplante erste EU-Sportförderprogramm, die eine gute Ergänzung zu den nationalen Mitteln darstellen. Die neue Kompetenz eröffnet uns weiterhin die Möglichkeit eines besseren Schutzes der körperlichen Unversehrtheit von Sportlern, insbesondere Jugendlicher, und bessere Möglichkeiten von Gewaltbekämpfung durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Es wird auch zu einer verbesserten Koordinierung der Dopingbekämpfung auf internationaler Ebene kommen. So erwarten wir von der Gründung eines EU-Netzwerkes der nationalen Antidopingorganisationen, NADOs, neue Impulse, um Synergieeffekte für alle Mitgliedstaaten nutzbar zu machen. Bei der Implementierung neuer, gemeinsamer Antidopingmaßnahmen, zum Beispiel im Hinblick auf die Einrichtung von Melderegistern, ist uns dabei eines ganz besonders wichtig: Die Persönlichkeitsrechte unserer Spitzensportler müssen angemessen berücksichtigt und unbedingt geschützt werden. Die Rolle des Sports für ein gesundes und fittes Leben in Verbindung mit richtiger Ernährung, der Kampf gegen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes und Adipositas, eine effektivere Zusammenarbeit mit der WHO, verbesserte Möglichkeiten der Bekämpfung von Wettbetrug, die Förderung und Unterstützung des Antidopingkampfes, die Verbesserungen der dualen Karrieremöglichkeiten und der Mobilität von im Sport Beschäftigten, die Stärkung des Ehrenamts, die Breitensportförderung und der Erhalt unserer einzigartigen Vereinsstruktur - all diese Ziele lassen sich in einem europäischen Rahmen noch besser verfolgen und koordinieren. Doch bei allem Positiven, was vom Lissabon-Vertrag für den Sport zu erwarten ist, muss ein Hinweis erlaubt sein: Es handelt sich beim Art. 165 AEUV lediglich um eine unterstützende Kompetenz. Wir müssen unbedingt auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips achten. Außerdem darf die hoch einzuschätzende Autonomie des Sports nicht erodieren. Dort, wo die neue EU-Kompetenz einen wirklichen Mehrwert für den Sport verspricht, soll sie auch maßvoll genutzt werden. Im Hinblick auf den umfangreichen Forderungskatalog, der in den Anträgen der Opposition zu finden ist - wie immer ohne genaue Vorstellung davon, wo das Geld dafür eigentlich herkommt -, sollte man auch eines nicht aus dem Blick verlieren: Unterstützung heißt nicht automatisch finanzielle Hilfe, sondern auch ideelle Hilfe, positive Aufmerksamkeit und das Fördern von Engagement und Eigenverantwortung. Bürokratischer Überregulierung ist dies in jedem Falle vorzuziehen. Jens Petermann (DIE LINKE): Vier Wochen waren die Blicke der Sportwelt auf Afrika gerichtet. Zwischenzeitlich schien es, als würden die Europäer ihre Vormachtstellung im Fußball verlieren. Wie hätte Europa reagiert, wenn plötzlich nur noch eine Mannschaft aus der "alten Welt" im Wettbewerb gewesen wäre? Es ist kaum vorstellbar, dass sich ganz Europa hinter dieses eine Team gestellt hätte - wie ganz Afrika hinter Ghana stand. Sport ist identitätsstiftend, und unsere europäische Identität steckt noch in den Kinderschuhen - nicht nur im Sport, aber hier ganz besonders. Was ist dann also europäischer Sport, wie lassen sich hier Gemeinsamkeiten herausbilden - ohne dass sie einfach von oben zu solchen erklärt werden? In den Anträgen aller Fraktionen werden verschiedene Problemstellungen durchaus treffend aufgezeigt. Aber die Wegbeschreibungen zu möglichen Lösungen fehlen. Und die allzu kurze "Debatte" im Sportausschuss hat gezeigt, dass es dazu aus der Regierung auch wenig Ideen gibt. Die Linke hat dazu Ideen, die sich vor allem auf den Breitensport konzentrieren. Wir haben es auch bereits mehrfach gesagt: Um Schul-, Freizeit- und Vereinssport sinnvoll zu fördern, brauchen wir ein Sportfördergesetz des Bundes. Was bringt es, wenn die Länder und Kommunen alleine vor sich hin fördern, die Maßnahmen aber nicht sinnvoll miteinander verzahnt werden? An einem Beispiel lässt sich die Notwendigkeit, die verschiedenen Ebenen der Sportförderung zu verbinden, gut darstellen: Am Sportgymnasium in Oberhof - in meinem Thüringer Wahlkreis - gibt es ein Nachwuchsproblem bei den Rodeltrainern: Zum einen sind da die Anforderungen einer pädagogischen Ausbildung und der leistungssportlichen Erfahrung. Das allein ist schon sehr anspruchsvoll. Auf der anderen Seite gibt es die Arbeitsverträge für Lehrer, die stets für ein Jahr auf geringstmöglichem Tarifniveau befristet sind. Sowohl sportlich als auch persönlich ist auf dieser Basis eine wenigstens mittelfristige Planung unmöglich. Irgendwie kann man da schon verstehen, dass es eigentlich keine Anwärter für den Job gibt. Aber der Bund am Olympiastützpunkt Oberhof und das Land, das den Lehrer bezahlen muss, haben halt unterschiedliche Vorstellungen. Wer so agiert, stellt die Zukunft des Sportnachwuchses in Frage. Sowohl das "Weißbuch Sport" als auch die Entschließung des Europäischen Parlaments haben dem Breitensport eine herausgehobene Rolle zugeschrieben. Aber der Bund ziert sich weiterhin, hier eine Verschiebung der Schwerpunkte vorzunehmen. Die schwarz-gelben Koalitionäre haben dem vor wenigen Monaten gar noch die Krone aufgesetzt. Das Sportstättenprogramm "Goldener Plan Ost" wurde gestrichen, statt es auf marode Sportanlagen auch in den alten Ländern auszudehnen - wie von der Linken gefordert. Die Bundesregierung überlässt die Plätze und Hallen allein den leeren Kassen der Kommunen. Das ist gesellschaftspolitischer Unsinn. Dem Antrag der Koalition können wir aus mehreren Gründen nicht zustimmen. Allerdings möchte ich einen ganz besonders hervorheben. Schwarz-Gelb ist stolz, dass sich ihr Vorhaben "Sport in Europa" auf fünf Punkte konzentriert und nicht so eine Ansammlung von Aufgaben aufzählt wie die Anträge von SPD und Grünen. Aber in diesen Ansammlungen wird ein Problem wenigstens benannt, das ein wirkliches Problem darstellt, das der Koalitionsantrag schlicht negiert: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Das ist nicht nur fahrlässig, das ist gefährlich und ignorant. Mithilfe der neuen Kompetenzen auf der europäischen Ebene muss jetzt die Chance genutzt werden, um den Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus voranzutreiben - das gilt für den Spitzensport, aber insbesondere für den Breitensport. Inzwischen lässt sich zwar im Fußball, bei den Fans der einzelnen Nationalmannschaften in Europa, ein Rückgang der sichtbaren rechtsextremen Äußerungsformen feststellen. Bei Auswärtsspielen aber haben massive rassistische und/oder rechtsextreme Verhaltensweisen Konjunktur. Ich will hier nur an die Spiele der Deutschen Nationalmannschaft in Celje im März 2005 und Bratislava im September 2006 erinnern. Allerdings sind das keine neuen Erscheinungen, sondern konstatieren eine sogenannte "Wellenbewegung" von gewalttätigen Ausschreitungen, vor allem bei Spielen in Osteuropa. Der bereits angedeutete Rückgang von problematischen Verhaltensweisen, bedeutet nicht unbedingt einen Rückgang von problematischen Einstellungsmustern. Interviews von Fans und Experten weisen darauf hin, dass problematische Einstellungsmuster - insbesondere im Rechtsextremismus - unsichtbarer geworden sind. Genau hier muss die Idee von einem gemeinsamen Europa ansetzen, um diesen europafeindlichen Strömungen entgegenzuwirken. Auffallend auf nationaler Ebene ist, dass es eine Verlagerung von rassistischen und rechtsextremen Verhaltensweisen von der Bundesliga in die unteren Ligen gibt. Die Hauptursache hierfür, liegt im Fehlen von Fanprojekten und der mangelnden finanziellen Ausstattung unterklassiger Vereine. Dieser Fehlentwicklung könnte man mit einem bundesweiten Sportfördergesetz entgegenwirken, um sozialpräventive Fanarbeit der Vereine mit finanziellen Mitteln zu unterstützen. Dabei sollte Antirassismus als Querschnittsaufgabe und nicht als Pflichtprogramm in einer europaweiten und internationalen Debatte verstanden werden. Ausgangspunkt muss dabei eine kontinuierliche Arbeit mit unterschiedlichen Ansätzen und einer konstruktiv-vernetzenden Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure sein. Und noch etwas möchte ich hier anmerken: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus werden im Fußballstadion durchaus wahrgenommen und zum Teil kritisch diskutiert. Schwulenfeindlichkeit und Sexismus hingegen werden immer noch nahezu totgeschwiegen. Es hat sich so etwas wie eine Hierarchie von Diskriminierungen entwickelt. Homophobe Fangesänge gehören zum Standardrepertoire in vielen Fußballstadien, die nicht weiter infrage gestellt werden. Gleichzeitig gehört Fußball zu einer der letzten gesellschaftlichen Bastionen, in denen Homosexualität weitgehend ein Tabu ist. Sexistische Merchandising-Artikel sind weit verbreitet und gelten als "normaler" Bestandteil der Fankultur. Mir ist unverständlich, wie die Koalition solche Entwicklungen ignorieren kann und den Kampf gegen fremdenfeindliches Verhalten nicht in ihren Maßnahmenkatalog aufnimmt. Vielleicht ist es ja auch vermessen, von einem "Maßnahmen"-Katalog zu sprechen. Ich lese in diesem Antrag Absichtsbekundungen. Aber mehr oder weniger wohlformulierte Sätze haben noch selten etwas bewirkt. Es braucht aber mehr als lauwarme Worte, um im Sport hierzulande wie auch in Europa etwas zu bewegen. Die Linke im Deutschen Bundestag wird sich dem annehmen und entsprechende parlamentarische Initiativen einbringen. Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was die Koalition im Bereich der europäischen Sportpolitik bietet, das würde man im Fußball einen langsamen Spielaufbau nennen. Vielleicht sogar einen sehr langsamen. Zur Erinnerung: Unser Antrag und der der SPD lagen am 21. April 2010 im Sportausschuss vor. Das ist gute zwölf Wochen her. Der Lissabon-Vertrag trat Ende 2009 in Kraft und das erste offizielle Sportministertreffen fand am 10. Mai 2010 statt. Viel Zeit für die Koalition für eigene Initiativen. Aber, Schwarz-Gelb ist eben die Farbkombination der Langsamkeit. Auch in der europäischen Sportpolitik. Nun zum Inhalt des Antrags, den Sie angesichts des eben von mir kritisierten Tempos auch noch "Europa in Bewegung" nennen. Sie beziehen sich auf den Art. 165 AEUV, in dem der Sport "vor allem auch in seiner sozialen Funktion für ein Europa der Bürger gesehen" wird. Außerdem betonen Sie, dass "bei der Ausgestaltung der neuen Zuständigkeiten ein europäischer Mehrwert gegenüber nationalen Aktivitäten im Mittelpunkt des Interesses" stehen müsse. Weiter führen Sie aus: "Unabhängig vielfältiger Aspekte weist die Europäische Kommission auf eine Priorisierung der angestrebten Ziele nach Größe des Mehrwertes und Handlungsbedarfs hin." Sie wollen auch eine "bürokratische Überregulierung mit Überwachungs-, Prüfungs- und Koordinationsmechanismen zur Umsetzung der EU-Leitlinien" verhindern. Auch die Autonomie des Sports und das Subsidiaritätsprinzip sehen Sie in Gefahr und betonen diese deswegen deutlich. Sie wehren sich gegen eine wohlgemeinte Alimentation und letztlich Bevormundung des Sports seitens der EU. Und weiter: "Die Potentiale des Sports in Europa erhalten ihre Gestaltungskraft und Signalwirkung erst durch eng definierte Ziele." Bis hierhin hat es den Anschein, als würde in Ihrem Antrag nur stehen, was Sie alles nicht wollen. Er ist offensichtlich durch die Sorge gekennzeichnet, dass die Autonomie des Sports, das Subsidiaritätsprinzip und die Bemühungen der Länder und Kommunen untergraben werden könnten. Sie strapazieren in Ihrem Antrag und Ihren Redebeiträgen im Sportausschuss den "europäischer Mehrwert" für meinen Geschmack zu sehr und maßen sich auch noch die alleinige Definitionsmacht über dessen Bedeutung an. Dann beklagen Sie auch noch die Vielzahl der Forderungen in unserem Antrag und dem der SPD-Fraktion. Sie dürfen sich aber nicht formal, sondern müssen sich vor allem inhaltlich mit unseren Forderungen auseinandersetzen. Nun zu Ihren Forderungen, die da wären: Erstens: Einrichtung eines Netzwerkes der europäischen Antidopingorganisationen und einer "Monitoring-Task-Force". Zweitens: Anerkennung von Trainerlizenzen und äquivalenten Ausbildungsinhalten und Verbesserung der Rahmenbedingungen für duale Karrieren auf EU-Ebene. Drittens: Programme in Verbindung zu den EU-Leitlinien für körperliche Aktivitäten fortzuführen sowie Aktivitäten in Anlehnung an den Nationalen Aktionsplan "IN FORM" zu erschließen und durchzuführen. Viertens: Bürgerschaftliches Engagement im Sport und grenzüberschreitende Mobilität von Ehrenamtlichen in der EU fördern. Fünftens: Den durch Autonomie des Sports und Subsidiaritätsprinzip vorgegebenen Handlungsrahmen nicht überschreiten. Das sind ja alles ganz schöne, brave Forderungen, von denen ich die Punkte eins, zwei und vier grundsätzlich für unterstützenswert halte. Allerdings bleiben Fragen offen: Wie wollen Sie eine Antidoping-"Monitoring-Task-Force" ausgestalten? Wo soll diese Agentur angesiedelt werden? Wie soll deren Arbeit aussehen, etwa in der Art der kürzlich verkündeten Kooperation der WADA mit der Pharmaindustrie? Es würde mich auch interessieren, was Sie denn wirklich unter "Antidopingorganisationen" alles verstehen. In Ihrer Rede zur ersten Lesung der Anträge der Opposition hieß es noch "Antidopingagenturen". War das nur ein Versehen oder zeigt dies, dass Sie tatsächlich immer noch nicht wissen, was Sie eigentlich wollen? Auf Punkt fünf bin ich vorher schon eingegangen. Ich stelle mir schon die Frage, wofür sie eigentlich so lange gebraucht haben. Zumal Ihnen mit unserem Antrag - und in weiten Teilen dem der SPD - doch schon einige sehr wichtige Punkte für eine europäische Sportpolitik vorlagen. "Europa in Bewegung" haben sie Ihren Antrag genannt. Nur leider ist eben keine Bewegung zu erkennen. Ganz offensichtlich ignorieren Sie die einzigartige Möglichkeit, den Sport als Instrument zur europäischen Integration einzusetzen. Ein Punkt, der in ihrem Antrag gänzlich fehlt. Ich kann hier nur an Sie appellieren: Nutzen wir in der EU der 27 Mitgliedstaaten die vielen Chancen des Sports zur Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Identität. Die Kinder und Jugendlichen, die heute andere europäische Kulturen und Menschen kennenlernen, sind die Europäer und Europäerinnen von morgen. Ihre ignorante Haltung schadet der europäischen Idee. Wenn das hier ein Tennismatch wäre, würde ich sagen: "Der erste Aufschlag war klar im Aus. Versuchen Sie mit dem zweiten Aufschlag, den Ball ins Feld zu spielen." Aber wir sind nicht auf dem Tennisplatz, sondern im Parlament. Und wie ich schon erwähnte, müssen wir wohl froh sein, dass Sie überhaupt einen gemeinsamen Antrag vorlegen konnten. In diesen Tagen müssten wir vonseiten der Regierungsparteien leider schon mit sehr wenig zufrieden sein. Das sind wir aber nicht. Sie haben nur einmal mehr gezeigt, dass Sie es nicht können. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 17/2468. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/2129 mit dem Titel "Europa in Bewegung - Mit Kompetenz und Verantwortung für einen europäischen Mehrwert im Sport". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1406 mit dem Titel "Den Sport in Europa voranbringen". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist ebenfalls angenommen. Dafür haben gestimmt die Koalitionsfraktionen, dagegen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die SPD-Fraktion. Enthalten hat sich die Fraktion Die Linke. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1420 mit dem Titel "Sport in der Europäischen Union - Den Lissabon-Vertrag mit Leben füllen". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist angenommen. Dafür gestimmt haben die Koalitionsfraktionen, dagegen die SPD-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Monika Lazar, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe umfassender und detaillierter vorlegen - Drucksachen 17/1762, 17/2306 - Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Molitor b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorlegen - zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Elisabeth Scharfenberg, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Handlungsaufträge aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - Drucksachen 17/1578, 17/1761, 17/2091 - Berichterstattung: Abgeordnete Silvia Schmidt (Eisleben) c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Erstellung des Berichts der Bundesregierung auf Grundlage der UN-Konvention - Aktionsplan zur Umsetzung auf den Weg bringen - Drucksache 17/2367 - Interfraktionell wird vorgeschlagen, auch hierzu die Reden zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es geht um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Maria Michalk, Silvia Schmidt (Eisleben), Gabriele Molitor, Dr. Ilja Seifert und Markus Kurth.3 Tagesordnungspunkt 17 a. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel "Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe umfassender und detaillierter vorlegen". Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2306, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1762 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Dafür haben die Koalitionsfraktionen gestimmt, dagegen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Die Fraktion der SPD hat sich enthalten. Tagesordnungspunkt 17 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/2091. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1578 mit dem Titel "Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorlegen". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen; dagegen gestimmt haben die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten. Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 17 b. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1761 mit dem Titel "Handlungsaufträge aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion der SPD und der Fraktion der Linken. Tagesordnungspunkt 17 c. Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2367 mit dem Titel "Erstellung des Berichts der Bundesregierung auf Grundlage der UN-Konvention - Aktionsplan zur Umsetzung auf den Weg bringen". Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Dafür gestimmt haben die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dagegen die Koalitionsfraktionen. Die Fraktion die Linke hat sich enthalten. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen - Drucksachen 17/1719, 17/2280 - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) - Drucksache 17/2466 - Berichterstattung: Abgeordneter Thomas Bareiß Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. In der Tagesordnung wurde bereits ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll gegeben werden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Thomas Bareiß, Rolf Hempelmann, Klaus Breil, Dorothée Menzner und Ingrid Nestle. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Heute beraten wir abschließend über die Umsetzung der EU-Richtlinie über Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen. Lassen Sie mich gleich vorneweg die im wahrsten Sinne des Wortes effiziente Arbeit der Ministerien und der Regierungsfraktionen loben: Mit dem vorliegenden Gesetz können wir alle sehr zufrieden sein. Letzte Unstimmigkeiten konnten wir mit unserem Änderungsantrag im Nachgang zu der öffentlichen Anhörung vergangene Woche noch ausräumen. Nun haben wir das umgesetzt, was wir bereits im Koalitionsvertrag angekündigt haben: eine marktwirtschaftliche Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie. Erstens Änderungen im Gesetzgebungsverfahren. Nach der Anhörung letzte Woche zur Umsetzung der Richtlinie haben wir in der Koalition noch kleine Änderungen in das Gesetz eingearbeitet. Dazu gehört die sogenannte Sorgepflicht der Energieunternehmen. Zur Bestimmung, ob ein ausreichendes Angebot an Energieaudits besteht, darf nicht allein auf die von den Energieunternehmen unabhängigen Anbieter abgestellt werden. Vielmehr müssen alle potenziellen Anbieter berücksichtigt werden, soweit diese ihre Beratung zu wettbewerbsorientierten Preisen erbringen. Durch eine Änderung der Gesetzestextpassage im § 5 haben wir hier entsprechend für mehr Klarheit sorgen können. Ein weiterer Punkt ist der Bezug auf die Regionalität im § 4 und im § 5 des Gesetzes. Die ursprüngliche Formulierung, dass Energielieferanten über Energieeffizienzmaßnahmen in "ihrer kreisfreien Stadt oder ihrem Landkreis" zu unterrichten haben, führt zu der Gefahr, dass der Markt zu eng abgegrenzt wird. Auch hier haben wir für bessere Marktbedingungen gesorgt. Dienstleistungen werden heute nicht mehr allein von lokalen Anbietern, sondern zu einem wesentlichen Teil auch von überregionalen oder gar grenzüberschreitenden Anbietern erbracht. Diese müssen deshalb bei der Bestimmung, inwieweit für den einzelnen Endverbraucher in seiner Region ein ausreichendes Angebot an Energieaudits besteht, Berücksichtigung finden. Ein letzter Punkt war noch die sogenannte Anbieterliste im § 7. Durch unseren Änderungsantrag haben wir dafür gesorgt, dass die bei der Bundesstelle für Energieeffizienz geführte Anbieterliste allen Anbietern von Energiedienstleistungen, Energieaudits und sonstigen Energieeffizienzmaßnahmen offensteht, unabhängig davon, ob der einzelne Anbieter von den Energieunternehmen unabhängig ist oder nicht. Auf diese Weise wird für den Verbraucher eine maximale Markttransparenz geschaffen, die es ihm erlaubt, von allen potenziellen Anbietern in seiner Region Kenntnis zu nehmen. Zweitens IEKP und andere Maßnahmen. Ich möchte an dieser Stelle auch gleich den Kritikern begegnen, die uns vorwerfen, dass diese Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinie nicht weit genug gehe. Lassen Sie mich eines klarstellen: Wir haben uns in Deutschland durch zahlreiche Energieeffizienzmaßnahmen in den letzten Jahren bereits in die Position gebracht, dass diese Umsetzung der Richtlinie nur aus dem Grund keine weitergehenden Regelungen enthält, weil wir in Deutschland bereits viel weiter gefasste Ziele haben, die wir auch schon erreicht haben. Lassen Sie mich aufgrund der Kürze der Zeit nur kurz darauf eingehen. Herauszuheben ist natürlich das integrierte Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung, das viele Maßnahmen enthält, die Deutschland bei der Energieeffizienz weltweit führend gemacht haben. Mit dem IEKP setzen wir zum Beispiel auf den weiteren Ausbau der gekoppelten Erzeugung von Strom und Wärme, der sogenannten Kraft-Wärme-Kopplung. Die Gebäudesanierung ist ein weiterer wichtiger Bereich, in dem es noch erhebliche Potenziale gibt und in dem wir aber ebenfalls schon einige Erfolge erzielen konnten. Durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm haben wir seit dem Programmstart 2006 bis Ende 2009 insgesamt rund 6 Milliarden Euro Fördermittel für die Gebäudesanierung zur Verfügung gestellt. In demselben Zeitraum hat die KfW rund 550 000 Kredite und Zuschüsse mit einem Volumen von fast 30 Milliarden Euro bewilligt. Mit den Fördermitteln wurden in diesem Zeitraum knapp 1,42 Millionen Wohnungen saniert oder besonders energieeffizient errichtet, zudem rund 630 kommunale Einrichtungen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Der jährliche CO2-Ausstoß verringerte sich infolge der geförderten Baumaßnahmen um fast 4 Millionen Tonnen. Zudem wurden jährlich bis zu 290 000 Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen. Anfang des Jahres haben wir die Mittel zur Förderung von Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung im Rahmen des CO2-Gebäudesanierungsprogramms nochmals um 400 Millionen Euro erhöht. Ich werde mich auch weiterhin dafür einsetzen, dass diesem meines Erachtens sehr wichtigen Programm in den anstehenden Haushaltsberatungen angemessene Priorität eingeräumt wird. Drittens Stellenwert der Energieeffizienz. Ich denke, wir sind auf einem sehr guten Weg, ruhen uns aber auf dem Erreichten nicht aus. Bei der Energieeffizienz liegen noch erhebliche Potenziale; das gilt nicht nur für die Seite der Energiebereitstellung, sondern vor allem auch auf der Nachfrageseite. Dem Verbraucher kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Es gilt, die Verbraucher zu überzeugen, selbst aktiv Energie einzusparen. Das schont nicht nur den eigenen Geldbeutel, sondern vor allem die Umwelt. Wir als Politik müssen verstärkt die Rahmenbedingungen im Interesse der Verbraucher und im Dialog mit allen Akteuren gestalten. Was wir dabei allerdings nicht aus dem Blick verlieren dürfen, ist die Frage, inwieweit der Staat in die Eigentumsrechte der Bürger eingreifen darf. Bei aller Notwendigkeit der CO2-Gebäudesanierung dürfen wir diesen wichtigen Aspekt nicht vergessen. Gerade für die Häuslebauer in meiner schwäbischen Heimat ist das Wohnungseigentum heilig. Die Parole lautet daher: Anreizsetzung und nicht Zwangsmaßnahmen. Auch hier vertraue ich ganz auf das Funktionieren des Marktes. Wenn die Verbraucher sehen, dass sich Investitionen lohnen, werden sie auch entsprechend Geld in die Hand nehmen. Voraussetzung dafür ist natürlich auch Transparenz, für die der Staat als Rahmensetzer zu sorgen hat. Mit der Verbesserung der Energiedienstleistungen leisten wir mit der Umsetzung der EU-Richtlinie dafür einen wichtigen Beitrag. Viertens weitere Maßnahmen: Energiekonzept. Die Umsetzung der EU-Richtlinie ist nur ein Schritt, um beim Thema Energieeffizienz weiter voranzukommen. Klar ist auch, dass diese Richtlinie kein Meilenstein ist, und zwar aus dem Grund, dass wir mit unseren Effizienzmaßnahmen zum größten Teil bereits viel weiter sind, als es die Richtlinie fordert. Wir haben in den letzten Jahren bereits große Erfolge erzielt, auf denen wir uns aber nicht ausruhen dürfen. Weitere Maßnahmen werden daher schon in Kürze folgen. Dabei spielt das für Ende des Jahres geplante Energiekonzept der Bundesregierung eine wichtige Rolle. Ich will an dieser Stelle nochmals davor warnen, dass sich die Diskussion um das Energiekonzept auf den Punkt Kernenergie beschränkt. Dies ist sicherlich ein wichtiges Thema. Allerdings halte ich das Thema Energieeffizienz ebenfalls für essenziell. Bei dem Energiekonzept werden wir deshalb darauf achten, klar herauszuheben, mit welchen Mitteln wir unsere ambitionierten Ziele erreichen können. Fünftens Fazit. Die Steigerung der Energieeffizienz ist der Königsweg - nicht nur, um unsere ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, sondern ebenso aus Gründen der Versorgungssicherheit und der Wirtschaftlichkeit. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der EU-Energiedienstleistungsrichtlinie ist ein wichtiger Schritt getan. Das im Herbst anstehende Energiekonzept wird unsere weitergehenden ambitionierten Ziele im Bereich der Energieeffizienz untermauern. Rolf Hempelmann (SPD): Ich denke, es herrscht Einigkeit in diesem Hohen Hause darüber, dass die Energieeffizienz einer der wichtigsten Grundpfeiler der Energiepolitik ist. Ein effizienter und sparsamer Einsatz von Energie bietet Privathaushalten und Unternehmen die Möglichkeit signifikanter Kostensenkungen. Darüber hinaus ist Energieeffizienzpolitik ein wichtiger Teil der notwendigen Klimapolitik. Wenn wir die ökonomischen und ökologischen Potenziale der Steigerung der Energieeffizienz heben wollen, müssen wir - und darauf habe ich schon in der ersten Lesung dieses Gesetzes hingewiesen - weitgreifende Umwälzungen in allen Energiesektoren anstoßen. Umso mehr bedauere ich, dass wir hier und heute einen Gesetzentwurf abschließend beraten, der den Anforderungen an eine wirksame und nachhaltige Energieeffizienzpolitik in keiner Weise genügt. Es fehlt an konkreten Zielen und Maßnahmen. Stattdessen ist der vorliegende Entwurf eine Ansammlung von Verordnungsermächtigungen, anhand derer die Bundesregierung irgendwann in der Zukunft mögliche Effizienzziele, die Art und Weise der Energieberatung sowie die Sorgepflicht der Energieanbieter definieren soll. Darüber hinaus setzt der Gesetzentwurf einseitig auf nachfrageseitige Maßnahmen. Eine Steigerung der Energieeffizienz und eine damit verbundene Erhöhung der Energieproduktivität setzt aber auch Effizienzsteigerungen auf der Erzeugerseite voraus. Vor gerade einmal zwei Jahren hat sich die damalige Große Koalition unter der Führung von Kanzlerin Angela Merkel im Integrierten Energie- und Klimaprogramm mit breiter Unterstützung im Deutschen Bundestag das Ziel gesetzt, die Energieproduktivität bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 zu verdoppeln und den Stromverbrauch um 11 Prozent zu senken. Nach einem knappen Jahr schwarz-gelber Regierungsverantwortung ist von diesen als allgemein richtig und wichtig anerkannten Zielen keine Rede mehr. Und genau so kommt auch das seinen Namen zu Unrecht tragende Energieeffizienzgesetz daher: ambitionslos, ziellos und wirkungslos! Meine Unzufriedenheit mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf teile ich mit vielen Vertretern von Union und FDP aus der Länderkammer. Der Bundesrat, in dem Union und FDP aktuell noch über eine Mehrheit verfügen, hat in seiner Stellungnahme im Juni dieses Jahres viele Verbesserungen eingefordert. So soll nach dem Willen der Länderkammer im Gesetz das Energieeinsparziel von 9 Prozent festgelegt werden. Obwohl dieses Ziel auch in der EU-Richtlinie, die mit dem Gesetz umgesetzt werden soll, klar definiert ist, lehnt die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung diese Forderung ab. Zudem sprechen sich die Länder für ein nationales Top-Runner-Programm aus, was von der Bundesregierung mit dem Hinweis auf entsprechende Bemühungen auf europäischer Ebene ebenfalls zurückgewiesen wurde. Selbst wenn in der EU an einem solchen Programm gearbeitet wird, ist dies noch kein Grund, in Deutschland keine Bemühungen in dieser Richtung zu starten. Denn zum einen profitieren von der Verfügbarkeit energiesparender Geräte und Anlagen insbesondere private Haushalte und kleinere Unternehmen. Zum anderen hätte die Bundesregierung die hier gesammelten Erfahrungen mit diesem Modell zum Nutzen aller beteiligten Länder bei der Initiierung des europäischen Top-Runner-Programms einbringen können. Darüber hinaus würden sich die Länder gerne an der Konkretisierung und Ausgestaltung der Einsparziele und Maßnahmen, insbesondere der Energieberatung, beteiligen. Dieses bleibt ihnen durch die vielen im Gesetz verankerten Verordnungsermächtigungen ohne Beteiligung des Bundesrates verwehrt. Die SPD-Fraktion unterstützt eine Beteiligung der Länder, weil eine Einbeziehung der Länder eine reibungslose Umsetzung der Effizienzmaßnahmen garantieren würde. Denn aufgrund der föderalen Strukturen in unserem Land sollte auch die Organisation der Energieberatung nach dem Subsidiaritätsprinzip erfolgen. Nur so könnten die Bundesländer auch die Bundesstelle für Energieeffizienz unterstützen und zu einer schnellen Umsetzung des Gesetzes beitragen. Die Bundesregierung argumentiert, dass eine Beteiligung des Bundesrates nicht nötig ist, da die Bundesländer keine individuellen Einsparziele erhalten. Doch natürlich sind auch die Bundesländer - und im Übrigen auch die Kommunen - von den Effizienzmaßnahmen betroffen. Deshalb wird hier und heute von der Koalition eine Chance vergeben, das Thema Energieeffizienz im demokratischen Sinne auf eine möglichst breite gesellschaftliche Basis zu stellen. Bereits im Rahmen der ersten Lesung zu diesem Gesetz habe ich deutlich gemacht, dass auch der Deutsche Bundestag an Entscheidungen über konkrete Maßnahmen beteiligt werden sollte. Leider ist dieser Appell bei meinen Kollegen aus der Union und FDP auf taube Ohren gestoßen. Nach wie vor werden Entscheidungen zu zentralen Maßnahmen anhand von Verordnungsermächtigungen für die Bundesregierung in die Zukunft verschoben. Ich verstehe nicht, warum Sie einer Entmachtung der Volksvertreter bei solch wichtigen Fragen zustimmen. Abschließend möchte ich noch auf einige weitere Punkte eingehen, die wir in unserem Entschließungsantrag angesprochen haben. Neben der Festschreibung konkreter Einsparziele muss ein Energieeffizienzgesetz auch Wege aufzeigen, wie eine Steigerung der Effizienz und der hierfür notwendige Umbau unseres Energiesystems gestaltet werden können. Insbesondere ist darauf zu achten, dass alle Teile der Bevölkerung auf diesem Weg mitgenommen werden. Deshalb machen wir uns beispielsweise für die Einführung eines Energieeffizienzfonds stark. Mit den Mitteln aus diesem Fonds kann die Energieberatung von privaten Haushalten unterstützt werden. Zudem könnten mit diesen Mitteln Mikrokredite für Effizienzmaßnahmen in privaten Haushalten und Kleinunternehmen finanziert werden. Zudem wäre es aus unserer Sicht sinnvoll, durch Anreize die Energielieferanten besser dabei zu unterstützen, den Wandel hin zum Energiedienstleister zu vollziehen. Der Gesetzgebungsprozess, den wir zumindest im Bundestag heute abschließen, hat gezeigt, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen das Thema Energieeffizienz nicht ernst nehmen und nicht bereit sind, auf Vorschläge einzugehen. Die Ankündigung von Kollegen aus den Regierungsfraktionen, in den nächsten ein bis zwei Jahren ein neues Energieeffizienzgesetz vorlegen zu wollen, zeigt, dass auch in ihren eigenen Reihen die Unzufriedenheit mit dem jetzt vorgelegten Gesetz größer ist, als man aus parteitaktischen Gründen bereit ist, zuzugeben. Ich kann Ihnen schon heute ankündigen, dass wir als SPD-Fraktion weiter an einem bezahlbaren, sicheren und nachhaltigen Energiesystem arbeiten werden. In diesem Sinne: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und bis bald! Klaus Breil (FDP): Wie misst man eigentlich Energieeffizienz? Bezogen auf die Produktion von Gütern bedeutet Energieeffizienz entweder, mit gegebener Energie einen möglichst hohen Output in der Wertschöpfung zu erreichen, oder aber, mit minimalem Energieaufwand ein vorgegebenes Ziel in der Wertschöpfung zu erreichen. Auf beides darf die Politik keinen Einfluss haben. In unserer heilen Welt bestimmt das immer noch der Markt. Je größer die Relation zwischen Energieeinsatz und Wertschöpfung in einem Sektor oder einer Gesamtwirtschaft, desto effizienter ist der Sektor oder die Gesamtwirtschaft aufgestellt. Der Kehrwert von Energieeffizienz ist Energieintensität: Wie viel Energie muss für eine produzierte Einheit aufgewandt werden? Die Energieintensität ist im weltweiten Durchschnitt in den letzten Jahrzehnten stetig gesunken. Sie ist in Industrieländern heute erheblich niedriger als in Entwicklungsländern. Deutschland liegt schon heute im internationalen Vergleich gemeinsam mit Japan in der Gruppe derjenigen Staaten mit der geringsten Energieintensität oder der höchsten Energieproduktivität. Seit 1990 wurde der Primärenergieverbrauch bei wachsendem Inlandsprodukt in Deutschland absolut sogar gesenkt. Diese Entkoppelung des Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum ist die wichtigste globale Herausforderung, um nachhaltige Fortschritte im Klimaschutz zu erzielen. Sie ist aber auch eine Herausforderung für die deutsche Industrie. Trotz aller Fortschritte kann bei Energieeffizienz immer noch von einem "schlafenden Riesen" gesprochen werden. Es ist einerseits richtig, dass effizienzsteigernde oder intensitätsmildernde Maßnahmen einen immer größeren, insbesondere auch finanziellen Aufwand erfordern. Andererseits kann sich die deutsche Wirtschaft durch Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen besser international im Wettbewerb platzieren. Das ist - neben höheren Qualitätsstandards - auch ein Beispiel für die Chance, um sich gleichzeitig gegen den vorhersehbaren Anstieg des Energiepreisniveaus auf den Weltmärkten zu wappnen. Stichwort "deutsche Industrie": Unsere Unternehmen stehen bei "grünen" Industrieprodukten in der ersten Startreihe. Sie haben sich auf den Weltmärkten einen beachtlichen Anteil von über 16 Prozent erarbeitet. Deutschland zeigt damit besonders den Emerging Markets, dass Energieeffizienz und Wirtschaftswachstum auch bei sinkenden Elastizitäten kein Widerspruch, sondern - ganz im Gegenteil - nachhaltige Zukunftsinvestitionen in die Wettbewerbsfähigkeit sind. Daher begrüße ich den jetzt gefundenen Kompromiss bei der Umsetzung der EDL-Richtlinie sehr. Dieses Gesetz folgt auf eine ganze Reihe erfolgreich in Kraft gesetzter Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz in Deutschland. Es ist ein wichtiger Baustein für mehr Energieeffizienz, mit dem Deutschland die europäischen Anforderungen richlinienkonform umsetzt. Die Richtlinie - das verkennen die Anträge der Opposition - verlangt jedoch nicht, dass in diesem Gesetz alle Maßnahmen für mehr Effizienz enthalten sein müssten. Sie lässt vielmehr den Mitgliedstaaten weitgehende Freiheit, wie der Markt für Effizienzmaßnahmen vorangebracht wird. Eine Vielzahl von Maßnahmen, die für das von der Richtlinie geforderte Einsparziel von Bedeutung sind, wurde bereits mit dem Integrierten Energie- und Klimaprogramm ausgelöst. Ich erwähne hier nur beispielhaft die Öffnung des Messwesens für Strom und Gas einschließlich der Pflicht für die Installation neuer intelligenter Zähler oder die Heizkostenverordnung. Konkret bedeutet das: Messstellenbetreiber müssen beim Einbau von Messeinrichtungen in neuen bzw. in umfangreich renovierten Gebäuden solche Messeinrichtungen einbauen, welche den tatsächlichen Energieverbrauch sowie die tatsächliche Nutzungszeit widerspiegeln. Für Letztverbraucher von Strom müssen Energieversorgungsunternehmen bis Ende dieses Jahres - soweit technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar - einen Tarif anbieten, der über lastvariable oder tageszeitabhängige Parameter Anreize zur Energieeinsparung oder zur Steuerung des Energieverbrauchs setzt. Wir haben auch die Heizkostenverordnung novelliert und damit den verbrauchseigenen Anteil an der Heizkostenabrechnung bei Mietwohnungen erhöht. Wenn diese Maßnahmen mal nicht den Spargedanken auf der Nutzerseite wecken! Zu guter Letzt wurde gestern vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages das Marktanreizprogramm in voller Höhe freigegeben. Die FDP hat lange für diese Lösung gekämpft; das zahlt sich nun aus. Mit den freigegeben Mitteln in Höhe von 115 Millionen Euro können nun wieder Solarkollektoren, Biomasseheizungen und Wärmepumpen gefördert werden. Im Übrigen: Die Verantwortung für den kurzfristigen Förderstopp trägt der frühere SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel. Es war seine Entscheidung, die Ausgaben des Marktanreizprogramms an die Versteigerungserlöse des Emissionszertifikatehandels zu koppeln, die aufgrund der Wirtschaftskrise im letzten Jahr rückläufig waren. Aber zurück zu Sache: Das Thema Energieeffizienz ist lange noch nicht beendet und noch lange sind nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Wir, Union und FDP, werden daher gemeinsam im Herbst bei der Überprüfung des Integrierten Energie- und Klimaprogramms weiter untersuchen, welche zusätzlichen Maßnahmen im Bereich der Energieeffizienz sinnvoll sind. Auch mit dem für September vorgesehenen Energiekonzept wird die Bundesregierung weitere Leitplanken für mehr Energieeffizienz setzen. Dorothée Menzner (DIE LINKE): Wenn man zu viel Weichspüler nimmt, dann hinterlässt das weiße Flecken. Genau das ist mit dem Gesetzentwurf zum Energieeffizienzgesetz passiert. Die Bundesregierung hat so vehement alle Dinge ausgelassen, die im Hinblick auf Energieeinsparung richtig sinnvoll und zielführend gewesen wären, dass der Gesetzentwurf auch nach der Beratung im Wirtschaftsausschuss nichts weiter ist als ein weichgespültes Stück Papier mit weißen Flecken und Auslassungen. Die ganze Energiepolitik der Bundesregierung ist ein Desaster, ausgerichtet auf für ihre Begriffe Altbewährtes und jede Innovation blockierend. Das Problem an diesem Altbewährten ist nur, dass es fatale Folgen für Klima, Natur und Menschen hervorgebracht hat. Um aus dieser Klemme herauszukommen, sind Mut und der Wille sich weiterzuentwickeln gefragt. Wenn sich wirklich etwas verändern soll, muss die Politik die Vorgaben dafür machen und darf nicht auf die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie warten. Meine Damen und Herren in der Koalition, Sie glauben doch nicht wirklich, Sie könnten durch hohle Andeutungen und Überbürokratisierungen, wie Sie sie hier im Gesetzentwurf so eindrucksvoll niedergebracht haben, zu einer nachhaltigen Energieeffizienzstrategie gelangen? Das wertvollste an dem Gesetz ist das Papier, auf dem es steht, und es wird zu kaum mehr Energieeinsparungen führen, als die Produktion des Papiers erfordert hat. Selbst der schwarz-gelb dominierte Bundesrat bedauert in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf, dass "von den in der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeiten ... nur unzureichend Gebrauch gemacht wurde". Schauen Sie sich doch endlich die Forderungen so vieler Umweltverbände an, die mit Experten- und Sachverstand konkrete Instrumente in die Debatte gebracht haben, mit denen wir wirklich etwas anfangen könnten. Wir brauchen weitere Förderprogramme in Anlehnung an die KfW-Kredite für energetische Gebäudesanierung. Wir brauchen konkrete Einsparziele, Zahlen und ambitionierte Zielmarken bei Treibhausgasemis-sionen! Wir brauchen endlich eine Kennzeichnungspflicht für Energieeffizienzklassen bei sämtlichen Elektrogeräten, einen Energiesparfonds aus den Einnahmen aus dem Emissionshandel und daraus Konjunkturprogramme für Energieeffizienz. Sie kennen die Vorschläge alle, mantraartig wiederholen wir sie hier seit Monaten, offensichtlich sind Sie aber schwerhörig. Von Ihnen ist bis jetzt nicht eine einzige Erklärung gekommen, was Sie an diesen Vorschlägen auszusetzen hätten. Vielleicht weil sie ahnen, dass es sich tatsächlich um sinnvolle Vorschläge handelt, sie aber von der Opposition kommen und sie außerdem Ihren Kumpeln in den Aufsichtsräten und Vorständen der deutschen Industrie nicht gefallen würden. So etwas wird in diesem Haus ja immer abgelehnt. Das ist absolut verantwortungslos. Sie tasten mit Ihrem Gesetzentwurf die riesigen Einsparpotenziale in Privathaushalten und Industrie überhaupt nicht an. Warum wird klar, wenn man sich die beiden Atomkraftwerke ansieht, deren Laufzeit Sie jetzt auch noch verlängern wollen, die allein dafür gebraucht werden, um all die Stand-By-Geräte im Aus-Zustand mit Strom zu versorgen. Mit ihrer Phantasie- und Ideenlosigkeit, mit ihrer Ignoranz und Starrsinnigkeit führen Sie das Land auf der Überholspur in die Klimakrise. Spätestens die nächste Generation wird die Folgen zu tragen haben. Die Linke setzt sich dafür ein, die Impulse beim Ausbau erneuerbarer Energien aufzugreifen und vonseiten der Politik vehement zu befördern. Wir brauchen ordnungspolitische Vorgaben an Wirtschaft und Länder, die Energieeinsparung zum Ziel haben. Im Gegensatz zu anderen werden wir uns dabei nicht von Großkonzernen auf der Nase rumtanzen lassen. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf offenbart die Bundesregierung erneut ihre Inkompetenz bei Energie- und Effizienzfragen. Mit zweijähriger Verspätung und einem laufenden Vertragsverletzungsverfahren im Nacken legen Sie uns nun ein Nichts vor. Ich bezweifle auch stark, dass das Gesetz überhaupt den Anforderungen der Energiedienstleistungs- und Effizienzrichtlinie entspricht. Wie ernst Sie das Thema Energieeffizienz nehmen, zeigt doch schon die Debattenzeit: kurz vor Mitternacht ohne Aussprache, sodass die Öffentlichkeit nichts von alldem mitbekommt. Neben wenigen kleinen Begleitmaßnahmen wie zum Beispiel dem Sammeln von Informationen bei der Bundesstelle für Energieeffizienz besteht das Kernstück Ihres Gesetzesentwurfs daraus, dass die Verbraucher einmal im Jahr auf ihrer Stromrechnung einen Hinweis auf eine Internetseite bekommen, auf der sich eine Liste von Anbietern von Energiedienstleistungen befindet. Das ist eine Schnitzeljagd, aber kein Energieeffizienzgesetz. Dann verweisen Sie in Ihrem Gesetzentwurf auf die Maßnahmen des Energie- und Klimaprogramms IEKP. So steht in der Begründung des Gesetzes, dass die Effizienzziele mit Maßnahmen aus dem IEKP erreicht werden sollen. Aufgeführt wird dabei zum Beispiel die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes zur "Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für den Wettbewerb". Doch es fehlen klare Standards, mit denen Innovation tatsächlich zu Einsparungen führen könnte. Förderprogramme zur energetischen Sanierung von Gebäuden stehen ebenfalls im IEKP. Jedoch stellt die Bundesregierung dieses Jahr weniger Gelder zur Verfügung als im letzten Jahr, und für das nächste Jahr ist nur noch ein Bruchteil vorgesehen! Die Kraft-Wärme-Kopplung führt die Bundesregierung ebenfalls zur Zielerfüllung ins Feld, doch ihre eigenen Experten rechnen jetzt nicht mehr damit, dass der Ausbau die selbstgesteckten Ziele erreicht wird. Die genannten IEKP-Maßnahmen werden jedoch nicht annähernd ausreichen, und es ist in keinster Weise nachvollziehbar, wie so die Effizienzziele erreicht werden sollen. Energieeffizienz ist für die Bundesregierung bedeutungslos! Sogar den Rat ihrer eigenen Experten lässt die Bundesregierung abblitzen. Waren es doch gerade auch mehrere Experten der Koalitionsfraktionen, die sich in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses klar für einen Energieeffizienzfonds ausgesprochen haben. Zu den Befürworten zählen die Prognos AG, der Zentralverband Sanitär Heizung Klima, der Verband kommunaler Unternehmen, die Verbraucherzentrale Bundesverband, sowie der BUND und das IFEU Institut aus Heidelberg. Selbst die Bundesvereinigung der Spitzenverbände der Immobilienwirtschaft fordert stabile Rahmenbedingungen für die Förderung energieeffizienter Maßnahmen an Gebäuden, die mit einem Energiesparfonds gegeben wären. Auch der Bundesrat hatte dieses Instrument gefordert, das in der EU-Richtlinie vorgesehen ist. Dennoch taucht der Effizienzfonds im Gesetzesentwurf nicht auf - genau so wenig wie andere von der Richtlinie vorgeschlagene und in anderen Ländern erprobte Instrumente. Ein von Haushaltskürzungen unabhängiges Finanzierungsinstrument für Energieeffizienz ist dringend geboten. Wer wie die Bundesregierung nur darauf besteht, dass die Verbraucher einmal im Jahr auf ihrer Stromrechnung einen Hinweis auf eine Internetseite bekommen, nimmt das Thema Energieeffizienz nicht ernst. Die Bundesregierung würgt die bisherigen Effizienzbemühungen ab und unterschätzt die Tragweite von Energieeffizienzmaßnahmen, und dies nicht nur im Strombereich, sondern zum Beispiel bei der PKW-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung: Hier bevorzugt die Bundesregierung schwere Spritfresser, und setzt so falsche Anreize für die deutsche Automobilindustrie. Oder aber bei den KfW-Mitteln für die Gebäudesanierung, die massiv gekürzt werden. Aber schlimmer ist noch, dass Deutschland es abgelehnt hat, freigewordene 115 Millionen Euro aus dem EU-Wachstumspaket für die Gebäudesanierung umzumünzen oder dass die Bundesregierung zur Verfügung stehende 680 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung ablehnt und somit verfallen lässt. Schwarz-Gelb setzt lieber auf Lowtech wie Atom- und Kohlekraftwerke als auf Hightecheffizienzanwendungen. Ohne eine klare Energieeffizienzstrategie wird die deutsche Wirtschaft zum Spielball von steigenden und hoch volatilen Energiepreisen. Hier entscheidet sich die künftige Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Doch die Bundesregierung verharrt weiterhin in ihrer alten Denke, Energiesparen belaste die Wirtschaft. Dabei ist Energieeffizienz ein Anreiz zur Modernisierung, der Energieverschwendung stoppt und auf Dauer Geld spart. Wir haben in unserem Antrag gezeigt, wie ein Energieeffizienzgesetz aussehen kann. Für den Endkundenbereich fordern wir, konkret Verantwortliche zu benennen, die Energieeffizienzmaßnahmen durchführen müssen. Für die Industrie fordern wir geregelte Energieaudits und Energieberatung mit konkreten Energiesparvorschlägen sowie eine verlässliche Evaluation. Wir fordern dynamische Effizienzstandards. Wir fordern einen Energieeffizienzfonds mit einem Volumen von 3 Milliarden Euro, und das, wohlgemerkt, bei einem Haushalt, der weniger Schulden aufweist als der Ihre. Die fehlende Entschlossenheit der Bundesregierung wird durch den Entwurf mehr als deutlich. Das Thema Energieeffizienz rückt weiter ins Abseits. Die Bundesregierung traut sich nicht, seit langem diskutierte Ideen für wirkungsvolle Instrumente aufzugreifen. Stattdessen schlägt sie ein fast wirkungsloses Gesetz vor, weil sie Angst vor ein paar Großunternehmen der Industrie hat. Dabei würde die Gesamtwirtschaft von Energieeffizienz profitieren. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2466, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/1719 und 17/2280 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2470. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Dafür gestimmt haben die Oppositionsfraktionen, dagegen die Koalitionsfraktionen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2471. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Dafür gestimmt hat die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen; die Koalitionsfraktionen haben dagegen. Die Fraktionen der SPD und der Linken haben sich enthalten. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/ 214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen - Drucksache 17/1288 - Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) - Drucksache 17/2458 - Berichterstattung: Abgeordnete Ansgar Heveling Dr. Peter Danckert Jörg van Essen Jens Petermann Jerzy Montag Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, wurden die Reden zu Protokoll gegeben, und zwar von folgenden Kolleginnen und Kollegen: Ansgar Heveling, Dr. Peter Danckert, Jörg van Essen, Jens Petermann und Jerzy Montag. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Europa ist in den letzten Jahren zusammengewachsen. Der gemeinsame Binnenmarkt und eine gemeinsame Währung sind für uns seit vielen Jahren eine Selbstverständlichkeit. Europa ist aber auch eine Wertegemeinschaft, und alle Staaten berufen sich natürlich auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Und dennoch bestehen gerade in der Justizpolitik deutlich erkennbare Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. Die Harmonisierung von Vorschriften im Bereich der Justizpolitik ist daher eine große Herausforderung. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich 1999 im finnischen Tampere entschieden, diese Herausforderung anzunehmen. Dort wurde das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zum Eckstein der zukünftigen justiziellen Zusammenarbeit erklärt. Auf der Grundlage dieses Prinzips wurden mittlerweile durch die Europäische Union vier Rahmenbeschlüsse erlassen: zum europäischen Haftbefehl, zur Sicherstellung von Beweismitteln, zur Anerkennung von Einziehungsentscheidungen und zur gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen. Dieser letztgenannte Rahmenbeschluss wird nun mit dem zur heutigen Entscheidung anstehenden Gesetzentwurf in nationales Recht umgesetzt. Das Gesetz regelt die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen grundlegend und damit für viele Deliktsgruppen. Insgesamt geht es um 39 Tatkomplexe, also Straftaten und Verwaltungsübertretungen bzw. Ordnungswidrigkeiten. In diesen Fällen ist die beiderseitige Sanktionierbarkeit zukünftig nicht mehr zu prüfen. Auch wenn das Gesetz die gegenseitige Anerkennung für 39 unterschiedliche Fallgruppen regelt, so wird insbesondere ein Bereich von großer praktischer Relevanz sein: Verstöße im Straßenverkehr. Auch sie gehören zum Katalog der gegenseitig anzuerkennenden Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten. Mit anderen Worten: Zukünftig werden Geldbußen aufgrund von Verkehrsverstößen im europäischen Ausland auch in Deutschland einfacher vollstreckt werden können als bisher. Wir stimmen dem Gesetz heute in zweiter und dritter Lesung zu. Dem vorliegenden Entwurf ist es gelungen, der Herausforderung, die die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung mit sich bringt, gerecht zu werden. Einerseits wird die gewünschte Harmonisierung erreicht, andererseits aber ist sie in grundrechtsschonender Weise und unter Berücksichtigung der nationalen Rechtsidentität geregelt worden. In einzelnen Punkten ist der Gesetzentwurf im Zuge der Beratungen intensiv diskutiert worden. Dies hat auch zu Änderungen im Detail geführt. Zum einen wurde die Frage der Halterhaftung debattiert. Anders als andere Rechtsordnungen, wie etwa Österreich oder die Niederlande, kennen wir in Deutschland die Halterhaftung nicht. Der Regierungsentwurf sah als Ermessensentscheidung vor, dass die Bewilligung eines Vollstreckungsersuchens durch die deutschen Behörden abgelehnt werden könne, wenn die betroffene Person in dem ausländischen Verfahren keine Gelegenheit hatte einzuwenden, für die der Entscheidung zugrunde liegende Handlung nicht verantwortlich zu sein. Auf Antrag der Koalitionsfraktionen soll dies nunmehr nicht als Ermessensentscheidung, sondern als Zulässigkeitsvoraussetzung geregelt werden. Liegen die Voraussetzungen vor, ist künftig die Vollstreckung zwingend nicht zulässig. In diesem Zusammenhang hat ein weiterer Punkt in der Diskussion eine Rolle gespielt. Es gibt EU-Staaten, in denen für den Halter eines Fahrzeuges eine Auskunftspflicht hinsichtlich des Fahrers besteht, wobei ein Verstoß mit Sanktionen belegt ist. Hierzu vertritt der Rechtsausschuss ausdrücklich die Auffassung, dass ein Verhalten, das Ausdruck der Selbstbelastungsfreiheit oder eines Zeugnisverweigerungsrechtes ist, nicht unter Verhaltensweisen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses fällt, die gegen die den Straßenverkehr regelnde Vorschriften verstoßen. Dieses Verhalten ist mit anderen Worten nach unserer Ansicht nicht vom Katalog der durch die gegenseitige Anerkennung nicht mehr zu prüfenden Verhaltensweisen gedeckt. Ferner ist auch die Frage der Beistandspflicht diskutiert worden. Der Rechtsausschuss hat dabei zur Kenntnis genommen, dass mit § 87 e IRG-E die Beistandsregelung in § 53 IRG für entsprechend anwendbar erklärt wird, ohne dass eine weitere Spezifizierung der Fälle erfolgt, in denen ein rechtlicher Beistand in Verfahren zur Vollstreckung einer ausländischen Geldstrafe nach dem 9. Teil des IRG bestellt werden soll. Der Rechtsausschuss hat der Regelung in dem Verständnis zugestimmt, dass nach § 87 e in Verbindung mit § 53 Abs. 2 Nr. 1 IRG die Bestellung eines Rechtsbeistands wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten sein wird, wenn Zweifel an der Einordnung als Katalogtat gemäß § 87 b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 RB Geldstrafen bestehen. Weiterhin geht der Rechtsausschuss davon aus, dass die Bestellung eines Beistands regelmäßig auch dann geboten sein wird, wenn gegen den Betroffenen eine Abwesenheitsentscheidung im Sinne von § 87 b Abs. 3 Nr. 4 IRG-E über einen nicht nur unerheblichen Geldbetrag vollstreckt werden soll. Wir bringen heute das Gesetzgebungsverfahren zum Abschluss. Europa wächst damit wieder ein Stück weiter zusammen. Wir stimmen dem Gesetz zu. Dr. Peter Danckert (SPD): Ein Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ist der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen, der auf die Sondertagung des Europäischen Rates 1999 im finnischen Tampere zurückgeht. Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl war die erste konkrete Maßnahme im Bereich des Strafrechts, mit dem der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zur Anwendung kam. Ein weiteres Rechtsinstrument, das auf dem genannten Grundsatz beruht, ist der 2005 verabschiedete Rahmenbeschluss über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen. Dieser wurde in der Öffentlichkeit als sogenannter Knöllchen-Beschluss bekannt, da der Rahmenbeschluss unter anderem die Vollstreckung von Geldsanktionen wegen Verstößen gegen Verkehrsvorschriften über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg vorsieht Für Deutschland ist die grenzüberschreitende Verfolgung von Verkehrsverstößen insofern von Bedeutung, als dass es mit seiner zentralen Lage und einer Grenze mit neun Staaten von intensivem Transitverkehr betroffen ist. Ausländische Kraftfahrzeuge haben deshalb einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Verkehrssicherheit in Deutschland insgesamt. Daraus erklärt sich das evidente Interesse an Instrumentarien, die es erlauben, die deutschen Verkehrsregeln auch gegenüber diesem Personenkreis wirksam durchzusetzen. Zugleich sind die Deutschen privat reisefreudig und wirtschaftlich eine Exportnation, mit der Folge, dass auch sie mit ihren Kraftfahrzeugen das Verkehrsgeschehen in anderen europäischen Mitgliedstaaten mitbestimmen. So haben die französischen Behörden festgestellt, dass etwa 25 Prozent der dort mit automatischen Überwachungsanlagen festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitungen von ausländischen Kraftfahrern begangen werden, wobei deutsche Kraftfahrer den größten Teil ausmachen. Wird also ein deutscher Autofahrer in Frankreich geblitzt, muss er damit rechnen, dass die deutschen Behörden den daraus folgenden rechtskräftigen Bußgeldbescheid auch vollstrecken. Solche Bußgeldbescheide aus dem EU-Ausland sollen aber erst ab 70 Euro vollstreckt werden, um den Verwaltungsaufwand vergleichsweise gering zu halten. Da aber in einigen Nachbarländern die Bußgelder deutlich höher als in Deutschland sind, stellt sich die Frage, ob die im Gesetzentwurf enthaltene Deckelung tatsächlich notwendig ist. In Italien beispielsweise kann Telefonieren ohne Freisprechanlage mit einer Strafe von 155 bis 624 Euro belegt werden. In Großbritannien drohen Rasern, die deutlich schneller fahren als erlaubt, sogar Geldbußen von bis zu 5 834 Euro, und in Dänemark können Alkoholsündern Strafen von bis zu einem Monatsgehalt auferlegt werden. Zweifellos stellt die Umsetzung des Rahmenbeschlusses einen starken Eingriff in die Grundrechte des Einzelnen dar, vor allem ist damit stets ein ethischer Schuldvorwurf verbunden. Da aber in Deutschland der Grundsatz "keine Strafe ohne Schuld" Verfassungsrang hat, müssen diesbezügliche Regelungen genau geprüft werden. Dies spielt vor allem bei der sogenannten Halterhaftung eine große Rolle. Demnach dürfte in Deutschland künftig weder eine verschuldensunabhängige Halterhaftung eingeführt noch die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen ermöglicht werden, die hierauf beruhen. Problematisch ist, dass die Halterverantwortlichkeit in Europa äußerst unterschiedlich ausgeprägt ist. So gibt es zahlreiche Länder, die ähnlich wie Deutschland verfahren, etwa die skandinavischen Staaten sowie die Schweiz, Tschechien und die Slowakei. Die klassische Halterhaftung haben unter anderem die Niederlande, Frankreich, Portugal und Ungarn normiert, während weitere Länder wie Spanien und Großbritannien den Kfz-Halter mittelbar in die Pflicht nehmen. Zu Letzteren gehört auch Österreich, dessen Behörden nach § 103 KFG vom Halter eine Lenkerauskunft verlangen können, deren Nichtbefolgung mit bis zu 5 000 Euro bestraft wird. Da aber dort kein Zeugnis- und Aussageverweigerungsrecht besteht, werden österreichische Strafverfügungen, die auf dessen Nichtbeachtung beruhen, von deutschen Behörden nicht vollstreckt. In diesem Zusammenhang spielt das Bewilligungshindernis in § 87 d Abs. 2 eine große Rolle, da hier die Möglichkeit eröffnet wird, Ersuchen zurückzuweisen, die mit dem Schuldprinzip unvereinbar sind. Aber wenngleich die Vorschrift des § 87 d Abs. 2 allgemein gehalten ist, kann sie nur einen Teilaspekt lösen. Eben gerade bei der in Österreich mit Verwaltungsstrafe sanktionierten Lenkerangabe, welches ein eigenständiges echtes Unterlassungsdelikt bildet, hilft sie nicht weiter. Es ist schwer ersichtlich, wie die Nichtvollstreckung diesbezüglicher Bescheide durch die deutschen Behörden unter Geltung der geplanten Neufassung! des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen erfolgen soll. § 87 d Abs. 2 passt auf diesen Fall nicht, und ein Verstoß gegen den fortan maßgeblichen europäischen ordre public, § 73 IRG, wäre schwer zu begründen angesichts dessen, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof diese Strafbewehrung für verfassungskonform hält. Mit dem Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit wird allerdings ein Weg vorgezeichnet, um die Vollstreckung von Sanktionen abzulehnen, ohne dem Entscheidungsstaat eine ordre-public-Verletzung vorzuwerfen. Deshalb muss am Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit in jedem Falle festgehalten werden. Allerdings wird beim umzusetzenden Rahmenbeschluss die Anforderung gegenseitiger Strafbarkeit vernachlässigt. So werden im Regierungsentwurf 39 Straftaten aufgeführt, bei denen auf gegenseitige Strafbarkeit verzichtet wird. Hierzu zählen unter anderem Rassismus und Fremdenfeindlichkeit oder auch die Cyberkriminalität. Unter letzterem könnte man also grob alle Straftaten, die mit einem Computer begangen werden, zusammenfassen. Die große Anzahl und Vielfalt diesbezüglicher Straftaten lässt die Behauptung zu, dass es sich bei der Cyberkriminalität eher um eine Deliktgruppe handelt. Dies lässt sich ohne Weiteres auf den Begriff des Rassismus, zum Teil aber auch auf alle anderen genannten 39 Straftaten übertragen. Diese ungenauen Bezeichnungen tragen dem Bestimmtheitsgebot unserer Verfassung nur unzureichend Rechnung und müssen im Sinne der Rechtsklarheit dringend präzisiert werden. Auch wenn im Gesetzesentwurf der Bundesregierung für die Vollstreckung von ausländischen Geldstrafen die Ersatzfreiheitsstrafe ausgeschlossen ist, stehen auch die nicht freiheitsentziehenden strafrechtlichen Eingriffe unter strengen Legitimationsvoraussetzungen, sowohl was die materiellen Voraussetzungen der Strafbarkeit angeht als auch bezüglich der Verfahren, die eine Verurteilung tragen können. Vor diesem Hintergrund darf der Rahmenbeschluss, wenn überhaupt, dann nur mit gewichtigen Vorbehalten umgesetzt werden. So muss mindestens der neue Rahmenbeschluss 2009/299/JI, der unter anderem Art. 7 des vorliegenden Rahmenbeschlusses über Geldstrafen und Geldbußen modifiziert, in den Entwurf des Umsetzungsgesetzes noch eingearbeitet werden.! Das Berichterstattergespräch vom 5. Juli 2010 hat nach unserer Auffassung ergeben, dass nach wie vor gravierende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Neben der mangelnden Bestimmtheit der 39 Straftaten gilt dies auch für die nach unserer Rechtsordnung geltenden Schweige- und Zeugnisverweigerungsrechte. Wesentliche Probleme sehen wir auch bei den Abwesenheitsurteilen. Es darf nicht sein, dass hier eine vorschnelle Entscheidung getroffen wird, die dann, wie es Fachleute voraussehen, in Zukunft vor dem Bundesverfassungsgericht landen und dort für verfassungswidrig erklärt werden. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Jörg van Essen (FDP): Wir verabschieden heute ein Gesetz, das den 1999 begonnenen kooperativen Weg der EU-Mitgliedstaaten im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit weiterschreibt. Es basiert auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, das sich bereits beim Auf- und Ausbau des europäischen Binnenmarktes bewährt hat. Dieses Prinzip trägt als Schlüsselkonzept im Justizbereich dazu bei, die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich aus der Vielfalt der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten ergeben. Der hier umgesetzte Rahmenbeschluss von 2005 basiert auf einem Vorschlag aus dem Jahr 2001. Noch viel länger allerdings dauern die Überlegungen an, in Europa ein effizientes Instrument für die Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen einzuführen, mit dem vor allem im Verkehrsbereich verhindert wird, dass in Mitgliedstaaten begangene Ordnungswidrigkeiten ungesühnt bleiben. Nach bisherigem Recht waren auch bei kleinen Strafen vor einer Vollstreckung im Nachbarstaat regelmäßig Gerichtsverfahren nötig, um eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Nach der heutigen Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen werden nun unter anderem sämtliche Verstöße gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften mit Geldbußen ab 70 Euro leichter auch im EU-Nachbarstaat zu vollstrecken sein. Sehr wichtig war der FDP-Fraktion bei der Umsetzung dieser Vorschriften zur Erleichterung von Vollstreckungen die Einhaltung der rechtsstaatlichen Grundprinzipien. So kam es für uns nicht infrage, beim Erfordernis der gegenseitigen Strafbarkeit Abstriche zu machen. Wenn beispielsweise in anderen Mitgliedstaaten ein deutscher Fahrzeughalter eine dortige Strafe verwirkt hat, indem er Auskünfte über den Fahrzeugführer verweigert, kommt eine Vollstreckung in Deutschland nicht in Betracht. Dieser Punkt ist nach den Ausschussberatungen deshalb zu Recht von einem wahlweisen Grund zur Ablehnung des Vollstreckungsersuchens zu einem zwingenden Versagungsgrund hochgestuft worden. Was die Rechtssicherheit aus Sicht der Bürger angeht, halten wir die im Entwurf enthaltene Stichtagsregelung für angemessen. Der Rahmenbeschluss sieht zwar eine solche nicht vor; dennoch halten wir das Vertrauen unserer Bürger als für so schutzwürdig, dass für eine Vollstreckung nach dem neuen Gesetz von aus der Vergangenheit stammenden ausländischen Entscheidungen kein Raum bleibt. Anderenfalls würde man inländische Betroffene, die bislang auf das Ausbleiben der Vollstreckung vertrauten und daher keine Rechtsmittel bemühten, im Nachhinein ihres Rechtsweges berauben. Bei den Oppositionsfraktionen hatte der Entwurf der Bundesregierung in manchen Punkten Klärungsbedarf hervorgerufen. Dieser konnte jedoch nach Anhörung von Sachverständigen im parlamentarischen Verfahren zu großen Teilen ausgeräumt werden. Wir bitten Sie daher um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf als einem sinnvollen Instrument auf dem Weg zu einer maßvollen Politik europäischer Rechtsdurchsetzung. Jens Petermann (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf versucht die Bundesregierung, einen Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen umzusetzen. Leider ist dieser Versuch aus Sicht der Linken missglückt. Auch mit ihren zahlreichen nachgeschobenen Änderungsanträgen kann man den Gesetzentwurf noch nicht als gelungen bezeichnen. Es ist inakzeptabel, dass in der Bundesrepublik Deutschland Strafen vollstreckt werden sollen, die die eigene Rechtsordnung nicht kennt und die das Parlament bewusst für nicht strafwürdig befand. Dazu zählen zum Beispiel Delikte wie "Sabotage", "Cyberkriminalität" oder "Nachahmung". Die 39 aufgeführten Deliktsgruppen, welche zum Teil unpräzise und strukturlos beschrieben sind, können beim besten Willen nicht dem hohen Bestimmtheitsstandard der deutschen strafrechtlichen Normen standhalten. Sie sind nicht konkret genug formuliert, um die Tragweite und den Anwendungsbereich der einzelnen Tatbestände zu erkennen oder durch Auslegung zu ermitteln. Das ist nicht nur für Juristen, sondern auch für "Normalbürger" eine Zumutung. Zum wiederholten Mal müssen wir die Bundesregierung auf die Einhaltung der Verfassung hinweisen. Denn die geplante Umsetzung des Rahmenbeschlusses ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Es besteht die Gefahr einer gröblichen Verletzung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit des Art. 20 Grundgesetz und den Prinzipien der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 unserer Verfassung. Aber auch andere deutsche Verfahrensgarantien und rechtsstaatliche Standards werden in zahlreichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht oder nicht in vollem Umfang gewährleistet. Dazu gehört zum Beispiel die Pflicht, den Beschuldigten am Tatort über sein Schweigerecht zu informieren, sowie das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen. Die umstrittene Frage, dass deutsche Staatsbürger im Ausland in Abwesenheit verurteilt werden können, ist nicht hinreichend berücksichtigt. Auf die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in schwierigen Fällen, ähnlich wie beim Europäischen Haftbefehl wurde ebenfalls großzügig verzichtet. Will denn die Koalition tatsächlich wieder einmal durch ein "Durchwinken" der Vorgaben des Rahmenbeschlusses durch den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess - wie damals bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl - riskieren, dass ihr das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit ihres Umsetzungsgesetzes bescheinigen muss? Vor allem die FDP, allen voran der Parteivorsitzende und Außenminister Guido Westerwelle - auf dessen Internetauftritt liberale Argumente gegen das europäische Haftbefehlsgesetz zu finden sind -, verleugnet heute ihre Positionen von 2006. Sie müsste es doch besser wissen. Denn hier gelten die gleichen Bedenken wie damals beim sogenannten Europäischen Haftbefehl. Da Sie augenscheinlich Ihre eigenen Argumente vergessen haben, möchte ich Ihnen diese noch einmal in Erinnerung rufen. Sie sagten, dass durch eine Umsetzung sehr unterschiedliche Rechtsstandards und Rechtsgrundsätze in Strafverfahren in den europäischen Mitgliedstaaten als gleichwertig angesehen werden, obwohl unterschiedliche Anforderungen unter anderem beim Verfahren bestehen. Sie kritisierten weiter die Unbestimmtheit der Formulierung der Deliktsgruppen. Damals waren es 32, heute sind es 39, wobei diese innerhalb von vier Jahren nicht bestimmter geworden sind. Aber auch Ihr damaliger Hauptkritikpunkt, die fehlende beiderseitige Strafbarkeit, gilt heute unverändert fort. Dabei ist im Einzelfall ein im Ausland strafbares Verhalten in Deutschland nicht strafbar, oder es bestehen hohe Abweichungen in der Höhe der angedrohten Strafe. Stellen Sie sich einmal vor, sie fahren mit Ihrem Pkw innerhalb einer geschlossenen Ortschaft 10 km/h schneller als erlaubt. In Deutschland kostet Sie das Vergehen 15 Euro, in Frankreich aber 900 Euro. Dieser Unterschied in der Höhe der Strafe ist vielen Reisenden nicht bewusst. Im Moment kann Frankreich die 900 Euro noch nicht fordern, aber nach Inkrafttreten dieses Umsetzungsgesetzes können die französischen Behörden Deutschland um die Vollstreckung der 900 Euro Geldbuße bitten. Als Lösung dieses Konflikts mit unserer Verfassung, in den wir durch die von der Bundesregierung vorgeschlagene Umsetzung zwangsläufig kommen, sehe ich die Weigerung Deutschlands zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses an, zumal ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegenüber der Bundesrepublik Deutschland sanktionsfrei nicht durchsetzbar wäre. Diesen Weg haben Sie in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Haftbefehl deutlich aufgezeigt bekommen. Darüber hinaus ist eine mögliche Vollstreckung von Straftaten im Ausland bereits nach geltendem Recht, nämlich durch das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, möglich. Dieses Gesetz beinhaltet hohe rechtsstaatliche Standards und Hürden zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor unangemessener Strafverfolgung. Diese hohe Schutzanforderung wollen Sie nun durch die Umsetzung des Rahmenbeschlusses aufweichen. Eine Überprüfung jedes Einzelfalls durch ein deutsches Gericht unter dem Gesichtspunkt der beiderseitigen Strafbarkeit und Höhe der angedrohten Strafe, würde auch zu einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Lösung beitragen, wäre aber sehr aufwendig und teuer für die deutsche Justiz. An Damen und Herren der CDU/CSU- und FDP-Fraktion gewandt: Seien Sie sich Ihrer Verantwortung wenigstens diesmal bewusst: Sie haben im Moment die Wahl! Hören Sie auf Ihr Gewissen! Entscheiden Sie sich für unsere Alternativen und gegen ein weiteres verfassungswidriges Gesetz aus Ihrer Feder! Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Deutsche Bundestag beschließt heute Regelungen, mit denen er in nationaler Umsetzung eines weiteren Rechtsakts der EU den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Rahmen der strafrechtlichen Zusammenarbeit anwendet. Diesmal betrifft es die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen. Um es gleich vorweg zu sagen: Wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern uns enthalten, finden aber vieles an dem Entwurf, wie er jetzt in der geänderten Form vorliegt, gut und richtig. Wir haben uns in einem Berichterstattergespräch mit Sachverständigen vertieft mit der Materie befasst. Von allen Fraktionen wurde dieses Gespräch als sehr produktiv empfunden. Das freut mich umso mehr, als die Opposition den Koalitionsfraktionen zunächst doch erst etwas auf die Sprünge helfen musste, sich Zeit für diese intensive Befassung zu nehmen. Aber am Ende gab es durchaus Gesprächsbereitschaft, was ich ausdrücklich anerkennen will. So sind Probleme mit der sogenannten Halterhaftung im Straßenverkehr, über die bis zum Schluss diskutiert wurde, zufriedenstellend gelöst worden. In diesem Bereich gibt es jetzt ein Vollstreckungshindernis, das in jedem Fall zu achten ist. Umso mehr bedaure ich, dass es nicht möglich war, ganz auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Bevor ich auf die Gründe hierfür eingehe, will ich mich zu dem grundsätzlicheren Beratungsbedarf, den die SPD-Fraktion durch den von mir sehr geschätzten Kollegen Danckert angemeldet hat, eingehen. Der Kollege Danckert bezog sich auf die sehr kategoriale Kritik eines der Sachverständigen, mit der wir uns seit Jahren ebenfalls beschäftigen. Die anderen drei Sachverständigen erteilten dem Gesetzentwurf jedoch im Grundsatz sehr gute Noten und machten nur einige Vorschläge zur besseren Ausgestaltung im Einzelnen. Zu der kategorialen Kritik: Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung spinnt sich seit dem Programm des Europäischen Rates von Tampere 1999 wie ein roter Faden durch die europäische Rechtssetzung zur justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Er ist als Grundansatz politisch nicht rückholbar. Wir Grüne wollen die europäische Integration gestalten und nicht in einer Abwehrhaltung nur begleiten. Wir müssen aber auch ernst nehmen, dass dieser Grundsatz eine wichtige Voraussetzung hat: Das ist das Vertrauen - und zwar das Vertrauen nicht nur der Staaten, sondern auch und besonders der Bürgerinnen und Bürger - in die Rechtsstaatlichkeit der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Dieses Vertrauen darf man nicht als gegeben voraussetzen. Es muss erarbeitet werden. Dafür setzen wir uns seit langem ein. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ist mit dem Verzicht auf beidseitige Strafbarkeit im Bereich einer Liste von Deliktsgruppen verschränkt verbunden. Mit dem umzusetzenden Rahmenbeschluss wird diese Liste nochmals erheblich ausgeweitet. Teilen dieser Liste mangelt es an der erforderlichen Präzision. Deswegen fordern wir Grüne und der Bundestag insgesamt seit Jahren die Präzisierung dieser sogenannten Listendelikte. Wir Bündnisgrüne haben die Bedenken gegen die Unbestimmtheit mancher Deliktsgruppen in der Weise aufgegriffen, dass wir - wie auch schon beim Europäischen Haftbefehlsgesetz im ersten Durchgang - ausdrücklich regeln wollten, dass dem Betroffenen ein Rechtsbeistand beizuordnen ist, wenn im Einzelfall der Charakter der Deliktsgruppen ein Problem darstellt. Entsprechend wollten wir die Einhaltung der Vollstreckungsvoraussetzungen von Abwesenheitsurteilen absichern. Damit haben wir auch Anregungen der Sachverständigen aufgegriffen. Ich bedaure außerordentlich, dass die Koalition dies nicht aufgreifen wollte. Das hindert uns an der Zustimmung. Wenn sich die Koalition auf die Verbesserungen beim Rechtsbeistand und auf ein paar weitere Klarstellungen im Detail eingelassen hätte, hätten wir dem Gesetzentwurf zustimmen können. Bedauerlich ist auch, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen nicht gleich nach den strengeren Maßstäben des neueren Rahmenbeschlusses 2009/299/JI vom 26. Februar 2009 über Abwesenheitsurteile geregelt wurden. Hier muss bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist des sozusagen neueren Rahmenbeschlusses bis zum 18. März 2011 nachgebessert werden. Dieser Rahmenbeschluss ist ja auch schon seit fast eineinhalb Jahren in Kraft. Wir wollten im Kompromisswege wenigstens einen Auslegungshinweis in den Bericht des Rechtsausschusses aufnehmen, um die Zeit bis zur umfassenden Umsetzung des Rahmenbeschlusses über Abwesenheitsurteile zu überbrücken. Aber auch darauf wollte sich die Koalition letztlich nicht einlassen. Das ist bedauerlich, weil es uns eine Zustimmung zum Gesetz unmöglich macht. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2458, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/1288 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen der SPD und der Linken und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sonja Steffen, Christine Lambrecht, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Änderung des Vormundschaftsrechts und weitere familienrechtliche Maßnahmen - Drucksache 17/2411 - Auch hier wurde bereits in der Tagesordnung ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll gegeben werden, und zwar folgender Kolleginnen und Kollegen: Ute Granold, Sonja Steffen, Stephan Thomae, Halina Wawzyniak und Ingrid Hönlinger. Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute über einen Antrag der SPD-Fraktion, der sich mit der anstehenden Reform des Vormundschaftsrecht befasst. In den vergangenen Jahren haben erschütternde Berichte über Eltern, die ihre Kinder misshandeln oder vernachlässigen, merklich zugenommen. Nicht zuletzt der schreckliche Tod des kleinen Kevin aus Bremen hat uns sehr deutlich vor Augen geführt, welche Verantwortung wir als Gemeinschaft für diese Kinder tragen. Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse hatte das Bundesjustizministerium im Jahr 2006 die Expertengruppe "Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls" eingesetzt, die im November 2006 eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen für die familienrechtliche Praxis vorgelegt hat. Auf Grundlage dieser Empfehlungen haben wir 2008 das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls verabschiedet, das ein frühzeitigeres Eingreifen der Familiengerichte ermöglicht und so den Kinderschutz effektiver macht. Im Jahr 2008 ist die Expertengruppe erneut zusammengetreten. Sie sollte sich nunmehr vor allem mit der Frage der Zusammenarbeit zwischen Familiengerichten und Jugendämtern befassen und klären, ob und wie gesetzgeberische Maßnahmen diese Zusammenarbeit optimieren können. Der Bericht der Arbeitsgruppe enthält verschiedene Empfehlungen. Diese betreffen die Themenkomplexe Fortbildung, interdisziplinäre Zusammenarbeit und Pflegefamilien. Darüber hinaus hat sich eine eigene Unterarbeitsgruppe mit dem besonders wichtigen Komplex "Vormundschaft" befasst und auch hierzu zahlreiche Empfehlungen an den Gesetzgeber gerichtet. Der tragische Fall des kleinen Kevin in Bremen hat die Bedeutung des Vormundes für das Mündel gezeigt. Der Vormund ist an der Stelle der Eltern zur umfassenden Sorge verpflichtet. Diese Pflicht ist zugleich mit einer großen Verantwortung verbunden, die der Staat für das Kind übernimmt. Bereits die geltende Rechtslage setzt daher den persönlichen Kontakt des Vormunds mit dem Mündel voraus. Denn ohne diesen Kontakt kann der Vormund das Kind weder erziehen, beaufsichtigen noch seinen Aufenthalt bestimmen. So weit aber nur in der Theorie. Die Praxis sieht leider häufig anders aus. In den Jugendämtern gibt es zum Teil erhebliche finanzielle und personelle Engpässe, die eine ausreichende, den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Betreuung durch den Vormund nicht ermöglichen. Ein Amtsvormund ist zuweilen - so auch im Fall des kleinen Kevin - für über 200 Mündel zuständig und verantwortlich. Es ist klar, dass es unter solchen Bedingungen dem Vormund so gut wie unmöglich ist, sich dem einzelnen Mündel in ausreichendem Umfang persönlich zuzuwenden. Nur bei zeitnaher und unmittelbarer Kenntnis der Lebenssituation des Mündels könnte der Vormund aber Fehlentwicklungen entgegenwirken und die erforderlichen Maßnahmen im Interesse des Mündels veranlassen. Das Bundesjustizministerium hat vor diesem Hintergrund Anfang dieses Jahres einen Referentenentwurf vorgelegt. Anknüpfend an die Empfehlungen der Expertengruppe sieht der Entwurf verbindliche Regelungen zum persönlichen Kontakt zwischen Vormund und Mündel sowie Vorgaben zur persönlichen Überwachung von Pflege und Erziehung des Mündels vor. Zudem sollen Berichtspflichten des Vormunds gegenüber dem Familiengericht festgelegt werden und Letztere ihrerseits verpflichtet werden, den persönlichen Kontakt zwischen Vormund und Mündel zu überwachen. Die zentrale und wichtigste Neuregelung sieht schließlich vor, die Zahl der Amtsvormundschaften auf höchstens 50 pro Vormund zu begrenzen, wobei jeweils von einer Vollzeitstelle ausgegangen wird. Zusätzlich zum aktuellen Gesetzgebungsvorhaben planen wir in einem zweiten Schritt eine Gesamtreform des Vormundschaftsrechts. Bekanntlich stammt die Grundkonzeption des Vormundschaftsrechts noch aus dem 19. Jahrhundert und bedarf daher in vielen Bereichen struktureller Anpassungen an die aktuellen Rechts- und Lebensverhältnisse. Bundesregierung und Koalition planen, einen entsprechenden Gesetzesentwurf noch im Laufe der Legislaturperiode zu erarbeiten und auf den Weg zu bringen. Ich denke, wir sind uns einig, dass dieser Weg - also kurzfristig sicherstellen, dass die gesetzlichen Qualitätsvorgaben für die Vormundschaft gewährleistet sind, und dann in einem zweiten Schritt die Strukturen anpassen - der richtige ist. Nun muss es darum gehen, den schon ausgearbeiteten Entwurf der Bundesregierung zügig auf den Weg zu bringen. Nach derzeitigem Stand wird das Bundeskabinett noch im Sommer den entsprechenden Gesetzentwurf beschließen, sodass wir dann nach der Sommerpause an dieser Stelle intensiv und in aller Gründlichkeit darüber beraten können. Was die Einzelheiten angeht, so sehen auch wir noch eine Reihe von Punkten, über die zu diskutieren sein wird. Die SPD-Fraktion hat mit ihrem Antrag bereits eine Reihe richtiger und wichtiger Fragen angesprochen. Ich nenne in diesem Zusammenhang beispielsweise die Obergrenze für Vormundschaften und die damit verbundene Frage, ob wir die neue Vorschrift als Soll- oder Mussvorschrift ausgestalten. Natürlich dürfen wir uns hier keinen Illusionen hingeben. Die allgemeine Haushaltslage in Deutschland ist äußerst angespannt und dürfte sich in den nächsten Jahren eher noch weiter verschärfen. Vor allem Städte mit sozialen Brennpunkten, in denen überdurchschnittlich viele der gefährdeten Kinder leben, stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand und haben kaum Spielräume. Dabei ist es leider auch so, dass gerade die Kinder, die besonders schutzwürdig sind, eine - wenn überhaupt - nur schwache Lobby genießen. Daher stehen gerade wir in besonderer Verantwortung, hier im Interesse der betroffenen Kinder und Familien die richtigen Prioritäten zu setzen. Ich lade Sie daher alle ein, gemeinsam mit uns nach Lösungen zu suchen. Der Referentenentwurf der Bundesregierung bildet für die weiteren Beratungen eine gute Grundlage. Es würde daher keinen Sinn machen, schon heute über den Antrag der SPD-Fraktion abschließend zu entscheiden. Dafür ist das Thema viel zu komplex. Wir werden in Kürze hier und dann in den zuständigen Fachausschüssen über die Einzelheiten des Regierungsentwurfs beraten und dabei ausreichend Zeit und Gelegenheit haben, auch über die von der SPD aufgeworfenen Fragen ausführlich zu diskutieren. Soweit es hier auch um ganz praktische Fragen - etwa die Obergrenze für Amtsvormundschaften - geht, sollten wir auch in Erwägung ziehen, im Rahmen einer öffentlichen Anhörung externes Fachwissen in unsere Meinungsbildung einzubeziehen. Wir halten also den vom Bundesjustizministerium eingeschlagenen Weg für richtig, jetzt zunächst die drängenden Probleme mit einem vorgezogenen Gesetzentwurf anzugehen. Angesichts des akuten Handlungsbedarfs wäre es falsch und schwerlich zu verantworten, erst die Gesamtreform abzuwarten und dadurch unnötig Zeit zu verlieren. Wir wissen alle, dass solche umfassenden Gesetzesvorhaben einer gründlichen Vorbereitung bedürfen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang beispielsweise an die FGG-Reform in der letzten Legislaturperiode. Damals hatten wir uns ebenfalls bewusst dafür entschieden, die Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls abzutrennen und als eigenes Gesetz vorzuziehen. Ich bin der Auffassung, wir sollten die kurzfristig zu lösenden Probleme und die weitergehende Gesamtreform nicht vermengen. Im Interesse der betroffenen Kinder sollten wir uns daher zunächst auf die Themen im Regierungsentwurf konzentrieren. Unabhängig davon halte ich eine Reihe der angesprochenen Fragen durchaus für berechtigt. Die Gesamtreform ist dann ein weiterer Aufgabenbereich, den wir noch in dieser Legislaturperiode angehen werden. Ich sehe jedoch keinen Grund, uns schon heute mit diesen Fragen abschließend zu befassen. Dies gilt umso mehr angesichts der Tatsache, das der Antrag der SPD-Fraktion auch einige äußerst sensible Bereiche thematisiert - Stichwort "Pflegefamilie und Adoption". Im Interesse der Sache wäre es deshalb wünschenswert, wenn der heutige Antrag zur weiteren Beratung in die Ausschüsse verwiesen wird. Sonja Steffen (SPD): In der letzten Legislaturperiode wurde zum Schutze des Kindeswohls viel erreicht - dies war auch nötig, denn immer häufiger war in den Zeitungen von Fällen zu lesen, bei denen Kinder von den Eltern vernachlässigt und misshandelt wurden. Dabei sind vor allem auch die öffentlichen Einrichtungen und Verfahren zum Schutze der Kinder in die Kritik geraten. Der für den zweijährigen Kevin aus Bremen zuständige Amtsvormund betreute im Jahr 2006 200 Kinder, als der kleine Junge durch Misshandlungen zu Tode kam. Dieser Fall hat gezeigt, dass das Frühwarnsystem und die präventiven Maßnahmen nicht ausreichten, um eine Gefährdung des Kindeswohls rechtzeitig erkennen und abwenden zu können. Die Große Koalition hat daraufhin richtig gehandelt: Unter Federführung der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries wurde die Arbeitsgruppe "Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls" ins Leben gerufen. Dann traten das "Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls" sowie die "Reform des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit" in Kraft. Die Arbeitsgruppe hat im Nachgang erste Erfahrungen mit den neuen Gesetzen evaluiert und im Juli 2009 einen Abschlussbericht vorgelegt, in dem Empfehlungen für die Weiterentwicklungen in dem Bereich ausgesprochen werden. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, begrüßen, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung einen Teil dieser Empfehlungen aufgegriffen hat und demnächst einen Gesetzentwurf zur Änderung des Vormundschaftsrechtes im Kabinett verabschieden möchte. Auch die Intention des Entwurfs geht in die richtige Richtung. Und doch bleibt er nur Stückwerk - eine halbe Sache. Die Vorschläge der Arbeitsgruppe wurden nur teilweise aufgenommen und alles über den Themenkomplex Vormundschaftsrecht hinausgehende wird außer Acht gelassen. Hintergrund für dieses Vorgehen ist die Ankündigung, Sie würden das Vormundschaftsrecht insgesamt noch einmal reformieren. Wir wollen Sie heute mit dem von uns vorgelegten Antrag darauf aufmerksam machen, welche Punkte unbedingt berücksichtigt oder überprüft werden müssen, um den Schutz des Kindeswohls weiter voranzubringen. Es ist notwendig, die Zusammenarbeit zwischen Familiengericht und Jugendamt zu verbessern, einerseits durch eine konkrete Regelung für die verbindliche Teilnahme der Jugendämter an gerichtlichen Terminen, andererseits durch die Stärkung der fallübergreifenden interdisziplinären Zusammenarbeit. Fortbildungen und Qualifikationen sollten in dem sensiblen Bereich des Vormundschaftsrechtes stärker gefördert und gefordert werden, sowohl bei den Richterinnen und Richtern als auch bei den Vormündern. Zudem muss die Position der Mündel bei der Auswahl des Vormundes sowie in Bezug auf Beschwerdemöglichkeiten gestärkt werden. Ein weiterer Aspekt ist die Einzelvormundschaft. Sie sollte gezielt gefördert und das Potenzial der ehrenamtlichen Vormundschaft stärker genutzt werden. Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass wir die im Referentenentwurf vorgesehene Begrenzung der Fallzahl in der Amtsvormundschaft begrüßen; wir halten es aber für sinnvoll, die Obergrenze auf 40 Fälle pro Vormund festzulegen - und zwar für alle Formen der Vormundschaft. Diese Grenze darf nicht überschritten werden. Deshalb brauchen wir hier eine Muss-Regelung, die Klarheit schafft. Das bringt den betroffenen Kindern aber nur etwas, wenn auch ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die von Ihnen getroffene Feststellung, der durch die Änderung hervorgerufene Mehrbedarf bei den Kommunen sei nicht bezifferbar, ist mehr als unbefriedigend. In Anbetracht der desolaten finanziellen Situation der Kommunen ist eine solche Aussage nicht hinnehmbar. Deshalb fordern wir Sie auf, die durch die Erhöhung der Anzahl der qualifizierten Jugendamtsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter entstehenden Mehrkosten konkret zu benennen und dementsprechende Ressourcen bereitzustellen. Ich hoffe sehr, dass die in unserem Antrag angeführten Anregungen und sinnvollen Ergänzungen Eingang in Ihre Überlegungen zum Vormundschaftsrecht finden werden. Stephan Thomae (FDP): Von allen Unfällen und Straftaten, die unsere Wahrnehmung erreichen, gehen uns fast immer diejenigen am nächsten, deren Opfer Kinder sind. Was man - leider viel zu oft - von solch grauenvollen Fällen liest oder hört, ist geeignet, uns kalte Schauer über den Rücken zu jagen. Politik und Gesellschaft sind hier gefordert. Die Aufmerksamkeit von Angehörigen, Nachbarn und Jugendämtern muss noch stärker geschärft werden. Der Gesetzgeber muss die gesetzlichen Rahmenverhältnisse verbessern. Zu den spektakulärsten und tragischsten Ereignissen der letzten Jahre zählt ohne Zweifel der Fall des zweijährigen Kevin aus Bremen, der im Jahr 2006 tot im Kühlschrank seines drogenabhängigen Ziehvaters gefunden worden war. Kevin hatte unter der Vormundschaft des örtlichen Jugendamtes gestanden. Man tut sich leicht, dem Amtsvormund den Vorwurf zu machen, er habe nicht verhindert, dass Kevin misshandelt und vernachlässigt wurde. Man muss aber aufmerksam werden, wenn man liest, dass der zuständige Sachbearbeiter des Jugendamtes 230 Vormundschaftsfälle zu betreuen hatte; das sind fast zehn Schulklassen. Bei einer 40-Stunden-Woche kann ein solcher Vormund im Durchschnitt gerade einmal eine Dreiviertelstunde monatlich für jedes Kind verwenden. Als Gesetzgeber, der für das Vormundschaftsrecht zuständig ist, müssen wir uns fragen, ob nicht im Vormundschaftsrecht Korrekturen notwendig sind. Wie Sie alle wissen, hat Frau Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger deshalb sofort nach ihrem Amtsantritt ein Gesetz zur Änderung des Vormundschaftsrechts auf den Weg gebracht. Das Ministerium hat bereits im Dezember 2009 einen Referentenentwurf vorgestellt, der im Januar 2010 an die Länder und an die Verbände zur Stellungnahme versandt worden ist. Das geplante Gesetz soll unter anderem sicherstellen, dass der persönliche Kontakt zwischen dem Vormund und seinen Mündeln gewährleistet ist. Das soll insbesondere, aber nicht nur durch die zahlenmäßige Begrenzung der Mündel garantiert werden, die ein einzelner Vormund höchstens betreuen darf. Die gesetzliche Neuregelung wird das Erfordernis des ausreichenden persönlichen Kontakts des Vormunds mit dem Mündel ausdrücklich im Gesetz verankern, die Pflicht des Vormunds zur Aufsicht über die Pflege und Erziehung des Mündels im Gesetz stärker hervorheben, den persönlichen Kontakt des Vormunds mit dem Mündel ausdrücklich in die jährliche Berichtspflicht des Vormunds einbeziehen, den persönlichen Kontakt des Vormunds mit dem Mündel in die Aufsichtspflicht des Familiengerichts über die Amtsführung des Vormunds ausdrücklich einbeziehen und die Fallzahlen in der Amtsvormundschaft auf 50 Vormundschaften je Mitarbeiter begrenzen. Es sei ganz offen und ehrlich darauf hingewiesen: Diese Verbesserungen werden nicht zum Nulltarif zu haben sein. Einerseits darf auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Kindeswohl nicht unter die Disposition der Kassenlage gestellt werden. Andererseits müssen wir als Gesetzgeber die Finanzlage der Kommunen natürlich im Blick behalten. Der Bund sollte keine Versprechungen machen, von denen wir nicht wissen, wie die Kommunen sie einhalten sollen. Wenn wir das Vormundschaftsrecht ändern, müssen wir auch die finanzielle Seite mitbedenken, sonst verhalten wir uns wie Betrüger, die ungedeckte Schecks ausstellen. Trotzdem werden wir versuchen, die drängendsten Fragen schnellstmöglich zu lösen, damit ein Fall Kevin sich so nicht mehr wiederholen kann. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Es ist nicht das erste Mal, dass wir im Bundestag über den Schutz von Kindern debattieren. Oft gaben schreckliche Fälle Anlass zur Debatte. Und auch der Antrag der SPD-Fraktion, der heute zur Beratung steht, hat den tragischen Tod des im Jahre 2006 in Bremen zu Tode gekommenen Kevin zum Anlass. Sicher ist es wichtig, dass solche schrecklichen Fälle immer wieder diskutiert werden. Es ist auch wichtig, immer wieder nach neuen Lösungswegen zu suchen. Es ist aber auch wichtig, dabei die Ursachen für das Handeln von Eltern - wie im Falle Kevin - zu suchen, Ursachen, die nur zum Teil bei den Eltern zu finden sind; viel öfter liegen sie in gesellschaftlich zu verantwortenden Defiziten. Genügend Gesprächs- und Klärungsbedarf gibt es auch von unserer Seite, zum Beispiel bei der Rolle der Jugendämter, deren Ausstattung auch im Antrag der SPD eine Rolle spielt - leider ohne klar zu fordern, dass bei der Finanzierung auch der Bund sehr viel mehr in die Pflicht genommen werden muss. Wenn schon die Bundesregierung darin keine Notwendigkeit sieht, sollte wenigstens eine Oppositionsfraktion daran erinnern. Viele der Forderungen des Antrags teilen wir als Linke. Sie sind aus den Anhörungen zum Kindesschutz in der letzten Legislaturperiode bekannt und dort - zumindest von den Sachverständigen - ausführlich erörtert worden. Zu nennen sind hier insbesondere die dringend notwendige Obergrenze für die Fallzahlen bei den Amtsvormundschaften. Die derzeitige Praxis ist unzumutbar für die Vormunde und hat mit einer Arbeit im Sinne des Kindeswohls nichts mehr gemein. In den vergangenen Jahren hat der Personalmangel in den Jugendämtern aber auch im Bereich der Amtsvormundschaften und der Begleitung von Familiensachen zu erheblichen qualitativen Einschränkungen geführt, die in einem Gegensatz zu den steigenden Fallzahlen stehen. Wir unterstützen diese Forderung ebenso wie die nach mehr Beteiligung für Mündel sowie die nach gesetzlichen Konkretisierungen der Pflichten des Vormundes gegenüber den Kindern und Jugendlichen, deren Wohl und Willen im Mittelpunkt stehen müssen. In vielen anderen Fragen besteht für uns aber noch intensiver Redebedarf - sowohl aus fachpolitischer Sicht als auch in Bezug auf die Folgenabschätzung der vorgeschlagenen rechtlichen Veränderungen. Genannt sei an dieser Stelle nur die Frage, inwieweit Pflegeeltern eine Vormundschaft übernehmen können oder in welchem Umfang die Möglichkeit von Adoptionen durch Pflegeeltern ausgeweitet werden soll. Pflegeeltern haben die ohnehin schwere Aufgabe, Kinder in ihrer Entwicklung zu fördern, die nicht selten schreckliche Dinge erlebt haben. Hier besteht nicht nur die Gefahr der Überforderung von Pflegeeltern, die vom Antragsteller selbst im Feststellungsteil umschrieben wird. Eine solche Prüfung muss also unter äußerst sensibel ausgewählten Gesichtspunkten geschehen. Auch der Prüfauftrag zur Frage der Ermöglichung einer Adoption wird von uns eher kritisch gesehen. Er ist derart unbestimmt formuliert, dass das Ergebnis dieses Auftrages dazu führen kann, dass der eigentliche Zweck des Pflegeverhältnisses, nämlich die Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie, konterkariert wird. Hier hätte viel genauer formuliert werden müssen, unter welchen engen Voraussetzungen geprüft werden soll, ob und, wenn ja, wie eine Adoption möglich sein soll. Fragen des Vormundschafts- und des Familienrechtes sind in vielerlei Hinsicht sehr sensibel. Wir sollten diesen Fragen die notwendige Aufmerksamkeit widmen und sie in den zuständigen Fachgremien diskutieren. Darum wendet sie die Fraktion Die Linke gegen eine sofortige Abstimmung. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir befassen uns heute mit dem Antrag der SPD zu Änderungen im Vormundschaftsrecht. Die SPD bezieht sich zum einen auf den Referentenentwurf der Bundesregierung, den sie ergänzt haben möchte. Zum anderen fordert sie, dass weiterführende Regelungen in die angekündigte Gesamtreform des Vormundschaftsrechts, die von der Bundesregierung angekündigt ist, aufgenommen werden. Den Anstoß für dieses Thema hat der traurige Fall des Kindes Kevin aus Bremen gegeben, das im Jahr 2006 zu Tode gekommen ist. Der Amtsvormund, der für Kevin zuständig war, hatte zu diesem Zeitpunkt 200 Mündel in seiner Betreuung. Aufgrund der großen Arbeitsbelastung hatte er keinen persönlichen Kontakt zu Kevin. Deshalb hatte er keine eigene Kenntnis von den katastrophalen Verhältnissen, in denen sein Mündel lebte. Wie können wir den Schutz von Mündeln realistisch verbessern und die Qualität der Vormundschaft sichern? Das sind die Kernfragen bei der Reform des Vormundschaftsrechts. Ein Aspekt ist hierbei sicherlich, dass die Entwicklung und das Wohl des Mündels in den Vordergrund der Amtsführung des Vormunds gerückt werden. Nur das Kindeswohl kann den Maßstab für das Handeln des Vormunds darstellen. Das ist der Kristallisationspunkt. Das beste Bild vom Wohlergehen seines Mündels kann sich der Vormund machen, wenn er kontinuierlich den persönlichen Kontakt zum Mündel hält. Dazu gehört auch, dass der Vormund sein Mündel bei der Entscheidung über Angelegenheiten, die sie oder ihn betreffen, einbezieht, gemäß dem jeweiligen persönlichen Entwicklungsstand. Die SPD schlägt in ihrem Antrag darüber hinaus vor, den Kontakt des Vormunds zu seinem Mündel nicht auf die "übliche Umgebung des Mündels" zu beschränken, wie dies im Referentenentwurf vorgesehen ist. Das ist richtig; denn das ermöglicht dem Mündel, mit dem Vormund offen über Probleme zu sprechen, die gerade in seinem üblichen Umfeld, seinem Zuhause, ihren Ursprung haben. Einen weiteren Punkt müssen wir diskutieren: Zur Obergrenze der Anzahl von Vormundschaften pro Amtsvormund sieht der Referentenentwurf der Bundesregierung vor, dass diese auf 50 Vormundschaften pro Mitarbeiterin oder Mitarbeiter beschränkt werden soll. Das geschieht in Form einer "Sollvorschrift". Demgegenüber fordert die SPD, dass die Obergrenze für alle Formen der Vormundschaft auf 40 Vormundschaften pro Mitarbeiterin oder Mitarbeiter festgelegt werden muss; sie fordert also eine "Mussvorschrift". Das ist eine schöne Perspektive; allerdings stellen sich Fragen. Die erste Frage ist: Wie finanzieren die Kommunen, die bereits unter erheblichem finanziellem Druck stehen, diese Aufstockung ihres Personalbestands? Auch muss geklärt werden, wie die Jugendämter ausreichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kürze der Zeit finden sollen. Klar ist, dass möglichst bald mit der Schulung und Qualifizierung potenzieller neuer Vormünder begonnen werden muss, aber das geht nicht sofort. Auch hier muss geklärt werden, wie die Kommunen die zusätzlichen Kosten stemmen können. Eine genaue Kalkulation ist hier vonnöten. Zu denken wäre auch an die Einführung von Übergangsvorschriften. Im Gesamten sind die Forderungen der SPD zu begrüßen. Sie haben immer das Wohl des Mündels und die Qualitätssicherung der Vormundschaft im Blick. Der persönliche Kontakt zwischen Vormund und Mündel, die Gewährleistung von qualifizierter Vormundschaft und die Kontrolle durch die Gerichte sind von elementarer Bedeutung für ein gutes Vormundschaftsrecht. Diese Aspekte hat die SPD in ihrem Antrag berücksichtigt. Sie muss allerdings hinsichtlich der konkreten Umsetzung noch klarer werden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2411. Die Fraktion der SPD wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Rechtsausschuss und mitberatend an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 17/2411 nicht ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Arnold Vaatz, Volkmar Vogel (Kleinsaara), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Patrick Döring, Oliver Luksic, Werner Simmling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Erwerb von Zweiradführerscheinen erleichtern - Drucksachen 17/1574, 17/2456 - Berichterstattung: Abgeordnete Kirsten Lühmann Auch hier wurde bereits in der Tagesordnung ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll gegeben werden, und zwar folgender Kolleginnen und Kollegen: Gero Storjohann, Volkmar Uwe Vogel, Kirsten Lühmann, Oliver Luksic, Herbert Behrens und Winfried Hermann. Gero Storjohann (CDU/CSU): Wir beraten und beschließen heute in zweiter und dritter Lesung den Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel "Erwerb von Zweiradführerscheinen erleichtern". Hierdurch setzen wir die 3. Europäische Führerscheinrichtlinie hinsichtlich des Zweiradbereichs in nationales Recht um. Der Übergang zwischen den verschiedenen Zweirad-Führerscheinklassen wird für den Bürger hierdurch deutlich vereinfacht. Bislang konnten langjährige Kraftfahrer einen zusätzlichen Motorradführerschein nur durch umfassende Theorieausbildungen und Theorieprüfungen erlangen. Trotz umfassender Praxiserfahrung im Straßenverkehr wurden sie Verkehrsneulingen gleichgestellt. Die 3. EU-Führerscheinrichtlinie schafft hier Abhilfe. Sie ist am 19. Januar 2007 in Kraft getreten. Vom Gesetzgeber fordert die Richtlinie Veränderungen im nationalen Führerscheinwesen. Die christlich-liberale Koalition nutzt die gebotenen Spielräume, um die soeben beschriebenen Missstände in der Zweirad-Führerscheinausbildung zu beheben. Obwohl den Mitgliedstaaten auch ein breiter zeitlicher Spielraum eingeräumt wurde, diese Richtlinie bis spätestens zum 19. Januar 2013 in nationale Regelungen umzusetzen, verfolgen wir eine frühzeitige Umsetzung. Im Bereich der Zweirad-Führerscheinklassen beschließen wir im Einzelnen folgende Punkte: Erstens. Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse A1 werden zukünftig unter erleichterten Bedingungen die Klasse A2 erwerben können. Die Klasse A1 umfasst Leichtkrafträder bis maximal 125 ccm und bis zu einer Fahrleistung von 15 PS. Bei der Klasse A2 steigert sich die Fahrleistung dann auf maximal 34 PS. Nach zweijähriger Inhaberschaft der Klasse A1 bedarf es fortan nur einer Einweisung sowie einer praktischen Prüfung, um die Führerscheinklasse A2 zu erlangen. Die Theorieprüfung entfällt zukünftig. Nach zwei Jahren Fahrpraxis können ausreichende theoretische Kenntnisse zum Verkehrsverhalten und zum Führen von Zweirädern vorausgesetzt werden. Der Wegfall des theoretischen Prüfungsteils ist somit sachgerecht. Bei den Zweiradfahrern stößt diese Maßnahme auf große Zustimmung. Zweitens. Gleichermaßen regeln wir den Übergang von der Klasse A2 zur Klasse A neu. Nach zweijährigem Besitz der Führerscheinklasse A2 ist für den Erwerb der Klasse A eine Einweisung und eine praktische Prüfung nötig. Auch hier wird auf eine theoretische Prüfung verzichtet. Bisher folgte der Erwerb der Führerscheinklasse A automatisch nach zweijähriger Inhaberschaft der Klasse A2. Die mitunter großen Leistungsunterschiede der entsprechenden Krafträder, die unter die Klassen A2 und A fallen, rechtfertigen jedoch die zusätzliche Einführung einer praktischen Prüfung. Denn die Führerscheinklas-se A umfasst Motorräder jeglicher Art. Diesen Übergang von A2 zu A gestalten wir unter Gesichtspunkten der Verkehrssicherheit neu. Auf diese Weise schaffen wir ein System des stufenweisen Erwerbs der drei Zweirad-Führerscheinklassen A1, A2 und A. Wer sich mit 16 Jahren dafür entscheidet, die Klasse A1 zu erwerben, kann nach zweijähriger Praxiserfahrung erleichtert die Klasse A2 erlangen. Er wäre dann 18. Nach weiteren zwei Jahren ist es dann möglich, die Klasse A2 durch die Klasse A zu ersetzen. Und das in einem Alter von 20 Jahren. Die Fahrer von Motorrädern, die bewiesenermaßen ein erhöhtes Unfallrisiko aufweisen, würden auf diese Weise langfristiger und schrittweise das Führen leistungsstarker Motorräder erlernen. Wer die Klasse A über dieses Stufensystem erwirbt, hat bereits mindestens vier Jahre Zweirad-Fahrpraxis. Hierin sehen wir einen großen Gewinn für die Verkehrssicherheit auf unseren Straßen. Direkt kann die Klasse A weiterhin erst ab dem 25. Lebensjahr erworben werden. Ein Erwerb vor dem Erreichen dieses Alters ist nur möglich, wenn zuvor eine Fahrlizenz der Klasse A2 vorliegt. Es ist ein Trugschluss, davon auszugehen, dass der 25-Jährige, der die Klasse A direkt erwirbt, zwangsläufig verantwortungsvoller und sicherer ein Zweirad führen kann als ein 20-Jähriger. Sicheres Fahren und Verkehrssicherheit sind keine Fragen des Alters. Sicher fährt derjenige, der eine sorgfältige Ausbildung genossen hat, schrittweise und bewusst an die Verantwortung herangeführt wurde, ein Kraftrad zu führen. Drittens. Eine weitere Neuregelung sieht vor, dass Inhaber der alten Führerscheinklasse 3, die diese vor dem 1. April 1980 erworben haben, die Klasse A2 unter den erleichterten Bedingungen der Inhaber von Klasse A1 erhalten. Zusätzlich ist lediglich eine spezifische theoretische Prüfung notwendig, die ausschließlich die Kenntnisse zum Führen von Zweirädern dieser Klasse abfragt. Die Klasse 3 berechtigt zum Führen von Leichtkrafträdern bis maximal 125 ccm und 15 PS Motorleistung. Dennoch wurden die Inhaber der Klasse 3 bislang Zweiradneulingen gleichgestellt. Die Vergleichbarkeit der Klassen A1 und 3 macht eine Gleichbehandlung beider Klassen jedoch sachgerecht. Viertens. Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse B - das ist der reguläre Pkw-Führerschein - können die Klasse A1 leichter erwerben, sofern sie seit mindestens 15 Jahren im Besitz der Klasse B sind. In diesem Fall sind eine spezifische theoretische Prüfung, eine praktische Einweisung und eine praktische Prüfung gefordert. Schließlich fünftens. Wir senken das Mindestalter zum Führen eines Zweirads der Klasse AM von bislang 16 auf 15 Jahre. Die Klasse AM löst nach dem Willen der 3. EU-Führerscheinrichtlinie die bisherigen deutschen Klassen M und S ab. M war bislang der klassische Mopedführerschein. Dieser konnte mit 16 Jahren erworben werden und umfasste Zweiräder bis maximal 50 ccm Hubraum und maximal 45 km/h Höchstgeschwindigkeit. Die Klasse S berechtigte zum Fahren dreirädriger Kleinkrafträder bzw. vierrädriger Leichtkraftfahrzeuge, sogenannter Quads. Die neue Klasse AM vereinigt die Klassen M und S in sich. Wird in Deutschland zukünftig vom Mopedführerschein gesprochen, ist die Klasse AM gemeint. Die 3. EU-Führerscheinrichtlinie lässt den Mitgliedstaaten dabei den Spielraum, das Mindestalter zum Erwerb der Klasse AM zwischen 14 und 18 Jahren eigenständig festzusetzen. Wir haben uns für eine Absenkung des Mindestalters für den Moped-Führerschein auf 15 Jahre entschieden. Dieser Punkt unseres Antrags hat in den vergangenen Wochen die meiste Beachtung gefunden. Wir als CDU/ CSU-Fraktion stellen fest: Die Absenkung des Mindestalters ist ein Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit. Denn die derzeitige Situation ist folgende: Wir haben überdurchschnittlich viele Unfälle im Bereich der Fahrräder und Motorräder. Das Motorrad ist das mit Abstand gefährlichste Verkehrsmittel. Obwohl die motorisierten Zweiräder nur 2 Prozent aller Verkehrsteilnehmer ausmachen, kommen aus diesem Bereich circa 14 Prozent aller Verkehrstoten. Darüber hinaus beobachten wir, dass insbesondere bei jungen Zweiradfahrern viele Maschinen frisiert werden und deutlich schneller unterwegs sind als die erlaubten 25 km/h bei Mofas oder 45 km/h bei Mopeds. Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen diese Entwicklung nicht hinnehmen. Anstatt zuzuschauen, wie sich die Unfallzahlen im Zweiradbereich auf unverändert hohem Niveau halten, handeln wir mit unserem Antrag und der Herabsenkung der Altersuntergrenze für den Mopedführerschein auf 15 Jahre. Von dieser Maßnahme versprechen wir uns ein gesteigertes Gefahrenbewusstsein unter den jungen Zweiradfahrern. Denn der neue Mopedführerschein mit 15 stellt eine qualifizierte Ausbildung der Jugendlichen dar. Der Erwerb der Klasse AM geht mit einer umfassenden theoretischen und praktischen Fahr- und Verkehrsausbildung einher. Die Intensität der Ausbildung wird die der derzeitigen Mofa-Ausbildung weit übersteigen. Dementsprechend mehr werden die Fahrschüler für die Gefahren des Straßenverkehrs und die Verantwortung, die das Führen eines Zweirads mit sich bringt, sensibilisiert. Das Risikobewusstsein der Altersklasse der unter 16-Jährigen wird sich im Vergleich zum heutigen Stand deutlich erhöhen. Für die CDU/CSU-Fraktion gilt: Es ist besser, wenn die Jugendlichen bereits mit 15 Jahren beim Erwerb der Klasse AM frühzeitig eine qualifizierte Ausbildung erhalten. Wir vertrauen auf die Professionalität unserer Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer, die die Jugendlichen optimal vorbereiten werden. Wir sind überzeugt, dass hierdurch eine deutliche Verbesserung der Unfallzahlen im Zweiradbereich erreicht wird, sowohl bei den 15-jährigen Fahranfängern, aber gerade auch in höheren Altersklassen. Gleichwohl ist es selbstverständlich, dass wir die Entwicklung infolge der Absenkung des Mindestalters genau beobachten werden. Bislang war es mit 15 Jahren ausschließlich möglich, einen Mofa-Führerschein zu erwerben. Doch das Mofa hat einige entscheidende Nachteile. So ist ein Mofa auf eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h begrenzt. Ursprünglich sollten die Jugendlichen hierdurch davor geschützt werden, zu schnell zu werden und sich zu gefährden. Der Negativeffekt dabei ist jedoch, dass der deutliche Geschwindigkeitsunterschied zum sonstigen innerstädtischen Verkehr gefährliche Verkehrssituationen geradezu zwingend hervorruft. Die Mofafahrer können nicht im Verkehr "mitfließen". Sie werden bevorzugt überholt und dadurch erheblichen Gefahren ausgesetzt. Das Absenken des Einstiegsalters des Mopedführerscheins würde diesem Effekt entgegenwirken. Die jungen Mopedfahrer könnten flüssiger am Verkehrsgeschehen teilnehmen. Darüber hinaus sehen wir in der Absenkung des Einstiegsalters für den Mopedführerschein einen Beitrag zu mehr Mobilität im ländlichen Raum. Insbesondere Auszubildende des Handwerks sind früh auf ausreichende Mobilität angewiesen, ein früher Mopedführerschein hilft ihnen, Arbeitsplatz und Berufsschule gut zu erreichen. Aus den genannten Gründen unterstützt die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion die Absenkung des Einstiegs-alters des Mopedführerscheins auf 15 Jahre. Die Änderungsanträge von SPD, Grünen und Linken lehnen wir ab. Stattdessen fordern wir die Bundesregierung mit unserem Antrag auf, die genannten Regelungen umzusetzen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem Antrag "Erwerb von Zweiradführerscheinen erleichtern" heute zustimmen. Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Ich möchte Sie um Ihre Zustimmung für den Antrag der Koalitionsfraktionen "Erwerb von Zweiradführerscheinen erleichtern" bitten. Mit diesem Antrag soll ermöglicht werden, dass Jugendliche statt mit 16 Jahren bereits mit 15 den sogenannten Mopedführerschein erwerben; offizielle Bezeichnung: Führerschein der Klasse AM. Damit haben sie die Berechtigung, Zweiräder bis 50 ccm Hubraum bei einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 45 km/h zu führen. Besonders in ländlich geprägten Gebieten ist die individuelle Mobilität von entscheidender Bedeutung. Denn der nächste Einkaufsladen ist selten fußläufig erreichbar, der nächste Fußballverein ist mehrere Kilometer entfernt, und der Schulkamerad oder die Freundin wohnt weit entfernt. Es ist auch meist nicht so wie hier in Berlin, das man nur zehn Minuten auf den nächsten Bus warten muss. Aber für die Stadt und das Land gilt gleichermaßen: Nur wer individuell weite Strecken zurücklegen kann, kann auch die von der Arbeitswelt geforderte Flexibilität an den Tag legen. Mein erster Gedanke bei diesem Antrag war, dass wir dadurch den jungen Auszubildenden unterstützen, eine weit entfernte und durch öffentliche Verkehrsmittel nur beschwerlich zu erreichende Ausbildung anzunehmen oder ganz einfach den Schulbesuch selbstständig zu organisieren. In der DDR konnte man eine Mopedfahrerlaubnis bereits mit 15 Jahren erwerben, auch wenn man eher an die Erreichung den Arbeitsplatzes gedacht hat und weniger daran, den Jugendlichen mehr persönliche Freiheit zu geben. Damit komme ich noch zu einem weiteren Argument: Die jungen Leute sollen die Möglichkeit haben, ihre Freunde und Vereine zu besuchen, wann immer sie es wollen. Ihre Selbstständigkeit und individuelle Freiheit soll gefördert werden, aber auch das Verantwortungsbewusstsein. An diesem Punkt möchte ich noch einmal deutlich machen, dass ich den Jugendlichen in unserem Land Vertrauen entgegenbringe, verantwortlich mit diesen neuen Möglichkeiten umzugehen. Das bedeutet auch Verantwortung für sich und andere. Besonders muss ihnen bewusst sein, dass sie zu den gefährdetsten Verkehrsteilnehmern gehören, wie alle, die ein Zweirad fahren, vom Mofa bis zum Bike. Deshalb appelliere ich an die Jugendlichen, dass sie durch ihr eigenes Fahrverhalten am meisten zu ihrer eigenen Sicherheit beitragen können, dass sie mit der richtigen Kleidung, in Signalfarben und sturzsicher, ihr eigenes Leben retten können, dass ein fahrtüchtiges und nicht manipuliertes Moped der beste Garant für eine sichere Fahrt ist, dass einfach nur lebensmüde ist, ohne Helm zu fahren. Ich bin mir sicher, dass die Eltern, Freunde und Fahrlehrer in unserem Land nicht müde werden, diese ebenso einfachen wie fundamentalen Weisheiten immer wieder den jungen Fahrern zu vermitteln. Wenn die jungen Leute diese Regeln, gepaart mit einer guten Fahrausbildung, beherzigen, ist das Risiko gering, egal ob mit 15 oder 16. Aufgrund dieser Argumente bitte ich Sie, dem hier vorliegenden Antrag, auch unter Berücksichtigung der positiven Beschlussempfehlung aus dem Verkehrsausschuss, zuzustimmen. Kirsten Lühmann (SPD): Junge Leute können es kaum erwarten, motorisiert zu sein. Mobilität bedeutet auch für junge Menschen mehr Selbstständigkeit und die Möglichkeit, besser am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Das war so und wird auch in Zukunft nicht anders sein. Der sächsische Verkehrsminister Sven Morlok hat daher recht, wenn er sagt: "Jugendliche werden durch die Möglichkeit, früher Moped zu fahren, mobiler und selbstständiger". Die Frage, die wir uns jedoch in diesem Zusammenhang stellen müssen, ist: Wollen wir, dass unsere Kinder mobiler und selbstständiger werden, um jeden Preis? Auch, wenn es um ihre eigene Sicherheit oder um die allgemeine Verkehrssicherheit geht? Ich denke, da sind wir uns einig, dass wir das nicht möchten. Warum sollten wir also dem Antrag der Regierungskoalition folgen und der Absenkung des Mindestalters auf 15 Jahre für Mopedführerscheine zustimmen? Im vorliegenden Antrag fordern Sie, den Erwerb von Zweiradführerscheinen zu erleichtern. Es geht dabei um die Umsetzung der Dritten EG-Führerschein-Richtlinie. Die in dem Antrag vorgeschlagenen Erleichterungen beim Erwerb von Zweiradfahrerlaubnissen unter bestimmten Bedingungen bewerten wir positiv. Personen, die im motorisierten Straßenverkehr Erfahrungen vorweisen können, unbürokratischer den Erwerb von weiteren Fahrerlaubnisklassen zu ermöglichen, ist sinnvoll und birgt keine zusätzlichen Gefahren im Straßenverkehr. Diese EU-Richtlinie führt auch eine neue Fahrerlaubnisklasse AM für das Führen zweiräderiger Kleinkrafträder ein. Das entspricht dem Mopedführerschein, der zurzeit frühestens mit 16 Jahren erworben werden kann. Die Richtlinie ermöglicht es, die Altersgrenze im Ausnahmefall auf 14 Jahre herabzusetzen oder sie auf bis zu 18 Jahre anzuheben. Als Regelfall empfiehlt die Europäische Union ein Mindestalter von 16 Jahren. Sie fordern die Herabsetzung auf 15 Jahre. Wir wollen das nicht. Jeder, der Kinder in dieser Altersstufe hat bzw. Studien zu diesem Thema oder die Briefe der Experten zur Verkehrssicherheit, die uns alle in den letzten Wochen erreicht haben, gelesen hat, weiß, dass die Risikobereitschaft, Selbstüberschätzung und vor allem die fehlende Erfahrung der 14- bis 16-Jährigen einen gefährlichen Risikomix ergeben. Die Folge davon ist eine erhöhte Unfallhäufigkeit meist aufgrund überhöhter Geschwindigkeit. Im Zweiradbereich ist dieses sogenannte Jugendlichenrisiko von wesentlich größerer Bedeutung als beim Auto. Mit der Absenkung des Mindestalters dürften 15-Jährige zweirädrige Kleinkrafträder (Mopeds), Quads oder vierrädrige Leichtkraftfahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von maximal 45 km/h fahren. Sie dürfen sogar einen Sozius mitnehmen, was die Fahreigenschaft des Zweirads erheblich verändert. Statt also mit 25 km/h und dem Mofa auf Radwegen zu fahren, werden Jugendliche sich zukünftig mit dem Moped oder dem geländetauglichen vierrädrigen Quad auf der Straße zwischen Lkw und Autos behaupten müssen. Das ist nicht unsere Vorstellung von Verkehrssicherheit. Unserer Ansicht nach ist es nicht ratsam, Jugendliche vom Fahrrad direkt aufs Moped zu locken. Das sieht auch die Bundesanstalt für Straßenwesen, BASt, eine Unterbehörde des Bundesverkehrsministeriums, so: Die BASt empfiehlt, das Mindestalter für die Führerscheinklasse nicht auf 15 abzusenken. In der Studie heißt es: Je jünger und je unerfahrener jugendliche motorisierte Zweiradfahrer sind, desto größer ist ihr Unfallrisiko. Das Ergebnis dieser Studie scheint Sie leider aber nicht weiter zu interessieren. In einem voreiligen Referentenentwurf zur Umsetzung Ihres heutigen Antrages stellt das BMVBS bereits fest: "Unabhängig von dem Ergebnis der BASt-Studie wird - insbesondere zur Aufrechterhaltung der Mobilität Jugendlicher im ländlichen Raum, die oft auf Fahrzeuge der neuen Klasse AM angewiesen sind, um zu ihrem Ausbildungsplatz zu gelangen - das Mindestalter auf 15 gesenkt." Sie ignorieren damit nicht nur die vom Verkehrsministerium in Auftrag gegebene Studie. Sie zeigen außerdem Ihren mangelnden Respekt für die heutige Debatte, die Sie in Ihrem Gesetzesentwurf offensichtlich bereits vorwegnehmen. Wenn Sie dafür sorgen wollen, dass Jugendliche in ländlichen Räumen besser zur Arbeit kommen sollen, raten wir Ihnen: Stärken Sie den ÖPNV! Die Verkehrsunternehmen benötigen so schnell wie möglich Planungssicherheit und verlässliche Zusagen über die zukünftige Finanzierung von Bussen und Bahnen. Wir brauchen zeitnah Nachfolgelösungen für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz und das Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs. Machen Sie sich für Busse und Bahnen stark. Opfern Sie nicht die Verkehrssicherheit dafür. Ein Blick auf Österreichs Straßen hilft. Österreich hat genau denselben Fehler gemacht. 1997 entschied man dort, dass es in Ordnung sei, wenn 15-Jährige einen Mopedführerschein machen dürfen, wenn die Eltern schriftlich zustimmen, wenn die Schule oder der Lehrbetrieb bescheinigt, dass es keine ÖPNV-Verbindung gibt und wenn die Jugendlichen eine verkehrspsychologische Untersuchung machen. Diese stufenweise Einführung weniger Ausnahmefälle hat die Unfallzahlen in Österreich noch nicht verändert. Aber schließlich hat man das Mindestalter für Mopedfahrer für alle auf 15 Jahre gesenkt, und die Unfallzahlen sind seitdem deutlich nach oben gegangen. Mittlerweile steigen dort die Unfallzahlen der 15-jährigen Mopedfahrer kontinuierlich an. Allein im Jahr 2008 erhöhten sich in dieser Altersgruppe die Unfallzahlen im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent. Jetzt wird dort ernsthaft wieder über eine Heraufsetzung des Mindestalters für das Führen von Kleinkrafträdern nachgedacht. Wir benötigen in Deutschland keinen Probelauf dieser Art. Wir sind der Meinung, dass die Verkehrssicherheit an erster Stelle steht. Die Mofaausbildung, die bereits in vielen Bundesländern fester und wichtiger Bestandteil der schulischen Verkehrserziehung ist, ist aus Sicht der Verkehrssicherheit ausreichend und zielführend. Sie führt die Jugendlichen behutsam vom Fahrrad an den motorisierten Straßenverkehr. Eine Fahrschulausbildung inklusive praktischer Ausbildung und Prüfung, die mit Herabsetzung des Mindestalters für den Erwerb der Klasse AM die Folge ist, wirkt sich tatsächlich nicht unfallreduzierend aus. Die BASt-Studie stellt fest, dass es keinen Nachweis dafür gibt, dass die Ausbildung die Unfallzahl signifikant senken kann. Jugendliche sind heutzutage mit Sicherheit reifer als vor 20 Jahren. Dennoch müssen sie im Umgang mit dem motorisierten Straßenverkehr erst ihre Erfahrungen sammeln und behutsam an die unterschiedlichen Geschwindigkeiten herangeführt werden. 20 km/h machen da einen großen Unterschied. Bildlich ausgedrückt: Erscheint ein Hindernis 10 Meter vor einem mit 25 km/h fahrenden Mofafahrer, so prallt er trotzt eingeleiteter Vollbremsung mit einer Energie auf das Hindernis, die dem Sturz von einem Stuhl entspricht. Ein Mopedfahrender mit 45 km/h würde in vergleichbarer Situation aus 8 Metern Höhe stürzen. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat, der ADAC, die Deutsche Verkehrswacht, der ACE, der AvD, der ACRD und viele andere haben mehrfach größte Bedenken gegen dieses Gesetzesvorhaben geäußert. Aber die Regierungskoalition zeigt sich in alle Debatten bisher völlig unbeeindruckt. Wir appellieren an die Regierungskoalition, die Risiken für die Herabsetzung des Mindestalters nicht hinzunehmen. Stimmen Sie für unseren Änderungsantrag und streichen Sie Punkt 4 Ihres Antrags zur "Erleichterung des Erwerbs von Zweiradführerscheinen", damit Jugendliche ab 16 Jahren eine Fahrerlaubnis der Klasse AM erwerben dürfen. Kommt es tatsächlich zu einem Gesetzesänderungsverfahren, werden wir dafür werben, eine Sachverständigenanhörung zu diesem Thema im Verkehrsausschuss zu beantragen. Oliver Luksic (FDP): Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu dem von uns eingebrachten Antrag. Wir wollen den Erwerb von Zweiradführerscheinen maßgeblich entbürokratisieren und damit erleichtern. Insbesondere langjährigen, erfahrenen Fahrern soll der Erwerb eines Zweiradführerscheins bzw. der Aufstieg innerhalb der einzelnen Motorradklassen erleichtert werden. Es ist nicht sachgerecht, sie in dieser Hinsicht mit Fahranfängern gleichzustellen. Wir sind überzeugt, dass wir durch unseren Antrag zwei wichtige Ziele der Verkehrspolitik miteinander verbinden können: die Stärkung der Mobilität junger Verkehrsteilnehmer vor allem in ländlichen Gebieten sowie die Erhöhung der Verkehrssicherheit. Dass sich ein erleichterter Erwerb von Zweiradführerscheinen und das uns am Herzen liegende Thema der Verkehrssicherheit nicht gegenseitig ausschließen, haben wir mit dem vorliegenden Antrag deutlich gemacht. Im Gegenteil: Sie bedingen einander. Für erfahrene Fahrer etwa, also beim Aufstieg zwischen den neuen Klassen sowie beim Erwerb des Führerscheins der neuen Klasse A1 durch Inhaber des alten Führerscheins der Klasse 3, sieht der Antrag in Zukunft eine praktische Prüfung vor, die zum Ziel hat, die vermutete Praxiserfahrung zu belegen. Bei der Führerscheinklasse AM, der neuen Mopedklasse, haben wir die Möglichkeit genutzt und sind vom Mindestalter, das die Richtlinie vorschlägt, abgewichen. Der Erwerb wird somit Jugendlichen schon ab 15 Jahren offenstehen. Damit befinden wir uns europaweit in guter Gesellschaft. Österreich, Frankreich, Spanien, Slowenien, Ungarn, Estland, Schweden und Lettland: Sie alle haben sich in diesem Sinne entschieden. Die Erfahrungsberichte aus einem Großteil dieser Länder fallen positiv aus. Besonders freuen wir uns natürlich auch, dass wir mit unserem Vorschlag entsprechende Forderungen auch aus manchen SPD-geführten Bundesländern wie etwa Bremen und Mecklenburg-Vorpommern aufnehmen und umsetzen konnten. Vielleicht wird sich der ein oder andere Kollege daran erinnern, dass auch in der ehemaligen DDR das Fahren von Kleinkrafträdern, die sogar bis zu 60 Kilometer pro Stunde schnell fahren konnten, schon mit 15 Jahren erlaubt war. Warum soll dies jetzt nicht auch in der Bundesrepublik möglich sein? Es handelt sich also nicht - wie von manchem kassandrahaft beschworen - um den Untergang der Straßenverkehrssicherheit. Wir schicken keine jungen Menschen ins Verderben; wir machen sie mobiler und erhöhen damit nicht zuletzt ihre Chancen auf dem Bildungs- und Ausbildungssektor. Gerade die Kollegen, die aus Flächenländern kommen, wissen doch selbst am besten um die dort teilweise schlechte Lage des öffentlichen Nahverkehrs, insbesondere was für teilweise massive Erschwernisse sie für die jungen Menschen vor Ort mit sich bringt. Gerade hier wird den Jugendlichen mittels des neuen AM-Führerscheins die Möglichkeit gegeben, auch mittellange Strecken alleine zu bewältigen, was momentan mit Mofas, die nur 25 Kilometer pro Stunde fahren können, nur schwerlich möglich ist. Im Stadtverkehr wiederum stellt das Fahren mit einem Mofa oft eine Behinderung des Verkehrsflusses dar. Es besteht somit auf beiden Seiten - sowohl bei den Jugendlichen als auch den anderen Verkehrsteilnehmern - das Bedürfnis nach der von uns vorgeschlagenen Neuregelung des AM-Führerscheins. Gleichzeitig erhöhen wir mit den vorgeschlagenen Änderungen sogar noch die Verkehrssicherheit sowohl für die jungen Menschen als auch für die anderen Verkehrsteilnehmer. Wir verringern mit dem Führerschein AM 15 insbesondere das Anfängerrisiko. Nun werden endlich solide ausgebildete Fahrer auf die Straße gelassen. Insbesondere die praktische Ausbildung wird gestärkt. Im Gegensatz zum Mofaführerschein, der nichts anderes als ein besserer Fahrradführerschein ist, können 15-Jährige in Zukunft mit einer soliden Ausbildung und Prüfung flüssiger am Straßenverkehr teilnehmen, wenn die Eltern dies wollen. Deren Entscheidung darüber, ob ihr Kind reif genug ist, um am Straßenverkehr teilzunehmen, soll ihnen vom Staat nicht abgenommen werden. Der Staat hat jedoch die Aufgabe, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, etwa durch die Regelung einer entsprechenden qualitativen Fahrausbildung, was wir auch tun. Ein gut ausgebildeter 15-Jähriger auf einem Zweirad der Klasse AM stellt etwa im Vergleich zu einem 15-Jährigen auf einem Mofa einen Gewinn für die Verkehrssicherheit dar. Denn damit können wir gezielt die Ursachen bekämpfen, die gerade bei Fahranfängern auf dem Zweirad in der Vergangenheit immer wieder zu Unfällen geführt haben, wie etwa unangemessene Geschwindigkeit oder Fehler bei der Vorfahrt und beim Wenden und Abbiegen. Dieser positive Effekt auf die allgemeine Verkehrssicherheit wird sich meiner Überzeugung nach auch mittel- und langfristig auswirken. Wer bereits mit 15 Jahren gut ausgebildet beginnt, am Straßenverkehr teilzunehmen, der wird aufgrund seiner Erfahrung auch in seinem späteren Leben beim Erwerb der Fahrerlaubnisse anderer Klassen von dieser Erfahrung und Ausbildung profitieren und somit maßgeblich zur Verkehrssicherheit beitragen. Ich bitte Sie daher im Interesse der jungen Menschen und des Ziels einer Erhöhung der Verkehrssicherheit um Ihre Zustimmung. Herbert Behrens (DIE LINKE): Die dritte EU-Führerscheinrichtlinie, die 2007 in Kraft getreten ist, muss bis zum 19. Januar 2013 in nationales Recht umgesetzt werden. Auf diese Umsetzung zielt der Antrag der CDU/CSU-FDP-Koalition. Er enthält vier Forderungen. Die ersten drei beziehen sich auf die Vereinfachung des Erwerbs des großen Motorradführerscheins und Regelungen zur Übertragung alter Führerscheine in die neue Zulassungspraxis. Diese ersten drei Punkte, die den Bürokratieabbau fördern und zudem die Verfahren für die Bürger vereinfachen, begrüßen wir. Den Punkt vier aber lehnen wir ab. Es handelt sich um die Altersabsenkung für Führerscheine für Motorroller mit kleinen Kennzeichen. Bereits 15-Jährigen soll es erlaubt sein, mit kleinen Maschinen am motorisierten Straßenverkehr teilzunehmen, auf Landstraßen genauso wie auf unübersichtlichen Kreuzungen. Die Linke steht für eine soziale Politik für die Menschen, und das schließt auch Verkehrssicherheit mit ein. Wir meinen, Gesetzesänderungen im Straßenverkehr müssen gut überlegt sein; denn hier geht es um Menschenleben, um die Leben jungendlicher 15-Jähriger, aber auch um die Leben anderer Verkehrsteilnehmer. In den letzten Jahren ist die Zahl der Verkehrstoten auf unseren Straßen glücklicherweise kontinuierlich zurückgegangen. Dieser positive Trend, der seit 2000 deutlich in den Statistiken zu lesen ist, sollte unbedingt fortgeführt werden. Heranwachsende aber sind bis zum Alter von 19 Jahren leider besonders stark betroffen. Insbesondere motorisierte Zweiradfahrer sind aufgrund der fehlenden Knautschzonen und der speziellen Fahrdynamik gefährdeter als andere Verkehrsteilnehmer. Natürlich sind viele Geschichten über die Gefahren des Motorradfahrers nur Geschichten. So wird die Motorradsaison im Mai jährlich mit Schlagzeilen über erschütternde Unfälle in den Regionalblättern eingeläutet. Aber machen wir uns doch nichts vor: Es gibt Probleme! Tatsächlich verunglückten 2008 insgesamt 30 640 Motorradfahrer; es gab 110 Tote, und 22 209 verunglückte Motorrollerfahrer kamen noch dazu. 2008 starb alle zehn Stunden ein motorisierter Jugendlicher auf deutschen Straßen. Das ist schon jetzt zu viel! Von den 15- bis 17-jährigen unter den Verkehrstoten starben 24 Prozent, als sie mit dem Motorrad unterwegs waren, und 9 Prozent, als sie Roller fuhren. Das darf doch nicht so bleiben! Nun hat die FDP-CDU/CSU-Koalition auch noch die Idee, das Führerscheinalter noch weiter herabzusetzen. Wir brauchen gründliche Schulungen für den Eintritt in den motorisierten Straßenverkehr. Ich erinnere daran, dass in Österreich 1997 die Altersgrenze auf 15 Jahre herabgesetzt wurde, genauso wie die Koalition das nun vorhat. Die Folge waren 14-mal so viele tote 15-Jährige und noch mehr Verletzte! Unsere Jugendlichen werden nicht besser oder schlechter fahren als die österreichischen Jugendlichen. Wir können also schon voraussehen, was passieren wird: Auch hier werden sich etliche Jugendliche totfahren. Lernen wir doch von unseren Nachbarn! Denken Sie noch einmal nach: Wollen Sie wirklich all diese Toten auf dem Gewissen haben? Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerne würden wir dem Antrag der Koalition zustimmen, da er bis auf ein wichtiges Detail die 3. EU-Führerscheinrichtlinie angemessen in nationales Recht umsetzt. Auch wir sind der Ansicht, dass der Erwerb von Zweiradführerscheinen für Inhaber eines Führerscheins einer anderen Fahrzeugklasse, die bereits über mehrjährige Fahrpraxis und gute Kenntnisse der Verkehrsregeln verfügen, erleichtert werden kann. Es ist nicht angemessen, dass diese Gruppe mit Fahranfängern gleichgestellt wird. Leider haben Sie diesem "netten" Antrag ein pseudonettes Geschenk beigepackt. Sie wollen jungen Leuten bereits ab 15 Jahren den Moped-Führerschein geben. Nach dem Motto "Tun wir der Jugend doch was Gutes". Aber das ist für die Fünfzehnjährigen und ihre Eltern ein gefährliches Geschenk. Sie machen es, obwohl alle Sicherheitsexperten davon abgeraten haben. Es ist für uns absolut unverständlich, warum Sie die nachdrücklichen Appelle von wichtigen Verkehrssicherheitsexperten und sogar die Ergebnisse der Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen ignorieren. Und das, obwohl das Bundesverkehrsministerium diese Studie doch eigens in Auftrag gegeben hatte und die Ergebnisse keine Zweifel daran lassen, dass es hochgefährlich, ja lebensgefährlich ist, Jugendlichen bereits mit 15 Jahren eine Lizenz zum Schnellfahren zu erteilen. Sie sind uns die Erklärung noch schuldig, warum Sie bei den motorisierten Zweirädern noch jüngere Menschen unbegleitet mit höheren Geschwindigkeiten losfahren lassen wollen, während wir im Pkw-Bereich beim Begleiteten Fahren erfolgreich einer ganz anderen Philosophie folgen. Und dies gerade, um der Problematik besser gerecht zu werden, dass sich die jungendlichen Fahranfänger und Fahranfängerinnen häufig selbst überschätzen und dazu neigen, in komplexen Situationen unangemessen zu reagieren, weil Ihnen die nötige Erfahrung fehlt. Sie sagen, sie wollen die Mobilität der jungen Leute befördern, damit sie beispielsweise ihren Ausbildungsplatz im ländlichen Raum besser erreichen können. Dafür gibt es spezielle Angebote, wie den von den Bundesländern bestellten und finanzierten Schulbusverkehr, den öffentlichen Nahverkehr, ein überregionales Radwegenetz und das Mofa. Wenn Sie diese Angebote für unattraktiv und nicht ausreichend halten, dann lassen Sie uns hier ansetzen und gemeinsam bessere Konzepte dafür finden. Und woher kommt eigentlich Ihr plötzlicher Gesinnungswechsel, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition? Noch im März dieses Jahres auf dem 4. Sachverständigentag des TÜV zum Thema Verkehrssicherheit ging jedenfalls keiner der geladenen Experten aus der Verkehrssicherheitsarbeit, der Politik und der Wissenschaft von einer derartigen Regelung für Deutschland aus. Es ist schon pikant, dass Sie die Forderung für den Moped-Führerschein ab 15 erst aufgestellt haben, nachdem die Zweiradindustrie im Frühjahr diesen Jahres massiven Druck ausgeübt hat. Die sinkenden Verkaufszahlen können doch kein Argument für einen quasi bundesweiten Feldversuch an jungen Leuten sein, wie gestern von Vertretern der Regierungskoalition im Verkehrsausschuss ernsthaft vorgeschlagen wurde. Wollen Sie wirklich erst ausprobieren, ob die Unfallzahlen bei den fünfzehnjährigen Mopedfahrern in Deutschland ebenso drastisch wie in unserem Nachbarland Österreich ansteigen? Es ist unverantwortlich und zynisch, jungen Leuten schon ab 15 Jahre die Lizenz zum Rasen zu erteilen, wenn man weiß, dass diese Altersgruppe schon mit dem Fahrrad und dem Mofa zu schnell fährt, wenn man weiß, dass diese Altersgruppe in der Unfallstatistik eine Hochrisikogruppe ist, weil man in diesem Alter offenbar die Geschwindigkeit und die Risiken unterschätzt und das eigene Vermögen überschätzt. Und deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab, in dem Sie die Regierung auffordern, eine entsprechende gesetzliche Regelung zu machen. In diesem Fall möchte man hoffen, dass die Regierung diesen Antrag ignoriert und auf die Sicherheitsexperten hört. Wir werden jedenfalls alles daran setzen, dass dieser Koalitionsvorstoß nicht Gesetz wird. Wenn Sie nach der Sommerpause einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, werden wir Ihnen eine Expertenanhörung dazu nicht ersparen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2456, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1574 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Klaus Barthel, Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Arbeitsbedingungen im Briefmarkt - Sozialklausel nach § 6 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 Postgesetz und Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen auf Grund des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes - Drucksache 17/1615 - Auch hier wurde bereits in der Tagesordnung ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll gegeben werden, und zwar folgender Kolleginnen und Kollegen: Andreas Lämmel, Dr. Georg Nüßlein, Klaus Barthel, Dr. Heinrich Kolb, Sahra Wagenknecht und Beate Müller-Gemmeke. Andreas Lämmel (CDU/CSU): Zur Debatte steht eine Große Anfrage der SPD-Fraktion zu den Arbeitsbedingungen im Briefmarkt. Es verwundert mich doch, dass wir diese Debatte führen, bevor die Antworten der Bundesregierung vorliegen. Nun richten Sie Ihre Fragen ja an die Bundesregierung und nicht an mich oder die Unionsfraktion. Daher ist es nicht meine Aufgabe, Ihre Fragen zu beantworten; das wird die Bundesregierung schon ordnungsgemäß erledigen. Die Thematik der Arbeitsbedingungen im Postmarkt muss im Zusammenhang mit der Verfassung der gesamten Branche und dem ordnungspolitischen Rahmen, den wir hier als Gesetzgeber vorgeben, diskutiert werden. Das Ziel der schrittweisen Liberalisierung des Postwesens in Deutschland war die Gewährleistung eines Wettbewerbes auf dem Briefmarkt. Wettbewerb zwingt alle Anbieter zur Kundenorientierung, zu besseren Produkten und Dienstleistungen, zu effizienteren Strukturen und vielen Innovationen. Schließlich ist Wettbewerb der beste Verbraucherschutz. Verbraucher sind dann in der stärksten Position, wenn sie zwischen verschiedenen Anbietern wählen können. Wir wollen diesen Wettbewerb auf dem Briefmarkt auch weiterhin. Aber dieser Wettbewerb muss fair ablaufen. Hier ist die Deutsche Post als ehemaliger Monopolist natürlich im Vorteil. Die Post hat bereits ein Vertriebsnetz, entsprechende Infrastrukturen und Geschäftsbeziehungen. Dementsprechend hat sie auch nach zehn Jahren Liberalisierung noch einen Marktanteil von 90 Prozent. Hier sind neue Wettbewerber klar im Nachteil. Die Wettbewerbsbedingungen sind also verzerrt und eben nicht gleich. Neue Wettbewerber müssen sich gegen ein marktbeherrschendes Unternehmen durchsetzen. Der Wettbewerb am Markt darf dabei natürlich nicht ausschließlich über die Löhne der Arbeitnehmer geführt werden. Für Erfolg am Markt sollten das Vertriebskonzept, effiziente Kostenstrukturen der Unternehmen und die angebotenen Leistungen sowie die Zuverlässigkeit des Anbieters entscheidend sein. Aber die Frage der Entlohnung in der Branche darf natürlich nicht ausgelassen werden. Es war absolut wettbewerbsfeindlich, als die Deutsche Post AG versuchte, allein den Maßstab für die Entlohnung der ganzen Branche zu setzen. Denn dies kommt einem faktischen Ausschluss aller anderen Wettbewerber gleich. Es ist daher zu begrüßen, dass die Postmindestlohnverordnung vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben wurde. Denn das gewählte Verfahren war nicht sauber. Der Haustarifvertrag des marktbeherrschenden Unternehmens wird für die gesamte Branche als allgemeingültig erklärt. Dies war ein wettbewerbspolitischer Skandal, der nun glücklicherweise korrigiert wurde. Dass der eigene Haustarifvertrag möglicherweise auch für die Deutsche Post AG eine zu hohe Bezahlung beinhaltet, zeigt sich doch daran, dass die Deutsche Post nun selbst mit First Mail eine Tochterfirma gründet, die geringere Löhne zahlt. Eine Angelegenheit betone ich unbedingt: Ich habe nichts gegen Tarifverträge. Im Gegenteil: Ich begrüße es außerordentlich, wenn wir einen Tarifvertrag für die gesamte Branche bekommen; dieser kann auch gern Lohnuntergrenzen definieren. Hier sind aber die Tarifpartner gefordert, eine Lösung zu finden. Insbesondere auf Arbeitgeberseite muss dann die gesamte Branche - nicht ein einzelnes großes Unternehmen - vertreten sein. Ein Tarifvertrag für die gesamte Branche erlaubt dann auch die angemessene Feststellung der Sittenwidrigkeit von Löhnen - angemessen deshalb, da sich der zugrundeliegende Durchschnittslohn nicht aus alten Monopolstrukturen ableitet. Dann wird es auch einfacher, schwarze Schafe, die Lohndumping betreiben, zu identifizieren und zu sanktionieren. Dann ist ein fairer Wettbewerb möglich, in dem die Leistung entscheidet und nicht der geringste Stundensatz. Schließlich noch ein paar Worte zur Aufgabe der Bundesnetzagentur. Die Bundesnetzagentur ist eine Wettbewerbsbehörde zur Regulierung der entsprechenden Märkte. Im Zusammenhang mit dem Postgesetz, welches ein Wettbewerbs- und kein Sozialgesetz ist, überprüft die Bundesnetzagentur bei der Lizenzerteilung primär die Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Fachkunde der Anbieter. Es ist der Arbeitsfähigkeit der Agentur sicher nicht dienlich, ihr auch noch die Aufgaben der flächendeckenden und ständigen Lohnprüfung zu übertragen. Dafür gibt es bereits Behörden wie den Zoll oder die Bundesagentur für Arbeit. Die Bundesnetz-agentur ist weder Tarifpartner noch Lohnfindungsstelle. Ich fasse zusammen: Wettbewerb ja, Lohndumping nein, Lohnfindung innerhalb der Branche als Lösungsweg. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): In der großen Anfrage der SPD-Fraktion zu den Arbeitsbedingungen im Briefmarkt beklagt sich die SPD über die bisherige Entwicklung des Wettbewerbs und der sozialen Standards im Briefsektor. Ich zitiere: "Ein Teilarbeitsmarkt, der bislang durch existenzsichernde Einkommensbedingungen gekennzeichnet war, droht insgesamt zu einem Niedriglohnsektor zu werden, bei dem prekäre Beschäftigungsbedingungen dominieren ...". Ich halte es hier mit Walther Rathenau und möchte antworten: "Die Klage über die Schärfe des Wettbewerbs ist in Wirklichkeit meist nur eine Klage über den Mangel an Einfällen." Die Klagen haben in letzter Zeit allerdings merklich abgenommen. Es scheint die Konkurrenten der Deutschen Post AG hätten einen Weg gefunden, im Wettbewerb mit der Deutschen Post AG zu bestehen. Zu klären ist, ob dies auf Kosten der bei ihnen beschäftigten Menschen geht. Uns ging es bei der Liberalisierung des Postmarkts um den Wettbewerb, um mehr Qualität, um Leistungssteigerung, um günstigere Preise und um die Nähe zum Kunden. Mir liegt als Abgeordneter eines ländlich geprägten Wahlkreises ganz besonders die flächendeckende Versorgung mit Briefdienstleistungen am Herzen. Wir wollen einen Wettbewerb, der den Kunden - also unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern - etwas bringt. Die Maxime bei der Verabschiedung des Postgesetzes war: Wettbewerb im Bereich der Briefbeförderung darf nicht zulasten der Beschäftigten oder des ländlichen Raumes erfolgen. Keinesfalls wollen wir einen Wettbewerb um die schlechtesten Arbeitsbedingungen provozieren. Wettbewerb und die Berücksichtigung sozialer Belange dürfen sich in einer sozialen Marktwirtschaft grundsätzlich nicht widersprechen. Die Situation stellt sich heute - im dritten Jahr nach der Verabschiedung des Postgesetzes - wie folgt dar: Der Postmarkt ist - insbesondere beim Briefgeschäft mit Privatkunden - ein schrumpfender Markt. Immer mehr Menschen schreiben E-Mails statt Briefe. Seitdem das letzte Teilmonopol im Briefmarkt gefallen ist, wetteifern somit immer mehr Anbieter um eine stetig schrumpfende Nachfrage. Für die überwiegende Anzahl der Beschäftigten in der Briefbeförderung bei der Deutschen Post gelten auch weiterhin Arbeitsbedingungen, die sich deutlich von denen der Konkurrenzunternehmen unterscheiden. Die Deutsche Post AG hat als ehemaliges staatliches Monopol noch jede Menge Beschäftigte mit Arbeitsverträgen, die für einen Arbeitgeber unter den heutigen Bedingungen kaum zu bezahlen sind. Die Wettbewerber wie TNT und PIN tendieren auch weiterhin dazu, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Teilweise liegt der Anteil an Beschäftigten, die auf ergänzende Sozialtransfers angewiesen sind, in diesen Unternehmen bei über 60 Prozent. Laut eigener Auskunft sind die Unternehmen nicht in der Lage, höhere Löhne zu zahlen. Ein Anlauf, dieses Ungleichgewicht in den Griff zu bekommen, ist jetzt gescheitert: Nach zähen Verhandlungen wurde die Postbranche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen. Ein Postmindestlohn trat im Januar 2008 in Kraft. Der Arbeitgeberverband Postdienste und die Gewerkschaft Verdi hatten ihn ausgehandelt. Der erzielte Kompromiss liegt zwischen 8,00 Euro und 9,80 Euro pro Stunde für Briefzusteller. Vielfach wurde der Post AG vorgeworfen, mithilfe des ausgehandelten Mindestlohns einen Verdrängungswettbewerb gegen mittelständische und kleine Unternehmen zu führen. Von der Hand weisen kann man das nicht, weil es unter solchen Umständen schwer sein dürfte, in einem lohnintensiven Bereich Strukturen aufzubauen. Das Bundesministerium für Arbeit hatte diesen Mindestlohn - damals noch unter SPD-Führung - mit einer Verordnung schlussendlich für die gesamte Branche für allgemeinverbindlich erklärt. Die Konkurrenten der Deutschen Post AG klagten gegen diesen Tarifvertrag. Die klagenden Arbeitgeber erbringen mit den von ihnen beschäftigten Zustellern Briefdienstleistungen. Sie sind Mitglied in einem im September 2007 gegründeten Arbeitgeberverband. Dieser und der klagende Arbeitgeberverband haben jeweils im Dezember 2007 mit der beigeladenen Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste einen Tarifvertrag für das Gebiet der Beklagten abgeschlossen. Der darin vereinbarte Bruttomindestlohn liegt unter den in der streitigen Verordnung bestimmten Beträgen. Ende Januar dieses Jahres ist nun der vereinbarte Mindestlohn in der Postbranche vom Bundesverwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt worden. Allerdings begründet das Bundesverwaltungsgericht diese Entscheidung lediglich mit Verfahrensfehlern. Den Konkurrenten der Deutschen Post AG sei nicht ausreichend Gelegenheit zu einer schriftlichen Stellungnahme gegeben worden. Somit sei die Verordnung für sie nicht rechtswirksam. Sei's drum: Die Verordnung wäre sowieso am 30. April 2010 außer Kraft getreten. Die Verhandlungen gehen also in eine zweite Runde. Gelernt haben wir eines: Wenn wir das Angebot der Briefdienstleistungen in Deutschland verbessern wollen, brauchen wir profitablen Wettbewerb. Wir brauchen leistungsfähige Wettbewerber zur Deutschen Post, diese Wettbewerber brauchen ihrerseits qualifizierte und motivierte Mitarbeiter. Solche Mitarbeiter lassen sich aber nicht dauerhaft mit niedrigsten Löhnen abfinden. Wir brauchen Mindestbedingungen für die rund 220 000 Beschäftigten der Briefdienste, die aber keine Wettbewerbshürde aufbauen dürfen. Das ist so etwas wie die Quadratur des Kreises. Auch brauchen wir Ideen für die weitere Aufrechterhaltung eines flächendeckenden Universaldienstes. Wenn das Aufkommen für Postdienstleister auf dem Land zu gering ist, dann wird sich unter Umständen ein Postanbieter aus der Fläche zurückziehen. Das heißt aber nicht, dass wir uns als Politik künftig in die Lohnfindung einmischen wollen. Tarifautonomie ist auch weiterhin ein hohes grundrechtlich garantiertes Gut. Ich setze darauf, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch im Bereich der Postdienstleistungen ohne staatliches Diktat in der Lage sind, Tarifverträge für ihre Branche auszuhandeln. Hier ist der Staat gefordert, sich zurückzunehmen. Die Regierung und das Parlament, als übergeordnete politische Ordnungseinheit, haben nicht die Aufgabe, konkrete Lohn- und Arbeitsbedingungen festzusetzen. Dies bleibt den mit der Materie vertrauten Tarifvertragsparteien vorbehalten. Ich habe die Erwartung, dass sich alle beteiligten Tarifparteien in naher Zukunft auf eine Folgeregelung einigen. Wir brauchen einen zukunftsfähigen, leistungsstarken und vor allem flächendeckenden Universaldienst, der außerdem zu für die Beschäftigten der Branche sozial abgesicherten Bedingungen erbracht werden kann. Ziel muss es sein, dafür zu sorgen, dass sich die Betroffenen in der üblichen Weise miteinander verständigen, dass sich die Tarifparteien in naher Zukunft zu einem ordentlichen Ergebnis durchringen, dass dieses Ergebnis niemandem schadet und dass die Briefdienstleistungen im Ergebnis besser und nicht schlechter werden. Notfalls müssen wir mehr Druck über die Lizenzvergabe ausüben, wenn soziale Mindeststandards von einzelnen Unternehmen nicht erfüllt werden. Klaus Barthel (SPD): Die Liberalisierung des deutschen und europäischen Postmarktes erfüllt bisher keine der in sie gesetzten Hoffnungen, aber fast alle Befürchtungen. Seit der völligen Marktöffnung gingen die Umsätze, die Zahl der Wettbewerber und der Arbeitsplätze deutlich zurück. Die Wettbewerber der Deutschen Post und die Liberalisierungsanhänger behaupten nun, dass nicht ihre Fehleinschätzung eines schrumpfenden Marktes und ihre Liberalisierungsphilosophie, sondern der gesetzliche branchenspezifische Mindestlohn für diese Negativentwicklung verantwortlich ist. Daraus hatte die FDP schon in der letzten Legislaturperiode die Forderung abgeleitet, sämtliche sozialen Standards und die Garantie der branchenüblichen Arbeitsbedingungen aus dem Postgesetz zu streichen. Wir sind gespannt, ob sich diese Forderungen bei der im Bundeswirtschaftsministerium noch für dieses Jahr angekündigten Änderung des Postgesetzes in der Koalition durchsetzen lassen. Die Fakten sprechen eine klare Sprache: Die Löhne bei den Wettbewerbern der Deutschen Post AG liegen nach der bisher einzigen veröffentlichten Vollerhebung der Arbeitsbedingungen durch die Bundesnetzagentur aus dem Jahre 2007 um mehr als ein Drittel unter denen des Exmonopolisten. Wettbewerber, CDU/CSU und FDP wurden nicht müde, dies als notwendige Markteintrittschance zu verteidigen, da es keine anderen Möglichkeiten gebe, in einen wirksamen Wettbewerb zur DPAG überhaupt einzutreten. Die SPD hat in der Großen Koalition durchgesetzt, durch einen branchenspezifischen Mindestlohn von 8,40 Euro in den alten und 8 Euro in den neuen Bundesländern sowie von 9,80 Euro bzw. 9 Euro für Briefzusteller dieses Lohndumping deutlich einzuschränken, nachdem die Bundesnetzagentur fast 10 Jahre lang darin versagt hatte, die verbindlichen Lizenzauflagen des Postgesetzes, die branchenüblichen Arbeitsbedingungen nicht wesentlich zu unterschreiten, auch wirksam durchzusetzen. Mit wenigen Ausnahmen wurde der Mindestlohn allerdings nie befolgt, weil er von Anfang an vor den Verwaltungsgerichten angefochten wurde und deshalb Sanktionen nicht ergriffen wurden. Mit unterschiedlichen, aber sehr kreativen Begründungen hoben die Verwaltungsgerichte in drei Instanzen den Mindestlohn im Postsektor auf, in letzter Instanz das Bundesverwaltungsgericht wegen angeblicher Formfehler bei der seinerzeitigen Verordnung durch das Bundesarbeitsministerium, weil das Beteiligungsverfahren nicht eingehalten worden sei. Geklagt hatten Arbeitgeber des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste e. V., AGV-NBZ, und des Bundesverbandes der Kurier-Express-Post-Dienste, BdKEP, die jeweils mit der Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste, GNBZ, einen Tarifvertrag über einen wesentlich niedrigeren Mindestlohn vereinbart hatten. Während das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Januar 2010 gegen den Post-Mindestlohn allergrößte Aufmerksamkeit fand, blieb eine Mitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 15. April 2010 bezeichnenderweise weitgehend unbeachtet, die rechtskräftig feststellt, "dass die GNBZ keine tariffähige Gewerkschaft ist" und bei Abschluss ihrer sogenannten Tarifverträge mit dem AGV-NBZ und dem BdKEP im Dezember 2007 "auch keine tariffähige Gewerkschaft war." In der Folge des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts aber senkte zum Beispiel die Berliner PIN AG als eines der wenigen Unternehmen, die den Mindestlohn zwischenzeitlich angewandt hatten, ihre Stundenlöhne von 9,80 Euro um rund 1,50 Euro wieder ab. Wer von so wenig Geld leben muss, weiß, was eine Lohnkürzung um rund 15 Prozent bedeutet. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass der Mindestlohn zwar vorübergehend eine leichte Besserung der Einkommenssituation bei den alternativen Briefzustelldiensten gebracht hatte. Die Öffentlichkeit soll aber nichts über die sich jetzt noch stärker ausbreitenden skandalösen Zustände erfahren. Die Bundesregierung braucht vier Monate, um unsere Große Anfrage zu beantworten. Und das, obwohl ihr längst die Ergebnisse einer zweiten Vollerhebung der Bundesnetzagentur über die Arbeitsbedingungen vorliegen. Über die Gründe dieses Verhaltens, auch des ansonsten sehr publicityträchtigen Vorgehens der Bundesnetzagentur, kann man nur spekulieren. Aus vielen Beschwerden Betroffener wissen wir, was gespielt wird: Da werden mit Stücklohnmodellen Stundenlöhne von unter 2 Euro - im Westen - nur dürftig kaschiert. Da werden mit massenhaftem Einsatz von Subunternehmern jegliche überprüfbaren Regeln ausgehebelt. Da werden Minijobs ausgeweitet. Da werden massenhaft Aufstocker mit solcherart Beschäftigungsverhältnissen anschließend mit Steuergeldern subventioniert. Auch die Deutsche Post AG arbeitet immer mehr mit Subunternehmen, baut eine eigene Billigtochter ("First Mail") auf und droht der Gewerkschaft Verdi mit flächendeckendem Outsourcing. Pseudogewerkschaften wie die GNBZ, der rechtswirksam der Charakter als Gewerkschaft abgesprochen wurde, und Arbeitgeberverbände, die offenbar für niemanden sprechen, bringen jeden Versuch, zu einem Flächentarifvertrag zu kommen, zum Scheitern. Deshalb würde uns interessieren, ob die Bundesregierung bereit ist, ihre durchaus gegebenen Möglichkeiten zu nutzen, den Mindestlohn neu zu verordnen. Mindestens aber sollte sie für eine rechtskonforme Anwendung der Sozialklausel aus dem Postgesetz durch die Bundesnetzagentur sorgen, die ungeachtet der Mindestlohndebatte rechtswirksam ist. Der Problemdruck nimmt zu: Immer mehr Unternehmen und öffentliche Auftraggeber versuchen, beim Postversand Kosten zu sparen. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ist derzeit umstritten, ob dank des Fehlens einer praktisch angewandten Lohnnorm - sei es nach Postgesetz; diese besteht nach Recht und Gesetz, wird aber nicht durchgesetzt, oder nach AEntG, die die Bundesregierung noch durchsetzen - es zulässig oder gar erforderlich ist, bei der öffentlichen Vergabe von postalischen Dienstleistungen die Einhaltung von Lohnstandards zu verlangen oder andere soziale Belange zu berücksichtigen. In der Praxis führt das dazu, dass Kommunen oder die Bundesagentur für Arbeit Aufträge für Postdienstleistungen an solche "wirtschaftlich arbeitenden" - sprich: billigen - Postdienstleister vergeben, die Lohndumping am konsequentesten durchsetzen; anschließend kommen dann die Beschäftigten dieser Billiganbieter zum Jobcenter und beantragen die Aufstockung ihres Dumpinglohnes, weil sie von ihrer Arbeit nicht leben können. Diese Fälle zeigen auf, wie absurd die Auswirkungen der Untätigkeit der Bundesregierung und oberster Bundesbehörden sind. Es handelt sich um nichts anderes als um die Subvention von Ausbeutung zulasten der Steuerzahler und letztlich aller Beschäftigten im Postsektor. Wir sind auch sehr gespannt darauf, wie die Bundesregierung sicherstellen will, dass das Postgesetz auch für Subunternehmen der Branche, die sogenannten Erfüllungsgehilfen, gilt. Oder sollen diese vor allem Erfüllungsgehilfen für Lohndrückerei im Namen des Wettbewerbs sein, weil sie außerhalb jeglicher Kontrolle tätig sind? Zwar ist mittlerweile rechtlich eindeutig geklärt - Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Oktober 2009 zur Auskunftsanordnung der Bundesnetzagentur -, dass auch die Erfüllungsgehilfen an die Lizenzauflagen des Postgesetzes gebunden sind, also beispielsweise an das Postgeheimnis und an die branchenüblichen Arbeitsbedingungen. Nach unseren Erkenntnissen geht aber bisher niemand - auch nicht die eindeutig zuständige Bundesnetzagentur - von Amts wegen der Frage nach, ob und inwieweit die Subunternehmer im Postsektor diese Auflagen einhalten. Und dies, obwohl die weitaus überwiegende Mehrheit aller Lizenznehmer mit Erfüllungsgehilfen arbeitet - viele von ihnen sogar ausschließlich. Fragen über Fragen also, hinter denen sich eine bittere Realität verbirgt. Wer die Augen davor verschließt, trägt die Verantwortung. Deshalb unsere dringende Aufforderung an die Bundesregierung: Antworten Sie schnell, und handeln Sie unverzüglich! Im September sprechen wir uns wieder. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Gegenstand der heutigen Beratung ist die Große Anfrage der Fraktion der SPD zur sogenannten Sozialklausel im Postgesetz, die die Erteilung einer Lizenz an die vom Lizenznehmer gewährten Arbeitsbedingungen knüpft. Mehr als zwei Jahre nach dem Wegfall der Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG zur Beförderung bestimmter Briefsendungen müssen wir feststellen, dass auf dem deutschen Postmarkt kein echter Wettbewerb herrscht. Der Markt ist im Postbereich nach wie vor stark reguliert. Das gilt insbesondere hinsichtlich der angesprochenen Lizenzpflicht. Es verwundert deshalb nicht, dass der Marktanteil der Wettbewerber innerhalb des lizenzpflichtigen Bereichs zurückgegangen ist und sich die Marktdominanz der Deutschen Post AG verstärkt hat. Man muss sich dann entscheiden: Will man das Monopol der Deutschen Post stärken oder will man Wettbewerb ausbauen? Wenn man sich mit dem Auslaufen der befristeten gesetzlichen Exklusivlizenz nach § 51 des Postgesetzes dazu entschieden hat, den Postmarkt dem Wettbewerb zu öffnen, dann muss man das allerdings in der Folge auch konsequent tun. Dies hat die christlich-liberale Koalition begonnen, indem wir die Umsatzsteuerbefreiung der Deutschen Post AG abgeschafft haben. Damit haben künftig alle Postunternehmen, die ein flächendeckendes Angebot haben, die Möglichkeit, von der Umsatzsteuer befreit werden zu können. Mit dem Gesetz hat die Regierung das deutsche Recht den europäischen Richtlinien angepasst. Bis dato war allein die Deutsche Post als Anbieter eines flächendeckenden Angebots, eines sogenannten Universaldienstes, für die unmittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze - etwa das Porto - von der Steuer befreit. Nach diesem Beschluss können nun auch andere Postdienstleister von der Regelung profitieren, wenn sie ein entsprechendes Angebot leisten. Die Befreiung von der Umsatzsteuer gilt allerdings nur noch für Briefe von Verbrauchern - auf Geschäftspost wird die Umsatzsteuer hingegen jetzt fällig. Um als Universaldienstleister zu gelten, muss der Postdienstanbieter bislang beispielsweise im Jahres- und Bundesdurchschnitt 80 Prozent der Briefe binnen eines Werktages nach Aufgabe zustellen. 95 Prozent müssen nach zwei Werktagen zugestellt werden. Für diesen Dienst ist ein besonders großes Netz notwendig, das Deutschland von den Halligen im Norden bis zu den Almen im Süden abdeckt. So wird echter Wettbewerb auf dem Markt für Postdienstleistungen möglich. Weil wir einen funktionsfähigen Wettbewerb im Interesse der Verbraucher, Arbeitnehmer, Unternehmen und nicht zuletzt des Fiskus wollen, müssen wir alles daran setzen, negative Wettbewerbseffekte zu verhindern. Wir müssen verbraucher- und wettbewerbsschädliche Regulierung verhindern und die Vorgaben auf wirtschaftlich vertretbare und regulatorisch notwendige Maßnahmen begrenzen. Unser Ziel ist, dass alle Postunternehmen ihre Leistungen zu Wettbewerbspreisen anbieten und ihr Personal zu marktkonformen Arbeitsbedingungen beschäftigen. Dabei muss selbstverständlich klar sein, dass die arbeitsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden müssen. Es ist aber Aufgabe der Tarifvertragsparteien, die Arbeitsbedingungen für die Branche auszuhandeln, wie dies dem Grundsatz der Tarifautonomie entspricht. Die Überwachung von Arbeitsbedingungen ist nicht Aufgabe der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde. Unser Ziel bleibt, so wie es auch das erklärte Ziel des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie ist, auf dem deutschen Postsektor weiterhin nachdrücklich die politischen Voraussetzungen für einen vollständigen und chancengleichen Wettbewerb herzustellen und den erfolgreichen Marktzutritt von Postunternehmen zu ermöglichen. Die Sozialklausel läuft diesem Ziel zuwider und bildet damit einen Fremdkörper in einem Gesetz, dass der Förderung des Wettbewerbs dienen soll. Ich kann natürlich nicht auf jede einzelne Ihrer Fragen eingehen, aber eine, nämlich die Frage 5, kann ich Ihnen beantworten: Es wird keine weiteren Initiativen der Koalition zur Durchsetzung eines Postmindestlohns geben. Die FDP war schon immer gegen einen Mindestlohn in dieser Branche, und die Realität hat uns Recht gegeben. Denn in all Ihren Überlegungen, wie man die Beschäftigten der Post so weit wie möglich schützen und ihre Arbeitsbedingungen perfektionieren kann, kam eine Gruppe nie vor: die Arbeitslosen. Leider müssen wir Ihnen das immer wieder vorwerfen: Sie vertreten ausschließlich die Beschäftigten, vergessen dabei aber, Konzepte zur Verringerung von Arbeitslosigkeit vorzulegen. Schlimmer noch - Ihre Forderungen würden bei Umsetzung die bestehende Arbeitslosigkeit eher noch steigern. Der - für rechtswidrig erklärte - Mindestlohn für Postdienstleistungen hat schon wenige Wochen nach seiner Einführung zahlreiche Unternehmen in die Insolvenz getrieben und zum Verlust von rund 10 000 Arbeitsplätzen bei den Konkurrenten der Deutschen Post AG geführt. Um Arbeitslosigkeit zu vermeiden, aber auch, um Menschen in Deutschland Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bieten, sprechen wir uns daher ganz klar gegen einen Mindestlohn für Postdienstleistungen aus. Sollte seitens der Post ein neuer Antrag für einen Mindestlohn gestellt werden, gilt das in der Koalition verabredete Verfahren: Einstimmigkeit im Tarifausschuss und einvernehmliche Regelung im Kabinett. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Es ist schon ein wenig ungewöhnlich, dass wir eine Große Anfrage debattieren, ohne dass die Antworten der Bundesregierung überhaupt vorliegen. Dass die SPD es gar nicht abwarten kann, die Debatte zu führen, dürfte vor allem in ihrer Oppositionsrolle begründet sein. Es ist schließlich nicht auszuschließen, dass die eine oder andere Antwort auch ein negatives Schlaglicht auf so manchen problematischen Aspekt aus eigener Regierungstätigkeit geworfen hätte. Da ist es doch besser, man befasst sich erst gar nicht mit den Antworten, sondern geriert sich lieber nur als große Kritikerin der ungebremsten Postliberalisierung und als Kämpferin gegen Sozialdumping und den Niedriglohnsektor. Wohlgemerkt, als Kritikerin einer Politik, die man selbst jahrelang vorangetrieben hat! Ein Beispiel: In Frage 6 will die SPD-Fraktion wissen, ob auch die Bundesregierung davon ausgeht, dass unter "wesentlichen Arbeitsbedingungen" insbesondere die Höhe der Löhne, die Arbeitszeit und die Dauer des Jahresurlaubs zu verstehen sind. Hintergrund ist, dass die Bundesnetzagentur laut Postgesetz verpflichtet ist, Post-unternehmen die Lizenz zu verweigern, wenn sie die wesentlichen Arbeitsbedingungen nicht einhalten. Die Gewerkschaft Verdi hat bereits vor drei Jahren darauf hingewiesen, dass die Bundesnetzagentur das Gesetz offenbar falsch auslegt und dass viele Postunternehmen Lohn- und Sozialdumping betreiben. Die Linke hat deshalb bereits 2007 einen Gesetzentwurf eingebracht, der das Postgesetz konkretisiert und die Bundesnetzagentur klar verpflichtet hätte, Löhne, Arbeitszeit und Urlaubsanspruch bei der Zulassung von Postunternehmen zu prüfen. Das wurde damals von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Damals waren Sie in der Regierung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Da hätten Sie einmal die Möglichkeit gehabt, wirklich etwas gegen das Sozialdumping im Postbereich zu unternehmen. Aber immerhin schwenken Sie jetzt als Opposition auf den Kurs der Linken ein und zeigen sich endlich bereit, anzuerkennen, wie katastrophal die Arbeitsbedingungen im Postbereich nach wie vor sind. Die Pin Mail AG zahlt ihren Beschäftigten laut Verdi mittlerweile wieder weniger als den bis vor kurzem gültigen Mindestlohn von 9,80 Euro. Das Unternehmen TNT zahlt seinen Zustellern ohnehin weniger - laut Verdi zum Teil nur 6,75 Euro pro Stunde. Doch es sind nicht nur diese Anbieter, die Löhne drücken. Zwar liegen bei ihnen nach Gewerkschaftsangaben die Löhne zwischen 33 und 54 Prozent unterhalb der Tarifeinkommen bei der großen Post AG, doch auch der gelbe Marktführer versucht zunehmend, Löhne zu drücken, zuletzt mit der Gründung der Billigtochter First Mail. Diesem Lohndumping muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden! In Anbetracht dessen, dass auch der alte Postmindestlohn unterlaufen werden konnte, muss es darum gehen, endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde einzuführen. Wenn in einer Branche der unterste Tariflohn über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt, soll außerdem dieser Tariflohn für allgemeinverbindlich erklärt werden. Das wären wirksame Maßnahmen gegen Lohndumping und Sozialabbau! Mindestlöhne und eine verschärfte Überwachung der sozialen Bedingungen im Briefmarkt sind wichtig. Aber man darf nicht vergessen: Sie packen das Problem nicht an der Wurzel. Die eigentliche Ursache der Misere liegt in der Privatisierung und Liberalisierung des Postbereichs. Dass die SPD nun langsam anfängt, die Frage der unerträglichen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auch in diesen Kontext zu stellen, ist schön. Noch schöner wäre es allerdings gewesen, sie hätte sich in ihrer Regierungszeit aktiv gegen die Privatisierung eingesetzt. Aber da war sie eine treibende Kraft der Liberalisierung, mit allen katastrophalen Folgen für Ver-braucher und Beschäftigte. Wer eine grundlegende und nachhaltige Verbesserung der Situation im Postbereich für Beschäftigte - und Verbraucher - erreichen will, kommt nicht darum herum, auch die Frage der Privatisierung des Postbereichs auf die Tagesordnung zu setzen. Es muss jetzt darum gehen, die von der SPD mitverantworteten Entwicklungen zu revidieren und eine grundlegende Kurskorrektur herbeizuführen. Die Forderung ist klar: Das Postwesen darf nicht dem skrupellosen Profitstreben privater Betreiber überlassen werden. Postdienstleistungen sind eine öffentliche Aufgabe. Sie gehören in öffentliche Hand. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich begrüße, dass die SPD diesen Anlauf startet, um die unfairen Arbeitsbedingungen auf dem Briefmarkt zu debattieren. Ich finde, die SPD stellt in ihrer Großen Anfrage die richtigen Fragen, und hoffe, dass die Regierung diese beantwortet und dadurch wachgerüttelt wird. Auch wir Grüne wollen einen fairen Wettbewerb auf dem Briefmarkt, denn der Wettbewerb darf nicht über die Löhne ausgetragen werden. Deswegen ist ein Post-Mindestlohn unbedingt notwendig, und wir fordern die Regierung auf, endlich einen neuen Anlauf zu unternehmen, um eine neue Post-Mindestlohnverordnung in Kraft zu setzen. Uns ist bewusst, dass der Konkurrenzkampf auf dem Briefmarkt hart ist, aber diese Situation darf kein Grund dafür sein, dass die Geschäftsmodelle bei Briefdienstleistungen primär auf niedrigen Löhnen aufbauen. Es besteht die Gefahr, dass damit die Arbeitsbedingungen einer ganzen Branche deutlich verschlechtert werden. Es muss verhindert werden, dass am Ende auch viele Beschäftigte der Deutschen Post AG auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen sind oder Briefdienstleistungen primär nur noch von Beschäftigten im Nebenjob erbracht werden. Ich bleibe dabei: Ein Mindestlohn ist immer sinnvoll und vor allem notwendig. Der Punkt ist doch, dass man von seiner Arbeit auch leben können muss. Ein Wettlauf um die niedrigsten Löhne zulasten der Beschäftigten und schlussendlich auch auf Kosten des Staates durch aufstockende Transferleistungen kann nicht hingenommen werden. Aber genau in diese Richtung entwickelt sich der Briefmarkt, denn viele Anbieter hatten nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts drastische Lohnsenkungen angekündigt. Als Konsequenz muss die Politik ihre Schutzfunktion für Beschäftigte ernst nehmen - Wettbewerb braucht soziale Leitplanken. Ich fordere die Bundesregierung auf, zügig eine neue Post-Mindestlohnverordnung zu erlassen, mit der faire Arbeitsbedingungen im Hinblick auf Löhne, Urlaubsansprüche und Arbeitszeit garantiert werden. Die FDP muss endlich ihre permanente Blockadehaltung bei Mindestlöhnen aufgeben und endlich auch die Beschäftigten mit niedrigen Einkommen in den Mittelpunkt stellen. Allerdings bringt selbst der beste Mindestlohn nichts, wenn er nicht kontrolliert wird und sich die Unternehmen nicht dran halten. Zu einer Post-Mindestlohnverordnung gehört daher unbedingt auch die Aufstockung der Kontrolleure beim Zoll. Schon heute ist offensichtlich, dass die Kontrolle der acht ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommenen Branchen nicht gewährleistet werden kann. Der Pflege-Mindestlohn, der am 1. August in Kraft tritt, wird die Kontrolleure - bei gegebener Personalausstattung - zweifellos überfordern. Natürlich ist auch die Bundesnetzagentur gefragt, die Einhaltung der wesentlichen Arbeitsbedingungen in der Branche zu überprüfen, bevor eine Lizenz erteilt wird. Sie hat nach § 6 Abs. 3 Nr. 3 Postgesetz den Unternehmen unverzüglich die Lizenz zu versagen, wenn die wesentlichen Arbeitsbedingungen erheblich unterschritten werden. Insofern sind die Fragen in der Großen Anfrage der SPD nach der Kontrolle der Arbeitsbedingungen durch die Bundesnetzagentur absolut berechtigt und notwendig. Ich appelliere an die Regierung - setzen Sie sich endlich mit der Situation auf dem Briefmarkt auseinander! Handeln Sie endlich! Erlassen Sie erneut eine Post-Mindestlohnverordnung, und sorgen Sie dafür, dass es wenigstens für alle Branchen, die im Arbeitnehmer-Entsendegesetz stehen, verbindliche Mindestlöhne gibt, die auch ausreichend kontrolliert werden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: Änderungen im Hinblick auf den Vertrag von Lissabon - Drucksache 17/2394 - Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Michael Hartmann (Wackernheim) Jörg van Essen Alexander Ulrich Volker Beck (Köln) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Wie bereits in der Tagesordnung ausgewiesen, werden auch hier die Reden zu Protokoll genommen, und zwar von folgenden Kolleginnen und Kollegen: Bernhard Kaster, Dr. Eva Högl, Jörg van Essen, Alexander Ulrich und Jerzy Montag. Bernhard Kaster (CDU/CSU): Der Vertrag von Lissabon ist am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten. Bundestag und Bundesrat haben im September 2009 in Deutschland die Voraussetzungen für die Ratifizierung des Vertrages von Lissabon geschaffen. Dieser Vertrag stärkt besonders die Rechte der nationalen Parlamente. Diese stärkere Mitwirkung des Deutschen Bundestages in europäischen Angelegenheiten haben wir bereits in den sogenannten Begleitgesetzen zum Lissabonner Vertrag zur Wahrnehmung der Integrationsverantwortung durch den Bundestag und den Bundesrat beschlossen. Für alle Fraktionen war es selbstverständlich, diese gravierenden europapolitischen Änderungen auch in einer Vielzahl von Regelungen unserer Geschäftsordnung entsprechend umzusetzen. Die Geschäftsordnung ist die gemeinsame Arbeitsgrundlage für uns als Volksvertretung. Der Begriff "Geschäftsordnung" gibt eigentlich gar nicht so richtig wieder, wie bedeutsam es ist, dass ein Parlament sich selbst in einem großen Einvernehmen gemeinsame Arbeitsregeln gibt. Auch unabhängig von noch eingebrachten Änderungsanträgen möchte ich daher die Gelegenheit nutzen, allen Fraktionen für die sehr umfangreichen und konstruktiven Beratungen im Geschäftsordnungsausschuss zu danken, die wie auch jene im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und allen weiteren mitberatenden Ausschüssen von dem Ziel geprägt waren, zu einvernehmlichen Ergebnissen zu kommen. Bei aller Kritik, die die Politik oft sehr pauschal bei allen denkbar strittigen Themen trifft, muss an dieser Stelle auch einmal betont werden, dass die Gemeinsamkeit aller Demokraten bei der Festlegung auch der parlamentarischen Spielregeln hier aufs Beste funktioniert hat. Die große Palette der notwendigen Änderungen - ob bei den plenarersetzenden Möglichkeiten des Europaausschusses, ob bei der Subsidiaritätsrüge oder Subsidiaritätsklage, ob bei Fragen zur Handhabung der Prozessführung beim Europäischen Gerichtshof -, all dies erforderte viel unterstützende Zuarbeit durch das Sekretariat des Geschäftsordnungsausschusses. Das, was dieses Sekretariat angesichts des Umfangs der Geschäftsordnungsänderungen geleistet hat, übersteigt das sonst Übliche bei weitem. Deshalb sei an dieser Stelle ein großer Dank an Herrn Dr. Paschmanns und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übermittelt. Sie haben uns Parlamentariern sehr geholfen. Die Europäische Union, mehr noch die europäische Politik, steht immer wieder auch in der Kritik der Bürgerinnen und Bürger. Trotzdem ist festzuhalten: Die Europäische Union und ihre Entwicklung in den letzten Jahren ist im Empfinden der Menschen, beispielsweise auch in der Lebensweise und Lebenswirklichkeit der jungen Leute, zu einer nicht mehr wegzudenkenden Selbstverständlichkeit geworden - ein wirklicher Glücksfall unserer gemeinsamen europäischen Geschichte. Die europäische Politik muss vor allem freilich immer auch die Menschen mitnehmen. Der Lissabonner Vertrag und die darin verankerte Subsidiarität mit der gestärkten Mitwirkung der nationalen Parlamente leistet dazu einen wesentlichen Beitrag. Diese Möglichkeiten des Lissabonner Vertrags müssen wir nun in der parlamentarischen Praxis nutzen. Das geht aber nur, wenn wir auch arbeitstechnisch, verfahrensmäßig, entsprechend gut gerüstet sind. In der Neufassung unserer Geschäftsordnung standen daher diese Fragen im Mittelpunkt. Wir sind dabei geblieben: Einerseits bleiben die jeweiligen Fachausschüsse bei den verschiedenen Themen federführend, jedoch erhält der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union entsprechend der Verfassung und den Begleitgesetzen auch plenarersetzende Befugnisse. Zwar können die Entscheidungen im Bereich der gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik und beim sogenannten Notbremsemechanismus an den EU-Ausschuss delegiert werden. Wir haben jedoch in den Beratungen letztlich von dieser Möglichkeit ganz bewusst nicht Gebrauch gemacht. Es steht doch gerade hier das gesamte Parlament in einer besonderen Verantwortung, wie sie etwa auch im Parlamentsbeteiligungsgesetz zum Ausdruck kommt. Neu in die Geschäftsordnung aufgenommen wurden Bestimmungen zur Subsidiaritätsklage und Subsidiaritätsrüge. Mit der Subsidiaritätsrüge kann der Bundestag binnen acht Wochen nach Übermittlung eines Entwurfs eines europäischen Rechtssetzungsaktes gegenüber Rat, Europäischem Parlament und Kommission darlegen, weshalb dieser Entwurf nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Es handelt sich um ein sehr notwendiges "Frühwarnsystem", das es uns ermöglicht, zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens auf Bedenken hinzuweisen. Die Durchführung einer Subsidiaritätsklage des Deutschen Bundestages vor dem Europäischen Gerichtshof haben wir auf den Ausschuss für Europäische Angelegenheiten übertragen. Dafür sprachen besonders dessen Erfahrung im Hinblick auf das Thema Subsidiarität und die Tatsache, dass nur dieser Ausschuss plenarersetzende Kompetenzen hat. Zudem wird so auch ein einheitliches Verfahren vor dem EuGH sichergestellt. Beachtenswert: Für die Subsidiaritätsklage wird durch die Möglichkeit für ein Viertel der Mitglieder des Bundestages, eine solche Klage auch gegen den Willen der großen Mehrheit durchzusetzen, ein neues Minderheitenrecht in der Geschäftsordnung verankert. Letztlich wird die Praxis zeigen, ob die notwendige Verzahnung europäischer und nationaler Politik auch im Alltag auf der Grundlage dieser Geschäftsordnung gelingt. Der Lissabonner Vertrag und diese Geschäftsordnung ermöglichen es, dass europäische Themen viel stärker als bisher über den Deutschen Bundestag der deutschen Öffentlichkeit zugeführt werden. Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, europäische Themen insbesondere auch unter dem Blickwinkel der Subsidiarität in unserem Parlament zu behandeln. Mit den vielfältigen Änderungen der Geschäftsordnung haben wir uns damit die Arbeitsgrundlage geschaffen. Dr. Eva Högl (SPD): Der Vertrag von Lissabon wird sehr zu Recht als ein "Vertrag der Parlamente" bezeichnet. Die neu formulierten Rechte für die nationalen Parlamente sind eine große Chance und eine wichtige Verantwortung des Deutschen Bundestages. Wir ergreifen diese Chance und nutzen unsere Rechte im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsprozesses. Durch den Vertrag von Lissabon und die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon formuliert hat, sind eine Reihe von wichtigen Änderungen unserer Verfahren im Deutschen Bundestag notwendig geworden. Teilweise ergeben sich diese Änderungen aus dem Integrationsverantwortungsgesetz und dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union, mit denen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden. Mit der Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages passen wir unsere parlamentarischen Verfahren und Abläufe bei der Behandlung europäischer Dossiers an diese neuen Grundlagen an. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich an dieser Debatte von Beginn an engagiert beteiligt und frühzeitig und fortlaufend eigene Vorschläge eingebracht. Wir begrüßen das nun vorliegende Ergebnis. Mit der Novellierung wird sowohl der deutlich gestärkten Rolle des Deutschen Bundestages Rechnung getragen als auch der verantwortungsvollen und selbstbewussten Ausübung seiner Rechte. Wir haben präzise Regelungen formuliert, mit denen unser Recht auf Information, unsere Beteiligung an europäischen Rechtsetzungsvorhaben sowie unsere Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben, in unserer täglichen Parlamentspraxis umfassend verwirklicht und gut umgesetzt werden. Besonders hervorheben möchte ich die Subsidiaritätsprüfung. Hier haben die nationalen Parlamente eine neue, besondere Aufgabe im Verfahren der europäischen Gesetzgebung. Die nationalen Parlamente werden damit zum Akteur auf der europäischen Ebene. Im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung können die nationalen Parlamente ihre Bedenken frühzeitig vortragen, was sogar dazu führen kann, dass Vorschläge für europäische Rechtsetzung überarbeitet werden müssen. Diese starke Stellung, die wir als Deutscher Bundestag damit erhalten haben, müssen wir nutzen und wirksam einsetzen. Dafür benötigen wir die geeigneten Verfahren der internen Organisation unserer Arbeit und unserer Abläufe, die wir mit der geänderten Geschäftsordnung formulieren. Diese Änderungen tragen dazu bei, dass wir unsere Rechte wirksam wahrnehmen und dass darüber hinaus Europa in der täglichen Arbeit des Deutschen Bundestages eine größere Rolle einnimmt. Das begrüße ich ganz ausdrücklich. Bezogen auf die Ausschüsse gilt dies nicht nur für den Europa-Ausschuss, sondern auch und gerade für die Fachausschüsse. Es ist richtig, dass wir uns entschieden haben, dass die Fachausschüsse federführend bei der Subsidiaritätsprüfung sind. Sie sind der richtige Ort, um aus fachpolitischer Sicht die Kriterien der Subsidiarität zu prüfen. Diese gestiegene Bedeutung europäischer Gesetzgebung spiegelt sich in der hervorgehobenen Stellung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wider, die wir in den Änderungen der Geschäftsordnung formuliert haben. Deshalb freue ich mich, dass der Vorschlag der SPD aufgegriffen wurde und wir uns darauf verständigen konnten, dass im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung, wenn beabsichtigt ist, die Verletzung des Grundsatzes der Subsidiarität zu rügen, der Europa-Ausschuss unverzüglich zu informieren und ihm zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Das sichert den europäischen Blick auf die Subsidiaritätsprüfung, der richtig und wichtig ist. Auch die Zuständigkeit des Europa-Ausschusses für die Subsidiaritätsklage ist eine richtige Entscheidung. Hinweisen möchte ich bei dieser Gelegenheit darauf, dass wir bei der Subsidiaritätsprüfung die Frist von acht Wochen einhalten müssen. Das stellt für uns und unsere Abläufe im Deutschen Bundestag durchaus eine Herausforderung dar. Deshalb ist es sinnvoll, dass wir in unserer geänderten Geschäftsordnung darauf hinweisen, dass die Ausschüsse bei ihrer Beschlussfassung über die Subsidiaritätsprüfung die auf der Ebene der Europäi-schen Union maßgeblichen Fristvorgaben berücksichtigen. Ich hätte mir hier auch eine stärkere Verpflichtung der Ausschüsse vorstellen können, nämlich dass Anträge auf Erhebung der Subsidiaritätsrüge unverzüglich auf die Tagesordnung der damit befassten Ausschüsse zu setzen und zu behandeln sind. Dies wäre vor dem Hintergrund, dass die Subsidiaritätsprüfung vor allem für die Fraktionen, die keine Mehrheit im Deutschen Bundestag haben, ein wichtiges Instrument ist, eine sinnvolle Regelung gewesen. Ich hoffe daher, dass wir die formulierte Pflicht zur Berücksichtigung der europäi-schen Fristvorgaben in diesem Sinne auslegen und in den Ausschüssen entsprechend verfahren. Ansonsten könnte durch Nichtaufsetzung oder Absetzung eines Tagesordnungspunktes eine wichtige Debatte über die Subsidiarität verhindert werden. Das kann nicht im Interesse des Deutschen Bundestages sein. Wir als SPD-Bundestagsfraktion hätten uns darüber hinaus gewünscht, dass plenarersetzende Beschlüsse des Europaausschusses auch im Rahmen des sogenannten Notbremsemechanismus gelten. Sinn und Zweck der Notbremse ist es, bei Bedenken wegen der Auswirkung von EU-Rechtsetzungsakten auf grundlegende Aspekte der nationalen Strafrechtsordnung oder auf wichtige Aspekte der sozialen Sicherungssysteme eines Mitgliedstaates das Gesetzgebungsverfahren zu unterbrechen und den Europäischen Rat anzurufen. Der Bedarf, dieses Instrument anzuwenden, kann kurzfristig auch in der sitzungsfreien Zeit wegen der fortlaufenden Verhandlungen im Rat auftreten. Der Bundestag hat aufgrund des Lissabon-Urteils des Bundesverfassungsgerichts die Befugnis erlangt, die Bundesregierung zur Anwendung des Notbremsemechanismus anzuweisen. Das Urteil ist in dieser Hinsicht unmissverständlich und auch eine klare Verpflichtung, spricht es doch vom "notwendigen Maß demokratischer Legitimation". Gerade für den Notbremsemechanismus wäre deshalb aus unserer Sicht die Möglichkeit eines plenarersetzenden Beschlusses notwendig gewesen. Es ist schade, dass wir uns mit diesem Vorschlag bei den Beratungen der Änderung der Geschäftsordnung nicht haben durchsetzen können. Fazit: Mit den Änderungen der Geschäftsordnung stärken wir die Europakompetenz des Deutschen Bundestages, werden unserer Rolle als wichtiger Akteur bei der Gesetzgebung auf europäischer Ebene gerecht und tragen dazu bei, dieses in unserer parlamentarischen Praxis zu verwirklichen und umzusetzen - ein wichtiger Schritt hin zu mehr Europa im Deutschen Bundestag. Ich bin fest davon überzeugt, dass die formulierten Regelungen sich in unserer täglichen Arbeit als tauglich erweisen und wir damit eine gute Grundlage für die Beratung und Behandlung europäischer Dossiers haben. Jörg van Essen (FDP): Nach dem Inkrafttreten der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon haben wir uns im 1. Ausschuss viel Zeit genommen, um die umfangreichen Änderungen der Geschäftsordnung intensiv und ausführlich zu diskutieren. Über ein halbes Jahr lang haben wir gute Debatten im Ausschuss geführt, und ich bin froh, dass wir unseren Zeitplan einhalten konnten, die Beschlussempfehlung und den Bericht zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages im Hinblick auf den Vertrag von Lissabon dem Plenum noch vor der Sommerpause vorzulegen. Für die interessanten und konstruktiven Diskussionen möchte ich mich bei den Kollegen ebenso bedanken wie beim Ausschusssekretariat für die hervorragende Vorbereitung und Begleitung des Diskussionsprozesses. Durch das Integrationsverantwortungsgesetz sind neue Rechte und Aufgaben des Bundestages in Bezug auf die Mitwirkung an der europäischen Gesetzgebung festgeschrieben worden. Das jeweilige Verfahren hier im Bundestag ist bislang noch nicht geregelt. Dies gilt besonders für die Erhebung der Subsidiaritätsrüge und der Subsidiaritätsklage. Außerdem war die Frage zu klären, welche Aufgaben der Bundestag im Plenum behandelt und welche durch die Ausschüsse, insbesondere den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, erledigt werden können. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir ein sehr ausgewogenes Regelwerk geschaffen haben, das sowohl die Rolle des Plenums als auch die Rolle der Ausschüsse berücksichtigt. Auch im Hinblick auf die Wahrung der Rechte der einzelnen Fraktionen sind wir zu einem guten Ergebnis gekommen. Lassen Sie mich auf drei Aspekte genauer eingehen: Erstens. Es ist richtig, dass ein Teil der Aufgaben plenarersetzend an den EU-Ausschuss delegiert wird. Gerade im Hinblick auf die Bedeutung und die Vielfalt der Zuständigkeiten des europäischen Gesetzgebers ist es unverzichtbar, dass der Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union jederzeit - auch kurzfristig - handlungsfähig ist. Dieser Gedanke liegt auch Art. 45 Grundgesetz zugrunde. Wichtig ist aber, dass diese Übertragung nicht ausnahmslos gilt. Dies ist selbstverständlich nur da möglich, wo die Aufgabenwahrnehmung nach dem Integrationsverantwortungsgesetz nicht durch Gesetz erfolgt. Denn ein Gesetz müssen wir im Plenum verabschieden. Außerdem haben wir Ausnahmen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und beim sogenannten Notbremsemechanismus nach § 9 Integrationsverantwortungsgesetz festgeschrieben. Der Notbremsemechanismus ermöglicht es dem Deutschen Bundestag, die Befassung des Europäischen Rates mit einem Thema zu fordern, und ist auf besonders sensible Politikfelder wie das Strafrecht und die soziale Sicherung begrenzt. Ein solch scharfes Schwert sollte dem Plenum vorbehalten bleiben. In Fällen der Eilbedürftigkeit ist es weiterhin möglich, im Einzelfall den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union mit der Wahrnehmung dieses Rechts zu betrauen. Nicht zuletzt ist es unverzichtbar, dass der Bundestag über eine Rückholbefugnis für seine Entscheidung gegenüber dem EU-Ausschuss verfügt. Die Position der Fachausschüsse wird dadurch gestärkt, dass eine stillschweigende Wahrnehmung der Rechte des Deutschen Bundestages durch den EU-Ausschuss mit einem Widerspruchsrecht der beteiligten Ausschüsse verbunden ist. Zweitens. Über die Behandlung der Subsidiaritätsrüge haben wir im Ausschuss lange diskutiert. Der Umstand, dass die Grünen dazu einen Änderungsantrag eingebracht haben, lässt erahnen, dass wir in diesem Punkt keine Einigkeit erzielen konnten. Entgegen der Forderung der Grünen ist es aber richtig, die frühzeitige Beteiligung des EU-Ausschusses nicht nur an einen Antrag einer Fraktion auf Erhebung der Subsidiaritätsrüge zu binden; denn es ist nicht allein eine Fraktion, die eine Subsidiaritätsrüge initiieren kann. Eine solche Initiative kann zum Beispiel auch von einem Ausschuss ausgehen. Dies berücksichtigt die gewählte Formulierung. Genauso sollte es auch den Ausschüssen überlassen bleiben, wann sie einen Antrag auf Erhebung einer Subsidiaritätsrüge behandeln. Die Subsidiaritätsrüge ist ein Instrument des gesamten Bundestages, sodass für einen Eingriff in die Geschäftsordnungshoheit der Ausschüsse kein Bedarf besteht. Die Ausschussmehrheit wäre auch in der Lage, einen gestellten Antrag abzulehnen. Dann muss er aber auch entscheiden können, wann er sich mit dem Antrag befasst. Für die von den Grünen begehrte Änderung besteht also kein Bedürfnis. Drittens. Einen sehr ausgewogenen Kompromiss haben wir in der Diskussion um die Subsidiaritätsklage erzielt. Die Erhebung einer Subsidiaritätsklage ist nach Art. 23 Grundgesetz als Minderheitenrecht ausgestaltet. Es reicht, wenn ein Viertel der Mitglieder des Bundestages die Erhebung der Subsidiaritätsklage verlangt. Gleichzeitig ist aber der gesamte Bundestag Partei des Klageverfahrens. Dies kann zu widerstreitenden Interessen, insbesondere bei der Benennung des Prozessbevollmächtigten, bei der Formulierung der Klageschrift und der Durchführung des Klageverfahrens führen. Daher müssen die Verfahrensregeln der Geschäftsordnung so ausgestaltet sein, dass sie Interessen der antragsberechtigten Minderheit einerseits und die Interessen der Bundestagsmehrheit andererseits berücksichtigen. Ich meine, dass wir diesen Konflikt sehr gut aufgelöst haben. Der vorliegende Entwurf verlangt, dass bei der Benennung eines Prozessbevollmächtigten Einvernehmen zwischen den Antragstellern und dem Bundestag erzielt werden muss, um der Gefahr zu begegnen, dass die Bundestagsmehrheit einen Prozessbevollmächtigten benennt, der die Subsidiaritätsklage nicht hinreichend befördert, und damit das Minderheitenrecht leerläuft. Im Hinblick auf die Formulierung der Klageschrift sowie die Durchführung des Klageverfahrens erscheint es dagegen aus Praktikabilitätsgründen kaum möglich, in jedem Punkt Einvernehmen herzustellen. Im Gegenteil: Auch hier droht eine Blockade des Verfahrens, wenn Einigkeit nicht erzielt wird. Daher ist es sachgerecht, in diesen Punkten sicherzustellen, dass die Antragsteller angemessen beteiligt werden, die Federführung aber dem Bundestag als Partei der Subsidiaritätsklage zu übertragen. Mit dem Ergebnis der Arbeit im 1. Ausschuss können wir sehr zufrieden sein. Nach Ihrer Zustimmung kann mit diesen Änderungen auch in der parlamentarischen Praxis gearbeitet werden, damit wir die Rechte des Deutschen Bundestages aus den Begleitgesetzen zum Vertrag von Lissabon hier im Hause lebendig und umfangreich wahrnehmen können. Ich freue mich, dass wir heute dafür die Grundlage in unserer Geschäftsordnung legen. Alexander Ulrich (DIE LINKE): Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon sind die Kontroll- und Mitentscheidungsrechte des Bundestags in EU-Angelegenheiten bestätigt und gestärkt worden. Das ist auch Ergebnis unserer kritischen Politik und unserer Verfassungsklage. Wir sehen das Urteil selbst, die auf seiner Grundlage neu geschaffenen Begleitgesetze und die Änderung der Geschäftsordnung insgesamt als Erfolg unserer Politik. Die anderen Fraktionen hatten weniger Rechte des Bundestags gewollt oder sich doch damit zufrieden gegeben. Wenn heute wesentliche Änderungen der Geschäftsordnung beschlossen werden, dient das nach den Begleitgesetzen der Umsetzung des Lissabon-Urteils. Wir werden den Vorschlägen des Geschäftsordnungsausschusses zustimmen. Über ein Jahr nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts ist es an der Zeit, ihre Inhalte in die Regeln über die tagtägliche parlamentarische Praxis umzusetzen. Daran wollen wir durch unser Abstimmungsverhalten keinen Zweifel aufkommen lassen. Unsere Zustimmung bedeutet allerdings nicht, dass wir die zur Abstimmung stehende Vorlage für ideal, für nicht weiter zu verbessern halten. Wir hatten ja selbst Änderungsanträge in die Ausschussberatungen eingebracht, die leider nicht berücksichtigt wurden. Bedenken gegen einzelne der vorgeschlagenen Regelungen bestehen fort. Wenn wir der Vorlage gleichwohl zustimmen, geschieht das in der sicheren Voraussicht, dass vor uns eine Phase der praktischen Erprobung der neuen Regelungen liegt. Dass sich alle Regelungen in der Praxis voll bewähren werden, glauben wir nicht. Wir sind deshalb sicher, dass wir noch vor Ende dieser Wahlperiode erneute Änderungen vornehmen werden - als Konsequenz aus den zu erwartenden praktischen Erfahrungen. Und ich denke, das wird dann auch einvernehmlich geschehen. Sicher werden wir das Verhältnis von federführenden Ausschüssen und Europaausschuss im Zusammenhang mit der Erhebung von Subsidiaritätsbeschwerde kritisch überprüfen müssen. Dabei geht es zum einen um die Achtwochenfrist des Lissabon-Vertrages und ihre optimale Nutzung durch Ausschüsse, Fraktionen und Plenum. Dabei ist immer auch zu bedenken, dass in dieser Frist auch eine Koordinierung mit anderen mitgliedstaatlichen Parlamenten erfolgen muss. Noch wichtiger ist die Frage, wie wir als Bundestag Stellungnahmen nach Art. 23 des Grundgesetzes rechtzeitig abgeben können, wenn sich die Entscheidungslagen auf EU-Ebene manchmal fast täglich ändern. Neuestes Beispiel ist hier die neue Verabredung zu SWIFT, in der Europol zur Datenschutzbehörde erklärt wird. Die Bundesregierung stimmt dem zu und wir können das im Plenum vorher nicht einmal diskutieren. Da werden wir ganz sicher noch weitere Änderungen unserer eingefahrenen Verfahrensweisen konzipieren und durchsetzen müssen. Wenn wir als Parlament wirklich Einfluss auf wesentliche Entscheidungen der EU-Organe nehmen wollen, wird sich noch einiges andere ändern müssen. Das gilt nicht nur für den Bundestag insgesamt. Das gilt auch für die Fraktionen. Auch für meine eigene. In diesem Zusammenhang möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir in der Praxis auch die Begleitgesetze auf den Prüfstand stellen müssen. Wir werden immer kritisch, auch selbstkritisch, prüfen müssen, ob sie sich als praktikabel erweisen und ob sie den Anforderungen des Lissabon-Urteils in der Praxis wirklich umfassend gerecht werden. All diese Bemerkungen ändern aber nichts daran: Das Lissabon-Urteil, die Begleitgesetze und auch die jetzt abzustimmenden Vorschläge zur Änderung der Geschäftsordnung sind wichtige und im Wesentlichen richtige Schritte in Richtung auf eine demokratischere Europäische Union. Wir haben als Fraktion Die Linke nicht unerheblichen Anteil daran. Heute werden wir den zur Abstimmung stehenden Vorschlägen zustimmen. Wir werden aber weiter daran arbeiten, dass wir auf diesem Weg zu einem demokratischeren Europa noch weiter vorankommen. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Durch den am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon ist die Europäischen Union demokratischer, transparenter und effizienter geworden. Der Vertrag hat einige Änderungen mit sich gebracht, und insbesondere aus dem Blickwinkel des Bundestages begrüßen wir, dass die nationalen Parlamente wesentlich intensiver in den europäischen Rechtsetzungsprozess mit eingebunden werden. So erhalten die Parlamente nun die Möglichkeit, Gesetzgebungsvorschläge direkt auf ihre Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip zu untersuchen und bei Verletzung der Subsidiarität dies direkt zu rügen. Wird das Gesetz dennoch in der Form erlassen, so können die Parlamente Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben. Bei uns kann dies sogar eine Minderheit von 25 Prozent erreichen. Damit diese Rechte aber auch ihre volle Wirksamkeit entfalten können, müssen sie praktikabel umgesetzt werden und dürfen nicht durch die Art und Weise des Verfahrens behindert oder gar unmöglich gemacht werden. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat nach intensiven Diskussionen und unter enger Einbindung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union eine Beschlussempfehlung und einen Bericht verabschiedet, der die durch den Lissaboner Vertrag notwendigen Änderungen der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vornimmt. Die nun gefundenen Lösungen werden den Bundestag ein gutes Stück europafähiger machen. Auf der anderen Seite hätten wir uns noch eine weitere Stärkung und Klarheit der Verfahrensregelungen insbesondere hinsichtlich der Erhebung der Subsidiaritätsrüge gewünscht. Die Regelung in § 93 a Abs. 1 Satz 2 GO-BT zur Erhebung der Subsidiaritätsrüge reicht unseres Erachtens nicht aus. Dort wird Folgendes geregelt: Wird beabsichtigt, insoweit eine Verletzung zu rügen, ist unverzüglich der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu informieren, um diesem zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Es bleibt aber unklar, was mit "wird beabsichtigt" genau gemeint ist. Ist hierfür bereits die Absicht eines einzelnen Abgeordneten ausreichend, oder muss eine Fraktion beabsichtigten oder der federführende Ausschuss? Es bleibt auch im Unklaren, inwieweit sich diese Absicht bereits manifestiert haben muss. Wird erst beabsichtigt, wenn bereits ein Antragstext schwarz auf weiß vorliegt, oder reicht es bereits, kundzutun, eine solche Rüge erheben zu wollen? Leider wurde hier die Möglichkeit verpasst, deutlich zu machen, zu welchem Zeitpunkt konkret der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu befassen ist und welchen Konkretisierungsgrad die Rüge zu diesem Zeitpunkt haben muss. Die Grünen haben daher folgenden Änderungsantrag eingebracht: Wird ein Antrag auf Erhebung der Subsidiaritätsrüge eingereicht, so ist dieser dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union unverzüglich zuzuleiten, um ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Hierdurch würde die vorstehend dargestellte Unsicherheit behoben, und es würde dem Bundestag erleichtert, die knapp bemessene Frist von acht Wochen zur Erhebung der Subsidiaritätsrüge einzuhalten. Einen zweiten, nicht weniger wichtigen Punkt betrifft unser zweiter Änderungsantrag: Anträge auf Erhebung der Subsidiaritätsrüge sind auf Antrag einer Fraktion unverzüglich auf die Tagesordnung der damit befassten Ausschüsse zu setzen und zu behandeln. Hiermit wollen wir sicherstellen, dass Anträge auf Erhebung der Subsidiaritätsrüge innerhalb der achtwöchigen Frist auch tatsächlich behandelt werden. Es geht dabei keinesfalls um die Schaffung eines weiteren Minderheitenrechts oder gar die Möglichkeit, die Erhebung der Subsidiaritätsrüge zu erzwingen, sondern lediglich darum, dass sich die nach § 93 a Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zuständigen Ausschüsse auch mit einem Antrag auf Erhebung der Subsidiaritätsrüge fristgerecht inhaltlich auseinandersetzen. Wir mussten nämlich die leidvolle Erfahrung machen, dass ein solcher Antrag der Fraktion auf Erhebung der Subsidiaritätsrüge in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses vor Ablauf der Subsidiaritätsfrist von der Mehrheit von der Tagesordnung genommen wurde, und das ohne Begründung. Es kam daher nicht einmal zu einer inhaltlichen Debatte über den Antrag und den zugrunde liegenden Richtlinienentwurf, von einer Entscheidung ganz zu schweigen. Eine solche Nichtbehandlung ist inakzeptabel und wird auch dem Geiste des Lissabon-Vertrags nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Lissaboner Vertrag mahnend darauf hingewiesen, dass der Bundestag die ihm zustehenden Rechte nutzen muss. Voraussetzung dafür ist aber auch die inhaltliche Debatte und Entscheidung zu europäischen Themen. Mit der Zustimmung zu unseren Anträgen würden Sie der Wirksamkeit des Lissabon-Vertrags und der Bedeutung der Rechte des Deutschen Bundestags im europäischen Rechtsetzungsprozess zweifellos dienen. Darüber hinaus stimmen wir Grüne den Änderungen der Geschäftsordnung zu. Damit kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 17/2394. Zunächst zum Änderungsantrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/2461? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/2394? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kulturelle Einrichtungen vor Folgeschäden aus der Frequenzversteigerung der digitalen Dividende bewahren - Drucksache 17/2416 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Auch hier wurde bereits in der Tagesordnung ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll gegeben werden, und zwar von folgenden Kolleginnen und Kollegen: Johannes Selle, Martin Dörmann, Claudia Bögel, Katrin Kunert und Tabea Rößner. Johannes Selle (CDU/CSU): Uns liegt ein Antrag der Fraktion Die Linke vor mit dem Anliegen, die Bundesregierung möge vollumfänglich Kostenersatz leisten. Dieser Antrag ist typisch für diese Fraktion; denn er fragt nicht danach, ob die Kosten auch notwendigerweise entstehen. Das Problem, welches hier angesprochen wird, verdient es allerdings schon, behandelt zu werden. Es wurde durch die Bundesregierung am 4. März 2009 die Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung verändert. Dies geschah als Anpassung an die Beschlüsse der Weltfunkkonferenz 2007 der Internationalen Telekommunikationsunion. Mit der Verordnung wird unter anderem der bisher dem Rundfunkdienst zugewiesene Frequenzbereich 790 bis 862 Megahertz dem Mobilfunkdienst zugewiesen. Die sogenannte digitale Dividende, nämlich der Zugewinn an Nutzungsmöglichkeiten des genannten Frequenzspektrums aus der Umstellung von analogem auf digitales terrestrisches Fernsehen für Internetbreitbandversorgung zu nutzen, wollen wir als Koalitionsfraktionen vorantreiben. Für die Entwicklung des ganzen Landes brauchen wir schnellste Internetverbindungen im ganzen Land. Dies können wir kurzfristig nur durch Mobilfunk erreichen. Gerade in den letzten Wochen habe ich eine Kampagne mit diesem Inhalt in Thüringen unterstützt. Die kommunalen Vertreter, die Privatbürger und die regionale Wirtschaft erwarten, dass der ländliche Raum Perspektiven behält. Ohne das Angebot schneller Datenverbindungen im ländlichen Raum werden sich demografische Tendenzen noch schneller durch Abwanderung verschärfen. Solche Datenverbindungen lassen sich durch die Frequenzen herstellen. Die genannten Frequenzen werden durch Allgemeinzuteilung aktuell für Anwendungen der drahtlosen Produktionstechnik - sogenanntes Professional Wireless Microphone System abgekürzt PWMS - auf sekundärer Basis mit genutzt, zum Beispiel bei drahtlosen Mikrofonen im Veranstaltungsbereich und bei der Filmproduktion. Allgemeinzuteilung - das war den Nutzern bekannt - ist eben nicht die Zusicherung störungsfreien Betriebs, wie es aus dem Antrag der Linken zu entnehmen ist. Es ist davon auszugehen, dass die bei der Versteigerung erfolgreichen Unternehmen kurzfristig mit dem Ausbau ihrer Funknetze beginnen werden und dadurch der Betrieb zunehmend gestört werden könnte. Wegen der bevorrechtigten Frequenznutzung im Mobilfunk konnte die Allgemeinzuteilung nicht verlängert werden. Im Hinblick auf die Frequenznutzungsbedingungen der drahtlosen Mikrofonanwendungen gelten die bisherigen Regelungen der Allgemeinzuteilung selbstverständlich auch bis zu deren Ablauf am 31. Dezember 2015 weiter. Eine Verlagerung der Nutzung in alternative Frequenzbereiche ist vorbereitet. Die Bundesnetzagentur hat - und das dürfte auch der Fraktion Die Linke bekannt sein - bereits Alternativfrequenzen zur Verfügung gestellt. Diese wurden am 3. März 2010 im Amtsblatt der Bundesnetzagentur veröffentlicht, Mitteilung Nr. 107/2010. Sollte eine Verlagerung der Frequenzen für Unternehmen notwendig werden, und sollten dadurch Kosten entstehen, so gibt es die Zusage des Bundeswirtschaftsministeriums einer angemessenen Entschädigung. Im Bundesministerium der Finanzen und im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ist zwischenzeitlich eine Arbeitsgruppe gebildet worden. Diese entwickelt zurzeit eine Verwaltungsvorschrift mit dem Ziel, die Höhe der anrechenbaren Kosten sowie das Verfahren zur Abwicklung festzulegen. Die betroffenen Frequenznutzer müssten sich über den zuständigen Dachverband, die Association of Professional Wireless Production Technologies, APWPT - http://www.apwpt.org/ -, auf dem Laufenden über den Fortgang der Arbeiten halten. Der Antrag der Fraktion Die Linke ist daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt vollumfänglicher Aktionismus. Wir, die Mitglieder der Koalitionsfraktionen, werden diese Problematik im Auge behalten und selbstverständlich darauf achten, dass tatsächlich entstehende und nicht zu vermeidende Kosten angemessen entschädigt werden. Martin Dörmann (SPD): Am 20. Mai 2010 konnte die Bundesnetzagentur die Versteigerung von Frequenzen erfolgreich abschließen. Sie betrafen die Bereiche 800 Megahertz, 1,8 Gigahertz, 2 Gigahertz und 2,6 Gigahertz. Alle vier großen Mobilfunkunternehmen in Deutschland haben Frequenzen ersteigert. Insgesamt beträgt der erzielte Erlös für die Bundeskasse 4,38 Milliarden Euro. Viele TK-Unternehmen und Branchenverbände begrüßen das Ergebnis der Auktion. So weist der BITKOM darauf hin, dass die flächendeckende Versorgung ganz Deutschlands mit schnellen mobilen Internetzugängen einen großen Schritt näher gerückt sei. Nun müssen die sich bietenden Möglichkeiten konsequent genutzt werden. Die Versteigerung des bislang größten Frequenzpaketes in Deutschland bietet große Chancen für den notwendigen Netzausbau im Mobilfunk und eine bessere Breitbandversorgung auch in ländlichen Regionen. Die Nachfrage nach mobilem Internet wächst stetig. Die Mobilfunkunternehmen, die entsprechende Frequenzen ersteigert haben, können nun die Einführung der LTE-Technologie, Long Term Evolution, vorantreiben, die hohe Bandbreiten ermöglicht. Zudem bieten vor allem die Frequenzen der sogenannten digitalen Dividende im Bereich von 790 bis 862 Megahertz die Möglichkeit, "weiße Flecken" zu schließen und ländliche Regionen endlich ans schnelle Internet anzuschließen. Denn gerade in diesem Bereich ist der Ausbau aus technischen Gründen mit vertretbaren Kosten möglich. In den Frequenznutzungsbedingungen wurden - auch auf hartnäckiges Drängen der SPD - Ausbauverpflichtungen festgelegt, nach denen nun schrittweise in unterschiedlichen Stufen jeweils mindestens 90 Prozent der Bevölkerung angeschlossen werden müssen. Die Nutzung der Frequenzen für die flächendeckende Versorgung ganz Deutschlands mit schnellen mobilen Internetzugängen ist ein wesentlicher Bestandteil der Breitbandstrategie der Bundesregierung, die Anfang letzten Jahres noch von der Großen Koalition verabschiedet wurde - und zwar insbesondere auf Anregung und Drängen des damaligen Vizekanzlers Frank-Walter Steinmeier. Ohne Nutzung der digitalen Dividende können die dort genannten Ziele nicht verwirklicht werden. Gleichzeitig ist nicht zu verkennen, dass durch die neue Frequenznutzung auch Probleme entstehen, die es zu lösen gilt. Betroffen sind hiervon insbesondere die bisherigen Nutzer, die nun in andere Frequenzbereiche "umziehen" müssen. Zum einen entstehen den Rundfunksendernetzbetreibern, die bislang einen Teil der ersteigerten Frequenzen genutzt haben, Kosten aus technischen Ersatz- und Zusatzbeschaffungen oder Umrüstungen. Vor allem aber sind auch Kultur- und Bildungseinrichtungen betroffen, die den betroffenen Frequenzbereich bislang für Datendienste und Funkmikrofone nutzen. Dabei geht es beispielsweise um Bühnenproduktionen, Fernsehaufzeichnungen und sonstige öffentliche Veranstaltungen in Opernhäusern, Theatern aber auch in Kirchen. Die SPD hat stets darauf gedrängt, dass für alle Betroffenen angemessene Lösungen gefunden werden müssen. Wie ist insofern der Sachstand? Als es im vergangenen Jahr im Bundesrat darum ging, die Frequenzbereichzuweisungsplanverordnung zu ändern, um die Voraussetzungen für die Auktion zu schaffen, wurden zwischen dem Bund und den Ländern Vereinbarungen getroffen. Der Bund sagte zu, die Kosten aus notwendigen Umstellungen, die sich bis Ende 2015 bei denjenigen ergeben, die die Frequenzen 790 bis 862 Megahertz nutzen, in angemessener Form zu tragen. Es darf nicht sein, dass betroffene Kommunen, Länder oder kulturelle Einrichtungen finanziell überfordert werden. Deshalb haben auch die SPD-geführten Länder auf entsprechende Zusagen des Bundes gedrängt. Zurzeit besteht aber noch große Unsicherheit darüber, wie diese vom Bund umgesetzt werden. Ich habe deshalb bereits am 18. Juni 2010 zwei schriftliche Fragen an die Bundesregierung gerichtet, um zu erfahren, wann und mit welchem Verfahren die Bundesregierung die gegenüber den Bundesländern eingegangene Zusage umsetzen will und mit welchen Umstellungskosten die Bundesregierung rechnet. Leider waren die Antworten der Bundesregierung hierauf zum Teil unbefriedigend, insbesondere im Hinblick auf das Verfahren und die Problematik der drahtlosen Mikrofone. Bezüglich der Rundfunksendernetzbetreiber ist danach eine pauschale Erstattung der Kosten aus technischen Ersatz- und Zusatzbeschaffungen oder Umrüstungen angeboten worden. Die Erstattung sei unmittelbar nach der vollzogenen Frequenzumstellung vorgesehen. Die Feststellung und Anerkennung betriebsnotwendiger Umstellungskosten drahtloser Mikrofone erfolge - so die Bundesregierung - in Abhängigkeit vom tatsächlichen Ausbau der neuen Mobilfunkanwendungen bis maximal 2015 und solle durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle entsprechend einer in Vorbereitung befindlichen Verwaltungsanweisung erfolgen. Da die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Rundfunksendernetzbetreibern noch andauerten, sei eine Aussage zur Höhe der Erstattung der Kosten nicht möglich. Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Ansicht, es muss nun zügig Klarheit und Planungssicherheit für alle Beteiligten geschaffen werden. Insofern teilen wir im Kern die Zielsetzung, die in dem Antrag der Fraktion Die Linke zum Ausdruck kommt, den wir heute in erster Lesung beraten. Allerdings ist der Text an einigen Stellen zu undifferenziert. Unser weiteres Vorgehen werden wir davon abhängig machen, wie die nächsten Wochen von der Bundesregierung dazu genutzt werden, die notwendige Klarheit herbeizuführen. Sicher ist die Ermittlung der notwendigen Kosten nicht unproblematisch. Das Verfahren zur Kostenerstattung muss gerecht und einfach zu handhaben sein. Dabei brauchen alle Beteiligten aber nun möglichst schnell Planungssicherheit. Die Länder haben einen vom Bund zu speisenden Fonds ins Spiel gebracht, was mir prinzipiell sinnvoll erscheint. Streitig ist in erster Linie, welchen Betrag der Bund zum Ausgleich der Umstellungskosten bereitstellen sollte. Sicherlich sind die bisher vom Bund genannten Zahlen, die sich im zweistelligen Millionenbereich bewegen, deutlich zu gering. Ein höherer dreistelliger Millionenbetrag wird es in jedem Falle werden müssen. Es muss auch zügig geklärt werden, was im Einzelfall unter welchen Kriterien ein angemessener Entschädigungsbetrag ist. Es muss transparent und nachvollziehbar ein Anspruch definiert werden, der durchaus in Abhängigkeit von den Ausbauplänen der Unternehmen und damit den Umstellungsfolgen bestimmt werden kann. Dabei kann aber nicht abgewartet werden, bis konkrete Störungen eingetreten sind. Es sei darauf hingewiesen, dass - jedenfalls indirekt - ein Teil der Erlöse aus der Frequenzversteigerung für die entstehenden Kosten genutzt werden kann. Zwar können die Erlöse aus der Frequenzversteigerung aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht von vornherein zweckgebunden werden. Dies ist jedoch nur ein formaler Gesichtspunkt. Der Bund hat nun einmal bedeutende Mehreinnahmen erzielt, durch die er finanziellen Handlungsspielraum gewonnen hat. Es ist naheliegend und durchaus sachangemessen, wenn dies hier Berücksichtigung findet. Denn es geht ja gerade um die Folgen der Versteigerung. Und der Bereich aus der digitalen Dividende, der betroffen ist, hat den Großteil der Erlöse ausgemacht, nämlich rund 3,5 Milliarden Euro. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf das Thema Breitbandausbau zurückkommen. Der zügige Ausbau mobiler Breitbandanwendungen ist richtig und notwendig. Es darf dabei jedoch nicht übersehen werden, dass auch der weitere Ausbau des Festnetzes - insbesondere der Glasfaserausbau - weiter vorangetrieben werden muss, da dieser höhere Bandbreiten ermöglicht und auch dort die Nachfrage stetig wächst. Die Bundesregierung fordern wir auf, die Breitbandstrategie konsequenter als bisher umzusetzen und weiterzuentwickeln. Die anstehende Novellierung des Telekommunikationsgesetzes muss hierfür genutzt werden. Ein Teil der erzielten Versteigerungserlöse in Höhe von rund 4,4 Milliarden Euro, die in den Bundeshaushalt fließen, sollte für den Breitbandausbau genutzt werden. Die bereits bestehenden Förderprogramme dürfen nicht gekürzt, sondern sollten aufgestockt werden. Sie müssen jedoch noch zielgenauer als bisher ausgestaltet werden. Bund und Länder sollten im Hinblick auf den Infrastrukturausbau abgestimmt vorgehen und zusätzliche gesetzliche Regelungen ins Auge fassen, um einheitliche und bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, etwa für die Verlegung von Leerrohren und den Anschluss von Gebäuden. Schließlich kann die Bundesnetzagentur durch eine innovations- und investitionsfreundliche Regulierung, die Rechts- und Planungssicherheit ermöglicht, einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass die notwendigen zweistelligen Milliardenbeträge für den Glasfaserausbau auch tatsächlich investiert werden. Dazu gehört beispielsweise, nun zügig die Bedingungen zu klären, unter denen angesichts der hohen Kosten eine Kooperation von unterschiedlichen TK-Unternehmen ermöglicht wird. Sie sehen, es sind noch einige Baustellen zu bewältigen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, endlich konsequent zu handeln, sowohl beim Breitbandausbau als auch zur angemessenen Entschädigung der notwendigen Umstellungskosten im Rahmen der digitalen Dividende. Claudia Bögel (FDP): Wir beschäftigen uns heute mit dem Antrag der Fraktion Die Linke "Kulturelle Einrichtungen vor Folgeschäden aus der Frequenzversteigerung der digitalen Dividende bewahren". Den Kulturschaffenden kommt in unserem Land eine große, sehr wichtige Aufgabe zu. Zum einen gilt es, das kulturelle Erbe Deutschlands zu bewahren, die Zukunft in diesem Bereich zu gestalten und für eine maximale Vielfalt zu sorgen. Ein anderer wichtiger Aspekt in unserer Gesellschaft sind die hohen Anforderungen an eine moderne Kommunikation. Weder Bürgerinnen und Bürger noch Unternehmen können in unserer Zeit auf schnelle Datenverbindungen bzw. -austausch verzichten. Hier liegt ein hohes Wachstumspotenzial. Der Bedarf an zusätzlichen Frequenzen für den mobilen Datenverkehr steigt rasant, und vonseiten der Bundesregierung wurde mit der Zielsetzung ihrer Breitbandstrategie dem Rechnung getragen. So wurden in diesem Jahr vom 12. April bis zum 20. Mai 2010 unter anderem der Frequenzbereich 790 bis 862 Megahertz versteigert. Dies war ohne Zweifel ein wichtiger Punkt in der Weiterentwicklung der modernen Kommunikation. Es ist aber gar keine Frage, dass durch diese Entwicklung die Kulturschaffenden unseres Landes nicht benachteiligt werden dürfen. Deren Arbeit wird zwar zumeist nach dem ideellen Wert bemessen, aber natürlich ist allen in der FDP-Fraktion, den Kulturpolitikern, aber auch uns Wirtschaftspolitikern, mehr als bewusst, dass es sich auch hier um einen immer härteren Wettbewerbsmarkt handelt und damit um Umsätze und Gewinne. Mit 237 000 Unternehmen steht die Kultur- und Kreativwirtschaft im Jahr 2009 für 7,4 Prozent der Gesamtwirtschaft. Auch im Bereich der Beschäftigtenzahlen sind positive Zahlen zu vermelden: 787 000 abhängig Beschäftigte und damit 1,8 Prozent mehr als im Vorjahr erwirtschafteten 2009 einen Umsatz von 131,4 Milliarden Euro. Ich finde, diese Zahlen sprechen für sich und können sich sehen lassen. Es ist also keine Frage, dass diese Branche unterstützt werden muss! Die Bundesregierung steht weiter uneingeschränkt zu ihrer Erklärung vom 12. Juni 2009 gegenüber dem Bundesrat, die Kosten, die sich nachweislich aus der notwendigen Umstellung bis Ende des Jahres 2015 bei denjenigen ergeben, die die Frequenzen 790 bis 862 Megahertz bisher nutzen, also Rundfunksendeunternehmen und Sekundärnutzer, insbesondere Kultur- und Bildungseinrichtungen, in angemessener Form zu tragen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Finanzen ein Kostenerstattungskonzept entwickelt. Kern der Überlegungen war, dass Kosten die in einem direkten kausalen Zusammenhang mit dem Erfordernis der Frequenzumstellung stehen, berücksichtigungsfähig sind und erstattet werden sollen. Die Feststellung und Anerkennung betriebsnotwendiger Umstellungskosten für drahtlose Produktionstechniken erfolgt daher in Abhängigkeit vom tatsächlichen Ausbau der neuen Mobilfunkanwendungen bis längstens 2015. Dies gilt insbesondere, wenn die Nutzungen der drahtlosen Produktionstechniken durch die neuen Frequenznutzer im Frequenzband 790 bis 862 Megahertz nachweislich gestört werden und Neuanschaffungen notwendig werden. Aus meiner Sicht lässt sich also festhalten, dass ein ausgewogenes Gleichgewicht der Interessen und Ziele der Kulturschaffenden auf der einen und der Kommunikationsbranche auf der anderen Seite gewährleistet ist. Dieses Gleichgewicht gilt es, vonseiten der Politik mit allen Kräften zu unterstützen, und ich sehe diesen Punkt in dem Kostenerstattungskonzept erfüllt. Katrin Kunert (DIE LINKE): Kürzlich hat die Bundesnetzagentur Frequenzen in den Bereichen 790 bis 862 Megahertz, 1,8 Gigahertz, 2 Gigahertz und 2,6 Gigahertz an verschiedene Mobilfunkunternehmen versteigert. Ermöglicht wurde die Freigabe dieser Frequenzbereiche durch die Umstellung der terrestrischen Fernsehübertragung von analog zu digital. Es handelt sich bei den versteigerten Frequenzbereichen also um einen Teil der sogenannten digitalen Dividende. Der Erlös, der durch die Versteigerung erzielt werden konnte, beträgt insgesamt 4,38 Milliarden Euro. Dieser Sachverhalt erweckt den Anschein, dass alle Beteiligten gleichermaßen davon profitieren. Die Nutzerinnen und Nutzer von Smartphones und anderen mobilen Endgeräten werden in Zukunft über eine noch besseren Netzversorgung mit zum Teil deutlich erhöhter Bandbreite verfügen, und der Bundeshaushalt kann ansprechende Einnahmen verbuchen. Allerdings tragen die freigewordenen Frequenzen nicht dazu bei, die leider immer noch bestehenden weißen Flecken bei der Breitbandversorgung zu schließen. Bei näherem Hinsehen muss zudem festgestellt werden, dass die mit der Versteigerung verbundene Neuzuordnung von Frequenzen auch Folgekosten produziert. Ein Teil der versteigerten Frequenzen wurde bisher in der Kultur- und Medienlandschaft für drahtlose Mikrofonanlagen benutzt. Diese Einrichtungen sind nun infolge der Umwidmung dieses Frequenzbereichs gezwungen, ihre Anlagen umzurüsten und in manchen Fällen komplett zu ersetzen. Konkret betroffen sind insbesondere Theater, Konzertsäle, Kirchen, Konferenzzentren, viele Kleinunternehmen der Veranstaltungsbranche sowie Produzenten und Dienstleister aus der Film- und Fernsehbranche. Gerade bei Theatern ist häufig ein Komplettumbau erforderlich. So rechnet beispielsweise allein das Theater Erfurt infolge der Versteigerung der Mobilfunkfrequenzen mit Zusatzkosten in Höhe von etwa 100 000 Euro, und auch das Nationaltheater in Weimar geht von einer ähnlichen Größenordnung aus. Vor dem Hintergrund dieser Kostenentwicklung hatte der Deutsche Bühnenverein bereits einen Stopp der Versteigerung der Frequenzen gefordert. Nach ersten Schätzungen werden die Folgekosten für den Ersatz von Drahtloseinheiten im Kulturbereich zwischen 2,5 Milliarden und 3 Milliarden Euro betragen. Verantwortlich für die Übernahme der Kosten sind zunächst die Träger der Einrichtungen. Bei den Theatern sind das in den allermeisten Fällen Kommunen und Länder, die sich, wie wir alle wissen, selbst in einer äußerst angespannten Haushaltslage befinden. Insbesondere bei den hoch verschuldeten Kommunen könnten die Umrüstungskosten, die zu den regulären Betriebskosten hinzukommen, schlimmstenfalls dazu führen, dass Theater geschlossen werden müssen. Wir haben es also auch mit einem typischen Beispiel dafür zu tun, wie durch Entscheidungen, die auf Bundesebene getroffen werden, Kosten für die Kommunen entstehen. Einigkeit werden wir in diesem Haus sicherlich darüber erzielen können, wie wichtig gerade Theater als kulturelle Einrichtungen in unseren Kommunen sind, und dass Kosten, auf deren Entstehung weder die Theater noch die Kommunen Einfluss haben, nicht dazu führen dürfen, dass Theater ihren Betrieb nur noch eingeschränkt aufrechterhalten können oder sogar ge-schlossen werden müssen. Aus diesem Grunde müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Folgekosten der Frequenzversteigerung auch von demjenigen getragen werden, der sie verursacht hat, und das ist der Bund. Die Bundesregierung hat den Ländern zwar zugesichert, unter bestimmten Bedingungen einen Teil der Umrüstungskosten zu übernehmen. Die vom Bund angesetzten Kriterien führten aber nur in Einzelfällen zu einer minimalen Erstattung. Auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke hat die Bundesregierung zudem erklärt, dass jegliche Kostenerstattung in diesem Zusammenhang unter Finanzierungsvorbehalt steht. Die Linke ist der Auffassung, dass der Bund die Kosten in vollem Umfang tragen muss. Ich bitte daher um Zustimmung für unseren Antrag. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frequenzen sind die unsichtbare Infrastruktur vieler Medien: So wie die Bahn Schienen braucht, um ihre Züge darauf fahren zu lassen, brauchen Fernsehen und Radio Frequenzen, um ihre Programme senden zu können. Die Frequenzen der jüngsten Auktion sollen für schnelle Internetanbindungen genutzt werden. Das ist eine Chance, das Internet in ländliche Regionen zu tragen. Denn es ist teuer, Breitbandkabel bis an jede Haustür zu verlegen. Bis heute sind immer noch Tausende von Haushalten vom schnellen Internet - wenn sie überhaupt einen Zugang haben - ausgeschlossen. Gerade in ländlichen Regionen ist das ein gravierender Standortnachteil für die Bevölkerung und vor allem auch für die regionale Wirtschaft. Wir haben im Zuge der Frequenzversteigerung aber jetzt tatsächlich ein Problem. Die Bundesregierung hat in ihrer Euphorie über die Breitbandstrategie offenbar vergessen oder einfach ignoriert, dass die neue Zuteilung der Frequenzen Folgen hat. Bei dem Frequenzbereich, der jetzt an die Mobilfunkhersteller versteigert wurde, handelt es sich um die Kulturfrequenzen, die alle drahtlosen Mikrofone nutzen. Die versteigerten Frequenzen sind nicht zusätzlich da, sondern sie sind freigemacht worden, weil die analoge Rundfunkübertragung abgeschaltet wurde. Innerhalb dieses Frequenzbereichs funken aber noch immer die drahtlosen Mikrofone und der digital-terrestrische Rundfunk. Die neue Nutzung wird für sie und DVB-T Störungen erzeugen, weil die neuen Nutzer sehr "nah" an genutzten Frequenzen dran sind. Wo es eng wird im Äther, überschneiden sich Frequenzen und stören sich gegenseitig. Dann piept und quietscht es. Deshalb bekommen die Funkmikrofone eine neue Frequenz zugewiesen; der Umstieg dahin kostet aber. Denn ein Mikrofon kann nicht einfach die Frequenz wechseln, sondern muss dafür ausgetauscht werden. Die geräumten Frequenzen wurden für viel Geld an die Mobilfunkunternehmen versteigert. An die bisherigen Nutzer wurde aber nicht gedacht. Das sind alle Nutzerinnen und Nutzer moderner drahtloser Mikrofone. Das mag zunächst nach einem Randproblem klingen; das ist es aber nicht. Man muss sich nur mal klar machen, wer alles diese Technik nutzt: Theater, Musikveranstalter, Bands, Kirchen und Fernsehsender. Drahtlose Mikrofone sind beim Auftritt von Bands, bei der Sommerfestansprache des Bundespräsidenten, beim Fußballspiel, der Ausstellungseröffnung und dem Gottesdienst nicht mehr wegzudenken. Diese Mikrofone müssen alle ausgetauscht werden, weil sie vom Handyfunk gestört werden und deshalb auf eine andere Frequenz ausweichen müssen. Hier geht es also nicht um Kleckerbeträge; hier geht es um Millionen, wenn nicht sogar Milliarden. Wir Grünen setzen uns für einen schnellen Ausbau von Breitband im ländlichen Raum ein. Deshalb haben wir es begrüßt, dieses Ziel mit der Vergabe von Frequenzen an den Mobilfunk zu verknüpfen. Es war sinnvoll und erfolgversprechend, den Erwerb der Frequenzen durch die Auktion an einen Ausbau zu koppeln. Allerdings haben wir Grünen ein Problem damit, dass sich der Bund die Einnahmen aus der Versteigerung in die Tasche steckt und die Leidtragenden der Frequenzumstellung allein im Regen stehen lässt. Durch die Rechtsnorm mit dem sperrigen Namen "Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung" wurde zwar auf Nachdruck des Bundesrates festgelegt, dass der Bund sich an der Entschädigung beteiligen muss, nicht aber in welcher Form und welcher Höhe. Folgekosten sind nicht ausreichend gedeckt. Ein Theater wie das Hamburger Schauspielhaus muss mit Kosten in Höhe von mindesten 150 000 Euro für eine neue technische Ausrüstung rechnen. Der Bund muss für diese Kosten aufkommen und darf sie nicht einfach auf die Kommunen abschieben. Denn die müssten sonst für die Ausstattung der städtischen Theater und Bühnen sorgen. Auf die finanzielle Situation der Kommunen muss ich hier nicht eingehen. Aber sie sind derart ausgeblutet, dass an allen Ecken und Enden gespart werden muss. Aus einem ausgewrungenen Lappen bekommt man nichts mehr raus. In der Folge können die Kultureinrichtungen die nötigen Gelder für die neue Technik nur von den Besucherinnen und Besuchern bekommen. Dies hätte eine Erhöhung der Eintrittspreise zur Folge. Wir aber wollen nicht, dass sich nur Eliten die Eintritte in Theater und Konzerte leisten können, und dies nur, weil der Bund seiner Verantwortung nicht gerecht wird. Es ist absurd, dass all die, die ihren Platz im Äther räumen werden, am Ende die Leidtragenden sind. Der Bund hat knapp 4,4 Milliarden Euro durch die Versteigerung der Frequenzen eingenommen. Da ist es nicht zu viel verlangt, dass er dafür sorgt, dass durch die Umstellung am Ende niemand auf den Kosten sitzenbleibt. Der Bund muss als Nutznießer der Versteigerung den Theatern, aber auch dem Rundfunk und allen anderen, die Störungen ihrer Technik erfahren, bei der Umrüstung helfen. Das bedeutet aber auch - das ist wichtig -, dass der Bund die Folgekosten trägt. Es nützt uns nichts, wenn der Bund zwar die Kosten für neue Sendemasten an die Rundfunksender zahlt, die elf Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher, die DVB-T nutzen, mit ihren Geräten aber keinen ungestörten Empfang mehr haben. So jedenfalls begeistern wir niemanden für die Digitalisierung. Wer so vorgeht, der kann es völlig in den Wind schreiben, dass sich irgendwer irgendwann für digitales Radio stark macht. Bei der Digitalisierung muss immer auch an die Nutzerinnen und Nutzer gedacht werden. Die Koalition hat dazu eine - begrüßenswerte - Enquete-Kommission ins Leben gerufen. Das entbindet aber nicht von der Aufgabe, dem Tagesgeschäft ordentlich nachzugehen. Wir fordern von der Bundesregierung deshalb, dass sie eine Rechtsgrundlage schafft, die all denen einen Anspruch auf Entschädigung gibt, die die Leidtragenden der Neuzuteilung der Frequenzen sind. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2416 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Rosemarie Hein, Kathrin Senger-Schäfer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE "Soforthilfeprogramm Kultur" zum Erhalt der kulturellen Infrastruktur einrichten - zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Undine Kurth (Quedlinburg), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kulturelle Infrastruktur sichern - Substanzerhaltungsprogramm Kultur auflegen - Drucksachen 17/552, 17/789, 17/2320 - Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Siegmund Ehrmann Reiner Deutschmann Dr. Lukrezia Jochimsen Agnes Krumwiede Wie in der Tagesordnung bereits ausgewiesen, werden auch hier die Reden zu Protokoll gegeben, und zwar von folgenden Kolleginnen und Kollegen: Marco Wanderwitz, Siegmund Ehrmann, Reiner Deutschmann, Dr. Lukrezia Jochimsen und Agnes Krumwiede. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Die beiden heute zur Debatte stehenden Anträge der Opposition zeichnen ein Bild der Kulturlandschaft in Deutschland, das so nicht real ist, jedenfalls nicht in der vorgetragenen Homogenität. Die Lage der kulturellen Infrastruktur der Kommunen ist differenziert und hat oft auch mit gewollter Prioritätensetzung vor Ort zu tun. Die finanzielle Not einiger Kommunen ist auch kein kulturspezifisches Problem. Richtig ist, dass viele Kommunen als Folge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise mit besonderen Haushaltsproblemen zu kämpfen haben. Das geht Bund und Ländern und den meisten Staaten der Welt genauso. Aber längst nicht alle Kommunen kürzen deshalb radikal auf dem kulturellen Sektor. Die Forderungen der PDS nach Bundesmilliarden für den kommunalen Kulturbereich zeugt von Unkenntnis unserer Verfassung. Nach der Anhörung kann man aber nicht mehr von gutem Glauben sprechen. Der Antrag ist verfassungswidrig; das sagen alle Experten. Der Bund hat hier keine Zuständigkeit. Unsere föderale Struktur, die die Hoheit für die Kultur in die Länder und Kommunen legt, lässt keinen Spielraum für einen Nothilfefonds des Bundes. Ich verweise an dieser Stelle auf das Subsidiaritätsprinzip als politische und gesellschaftliche Maxime. Die Länder müssen alle Anstrengungen unternehmen, um Städte und Gemeinden beim Erhalt des kulturellen Angebotes zu unterstützen. Die historisch gewachsene Kulturhoheit der Länder hat sich bewährt. Länder und Kommunen investieren jährlich circa 7 Milliarden Euro in die Kulturförderung - ein europäischer Spitzenwert! Den Freistaat Sachsen, meine Heimat, möchte ich an dieser Stelle als Positivbeispiel besonders hervorheben: Gesetzlich geregelt im deutschlandweit einmaligen Kulturraumgesetz, leisten die sächsischen Kommunen und der Freistaat die höchsten Ausgaben für Kultur pro Einwohner in ganz Deutschland, und das als Pflichtaufgabe! Der Bund ist seiner Mitverantwortung zur Sicherung der deutschen Kulturlandschaft mehr als gerecht geworden. Fünfmal in Folge wurde der Kulturhaushalt des Bundes in den letzten Jahren um insgesamt über 10 Prozent erhöht. Hinzu kommen zahlreiche Maßnahmen, von denen in besonderem Maße auch die Kultur profitiert: das Konjunkturprogramm II in Höhe von 10 Milliarden Euro, das Denkmalschutzsonderprogramm von Staatsminister Bernd Neumann in Höhe von 40 Millionen Euro, das Investitionsprogramm für städtebauliche Infrastruktur in Höhe von 100 Millionen Euro und Sondermaßnahmen für die Kultur über das Weltkulturerbe-Paket in Höhe von 150 Millionen Euro. Der gerade vorgelegte Haushaltsentwurf 2011 hält im Angesicht der richtigen Sparanstrengungen der Bundesregierung den Kulturhaushalt konstant. Das alles kann sich mehr als sehen lassen, und ich erwarte, dass die Opposition das endlich zur Kenntnis nimmt, statt die Leute aufzuhetzen. Mit der Einsetzung der Gemeindefinanzkommission arbeitet die christlich-liberale Koalition bereits an einem Konzept zur langfristigen Konsolidierung der kommunalen Finanzen, so wie es in unserem Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Das kommt auch den Kulturhaushalten der Kommunen zugute. Es ist wichtig, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken und Städte und Gemeinden auf ein sichereres finanzielles Fundament zu stellen. Die Forderung der Grünen nach einem KfW-Sonderprogramm, welches Überbrückungskredite für kulturelle Einrichtungen gewährt, findet ebenfalls nicht unsere Zustimmung. Ein bisschen lebensfremd mutet Ihr Antrag schon an, wenn man weiß, wie derzeit die Zinssituation von Kommunalkrediten ist. In Ihrer Fraktion sollte es doch zumindest ein paar Stadt- oder Gemeinderäte geben, meine Damen und Herren. Das Problem liegt nicht bei den Zinsen - die gibt es faktisch nicht -, sondern darin, dass manche Kommunen haushaltsrechtlich schlicht keine weiteren Kredite von den Kommunalaufsichtsbehörden genehmigt bekommen, weil der Schuldenstand dies nicht hergibt. Siegmund Ehrmann (SPD): Wir haben in den vergangenen Monaten viel über die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise und vor allem der kurzsichtigen Steuerpolitik von Union und FDP für unsere Kulturlandschaft gesprochen. Jetzt liegen belastbare Daten auf dem Tisch. Leider haben sich unsere Befürchtungen bestätigt: Eine aktuelle Umfrage der Unternehmensberatung Ernst & Young bei 300 Kommunen in Deutschland vom Juni dieses Jahres hat ergeben, dass fast jede zweite Kommune in Deutschland die Zuschüsse zu Kultureinrichtungen reduziert hat. Zwischen 8 und 15 Prozent der Kommunen wollen sogar Kultureinrichtungen schließen. 44 Prozent der Kommunen wollen die Eintrittspreise für Kultureinrichtungen deutlich erhöhen. Während die Qualität der Angebote sinkt, steigen die Kosten. Bibliotheken etwa können keine neuen Bücher mehr anschaffen, verlangen aber deutlich höhere Gebühren für das Ausleihen von alten Werken. Das ist das Ergebnis von "mehr Netto vom Brutto". Das Gegenteil ist der Fall: Die Bürger müssen für kommunale Leistungen tiefer in die Tasche greifen. Besonders trifft es aber die sozial Schwachen in unserem Land. Höhere Eintrittspreise für Bibliotheken, Theater oder Museen können sich viele Bürgerinnen und Bürger nicht leisten. Sie sind es, die in Zukunft an kulturellen Angeboten nicht teilhaben können. Schwarz-Gelb bleibt sich hier treu: Die schwachen und nicht die starken Schultern tragen die negativen Folgen der Krise und vor allem der schwarz-gelben Steuerpolitik. Daher stellt sich die Frage: Was tun angesichts der alarmierenden Befunde? Die Regierungskoalition hat bisher keine Antwort auf diese Fragen. Es wird auf eine eingesetzte Gemeindekommission verwiesen, die sich mit diesen Problemen befassen soll. Bisher höre ich von dort nichts Gutes. Auch die Abschaffung der Gewerbesteuer soll dort diskutiert worden sein. Eine echte Hilfe sieht anders aus. Eine Idee hätte ja auch sein können, die Gewerbesteuerquellen zu verbreitern und zu verstetigen. Im Koalitionsvertrag wird dagegen die private Kulturförderung beschworen. Aber meine Damen und Herren von der Koalition: Wer auf die unsichtbare Hand des Marktes baut, steht am Ende mit leeren Händen da, und von Hotels allein kann die Stadt nicht leben. Von anderer Seite wurde der Ruf nach einem Nothilfefonds des Bundes für die Kultur laut. Das Argument "Wenn Geld für Banken da ist, muss auch Geld für die Kultur da sein", kann ich nachvollziehen. Die Idee ist so einfach wie verlockend: Der Bund legt einen Fonds auf, um der Kultur in den finanzschwachen Kommunen unter die Arme zu greifen. Die Linke hat sich diesen Vorschlag zu eigen gemacht und fordert, dass der Bund circa 1 Milliarde Euro für ein "Soforthilfeprogramm Kultur" bereitstellen soll. Die Grünen wollen ein Sonderprogramm der KfW Bankengruppe "Kulturförderung" als Überbrückungsmaßnahme für die in ihrer Existenz bedrohten kommunalen Kultureinrichtungen. Diese Forderungen sind grundsätzlich nicht verkehrt. Kurzfristig hätten wir uns als SPD eine Aufstockung der Mittel für die Kulturstiftung des Bundes gewünscht, um kleinere Projekte in der Fläche zu unterstützen. Zusätzliche Nothilfeprogramme des Bundes für Kultureinrichtungen in kommunaler Trägerschaft greifen jedoch zu kurz und bergen die Gefahr von Verteilungsdebatten. Denn warum sollte es nicht auch eine Bundes-nothilfe für Jugendeinrichtungen oder Sportstätten geben? Diese sind nach der oben zitierten Umfrage sogar noch stärker von den Sparmaßnahmen betroffen als die Kultureinrichtungen. Eine Sonderlösung des Bundes für die Kultur ist der falsche Weg. Wie es richtig geht, zeigt der Koalitionsvertrag von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen: erstens keine Kürzungen bei den Kulturausgaben des Landes und zweitens Konsolidierungshilfen für überschuldete Kommunen, um Städte und Gemeinden wieder handlungsfähig zu machen. Das ist der richtige Weg. Die Kommunen müssen über ausreichend Einnahmen verfügen, um ihren Aufgaben auch im Kulturbereich nachzukommen. Diesen Weg sollten wir auch im Bund einschlagen. Wir als SPD fordern als kurzfristige Maßnahme einen Rettungsschirm für die Kommunen. Dieser Rettungsschirm umfasst die kommunalen Steuerausfälle in Höhe von 1,6 Milliarden Euro, die den Kommunen durch das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz entstanden sind. Ferner soll sich der Bund über zwei Jahre mit jährlich 400 Millionen Euro an den Unterbringungskosten beteiligen. Diese kurzfristigen Maßnahmen müssen durch mittelfristige ergänzt werden. Hier ist die Steuerpolitik des Bundes in der Pflicht. Wir müssen die Kommunen wieder in die Lage versetzen, ihren Aufgaben nachzukommen. Denn nur über solide Haushalte der Kommunen sichern wir auch die öffentliche Kulturförderung und damit die kulturelle Infrastruktur der Kommunen. Auch bei der Bundeskulturförderung besteht Handlungsbedarf. Die bisherige Fördersystematik - vor allem der institutionellen Förderung durch den Bund - birgt einige Unklarheiten. Abhilfe könnte die Empfehlung der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" schaffen. Sie empfiehlt dem Bund, das sogenannte Blaubuch Ost auf das gesamte Bundesgebiet auszuweiten. Das Blaubuch Ost wurde nach der Wiedervereinigung auf der Grundlage von Art. 35 des Einigungsvertrages eingeführt. Es identifiziert Kultureinrichtungen in Ostdeutschland von nationaler Bedeutung, die in der Folge vom Bund mit bis zu 50 Prozent gefördert werden. Ich halte diesen Ansatz für richtig und glaube, dass dieser noch ausbaufähig ist. Das Blaubuch müssen wir über Ostdeutschland hinaus ausweiten und auf die westlichen Bundesländer übertragen. Ich könnte mir eine institutionelle Bundeskulturförderung vorstellen, die auf Vorschlag einer Expertenkommission in Ost- und Westdeutschland Kultureinrichtungen von nationaler Bedeutung fördert. Damit würde der Bund seine Verantwortung für Einrichtungen von nationaler Bedeutung stärker wahrnehmen, die Transparenz seiner Kulturförderung erhöhen und Ländern und Kommunen größere finanzielle Spielräume für die kulturelle Arbeit vor Ort schaffen. Letztlich geht es uns um den Erhalt der kulturellen Vielfalt und des kulturellen Reichtums in unserem Land. Dafür tragen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam Verantwortung. Reiner Deutschmann (FDP): Deutschland ist zu Recht stolz auf sein reichhaltiges kulturelles Leben. Nicht umsonst wird Deutschland na-tional und international als Kulturnation von besonderer Bedeutung wahrgenommen. Mit großen Veranstaltungen und Veranstaltungsreihen wie der Kulturhauptstadt Ruhr 2010, der seit 2008 laufenden Lutherdekade oder den jährlich stattfindenden Bayreuther Festspielen setzt Deutschland Maßstäbe. Als langjähriger kommunaler Kulturpolitiker kenne ich die Tücken und Fallstricke kommunaler Haushalte. Gerade die Kommunen tragen einen großen Teil der Kosten für kulturelle Angebote. Dabei muss die Kultur in den Kommunen leider oftmals mit Verwaltungsaufgaben, Kosten für Sportstätten oder allgemeinen Personalausgaben konkurrieren. Kultur ist das, was einen Ort besonders macht. Kultur macht das Leben an einem Ort lebenswert. Ohne kulturelle Angebote sind und wären viele Orte von der Abwanderung der Bevölkerung und dem mangelnden Interesse an Wirtschaftsansiedlungen noch stärker betroffen. Nicht umsonst hatten sich vor einigen Jahren die Geschäftsführer namhafter Automobilhersteller und deren Zulieferer in Thüringen gegen eine dortige drastische Kürzung der Kulturförderung ausgesprochen. Man fürchtete, dass die Produktionsstandorte im Falle der Abschmelzung der Kulturförderung und der damit einhergehenden Schließung von Theatern und Orchestern unter einer Abwanderung von Führungskräften und Fachpersonal zu leiden haben würden. Aus meiner Sicht sind es zwei Probleme, die für die kommunale Kulturfinanzierung grundlegend sind: Zum einen ist Kulturförderung auch eine Frage der Prioritätensetzung. Oft muss die Kulturförderung für Ausgaben in anderen Bereichen weichen. Dass Kultur in den allermeisten Fällen nur als freiwillige Aufgabe der Länder und Kommunen definiert ist, macht die Sache nicht leichter. Leider muss ich immer wieder feststellen: Lediglich in Sachsen ist die Kultur auch Pflichtaufgabe des Landes und der Kommunen. Auch bedingt durch das sächsische Kulturraumgesetz, das die Finanzierung der Kultur regelt, kommt der Kultur dort ein besonders hohes Gewicht zu. Nicht umsonst gibt der Freistaat Sachsen, verglichen mit den anderen Bundesländern, pro Kopf am meisten für die Kultur aus. Zum anderen hat sich in der Wirtschaftskrise die Abhängigkeit von Gewerbesteuereinnahmen als besonders problematisch herausgestellt. Das zyklische Auf und Ab der Einnahmen macht eine konstante Haushaltsplanung in den Städten und Gemeinden nicht einfach oder teilweise unmöglich. Laufende Verbindlichkeiten müssen bedient werden. Da scheint es oft einfach, den Rotstift zuerst bei der Kultur anzusetzen. Dabei ist noch kein kommunaler Haushalt durch Einsparungen in der Kulturförderung saniert worden. Die christlich-liberale Koalition hat dieses Problem erkannt und handelt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat bereits im Februar eine Kommission eingesetzt, die die Reform der kommunalen Finanzen auf den Prüfstand stellt. Dieser Ansatz ist auch richtig, statt Millionen ohne Konzept über den Städten und Gemeinden ausschütten zu wollen, wie dies die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken vorsehen. Mit dem Geld der Steuerzahler bzw. der Belastung künftiger Generationen sollten wir wirklich verantwortungsbewusster umgehen. Wie schwierig die Neuordnung der kommunalen Finanzen wird, zeigt die gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Städtetages und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, die an der Gewerbesteuer festhalten möchten. Wir nehmen diese Stellungnahmen ernst. Man wird sicherlich verschiedene Modelle diskutieren müssen, so zum Beispiel auch ein Kombimodell, das unterschiedliche Einnahmequellen beinhaltet. Dazu sollten wir der Gemeindefinanzkommission aber auch die nötige Zeit lassen, um ein tragfähiges Konzept zu entwickeln. In der Diskussion um Finanzhilfen zur Kulturförderung in den Städten und Gemeinden durch den Bund dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass dies schlicht und ergreifend verfassungsrechtlich nicht zulässig ist. Dies hat das öffentliche Expertengespräch zum Thema "Lage der Kulturfinanzierung in der Finanz- und Wirtschaftskrise", das am 24. Februar 2010 im Kultur- und Medienausschuss des Deutschen Bundestages stattfand, klar zum Ausdruck gebracht. Keiner der anwesenden Experten hat eine Rechtsgrundlage für die Aufsetzung eines Kulturnothilfefonds ausmachen können. Damit hält der Antrag der Linken nicht einmal dem Grundgesetz stand. Unhaltbar ist die Forderung nach pauschaler Bereitstellung von 1 Milliarde Euro. Welche Berechnungsgrundlage dieser Zahl zugrunde liegt, lässt die Linke offen. So kann man keine Haushaltspolitik machen, zumal es um das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler geht. Diese haben ein Anrecht zu erfahren, warum eine bestimmte Summe benötigt wird. Zuständig sind nun einmal die Länder. Diese wären folgerichtig auch der richtige Adressat für Forderungen nach Aufstockung der Kulturförderung in den Städten und Gemeinde, auch für Notprogramme. Der Bund kann nur in absoluten Ausnahmesituationen oder in Sachverhalten, die den Aufbau Ost betreffen, Abhilfe schaffen. Auch hier hilft ein Blick in das Grundgesetz. Wie ich bereits in meiner Rede vom 25. Februar 2010 gesagt habe, fordert deswegen auch der Kulturrat NRW folgerichtig, die Kommunen durch höhere Landeszuweisungen, zum Beispiel in Form von zweckgebundenen Zuweisungen für die Kulturhaushalte der Kommunen, im Bereich der Kulturförderung zu entlasten. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen sieht den Kern des Problems, nämlich die grundlegende Schieflage der kommunalen Finanzierung. Aber die KfW Bankengruppe mit der Betreuung von Kultursonderprogrammen zu betrauen, entspricht nicht den Aufgaben dieser unter anderem mit der Förderung des Mittelstandes betrauten Bank. Wir können auch nicht dazu übergehen, alle Probleme bei der KfW abzuladen. Eine Ausweitung der Aufgaben wäre zudem nur ein Notpflaster auf die klaffende Wunde. Richtiger ist es, wenn man die Finanzen und damit auch die Kulturfinanzen der Kommunen wieder auf solide Beide stellt. Diesen Weg geht die Koalition. Außerdem würde dies dazu führen, dass die kommunale Selbstverwaltung auch tatsächlich wieder ihrem Namen gerecht werden könnte. Die Stadt- und Gemeinderäte müssen die Möglichkeit haben, selbst über die Prioritätensetzung in ihren Orten zu entscheiden. Die Koalitionsfraktionen werden deshalb aus den oben genannten Gründen die Anträge von Bündnis 90/ Die Grünen und der Linken ablehnen. Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Wollte man bestimmen, was Europa von anderen Weltregionen unterscheidet, so ist es sein Ursprung: die Stadt. Die europäische Kultur ist eine Kultur der Städte, des urbanen Lebens und immer wieder des demokratischen Gemeinwesens. So beginnt eine Resolution der 19 nordrhein-westfälischen Theaterintendanten zwischen Aachen und Wuppertal, Bielefeld und Paderborn, die auf die derzeitige Situation der so unterschiedlichen großen und kleinen Bühnen aufmerksam machen soll. Die derzeitige Situation, das weiß man inzwischen überall in NRW und auch außerhalb, heißt: akute Bedrohung der Theaterlandschaft und schrittweise Zerstörung der Städte in ihrer Substanz und damit eine nicht zu unterschätzende Bedrohung der Demokratie. Was ist neu an dieser Situation? Nach Ansicht aller NRW-Theater-Intendanten: Neu an der aktuellen Situation ist, dass die Konfliktlinien nicht mehr zwischen Theaterleitungen und städtischen Verwaltungen laufen. Auch das wechselseitige Aufrechnen der Förderung von Stadttheatern, Festivalstrukturen und freier Theaterszene wird damit obsolet. Vor dem Hintergrund der desaströsen Finanzsituation der meisten Städte bleibt der Kommunalpolitik kein Handlungsspielraum. Vom Gesetzgeber eingestuft als "freiwillige Leistung", bleiben die Ausgaben für kulturelle Einrichtungen oft der einzige Haushaltsbereich, in dem Einsparungen angeblich überhaupt noch möglich seien. Dass dies keine kurzfristige, bald überwindbare Krise ist, sondern der Kollaps des Systems öffentlicher Haushalte bevorstehe, belegen die Szenarien der Experten. Genau deswegen fordert die Fraktion Die Linke die Bundesregierung auf, ein "Soforthilfeprogramm" Kultur zum Erhalt der kulturellen Infrastruktur zu entwickeln. Wir haben das im Einzelnen immer wieder begründet, im Kulturausschuss, in der 1. Lesung im Parlament und können es heute nur wiederholen: Kultur ist das Fundament unserer Gesellschaft als demokratisches Gemeinwesen. Es ist Aufgabe der Politik, dieses Fundament zu sichern und zu stärken. Die Auswirkungen der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise bedrohen auch und gerade die Kulturstrukturen. Es ist höchste Zeit, umzusteuern und Maßnahmen zur finanziellen Stärkung von Ländern und Kommunen zum Erhalt der kulturellen Infrastruktur in der Krisensituation zu ergreifen. Kurzfristig geht es vor allem darum, einen kulturellen Kahlschlag in den Städten und Gemeinden in der aktuellen Haushaltslage zu verhindern. Das ist eine nationale Aufgabe, eine Pflicht des Bundes. Die Theaterleute schreiben: "Theater muss nicht sein. Es geht auch ohne. Aber wie?" Man könnte ergänzen: Museen müssen nicht sein und es geht auch ohne Bibliotheken, Orchester, Musikschulen, Kultureinrichtungen aller Art. Aber wie? Verödet, verwahrlost, verroht wären die Städte, ob groß oder klein. Geschlossen ist schnell, wieder aufgemacht wird so gut wie nie mehr. Im Art. 104 GG heißt es klipp und klar, dass der Bund im Fall von außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, auch ohne Gesetzgebungsbefugnisse Finanzhilfen gewähren kann. Diese Situation ist durch die Wirtschafts- und Finanzkrise sowie die Steuerpolitik der vergangenen der jetzigen Bundesregierung eingetreten. Hier gilt es Abhilfe zu schaffen. Wer diese Hilfe unterlässt, macht sich schuldig am Niedergang der traditionellen kulturellen Substanz unseres Landes. Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Viele Menschen in unserem Land funktionieren nur noch unter Leistungsdruck und Stress in einem System, an das sie nicht mehr glauben und für das sie sich nicht mehr engagieren wollen oder können. Motivation zur Eigeninitiative und Spaß am Mitgestalten kommen nicht von allein, sondern können gelernt und vermittelt werden, zum Beispiel und gerade durch die Kultur, durch kreatives Mitgestalten. Deswegen ist die Kulturförderung ein notwendiges Element unserer Demokratie. Die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise belasten die kommunalen Haushalte. Eine verfehlte Finanzpolitik schnürt den Kommunen zusätzlich die Luft zur Selbstverwaltung ab. Die kulturelle Teilhabe, die Förderung und die Entfaltung von Kultur, sind massiv bedroht. Ich halte die momentane Sparwelle im Kulturbetrieb für sehr gefährlich. Wir befinden uns auf einem sinkenden schwarz-gelben Schiff. Viele Kultureinrichtungen auf diesem Schiff stehen vor dem Ertrinken. Was macht der "Kultur-Kapitän" Neumann? Er sieht tatenlos zu und hat keine Rettungsboote für die Kultur parat. Eine Kommission zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung unter Ausschluss der Öffentlichkeit bedeutet keine Rettung für die Kulturbetriebe, weil die konkrete Umsetzung zu lange auf sich warten lässt. Bauanleitungen für Rettungsboote kommen aus der Opposition, zum Beispiel von der SPD: So sehr wir den Vorschlag eines Rettungsschirms für die Kommunen auch begrüßen - für die Kultur auf unserem sinkenden Schiff bedeutet der Antrag der SPD ein durchlöchertes Gummiboot. Denn die Formulierung "im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten des Bundes" im Antrag der SPD heißt nichts anderes als: nichts. Denn der Bund hat zur Kulturfinanzierung kaum Möglichkeiten. An der Verfassung scheitert auch der Antrag der Linken. Aber Bauvorschläge für Rettungsboote sind immer noch besser als gar keine Vorschläge; deshalb haben wir uns bei der Abstimmung im Ausschuss für Kultur und Medien zu den Anträgen der SPD und der Linksfraktion enthalten. Mir kommt es so vor, als würde unser "Kultur-Kapitän" Neumann angesichts des drohenden Untergangs unserer Kulturlandschaft in Tatenlosigkeit erstarren. Wir Grünen haben einen realistischen Vorschlag für den Bau eines "Kultur-Rettungsbootes" ohne Löcher: Die Einführung von "Kulturkrediten" über ein besonders zinsgünstiges KfW-Programm. Eine Vergabe von "Kulturkrediten" über die KfW an die Kommunen wäre verfassungskonform, so könnte der Bund trotz des Kooperationsverbots Unterstützung bei der kommunalen Kulturfinanzierung anbieten. Viele Kultureinrichtungen haben keine Zeit mehr, auf einen Sinneswandel der Regierung zu warten. Eine langfristige Neuordnung der Gemeindefinanzierung kommt für viele Kulturinstitutionen und Kulturprojekte einfach zu spät. Unser grüner Vorschlag, "Kulturkredite" über ein KfW-Sonderprogramm anzubieten, wäre eine kurzfristige Übergangslösung. Die KfW hat bereits Bereitschaft zu dessen Umsetzung signalisiert und vorgeschlagen, wie Kulturförderung für die Kommunen innerhalb eines Programms "Zukunftsfähige Infrastruktur" berücksichtigt werden könnte: Erstens hat die KfW die Ausdehnung des Förderprogramms "Energieeffizient Bauen und Sanieren" auf öffentliche Gebäude vorgeschlagen. Dies würde Kultureinrichtungen einschließen. Viele Kultureinrichtungen können sich Sanierung und Instandhaltung ihrer Gebäude nicht leisten und müssen schließen, weil die Räumlichkeiten nicht mehr den Funktionsvorschriften entsprechen. Gerade im Hinblick auf nachkommende Generationen müssen Kultureinrichtungen nachhaltig saniert oder gebaut werden, also im Sinne baubiologischer Kriterien, damit sie auch "nach uns noch halten" - anders als zum Beispiel die Elbphilharmonie das im Moment verspricht. Zweitens würde das Programm der KfW die Einbeziehung von Kultureinrichtungen in eine besonders zinsgünstige Kommunalfinanzierung bedeuten, und zwar für ausgewählte Verwendungszwecke. Drittens könnte unser Vorschlag nach Angaben der KfW auch ein Stadtentwicklungsprogramm zur Eigenkapitalfinanzierung von Stadtentwicklungsprogrammen mit einem Schwerpunkt "Berücksichtigung von Kultureinrichtungen in benachteiligten Städten und Stadtteilen" beinhalten. Leider hat die Koalition unseren Prüfauftrag abgelehnt und somit die Chance vertan, den Kommunen einen attraktiven Vorschlag zur Kulturfinanzierung als Überbrückungsmaßnahme anzubieten. Wie unser "Kultur-Kapitän" und seine Mannschaft grundsätzlich zu Hilfestellungen des Bundes bei der Kulturfinanzierung stehen, beweist auch die Antwort der Regierung auf unsere Frage, welche konkreten Maßnahmen die Regierung beabsichtigt, um in ihrer Existenz bedrohte kommunale Kultureinrichtungen von Bundesseite auch kurzfristig zu unterstützen. Die Regierung antwortete: "Mit einer ... "Ausfallförderung" durch den Bund würden Länder und Kommunen aus ihrer grundsätzlichen Verantwortung für den Kulturbereich entlassen. Dies wäre ein falsches Signal." Diese Aussage ist vergleichbar mit einem Schiffskapitän, der seinen Passagieren weder Rettungsringe noch Rettungsboote anbietet, weil er befürchtet, seine Mannschaft könne dadurch das Schwimmen verlernen. Aber die Wellen des Sparzwangs schlagen zu hoch, als dass eine Vielzahl der Kulturinstitutionen ohne Rettungsmaßnahmen darin überleben könnte. Lieber Herr Neumann, bitte überdenken Sie unseren Prüfauftrag, gehen Sie auf die KfW zu oder leiten Sie andere Maßnahmen ein, um Ländern und Kommunen bei der Kulturfinanzierung unter die Arme zu greifen. Aber bitte: Handeln Sie, bevor es zu spät ist und irreversibler Schaden für unsere Kulturlandschaft entsteht! Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Damit kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 17/2320. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/552. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/789. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und Enthaltung der Fraktionen der SPD und der Linken. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei Vertragsabschlüssen im Internet - Drucksache 17/2409 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Auch hier wurde bereits in der Tagesordnung ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll gegeben werden, und zwar folgender Kolleginnen und Kollegen: Marco Wanderwitz, Lucia Puttrich, Kerstin Tack, Stephan Thomae, Caren Lay und Nicole Maisch. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Manchmal geht es ganz schnell: Ein verlockendes Internetangebot, ein kurzer Klick. Was man tatsächlich angeklickt hat, merkt man erst Monate später, wenn eine Rechnung ins Haus flattert. Was folgt, kann eine monatelange Plage sein, Inkasso-Stalking mit offenem Ende, Kosten von Hunderten Euro oder sogar mehr stehen im Raum. Sogenannte Internetkostenfallen sind ein finanzstarkes Übel. Circa 750 000 Opfer allein im Jahre 2007 in Deutschland. Sämtliche dieser Seiten sind mittlerweile so professionell gestaltet, dass ohne Weiteres nicht erkennbar ist, dass es sich um kostenpflichtige Angebote handelt. Häufig wird mit den Worten "gratis" oder "kostenlos" hervorgehoben geworben. Gerade die Erwartungshaltung der Verbraucherinnen und Verbraucher, das Angebot sei entgeltfrei, wird ausgenutzt. In Teilnahmebedingungen oder in unscheinbar gestalteten Fußnoten findet sich dann aber irgendwo der gut versteckte Hinweis, dass man mit der Anmeldung zu dem Angebot einen langfristigen Vertrag abschließt und der Betrag bereits im Voraus fällig sein soll. Der klassische Fall der Abofalle. Die Antragsteller haben unsere politischen Aktivitäten rund um den Verbraucherschutz in den letzten Jahren selbst aufgezählt: Das Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung, die Unterstützung der Verbraucherzentralen, die entwickelten Softwareprogramme als Schutz vor Abzocke. Bürgerinnen und Bürger werden hier nicht allein gelassen. In unserer Koalitionsvereinbarung haben wir uns als christlich-liberale Koalition auf die Fahnen geschrieben, speziell im Bereich des Internets die erfolgreiche Verbraucherschutzpolitik der letzten Jahre fortzuentwickeln. Unser Ziel ist es, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher mit vertretbarem Aufwand erkennen können, welcher Nutzen und welche Folgen mit einer Kaufentscheidung verbunden sind. Information und Transparenz sind Grundvoraussetzungen für funktionierende Märkte. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner macht sich schon seit einiger Zeit in Europa für die von der nun SPD vorgeschlagene Button-Lösung, eine Schaltfläche, über die der Verbraucher bestätigt, dass er den entsprechenden Kostenhinweis gelesen hat, stark. So würden dem Verbraucher vor Abgabe einer bindenden Vertragserklärung die Kostenfolgen komprimiert und deutlich vor Augen geführt werden. Zudem soll gesondert dokumentiert werden, dass der Verbraucher diesen Hinweis zur Kenntnis genommen hat. Es bedarf einer solchen gesetzlichen Vorgabe, um die Preistransparenz im Internet zu erhöhen. Dass ein Angebot Geld kostet, muss für jedermann erkennbar sein, etwa durch ein solches, deutlich sichtbares Abfragefeld. Wir sind aber der Auffassung, dass zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher im Internet ein europaweites Vorgehen gegen Kostenfallen geboten ist. Genau deshalb hat Ilse Aigner das Thema auch bei den laufenden Verhandlungen zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher thematisiert und in Brüssel einen Formulierungsvorschlag unterbreitet. In Anbetracht des globalen Internets und der ausufernden Internationalität dieser Kostenfallen kann und muss es eine europaweite Harmonisierung dieser Regelungen geben. Im Ausland sitzende Anbieter erreicht man mit einer nationalen gesetzlichen Vorschrift schwer. Allerdings ist unser Interesse an einer europaweiten Regelung in Anbetracht der steigenden Zahlen betrogener Verbraucher endlich. Just in dem Moment, in dem die Verbraucherschutzministerin nun erklärte, eine nationale Regelung im Herbst als Ultima Ratio notfalls im Alleingang durchzusetzen, schwingt sich die SPD nun zum großen Verbraucherschützer auf und schießt schnell einen Regelungsvorschlag raus. Auch wenn sie nun angeblich ausgemachte Tendenzen in Brüssel zum Anlass nimmt, schnell zu einer Regelung kommen zu wollen, unterstützen wir den genannten Zeitplan von Ilse Aigner, sich bis zum Herbst weiter für eine europäische Regelung zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher einzusetzen. Solange letztlich ein solches Gesetz nicht verabschiedet ist, müssen wir unserem Informationsauftrag verstärkt nachkommen: Die grundsätzlich fehlende Einigung über die essentialia negotii - hier: den Preis - verhindert die Wirksamkeit des Vertrages, der unterlassene ausdrückliche Hinweis auf die AGB die Zahlungspflicht. Zudem sind Bestimmungen von AGB unwirksam, wenn sie zu einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners, des Verwenders führen. Den Betroffenen bleibt die Anfechtung wegen Täuschung oder Irrtums oder auch der Widerruf entsprechend des im letzten Jahr in Kraft getretenen Gesetzes zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes. Dies soll nur eine kurze Zusammenfassung einschlägiger Begrifflichkeiten sein, die aufzeigen: Die Mängel dieser Kostenfallen sind offensichtlich, die rechtlichen Abwehrinstrumentarien sind vorhanden. Lucia Puttrich (CDU/CSU): Heute beraten wir den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zu Vertragsabschlüssen im Internet. Abofallen sollen der Vergangenheit angehören. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen künftig deutlich auf das Zustandekommen eines Vertrages und daraus entstehende Kosten hingewiesen werden müssen. Um es vorwegzunehmen, werte Kolleginnen und Kollegen: Dieses Ziel teilen wir. Allerdings wollen wir eine weitreichendere Lösung. Wir wollen, dass die Button-Lösung nicht nur national, sondern EU-weit gilt. Dafür setzen sich Verbraucherschutzministerin Aigner und Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger in den Verhandlungen engagiert ein. Beim Lesen Ihres Gesetzentwurfes zeigt sich Ihr Verbraucherbild, das ernüchternd wirkt. Gestatten Sie mir den Hinweis: Viel trauen Sie den Menschen nicht zu! Wer glaubt, dass Dienstleistungen und Service im Internet meistens kostenlos sind, irrt sich! Auch im Internet müssen diese meistens bezahlt werden. Deshalb gilt auch hier: Preise und Vertragsbedingungen müssen klar erkennbar sein. Transparenz und Information sind oberstes Gebot. Leider gibt es aber immer wieder unseriöse Anbieter, die Verbraucherinnen und Verbraucher auf ihre Seiten locken und einen Vertrag untermogeln. Für uns steht die Verbraucherbildung an erster Stelle. Gerade im Internet muss der Verbraucher kritisch und vorsichtig sein. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen im Internet mit der gleichen Sorgfalt und Genauigkeit Geschäfte tätigen wie auf anderen Wegen. Genauigkeit bei Geschäftsabschlüssen gilt am Bildschirm genauso wie im echten Leben. Es ist auch die Aufgabe der Politik, dieses Bewusstsein zu stärken. In der Tat kommt es allerdings leider immer wieder vor, dass Kunden getäuscht werden. Um dies zu verhindern, muss die sogenannte Button-Lösung realisiert werden. Hier reicht es allerdings nicht, sich allein auf die Button-Lösung zu konzentrieren, um den Verbraucherschutz im Bereich des Onlinehandels zu verbessern. Wir wollen darüber hinaus auch eine Positivbewertung der vorbildlich agierenden Unternehmen in Form eines Siegels. Bereits im April dieses Jahres haben die Verbraucherschützer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion klar Position bezogen. Unser Maßnahmenpaket trägt den Titel "Chancen der digitalen Welt nutzen - Faire Kernprinzipien umsetzen". In kaum einem anderen Bereich stehen Fragen nach Vertrauenswürdigkeit und Seriosität so im Vordergrund wie beim Umgang mit dem Internet. Nicht allein der faire Zugang zum Internet, die Sicherheit von Daten, der Schutz vor Belästigungen und Betrügereien sind Aspekte, die gewährleistet werden müssen. Dazu zählt auch die Sicherheit bei dem Abschluss von Verträgen und Geschäften im Internet. Wir haben einige Schwerpunkte formuliert, die wir in diesem Bereich umsetzen wollen: Allen voran steht die Vermeidung der stark steigenden Zahl der Internetabzocke! Aber auch die Verbesserung des Datenschutzes im Sinne des Verbraucherschutzes muss realisiert werden. Denn Verbraucher sind sowohl Kunden als auch vielfältige Nutzer, zum Beispiel für die Pflege sozialer Kontakte und zur Veröffentlichung von Kommentaren oder Bildern. Dies in der Gesamtheit zu sehen, ist wichtig; denn Vorsicht, Transparenz und Schutz sind bei jeder Aktivität im Internet geboten. Dazu gehört, dass Verbraucher bewusst agieren und die Vorzüge des Internets - Schnelligkeit, grenzüberschreitender Austausch und Informationsfluss - sie nicht zur Leichtsinnigkeit verführen. Hier sind alle, gerade bei Jugendlichen, gefragt: Eltern, Schule und Gesellschaft! Für uns ist klar: Im Zentrum steht der selbstbestimmte Verbraucher. Verbraucher müssen vor Abzocke geschützt werden. Auch die Weiterleitung und Kommerzialisierung privater Daten darf nur mit Zustimmung der betroffenen Personen erfolgen. Bei aller gebotenen Vorsicht möchte ich auch darauf hinweisen, dass sich im Internet nicht allein nur schwarze Schafe tummeln. Es gibt zahlreiche seriöse Anbieter, denen man vertrauen kann. Wir wollen dem Verbraucher helfen, diese leichter zu finden. Deshalb ist es wichtig, Unternehmen, die eine seriöse und kundenfreundliche Strategie im Internet verfolgen, die Möglichkeit zu geben, sich im Wettbewerb positiv hervorzuheben. Wir brauchen eine Art "Online-Engel" als Positivwerbung für verbraucherfreundliche Unternehmen im Netz. Die Kriterien für einen solchen "Online-Engel" müssen sein: Der Einsatz von einfachen, datensparsamen Voreinstellungen, Preistransparenz, faire Allgemeine Geschäftsbedingungen auf einer DIN-A4-Seite und kundenfreundliche Bezahlsysteme. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass der Schutz vor Kostenfallen und Abzocke im Internet durch das sogenannte Button-Verfahren erheblich verbessert werden kann. Der Verbraucher sollte den endgültigen Vertragsabschluss im Onlinehandel nochmals bestätigen müssen, vorher darf kein Vertrag oder Abonnement zustande kommen. Dafür setzen sich die Bundesministerinnen Aigner und Leutheusser-Schnarrenberger schon lange ein. Darüber hinaus stärkt eine breite Informationskampagne des Ministeriums, begleitet von den Informationen der Verbraucherverbände, das Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher, im Bereich des Internets und des Onlinehandels mit Sorgfalt zu entscheiden. Wir wollen einen umfassenden Schutz der Menschen und eine europäische Lösung. Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf ab, da die Verhandlungen auf EU-Ebene derzeit nicht abgeschlossen sind. Die EU-weite Lösung muss angesichts grenzüberschreitenden Onlinehandels weiterhin so energisch verfolgt werden, wie es Bundesministerin Aigner und Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger tun. Sollte es allerdings bis zum Herbst nicht dazu kommen, werden wir selbstverständlich die zweitbeste Lösung, nämlich eine nationale Regelung, vorantreiben. Kerstin Tack (SPD): Worum geht es? Viele Verbraucherinnen und Verbraucher werden immer häufiger Opfer von sogenannten Kostenfallen im Internet. Das Prinzip ist einfach: Über Anzeigen auf Suchmaschinen locken unseriöse Unternehmen Internetnutzerinnen und -nutzer auf ihre Seiten. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher rechnen dort nicht damit, für Dienste oder Software zahlen zu müssen, die es im Internet im Normalfall kostenlos gibt, wie zum Beispiel Kochrezepte. In gutem Glauben geben sie ihren Namen und ihre Adresse für eine vermeintliche Kundenregistrierung an - und haben ein teures Abo oder einen kostenpflichtigen Zugang abgeschlossen. Dabei werden die Verbraucherinnen und Verbraucher mittels unklarer, irreführender Gestaltungsweisen über die Kostenpflichtigkeit getäuscht. Der Hinweis auf die Kosten ist in den AGBs bzw. im Kleingedruckten versteckt oder wird erst sichtbar, wenn der Bildschirm heruntergerollt wird. Im Nachgang erhalten Betroffene dann einschüchternde Drohbriefe der Betreiber, und nicht wenige zahlen aus Angst die haltlosen Forderungen. Laut Verbraucherschützern liegt der Schaden in Deutschland jährlich im mehrstelligen Millionenbereich. Seit Jahren gewinnt der Verbraucherzentrale Bundesverband ein Gerichtsverfahren nach dem anderen gegen unseriöse Onlineanbieter. Allerdings geht danach die Abzocke weiter, denn mit geringer Anpassung starten die Betreiber einfach ein neues Angebot. Bei den Verbraucherzentralen nehmen die Beschwerden der Menschen zu, und dies ist sicher auch der Bundesregierung bekannt, aber gehandelt wird nicht! Frau Aigner prangert die unseriösen Machenschaften zwar an, hat sich bisher aber darauf zurückgezogen, eine Lösung im Rahmen der zurzeit diskutierten europäischen Verbraucherrechterichtlinie herbeizuführen. Diese Richtlinie wird es in naher Zukunft aber noch nicht geben. Jetzt sagt Frau Aigner: "Sollte bis zum Herbst nicht erkennbar sein, dass sich die Button-Lösung auf EU-Ebene durchsetzen wird, werden wir uns um eine nationale Regelung bemühen ...", das heißt, die Verbraucherinnen und Verbraucher werden noch länger allein gelassen. Dabei ist eine Lösung schnell und einfach möglich, und wir legen sie jetzt vor: Mit einer Änderung im Bürgerlichen Gesetzbuch § 312 e, Abs. 1, und durch Einfügen eines Abs. 1 a mit dem Inhalt: "Der auf eine entgeltliche Gegenleistung gerichtete Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr wird nur wirksam, wenn der Verbraucher vor Abgabe seiner Bestellung vom Unternehmer einen Hinweis auf die Entgeltlichkeit und die mit dem Vertrag verbundenen Gesamtkosten in deutlicher, gestaltungstechnisch hervorgehobener Form erhalten und die Kenntnisnahme dieses Hinweises in einer von der Bestellung gesonderten Erklärung bestätigt hat" wird den Verbraucherinnen und Verbrauchern sofort geholfen. Mit dieser sogenannten Button-Lösung kann ein im elektronischen Geschäftsverkehr geschlossener Vertrag nur dann wirksam werden, wenn die Verbraucherin/der Verbraucher vom Unternehmen vorab über die Entgeltlichkeit und die Gesamtkosten des Vertrages informiert wird und dies auch durch einen gesonderten Button bestätigt. Das heißt, vor Abschluss eines Vertrages im Internet wird deutlich aufgezeigt, dass ein Angebot kostenpflichtig ist. Der Kunde muss durch Anklicken einer Schaltfläche, Button, bestätigen, dass er den Kostenhinweis zur Kenntnis genommen hat. Seriöse Onlineanbieterinnen und -anbieter und Internetshops haben ihre Internetauftritte bereits so gestaltet, dass Verbraucherinnen und Verbraucher vor Vertragsschluss über den Inhalt und den Gesamtpreis des elektronischen Warenkorbes informiert werden und zu einer endgültigen Bestellung ein gesonderter Klick notwendig ist. Unseriösen Anbietern kann die neue Regelung das Handwerk legen. Selbst der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien sagt: "Wir brauchen ein verpflichtendes Bestätigungsfeld für alle Vertragsabschlüsse im Internet. Mit dem verpflichtenden Preisangabefenster können wir Internetabzocke minimieren", und die Bundesregierung hat einen mit unserem Vorschlag im Wortlaut identischen Beschluss des Bundesrates zur Einführung einer sogenannten Button-Lösung in die Verhandlungen über die EU-Verbraucherrechte-Richtlinie eingebracht. Ob die Regelung übernommen wird, ist unklar, und, wie bereits gesagt, mit einem Beschluss über die EU-Richtlinie ist in naher Zukunft nicht zu rechnen. Bei den Verhandlungen in Brüssel zeigt sich, dass eine Vollharmonisierung des Verbraucherrechts, das heißt für alle Länder einheitliche Regeln, immer weniger Anhang findet und auch von uns nicht gewollt wird. Die zuständige EU-Kommissarin Reding tritt inzwischen lediglich für eine "gezielte Harmonisierung" ein, die spanische Ratspräsidentschaft hat sich für einen "gemischten Harmonisierungsansatz" ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund ist ein nationales Gesetz gegen die Abzocke im Internet jetzt dringend erforderlich, um die bestehende Regelungslücke zu beseitigen und Verbraucherinnen und Verbraucher zügig vor unseriösen Anbieterinnen und Anbietern zu schützen. In Frankreich besteht eine solche Regelung übrigens schon länger, und eine europäische Lösung kann die Bundesregierung ja auch mit einem eigenen nationalen Gesetz weiterverfolgen Also handeln Sie jetzt, und setzen Sie unseren Gesetzentwurf um! Stephan Thomae (FDP): Der Markt braucht Regeln, und die Marktteilnehmer müssen darauf vertrauen können, dass diese Regeln eingehalten werden und Regelverstöße nicht ohne Folgen bleiben. Zu den wichtigsten Regeln gehört, dass niemand, salopp gesprochen, übers Ohr gehauen wird. In diesen Zusammenhang gehören die sogenannten Kostenfallen im Internet zu den Ärgernissen, bei denen der Gesetzgeber nicht einfach zuschauen darf. Der Vorschlag der SPD-Fraktion greift die Verhandlungsposition der deutschen Delegation bei den Verhandlungen über eine europäische Verbraucherrechte-Richtlinie auf. Der Antrag der SPD bevorzugt eine nationale Lösung mit dem Argument, dass eine europäische Lösung nicht zu erreichen und in Deutschland eine Regelungslücke zu beseitigen sei. Eine rein nationale Lösung löst aber das Problem nicht. Jedermann weiß, wie leicht ein Anbieter mit unredlichen Absichten bei Geschäften im Internet sein Geschäftsmodell mit Kostenfallen vom Ausland aus betreiben kann. Die Bundesregierung befindet sich daher auf dem richtigen Weg, wenn sie eine europäische Lösung anstrebt. Die Befürchtungen der SPD, dass es zu einer europäischen Regelung nicht kommen werde, möchte ich gerne zerstreuen: Die Chancen, dass es zu einer Regelung für die binnenmarktrelevanten Fernabsatzgeschäfte kommen wird, stehen keineswegs so schlecht. Das Problem besteht selbstverständlich nicht nur in Deutschland, sodass auch die anderen Mitgliedstaaten der EU ein vitales Interesse daran haben, eine gemeinsame Regelung zu schaffen. Der Entwurf der SPD-Fraktion ist von daher voreilig und könnte dazu führen, dass ein nationales Gesetz schon bald wieder geändert und an eine europäische Richtlinie angepasst werden muss. Das sollten wir vermeiden. Im Übrigen darf ein derartiger nationaler Alleingang ohnehin nicht gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen. Es müsste also eine frühzeitige Rücksprache mit der Europäischen Kommission gehalten und ein entsprechender nationaler Gesetzentwurf gegenüber der Kommission notifiziert werden. Anschließend müsste eine Stillhaltefrist von 3 bis 18 Monaten eingehalten werden, innerhalb derer die Kommission reagieren kann. Im Hinblick auf eine mögliche Regelungslücke im deutschen Recht kann ich dem Antrag der SPD, der durchaus in die richtige Richtung zielt, nicht ganz folgen. Die Begründung des Antrags der SPD lässt vermuten, dass Verträge aus Internetkostenfallen immer wirksam zustande kommen würden und Verbraucher nur dann geschützt wären, wenn sie gegen solche vermeintlichen Verträge rechtzeitig Widerspruch einlegen würden. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Es ist bereits nach aktueller Rechtslage so, dass Verträge nur dann wirksam zustande kommen, wenn beide Parteien übereinstimmende Willenserklärungen abgeben. Dazu gehört auch, dass beide Parteien sich vorher über die essentialia negotii, die wesentlichen Vertragsmerkmale, einig geworden sind. Zu diesen gehören auch die mit dem Vertrag verbundenen Kosten. Ein Vertrag kann demnach nicht wirksam durch einen Mausklick zustande kommen, wenn der Verbraucher bis zu diesem Mausklick nicht auf mögliche Kosten hingewiesen wurde. Wir Liberale fordern zur Lösung des hier zu erörternden Problems, dass sich auf den Internetseiten der Unternehmen ein separates Fenster öffnen muss, bevor es zu einem eventuellen Vertragsschluss im Internet kommen kann. Nur so kann der dadurch verfolgte Zweck, den Verbraucher vor überraschenden Vertragsabschlüssen zu schützen, gewährleistet werden. Dieses Ziel geht aus der von der SPD vorgeschlagenen Formulierung nicht eindeutig genug hervor. Der Antrag spricht von einem deutlichen, in gestaltungstechnisch hervorgehobener Form erteilten Hinweis auf die Entgeltlichkeit und die Gesamtkosten eines möglichen Vertrages. Dieser Wortlaut würde Unternehmern die Umgehung der von uns geforderten Form des Hinweises ermöglichen. Der Vorschlag der SPD, wenn auch inhaltlich diskussionswürdig, ist deshalb einesteils voreilig, anderenteils inhaltlich noch nicht in allen Punkten bis zu Ende gedacht. Caren Lay (DIE LINKE): Abofallen im Internet sind kein neues Phänomen. Seit Jahren verdienen skrupellose Abzocker Geld mit Kostenfallen im Internet, siehe: http://www.computer betrug.de/abzocke-im-internet/ Versteckte Kosten und arglistige Täuschung sind nach geltendem Recht eigentlich verboten. Doch die Geschäftemacher sind findig und die Masche funktioniert: Die Täter stellen Internetseiten online, auf denen sie attraktive und scheinbar kostenlose Dienste wie Hausaufgabenhilfen, Kochrezepte oder Software anbieten. Um die Dienste nutzen zu können, müsse man sich lediglich anmelden und die AGBs akzeptieren. Die böse Überraschung für Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich arglos auf solchen Seiten anmelden, folgt auf dem Fuß; denn wenig später erhalten sie eine Mail mit einer Rechnung. Durch das Eintragen seiner Daten habe man angeblich einen kostenpflichtigen Vertrag geschlossen, heißt es darin. Wer nicht sofort bezahlt, wird von den Abzockern und ihren Helfershelfern massiv unter Druck gesetzt. Mahnungen, Drohbriefe und sogar Anrufe sollen dazu führen, dass zumindest ein gewisser Prozentsatz der Abgezockten die ungerechtfertigten Forderungen bezahlt. Übler wird es, wenn die beauftragten Inkassounternehmen scheinbar amtliche Zahlungsaufforderungen schicken. Nicht wenige zahlen aus Angst die haltlosen Forderungen der windigen Unternehmen. Die Bundesregierung sieht diesem üblen Treiben untätig zu. CDU/CSU und FDP haben dazu bisher gar nichts anzubieten. Aber auch die schwarz-rote Vorgängerregierung hat Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Abzocke im Internet im Regen stehen lassen. In der Debatte um unerwünschte Telefonanrufe in der letzten Legislaturperiode haben die Linke und Verbraucherverbände immer wieder darauf hingewiesen, dass Abofallen ein drängendes Problem sind. Es gab konkrete Lösungsvorschläge. Aber das SPD-geführte Justizministerium hat das alles in den Wind geschlagen und auf kleine Verbesserungen im Widerrufsrecht gesetzt. Heute zeigt sich, dass diese Regelung weit an der Realität und an den skrupellosen Methoden der Betrüger vorbeigeht. Das Internet ist ein internationaler Raum. Wir wissen alle, dass deshalb manche Probleme mit nationaler Gesetzgebung schwer in den Griff zu bekommen sind. Interessanterweise tritt die Masche mit den angeblichen kostenlosen Downloads und Kochrezepten aber vor allem in Deutschland auf. Das deutet doch stark auf eine national begrenzte rechtliche Grauzone hin. Es macht also gar keinen Sinn, dass die Bundesregierung auf die EU-Richtlinie über die Rechte der Verbraucher wartet und bis dahin nichts unternimmt. Denn es ist ja schon absehbar, dass die Richtlinie nationale Spielräume offen lassen wird. Die Bundesregierung kann und muss deshalb umgehend auf nationaler Ebene Regelungen zum Schutz der Internetnutzerinnen und -nutzer vor unseriösen Angeboten treffen. Seit Jahren gewinnt der Verbraucherzentrale Bundesverband ein Verfahren nach dem anderen gegen unseriöse Onlineanbieter. Trotzdem nimmt die Abzocke im Internet weiter zu. Mit kleinen Veränderungen starten die Betreiber solcher Seiten einfach ein neues Angebot - Gerichtsurteil hin oder her. Strafen fallen ja nicht an und Schadenersatz für die geschädigten Verbraucherinnen und Verbraucher müsste individuell zivilrechtlich eingeklagt werden. Die Erfahrung zeigt, dass das so gut wie niemand macht. Und so summieren sich die Gewinne der Internetbetrüger, der beteiligten Inkassounternehmen und Rechtsanwälte immer weiter. Die Linke fordert deshalb: Erstens. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen über ein gut sichtbares Feld auf der Internetseite über den Preis eines Angebots informiert werden. Der Button dazu muss immer separat bestätigen werden. Das ist in Frankreich so üblich. Kostenfallen sind dort daher kein Thema. Zweitens. Internetnutzer sollen den Vertrag kündigen und Schadenersatz verlangen können, wenn ihnen unwissentlich ein Abonnement untergeschoben wurde. Drittens. Die Linke fordert darüber hinaus wirksame Strafen gegen Aboabzocke im Internet. Außerdem sollten unrechtmäßige Gewinne der Firmen eingezogen werden. Das Internet bietet viele Möglichkeiten - politisch, sozial und auch ökonomisch. Hier können sich viele Menschen einbringen, im Guten wie im Schlechten. Es ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker, die Freiheit im Netz zu bewahren. Gleichzeitig liegt es in unserer Verantwortung, Verbraucherinnen und Verbraucher vor Abzocke und Betrug zu schützen. Es ist deshalb dringend an der Zeit, auch im Internet Abofallen und untergeschobenen Verträgen einen Riegel vorzuschieben. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute beraten wir einen Gesetzesentwurf zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei Vertragsabschlüssen im Internet. Wenn die Bundesregierung den Verbraucherschutz ernst nehmen würde, hätte der Entwurf eigentlich aus ihrer Feder stammen müssen und nicht aus den Reihen der Opposition. Es geht um die sogenannte Button-Lösung für Vertragsabschlüsse im Internet. Danach wären im Internet geschlossene Verträge nur dann wirksam, wenn der Verbraucher einen grafisch hervorgehobenen Hinweis auf den Preis erhält und diesen zur Vertragsbestätigung "aktiv" anklicken muss. Dies wurde auch von uns Grünen immer wieder gefordert. Internetabzocke ist kein neues Thema. Erkundigen Sie sich bei den Verbraucherzentralen in Ihren Wahlkreisen, die können Ihnen ein Lied davon singen, wie viele Verbraucher sich regelmäßig bei ihnen melden, weil sie auf Abofallen im Internet reingefallen sind. Daher fordern wir Grüne schon seit langem eine Pflicht zur Bestätigung von Verträgen im Internet. Leider wurde unser Vorschlag zu Zeiten der Großen Koalition weder von der SPD noch von der CDU/CSU unterstützt. Zwar stand die Button-Lösung schon in der letzten Legislatur auf der Agenda der Union, aber sie scheiterte an ihrem eigenen Wirtschaftsflügel. Hier hat offensichtlich mal wieder die Lobbyarbeit diverser Unternehmen über den gesunden Menschenverstand und vor allem über den Verbraucherschutz triumphiert. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung heißt es: "Wir brauchen ein verpflichtendes Bestätigungsfeld für alle Vertragsabschlüsse im Internet. Mit dem verpflichtenden Preisangabefenster können wir Internetabzocke minimieren." Und auch aus dem Verbraucherministerium hören wir, dass Ilse Aigner den Abofallen und Abzockseiten im Internet den Kampf angesagt hat. "Sollte bis zum Herbst nicht erkennbar sein, dass sich die Button-Lösung auf EU-Ebene durchsetzen wird, werden wir uns um eine nationale Regelung bemühen", sagte sie jüngst dem "Tagesspiegel". Aber aus der Vergangenheit wissen wir: In der Regel bleibt es bei bloßen Ankündigungen der Verbraucherministerin, und die Verbraucher werden bis zum Sankt Nimmerleinstag vertröstet. Ob beim Thema kostenlose Warteschleifen bei Servicerufnummern, beim Verbot von Giften in Kinderspielzeugen oder bei längst überfälligen Verbraucherschutzmaßnahmen auf dem Finanzmarkt: Die Ministerin macht vollmundige Versprechen in den Medien, aber setzt nichts um, sondern wartet lieber auf die oft genug unzureichenden Vorgaben aus Brüssel. Bedauerlich für die Verbraucher. Im Kampf gegen die Abzocke im Internet hätte die Verbraucherministerin schon längst eine nationale Button-Lösung auf den Weg bringen müssen. Jetzt hängt es auch von Brüssel ab. Denn hier stehen derzeit die Verhandlungen zur EU-Richtlinie über die Rechte der Verbraucher an. Wir hoffen, dass der verbraucherpolitische Verstand in Brüssel siegt und es zu keiner Vollharmonisierung kommt, damit die Button-Lösung nicht generell vom Tisch ist. Dafür muss Ilse Aigner auf EU-Ebene kämpfen. Denn nur eine gezielte Teilharmonisierung kann die bewährten Verbraucherschutzstandards in Deutschland sicherstellen und lässt Spielraum für nationale Regelungen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/2409 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Befugnis des Bundeskriminalamtes zur Online-Durchsuchung aufheben - Drucksache 17/2423 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss In der Tagesordnung wurde bereits ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll gegeben werden, und zwar sind das die folgenden Kollegen: Armin Schuster, Frank Hofmann, Jimmy Schulz, Jan Korte und Wolfgang Wieland. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ich zitiere aus dem Kapitel Islamismus/Islamistischer Terrorismus des Verfassungsschutzberichts 2009: "Deutschland liegt weiterhin im Fokus islamistisch-terroristischer Gruppierungen. Die Internetpropaganda ausländischer jihadistischer Gruppierungen weist zunehmend Deutschlandbezüge auf." Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist also nach wie vor hoch und real - auch wenn die Täter in den letzten Jahren glücklicherweise über Anschlagsplanungen in Deutschland nicht hinauskamen. Um dieser Bedrohung zu begegnen, haben wir 2008 das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt beschlossen und damit die Möglichkeiten des BKA bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus deutlich verbessert. Die Entscheidung, dem BKA diese zentrale Kompetenz auf Bundesebene zuzuordnen, geht übrigens auf die Föderalismusreform zurück. Im BKA-Gesetz wurde in diesem Zusammenhang eine Reihe von Befugnissen zur Gefahrenabwehr festgeschrieben. Die meisten davon sind übrigens in den Polizeigesetzen der Länder schon seit Jahrzehnten verankert. Eine dieser Befugnisse ist der verdeckte Eingriff in informationstechnische Systeme nach § 20 k BKA-G, die sogenannte Onlinedurchsuchung. Sie ist in der Tat neu und war zuvor nur im Verfassungsschutzgesetz NRW aufgeführt. Die Regelung zur Onlinedurchsuchung in NRW wurde vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 27. Februar 2008 gekippt. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung aber gleichzeitig klare Leitlinien und Vorgaben für die Einführung einer Onlinedurchsuchung gegeben. Genau an diesen Vorgaben hat sich die schwarz-rote Koalition in der letzten Legislaturperiode orientiert - und zwar strikt. Die Onlinedurchsuchung ist rechtlich als Ultima Ratio ausgestaltet, also mit besonders hoch angesetzten Anwendungsvoraussetzungen versehen. Der vorliegende Antrag der Linken zu diesem komplexen Thema ist inhaltlich leider nicht einmal dünne Suppe. Auf eineinhalb Seiten äußern Sie in altbekannter Weise Bedenken und schüren Ängste vor einem übergreifenden Staat, angesichts Ihrer ansonsten unkritischen Haltung gegenüber der Staatssicherheit der DDR ein ausgesprochen interessantes, wenn nicht sogar bemerkenswertes Verhalten. Aber selbst Ihrem Antrag kann man durchaus etwas Positives abgewinnen. Da Sie gegen die aktuelle Gesetzeslage keine stichhaltigen rechtlichen Argumente gefunden haben, beschäftigt sich Ihr Antrag sinnloser Weise zur Hälfte ausschließlich mit der Rechtslage vor der BKA-Gesetzesnovelle. Ich werte diesen hilflosen Akt gerne als Anerkenntnis von Ihnen, dass das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt genau und sehr restriktiv regelt, unter welchen Bedingungen eine Onlinedurchsuchung stattfinden darf, so restriktiv, dass dieses Instrument bisher nicht zur Anwendung kommen musste, und auch so restriktiv, dass Sie keine Argumente gegen dieses Gesetz, sondern nur gegen die Rechtslage vor dieser Zeit gefunden haben. Die Tatsache, dass es bisher keine Onlinedurchsuchung gab, zeigt aber auch, dass sich die von der Opposition und besonders der Linken heraufbeschworenen Horrorszenarien, wie von uns vorausgesagt, in keiner Weise bewahrheitet haben. So führte Frau Jelpke in der Debatte zur zweiten und dritten Lesung des BKA-Gesetzes aus, dieses Gesetz atme den Geist des Obrigkeitsstaats, "eines Staates, der einen allmächtigen, alles wissenden Polizei- und Geheimdienstapparat anstrebt, also ein deutsches FBI". Bei der ersten Lesung prophezeite sie, dass nicht nur Terroristen von Onlinedurchsuchungen betroffen werden, sondern - ich zitiere - "wir alle, sämtliche Einwohnerinnen und Einwohner dieses Landes". Von der Vorhersage, diese Maßnahmen würden nur höchst selten ergriffen, ließ sich Frau Jelpke nicht überzeugen, Zitat: "Die Erfahrung zeigt, dass die Ermittlungsbehörden ihre Rechte eher überplanmäßig ausschöpfen." Eine denkwürdige, wenn auch völlig falsche Prognose. An welchen Staat Sie bei derartigen falschen Prognosen gedacht haben, ist uns allen klar. Nicht klar ist uns, wann Sie auch gedanklich im Jahr 2010 in unserer Bundesrepublik Deutschland ankommen werden. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2009 hat es insgesamt sechs Fälle terroristischer Bedrohung gegeben, in denen die Zuständigkeit des BKA begründet war. Diese Fälle boten jedoch keinen hinreichend geeigneten Ansatzpunkt für die Durchführung einer Onlinedurchsuchung. Die Tatsache, dass sich ein solcher Einsatzfall bislang nicht ergeben hat, ändert nichts daran, dass die Norm angesichts der latenten Bedrohungslage gleichwohl erforderlich werden kann. Und dann wird sie einen maßgeblichen Beitrag zur erfolgreichen Bewältigung einer brisanten Gefahrenlage leisten. Anstatt zu fordern, dass wir dieses wichtige Instrument wieder abschaffen, sollten Sie anerkennen, dass die hervorragende Arbeit unserer Sicherheitsbehörden dazu beiträgt, dass diese Instrumente auch tatsächlich nur in Ultima-Ratio-Fällen zum Einsatz kommen. Und wir dürfen auch von Glück sagen, dass wir bisher nicht in eine Situation gekommen sind, in der eine Onlinedurchsuchung notwendig war. Das Instrument der Onlinedurchsuchung ist auch weiterhin unverzichtbar. Gerade beim internationalen Terrorismus beobachten wir zunehmend, dass sich Personen modernster Technologien bedienen, um nicht entdeckt zu werden. Ziel muss es sein, auf Daten, die etwa zur Vorbereitung von Anschlägen auf privaten Rechnern und Servern gespeichert sind, zugreifen zu können. Dies ist notwendig, weil sich die Kommunikation von Terrorverdächtigen und Terrornetzwerken in den letzten Jahren verändert hat. Die Datenmengen steigen, der mobile Internetzugang ist Normalität und immer häufiger werden Informationen verschlüsselt verschickt. Mit der Onlinedurchsuchung ist es zum Beispiel möglich, auf derartige Daten zuzugreifen, bevor sie verschlüsselt und verschickt werden. Es wäre daher schlichtweg unverantwortlich, dem BKA bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus diese Spezialbefugnis zu nehmen. Wie sich die Onlinedurchsuchung in der Praxis bewährt, ist Gegenstand der gesetzlich vorgeschriebenen Evaluierung. Danach werden wir gegebenenfalls über möglichen Änderungsbedarf beim BKA-Gesetz sprechen. Unhaltbare Misstrauensbekundungen oder voreilige Schlüsse sind deshalb jetzt nicht angebracht. Daher lehnen wir den Antrag der Linken natürlich ab. Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Der Antrag der Linken ist wirklich eine Zumutung. Eine überflüssige Mischung aus "copy and paste" und Ahnungslosigkeit. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Frage nach der Erforderlichkeit der Onlinedurchsuchung ist richtig und wichtig. Es ist die regelmäßige Aufgabe des Gesetzgebers, im Rahmen seiner fortwährenden Gesetzesbindung die Wirksamkeit bzw. Notwendigkeit bestimmter Rechtsinstrumente zu kontrollieren. Gerade deshalb hat die SPD erfolgreich für die Evaluierung und Befristung der neuen Maßnahmen im BKA-Gesetz, insbesondere der Onlinedurchsuchung, gekämpft und diese auch durchgesetzt. Damit haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass der Gesetzgeber auf aktuelle Entwicklungen reagieren und überprüfen kann, ob Änderungsbedarf vorliegt. Ich selber habe die Information der Bundesregierung, dass seit Inkrafttreten des BKA-Gesetzes keine Onlinedurchsuchung durchgeführt wurde, zum Anlass genommen, nochmals über die Erforderlichkeit dieser Maßnahme nachzudenken. Die Schlussfolgerung, die die Linke aus dieser Tatsache zieht, ist jedoch einfach absurd, sodass ich an der Ernsthaftigkeit zweifeln muss. Die Tatsache, dass keine Onlinedurchsuchung durchgeführt wurde, zeigt, dass sehr sparsam und verantwortungsbewusst mit diesem Instrument umgegangen wird. Sie soll nur dann eingesetzt werden, wenn andere Mittel der Ermittlungsmöglichkeiten des BKA nicht ausreichen, um zum Beispiel Attentatspläne von Terroristen offenzulegen und die Hintermänner zu identifizieren. Onlinedurchsuchungen werden auch nicht flächendeckend durchgeführt. Das BKA ging damals von bundesweit fünf bis zehn Maßnahmen pro Jahr aus. Umso besser ist es, wenn es bis jetzt nicht notwendig war, auf dieses Ermittlungsinstrument zurückzugreifen. Die Onlinedurchsuchung soll schließlich letztes Mittel sein und nicht ein Allerweltsinstrument. Hier zeigt sich auch, dass das Bundeskriminalamt besonderes sensibel ist, wenn es um schwerwiegende Grundrechtseingriffe geht. Die bisherige Arbeit des BKA im repressiven Bereich bestätigt diesen Befund. In den letzten zehn Jahren hat das BKA ganze zwei Rasterfahndungen durchgeführt. Von 2001 bis zum zweiten Quartal 2007 gab es nur sieben Wohnraumüberwachungen, also im Schnitt eine Wohnraumüberwachung pro Jahr. Daraus jedoch auf die Überflüssigkeit der Maßnahme zu schließen, ist absurd. Die Bedrohungslage in Deutschland durch den internationalen Terrorismus besteht nach wie vor auf hohem Niveau. Entscheidendes Kriterium kann daher nicht sein, dass bisher keine Onlinedurchsuchung durchgeführt wurde, sondern dass man aufgrund der Bedrohungslage eine derartige Maßnahme bereithalten muss. Die Bezugnahme der Linken auf das Urteil des Bundesgerichtshofs, das "verdeckte Onlinedurchsuchung" mangels einer besonderen Ermächtigungsgrundlage als unzulässig ansieht, geht völlig an der Sache vorbei. Gerade wegen dieses Urteils haben wir damals die Durchführung von Onlinedurchsuchungen gestoppt und auf die Schaffung einer spezifischen Ermächtigungsgrundlage gedrungen. Die Ermächtigungsgrundlage steht deshalb nun im BKA-Gesetz und entspricht den hohen Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Gerade die SPD hat damals mit großem Aufwand eine rechtsstaatliche einwandfreie Regelung gegenüber der Union durchgesetzt. Es gibt keinen Grund, jetzt davon abzuweichen. Jimmy Schulz (FDP): In der Bekämpfung des Terrorismus ist es äußerst wichtig, dass unsere Grundrechte niemals untergraben werden. Andernfalls ist der Kampf bereits durch eigenes Tun verloren. Das Bundeskriminalamtgesetz, das Ende 2008 verabschiedet wurde, hat dem Bundeskriminalamt erhebliche und nie dagewesene Kompetenzen zur Terrorabwehr eingeräumt, inklusive des verdeckten staatlichen Zugriffs auf fremde informationstechnische Systeme über Kommunikationsnetze: die Onlinedurchsuchung. Bekanntermaßen ist die FDP überaus skeptisch auf diesem Gebiet; denn wie von dem ehemaligen FDP-Bundesinnenminister Baum erwähnt, besteht die Gefahr einer schleichenden Erosion der Grundrechte. Tatsächlich bestehen bei der Onlinedurchsuchung aus unserer Sicht erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Insbesondere bei dieser Maßnahme wird der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in unerträglicher Weise eingeschränkt. Unsere Beschwerden zur Änderung des BKA-Gesetzes und insbesondere gegen die Onlinedurchsuchung haben wir bereits in unserem Entschließungsantrag, Drucksache 16/10851, in der letzten Wahlperiode erwähnt, und wir haben die Onlinedurchsuchung sehr deutlich abgelehnt. In der letzten Wahlperiode war aber eine Mehrheit der Mitglieder des Bundestags für diese Praxis, und zur Demokratie gehört es auch, Mehrheitsentscheidungen des Bundestages zu respektieren. Die Bürgerrechte liegen uns sehr am Herzen, deswegen war es uns wichtig, die Reform dieser Befugnisse für das BKA im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Das haben wir getan. Es ist vereinbart, Regelungen zu treffen, die den Schutz des Kernbereichs privater Gestaltung optimieren und das Maß an Grundrechtsschutz durch Verfahren zu erhöhen. Daher werden wir auf Grundlage der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung das BKA-Gesetz daraufhin überprüfen, ob und inwieweit der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu verbessern ist. Die drängende Forderung der Linken, jetzt die Befugnisse des Bundeskriminalamtes zur Onlinedurchsuchung aufzuheben, ist momentan allerdings nicht notwendig. Denn es hat bis heute, und dies ist der Linken auch voll bewusst, noch keine Onlinedurchsuchungen gegeben. Dies wurde in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage am 21. Mai 2010 bestätigt. Wir sind sehr froh, dass bis jetzt keine Verstöße gegen unsere Grundrechte durch diese Maßnahme stattgefunden haben, und wir werden, zusammen mit der Union, den Kernbereichsschutz im Bundeskriminalamtgesetz verbessern und die verfahrensrechtlichen Absicherungen erhöhen. Auf diese Weise werden wir sicherstellen, dass die Grundrechte unserer Bürger auch in Zukunft in keiner Weise untergraben werden. Weiterhin ist wichtig, zu bemerken, dass Ärzte und Journalisten, insbesondere aber Rechtsanwälte, unter ihnen Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, Verfassungsbeschwerde gegen das BKA-Gesetz und gegen die heimliche Ausspähung von Computern eingereicht haben. Wir warten noch auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Sollte das Bundesverfassungsgericht entscheiden, dass die Onlinedurchsuchung nicht verfassungskonform ist, dann müssten natürlich Konsequenzen gezogen werden. Dann wäre eine Abschaffung der Onlinedurchsuchung konsequent. Der Antrag der Linken zur Aufhebung der Befugnis des Bundeskriminalamtes zur Onlinedurchsuchung hat durchaus unsere Sympathie, aber wir können ihn nicht unterstützen. Eine Mehrheit im Bundestag hat sich für die Onlinedurchsuchung entschieden. Das müssen wir momentan akzeptieren. Wenn das Bundesverfassungsgericht deutlich in eine andere Richtung weist, müssen Konsequenzen gezogen werden. Sicher ist aber, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben: Wir werden die Befugnisse des BKA sehr kritisch beobachten und evaluieren. Mit der FDP in der Regierung werden die Bürgerrechte nicht hintenangestellt. Jan Korte (DIE LINKE): Die Onlinedurchsuchung, einst als wichtiges und unerlässliches Instrument im Kampf gegen den internationalen Terrorismus gepriesen, ist schlicht überflüssig. Zu diesem Ergebnis muss jeder kommen, der sich ernsthaft mit der Entstehung und Entwicklung dieser Maßnahme beschäftigt hat. Spätestens die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage unserer Fraktion zur "Bilanz der Online-Durchsuchung" vom 21. Mai dieses Jahres verdeutlicht überaus anschaulich den kompletten Unsinn dieses Instruments. Die von der Bundesregierung vorgelegten Zahlen sprechen für sich, und ich wiederhole sie hier an dieser Stelle deshalb ganz besonders gerne, vor allem für all diejenigen, die sich weiter und scheinbar unerschütterlich als Apologeten der Onlinedurchsuchung outen. Vielleicht können Argumente etwas bewirken. Als Linker gibt man ja die Hoffnung nie auf. Was also hat die Bundesregierung auf die Kleine Anfrage geantwortet? Folgendes: Zwar wurden in den vergangenen anderthalb Jahren rund 700 000 Euro investiert, um Onlinedurchsuchungen überhaupt durchführen zu können. Aber das entpuppte sich als glatte Fehlinvestition; denn bis Mitte Mai hatte das Bundeskriminalamt keine einzige Onlinedurchsuchung angeordnet. Ich wiederhole: keine einzige! Einstmals als Wunderwaffe entwickelt und in einem Klima der Verunsicherung vorschnell an den Start gebracht, konnte die Onlinedurchsuchung ihre angebliche sicherheitspräventive Wirkung bis heute nie entwickeln. Stattdessen hat sie eine komplette Bruchlandung hingelegt. Von angeblichen Sicherheitslücken, die durch diese Maßnahme geschlossen werden sollten, ist schon längst keine Rede mehr. Dennoch wird stumpf an der Onlinedurchsuchung festgehalten. Die von der Bundesregierung vorgelegten Zahlen zeigen überdeutlich die Sinnlosigkeit der Onlinedurchsuchung. Das Argumentieren dafür ist unseriös. Auch deshalb sollte sie ebenso schnell wieder aus dem BKA-Gesetz verschwinden, wie sie darin gelandet ist. Die fadenscheinige Ausrede, es handele sich bei der Onlinedurchsuchung um eine sogenannte Ultima-Ratio-Maßnahme, verschleiert nur den wahren Kern und eigentlichen Sinn der Onlinedurchsuchung: Menschen werden auf Datensätze reduziert, über die sie selbst keine Kontrolle mehr haben. Das ist nicht nur ein weiterer Baustein in dem dichter werdenden Mosaik Deutschlands auf dem Weg zu einer Totalüberwachung, sondern zudem verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Es gibt mittlerweile nichts mehr, was nicht gespeichert werden kann! Längst werden auch hochsensible, personenbezogene Daten von Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes erfasst, die sich nichts zuschulden kommen ließen. Sie sind nicht einmal bei Rot über die Ampel gegangen. Speicherlimits gibt es ebenfalls nicht mehr. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird sowohl durch die Onlinedurchsuchung als auch durch andere datenpolitische Maßnahmen der letzten Jahre Schritt für Schritt ausgehebelt. In der Konsequenz bedeutet das nichts anderes als das Verschwinden der Privatheit - ein schlimmes Szenario! Die Onlinedurchsuchung fügt sich also gut ein in die unendlich lange Liste von Maßnahmen, die - in einen Deckmantel der Kriminalitätsbekämpfung gewandet - immer öfter und vor allem schamloser daherkommen. Erst wurde die Vorratsdatenspeicherung eingeführt, dann Pässe und Personalausweise mit biometrischen Merkmalen versehen, dann kamen ELENA und andere Gesetze hinzu. Als neueste Errungenschaft in dieser Reihe des datenschutzpolitischen Horrors wurde heute im Europäischen Parlament das SWIFT-Abkommen verabschiedet. So unterschiedlich diese Gesetzesinitiativen auch sind, gemein ist ihnen vor allem eines: In Sachen Datensammelei werden in diesem Land kaum noch Grenzen gesetzt. Die ohnehin prekäre Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ist aus dem Lot geraten und wurde langsam, aber stetig einseitig in Richtung Sicherheit ausgependelt. "Wir müssen uns wehren gegen die schleichende Erosion unserer Grundrechte und gegen unsere Entmündigung", hat der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum in einem Artikel für die "Stuttgarter Zeitung" am letzten Montag in Sachen Datenschutz formuliert. Er hat recht damit. Denn Datenschutz ist und bleibt ein elementares Grundrecht. Es muss jedoch, wie andere Grundrechte auch, immer wieder aufs Neue verteidigt werden! Wer sich dieser Meinung anschließen kann, dem wird also nichts anderes übrig bleiben, als unserem Antrag "Befugnis des Bundeskriminalamtes zur Onlinedurchsuchung aufheben" zuzustimmen. Von der CDU/CSU erwarte ich zugegebenermaßen nicht mehr sonderlich viel in Sachen Datenschutz oder zumindest nichts Gutes; von der FDP leider immer weniger. Dennoch böte die Zustimmung zu unserem Antrag eine gute Brücke, um endlich wieder auf den Pfad des Datenschutzes und der Sicherung von Bürger- und Grundrechten zurückzukommen. Der Weg lohnt sich. Auch deshalb appelliere ich hier nachdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen von SPD und FDP, uns bei unserem Anliegen, die Onlinedurchsuchung aufzuheben, die Zustimmung nicht zu verweigern. Das kann Ihnen bei den hier dargelegten Zahlen und Fakten sowie Argumenten doch eigentlich gar nicht so schwerfallen. Zu Jahresbeginn hatte Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger eine Überprüfung der Sicherheitsgesetze auf ihre Notwendigkeit angekündigt. Daraus ist bislang nichts geworden. Genauso fehlt nach wie vor jegliche Überprüfung der Sicherheitsgesetze auf ihre Verhältnismäßigkeit und auf Bürgerrechtskonformität. Die Linke erneuert daher ihre alte Forderung nach einem sofortigen Moratorium für Sicherheitsgesetze und eine umfassende unabhängige Überprüfung der vorhandenen Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit Bürger- und Freiheitsrechten. Wir wollen aber nicht wieder bis zum Sankt-Nimmerleinstag warten müssen. Zur fehlenden Notwendigkeit und der Unverhältnismäßigkeit der Onlinedurchsuchung ist eigentlich alles gesagt. Unser Antrag ist die logische Konsequenz. Die massiven Eingriffsbefugnisse von staatlichen Institutionen in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger müssen zurückgefahren werden. Die Ablehnung der Onlinedurchsuchung ist dafür ein erster wichtiger Schritt, für die ich um Ihre Unterstützung bitte. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorweg sei gesagt: hier geht es um die Aufhebung bzw. Änderung von zwei Paragrafen eines Gesetzes. Da wäre es doch schöner, wenn der Bundestag - beziehungsweise hier die antragstellende Linksfraktion - als Gesetzgeber sich den entsprechend kurzen Gesetzentwurf selbst zutraute und nicht die Bundesregierung aufforderte, entsprechend tätig zu werden. Bei diesem Vorhaben ist die Komplexität doch wohl noch überschaubar. Zur Sache: Die Onlinedurchsuchung ist überflüssig und richtet bürgerrechtlichen Flurschaden an. Sie hat im BKA-Gesetz nichts zu suchen. Wir haben das immer gesagt, und wir bleiben dabei. Die FDP wird jetzt wieder hektisch rufen "Ihr wart es doch, angefangen hat es mit Otto Schily!". Mit der zweiten Aussage hat sie recht, der ehemalige Bundesinnenminister hat den Geheimdiensten ohne gesetzliche Grundlage diese Maßnahme gestattet. Und er hat dafür das bekommen, was er sich verdiente, nämlich eine gerichtliche Abfuhr und politischen Widerstand, auch von uns und wahrlich nicht nur von uns. Gesetz geworden ist die Onlinedurchsuchung nur dort, wo die FDP mitentscheiden konnte - in Bayern, in NRW - und nun mitentscheiden kann: eben im Bund. Ich kann im Koalitionsvertrag nicht erkennen, dass diese Befugnis des BKA wieder abgeschafft werden soll. So hörte man die FDP noch im Wahlkampf. Aber als im November 2009 der Bundesinnenminister dem BKA unter großem Beifall zusagte, dass sich am BKA-Gesetz nichts Wesentliches ändern werde, habe ich von der FDP keinen Widerspruch gehört. Die Zeiten als Bürgerrechtspartei sind offenbar vorbei. Die wirklich liberalen Ex-Minister klagen heute gegen die Gesetze ihrer nicht mehr besonders liberalen Nachfolger. Und das ist auch nötig. Geklagt wird so - auch von unserer Fraktion - gegen das BKA-Gesetz, nicht zuletzt wegen der Onlinedurchsuchung. Denn dieses Instrument ist ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre. Da wird auf dem privaten PC eine Spionagesoftware installiert. Danach wird mitgelesen, unterschiedslos von der E-Mail an die Großmutter bis zum Brief an das Finanzamt. Die Privatsphäre ist nicht ausreichend geschützt, die Aufzeichnung kann auch Personen treffen, die nicht im Visier des BKA stehen, aber den beschnüffelten Computer mitbenutzen. Und das alles passiert nicht etwa dann, wenn jemand dringend terrorverdächtig ist - sondern im Rahmen der Gefahrenabwehr. Ja, es gibt im BKA-Gesetz ein paar Kautelen, die versuchen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes gerecht zu werden. Aber das reicht nicht aus. Diese Art der heimlichen Komplettdurchleuchtung des elektronischen Teils der Privatsphäre darf nicht gegen Menschen eingesetzt werden, gegen die noch nicht einmal ein Tatverdacht besteht! Und nun kommt etwas Erstaunliches hinzu. Nach eigenen Angaben hat das BKA in den knapp eineinhalb Jahren, in denen es diese Kompetenz hat, nicht eine einzige Onlinedurchsuchung auch nur versucht. Mir sind noch die Warnungen von BKA-Präsident Ziercke und von Herrn Schäuble in Erinnerung, dass ohne sofortige Einführung der Onlinedurchsuchung Deutschlands Sicherheit praktisch nicht mehr zu garantieren sei, dass wir ohne dieses Instrument dem Terrorismus beinahe schutzlos ausgeliefert seien. Ich glaube kaum, dass der Terrorismus auf der Welt verschwunden ist, und ich bin sicher, dass die Beamtinnen und Beamten des BKA aktiv dagegen vorgehen. Wenn also der Terrorismus noch existiert und das BKA ihn erfolgreich bekämpft, aber gleichzeitig keine Onlinedurchsuchungen gemacht werden, dann bleibt nur eine Schlussfolgerung: Das BKA braucht keine Onlinedurchsuchung zur Terrorbekämpfung. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2423 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Katja Dörner, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung realisieren - Kostenkalkulation für Kinderbetreuung überprüfen - Drucksache 17/1778 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Finanzausschuss Haushaltsausschuss Auch hier wurde in der Tagesordnung bereits ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll gegeben werden, diesmal folgender Kolleginnen und Kollegen: Dorothee Bär, Marcus Weinberg (Hamburg), Caren Marks, Miriam Gruß, Diana Golze und Britta Haßelmann. Dorothee Bär (CDU/CSU): Die Bereitstellung einer qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung und einer frühen Förderung für alle Kinder gehören zu den wichtigsten Zukunftsaufgaben in unserem Land. Damit junge Paare ihren Kinderwunsch unbesorgt verwirklichen können, müssen wir bedarfsgerechte Betreuungsangebote in guter Qualität und eine Vielfalt in der Trägerlandschaft gewährleisten. Neben staatlichen und privat-gewerblichen Angeboten spielt auch die besonders flexible und familiennahe Betreuung der Kinder in der Tagespflege eine zentrale Rolle. Wir wollen und werden die Attraktivität der Tagespflege erhöhen und haben dazu schon wichtige Schritte unternommen. Deutschland verfügt heute bereits über ein gutes Angebot an Kinderbetreuung für die drei- bis sechsjährigen Kinder. Der Rechtsanspruch auf Betreuung für diese Kinder ist realisiert. Durch die Einführung des Elterngeldes zum 1. Januar 2007 und den Wunsch vieler junger Eltern, nach einer einjährigen Familienpause tatsächlich wieder in die Erwerbsarbeit zurückzukehren, wurde der Mangel an Betreuungsplätzen für die unter dreijährigen Kinder offenkundig. Schnell war klar, dass die Ausbauvorgaben im Tagesbetreuungsausbaugesetz den Bedarf an Plätzen nicht würden decken können. Zwar fallen die Finanzierung und die Bedarfsplanung der Kinderbetreuung im föderalen System der Bundesrepublik in die Zuständigkeit von Ländern und Kommunen. Doch wegen der großen gesamtgesellschaftlichen Bedeutung hat sich der Bund bereiterklärt, Länder und Kommunen beim massiven Ausbau der Betreuungsplätze zu unterstützen, um so möglichst viele Kinder schon früh zu fördern und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben zu ermöglichen. Beim sogenannten Krippengipfel haben Bund, Länder und Gemeinden dann im Jahr 2007 gemeinsam einen Bedarf von 750 000 Betreuungsplätzen für das Jahr 2013 errechnet. Bis zum Jahr 2013 wird es bundesweit im Durchschnitt für jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz geben, ein Drittel der neuen Plätze soll in der Kindertagespflege geschaffen werden. Im gleichen Jahr wird jedes Kind mit Vollendung des ersten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Kinderbetreuungseinrichtung oder in der Kindertagespflege haben. An den errechneten Mehrkosten von 12 Milliarden Euro bis 2013 wird sich der Bund mit 4 Milliarden Euro zu einem Drittel beteiligen, ab 2014 dauerhaft mit 770 Millionen Euro jährlich an den Betriebskosten. Er unterstützt dadurch die Kommunen weiterhin. Auch der Zwang, zu sparen, hat an dieser Bundesbeteiligung nichts geändert. Es ist Aufgabe der Länder, dafür Sorge zu tragen, dass die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel den Kommunen und Trägern auch tatsächlich und zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Ebenso ist es Aufgabe der Länder, ihrerseits finanzielle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die vereinbarten Ziele erreicht werden. Mit dem Beschluss der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Betreuungsausbau, der dann auch gesetzlich umgesetzt wurde, wurde ein Meilenstein für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit gesetzt, für mehr Bildung für alle Kinder und für bessere Zukunftsperspektiven in Deutschland. Inzwischen haben viele Kommunen den Stellenwert frühkindlicher Bildung erkannt und den Aufbau entsprechender Kinderbetreuungsstrukturen vorangetrieben. Die Kommunen, die bislang den Ausbau noch eher stiefmütterlich behandelt haben, müssen umdenken. Der Bund jedenfalls steht zu diesen Vereinbarungen und wird am Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres ab 2013 festhalten, unabhängig davon, ob vor Ort eine bestimmte Betreuungsquote erreicht wird. Über die Frage, wie groß der Bedarf sein wird, den Eltern in den nächsten Jahren geltend machen werden, sind derzeit nur Spekulationen möglich. Das Deutsche Jugendinstitut hat zahlreiche Faktoren identifiziert, die Elternwünsche beeinflussen. Vor allem aber werden Betreuungsangebote in verschiedenen Altersstufen sehr unterschiedlich in Anspruch genommen. Vordringlich ist es daher jetzt erst einmal, die bislang vereinbarte Zielvorgabe einer Versorgungsquote von bundesweit durchschnittlich 35 Prozent zu erreichen. Entwicklungen nach 2013 müssen dann bewertet werden. Der Bund begleitet diese Bedarfsplanung der Länder mit der regelmäßigen Evaluation des KiföG. Für CSU und CDU zielen die Forderungen im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen daher in die falsche Richtung und sind abzulehnen. Da wir uns aber fraktionsübergreifend jedenfalls darüber einig sind, dass die Ausgaben für die frühkindliche Bildung die wichtigste Zukunftsinvestition sind, müssen Länder und Kommunen ihre Prioritäten anders setzen und ihre Aufgaben hier ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung des Bundes erfüllen. Für mich kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass der Ausbau der Krippenplätze auch vor der Beitragsfreiheit Vorrang haben muss: Für geringverdienende Eltern ist es sinnvoll und angemessen, im Interesse der frühen Förderung ihrer Kinder bezahlbare oder auch beitragsfreie Betreuungsplätze zu gewährleisten; alle anderen Eltern sind aber sehr wohl bereit, eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung auch mit einem finanziellen Beitrag zu unterstützen. Hier können Länder und Kommunen in Zeiten knapper Kassen ihre Ausgabenlast begrenzen und nach dem erfolgten Ausbau prüfen, ob eine schrittweise Reduzierung oder gar eine Streichung der Elternbeiträge angezeigt ist. Dass es auch ohne den gebetsmühlenhaft wiederholten Ruf nach weiterer finanzieller Unterstützung durch den Bund möglich ist, ausreichend Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen, zeigt der Freistaat Bayern: Sozialministerin Christine Haderthauer hat wegen der schwierigen Finanzlage der Kommunen zugesichert, dass sie den weiteren Ausbau auch dann mit Landesmitteln sichern wird, wenn die Mittel des Bundes aufgebraucht sind. Auch bei den Betriebskosten hat sie den Kommunen Unterstützung zugesagt. Daher appelliere ich an die Oppositionsfraktionen - besonders an unseren ehemaligen Koalitionspartner, der den Bedarf an Betreuungsplätzen und deren Finanzierung zusammen mit den Bundesländern und gemeinsam mit der Union ermittelt hat -, nicht immer nur den Bund zum Adressaten beständiger Forderungen nach zusätzlichem Geld zu machen, sondern bei den Ländern die Umsetzung der gemeinsamen Beschlüsse anzumahnen. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Es ist unbestritten: Kinderbetreuung ist eine Investition in die Zukunft. Auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, sollten endlich zugeben: Die Familienpolitik der christlich-liberalen Koalition ist an dieser Zukunft orientiert. Das haben wir bisher auch deutlich gezeigt. So vielen Kindern wie möglich ein Betreuungsangebot zur Verfügung zu stellen, haben wir zur zentralen Aufgabe und zu einem unserer vordringlichsten Projekte der Zukunft gemacht. "Unser Ziel sind faire Startchancen für alle Kinder. Aufstieg durch Bildung erreichen wir durch höhere Bildungsinvestitionen und das enge Zusammenwirken von Bund und Ländern. Bildung darf keine Frage der Herkunft oder des Einkommens sein." So haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart und so werden wir es auch umsetzen. Wir wollen gute Bildung und Betreuung mit gerechten Chancen von Anfang an ermöglichen. Der Ausbau der Kinderbetreuung gehört deshalb zu den wesentlichen Maßnahmen, um mittel- und langfristig Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft sowie Chancengerechtigkeit im Bildungssystem zu erzielen. Die Entscheidung von Bund, Ländern und Kommunen, bis 2013 Betreuungsplätze für 35 Prozent der unter Dreijährigen zu schaffen, war und bleibt wichtig und richtig. Bereits in der Großen Koalition haben wir das Gesetz zum Ausbau der Kinderbetreuung verabschiedet und ebenfalls einen Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr festgesetzt. Der Bund stellt für die Erweiterung der Angebote, für Neubau-, Ausbau-, Umbau-, Sanierungs-, Renovierungs-, Modernisierungs- und Ausstattungsmaßnahmen in Einrichtungen und für die Kindertagespflege, 2,15 Milliarden Euro zur Verfügung. Unser Ziel ist es, damit eine möglichst flächendeckende Kinderbetreuung zu erreichen. Diese schafft die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Eltern, um Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Die Einführung des Elterngeldes und steuerlicher Begünstigungen sind weitere wichtige Schritte auf dem Weg, jungen Familien mehr Wahlmöglichkeiten zu eröffnen. Diese Maßnahmen sind Erfolgsprojekte. Allen Unkenrufen zum Trotz werden sie in Anspruch genommen. Wir verstehen die Förderung und Unterstützung beider Elternteile in ihrem beruflichen und gesellschaftlichen Fortkommen als gesamtstaatliche Aufgabe und werden diese gemeinsam schultern, mit der Unterstützung aller Akteure auf allen Ebenen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist der Ausbau der Kinderbetreuung bereits gut vorangekommen. Die Kernmarke für den Ausbau hatten wir uns gemäß den Vorgaben des Barcelona-Gipfels von 2002 gesetzt. Danach sollen in drei Jahren EU-weit für mindestens 33 Prozent der Kinder unter 3 Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung stehen. Diese Vorgabe will die Bundesrepublik sogar um 2 Prozentpunkte übertreffen. Wie weit die Länder mit ihren Anstrengungen vorangeschritten sind, untersuchte die Europäische Kommission vor 2 Jahren. Nach dem Bericht der Kommission befindet sich Deutschland dabei auf einem mittleren Niveau und zeigt eine gute Positionierung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Der Dritte Nationale Bildungsbericht, der Mitte Juni veröffentlicht wurde, bestätigt ebenso, dass sich positive Entwicklungen für den qualitativen und quantitativen Ausbau festmachen lassen. So standen 2009 rund 47 000 Tageseinrichtungen für Kinder zur Verfügung, und das Personal in den Kindertagesstätten wurde um 42 000 Personen erhöht. Bei den unter Dreijährigen stieg die Quote der Bildungsbeteiligung im Westen auf 15 Prozent in 2009, im Jahr 2006 waren es noch 8 Prozent. Folglich wurden hier innerhalb von 3 Jahren 100 000 Plätze geschaffen. Damit haben wir nicht nur politische Signale gesendet, sondern bereits erreicht, dass mehr Frauen in Erwerbstätigkeit sind. Sogar die Vätermonate stoßen auf immer mehr positive Resonanz. Ohne Zweifel besteht weiterhin noch Bedarf an zusätzlichen Betreuungsangeboten. Dessen sind wir uns bewusst. Aus dem Grund werden wir bei den Anstrengungen nicht nachlassen, auch wenn man laut Prognosen mit demografiebedingten Rückentwicklungen rechnen muss. In dem vorliegenden Antrag fordern die Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nunmehr die unverzügliche aktualisierte Ermittlung des Bedarfs an Kinderbetreuungsplätzen zur Realisierung des Rechtsanspruchs ab dem Jahr 2013. Hierzu kann ich nur Folgendes erwidern: Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Sie haben anscheinend das Prinzip der Subsidiarität in diesem Zusammenhang übersehen. Die Länder und Kommunen sind für die Bedarfsplanung im Bereich der Kinderbetreuung zuständig, nicht der Bund. Ihre Intention dabei wird mir hier nicht deutlich: Weshalb soll der Bund diese Erhebung durchführen? Vor allem ist eine pauschale Schätzung weder möglich noch angebracht. Vielmehr erscheint es angemessen, Länder und Kommunen in der laufenden Evaluation der Umsetzung des Kinderförderungsgesetzes dabei zu unterstützen, in quantitativer und qualitativer Hinsicht bedarfsgerechte Konzepte zu entwickeln. Auch in der Frage der Finanzen bleibt der Bund in den ihm gesetzten Grenzen. Sie fordern eine Überprüfung der Verteilung über Umsatzbeteiligungen an die Kommunen. Mich verwundert diese Forderung, zu der sich nur Folgendes sagen lässt: Die Kompetenz für den Ausbau der Kindertagesbetreuung liegt bei Ländern und Kommunen, die somit auch die Finanzierungsverantwortung tragen. Der Bund unterstützt Kommunen und Länder im Wege der Entlastung und muss diesen Weg wählen, weil die Finanzierungslast eben in den Aufgabenbereich der Kommunen gestellt ist. Eine direkte Finanzbeteiligung zwischen Bund und Kommunen ist deshalb ausgeschlossen. Mich interessiert, wie Sie in dieser Frage anders verfahren wollen. Sie sehen: Ihr Antrag wirft leider mehr Fragen auf, als er Antworten findet, geschweige denn haltbare Forderungen aufstellt. Eine inhaltliche Nachbesserung wäre sicherlich angebracht. Ich bin mir sicher, dass wir uns in der Sache und im Ziel einig sind. Wir beschreiten somit denselben Weg. Allerdings sind Ihre Vorschläge nicht zielführend. Wir halten uns an unser Vorhaben, bestmögliche Betreuung für die einzige Ressource zu erzielen, die Deutschland besitzt: unsere Kinder. Caren Marks (SPD): In den letzten Wochen haben wir mehrere Debatten über die frühkindliche Bildung von Kindern und den Ausbau des Betreuungsangebots geführt. Die SPD wiederholt heute erneut ihre Forderung: Frau Bundesministerin Schröder, blicken Sie endlich den Tatsachen ins Gesicht, und ignorieren Sie nicht länger, dass der bislang geschätzte Bedarf an Betreuungsplätzen nicht ausreichen wird! Handeln Sie jetzt! Wenn es die Bundesregierung mit Bildung von Anfang an und mit der von Frau Merkel ausgerufenen "Bildungsrepublik" ernst meint, muss sie alle Kräfte bündeln, um entsprechende Angebote der frühkindlichen Bildung und Betreuung auszubauen. Kinder haben ein Recht auf Bildung, und das nicht erst ab der Einschulung. Und Eltern haben ein Recht darauf, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Wie soll das gelingen, wenn es keine bedarfsgerechte Infrastruktur für Familien gibt? In der heutigen Debatte geht es erneut darum, wie die Kommunen in die Lage versetzt werden können, den Rechtsanspruch ab 2013 zu realisieren und ein ausreichendes Angebot an Krippenplätzen zu schaffen. Dabei mache ich zum wiederholten Male darauf aufmerksam, dass wir ein Verfahren brauchen, um den tatsächlichen Bedarf an Betreuungsplätzen zu messen. Ein solches Verfahren fordern nun auch die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Doch ein solches Instrument will die Bundesregierung nicht einführen. Auf meine mündliche Frage vom 7. Juli 2010 teilt sie nämlich mit, dass sie keine unabhängige regelmäßige Erhebung der Bedarfsentwicklung von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten plane. Sie begründet dies damit, dass die Bedarfsplanung im Bereich der Kinderbetreuung allein in der Zuständigkeit von Ländern und Kommunen liege. Die Länder haben demgegenüber eine solche Bedarfsprognose gerade vom Bundesfamilienministerium erbeten! Auch der jährlich von der Bundesregierung zu erstellende Bericht über den aktuellen Stand des Ausbaus, der bereits für März 2010 angekündigt war, liegt immer noch nicht vor. Wir haben Juli, und die Sommerpause steht bevor. Das heißt nichts anderes als: Die Bundesregierung drückt sich vor ihrer Verantwortung. In dem Antrag der SPD "Frühkindliche Bildung und Betreuung verbessern - Für Chancengleichheit und Inklusion von Anfang an" fordern wir einen nationalen Bildungspakt zwischen Bund und Ländern zur Steigerung der Ausgaben für frühkindliche Bildung. Wenn festgestellt wird, dass mehr Eltern als bisher angenommen Betreuungsplätze für ihre Kinder in Anspruch nehmen werden, muss finanziell nachgesteuert werden. Im Antrag der Grünen wird zu Recht angemerkt, dass der kalkulierte Bedarf von Kinderbetreuungsplätzen nicht überall ausreichend sein wird. Aber auch hier drückt sich die Bundesregierung vor ihrer Verantwortung: In der Antwort auf meine mündliche Frage vom 7. Juli 2010 heißt es, die Bundesregierung plane keine weiteren verbindlichen Vereinbarungen mit den Ländern, um die Steigerung der Ausgaben für frühkindliche Bildung zu gewährleisten und den weiteren bedarfsgerechten Ausbau der frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur voranzubringen. Bund und Länder haben sich 2007 auf den bedarfsgerechten Ausbau der Krippenplätze geeinigt. Die später vom Bundesfamilienministerium zugrunde gelegte 35-Prozent-Quote war eine Orientierungsmarke für diesen Ausbau, nicht mehr und nicht weniger. Es war meines Erachtens damals schon ein Fehler der früheren Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, diese Orientierungsmarke in Stein zu meißeln. Es wird immer deutlicher, dass der Bedarf größer ist, dies zeigen auch die jüngsten Ergebnisse des Ländermonitors "Frühkindliche Bildungssysteme". Inzwischen besucht durchschnittlich jedes fünfte Kind im Alter von einem Jahr eine frühkindliche Bildungseinrichtung oder wird in Tagespflege betreut, bei den Kindern im Altern von zwei Jahren sind es fast 40 Prozent. Daraus muss die neue Bundesfamilienministerin Frau Schröder dringend Konsequenzen ziehen. Es kommen noch andere Gründe hinzu, warum schnelles Handeln erforderlich ist: Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat zu massiven Einnahmeausfällen in den Kommunen geführt. Das schwarz-gelbe "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" belastet die Kommunen zusätzlich. Wir fordern daher: Die Bundesregierung muss die durch die schwarz-gelbe Steuerpolitik verursachten Einnahmeausfälle der Kommunen kompensieren! Hotels statt Krippenplätze zu fördern, ist der falsche Weg! Aktuell zeigt sich beim Elterngeld, dass die Bundesfamilienministerin keine gute Anwältin der Familien ist: Vorschnell hat sie das Elterngeld zur Disposition gestellt und unsoziale Kürzungen für Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II durchgepeitscht. Als ob dies nicht genug wäre, äußert sich die Ministerin in einer Pressemitteilung vom 7. Juli in sehr merkwürdiger Weise: Sie stellt es als Erfolg für Familien dar, dass das Sondervermögen für den Kitaausbau von den Sparbemühungen ausgenommen wird. Zum einen ist es ein Ausdruck von Hilflosigkeit, längst beschlossene Maßnahmen als eigenen Erfolg zu verkaufen. Zum anderen lässt diese Pressemitteilung Spielraum für Interpretationen, dass Frau Schröder ernsthaft überlegt hat, die Mittel für den Kitaausbau zu kürzen. Wäre dem so, frage ich mich, welches Verständnis von Familienpolitik diese Ministerin hat. Dies bestätigt einmal mehr, dass sie sich nicht als Anwältin der Familien versteht. Die SPD nimmt die Ministerin aber als Anwältin der Familien in die Pflicht. Daher fordern wir sie auf, die Initiative für einen neuen Krippengipfel zu ergreifen. Bei einem solchen Krippengipfel muss es vor allem um die Klärung der Frage gehen, wie hoch der tatsächliche Bedarf an Krippenplätzen ist und was schnell getan werden muss, um diesen Bedarf - aber auch die Betreuungsqualität in Kitas - abzudecken. Wir fordern konkrete Verabredungen zwischen Bund und Ländern, damit der Ausbau der Plätze und der Qualität der frühkindlichen Bildung vorangetrieben wird. Wir fordern einen Rettungsschirm für Kommunen, damit diese finanziell in der Lage sind, den Betreuungsausbau zu stemmen. Wir fordern eine Fachkräfteoffensive, damit mehr Erzieherinnen und auch Erzieher gewonnen werden. Eine Bundesfamilienministerin, die all diese Maßnahmen abwehrt und die Hände selbstzufrieden in den Schoß legt, setzt die Zukunftschancen von Kindern und damit der Gesellschaft aufs Spiel. Damit muss endlich Schluss sein. Miriam Gruß (FDP): Die Ergebnisse der aktuellen Entwicklungsforschung verdeutlichen die zentrale Bedeutung der ersten Lebensjahre für die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder. Ohne Zweifel müssen Verfügbarkeit und Qualität frühkindlicher und vorschulischer Bildungs- und Betreuungsangebote der Wichtigkeit der ersten Lebensjahre Rechnung tragen. Für die Bundesregierung ist die Verfügbarkeit eines bedarfsgerechten Betreuungsangebots für die frühkindliche Entwicklung von Anfang an eine der Hauptprioritäten in dieser Legislaturperiode. Eine besondere Rolle kommt hierbei den Kindertagesstätten zu. Ihr Beitrag hinsichtlich der späteren Schul- und Karrierebildung ist immens: Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung erhöht sich für den Durchschnitt der Kinder die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, von 36 Prozent auf rund 50 Prozent, wenn sie eine Krippe besucht haben. Krippen und Kindertagesstätten sind Bildungseinrichtungen, die einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung, Förderung und Unterstützung von Kindern leisten. Frühkindliche Bildung ist nämlich ein entscheidender Faktor für Chancengerechtigkeit und kann helfen, die Armutsspirale zu durchbrechen. Kindertagesstätten sollten daher verstärkt als Orte der Bildung, Erziehung und Betreuung anerkannt und genutzt werden, da sie einen Beitrag zu mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit leisten. Gerade dieser Aspekt ist für uns von besonderer Bedeutung; denn wir wollen, dass alle Kinder, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, die Chance auf eine gute Bildung erhalten. Aber auch vom Standpunkt einer erfolgreichen Vereinbarung von Familie und Beruf ist der bedarfsgerechte Ausbau der Kindertagesbetreuung ein wesentlicher Faktor. Echte Wahlfreiheit beider Eltern, wie sie ihre berufliche Tätigkeit mit familiären Aufgaben vereinbaren wollen, kann es nur geben, wenn auch eine ausreichende Zahl an qualitativ hochwertigen Betreuungsplätzen existiert. Mit dem im Dezember 2008 beschlossenen Kinderförderungsgesetz wurde der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige eingeführt. Anvisiert wurde hierbei eine Betreuungsquote von 35 Prozent. Während Kritiker diese Zahl anfänglich als viel zu hoch eingestuft hatten, zeigen jüngste Berechnungen, dass dies nicht der Fall ist. Der Bedarf an Betreuungsplätzen steigt. Der aktuelle Ländermonitor "Frühkindliche Bildungssysteme 2010" der Bertelsmann Stiftung belegt eindrucksvoll: Immer mehr Eltern nutzen frühkindliche Betreuungsangebote. Die steigende Nachfrage bestätigt die Richtigkeit des im Kinderförderungsgesetz verankerten Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz bis 2013. Die Studie zeigt aber auch, dass wir in unseren Anstrengungen beim Ausbau jetzt nicht nachlassen dürfen. Beispiele von Kommunen aus Ostdeutschland, wo die Betreuungsquote bei teilweise über 60 Prozent liegt, zeigen, dass es durchaus möglich ist, ein entsprechendes Angebot für die Kleinkindbetreuung bereitzustellen. Es gilt nach wie vor: Alle Kommunen müssen sich weiterhin individuell auf den ab 2013 geltenden Rechtsanspruch vorbereiten. Ziel muss sein, für die Kinder ein flächendeckendes Angebot an frühkindlichen Bildungseinrichtungen bereitzustellen und damit auch allen arbeitswilligen Müttern und Vätern die Möglichkeit zu bieten, Beruf und Familie zu vereinbaren. Dies muss im Sinne einer modernen Gesellschaft Priorität haben. Für die FDP ist aber auch klar: Ein zügigerer Ausbau der Kindertagesbetreuung wird nur dann erreicht werden, wenn private Initiativen wie Elternvereine, privat-gewerbliche Einrichtungen und Betriebe verstärkt Kindertagesbetreuung, vor allem im Krippenbereich, anbieten. Private und privat-gewerbliche Träger sollten daher einen gleichberechtigten Zugang zu öffentlicher Förderung haben. Die unterschiedliche Behandlung privatgewerblicher und frei-gemeinnütziger Träger ist ein Hindernis beim Erreichen der im KiföG gesteckten Ziele. Es ist das erklärte Ziel dieser christlich-liberalen Koalition, diese Ziele zu erreichen. Dabei kommen verschiedene Faktoren zum Tragen. Ein Teil des Mehrbedarfs kann durch Betreuungsplätze gedeckt werden, die frei werden, weil in Folge des demografischen Wandels die Zahl der Kinder sinkt. Dennoch werden zahlreiche zusätzliche Einrichtungen benötigt, um den Bedarf zu decken und ein möglichst wohnortnahes Angebot zu gewährleisten. Die Kosten des Ausbaus belaufen sich auf ein Gesamtvolumen von 12 Milliarden Euro. Bund, Länder und Kommunen haben vereinbart, jeweils ein Drittel der Kosten zu übernehmen. Die Bundesregierung hat gemäß dieser Vereinbarung 4 Milliarden Euro als Beteiligung an den Gesamtkosten des Ausbaus bereitgestellt. Weiterhin werden ab 2013 jährlich 770 Millionen Euro zur Deckung der laufenden Betriebskosten zur Verfügung gestellt. Es besteht ein breiter Konsens in dieser Koalition über die Notwendigkeit eines besseren Betreuungsangebotes in Deutschland. Diese Notwendigkeit wird deutlich durch die Priorisierung, die der Ausbau der Betreuung für unter Dreijährige in den laufenden Haushalts-verhandlungen hat: Nicht nur wurde das Sondervermögen für den Kitaausbau von den Sparbemühungen ausgenommen, es sollen auch in den nächsten 4 Jahren zusätzlich in die Verbesserung der Qualität der frühkindlichen Bildung investiert werden. Eine bessere Qualifizierung des Personals, Maßnahmen für eine Erhöhung der Anzahl von männlichen Erziehern und eine intensivere Sprachförderung sind dabei wesentliche Ziele, die wir aktiv verfolgen werden. Wir stehen zu dem im KiföG beschlossenen Ziel beim Ausbau der Betreuung für unter Dreijährige, und gemeinsam mit den Ländern und Kommunen werden wir dieses Ziel bis 2013 auch erreichen. Diana Golze (DIE LINKE): "Bundeskabinett beschließt Bundeshaushalt. Bundesfamilienministerium investiert mehr als 400 Millionen Euro zusätzlich in die frühkindliche Bildung" titelte das Familienministerium in seiner gestrigen Pressemitteilung. In der gleichen Pressemitteilung heißt es dann auch, "dass in den nächsten vier Jahren zusätzlich insgesamt rund 400 Millionen Euro in die Qualität der frühkindlichen Bildung investiert werden". Das klingt schön - aber nur so lange, wie man die Realitäten in puncto Ausbau von Kindertagesbetreuung in den Größenordnungen ausblendet, wie es die Bundesregierung nun schon seit einigen Jahren und auch weiterhin tut. Die Mittel, die hier vollmundig als "zusätzlich eingestellt" angekündigt werden, sind sicher gut, aber leider alles andere als zusätzlich. Den Kinderbetreuungsausbau bezahlen nach Rechenart der Bundesregierung nämlich die, die eigentlich ohnehin schon nichts haben: Familien, die von ALG II leben müssen, denen sie nun das Elterngeld auf diese Leistung anrechnen. Diese Anrechnung aber bedeutet für die Betroffenen eine faktische Streichung dieser familienpolitischen Leistung. Hier ist nicht nur etwas faul im Staate. Das ist eine schreiende Ungerechtigkeit. In der Bundesrepublik wird die Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige ausgerechnet von denen bezahlt, die die volle Wucht des Sozialabbaus der letzten Jahre am meisten zu spüren bekommen haben, deren Kinder außerdem derzeit bis zum dritten Lebensjahr häufig noch nicht einmal einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Kita haben und möglicherweise auch 2013 die größten Verlierer sein werden. Denn die Plätze werden voraussichtlich nicht für alle reichen. Eine solche Politik macht einmal mehr deutlich, dass Kindertagesbetreuung und deren bitter notwendiger Ausbau nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet wird und die öffentliche Hand in persona der Bundesregierung sich immer mehr aus ihren Aufgaben stiehlt. Ich bin den Grünen sehr dankbar dafür, dass sie mit ihrem Antrag der Debatte um die Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung mehr Gewicht geben und sich der Bundestag nun wiederholt mit dieser Frage befassen muss. Vor allem bin ich dankbar, dass neben der Linken eine weitere Bundestagsfraktion Wege aus der unsozialen Politik der vergangenen Jahre sucht, indem sie fordert, dass der Staat für einen ausgewogenen Finanzausgleich sorgt und nicht die Bürgerinnen und Bürger immer wieder zur Kasse gebeten werden. Auch die Linke fordert seit langem, dass der Bund sich endlich dauerhaft und in größerem Umfang als bisher an der Finanzierung der Kindertagesbetreuung beteiligt. Er darf Länder und Kommunen mit dieser Aufgabe nicht länger alleinlassen. Es ist nicht nur selbstverständlich, dass der Bund sich mit 4 Milliarden Euro an dem Sondervermögen, dass für den Ausbau der Kinderbetreuung eingerichtet wurde, beteiligt. Gleiches wird von den Ländern und Kommunen ja auch verlangt. Der Umfang des Sondervermögens reichte von Beginn an vorn und hinten nicht aus, um die Mammutaufgabe zu bewältigen, vor der viele Kommunen stehen. Von dort kommen seit längerem deutliche Signale, die zu überhören ein sträflicher Fehler wäre. Wenn es vom Vorsitzenden des Deutschen Städtetages, Stephan Articus, heißt: "Uns geht es nicht darum, den Rechtsanspruch ab 2013 infrage zu stellen, aber es fehlen noch Milliardenbeträge, um ihn zu verwirklichen", sollte man diesen Hilferuf ernst nehmen. Denn die Bundesregierung hat mit einem zu begrüßenden Rechtsanspruch Fakten geschaffen. Die Kommunen sollen offenbar am Ende die Rechnung begleichen; denn dort werden die Eltern 2013 ihre berechtigte Forderung nach einem Kita-Platz aufmachen. Mit der Frage, wie Umsatzsteueranteile gerechter verteilt werden, um Kommunen endlich die nötigen finanziellen Mittel zur Bewältigung ihrer Aufgaben zu geben, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht. Dass dies auch mit einer spürbaren Erhöhung dieses Steueranteils für die Kommunen einhergehen und dass man auch noch nach weiteren Finanzierungsmodellen suchen muss, werden wir hoffentlich in der nun folgenden Debatte diskutieren und ausloten. In den Kommunen wir dies schon lange getan. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kinder sind die Zukunft unseres Landes. Ein Satz: oft zitiert, viel zu selten gelebt. Das Kinderförderungsgesetz ist der späte Versuch, der Lebenswirklichkeit junger Familien gerecht zu werden und Chancengerechtigkeit zu schaffen. Dafür ist der Rechtsanspruch auf Betreuung für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr ein erster kleiner Schritt. Doch dieser Schritt kann nur gelingen, wenn der Ausbau solide finanziert ist. Hier hätte die Bundesregierung beweisen können, dass sie es ernst meint mit einer aufgabengerechten Kostenausstattung der Kommunen. Die Basis für eine solide Finanzierung ist allerdings eine Kalkulation, die sich am tatsächlichen Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen orientiert und der finanziellen Realität der Kommunen gerecht wird - eine solide Finanzierung, die den Ausbau der Kinderbetreuung fördert und Zukunft garantiert. Aber das Gegenteil ist passiert. Doch gerade weil es so wichtig ist, dass der Rechtsanspruch realisiert wird, müssen wir uns jetzt darum kümmern, dass Städte und Gemeinden, vor allem die notleidenden, auch in die Lage versetzt werden, den notwendigen Kitaausbau zu finanzieren. Deshalb muss der erste Blick dem tatsächlichen Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen gelten. Denn was viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister längst ahnten, hat sich nun in schwarze Zahlen gegossen: Einer aktuellen Bertelsmann-Studie zufolge liegt der Anteil betreuter Zweijähriger heute bereits bei 40 Prozent. Der angenommene Bedarf von 35 Prozent, der den Kostenberechnungen zugrunde liegt, ist absehbar zu niedrig und die Berechnungsgrundlage der Bundesregierung damit unsolide. In vielen Städten und Gemeinden wird der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen voraussichtlich über das Platzangebot hinausgehen. Natürlich werden viele Eltern von ihrem Recht Gebrauch machen und ihren Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bei den Kommunen einklagen. Der Handlungsbedarf besteht jetzt. Wenn die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern und Kommunen nicht den tatsächlichen Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen erhebt und auf dieser Grundlage ein solides Finanzierungskonzept mit Ländern und Kommunen vereinbart, lässt sie sowohl die Kinder als auch die Kommunen im Stich. Bisher ist es doch so: Trotz der desaströsen finanziellen Lage vieler Kommunen besteht die ursprünglich vereinbarte Drittelfinanzierung der Ausbaukosten von 12 Milliarden Euro zwischen Bund, Ländern und Kommunen nur auf dem Papier. Es wird viele Länder geben, die die Mittel des Bundes nicht vollständig weiterleiten und zudem Landesmittel aus der Finanzierung abziehen werden. Also: Überprüfen Sie den tatsächlichen Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen! Überprüfen Sie die tatsächlich anfallenden Kosten und sorgen Sie für eine ausreichende Finanzierung! Überprüfen Sie, ob die eingesetzten Mittel auch wirklich da ankommen, wo sie gebraucht werden: in den Not leidenden Kommunen. Handeln Sie jetzt! Sorgen Sie für eine aufgabengerechte Kostenausstattung der Kommunen und für die Realisierung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, heute und morgen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/1778 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mittel des Nationalen Stipendienprogramms für eine Erhöhung des BAföG nutzen - Drucksache 17/2427 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll gegeben, und zwar folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Stefan Kaufmann, Marianne Schieder (Schwandorf), Swen Schulz (Spandau), Patrick Meinhardt, Nicole Gohlke und Kai Gehring. Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Der Bildungsaufstieg junger Menschen darf nicht an finanziellen Hürden scheitern, dies ist eine Kernbotschaft der Union. Um das zu gewährleisten, setzen wir - die christlich-liberale Koalition - auf BAföG, Bildungsdarlehen und Stipendien. Diese drei Instrumente ergänzen sich gegenseitig. Das Nationale Stipendienprogramm trägt zu einem Aufstieg durch Bildung bei. Dies verkennt die Linke in ihrem Antrag. Das Nationale Stipendienprogramm ist auch ein höchst bürgerliches Projekt, denn es setzt auf Leistung, Eigenverantwortung und Subsidiarität. Das Nationale Stipendienprogramm dient zudem nicht nur der Studienfinanzierung, es setzt auch Anreize für Spitzenleistungen. Wir wollen junge Menschen fördern, damit sie sich nach ihren Begabungen und Fähigkeiten entfalten können. Mit der Förderung besonders Begabter stärken wir zugleich den Wettbewerb im internationalen Kampf um Fachkräfte. Annette Schavan weist in der "Financial Times" von heute zu Recht darauf hin, dass wir unseren Wohlstand einer großen Zahl von Fachkräften ebenso wie dem Erfindungsreichtum exzellenter Studierender verdanken. Diese Talente müssen wir ermutigen, ein Studium aufzunehmen. Ich habe letzte Woche an der Universität Stuttgart im Bereich Nanooptik Diplomanden und Doktoranden kennengelernt, die bereits heute - vor Abschluss ihrer Ausbildung - als Forscher international begehrt sind. Die Förderung eben dieser jungen Menschen muss unser Ziel sein! Denn auch darum geht es: Wir möchten jungen Menschen das Signal geben, dass sich Leistung und Engagement lohnen - und auch finanziell bezahlt machen. Die Stipendien in Höhe von 300 Euro pro Monat sollen von privaten Geldgebern wie Unternehmen, Verbänden, Privatpersonen und Alumni einerseits und dem Staat andererseits gemeinsam finanziert werden. Die Stipendien werden von den einzelnen Hochschulen unter Einbindung der Stipendiengeber nach Leistung und Begabung vergeben. Doch neben der erbrachten Leistung zählen auch gesellschaftliches Engagement, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, oder besondere persönliche Gründe, die sich beispielsweise aus der familiären Herkunft oder einem Migrationshintergrund ergeben können. Dies ist ein wichtiger Einstieg in die Mobilisierung neuer Begabungsreserven und die Erschließung bisher unterrepräsentierter Studierendengruppen. Hiergegen kann man nun wirklich nichts einwenden. In Ihrem höchst oberfläch begründeten Antrag, der nichts als Beschäftigungstherapie vor der Sommerpause zu sein scheint, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nehmen Sie Bezug auf eine der zahlreichen HIS-Studien - diesmal über "Das soziale Profil in der Begabtenförderung" aus dem Jahre 2009. Ihre Ablehnung des Nationalen Stipendienprogramms begründen Sie mit dem HIS-Ergebnis, wonach unsere Begabtenförderungswerke überwiegend Studierende aus reichen Elternhäusern fördern. Damit versuchen Sie einmal mehr, ein völlig falsches Bild in der Gesellschaft zu etablieren: hier die böse Koalition aus CDU/CSU und FDP, die nur die Reichen und Privilegierten fördert - dort die vereinigte Linke, die sich als Interessenwahrer der Armen und Unterprivilegierten ausgibt. Dieses verzerrte Bild vor Augen gehen andere so weit, im Zusammenhang mit Stipendien von einer "Inzucht der Eliten" zu sprechen. Doch ist es richtig, den Förderern vorzuwerfen, dass angeblich die Falschen bei ihnen vorsprechen? Niemand ist gehindert, sich bei einem der Begabtenförderungswerke oder später im Rahmen des Nationalen Stipendienprogramms an einer der Hochschulen um ein Stipendium zu bewerben. Je mehr wir aber das Klischee von einer abgeschotteten Elite bemühen, umso eher werden Kinder aus sozial schwächeren Elternhäusern von einer Bewerbung abgeschreckt. Auch dies sollten wir bedenken. Im Übrigen haben auch die Begabtenförderungswerke selbst längst erkannt, dass mehr soziale Mischung guttut. Allein die Konrad-Adenauer-Stiftung investiert in 2010 circa 7 Millionen Euro, um Nachwuchs aus Mi-grantenfamilien und Nicht-Akademiker-Haushalten für eine Bewerbung um ein Stipendium zu gewinnen. Die Verfasser der HIS-Studie zeigen zudem selbst auf, dass für die Frage der Bewerbung um ein Stipendium nicht nur das Bildungsniveau der Eltern entscheidend ist, sondern ebenso das Anregungsniveau im Elternhaus. Somit haben wir auch und vor allem ein Problem fehlender Informationen über die Möglichkeiten einer Studienfinanzierung über das BAföG hinaus - nicht aber ein Problem sozialer Ungerechtigkeit bei der Vergabe der Stipendien. Über das Nationale Stipendienprogramm sehe ich im Übrigen eine gute Chance, die Informationslücke in den sozial schwächeren und bildungsfernen Familien zu schließen. Durch die Beteiligung privater Mittelgeber, wie zum Beispiel Unternehmen, wird der Kreis der Wissenden auch aus hochschulfernen Familien über die Möglichkeit eines Stipendiums zwangsläufig größer. Lassen Sie uns also die Chancen einer neuen Stipendienkultur in den Vordergrund rücken. Lassen Sie uns Stipendien als sozialen Kitt für unsere Gesellschaft begreifen - wie dieser Tage der Ex-Stipendiat Christian Fuchs in einem Beitrag für "Spiegel Online". Freuen wir uns los über das große gesellschaftliche Engagement vieler Stipendiaten. Und ermuntern wir die Stipendiengeber, insbesondere aus der Wirtschaft, über ihre Bildungswerke - ich nenne beispielhaft Südwestmetall in Baden-Württemberg - eine ideelle Förderung für die Stipendiaten anzubieten und so deren Horizont zu erweitern. Darum muss es doch gehen: Die jungen Menschen zu ermuntern, den Blick über den Tellerrand zu wagen - in der Gemeinschaft mit anderen jungen Stipendiaten aus den unterschiedlichsten Fachbereichen. Genau dies ist doch die große Leistung und Errungenschaft der bestehenden Begabtenförderungswerke. Der Antrag der Fraktion Die Linke, die Mittel des Nationalen Stipendienprogramms für eine Erhöhung des BAföG zu nutzen, ist auch vor diesem Hintergrund einmal mehr blanker Populismus. Er hilft uns nicht weiter bei unseren Bemühungen, Deutschland nach vorne zu bringen und Solidarität zwischen den Generationen und zwischen dem Staat und der Zivilgesellschaft aufzubauen. Das BAföG ist eben nur ein - zugegeben wichtiges - Instrument. Aber es kann nicht das einzige Instrument bleiben. An dieser Stelle noch ein Wort zur aktuellen Debatte über Studiengebühren. Im Jahr 2009 haben 43 Prozent eines Jahrgangs ein Studium begonnen. Das sind 7 Prozent mehr als im Jahr 2005. Es stimmt also nicht, wenn Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen in einem Antrag vom 6. Juli behauptet, dass Studiengebühren eine höhere Bildungsbeteiligung verhindern. Im Studiengebührenland Baden-Württemberg ist die Zahl der Studienanfänger in den letzten Jahren sogar deutlich gestiegen. Und auch beim Nationalen Stipendienprogramm funktioniert die Schwarz-weiß-Malerei von Rot-Grün und den Linken nicht. Die Stipendien werden nämlich nicht auf das BAföG angerechnet. Begabte Studierende aus einkommensschwachen Familien profitieren also gleich doppelt von der Förderung. Es geht uns auch um einen Paradigmenwechsel. In Deutschland stammen derzeit nur 15 Prozent der Finanzierung des Bildungssystems aus privaten Mitteln. Der Durchschnitt der OECD-Länder beträgt 27,4 Prozent. Die USA, Japan und Korea schöpfen sogar jeweils mehr als zwei Drittel der Bildungsfinanzierung aus privaten Quellen. Dies muss uns nachdenklich stimmen. Denn die Gesellschaft kann ihre Verantwortung für Bildung und Erziehung nicht alleine an den Staat delegieren. Auch hierauf hat Annette Schavan in der "Financial Times" zu Recht hingewiesen. Wir dürfen in diesem Zusammenhang sehr gespannt sein, ob die neue rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen die durch die Streichung der Studiengebühren wegfallenden 250 Millionen Euro durch entsprechende staatliche Mittel für die Hochschulen ersetzen wird. Die Erfahrungen aus anderen rot-grün regierten Ländern lassen Schlimmes befürchten. Am Ende sind die Bekenntnisse der linken Parteien zur Bildung und deren Bedeutung nämlich immer nur Lippenbekenntnisse; das zeigen alle Ländervergleiche mehr als deutlich. Wer so agiert wie Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen, handelt fahrlässig - und setzt die Zukunft unseres Landes aufs Spiel! Zurück zum Stipendienprogramm: Derzeit erhalten in Deutschland nur 1 Prozent der Studierenden Gelder aus privater Hand, ein weiteres Prozent über die staatlich bezuschussten Begabtenförderungswerke. In der letzten Wahlperiode hat die Bundesregierung die Zuschüsse für die 12 Begabtenförderungswerke von 80 Millionen Euro auf 120 Millionen Euro erhöht. Nach dieser Erhöhung ist die Zahl der Geförderten von 13 000 auf 21 000 gestiegen. Das Nationale Stipendienprogramm wird uns ermöglichen, die Zahl der Geförderten weiter zu erhöhen. Das Zusammenspiel aus privaten und staatlichen Geldern macht deutlich, dass Unternehmen, Stiftungen und vermögende Privatpersonen eine besondere Verantwortung für die Ausbildung junger Menschen haben. Die Vernetzung zwischen der Wirtschaft und den Hochschulen wird gestärkt. In anderen Teilen der Welt, insbesondere in den USA, ist die Vergabe von Stipendien ganz selbstverständlich. Dies soll uns gutes Beispiel sein. Leistung und gesellschaftliches Engagement junger Menschen muss belohnt und gefördert werden. Hoffen wir also darauf, dass das Nationale Stipendienprogramm im Bundesrat am 9. Juli 2010 eine Mehrheit findet. Falls nicht, setzen wir auf die Vernunft im Vermittlungsausschuss. Es sollte alles getan werden, spätestens hier einen tragfähigen Kompromiss zu schmieden. Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Bei den Verhandlungen zum Nationalen Stipendienprogramm legte die schwarz-gelbe Koalition wenig Sinn für demokratische Prozesse und den Wert parlamentarischer Diskurse um Gesetzesentwürfe an den Tag. Blindlings wurde wieder einmal ein Vorschlag durchgepeitscht, der nicht nur bei der Opposition, sondern bei zahlreichen Experten auf heftige Kritik gestoßen ist. Man darf gespannt sein, wie morgen der Bundesrat trotz der noch vorhandenen schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat entscheiden wird. Eine Ablehnung scheint sehr wahrscheinlich zu sein. Frau Schavan, Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, was muss noch passieren, damit Sie endlich einlenken? Bereits bei den Haushaltsberatungen 2010 haben wir von der SPD gefordert, das Nationale Stipendienprogramm sein zu lassen und das dafür notwendige Geld in einen nennenswerten Ausbau des BAföG zu stecken. Wir haben diese Forderung in unserem Antrag zur BAföG-Novelle und in einem Entschließungsantrag im Rahmen der Debatten um das Nationale Stipendienprogramm mehrfach wiederholt. Näheres dazu in der Ausschussdrucksache 17(18)20, Änderung Haushalt 2010, und den Bundestagsdrucksachen 17/884, BAföG-Novelle, und 17/2217, Entschließungsantrag zum Nationalen Stipendienprogramm. Daher ist der Antrag der Fraktion Die Linke in seinem Grundanliegen zwar zu begrüßen, allerdings muss man sich fragen, warum er gerade jetzt kommt. Einerseits ist die grundlegende Forderung schon älter. Andererseits wird er mit einer Bundesratsentscheidung begründet, die noch gar nicht gefallen ist. Vonseiten des Bundesrates gibt es zwar derzeit zwei Voten der zuständigen Ausschüsse, das Stipendienprogramm abzulehnen. Es fehlt allerdings noch der endgültige Beschluss, der morgen erst fallen wird. Aus Respekt vor demokratischen Gepflogenheiten und den darin involvierten Institutionen wäre es sinnvoll, Entscheidungen abzuwarten. Trotzdem noch ein paar Worte zum Grundanliegen, das Geld für eine nennenswerte Ausweitung des BAföG zu verwenden. An erster Stelle steht für mich die Frage nach einer sozial gerechten Studierendenfinanzierung. Hinzu kommt die Tatsache, dass das Stipendienprogramm ein gewaltiges bürokratisches Monster nach sich ziehen würde. Besonders schwerwiegend finde ich allerdings die einhellige Meinung aller Experten in der Anhörung zum Gesetzentwurf, dass es als völlig utopisch erscheine, 8 Prozent aller Studierenden über das Stipendienprogramm finanzieren zu können. Viele waren der Ansicht, dass 2 Prozent realistischer seien. Alleine diese Tatsache würde ausreichen, um 75 Prozent der für das Stipendienprogramm veranschlagten Mittel umzuwidmen, insbesondere wenn es der Bundesregierung ernst ist, den Etat für Bildung und Forschung signifikant zu erhöhen und mehr für die Bildung in diesem Land zu tun. Andernfalls bleibt es bei Luftbuchungen, die zwar geplant, aber nie realisiert werden. Sagt der Bundesrat morgen Nein bzw. scheitert auch der Vermittlungsausschuss, falls er denn überhaut angerufen wird, so bleiben 100 Prozent der geplanten Mittel, um sie anderweitig zu verwenden. Gerade die enormen Verwaltungskosten, die von den Ländern zu tragen wären, waren ein nicht unerheblicher Faktor, der den Finanzausschuss des Bundesrates zu einer nahezu einstimmigen Ablehnung bewegte. Rechnet man alle Kosten, die für das Stipendienprogramm in seiner Endausbaustufe erforderlich gewesen wären, zusammen, so kommt man auf rund eine halbe Milliarde Euro: 300 Millionen Euro öffentlicher Anteil für die Stipendien, 100 Millionen Steuerausfälle durch die steuerliche Abzugsfähigkeit der privaten Gelder sowie rund 90 Millionen Euro an Verwaltungsaufwand. Damit könnte man das BAföG in einem Umfang ausbauen, von dem bisher viele nur träumen. Neben der Umwidmung der Stipendiengelder wäre es eine mindestens genauso wichtige Aufgabe für die Bundesregierung, nach Wegen für eine bessere Finanzausstattung der Länder und Kommunen zu sorgen. Sonst bringt es nämlich nichts, wenn die sogenannte christlich-liberale Koalition zwar vollmundig mehr Geld im Bundeshaushalt für Bildung verspricht, den eigentlich Verantwortlichen - den Bundesländern - durch Aktionen wie dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz die Einnahmequellen beschneidet. Ich hoffe, dass Schwarz-Gelb zur Vernunft kommt und sich - geleitet von Sachargumenten - vom Nationalen Stipendienprogramm verabschiedet und endlich nennenswert mehr Geld in eine sozial gerechtere Studierendenförderung steckt. Lassen Sie sich aber zumindest davon überzeugen, dass es mehr als ein Warnschuss ist, wenn der Bundesrat das Stipendienprogramm ablehnt, obwohl dies morgen vermutlich die letzte Sitzung des Bundesrates mit schwarz-gelber Mehrheit sein wird. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Innerhalb von vier Monaten debattieren wir zum wiederholten Mal das Thema BAföG und Stipendien. Das zeigt, wie wichtig das Thema Ausbildungsfinanzierung und Studienfinanzierung ist und wie ernst die Fraktionen es nehmen. Wir können nicht häufig genug darüber reden, wie wichtig es ist, ein Finanzierungssystem zu schaffen, das es allen ermöglicht, ihren Wünschen und Fähigkeiten entsprechend Bildungsangebote wahrzunehmen, unabhängig vom Geldbeutel und der sozialen Herkunft. Doch Reden allein genügt natürlich nicht. Es müssen nach allen Worten dann auch endlich Taten folgen. Und vor allem müssen, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, die richtigen Taten folgen. Leider haben die letzten Wochen etwas anderes gezeigt. Sie haben gezeigt, dass sowohl die Bundesregierung als auch die Koalitionsfraktionen sich zwar gerne selbst reden hören, aber nicht in der Lage sind, konstruktive Kritik anzunehmen und umzusetzen. Doch statt zuzuhören, versuchten Union und FDP, verbissen und verkniffen ihr Stipendienprogramm zu verteidigen. Als hübsches Beiwerk wurden kleine Verbesserungen im BAföG-Gesetz dargeboten. Kritik hagelte es von allen Seiten: Studierende, Hochschulen, Wirtschaftsunternehmen- und verbände, unabhängige Experten. Selbst die Länder formulierten in ihren Stellungnahmen zu beiden Gesetzentwürfen Vorbehalte. Insgesamt fiel die Beurteilung nicht gut aus. Das BAföG-Gesetz erhielt die Note mangelhaft; das Stipendiengesetz fiel komplett durch. Die SPD hat immer betont, dass der vorgelegte Entwurf zum BAföG-Änderungsgesetz richtige Ansätze, aber keine wirklichen Verbesserungen oder gar eine Ausweitung enthält. In mehreren Anträgen wurden konstruktive Vorschläge wie die Förderung von Teilzeitausbildungen, eine mutigere Anhebung der Altersgrenze oder eine Förderung durch Anhebung der Einkommensgrenzen, die eine echte BAföG-Novelle ausgemacht hätten, vorgelegt. Abgelehnt wurden diese und weitere Vorschläge mit der Begründung, dass die finanziellen Mittel hierfür im Haushalt des Bundes nicht vorhanden wären. Stattdessen werden aber für ein überteuertes, unsinniges Stipendienprogramm, das kaum jemand will, Millionen Euro verschleudert. Bereits in einem Entschließungsantrag hat die SPD die Koalitionsfraktionen aufgefordert, das Stipendienprogramm aufzugeben und die frei werdenden Mittel für die Ausweitung und Weiterentwicklung in der Ausbildungsförderung zu nutzen. Auch dieser Antrag wurde vehement zurückgewiesen. Erneut sind im Haushaltsentwurf für das Jahr 2011 10 Millionen Euro für das Programm eingestellt. Mit Oppositionsvorschlägen mag die Bundesregierung so umgehen können. Tragisch ist nur, dass auch die oftmals gleichen Vorschläge von unabhängigen Sachverständigen und Experten komplett ignoriert wurden. Zudem kann man als Opposition nur staunend zuschauen, welchen Umgang die Union und FDP mit ihren eigenen Leuten aus den Ländern pflegen. So haben die Länder mit absoluter Mehrheit bereits signalisiert, dass sie in der morgigen Sitzung des Bundesrates beim BAföG-Gesetz den Vermittlungsausschuss anrufen wollen sowie das Stipendienprogramm ablehnen werden. Damit drohen auch die wenigen noch zu diesem Wintersemester 2010/2011 vorgesehenen BAföG-Verbesserungen auszufallen. Das Festklammern am Stipendienprogramm wird auf Kosten der Schüler und Studierenden ausgetragen. Die finanziellen Belastungen der Länder waren für den Bund abzusehen. Die unseriöse Finanzpolitik der Regierungskoalition hat den Ländern schwer zugesetzt. Darum haben die Bundesländer den Bildungsgipfel zum Scheitern gebracht. Darum steht die BAföG-Novelle vor dem Scheitern. Es wird Zeit, dass CDU, CSU und FDP endlich einen Kurswechsel vollziehen: vernünftige Finanzpolitik, Abkehr vom Stipendienprogramm und deutliche Verbesserungen des BAföG. Davon können auch die Länder überzeugt werden. Patrick Meinhardt (FDP): Dieser Antrag der Linken ist durch und durch unsozial, er geht an den Interessen der Studierenden vorbei und zeigt den Bildungsinteressen Abertausender Studierender die eiskalte Schulter. So entsteht nicht mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland. Deutschland braucht ein Nationales Stipendienprogramm - und wer sich verweigert, ist mit bildungspolitischer Blindheit geschlagen. Bekennen Sie sich offen zu Ihrer bildungsegoistischen Haltung: Sie wollen nicht, dass weitere 160 000 Studierende eine Talentförderung erhalten. Sie wollen, dass die Begabungen von Studierenden nicht stärker gefördert werden. Sie wollen, dass Arbeiterkinder nicht besser nach ihrer Begabung gefördert werden. Sagen Sie doch offen, dass Sie mit Ihrer verquasten Bildungsideologie allen talentierten jungen Menschen die Rote Karte zeigen, und verhalten Sie sich nicht so, als ob das etwas mit einer sinnvollen Bildungspolitik zu tun hätte. Fragen Sie sich bitte selbst, ob Sie diesen Antrag - ich wiederhole: diesen unsozialen Antrag - aufrechterhalten wollen. Ziehen Sie ihn zurück, und Sie würden damit zeigen, dass Sie die soziale Spaltung in diesem Land nicht vorantreiben wollen. Mit unserem Konzept der Bildungsgerechtigkeit leiten wir eine Trendwende für begabte junge Menschen ein. Und genau das braucht Deutschland. In einem ersten Schritt erhalten alle Studierenden der Begabtenförderungswerke künftig statt eines Büchergeldes von 80 Euro den Betrag von 300 Euro. Dies ist ein richtiger Schritt, der die wirklich gute Arbeit der Begabtenförderungswerke stärkt. Und wir wollen diese Arbeit stärken und ausbauen. Darüber hinaus ist es gut, eine zweite Säule der Begabtenförderung aufzubauen - unbürokratisch, dezentral und nah bei den Studierenden und Professoren, direkt an der Hochschule. Denn genau das ist nötig: ein System, bei dem die Hochschule vor Ort über den Studierenden vor Ort entscheidet. Es ist eine bildungspolitische Schande, dass gerade einmal 1,9 Prozent der Studierenden in Deutschland ein Stipendium erhalten. Das heißt: 98,1 Prozent erhalten diese Chance nicht. Wer sich damit zufrieden gibt, der macht eine Politik an den Interessen der Studierenden vorbei. Alle anderen Wirtschafts- und Wissenschaftsnationen ziehen an uns in der Begabungsförderung vorbei. Wir lassen uns in der wichtigen Frage der Talentförderung einfach abhängen und schauen zu. Oh nein, das wird es mit uns nicht geben! Dies ist eine Frage der Bildungsgerechtigkeit. Unser Ziel ist es, Schritt für Schritt die Zahl der Stipendiaten zu verfünffachen. Das ist eine große Herausforderung, aber entweder wollen wir Talente endlich richtig fördern oder nicht. Sie jedenfalls wollen die Studierenden böse hängen lassen. Wer in Deutschland den BAföG-Höchstsatz erhält, kommt aus einem Elternhaus, das sich das Studium nur ganz schwer leisten kann. Deswegen hat es etwas mit gesellschaftlicher Fairness zu tun, dass das Stipendium von 300 Euro noch dazu kommt. Kein einziger Cent vom BAföG wird abgezogen. Denn wir wollen gerade diejenigen fördern, die das Geld zum Studium wirklich brauchen. Ein weiteres Ziel ist es, die Förderung zu verbreitern. Bislang sind bei den geförderten Studierenden von 100 gerade einmal acht aus den Fachhochschulen. Wir wollen mehr Fördergerechtigkeit, die wir mit unserem Nationalen Stipendienprogramm erreichen. Neben Universitätsstudierenden brauchen wir deutlich mehr Stipen-dien für Fachhochschulen, pädagogische Hochschulen und Duale Hochschulen. Das ist ein großes Ziel dieses Programms. Und - vergessen wir alle nicht, dass gerade an Fachhochschulen deutlich mehr Studierende aus Nichtakademikerfamilien sind. Und genau deswegen müssen wir hier ansetzen. Außerdem ist das Nationale Stipendienprogramm ein Bildungsprogramm, in dem der Staat mit Privaten zusammenarbeitet. Wir wissen doch alle, dass wir eine höhere private Bildungsbeteiligung brauchen. Hier bekommen wir sie. Seien Sie deswegen nicht so fahrlässig und setzen das so einfach aufs Spiel! Und letztlich erreichen wir endlich eine noch stärkere Ehemaligen-, eine Alumni-Kultur. Nordrhein-Westfalen hat gerade gezeigt, dass 40 Prozent der Finanzen von Alumni kommen. Dies ist ein goldrichtiger Schritt für Deutschland, um endlich eine Alumni-Kultur aufzubauen. So erreichen wir einen akademischen Generationenvertrag für unser Land. Wer gegen das Nationale Stipendienprogramm ist, verhält sich unsozial. Wer gegen mehr Begabungsförderung ist, verhält sich unsozial. Wer jungen Menschen ihre Förderung vorenthalten will, verhält sich unsozial. Sie, die Linken, stehen für eine unsoziale Bildungspolitik. Deswegen meine Bitte: Lehnen Sie alle diesen Antrag ab! Damit dieses Land bei der Talentförderung endlich bildungsgerechter wird! Nicole Gohlke (DIE LINKE): Die Bundesregierung ist mit ihrem Nationalen Stipendienprogramm gescheitert. Sowohl Finanzausschuss als auch Kulturausschuss des Bundesrates haben Ende Juni mit deutlichen Mehrheiten dieses schwarz-gelbe Elitenförderungsprogramm abgelehnt - eine Ohrfeige für Frau Merkel und Frau Schavan. Die Linke begrüßt es ausdrücklich, dass das Stipendienprogramm nicht zustande kommt, denn dieses Programm würde die soziale Schieflage im Bildungs- und Hochschulsystem der BRD weiter verschärfen. Aus dem vagen Ausblick, ein Stipendium zu bekommen, das zudem an den Hochschulstandort gebunden ist, entsteht keine Sicherheit in der Studienfinanzierung. Die Bereitschaft von Jugendlichen aus finanziell schlechter gestellten Familien, ein Studium aufzunehmen, wird dadurch nicht gesteigert. Im Gegenteil zeigt jede bislang vorgelegte Statistik, dass gerade diese Jugendlichen durch die leistungsbezogene Vergabe von Stipendien übergangen werden - zugunsten von Studierenden aus höheren sozialen Schichten, die weniger finanzielle Probleme haben. Der Finanzausschuss des Bundesrates konnte sich jedoch auch nicht durchringen, die kleine BAföG-Erhöhung zu befürworten, die auf Druck der Bildungsproteste zustande gekommen ist. Der Ausschuss hat die Anrufung des Vermittlungsausschusses empfohlen, weil die Länder kein Geld für die Kofinanzierung ausgeben wollen. Ein Verzicht auf diese Mini-BAföG-Erhöhung, die der Ministerin von den streikenden Studierenden abgetrotzt worden ist und die gerade einmal einen Inflationsausgleich darstellt, wäre de facto eine Bildungskürzung und verantwortungslos gegenüber den Betroffenen. Wer aber - wie diese Regierung und ihre Vorgängerregierung - Bildung zur alleinigen Ländersache erklärt und gleichzeitig die Haushalte der Bundesländer systematisch austrocknet, der braucht sich nicht zu wundern, wenn die Bildung insgesamt in Not gerät. Das alberne und würdelose Schwarzer-Peter-Spiel um die Finanzierung der Bildung hat die Regierung mindestens genauso zu verantworten wie die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, die die Vorhaben der Regierung jetzt blockieren! Ich sage es immer wieder: Erhöhen Sie endlich den Spitzensteuersatz wenigstens auf das Niveau der 90er-Jahre, führen Sie wieder eine Erbschaft- und eine Vermögensteuer ein, die den Namen auch verdienen, dann können Sie - und die Bundesländer - auch mehr Geld für Bildung ausgeben. 1972 hat das BAföG als Instrument gegen die soziale Selektion im Bildungssystem noch 44 Prozent der Studierenden gefördert, heute sind es gerade noch 17 Prozent. Angesichts dieser Entwicklung muss doch jede Bildungspolitikerin und jeder Bildungspolitiker aufschreien. Wer da nicht gegensteuert, wälzt die Kosten der Wirtschaftskrise auf die Abiturientinnen, Abiturienten und Studierenden ab, statt sie zu ermutigen und zu unterstützen! Im Gegensatz zu dem, was Sie uns in Wahlkampfreden immer erzählen, machen Sie Politik gegen gute Bildung; das ist doch die Wahrheit, und das haben die Betroffenen auch längst begriffen. Daher ist es auch richtig, wenn sich Schülerinnen, Schüler und Studierende dagegen wehren und demonstrieren. Nach drei vertanen Bildungsgipfeln ist mit dem Scheitern des Stipendienprogrammes jetzt die Chance da, einen ordentlichen BAföG-Ausbau durchzusetzen. Wir fordern die Bundesregierung auf, das Stipendienprogramm endgültig sein zu lassen und die dafür vorgesehenen Gelder in die Absicherung des BAföG und einen umfassenden Ausbau zu stecken. Das wäre soziale Bildungspolitik und würde den tatsächlichen Bedürfnissen und Forderungen der Studierenden entgegenkommen. Nutzen Sie die Gelegenheit und stimmen Sie unserem Antrag zu. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist gut, dass der Bundestag am Vorabend der entscheidenden Bundesratssitzung über das schwarz-gelbe Studienfinanzierungspaket diskutiert und damit den Bundesländern ein weiteres klares Signal mit in ihre Beratungen geben kann. Für die grüne Fraktion sage ich ganz klar: Die lange verkündete BAföG-Erhöhung muss jetzt kommen. Sie darf weder torpediert noch verzögert werden; sie darf keinesfalls scheitern. Bund und Länder müssen aufhören, ihren zugespitzten Streit über Finanzierungsfragen auf dem Rücken der Studierenden auszutragen. An dieser Stelle rächt sich der dritte gescheiterte Bildungsgipfel in Folge; die Bildungsrepublik droht endgültig zur Farce zu werden. Wir alle - da bin ich mir sicher - teilen die Haltung, dass auch die Bundesländer gegenüber ihren Studierenden in der Pflicht und in der Finanzierungsverantwortung stehen - und sie deshalb den Weg für die BAföG-Novelle frei machen sollten. Die nur kleine, aber dennoch wichtige BAföG-Erhöhung mit Sparargumenten zu stoppen, würde ein fatales Signal an die Studierenden senden, wäre eine Düpierung von Merkel und Schavan sowie eine Blamage für die Landesminister. Wir sagen: Eine bessere Studienfinanzierung durch ein stärkeres BAföG ist eine dringend notwendige Zukunftsinvestition - in kluge Köpfe, gegen Akademikermangel und Wirtschaftsflaute. Daher ist es notwendig, die BAföG-Novelle spätestens im Vermittlungsausschuss zu beschließen. Wir Grüne fordern den Bundesrat zugleich dazu auf, das ungerechte, überdimensionierte und unausgegorene Nationale Stipendienprogramm zu kippen und nicht weiter zu verfolgen. Das mit großem Tamtam angekündigte Programm ist ein reines Prestigeprojekt von FDP und Ministerin Schavan, das kein Problem der Lebensunterhaltsfinanzierung Studierender löst. Nicht nur die Studierenden und die Mehrheit der Länder lehnen dieses Programm ab und kritisieren es, sondern auch Stipendiaten der Begabtenförderungswerke, die Hochschulen sowie Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände. Wir sagen: Elitestipendien für wenige sind der falsche Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit; stattdessen bedarf es eines BAföG-Ausbaus für viele. Statt Stipendienlotterie braucht es klare Rechtsansprüche. Ein mögliches Scheitern des Stipendienmurkses im Bundesrat ist übrigens seit Monaten absehbar. Aber die schwarz-gelbe Koalition wollte trotzdem daran festhalten und mit dem Kopf durch die Wand. Damit sind die Bundesbildungsministerin und die schwarz-gelbe Koalition von Anfang an das hohe Risiko eingegangen, dass ihre eher halbherzige BAföG-Novelle zum Spielball eines Bund-Länder-Kuhhandels im Vermittlungsausschuss wird. Die Koalition darf die Studierenden und das BAföG nicht länger als Faustpfand für ein sinnloses Stipendiengesetz instrumentalisieren. Sie müssen endlich die einzig richtige Schlussfolgerung ziehen und das Nationale Stipendienprogramm noch heute zurückziehen. Die von Bund und Ländern für das Stipendienprogramm vorgesehenen 160 Millionen Euro Steuermittel dürfen aber nicht in Haushaltslöchern verschwinden, sondern sollten in einen echten und deutlicheren Ausbau des BAföG investiert werden. Dann kann das Zurückziehen des Stipendienprogramms zum großen Wurf für die Studierenden werden. Ein solches konstruktives Angebot des Bundes wäre ein genereller Fortschritt im festgefahrenen Bund-Länder-Streit um die Bildungsfinanzierung. Mit der Etablierung des Nationalen Stipendienprogramms würde eine der größten Gerechtigkeitslücken geschlossen, behauptet zum Beispiel FDP-Bildungssprecher Patrick Meinhardt. Das sehe ich komplett anders. Was ist das für ein Gerechtigkeitsverständnis? Das Stipendiengesetz ist ein schwarz-gelbes Exklusivprogramm für ohnehin chancenreiche Akademikerkinder. Anstatt gezielt in die Bildungspotenziale von Nichtakademikerkindern zu investieren, verhindert das Programm eine soziale Öffnung der Hochschulen und verschärft die soziale Schieflage beim Campuszugang. Bei nur zwei Semestern Förderverpflichtung können Studierende keine verlässliche Studienfinanzierung erwarten. Zudem ist nach einem Studienortwechsel das Stipendium futsch - mobilitätsfeindlicher geht es kaum. Auch wird die Wahl des Studienortes die entscheidende Größe bei der Chance auf ein Stipendium sein. Diese Fehlentwicklungen lassen sich bereits in Nordrhein-Westfalen beobachten. Die Hochschulen haben die komplette Organisation des Programms selbst zu schultern und zu finanzieren. Es ist kein grünes Verständnis von Hochschulautonomie, dass die Bundesregierung hehre Ziele setzt, die vor Ort praktisch unerreichbar sind. Wenn Herr Meinhardt vom "fairen Zugang zur Begabtenförderung" spricht, dann sollte er sich einmal Studien zur Stipendienvergabe vor Augen halten: Daraus geht hervor, dass Habitus und Herkunft mit darüber entscheiden, ob man in den Genuss eines Stipendiums gelangt. Es ist eine der großen schwarz-gelben Lebenslügen, dass sich die Stipendienvergabe nur an Leistung und Begabung orientiere. Wichtig ist: Wir sagen nicht Nein zu Stipendien, sondern Nein zu diesem schwarz-gelben nationalen Stipendienmurks. Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, ein Konzept für ein zielgenaues Stipendiensonderprogramm vorzulegen, das die Belange von Studierenden aus bisher hochschulfernen und unterrepräsentierten Gruppen besonders berücksichtigt: aus Nichtakademikerhaushalten, Bildungsaufsteiger mit Migrationsgeschichte, ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung sowie ferner chronisch Kranke, studierende Eltern und pflegende Studierende. Ein solches Stipendiensonderprogramm würde dazu beitragen, die Bildungsbeteiligung insgesamt zu erhöhen. Im Vordergrund muss aber stehen, zu einem tatsächlich ambitionierten Ausbau des BAföG zu kommen - auch, weil sich schon durch die letzte Novelle der Kreis der Geförderten kaum erweitert hat. Daher brauchen wir unter anderem eine Erhöhung der Freibeträge und Fördersätze um mindestens 5 Prozent und ein Absenken der BAföG-Verschuldungsobergrenze. Diese und weitere Änderungsanträge haben wir hier im Bundestag eingebracht und zudem mit unserem Zwei-Säulen-Modell eine mittelfristige Reformperspektive aufgezeigt. Das Zwei-Säulen-Modell brächte eine gerechtere, bessere, verlässlichere und leistungsfähigere Studienfinanzierung als heute und endlich die überfällige soziale Öffnung der Hochschulen, die wir uns wünschen. Für den morgigen Bundesrat wünschen wir uns, dass er grünes Licht für eine BAföG-Erhöhung gibt und die Länder dem Stipendienmurks ein Stoppschild verpassen. Nur so kann die richtige Priorität Realität werden und das BAföG zum kommenden Wintersemester erhöht werden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2427 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN EU-Fördermittel aus dem Emissionshandel für erneuerbare Energien und zur Verringerung prozessbedingter Emissionen - Drucksache 17/2430 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Damit sind Sie einverstanden. Es geht um die Reden der Kollegen Jens Koeppen, Frank Schwabe, Michael Kauch, Eva Bulling-Schröter und Oliver Krischer.4 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2430 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 32 sowie die Zusatzpunkte 6 und 7 auf: 32. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Dr. Eva Högl, Gabriele Fograscher weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu dem Entwurf der Europäischen Kommission für das Verhandlungsmandat eines neuen Abkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten und deren Übermittlung für die Zwecke des Programms der USA zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (kurz: SWIFT-Abkommen), Ratsdok. 7936/10 vom 24. März 2010 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Neues SWIFT-Abkommen nur nach europäischen Grundrechts- und Datenschutzmaßstäben - zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Barbara Höll, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einstellung der Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika um ein neues SWIFT-Abkommen und Verzicht auf ein europäisches Abkommen über ein Programm zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus - Drucksachen 17/1407, 17/1560, 17/2469 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Hans-Peter Uhl Gerold Reichenbach Gisela Piltz Jan Korte Dr. Konstantin von Notz ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Reinhard Grindel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gisela Piltz, Manuel Höferlin, Dr. Stefan Ruppert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Datenschutz bei der transatlantischen Zusammenarbeit zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Drucksache 17/2431 - ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten und deren Übermittlung aus der Europäischen Union an die Vereinigten Staaten für die Zwecke des Programms zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (Ratsdokument 11172/10) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 9 EUZBBG Finanzdaten der Bürgerinnen und Bürger Europas schützen - SWIFT ablehnen - Drucksache 17/2429 - Wie in der Tagesordnung bereits ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll gegeben, und zwar folgender Kollegin und Kollegen: Dr. Hans-Peter Uhl, Gerold Reichenbach, Gisela Piltz, Jan Korte und Dr. Konstantin von Notz. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Das Europäische Parlament hat heute mit großer Mehrheit ein SWIFT-Abkommen angenommen, welches das Ergebnis eines langen und sorgfältigen Verhandlungsprozesses ist. Dieses neue Abkommen war nötig geworden, nachdem das europäische Parlament im Februar 2010 das SWIFT-Interimsabkommen abgelehnt hatte, über das wir zuvor auch im Deutschen Bundestag leidenschaftlich debattiert hatten. Bereits bei der damaligen Debatte wurden zwei Dinge klargestellt: Erstens ist Kontodatenabfrage ein taugliches Mittel zur Terrorbekämpfung. Die Datenströme zur Finanzierung von Terrorismus zu erkennen, ist ein nützliches Mittel, um gegen Terroristen vorzugehen. Ein Beispiel für die erfolgreiche Nutzung von Finanztransaktionsdaten in Deutschland ist das Verbot des Hamas-Spendensammelverein al-Aqsa, das tragend auf solchen Informationen beruhte. In Großbritannien konnten geplante Terroranschläge auf Transatlantikflüge verhindert werden und auf dieser Grundlage drei Personen zu hohen Haftstrafen verurteilt werden. Zweitens steht aber auch fest, dass Kontodaten hochsensible persönliche Daten sind, die ein hohes Datenschutzbedürfnis mit sich bringen. Zwar war eindeutig, dass ein SWIFT-Abkommen beiden Seiten ein höheres Maß an Rechtssicherheit geben würde als die Datenweitergabe in der Folgezeit des 11. September 2001 und auch besser wäre als die brieflichen Abmachungen zur Datenweitergabe des SPD-Ministers Steinbrück aus dem Jahr 2007, welches die ursprüngliche Grundlage des SWIFT-Abkommens darstellte. Trotzdem muss ein höchstmögliches Maß an Daten- und Rechtsschutzmöglichkeiten für den Bürger im Mittelpunkt stehen. Deswegen habe ich bereits damals betont, dass es an den Parlamentariern des Europäischen Parlaments und des Bundestages wäre, in diesem Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Datenschutz auf einen gangbaren Kompromiss bei einem dauerhaften SWIFT-Abkommen hinzuwirken. Neben den Abgeordneten des Bundestages und der deutschen Regierung haben sich die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in dieser Frage als strenger Prüfstein erwiesen. Wegen Bedenken beim Daten- und Rechtsschutz haben sie das Interimsabkommen zu SWIFT am 11. Februar abgelehnt. Jedoch wurden wegen der unbestreitbaren Wichtigkeit des Abkommens alsbald Neuverhandlungen mit den USA aufgenommen, in denen die Vorbehalte thematisiert wurden. Das vorgelegte neue SWIFT-Abkommen stellt ein respektables Ergebnis dieser Verhandlungen dar, was nicht zuletzt auch durch die breite Unterstützung von Christdemokraten, Liberalen und Sozialdemokraten bei der heutigen Annahme im Europäischen Parlament dokumentiert wurde. Das Abkommen enthält insbesondere im Hinblick auf den Rechtsschutz und auf den Datenschutz deutliche Verbesserungen gegenüber dem Interimsabkommen. Hervorzuheben sind besonders folgende Verbesserungen: Jedes US-Ersuchen muss auch in Bezug auf die Datenarten spezifiziert und eingeschränkt werden. Die Menge der zu übermittelnden Daten ist möglichst gering zu halten. Eine noch im Interimsabkommen enthaltene Ausnahmeregelung, die es bei technischen Schwierigkeiten erlaubte, unspezifische Daten, die dem Ersuchen nicht entsprechen, im Paket zu übermitteln, ist nunmehr entfallen. Europol wird als zuständig erklärt, die US-Ersuchen auf Übereinstimmung mit dem Abkommen zu überprüfen. Europol besitzt dabei die Fachkunde, nötigenfalls mit den USA auf Augenhöhe die dem Ersuchen zugrunde liegende Gefährdungsbewertung und den daraus abgeleiteten Übermittlungsumfang zu diskutieren. Weiterhin wird eine Drittstaatenübermittlung nun grundsätzlich nur bei Zustimmung des jeweiligen Ursprungsstaats zulässig. Ausnahmen bestehen nur bei Gefahr im Verzug und bei dringenden schweren Gefahren. Berichtigungs-, Löschungs- und Sperrungsrechte können künftig - betroffenenfreundlich - jeweils über die Datenschutzbehörde des jeweiligen Mitgliedstaats geltend gemacht werden, die die Anfrage an das US-Finanzministerium weiterleitet. Das Abkommen sieht in Art. 2 Abs. 1 vor, dass die Kommission binnen eines Jahres einen Entwurf hinsichtlich der Einrichtung eines EU-Systems zur Extrahierung spezifischer Daten vorlegen soll. Durch die Schaffung technischer und rechtlicher Möglichkeiten für die Extrahierung spezifischer Daten durch die EU selbst könnte der Übermittlungsumfang auf Verdachtsfälle reduziert werden. Die Kommission wird dazu aufgefordert, drei Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens einen Bericht über den Fortgang der Einrichtung des EU-TFTP abzuliefern. Falls das vergleichbare EU-System fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Abkommens noch nicht aufgebaut worden ist, prüft die Union, ob das Abkommen in Übereinstimmung mit Art. 21 Abs. 2 zu kündigen ist. Trotz dieser und weiterer Verbesserungen konnten leider nicht alle Verhandlungsleitlinien umgesetzt werden. Die Höchstspeicherdauer beträgt weiterhin fünf Jahre. Allerdings ist ein ausgefeilter Evaluierungsmechanismus vorgesehen, der die Speicherdauer laufend kritisch hinterfragt und gegebenenfalls revidiert. Beim gerichtlichen Rechtsschutz ist es nach wie vor lediglich bei einer Verweisung auf US-Recht geblieben. Angesichts des sehr dichten Netzes administrativen Rechtsschutzes und der auch verfahrensmäßig starken Position der EU bei der Kontrolle der Vertragsdurchführung wird dies aber praktisch kompensiert. Zur weiteren Verbesserung der berechtigten Datenschutzbedürfnisse des Einzelnen begrüßen wir ausdrücklich die Bemühungen der Europäischen Union um ein allgemeines Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA für polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Das allgemeine Datenschutzabkommen kann dazu beitragen, dass diesseits und jenseits des Atlantiks ein hohes Datenschutzniveau bei der behördlichen Zusammenarbeit geschaffen wird und die bereichsspezifischen Regelungen des SWIFT-Abkommens damit in ein umfassendes Datenschutzregime eingebettet werden. Wir bitten die Bundesregierung deswegen in unserem Antrag, ihre bisherigen Bemühungen in Richtung auf ein datenschutzfreundliches und dem Bundesrecht Rechnung tragendes Datenschutzabkommen der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten von Amerika fortzusetzen. Das vorliegende SWIFT-Abkommen, insbesondere in Verbindung mit unserer fortgesetzten Arbeit und Aufmerksamkeit auf diesem Gebiet, ist ein Kompromiss zwischen Sicherheit und Datenschutz, der alle Seiten angemessen berücksichtigt. Die Zustimmung im Rat und im Europäischen Parlament kann auch der Deutsche Bundestag mit gutem Gewissen unterstützen. Gerold Reichenbach (SPD): Lassen Sie mich eines vorab zu dem nun auch vom Europaparlament mitgetragenen SWIFT-Abkommen sagen: Meine Fraktion und ich waren doch sehr verwundert darüber, wie einfach es sich die Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP bei den Verhandlungen zu SWIFT gemacht hat. Teilweise hatte man nicht das Gefühl, dass die Bundesregierung ein nachdrückliches Interesse daran hat, hier deutsche Datenschutz- und Rechtsschutzstandards zu implementieren. Nicht einmal den Versuch konnte man erkennen, man hat sich im doppelten Wortsinne "enthalten". Beim Bundesinnenminister hatte man eher das Gefühl, dass er vor sich hin trudelte, frei nach dem Motto: Halb zog man ihn, halb sank er dahin. Und auch die Bundesjustizministerin und ihre FDP, die noch vor der Wahl und in der Opposition tönten, keine Zugeständnisse bei SWIFT machen zu wollen und die Wahl im September 2009 abzuwarten, frei nach dem Motto: Wir verhindern das dann!, war während der Verhandlungen komplett auf Tauchstation gegangen. Von ihr habe ich in den letzten Wochen und Monaten nicht viel zu diesem Thema gehört. Die gleiche Strategie hatte die Frau Bundesjustizministerin bereits im ersten Anlauf bei dem am 30. November 2009 von den europäischen Innen- und Justizministern unterzeichneten SWIFT-Abkommen gefahren. Am Beginn der Verhandlungen wurde noch einmal kurz ein kleines Hin und Her bemüht zwischen den Ressorts Innen und Justiz, doch am Ende durfte der Bundesinnenminister schalten und walten und sich einfach in Brüssel enthalten, um so den Weg für den ersten Anlauf SWIFT-Abkommen zu ebnen. Und da frage ich Frau Leutheusser-Schnarrenberger: Warum haben Sie denn Ihrem federführenden Kollegen im Bundesinnenministerium nicht genauer auf die Finger gesehen?! Bei dem ganzen Streit, der zwischen der Koalition herrschte, wäre es auf diesen einen Punkt auch nicht mehr angekommen. Außerdem wäre Ihnen zumindest damit ein bisschen Glaubwürdigkeit erhalten geblieben. Sie müssen sich deshalb als Bundesregierung auch bei dem jetzt vorliegenden Ergebnis schon die Frage der Opposition gefallen lassen: War da wirklich nicht mehr möglich? Wenn Sie mir jetzt mit dem Gegenargument kommen, mit den Amerikanern war ja nicht mehr auszuhandeln: Ja das haben Sie zu dem ersten, im EU-Parlament gescheiterten Abkommen auch behauptet. Wie Sie jetzt selbst im Antrag der Regierungskoalition feststellen, war sehr wohl mehr in den Verhandlungen "herauszuholen", und dass aufgrund der Intervention des Europaparlaments noch einmal nachgebessert wurde, zeigt doch, dass auch da noch mehr möglich war. Nicht zuletzt auch deshalb lässt sich die SPD-Bundestagsfraktion ihre immer noch erheblichen Bedenken gegen die nun verabschiedete Version des Abkommens nicht nehmen. Nach wie vor enthält das Abkommen Regelungen, die unseren rechtsstaatlichen, verfassungs- und datenschutzrechtlichen Grundsätzen nicht entsprechen. Wir erachten die Speicherungs- und Löschungsfristen immer noch als zu lang. Die allgemeine fünfjährige Speicherfrist für übermittelte Daten ist unangemessen und nicht erforderlich für Ermittlungen im Bereich der Terrorismusabwehr, zumal hier ganze Datenpakete, auch die von nicht Betroffenen, sozusagen auf Vorrat über fünf Jahre gespeicherte werden. Wir kritisieren die Einsetzung von Europol als Kontrollbehörde. Es widerspricht dem Prinzip der unabhängigen Kontrolle, dass eine Behörde, die ein eigenes Interesse an den von ihr freigegebenen Daten hat, als letztgültige Kontrollinstanz eingesetzt wird. Wir bezweifeln stark, dass eine solche Behörde nach Rechtsstaatlichkeitsgrundsätzen Kontrollinstanz sein kann. Es ist nicht mit unserem Rechtsstaatsempfinden vereinbar, dass eine Behörde, die selbst Daten oder deren Ergebnisse für Ermittlungen nutzt, gleichzeitig auch die Rechtmäßigkeit der Weitergabe und Speicherung der Daten überprüfen darf. Dies stellt keine unabhängige Kontrolle im Sinne des Datenschutzrechts und unter anderem auch im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dar, der erst in diesem Jahr geurteilt hatte, dass eine Datenschutzkontrolle im Sinne des Gemeinschaftsrechts unabhängig von Behörden und der Aufsicht der jeweiligen Regierung zu erfolgen hat. Der Europäische Gerichtshof stellte in seinem Urteil nämlich fest, dass die Datenschutzaufsichtsbehörden für den nichtöffentlichen Bereich in Deutschland nicht völlig unabhängig sind und die Bundesrepublik Deutschland damit gegen die Verpflichtung aus Art. 28 der Datenschutzrichtlinie verstößt. Europarechtswidrig ist nicht nur die organisatorische Einbindung zahlreicher Datenschutzaufsichtsbehörden für den nichtöffentlichen Bereich in die Innenministerien, sondern auch die Aufsicht der Regierungen über die Datenschutzbehörden. Das gilt aber auch im übertragenen Sinne für Europol. Wir sehen es ebenso als höchst problematisch an, dass der Zuständigkeitsbereich von Europol über den Umweg eines internationalen Abkommens erweitert wird, ohne dass dies im Europäischen Parlament und im Bundestag ausreichend debattiert worden ist. Wir bemängeln weiter, dass große Datenpakete immer noch übermittelt werden können, ohne dass vorher eine Extraktion stattfindet. Wir verweisen hier auf die engen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung, welches bereits eine sechsmonatige Speicherfrist für den Fall der Telekommunikationsdatenspeicherung als unzulässig erachtete. Nach dem Urteil wurde der Gesetzgeber dazu verpflichtet, "anspruchsvolle und normenklare Regelungen" unter dem Gebot von Datenschutz, Datensicherheit, Transparenz und Rechtsschutz zu schaffen. Wir hegen große Zweifel, ob das SWIFT-Abkommen in seiner derzeitigen Form mit den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen vereinbar ist. Die SPD-Bundestagsfraktion spricht sich nicht grundsätzlich gegen ein Abkommen aus. Wir halten die Zusammenarbeit zur Terrorismusbekämpfung für wichtig und unabdingbar. Aber wir können einem entsprechenden Abkommen nur zustimmen, wenn Freiheits- und Bürgerrechte ausreichend berücksichtigt und entsprechende Schutzmechanismen für die Betroffenen geschaffen worden sind. Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx sowie der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar bezweifeln in ihren Stellungnahmen zu dem Abkommen die Rechtmäßigkeit der vorgesehenen Übertragung von großen Datenmengen sowie der fünfjährigen Speicherfrist. Wir befinden uns mit unserer Kritik also in guter Gesellschaft und überziehen keineswegs oder betreiben ein Wunschkonzert. Man muss der Bundesregierung am Ende vorwerfen, Freiheits- und Bürgerrechte nicht in Einklang mit dem Bedürfnis nach Terrorismusabwehr und Sicherheit gebracht zu haben. Wir halten daran fest, dass das nunmehr ausgehandelte Abkommen im Ergebnis unter datenschutzrechtlichen und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht ausreichend ist. Wir honorieren sehr wohl die Arbeit der Parlamentarier im Europaparlament, insbesondere die der SPE-Fraktion, denn ohne sie wäre es nie zur Verhinderung des ursprünglichen Abkommens und zu Neuverhandlungen gekommen. Die hier nun vorliegenden Verbesserungen sind nicht das Ergebnis der guten Verhandlungen der Bundesregierung, sondern allein dem rigorosen Einschalten des Europaparlaments geschuldet. Dies müssen wir noch einmal hervorheben. Noch eine Anmerkung an die Kolleginnen und Kollegen der FDP: Sie können sich in Ihrer Verantwortung nicht damit herausreden, was Rot-Grün oder Sozialdemokraten vorher angeblich alles gemacht oder nicht gemacht haben. Das reicht nicht als Begründung dafür aus, dass Sie jetzt einem Abkommen sang und klanglos zustimmen, das wesentliche Forderungen, die Sie in Ihrer Oppositionsarbeit und die Ihre Justizministerin aufgestellt haben, nicht erfüllt. Hier hätten wir gerade auch von einer "Möchtegern-Bürgerrechts- und -Freiheitsrechte-Partei" mehr erwartet. Zwar können wir heute über das Abkommen selbst nicht mehr abstimmen, aber unser Votum zu den vorliegenden Anträgen macht deutlich: Wir stimmen dem ausgehandelten Abkommen nicht zu. Gisela Piltz (FDP): Im Frühsommer 2006 wurde bekannt, dass mit Wissen des damaligen SPD-Bundesfinanzministers US-Behörden Zugriff auf SWIFT-Daten von europäischen Bürgerinnen und Bürgern erhalten hatten. Von einem Abkommen, von rechtlichen Absicherungen, von Datenschutz und Rechtsschutz für die Menschen in Deutschland und Europa war da nicht die Rede. Es ist übrigens bezeichnend, dass heute am lautesten die schreien, die beim internationalen Datenaustausch nicht immer an den Datenschutz gedacht haben. Ich möchte hier einmal die Grünen daran erinnern, dass zu ihrer Regierungszeit ihr Außenminister dem PNR-Abkommen zugestimmt hat. Nur, um Ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge zu helfen: Darin sind 15 Jahre Speicherfrist vorgesehen. Die Daten in 34 Datenkategorien über Essensgewohnheiten, Kreditkartendaten bis hin zu Gepäckinformationen oder Mietwagenreservierungen können ohne weitere Kontrolle, geschweige denn Genehmigung an alle US-amerikanischen Behörden wie auch Drittstaaten weitergegeben werden. Es gibt keine Regelung, die besonders sensible Daten schützt; sondern Daten zum Beispiel mit Bezug zu Religion und Glauben können genutzt werden. Beim Zugang zu administrativem oder gerichtlichem Rechtsschutz sind Nicht-US-Bürger gerade nicht mit US-Bürgern gleichgestellt. Da, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, würde ich mich an Ihrer Stelle jetzt mal nicht so aus dem Fenster lehnen. Gewiss könnte in einer perfekten Welt auch beim SWIFT-Abkommen alles noch besser sein, aber in der realen Welt haben Kommission, Rat und Europaparlament im Rahmen des Möglichen aufgrund des geltenden amerikanischen Rechts ziemlich viel herausgeholt. Erst wegen des Umzugs der SWIFT-Server nach Belgien wurden Verhandlungen über ein SWIFT-Abkommen aufgenommen und so überhaupt erstmalig Datenschutz- und Rechtsschutzvorgaben mit den USA angesprochen. Mit dem Interimsabkommen, das zunächst verhandelt worden war, konnten aber keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielt werden. Es ist daher richtig und gut gewesen, dass das Europäische Parlament das Interimsabkommen abgelehnt hatte. Die darauffolgenden neuen Verhandlungen brachten ein Ergebnis hervor, das schon besser war. Aber "besser" ist nicht "gut". Das Europäische Parlament hat hier erneut dafür gesorgt, dass aus "besser" nun schließlich "annehmbar" geworden ist. Die christlich-liberale Koalition hat in ihrem Antrag, den wir heute hier debattieren, ihre Erwägungen dargelegt. Wir sind nicht blind gegenüber den Punkten, die vielleicht noch nicht perfekt sind. Aber wir sind auch nicht blind gegenüber den vielen Punkten, bei denen jetzt die Vorgaben für Datenschutz und Rechtsschutz umgesetzt wurden. Die Bundesregierung hat dies im Rat genauso dargelegt: Datenschutzniveau und Rechtsschutzniveau im neuen Abkommen sind so erheblich verbessert worden, dass dieses Abkommen die Bürgerinnen und Bürger in ihren Rechten besser schützt. Besonders hervorzuheben ist, dass nunmehr grundlegende Ansprüche, die aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung folgen, namentlich Rechte auf Auskunft, Richtigstellung, Sperrung und Löschung persönlicher Daten, ausdrücklich im Abkommen enthalten sind. Dabei können diese Rechte von EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern über die jeweiligen Datenschutzbeauftragten ihres Herkunftslandes geltend gemacht werden. Dies birgt eine positiv zu bewertende Verfahrenserleichterung für die Geltendmachung grundlegender Rechte. Die Beschränkungen bei der Weitergabe an Drittstaaten, die nunmehr von der Genehmigung des Herkunftslandes des Betroffenen abhängt, tragen dafür Sorge, dass an Drittstaaten, in denen ein angemessenes Schutzniveau beim Daten- und Rechtsschutz nicht vorhanden ist, die Datenweitergabe verweigert werden kann. Die strikte Begrenzung auf Daten mit Bezug zu internationalem Terrorismus und die klare Eingrenzung durch die Übernahme der allgemein anerkannten Definition des internationalen Terrorismus der Vereinten Nationen ist ebenfalls zu begrüßen. Es wäre vermessen, zu behaupten, dass das SWIFT-Abkommen nun ohne jeden Fehl und Tadel ist. Wenngleich nunmehr innerhalb der EU durch Europol alle Anfragen verifiziert werden, bevor SWIFT die Daten im Push-Verfahren an das US Treasury Department übermittelt, werden doch nach wie vor Massendaten übermittelt. Die Extrahierung der tatsächlich relevanten Daten erfolgt nach wie vor in den USA. Auch wenn das Europaparlament dankenswerterweise erreicht hat, dass der Zugriff und die Auswertung in den USA durch einen europäischen Beamten überwacht und gegebenfalls auch blockiert werden können, liegt hier der größte Kritikpunkt. Es ist daher gut, dass das Europaparlament weiterhin erreicht hat, dass die EU-Kommission innerhalb eines Jahres ein Konzept vorlegen wird, um die Datenextrahierung innerhalb der EU selbst vorzunehmen. Hierzu müssen die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen geregelt werden. Die Übergangslösung mit der Überwachung durch einen europäischen Beamten in den USA ist jedoch hinnehmbar, da durch die Jahresfrist in absehbarer Zeit die Massendatenübertragungen beendet sein werden. Mit dem SWIFT-Abkommen wurde also schon viel erreicht, was Datenschutz und Rechtsschutz bei der transatlantischen Zusammenarbeit, die für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus unverzichtbar ist, angeht. Aber natürlich ist die Debatte nicht beendet. Es gibt noch viel zu tun. Daher ist es besonders zu begrüßen, dass die EU und die USA nunmehr Verhandlungen über ein generelles Rahmenabkommen aufnehmen werden, um bei jedem Datenaustausch ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten. Insbesondere müssen die Rechte des Betroffenen auf Auskunft, Löschung, Richtigstellung oder Sperrung verankert werden, ebenso wie ein starker Rechtsschutzmechanismus, der eine unabhängige Prüfung ermöglicht. Der Grundsatz der Datensparsamkeit muss generell verankert werden und auch das Prinzip, dass generell Daten möglichst kurz gespeichert werden und nicht oder nicht mehr benötigte Daten umgehend zu löschen sind. Die Weitergabe von Daten muss an strikte Bestimmungen geknüpft werden, insbesondere an einen Zustimmungsvorbehalt des Herkunftsstaates bei Weitergabe an Drittstaaten. Auch müssen Haftungsregelungen für rechtswidrige Datenverarbeitung oder Pflichtverstöße enthalten sein. Es ist meine feste Überzeugung, dass gerade die SWIFT-Debatte in Deutschland und Europa insgesamt entscheidend dazu beigetragen hat, dass nun endlich Bewegung in die Verhandlungen über ein solches Rahmenabkommen gekommen ist und auf beiden Seiten des Atlantiks die Erkenntnis stärker geworden ist, dass Datenschutz als grundlegendes Menschenrecht nicht unter den Tisch fallen darf, auch dann nicht, wenn es um das gemeinsame Ziel der Bekämpfung des internationalen Terrorismus geht. Die Verhandlungen über SWIFT sind nun abgeschlossen. Die Verhandlungen über das allgemeine Datenschutzabkommen beginnen erst. Es wird nun die Aufgabe auch Deutschlands sein, bei den Verhandlungen der Kommission mit den USA über den Rat darauf zu drängen, dass das Abkommen ein Erfolg für den Datenschutz und für den Rechtsschutz wird. Jan Korte (DIE LINKE): Am heutigen Nachmittag hat die Mehrheit des Europäischen Parlaments den zweiten Anlauf für ein Abkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten - USA - über die Übermittlung von internationalen Bankdaten und Bankkundendaten durchgewinkt. Lediglich die Linksfraktion und die Fraktion der Grünen im EP haben geschlossen gegen dieses Abkommen gestimmt. Von den datenschutz- und bürgerrechtlichen Bedenken bei Sozialdemokraten und Liberalen vom vergangenen Februar ist heute in Straßburg nichts mehr übrig geblieben. Dabei sind die Veränderungen des aktuellen Abkommens zu dem ersten Entwurf Anfang des Jahres - anders als es Union und FDP in ihrem Antrag behaupten - reine Kosmetik. Noch immer können Millionen Datensätze an das US-Heimatschutzministerium und dessen angeschlossene Geheimdienste übermittelt und von diesen für fünf Jahre gespeichert werden. Zuständig für die Verarbeitung US-amerikanischer Begehrlichkeiten ist künftig die europäische Polizeibehörde Europol. Doch weder das Europol-Übereinkommen noch die interne Struktur der europäischen Polizeibehörde sehen derartige Befugnisse vor. Im Kern soll also eine Polizeibehörde eine Polizei- und Geheimdienstbehörde kontrollieren. Das ist das glatte Gegenteil einer unabhängigen Kontrollinstitution; das ist keine Kontrolle durch das Europäische Parlament oder einen Richter. Rechtsstaatliche Verfahren sehen anders aus. Nun hören wir als starke Oppositionskraft immer sehr aufmerksam zu, wenn in den Beratungen des Bundestages die Bundesregierung Stellung zu politischen Vorhaben bezieht. Und in Bezug auf SWIFT und die Rolle von Europol haben wir daraus vernommen - so deren Innenstaatssekretär Ole Schröder, CDU dass auch die Bundesregierung mit dieser Konstruktion zur Lösung des Übermittlungsproblems mehr als unzufrieden ist. Nur stellt sich dann doch die Frage, warum Innenminister de Maizière im zuständen EU-Rat dem Abkommen dann seinen Segen gegeben hat. Vielleicht hat er auch nur auf eine inhaltliche Hilfestellung seitens des Bundestages gewartet. Diesem Wunsch wären zumindest Linke und SPD sehr gerne nachgekommen. Gerne hätten wir Ihnen unsere Vorgaben zur Verhandlungsführung und den Verhandlungszielen mit auf den Weg gegeben. Leider aber hat die Bundesregierung alles getan, um die Verhandlungen selbst, aber auch die internen Verhandlungslinien im Verborgenen zu halten und Ergebnisse im Innenministerium zu privatisieren. Gleichzeitig mühten sich die europäischen Innenminister, ein neues Abkommen nach dem Scheitern des ersten im Europäischen Parlament so schnell wie möglich unterschriftsreif zu bekommen. Vor diesem Hintergrund konnten Anträge der Opposition in Bezug auf die Aufnahme neuer Verhandlungen mit den USA erst am gestrigen Tage im Innenausschuss debattiert werden - und dies, obwohl die Linke als auch die SPD-Fraktion ihre Stellungnahmen vor Beginn der zweiten Verhandlungsrunde eingereicht hatten. Aber mit Stellungnahmen des Deutschen Bundestages zu wesentlichen Unionsdokumenten scheint es die Koalition sowieso nicht besonders zu haben. So wurde ebenfalls am gestrigen Mittwoch im Innenausschuss ein entsprechender Entwurf für eine Stellungnahme des Bundestages zum neuen SWIFT-Abkommen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Stattdessen liegt dem Plenum des Bundestages heute ein Antrag der Koalition vor, in dem die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen der EU und den USA in den siebten Himmel gelobt werden. Das alles ist wahrlich eine Farce. Peinlich ist in diesem Zusammenhang das Agieren der FDP-Fraktion zu nennen. Tönte deren Justizministerin noch Anfang des Jahres, ein solches Abkommen würde es mit ihr nicht geben, ist Frau Leutheusser-Schnarrenberger nun vollends verstummt. Der FDP blieb letztlich nur, einige kritische Anmerkungen im benannten Koalitionsantrag auf den hinteren Seiten in weichgespülter Pose unterzubringen. Um eines ganz deutlich zu sagen: Ohne die Linksfraktion im Bundestag würden wir heute gar nicht über dieses Abkommen debattieren. Die Linke hatte gefordert, endlich das Thema auch hier im Plenum zu behandeln, um es aus nichtöffentlichen Innenausschusssitzungen herauszuholen und eben nicht nur auf der Grundlage von als vertraulich eingestuften Dokumenten zu debattieren. Wenn aber das neue Abkommen so ein großer Fortschritt ist, warum wollte die Koalition oder der Innenminister dieses den Bankkunden nicht auch mitteilen? Liegt es vielleicht daran, dass Bankkunden, die ins Visier von US-Terrorfahndern geraten sind, auch zukünftig kaum über Informations- und Widerspruchsrechte verfügen? Oder liegt es daran, dass durch dieses Abkommen Bankkunden bereits als verdächtig angesehen werden können, wenn sie humanitären Organisatio-nen in Afghanistan, Jemen oder Irak Geld zum Jahresende spenden? Oder liegt es daran, dass die Bundesregierung in einer öffentlichen Debatte hätte zugeben müssen, dass die Weiterleitung von Bankdaten in außereuropäisches Ausland bereits seit 2001 und teilweise ohne Rechtsgrundlage und somit illegal stattfand? Oder liegt es doch eher daran, dass die Bundesregierung mit ihrer Zustimmung zum neuen SWIFT-Abkommen womöglich gegen das Grundgesetz verstößt? Oder - schließlich und endlich - liegt es daran, dass man bewusst eine Beurteilung des Abkommens zur Kontrolle des Bankdatentransfers durch Europol durch den juristischen Dienst des EP nicht abwarten wollte, weil Ihnen klar war, was im Ergebnis dieser Prüfung festgestanden hätte? Bitte vergessen Sie nicht, dass die Legislative das Handeln der Exekutive bestimmt und kontrolliert - und nicht umgekehrt. Kehren Sie auf Ihrem Weg der Wattebauschkontrolle der Regierung um. Nehmen Sie die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ernst, achten Sie endlich konsequent das Grundgesetz und die darin verbrieften Grund- und Freiheitsrechte. Hören Sie auf, unliebsame Sicherheitsprojekte über die europäische Bande in Deutschland durch die Hintertür einzuführen. Achten Sie endlich die im Vertrag von Lissabon festgelegten Mitbestimmungsrechte der nationalen Parlamente im europäischen Gesetzgebungsprozess. Und folgen Sie den Anträgen der Linksfraktion im Bundestag und fordern Sie damit die Bundesregierung auf, dem neuen SWIFT-Abkommen in der Schlussabstimmung im EU-Ministerrat die Zustimmung zu verweigern. Zentrale Kritikpunkte des EP am ersten Vertragsentwurf sind eben nicht in den Folgeverhandlungen oder dem heute vorliegenden Abkommen berücksichtigt worden. Dieser Fakt wird auch dadurch nicht verändert, weil nun die Mehrheit der Mitglieder des EPs - vor allem in den Reihen der Liberalen und Sozialdemokaten - unter dem Druck der USA und der europäischen Innenminister von ihrer ursprünglichen Haltung abgewichen ist. Sowohl der Sinneswandel vieler Abgeordneter auf europäischer Ebene und im Bundestag als auch die Art und Weise der Debatte im Bundestag haben beiden Parlamenten wie auch der Demokratie und den Grundrechten insgesamt keinen Dienst erwiesen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die heute im Europäischen Parlament von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen beschlossene Zustimmung zum SWIFT-Abkommen markiert einen Tiefpunkt europäischer Grundrechts- und Datenschutzpolitik. Wir Grüne sind besorgt, wie leichtfertig eine Mehrheit des Europäischen Parlaments sein gerade in der Haltung zum ersten SWIFT-Abkommen erreichtes - zugegebenermaßen noch zartes - bürgerrechtliches Profil wieder verspielt. Noch besorgter macht uns, wie in diesem Zusammenhang die schwarz-gelbe Bundesregierung die Alternativlosigkeit ihrer Entscheidung betont, dem nun ausgehandelten Abkommen zuzustimmen. Alternativlosigkeit wird in diesen Tagen immer öfter zum Mantra derjenigen, die mit einer Geste des Achselzuckens ihre fehlende innere Überzeugung und ihren fehlenden politischen Gestaltungswillen offenbaren. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat in der gestrigen Sitzung des Innenausschusses zu Recht darauf hingewiesen, welche Spielräume für Verhandlungen es tatsächlich gab. Denn sehr schnell waren die amerikanischen Verhandlungsführer von ihrer Drohung eines unilateralen Vorgehens und der völligen Ablehnung von Neuverhandlungen abgerückt, als sie merkten, dass der Widerstand der EU gegen ihr Vorgehen in Sachen SWIFT auch nach der Entscheidung des Europäischen Parlaments Bestand hatte. Ganz im Gegensatz zum transatlantischen Streit um die Fluggastdaten - eine weitere bürgerrechtliche Leiche im Keller der EU - verfügen die USA im Fall von SWIFT auch nicht mehr über das Druckmittel des unmittelbaren Zugriffs auf die fraglichen Server. Der Druck der Datenschützer hatte nach Bekanntwerden der heimlichen Datenweitergabe an US-Behörden ja gerade dazu geführt, dass die in den USA befindlichen Server des Unternehmens SWIFT dort abgebaut und nach Europa gebracht wurden. Die damit eröffneten Verhandlungsspielräume sind von der Kommission jedoch leider nicht genutzt worden, um die hohen europäischen Datenschutzstandards zu wahren und durchzusetzen und die Bürgerinnen und Bürger vor einem Ausverkauf ihrer Daten zu schützen. Deshalb lehnen wir auch das nunmehr zustande gekommene zweite SWIFT-Abkommen ab. Mit unserem Antrag, den wir hier gleich abstimmen werden, appellieren wir an die Bundesregierung, sich die bestehenden datenschutz- und verfassungsrechtlichen Bedenken zu Herzen zu nehmen und gegen das Abkommen in der noch offenen Abstimmung des Rates zum EP-Beschluss zu stimmen. Nur so kann die Bundesregierung ihrer Verantwortung für den Schutz der Grundrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger gerecht werden. Besondere Aufmerksamkeit in diesem Kampf um Bürgerrechte verdient erneut die FDP. Denn heute wissen wir: Die jüngsten Ankündigungen der zumindest einstmals Liberalen, sich angesichts des desolaten Zustands der Partei und der eigenen Programmatik wieder verstärkt auf den Bereich der Bürgerrechtspolitik zu konzentrieren, war reine Rhetorik. Noch auf ihrem Parteitag im April beschloss die FDP mit Blick auf das SWIFT-Abkommen, die Datenübermittlung "in Paketen" auszuschließen. Wörtlich heißt es in dem von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vorbereiteten Antrag: "Die FDP lehnt einen präventiven Datenaustausch ab." Denn in der Tat handelt es sich bei dem nun vereinbarten Datenaustausch um eine Vorratsdatenspeicherung, weil circa 97 Prozent der zu übermittelnden Bankdaten unbescholtene und unverdächtige Bürgerinnen und Bürger betreffen. Das SWIFT-Abkommen wäre für die FDP eine ideale Gelegenheit gewesen, ihren bürgerrechtlichen Ankündigungen auch tatsächlich Taten folgen zu lassen. Doch geschehen ist zu wenig. Noch nicht einmal von einer koalitionsinternen Debatte war der leiseste Ton zu hören. Zu Beginn der Legislatur erweckte die Bundesjustizministerin wenigstens noch den Anschein, das SWIFT-Abkommen tatsächlich zu Fall bringen zu wollen - um es dann mit einer deutschen Enthaltung im Minister-rat klammheimlich durchzuwinken. Nun lässt Frau Leutheusser-Schnarrenberger dem Innenminister vollkommen freie Hand nach dem Motto "Wer nicht wagt, der kann auch nicht verlieren". Sie versucht noch nicht einmal, den bürgerrechtlichen Anspruch der FDP zu untermauern, geschweige denn, die vollmundigen Parteitagsbeschlüsse umzusetzen. Dass der für das SWIFT-Abkommen zuständige liberale Berichterstatter im Europaparlament nun auch noch versucht, das jetzt ausgehandelte Abkommen als einen "Durchbruch" zu verkaufen, spottet angesichts der massiven nach wie vor bestehenden Bedenken, die im Übrigen auch der europäische Datenschutzbeauftragte teilt, jeder Beschreibung. Genauso bedenklich ist der Versuch der Bundesregierung, die nun durch die USA gemachten Zugeständnisse bei SWIFT als ihre ureigenen Verhandlungserfolge zu verkaufen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/ CSU und FDP, nur um das noch einmal klarzustellen: Ihre Regierung war es doch, die das erste Abkommen mit ihrer Enthaltung durch den Rat gewinkt hat. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir überhaupt keinen Spielraum für Nachverhandlungen gehabt. Wir hätten ein noch viel schlimmeres Abkommen bekommen als das, das wir jetzt vorliegen haben. Wäre es nach Ihnen gegangen, würden die hochsensiblen Bankdaten von über 500 Millionen Europäerinnen und Europäern weiter ohne Rechtsschutz und Kontrolle an die USA geliefert werden. Wäre es nach Ihnen gegangen, hätte man die mühsam erkämpften europäischen Datenschutzstandards noch weiter aufgeweicht und das Europäische Parlament seiner gerade erst durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon neu gewonnenen Rechte beraubt. Nur durch das beherzte Eingreifen des Europäischen Parlaments, meine Damen und Herren aus den Reihen der Bundesregierung, wurde neuer Verhandlungsspielraum gewonnen. Alleine dem Europäischen Parlament ist es zu verdanken, dass im Zuge der Neuverhandlungen über ein zweites Abkommen gewisse Verbesserungen hinsichtlich des Daten- und Rechtsschutzes ermöglicht wurden. Nur so wurde unter anderem eine engere Definition des Zwecks der Terrorbekämpfung erreicht und verhindert, dass die Daten zur allgemeinen Ressource für Sicherheitsinteressen aller Art missbraucht werden können. Nur dem Europäischen Parlament ist es zu verdanken, dass die innereuropäischen Zahlungsverkehrsdaten im neuen Abkommen komplett aus dem übermittelten Datenbestand herausgenommen wurden. Und nur dem beherzten Ablehnen des ersten SWIFT-Abkommens durch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments ist es geschuldet, dass auch die Verpflichtung, den Zugriff auf die übermittelten Daten ohne Einsatz von Rasterfahndungsmethoden durchzuführen, in das neue Abkommen aufgenommen wurde, wodurch das Risiko, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger womöglich Opfer pauschaler Verdächtigungen werden, minimiert wurde. Wäre es nach dem Willen der Bundesregierung gegangen, hätten diese Selbstverständlichkeiten bei der Übermittlung von SWIFT-Daten an die USA keinerlei Rolle gespielt. Meine Fraktion bedauert, dass Konservative, Sozialdemokraten und Liberale im Europäischen Parlament dem Abkommen, obwohl dieses nach wie vor erhebliche datenschutzrechtliche Mängel aufweist und seine Verfassungsmäßigkeit nach wie vor insgesamt infrage gestellt werden muss, nun vorschnell zugestimmt haben. Viel zu früh gibt das EU-Parlament seinen Anspruch auf, einen substanziell höheren Grundrechteschutz auf internationaler Ebene zu verankern. Stattdessen schwenkt die EU nun auf das niedrige Niveau des US-Rechts ein. Ohne wenigstens eine verbindliche Befristung der Datenübertragung in Hinblick auf das geplante Datenschutzrahmenabkommen festzusetzen, wird die noch in der letzten Parlamentsresolution als EU-rechtswidrig bezeichnete Massendatenweitergabe nun durchgewinkt. Geradezu absurd und wohl auch rechtswidrig ist, dass nun ausgerechnet Europol als Genehmigungsbehörde für die Anfragen der US-Ermittler eingesetzt wird. Schließlich hat die europäische Polizeibehörde ein eigenes Interesse an den Auswertungsergebnissen. Hier scheint es in der Tat so, als werde der Bock zum Gärtner gemacht. In dem jetzt ausgehandelten Abkommen werden nach wie vor sogenannte Bulk Data, also ganze Datenpakete, übermittelt. Damit sind völlig wahllos alle Personen betroffen, die zum Beispiel an einem bestimmten Tag von einer bestimmten Bank eine Überweisung in einen ausländischen Staat getätigt haben. Spätestens an diesem Punkt wird das Abkommen zu einem Vertrag zulasten unverdächtiger Dritter. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum eine Vorauswahl der zu übermittelnden Daten nicht auch von europäischem Boden aus hätte erfolgen können, um so eine Gesamtübermittlung der Daten in die USA zu verhindern. Der zweite Punkt betrifft die nun vereinbarte Speicherdauer von fünf Jahren. Der eherne datenschutzrechtliche Grundsatz der Erforderlichkeit gebietet die Löschung der Datenbestände nach Wegfall des Speicherungsgrundes. Ist nun - wie nach dem Abkommen vorgesehen - aufgrund eines Tatverdachts die Durchsicht eines Datenpakets mit den Daten unverdächtiger Personen erfolgt, so hat sich der Speichergrund erledigt. Selbst bei Einräumung einer großzügigen Frist zur erneuten Prüfung bleibt eine fünfjährige Frist absolut unhaltbar. Diese Speicherung von Daten auf Vorrat genügt sicherlich nicht den jüngst vom Bundesverfassungsgericht hierfür aufgestellten hohen Hürden. Die grüne Fraktion im Europäischen Parlament, allen voran mein Kollege Jan Philipp Albrecht, aber auch meine Fraktion hier im Bundestag, hätten sich einen couragierteren Kampf für einen höheren Schutz der Daten der Bürgerinnen und Bürger Europas gewünscht. Hinsichtlich zukünftiger Abkommen müssen wir uns zwingend der Frage stellen, welche Eingriffsschwellen grundsätzlich für notwendig erachtet werden, um ein kontinuierliches Ausweiten staatlicher Ermittlungen auf alle Bürgerinnen und Bürger, also den Generalverdacht und Ermittlungen ins Blaue hinein, zu verhindern. Aus meiner Sicht ist vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit jedem Versuch, auf Datenbestände, von denen wir von vornherein wissen, dass diese praktisch vollumfänglich die Finanztransaktionsdaten völlig unbescholtener Bürgerinnen und Bürger enthalten, eine glasklare Absage zu erteilen - auch und vor allem vor dem Hintergrund, dass das derzeitige US-Recht weder im öffentlichen noch im nichtöffentlichen Bereich Datenschutzstandards vorsieht, die annähernd unseren verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Ich denke dabei an den nach wie vor in Kraft befindlichen Patriot Act, der umfängliche Umgehungen des Richtervorbehalts ermöglicht, aber auch an die im Privatbereich völlig fehlenden datenschutzrechtlichen Regelungen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, vor dem Hintergrund der zahlreichen rechtsstaatlichen, auch verfassungsrechtlichen Bedenken ist die von Ihnen in Ihrem jetzt vorgelegten Antrag gewählte Formulierung, wonach das SWIFT-Abkommen "ein respektables Ergebnis darstelle", ein rechtspolitischer Offenbarungseid. In der nun gleich folgenden Abstimmung haben Sie noch einmal die Gelegenheit, sich als gewählte Volksvertreter dieses Hohen Hauses Ihrer Verantwortung für den Schutz der Daten von vielen Millionen völlig unbescholtener und unverdächtiger Menschen zu erinnern und zusammen mit uns die Bundesregierung aufzufordern, die daten- und verfassungsrechtliche Notbremse zu ziehen und dem nun ausgehandelten Abkommen im Rat in letzter Sekunde eine Absage zu erteilen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Damit kommen wir zur Abstimmung. Tagesordnungspunkt 32. Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 17/2469. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1407 mit dem Titel "Neues SWIFT-Abkommen nur nach europäischen Grundrechts- und Datenschutzmaßstäben". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir sind noch bei Tagesordnungspunkt 32. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1560 mit dem Titel "Einstellung der Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika um ein neues SWIFT-Abkommen und Verzicht auf ein europäisches Abkommen über ein Programm zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Zusatzpunkt 6. Es geht um die Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/2431 mit dem Titel "Datenschutz bei der transatlantischen Zusammenarbeit zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus". Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 7. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2429 mit dem Titel "Finanzdaten der Bürgerinnen und Bürger Europas schützen - SWIFT ablehnen". Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist damit abgelehnt. Dafür haben gestimmt die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und die Fraktion Die Linke, dagegen die Fraktionen von CDU/CSU und FDP. Enthalten hat sich die Fraktion der SPD. Jetzt haben wir es schon geschafft. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. (Beifall) Ich danke Ihnen herzlich für die lange Konzentration und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 9. Juli 2010, 9 Uhr, ein. Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen noch einen schönen und angenehmen Abend. (Schluss: 22.10 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Friedhoff, Paul K. FDP 08.07.2010 Herrmann, Jürgen CDU/CSU 08.07.2010 Dr. von der Leyen, Ursula CDU/CSU 08.07.2010 Liebich, Stefan DIE LINKE 08.07.2010* Özoðuz, Aydan SPD 08.07.2010 Pronold, Florian SPD 08.07.2010 Schipanski, Tankred CDU/CSU 08.07.2010* Schmidt (Aachen), Ulla SPD 08.07.2010 Schreiner, Ottmar SPD 08.07.2010 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 08.07.2010* Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 08.07.2010 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 08.07.2010 Zapf, Uta SPD 08.07.2010 Zylajew, Willi CDU/CSU 08.07.2010 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der OSZE Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Übersicht 3 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Tagesordnungspunkt 39 i) Hiermit erkläre ich im Namen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, dass unser Votum "Ja" lautet. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Fritz Rudolf Körper (SPD) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Ich stimme der mündlich vorgetragenen Erklärung nach § 31 der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren vollinhaltlich zu. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Heute beweist sich, dass die von der Mehrheit des Bundestages beschlossene Form der Wahl von Stiftungsratsmitgliedern das falsche Konstrukt ist. Bereits bei der Änderung des Gesetzes zur "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" hat die SPD-Fraktion zum Ausdruck gebracht, dass die Abstimmung über die Besetzung des Stiftungsrates im Gesamtpaket unakzeptabel ist. Denn keinesfalls ist damit der Berufungsprozess objektiviert. Im Gegenteil: Nun werden auch Mitglieder des Stiftungsrates mit einer demokratischen Legitimation ausgestattet, an deren Engagement für den Stiftungszweck erhebliche Zweifel bestehen. Sicherlich steht die Mehrheit der vorgeschlagenen Personen eindeutig hinter den Stiftungszielen. Zur Erinnerung: Im Gesetz heißt es: Zweck der unselbständigen Stiftung ist es, im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wachzuhalten. Heute steht der Bundestag allerdings vor dem Dilemma, dass zumindest bei zwei Vertretern des Bundes der Vertriebenen aufgrund von Äußerungen in der Presse bezweifelt werden muss, ob diese künftigen Stiftungsratsmitglieder die Arbeit der Stiftung auch im Sinne der Versöhnung unterstützen werden. Hartmut Saenger spricht beispielsweise in der Preußischen Allgemeinen Zeitung über den Beginn des Zweiten Weltkrieges wie folgt: Besonders kriegerisch führte sich Polen auf. Der 1918 wieder erstandene Staat schaffte es in der kurzen Zeit bis 1921 gleich mit vier Nachbarn ... im dauerhaften Streit zu liegen. ... Erst England machte den Krieg um Danzig zu einem weltweit ausgetragenen Krieg, der dann durch den Kriegseintritt der USA wegen seiner Interessen am Pazifik zum globalen Krieg ausuferte. Arnold Tölg sagt im Interview mit der Jungen Freiheit zum Thema Zwangsarbeiter: Wenn man über Zwangsarbeiterentschädigung spricht, müßte man auch deutlich machen, daß gerade die Länder, die am massivsten Forderungen gegen uns richten, genügend Dreck am Stecken haben, weil Sie Hunderttausende deutscher Zwangsarbeiter in zahllosen Lagern hatten. oder: Während in Nürnberg von den Siegern die deutschen Kriegsverbrecher zurecht verurteilt wurden, haben die gleichen Länder bezüglich Zwangsarbeitern ähnliche Verbrechen begangen wie Hitler-Deutschland. Deshalb lehne ich die Gesamtliste ab. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer (SPD) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Heute beweist sich, dass die von der Mehrheit des Bundestages beschlossene Form der Wahl von Stiftungsratsmitgliedern das falsche Konstrukt ist. Bereits bei der Änderung des Gesetzes zur "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" hat die SPD-Fraktion zum Ausdruck gebracht, dass die Abstimmung über die Besetzung des Stiftungsrates im Gesamtpaket unakzeptabel ist. Denn keinesfalls ist damit der Berufungsprozess objektiviert. Im Gegenteil: nun werden auch Mitglieder des Stiftungsrates mit einer demokratischen Legitimation ausgestattet, an deren Engagement für den Stiftungszweck erhebliche Zweifel bestehen. Sicherlich steht die Mehrheit der vorgeschlagenen Personen eindeutig hinter den Stiftungszielen. Zur Erinnerung: im Gesetz heißt es: Zweck der unselbständigen Stiftung ist es, im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wachzuhalten. Heute steht der Bundestag allerdings vor dem Dilemma, dass zumindest bei zwei Vertretern des Bundes der Vertriebenen aufgrund von Äußerungen in der Presse bezweifelt werden muss, ob diese künftigen Stiftungsratsmitglieder die Arbeit der Stiftung auch im Sinne der Versöhnung unterstützen werden. Hartmut Sänger spricht beispielsweise in der Preußischen Allgemeinen Zeitung über den Beginn des Zweiten Weltkrieges wie folgt: Besonders kriegerisch führte sich Polen auf. Der 1918 wieder erstandene Staat schaffte es in der kurzen Zeit bis 1921 gleich mit vier Nachbarn [...] im dauerhaften Streit zu liegen. [...] Erst England machte den Krieg um Danzig zu einem weltweiten ausgetragenen Krieg, der dann durch den Kriegseintritt der USA wegen seiner Interessen am Pazifik zum globalen Krieg ausuferte. Arnold Tölg sagt im Interview mit der Jungen Freiheit zum Thema Zwangsarbeiter: Wenn man über Zwangsarbeiterentschädigung spricht, müßte man auch deutlich machen, daß gerade die Länder, die am massivsten Forderungen gegen uns richten, genügend Dreck am Stecken haben, weil Sie Hunderttausende deutscher Zwangsarbeiter in zahllosen Lager hatten. oder: Während in Nürnberg von den Siegern die deutschen Kriegsverbrecher zurecht verurteilt wurden, haben die gleichen Länder bezüglich Zwangsarbeitern ähnliche Verbrechen begangen wie Hitler-Deutschland. Mir ist sehr daran gelegen, dass die Stiftung endlich ihre Arbeit aufnehmen kann. Dennoch kann ich dieser Liste nicht zustimmen, da ich sonst die Wahl der beiden oben genannten Personen mittragen würde. Aus diesem Grund stimme ich mit Nein. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Renate Künast, Jürgen Trittin, Volker Beck (Köln), Katrin Göring-Eckardt und Claudia Roth (Augsburg) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Mit der Ablehnung der Mitglieder des Stiftungsrates der unselbstständigen "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" möchten wir unsere Verärgerung über das unsouveräne Verhalten der Bundesregierung und deren Einknicken gegenüber der täglich unbedeutender werdenden Lobby des BdV zum Ausdruck bringen und ausdrücklich nicht unsere Ablehnung gegenüber den zum Teil durchaus kompetenten neuen Mitgliedern des Stiftungsrates. Mit der heutigen Abstimmung über die Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" geht ein langer Tanz der Bundesregierung am Nasenring des Bundes der Vertriebenen, BdV, und seiner Vorsitzendenen, Erika Steinbach, zu Ende. Auf inakzeptable Weise führte der BdV den Bundesaußenminister vor, der ein Veto gegen die Berufung Steinbachs in den Stiftungsrat der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" eingelegt hatte. Steinbachs Bestellung in den Stiftungsrat hätte die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig belastet und wäre dem Stiftungszweck der Versöhnung insbesondere mit unseren östlichen europäischen Nachbarn alles andere als förderlich gewesen. Das Veto bedurfte keiner Kompensationen. Die Forderung des BdV nach einer Erweiterung des Stiftungsrates, um nach dem Veto gegen Steinbach doppelt so viele Sitze im Stiftungsrat zu erhalten, war total überzogen. Doch die Bundesregierung ist darauf eingegangen und hat zudem ihr Vetorecht aufgegeben. Der Stiftungsrat ist nun von 13 auf 21 Mitglieder angewachsen. Das von der Koalition durchgesetzte Benennungsverfahren degradiert den Bundestag zu einem Abnickgremium, indem er über die ihm vorgelegte Stiftungsratsliste nur noch als Ganze abstimmen kann. Die Folgen dieses undemokratischen Verfahrens sind unmittelbar sichtbar. Zumindest zwei der vom BdV benannten Personen, Arnold Tölg und Hartmut Saenger, sind mit Einlassungen aufgefallen, die dem Stiftungszweck der Versöhnung mit unseren Nachbarn diametral entgegenlaufen. Insbesondere die CSU ist hier allein ihrer eigenen Klientel gefolgt. Weder der Wegfall des Bestellungsrechtes der Bundesregierung - vulgo: Vetorecht - noch die Erhöhung der Zahl der Sitze des BdV im Stiftungsrat sind akzeptabel. Der Bund der Vertriebenen hatte schon vorher einen Sitz mehr als der Deutsche Bundestag im Stiftungsrat. Wenn man an der Zusammensetzung des Stiftungsrates etwas hätte ändern sollen, dann wäre die Beteiligung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages an dieser Stiftung und nicht die Erhöhung der Zahl der Sitze für den Bund der Vertriebenen der Grund gewesen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heinz-Joachim Barchmann, Klaus Brandner, Elvira Drobinski-Weiß, Ulrike Gottschalck, Michael Groß, Hans-Joachim Hacker, Petra Hinz (Essen), Dr. Eva Högl, Christel Humme, Dr. Bärbel Kofler, Steffen-Claudio Lemme, Sönke Rix, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Karin Roth (Esslingen), Dr. Martin Schwanholz und Dr. h. c. Wolfgang Thierse (alle SPD) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Heute beweist sich, dass die von der Mehrheit des Bundestages beschlossene Form der Wahl von Stiftungsratsmitgliedern das falsche Konstrukt ist. Bereits bei der Änderung des Gesetzes zur Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" hat die SPD-Fraktion zum Ausdruck gebracht, dass die Abstimmung über die Besetzung des Stiftungsrates im Gesamtpaket inakzeptabel ist. Denn keinesfalls ist damit der Berufungsprozess objektiviert. Im Gegenteil: Nun werden auch Mitglieder des Stiftungsrates mit einer demokratischen Legitimation ausgestattet, an deren Engagement für den Stiftungszweck erhebliche Zweifel bestehen. Sicherlich steht die Mehrheit der vorgeschlagenen Personen eindeutig hinter den Stiftungszielen. Zur Erinnerung. Im Gesetz heißt es: Zweck der unselbständigen Stiftung ist es, im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wachzuhalten. Heute steht der Bundestag allerdings vor dem Dilemma, dass zumindest bei zwei Vertretern des Bundes der Vertriebenen aufgrund von Äußerungen in der Presse bezweifelt werden muss, ob diese künftigen Stiftungsratsmitglieder die Arbeit der Stiftung auch im Sinne der Versöhnung unterstützen werden. Hartmut Saenger spricht beispielsweise in der Preußischen Allgemeinen Zeitung über den Beginn des Zweiten Weltkrieges wie folgt: Besonders kriegerisch führte sich Polen auf. Der 1918 wieder erstandene Staat schaffte es in der kurzen Zeit bis 1921 gleich mit vier Nachbarn ... im dauerhaften Streit zu liegen ... Erst England machte den Krieg um Danzig zu einem weltweit ausgetragenen Krieg, der dann durch den Kriegseintritt der USA wegen seiner Interessen am Pazifik zum globalen Krieg ausuferte. Arnold Tölg sagt im Interview mit der Jungen Freiheit zum Thema Zwangsarbeiter: Wenn man über Zwangsarbeiterentschädigung spricht, müßte man auch deutlich machen, daß gerade die Länder, die am massivsten Forderungen gegen uns richten, genügend Dreck am Stecken haben, weil sie Hunderttausende deutscher Zwangsarbeiter in zahllosen Lagern hatten. Oder Während in Nürnberg von den Siegern die deutschen Kriegsverbrecher zurecht verurteilt wurden, haben die gleichen Länder bezüglich Zwangsarbeitern ähnliche Verbrechen begangen wie Hitler-Deutschland. Die vorgeschlagene Gesamtliste abzulehnen ist für die SPD-Fraktion keine Option, da das positive Engagement der anderen Stiftungsratsmitglieder nicht infrage gestellt werden kann. Der SPD-Fraktion ist daran gelegen, dass die Stiftung endlich die Arbeit aufnehmen kann. Wir stimmen daher der Wahl zu. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kersten Steinke, Jens Petermann, Frank Tempel, Ralph Lenkert, Raju Sharma, Katrin Kunert, Dr. Rosemarie Hein, Jan Korte, Harald Koch, Sabine Zimmermann, Michael Leutert, Dr. Axel Troost, Katja Kipping, Dr. Ilja Seifert, Yvonne Ploetz, Alexander Ulrich, Katrin Werner, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Matthias W. Birkwald, Ulla Lötzer, Ingrid Remmers, Niema Movassat, Sahra Wagenknecht, Andrej Konstantin Hunko, Inge Höger, Ulla Jelpke, Dr. Herbert Schui, Heidrun Dittrich, Herbert Behrens, Paul Schäfer (Köln), Dr. Diether Dehm, Jutta Krellmann, Dr. Petra Sitte, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Gesine Lötzsch, Werner Dreibus, Ulrich Maurer, Petra Pau, Jan van Aken, Cornelia Möhring, Dr. Dagmar Enkelmann, Thomas Nord, Agnes Alpers, Wolfgang Gehrcke, Dr. Martina Bunge, Steffen Bockhahn, Dr. Gregor Gysi, Wolfgang Neškovic, Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann, Stefan Liebich, Alexander Süßmair, Nicole Gohlke, Harald Weinberg, Eva Bulling-Schröter, Michael Schlecht, Richard Pitterle, Annette Groth, Karin Binder, Heike Hänsel und Dr. Barbara Höll (alle Die Linke) zur Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" (Tagesordnungspunkt 5) Wir stimmen der mündlich vorgetragenen Erklärung nach § 31 der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen vollinhaltlich zu. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: - Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: - Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe umfassender und detaillierter vorlegen - Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: - Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorlegen - Handlungsaufträge aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - Antrag: - Erstellung des Berichts der Bundesregierung auf Grundlage der UN-Konvention - Aktionsplan zur Umsetzung auf den Weg bringen (Tagesordnungspunkt 17 a bis c) Maria Michalk (CDU/CSU): Heute stehen sechs Anträge der Opposition zur abschließenden Debatte und Abstimmung. Darin geht es um den Bericht der Bundesregierung zur Lage von Menschen mit Behinderung und um die Erarbeitung des nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Wie wir alle wissen, bereitet die Bundesregierung derzeit den Aktionsplan sorgfältig vor. Die Zivilgesellschaft, insbesondere Menschen mit Behinderung und ihre Interessenvertretungen, sind an der Erarbeitung des Fahrplans zur Umsetzung der UN-Konvention beteiligt. Dieses umfassende Verfahren ist nicht selbstverständlich. Es zeigt deutlich, wie ernst es der Bundesregierung mit dem Leitgedanken der Inklusion ist. Schon in der Planungsphase findet ein umfassender Dialog statt. In keiner Situation weiß jemand alles. Durch den Dialog ist jedenfalls ausgeschlossen, dass wichtige Querschnittsthemen von Anfang an nicht mit im Fokus stehen und etwas vergessen wird. Der Weg zur wirklichen Inklusion wird lang und sicherlich auch mit Hindernissen gepflastert sein. Umdenken kann nicht verordnet werden. Es braucht Information, Vorbild und Überzeugung, und zwar nicht nur von ein paar Befürwortern einer guten Behindertenpolitik, sondern von allen in unserem Land. Eine zentrale Erkenntnis muss sich durchsetzten: Die vorhandene, aber vor allem die gefühlte Behinderung wird von den Betroffenen umso stärker als persönliche Benachteiligung empfunden, je weniger von den Barrieren wir in unserer Gesellschaft abbauen. Unser Koalitionsvertrag ist eine sehr gute Grundlage für die praktische politische Tagesarbeit. Nach der schon beschriebenen Erarbeitungsphase beschließt die Bundesregierung voraussichtlich im März 2011 den nationalen Aktionsplan. Er selbst ist kein Gesetz, sondern veranlasst hoffentlich viele politische Aktivitäten und Umsetzungsstrategien vor Ort. Je besser bzw. intensiver wir gemeinsam diese Erarbeitungsphase ausfüllen, desto leichter wird uns die Umsetzung mit allen Verantwortungsträgern Schritt für Schritt gelingen. Und ich möchte auch darauf verweisen, dass der nationale Aktionsplan nicht als einmal gefundenes und nun ewiges Vertragswerk gilt. Vielmehr wird danach die ständige Vervollkommnung im Fokus bleiben müssen. Nach den wichtigen Bereichen Bildung, Arbeit und Barrierefreiheit sind Bereiche wie politische Partizipation, Kultur, Familie und Gesundheit nicht minder wichtig. Auch Arbeitgeber, Sozialverbände und natürlich die Länder sind aufgefordert, eigene Aktionspläne zu erstellen. Daraus entsteht ein Netzwerk von gemeinsamen Aktivitäten. Mir ist vollkommen unverständlich, warum immer wieder von der Opposition behauptet wird, der Aktionsplan müsse längst fertig sein und die Umsetzung der Konvention dauere viel zu lange. Gerade die Abstimmungsprozesse mit den eigentlichen Experten auf diesem Feld, den Menschen mit Behinderung, sind enorm wichtig und dürfen keinesfalls aus Zeitgründen entfallen. Das wäre nicht im Sinne der Konvention und natürlich auch nicht im Sinne aller Beteiligten. Hier gilt einmal mehr: Der Weg ist das Ziel! Und ich will noch auf Folgendes hinweisen: die Vertreterinnen und Vertreter der Organisationen von Menschen mit Behinderung werden nicht nur, wie von der Konvention vorgeschrieben, im Rahmen eines Beirats die Umsetzung begleiten. Es gibt darüber hinaus einen Ausschuss, in dem Menschen mit Behinderung ebenfalls repräsentiert sind und mit dem sie aktiv in wichtige Entscheidungen eingebunden werden. Beide Gremien sollen im Herbst ihre Arbeit aufnehmen. Wir tun also auch hier mehr, als uns die Konvention vorgibt. Die UN-Konvention sieht für 2011 einen ersten Staatenbericht vor, in dem der Stand der Umsetzung dargelegt werden soll. Die Bundesregierung hat angekündigt, diesen Bericht im März 2011 vorzulegen. Daneben wird es auch in Zukunft einen Bericht über die "Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe" geben, und zwar in der Form, wie er bereits für 2009 erstellt wurde. Die Kritik am Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts für 2009 bringt den aktuellen behindertenpolitischen Diskurs aus meiner Sicht kein Stück weiter, zumal in 2004 die rot-grüne Regierung beschlossen hatte, dass ein solcher Bericht nur einmalig verpflichtend vorzulegen sei. Daraus ergäben sich keine weiteren Berichtspflichten. Deshalb ist die Kritik der Opposition, die aus dem Beratungsgegenstand abzulesen ist, völlig fehl am Platze. Ich stelle noch einmal fest: Auch in Zukunft wird der Berichtspflicht nachgekommen. Im aktuellen Bericht über die Lage von Menschen mit Behinderung wurden die seit 2005 erzielten Fortschritte und die zukünftigen Herausforderungen der Politik für Menschen mit Behinderung transparent dargelegt. Die Berichterstattung wird in dieser Form fortgesetzt. Die Bundesregierung wird dem Deutschen Bundestag noch in dieser Legislaturperiode rechtzeitig zur Beschlussfassung einen Bericht vorlegen. Aber wir wissen auch: Papier ist geduldig. Deshalb ist es notwendiger, die dringlichsten Handlungsfelder in der Politik für Menschen mit Behinderung zu identifizieren und aktiv umzusetzen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht in der Bildungs- und Arbeitsplatz- bzw. Beschäftigungsgestaltung den wichtigsten Beitrag, weil das zukunftsweisend für die Betroffenen selbst und für unsere Gesellschaft insgesamt ist. Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung mahnt zu zügigem Handeln. Der Wirtschaft geht es besser, aber Menschen mit Behinderung profitieren derzeit leider noch nicht vom spürbaren Aufschwung. Deshalb möchte ich besonders betonen: Veränderungen entstehen nur durch Allianzen. Wir müssen Arbeitgeber auf dem Weg zu einer inklusiven Arbeitswelt weiter unterstützen. Aber wir müssen ihnen auch mehr zutrauen, nicht noch mehr vorschreiben. Und das setzt voraus, sie in die Ausarbeitung konkreter Maßnahmen unmittelbar einzubeziehen. Ich finde, hier haben auch die Kammern und Berufsverbände eine eigene Verantwortung, nicht zuletzt aus dem drohenden Fachkräftemangel heraus. Wir haben bereits seit Jahren eine Ausgleichsabgabe und eine Beschäftigungsquote. Die 480 Millionen Euro aus der Ausgleichsabgabe werden sinnvoll eingesetzt und sind unverzichtbar für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben. Aber ich bin mir sicher: Eine weitere neue Vorschrift zur höheren Ausgleichsabgabe oder Beschäftigungsquote ist für das Ziel einer inklusiven Arbeitswelt kontraproduktiv. Die Wirtschaft braucht qualifizierte Mitarbeiter - und diese müssen, unabhängig von einem möglichen Assistenzbedarf, auch eingestellt werden! An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass es bereits viele große und mittlere Unternehmen gibt, die seit Jahren Menschen mit Behinderung beschäftigen und aufgeschlossen für deren Bedürfnisse und Fähigkeiten sind. Genau sie möchte ich als Leuchttürme verstanden sehen, die den anderen Betrieben zeigen: "Seht her, es geht, und wir haben Erfolg damit!" Gute Vorbilder sind wichtig, und ich will mich bei diesen für ihren Einsatz und für ihre Einstellung bedanken. Alle Beteiligten haben den Nutzen. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist ein hervorragendes Instrument, um berufliche Teilhabe zu erhalten. Und Integrationsvereinbarungen können die Beschäftigungssituation spürbar verbessern. Bisher gibt es jedoch nur acht Integrationsvereinbarungen, und auch mit dem BEM tun sich besonders mittlere Betriebe schwer, da es ihnen noch an Erfahrungen mangelt. Ja, wir haben gute Instrumente an der Hand - sie sollten noch von mehr Unternehmen in der Praxis angewendet werden. Wir wissen um die Differenziertheit der Behinderungen. Deshalb brauchen wir auch differenzierte Lösungen. Oftmals kann zum Beispiel mit der Eingliederungshilfe psychisch Kranken nicht ausreichend geholfen werden. Wir haben derzeit noch keine bedarfsgerechten Rehaangebote. Die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Leistungsträger muss besser, transparenter werden. Ein anderes Beispiel ist die Schnittstelle des Übergangs aus einer Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt. Hier sind enge Abstimmungen nötig. Und ein mehrfacher Wechsel der Betreuungsperson ist sicherlich nicht hilfreich. Ansprechen möchte ich auch die Situation Studierender. Studierenden mit Behinderung wird bis zum Abschluss einer angemessenen Ausbildung Unterstützung gewährt. In der Regel ist das nach der neuen Studienform der Bachelor. Deshalb müssen wir bei der Reform der Eingliederungshilfe zum Beispiel auch das neue Studiensystem beachten. Neben vielem Positiven zeigen diese drei Beispiele, dass unverkennbar Kraftanstrengungen nötig sind, um das Ergebnis einer "inklusiven Gesellschaft", in der Menschen mit und ohne Behinderung Haustür an Haustür leben, Schreibtisch an Schreibtisch arbeiten, gemeinsam lernen, in politischen Gremien diskutieren und entscheiden oder sich ehrenamtlich engagieren, zu erreichen. Ich finde, das ist eine anspruchsvolle, aber sehr schöne Aufgabe für uns alle. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Obwohl es in der 16. Legislaturperiode gute Ansätze dieses Parlaments und der damaligen Bundesregierung gab, das Leben von Menschen mit Behinderung zu verbessern - ich möchte hier vor allem die Unterstützte Beschäftigung und das Programm "Altersgerecht Umbauen" des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung nennen -, stellt der Bericht zum Ende der vergangenen Legislatur, um den es in den vorliegenden Anträgen geht, in vielen Punkten nicht das dar, was der Lebensrealität der Menschen mit Behinderung entspricht. Das haben nahezu alle Sozialverbände, Vereine der Behindertenselbsthilfe, Arbeitsgemeinschaften der Fachverbände und auch der Paritätische Wohlfahrtsverband deutlich gemacht. Es ist gut, dass es diesen Bericht in jeder Legislaturperiode gibt. Er muss aber deutlich besser werden, und unser Antrag sowie die Anträge der Linken und der Grünen haben diese Situation aufgegriffen. Wir haben als SPD in unserem Antrag gefordert, die Verbesserung der Datenlage als Ausgangspunkt für eine zukünftig hinreichende Berichterstattung in den Blick zu nehmen. Wir sind uns sicher einig, dass der Bericht auf einer Datenlage basieren muss, die der UN-Behindertenrechtskonvention entspricht und die sich auf die tatsächlichen Lebenslagen richtet, anstatt zusammenhanglos Statistiken zu präsentieren. Das wäre für die Menschen ein Hohn, die tatsächlich um ihre gesellschaftliche Teilhabe kämpfen müssen - weil sie bevormundet werden, weil es keine oder unzureichende Barrierefreiheit gibt und weil Menschen mit Behinderung noch immer keine Normalität in unserer Gesellschaft sind. Es ist nun so, dass die Bundesregierung in vielen Bereichen der Teilhabe nicht über ausreichende Informationen zur realen Lebenslage von Menschen mit Behinderung verfügt. So ist offenbar nicht bekannt, dass Menschen mit Behinderung zu Tausenden in Heimen und Anstalten völlig von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind, dass diese Menschen keine Alternativen angeboten bekommen, weil die institutionelle Kraft der Träger sie nicht loslässt, sie nie bewerten können, dass ein selbstbestimmtes Leben mit aller notwendigen Unterstützung in einem barrierefreien Sozialraum eine Chance auf Gleichberechtigung ist. Es wird vielen Angst vor der Selbstständigkeit gemacht, und es werden Lösungen angeboten, die einfach nur erniedrigend sind. Es kann zum Beispiel sein, dass selbstbestimmtes Wohnen nur in solchen Wohnungen möglich ist, die in sozialen Brennpunkten oder in anderen Gebieten mit geringem Wohnwert liegen. Hier wird die Menschenwürde mit Füßen getreten. Wären diese Tatsachen bekannt, wäre es in dem Bericht sicher erwähnt worden. Es gilt daher, ausreichende Daten zum Beispiel zur Situation von psychisch kranken Menschen und Menschen mit Lernschwierigkeiten in unserer Gesellschaft zu erheben, um ihre realen Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe bewerten zu können. Da helfen keine reinen Statistiken der Agentur für Arbeit oder anderer Einrichtungen. Es braucht auch Informationen über Biografien und über die realen Hürden, denen sich Menschen mit Behinderung tagtäglich gegenüber sehen. Nur so begreifen wir, was die Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention nach Inklusion wirklich für uns bedeutet und wo wir bei Veränderungen ansetzen müssen. Die Erstellung des Berichts und die Erhebung der notwendigen Daten nach Maßgabe der Forderung der Konvention ist also schon ein Stück Umsetzung und Bewusstseinsbildung. Der Bericht muss auf die Grundlage der Forderungen zur Erhebung und Darstellung von statistischen Daten in Art. 31 der UN-Konvention gestellt werden und die Daten darin diesem Standard angepasst werden. Das Wichtigste dabei ist: Die Betroffenen müssen in die Erstellung des Berichts der Bundesregierung über die Lage der Menschen mit Behinderung einbezogen werden, denn nur so können die Forderungen der UN-Konvention glaubwürdig umgesetzt werden. Der Bericht muss zum Ende der 17. Wahlperiode rechtzeitig erneut erstellt werden - unsere Frist ist der 31. Oktober 2012, um darüber im Parlament ausreichend debattieren zu können. Der Bericht sollte dann auch bereits den Umsetzungsstand der UN-Konvention als Folge des Aktionsplanes aufnehmen. Ein zentraler Punkt, der für die Nutzung des Berichts durch das Parlament entscheidend ist: Der Bericht muss auf zukünftige Aufgabenstellungen hinweisen und Lösungsperspektiven aufzeigen. Wäre das im Falle der Ausschreibungspflicht für IFD-Leistungen gemacht worden, hätten wir rechtzeitig politisch umsteuern können und würden nicht in die Situation kommen, dass eine gesetzlich gewollte Struktur der Vermittlung und Betreuung von schwerbehinderten Menschen aufgebrochen wird. Wir sind uns im Deutschen Bundestag darüber einig, dass die UN-Konvention das entscheidende Dokument für die Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderung ist. Über die Konsequenzen für die Änderung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse anhand dieses völkerrechtlich und gesetzlich verbindlichen Vertrages gibt es vor allem innerhalb der Koalition unterschiedliche Ansichten. Während die Union das uneingeschränkte Recht auf gemeinsame Beschulung einräumt, hält die FDP offenbar immer noch an Förderschulen fest. Das ist sehr bedauerlich, sie steht mit dieser Position aber allein da, denn die Mehrzahl der Eltern möchte hervorragende Förderung in der Regelschule anstatt in der Förderschule. Weil die UN-Konvention so wichtig ist für die Frage, wie wir in 10 oder 20 Jahren in Deutschland leben, müssen die Betroffenen in die Erstellung des deutschen Berichts gemäß Art. 35 der UN-Konvention an den Ausschuss für die Rechte der Menschen mit Behinderung gemäß Art. 33 einbezogen werden. Weiterhin ist wichtig: Das Parlament muss bei der Berichtserstellung gemäß Art. 35 der Konvention einbezogen werden. Das ist auch durch die zuständige deutsche Monitoringstelle, das Deutsche Institut für Menschenrechte, bei ihrem Besuch im Ausschuss deutlich gemacht worden. Auch davon hängt die Glaubwürdigkeit der Umsetzung der UN-Konvention ab! Die UN-Behindertenrechtskonvention ist in aller Munde. Landauf, landab wird über sie diskutiert und gestritten, sie wird aber auch ignoriert und missbraucht. Auf diese Gefahr möchte ich ganz deutlich hinweisen. Es ist nicht im Sinne der Konvention, wenn man - ganz nach Ansicht der FDP - mit dem Wunsch- und Wahlrecht der Eltern die Inklusive Bildung blockiert. Natürlich: Die Kinder sind keine Versuchskaninchen, sie sollen eine hervorragende Förderung in der Regelschule erhalten. Bei der förderpädagogischen Leistung darf es keine Abstriche geben, und auch die Regelschule muss sich verändern: in der Art des Unterrichts, im Schüler-Lehrer-Verhältnis und auch hin zu mehr Barrierefreiheit - baulich und sprachlich. Besonders aber die Barriere im Kopf muss weg, dass es schlechter wird, wenn Kinder von Anfang an gemeinsam lernen. Nationale und internationale Studien sowie viele Praxisbeispiele aus unserem Land zeigen uns doch, dass es uns allen guttut und dass eine konsequent umgesetzte Inklusion im Bildungsbereich die gesellschaftliche Trennung von behindert und nicht behindert überwinden wird. Alle gewinnen hinzu. Es wird aber vonseiten der Institutionen und derjenigen, die eine Inklusive Gesellschaft nicht wagen wollen, mit der Angst der Eltern gespielt, die UN-Konvention wird umgedreht. Ähnliches passiert im Bereich der Pflege von Menschen mit Behinderung. Es gibt nun schon seit Jahren die Forderung der Sozialhilfeträger und auch von Leistungserbringern, den Pauschalbetrag des § 43 a SGB XI anzupassen. Wir haben das immer abgelehnt, weil kein einziger Euro einer Anpassung bei den Betroffenen ankommen würde. Es ging hier einzig um eine Entlastung der Eingliederungshilfe und um die Verfestigung der bestehenden Strukturen. Wir haben dann nämlich gesehen, wie weit es mit dem Interesse der Heimbetreiber an den Menschenrechten der Betroffenen aussah: Es wurden Hunderte Fachpflegeheime für Menschen mit Behinderung gebaut, die dann endlich das nötige Geld der Pflegeversicherung in vollem Umfang einstreichen konnten. Es ging hier nie um die Betroffenen! Jetzt wird mithilfe der UN-Konvention argumentiert, das Wohnheim des Menschen mit Behinderung wäre seine selbstgewählte Häuslichkeit, und deshalb dürfe es keine Benachteiligung der Pflegesätze im ambulanten und im stationären Bereich mehr geben. Das ist eine völlig verfehlte Entwicklung, der wir uns in der SPD auch weiterhin widersetzen werden. Das Geld, das die Eingliederungshilfe hier für Wohnheime ausgibt, sollte für die Förderung ambulanter Wohnformen mitten in der Gemeinde investiert werden. Dort kann man dann viel eher von selbstgewählter Häuslichkeit sprechen, und eine Förderung des Pflegebedarfs durch die Pflegesätze des SGB XI ist auch möglich. Es gibt noch viele weitere Beispiele, die zeigen, wie wichtig es ist, den Geist der Konvention wirklich umzusetzen, vor allem in der Bildung und im Bereich der Eingliederungshilfe, denn das sind die Wegweiser für die kommenden Jahre. Es bleibt die Forderung, mit diesen Reformen das SGB IX gesetzlich und in der Praxis zu starken, die hervorragenden Instrumente endlich wirksam einzusetzen und die Zergliederung des Systems zu überwinden. Dafür braucht es viel Kraft und Willen, und ich wünsche mir, dass diese Bundesregierung es schafft, einen Aktionsplan vorzulegen, der diesen Zielen gerecht wird und die Eingliederungshilfe einbezieht, denn es reicht nicht, auf alles einfach das Label "UN-Konvention" zu kleben und so weiter zu machen wie bisher. Gabriele Molitor (FDP): "Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind." - Diese Worte von Albert Einstein sollten auch wir uns zu Herzen nehmen, wenn wir über Veränderungen und Entwicklungen in der Behindertenpolitik sprechen. Die UN-Behindertenrechtskonvention hat mit ihrem neuen Konzept der Inklusion einen Perspektivwechsel eingeleitet. Die Konvention bietet die große Chance, sich von alten Denkmustern und ausgetretenen Pfaden zu lösen und neue Wege einzuschlagen. Der Prozess des Neu- und Umdenkens ist in vollem Gange. Dies ist mein Eindruck nach vielen Gesprächen, die ich in letzter Zeit geführt habe. Die UN-Konvention mit ihrem Schlüsselbegriff Inklusion und ihre Umsetzung in konkrete Politik ist auch ein wichtiges politisches Anliegen der christlich-liberalen Koalition. Ein wenig habe ich den Eindruck, dass dies bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion und der Fraktion der Linken, noch nicht ganz angekommen ist. Sie beschäftigen sich in Ihren Anträgen mit dem Berichtswesen und fordern einen nationalen Aktionsplan. Unter anderem fordern Sie auch, dass ein inklusives Bildungssystem geschaffen wird, und Sie fordern eine gleichberechtigte berufliche Teilhabe. Keine Frage, dies sind alles Punkte, die auch uns am Herzen liegen. Aus liberaler Sicht sind Bildung und Teilhabe am Arbeitsmarkt die vorrangigen Themen. Ich sage Ihnen aber auch ganz offen, dass ich besorgt darüber bin, wie das Thema in der Opposition behandelt wird. Forderungen zu stellen, wie Sie das tun, ist einfach. Viel schwieriger ist es, die Dinge anzupacken. Aber wir in der Regierung scheuen uns nicht davor, die Dinge anzupacken. Ein Aktionsplan ist, wie Sie wissen, in Arbeit. Sowohl die Länder als auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales haben angekündigt, Aktionspläne im März 2011 vorzulegen. Das dürfte auch Ihnen in der Opposition bekannt sein. Wir in der Regierung machen unsere Hausaufgaben. Dies scheint jedoch nicht überall so zu sein. Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus Berlin nennen: Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der Fraktion der Linken, beanstanden das Berichtswesen und fordern, dass gehandelt wird. Es passiert Ihnen zu wenig. Wie erklären Sie sich dann, dass Ihre Kollegen im Berliner Senat Eltern mit ihren Sorgen und Nöten allein lassen, wenn es um die Frage der Schulassistenz geht, und das schon seit längerer Zeit? Die Ferien haben schon begonnen. Die Eltern von Kindern mit Behinderung wissen immer noch nicht, ob ihr Kind im nächsten Schuljahr einen Schulhelfer zur Seite gestellt bekommt oder nicht. Sie beklagen unklare Zuständigkeiten, beschwerliche Behördengänge und Informationsmangel. Anträge für das neue Schuljahr wurden bereits abgelehnt, Schulhelferstunden gekürzt - aus haushaltspolitischen Gründen. Sie mahnen im Bundestag an, was Sie - wenn Sie Verantwortung tragen - nicht bewerkstelligen. Mich bekümmert das, denn es zeigt deutlich, dass wir hinsichtlich der Umsetzung der UN-Konvention noch einen weiten Weg gehen müssen: gegen viele Widerstände. Wie sollen mehr behinderte Kinder eine Regelschule besuchen können, wenn ihnen die dafür notwendige Assistenz verwehrt wird? Das passt für mich nicht zusammen. Ich sage Ihnen heute: Ich werde mich immer wieder dafür einsetzen, dass sich etwas ändert, weil mich die Sorge um die Zukunft unserer Kinder antreibt. Die Kernfrage, die wir uns stellen müssen ist, wie wir Menschen mit Behinderungen ein eigenständiges Leben ermöglichen können. Wir müssen hier ganz früh ansetzen. Die Erfahrungen mit integrativen Kindertagesstätten haben gezeigt, wie sehr alle Kinder davon profitieren, gemeinsam aufzuwachsen und Beeinträchtigungen des anderen nicht als Schwäche zu begreifen. Es ist unsere Aufgabe, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, so vielen jungen Menschen mit Behinderung wie möglich über den Besuch von Regelschulen die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Soweit im Rahmen ihrer Fähigkeiten möglich, sollen sie selbst entscheiden können, wo sie arbeiten möchten und wie sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen. Unabhängig und eigenständig zu sein, macht Menschen zufrieden. Auch die Frage, wie der Übergang in den Ruhestand geregelt werden kann, bedarf der Klärung. Der Eintritt in diese neue Lebensphase ist für einen Menschen, der bisher zum Beispiel an einen strukturierten Tagesablauf in einer Werkstatt gewöhnt war, eine Umstellung. Wie wir Menschen mit Behinderung im Alter ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen können, ist eine neue Herausforderung. An den Übergangsphasen, sei es aus der Schule in den Job oder aus einer Tätigkeit in den Ruhestand, ist jeweils Hilfestellung und Beratung nötig, damit keiner alleingelassen wird. Der medizinische Fortschritt führt dazu, dass Menschen immer älter werden. Hinzu kommt, dass ein Mensch im Alter häufig mit mehreren gesundheitlichen Problemen gleichzeitig zu kämpfen hat. Häufig entsteht eine Behinderung erst im Alter, wenn die Bewegungs- oder die Sehfähigkeit plötzlich schlechter wird. Deshalb muss es darum gehen, die medizinische Versorgung an diese altersspezifischen Bedürfnisse anzupassen. Für Leistungsträger und Leistungserbringer bedeutet die stark anwachsende Gruppe älterer Menschen mit Behinderung, dass sie sich auf veränderte Aufgaben, zum Beispiel in der Pflege einstellen müssen. An dieser Stelle möchte ich nochmal auf einen Aspekt hinweisen, der mir sehr wichtig ist: Behindertenpolitik betrifft viele andere Politikbereiche. Behindertenpolitik ist ein Querschnittsthema: Bildung, Verkehr, Wirtschaft, Bauen und Wohnen, Tourismus, Familie und Senioren sind unter anderem für Behindertenpolitik relevant. Ich möchte in all diesen Politikfeldern ein Bewusstsein für die Belange von Menschen mit Behinderung schaffen und zu spürbaren Verbesserungen gelangen, und ich möchte den Blick dafür schärfen, dass Verbesserungen und Veränderungen der gesamten Gesellschaft zugute kommen. Nicht nur Menschen mit Behinderung profitieren zum Beispiel von einer barrierefreien Infrastruktur. Auch die Mutter mit Kinderwagen ist froh, wenn es eine Rampe statt einer Treppe gibt. Das Gleiche gilt für Senioren, die nicht mehr gut zu Fuß sind und mit Gehhilfen oder Rollator unterwegs und auf stufenlose Wege angewiesen sind. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung ist die im Juni soeben verabschiedete neue Baunorm DIN 18040, die zwei bereits bestehende Normen zusammengefasst und weiterentwickelt hat. Ich begrüße dies sehr. Neu ist, dass auch den sensorischen Anforderungen Rechnung getragen wird: Die Gestaltung von visuellen, akustischen oder taktilen Bauelementen ist vorgegeben. Damit ist auch gewährleistet, dass die Bedürfnisse von Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen berücksichtigt werden: Seh- oder Hörbehinderung, motorische Einschränkung, Menschen, die Mobilitätshilfen oder Rollstühle nutzen oder die kognitive Einschränkungen haben. Dies sind kleine Erfolge wie viele kleine Puzzleteile, die zusammengesetzt am Ende ein großes Ganzes ergeben. Wir haben uns ein Ziel gesetzt: Nicht der Mensch mit Behinderung hat sich der Gesellschaft anzupassen, sondern die Gesellschaft hat sich auf die Bedürfnisse der Menschen mit Behinderung einzustellen. Inklusion ist ein Prozess; der Aktionsplan der christlich-liberalen Koalition ist ein Konzept, wie wir Fortschritte erreichen. Lassen Sie uns die Chance nutzen, alte Denkstrukturen aufzubrechen und Barrieren aus dem Weg und aus den Köpfen zu räumen. Das wollen wir gemeinsam anpacken, um die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen nachhaltig zu verbessern. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Wir führen heute eine Debatte über die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und über den Behindertenbericht der Bundesregierung - zwei Paar Schuhe, die im gleichen Regal stehen und doch verschiedene Farben tragen. Die Linke verlangt die Vorlage eines ersten Aktionsplanes zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention noch in diesem Jahr. Es zeichnet sich nämlich ab, dass anderthalb Jahre nachdem die Konvention in Deutschland in Kraft trat, noch lange keiner vorliegen wird. Dieser Schuh drückt Sie offensichtlich erst, wenn der Staatenbericht an die UNO vorliegen muss: im Frühjahr 2011. Die Koalition lehnt unseren Antrag mit der Begründung ab, dass ein unnötiger Zeitdruck kontraproduktiv und nicht im Interesse der Betroffenen sei. Sie setzen hingegen auf Gründlichkeit. Ich habe nichts gegen Gründlichkeit, im Gegenteil. Offenbar haben wir aber verschiedene Vorstellungen von Gründlichkeit. Wie gründlich die Bundesregierung arbeitet, lässt sich am Bericht über die Lage von Menschen mit Behinderungen, Drucksache 16/13829, ablesen. Der sozusagen aktuelle Bericht wurde dem Parlament erst zwei Monate vor der Bundestagswahl zugeleitet. Eine Befassung war also nicht mehr möglich. In der gesamten 16. Wahlperiode schaffte es die Regierung nicht, die Situation von Menschen mit Behinderungen datenbasiert darzustellen und diskutieren zu lassen. Das nennen Sie gründlich? An dieser Stelle drängt sich mir die Vermutung auf, dass mit dem ersten Aktionsplan und dem Staatenbericht an die UNO, der Pflicht ist, ähnlich verfahren werden soll: Beides wird so spät vorgelegt, dass weder die betroffene Öffentlichkeit noch das Parlament auch nur den Hauch einer Chance haben, sich kritisch einzubringen. Damit nicht wieder am Parlament vorbei regiert wird, verlangt die Linke, dass der nächste Behindertenbericht bis spätestens Ende Oktober 2012 vorliegt. Um das Regieren aneinander vorbei zu stören, setzte die Linke den alten - aktuellen - Bericht der vergangenen Wahlperiode erneut auf die Agenda. So wurde zumindest in einer öffentlichen Anhörung des Arbeits- und Sozialausschusses am 3. Mai 2010 breit über ihn diskutiert. Das ist gründlich, oder? Nahezu übereinstimmend stellten die Sachverständigen fest, dass der Bericht lückenhaft ist, weil die notwendigen Daten nicht erhoben werden, dass der Bericht lückenhaft ist, weil nur einige Lebensbereiche und insbesondere erwerbsarbeitsbezogene dargestellt werden, dass der Bericht einseitig ist, weil er die Situation beschönigt, und dass der Bericht unbrauchbar ist, weil er keinerlei Handlungsempfehlungen zur Schaffung von Teilhabegerechtigkeit hervorbringt. Ist das gründlich!? Obwohl es schon länger angemahnt und immer wieder offensichtlich ist - wir Parlamentarier erhalten auf unsere schriftlichen und mündlichen Anfragen die Antwort: "Spezifische Daten zu Menschen mit Behinderungen liegen nicht vor" -, sind seitens der Bundesregierung keinerlei Maßnahmen zu erkennen, Abhilfe zu schaffen. Im Gegenteil: mit Verweis auf Bürokratieabbau wird eine differenziertere Datenerhebung verhindert. Dies steht im Widerspruch zu Art. 31 der UN- Behindertenrechtskonvention. Um das zu erkennen, braucht niemand einen mit allen Ressorts und allen Ländern abgestimmten Aktionsplan. Das kann sofort getan werden, gern auch gründlich. Zurück zur Umsetzung der UN-Konvention: Die Linke fordert einen guten Aktionsplan, der realistische Ziele formuliert und praxisorientierte Umsetzungsvorhaben benennt. Aber ich möchte noch einmal klarstellen: Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist eine Konkretisierung der universellen Menschenrechte. Gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist Menschenrecht. Sie ist keine im Nebel schwebende Vision, wie es das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit einer Veranstaltung am 23. Juni 2010 suggerierte. Würden Sie die Konvention gründlich lesen und ernst nehmen, könnten Sie daraus zügig Maßnahmen ableiten. Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele: Streichen Sie den Kostenvorbehalt in § 9 Abs. 2 SGB XII, damit Menschen mit Behinderungen frei wählen können, wie, wo und mit wem sie wohnen wollen. Schaffen Sie ein inklusives Bildungssystem; beginnen Sie mit wirklichem Elternwahlrecht. Starten Sie wirkungsvolle Kampagnen zur Bewusstseinsbildung. Schaffen Sie bei der Eingliederungshilfe die Anrechnung von Einkommen und Vermögen ab. Vergeben Sie öffentliche Aufträge nur noch, wenn umfassende Barrierefreiheit geschaffen wird. Seien Sie also gründlich. Sie haben in dieser Wahlperiode nichts, aber auch noch gar nichts unternommen, um für ein Mehr an Gleichstellung für Menschen mit Behinderungen zu sorgen. Nichts! Stattdessen basteln Sie Kürzungspakete, von denen Sie - aber auch nur Sie - glauben, dass Menschen mit Behinderungen nicht betroffen seien. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Menschen mit Behinderungen überproportional von der Krise betroffen sind, nicht zuletzt durch eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote. Im Übrigen erstaunt mich eines immer wieder, wenn ich die Verantwortlichen höre, sei es Staatssekretär Andreas Storm oder auch Bundesministerin Ursula von der Leyen: Sie reden immer wieder über inklusive Bildung. Uns, der Opposition, erzählen Sie jedoch, Sie seien dafür nicht zuständig. Ja was denn nun? Reden Sie doch mal über das, für das Sie sich zuständig fühlen. Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr, und zwar gründlich. Sorgen Sie für eine aussagekräftigere Statistik. Legen Sie rechtzeitig einen ehrlichen Bericht über die Lage von Menschen mit Behinderungen vor. Verstecken Sie sich nicht hinter Planung, um Taten zu verhindern. Schließlich: Verwechseln Sie den Staatenbericht nicht mit dem Aktionsplan, verwechseln Sie den Behindertenbericht nicht mit dem Staatenbericht. Seien Sie gründlich. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung entwickelt derzeit einen nationalen Aktionsplan, der den Handlungsbedarf, der durch die UN-Behindertenrechtskonvention entsteht, offenlegen sowie einen Fahrplan zur Umsetzung präsentieren soll. Dies begrüßen wir ausdrücklich, ist es zur Umsetzung der UN-Konvention doch zwingend notwendig. Gleichzeitig lässt die Bundesregierung nicht die Auffassung erkennen, dass die UN-Behindertenrechtskonvention einen gesetzgeberischen Änderungsbedarf mit sich brächte. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, Inhalt, Umfang, Prozess und zeitliche Perspektive eines solchen Aktionsplans zu kontrollieren. Hierzu haben wir von Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag eingebracht, der eben solche Ansprüche formuliert. Leider konnten weder die Koalitionsfraktionen noch die Fraktionen der SPD und der Linken im Ausschuss unserem Antrag zustimmen. Dies ist umso bedauerlicher, als dass sich die Bundesregierung derzeit bei der Erstellung des Aktionsplanes zwar bemüht, jedoch den Anschein erweckt, als beginne man bei der inhaltlichen Erarbeitung bei Null. Dies ist mitnichten der Fall. Zum Beispiel sind im Rahmen der Kampagne "Alles Inklusive: Die neue UN-Konvention" der vorherigen Bundesregierung gute Grundlagen erarbeitet worden, mit denen man weiter arbeiten kann. Ein wichtiges Element zur effektiven Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wäre die Einrichtung von weiteren Focal Points in relevanten Ministerien und Abteilungen. Focal Points sind Stellen, die den gesamten Zuständigkeitsbereich eines Ministeriums oder einer Abteilung sowie deren Handeln auf die Übereinstimmung mit der UN-Behindertenrechtskonvention prüfen. Eine vom Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte herausgegebene Studie zeigt, dass zusätzliche Focal Points helfen können, ein entsprechendes Bewusstsein zu bilden. Sie können an der Erarbeitung eines Aktionsplanes teilnehmen sowie die Umsetzung der Konvention begleiten und kontrollieren. Es ist schade, dass eine formelle Benennung von weiteren Focal Points durch die Bundesregierung bislang nicht erfolgt ist. Es bleibt zu hoffen, dass die Aussage der Bundesregierung auf meine mündliche Frage, wonach eine solche Benennung "nicht ausdrücklich ausgeschlossen" sei, auch praktisches Regierungshandeln nach sich zieht. Ein Beispiel, wie doch auch einzelne Bundesministerien voranschreiten könnten, um herauszufinden, inwieweit denn die UN-Behindertenrechtskonvention Auswirkungen auf ihr jeweiliges Politikfeld hat, zeigte schon in der vergangenen Legislaturperiode das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Dieses gab eine Studie zum Thema "Umsetzung der VN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit" in Auftrag. Zwar wurden die seit dem Oktober 2008 vorliegenden Empfehlungen weder von der damaligen noch von der jetzigen Bundesregierung konkretisiert oder gar umgesetzt - bislang zumindest. Mit den Empfehlungen liegen aber Handlungsaufträge vor, die auch im Aktionsplan der Bundesregierung dementsprechende Berücksichtigung finden müssen. Nicht nur die Bundesregierung ist aufgefordert, die Umsetzung der UN-Konvention voranzubringen, sondern auch der Deutsche Bundestag. Hierauf verwies zuletzt Professor Dr. Beate Rudolf vom Deutschen Institut für Menschenrechte bei ihrem Besuch Anfang Juni im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Professor Rudolf schlug den Abgeordneten des Ausschusses drei Möglichkeiten vor, wie sie sich im Rahmen des Staatenberichtes zur UN-Konvention beteiligen können. So sollten die Abgeordneten schon vor dem Kabinettsbeschluss zum Staatenbericht im nächsten Jahr das Thema erneut auf die Tagesordnung des Ausschusses setzen, sich sodann mit den Fragen, die der Vertragsausschuss der Vereinten Nationen stellen wird, auseinandersetzen und schließlich die Empfehlungen diskutieren und in die Politikgestaltung aufnehmen. Ich fordere meine Kolleginnen und Kollegen auf, diesen Hinweisen entsprechend die kommende Ausschussarbeit zu strukturieren. Darüber hinaus möchte ich nochmals auf die viel zitierte Umsetzungspflicht der Bundesregierung als Vertragspartnerin gegenüber den Vereinten Nationen zu sprechen kommen. Hier scheint die Bundesregierung zu glauben, dass die Bereiche, die in die alleinige gesetzgeberische Zuständigkeit der Bundesländer fallen, sie nichts angingen. Dies mussten wir Grünen schon auf unsere Anfragen zu den Themen Kindertagesstätten, Schule und Hochschule erfahren. Jüngst wollten wir von der Bundesregierung wissen, welche Maßnahmen sie trifft bzw. treffen wird, um die UN-Konvention in den Bereichen Bauordnungsrecht und barrierefreies Bauen umzusetzen. Auch hier antwortete die Bundesregierung, dass, sofern es überhaupt einen Änderungsbedarf gäbe, diese Frage nur für die Bundesländer von Belang wäre. Allerdings: Gegenüber den Vereinten Nationen bleibt die Bundesregierung letztlich für das Gesamtergebnis verantwortlich und muss sich daher endlich dieser Verantwortung stellen. Tut sie dies nicht, wird sie schon kurz nach Vorlage des ersten Staatenberichtes im nächsten Jahr ein böses Erwachen erleben. Es bestehen durchaus Handlungsmöglichkeiten auch auf Bundesebene. Die Bundesregierung könnte und müsste gemäß Art. 8 der UN-Konvention sofortige bewusstseinsbildende Maßnahmen ergreifen, um die Menschen von der inklusiven Schule zu überzeugen. Außerdem gilt es, das Rechtsinstitut der "angemessenen Vorkehrungen", wie es in der UN-Konvention vorgesehen ist, auszugestalten und entsprechend für hiesige Regelungen anwendbar zu machen. Lassen Sie mich nun noch einmal etwas zu den aktuellen Sparvorschlägen der Bundesregierung sagen. Die Koalition plant Einsparungen von 16 Milliarden Euro bis 2014 beim Bund und bei der Bundesagentur für Arbeit durch die Umwandlung bisheriger Pflichtleistungen nach SGB II und SGB III in Ermessensleistungen. Dies könnte unmittelbare Auswirkungen auf den Bereich der beruflichen Rehabilitation behinderter Menschen haben. Wir müssen gemeinsam dafür eintreten, dass die Sparbemühungen nicht die Bemühungen zu einem Mehr an selbstbestimmter Teilhabe von Menschen mit Behinderungen konterkarieren. Dass uns solche Sparvorhaben auch von anderen staatlichen Ebenen bevorstehen, zeigt das gemeinsame Schreiben des Bayerischen Städtetags, des Bayerischen Gemeindetages und des Bayerischen Landkreistages. Auf dieses Schreiben wies ich schon in meiner Rede vom 20. Mai hin. Glücklicherweise haben nun auch die Behindertenbeauftragten der Bayrischen Staatsregierung und der Kommunen diese Vorstöße zurückgewiesen. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf den Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe eingehen. Nach § 66 SGB IX ist die Bundesregierung aufgefordert, einen Bericht über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe an den Bundestag vorzulegen. Die Anhörung vom 3. Mai 2010 im Arbeits- und Sozialausschuss hat gezeigt, dass erstens der vorgelegte Bericht den Ansprüchen des § 66 SGB IX nicht gerecht wird, da der Bericht nicht umfassend und detailliert ist, und zweitens, dass es an gesetzlichen Regelungen zur Regelmäßigkeit sowie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung fehlt. Die Erhebung und Aufbereitung geschlechtsspezifischer Daten ist unzureichend. Mit unserem Antrag wollten wir die Mängel der Bundesregierung aufzeigen, die unter rot-grüner Regierungsbeteiligung eingeführte Berichterstattung stärken und einen konkreten Vorschlag zur Umsetzung der Art. 31, Statistik und Datensammlung, und 6, Frauen mit Behinderungen, der UN-Behindertenrechtskonvention vorlegen. Leider wurde von den Koalitionsfraktionen nicht ein einziger Punkt unserer Vorschläge aufgenommen. Die doch recht fadenscheinigen Begründungen können Interessierte gerne in der Beschlussempfehlung des Ausschusses nachlesen. Ein solches Ausweichen und Nichthandeln der Regierungsfraktionen ist unverständlich und bleibt enttäuschend. Besserung täte not. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: EU-Fördermittel aus dem Emissionshandel für erneuerbare Energien und zur Verringerung prozessbedingter Emissionen (Zusatztagesordnungspunkt 5) Jens Koeppen (CDU/CSU): Lassen Sie mich bitte mit ein paar kurzen Ausführungen zur Bedeutung von CCS beginnen, um den Antrag im Kontext der gegenwärtigen Energie- und Klimadebatte diskutieren zu können. Die Marktintegration von CCS-Prozessen bei der Gewinnung von Energie aus fossilen Energieträgern, aber auch bei vielen emissionsintensiven Energieprozessen, ist eine wichtige Voraussetzung, die ehrgeizigen Klimaziele auf nationaler und europäischer Ebene zu erreichen. Die CCS-Technologien sind aber auch für andere Regionen in der Welt eine Chance, ihre meist steigende Energienachfrage klimafreundlich zu decken. Die stark wachsenden Ökonomien in China und Indien werden weder auf die Nutzung der heimischen Kohle verzichten, noch mittelfristig ihr wirtschaftliches Wachstum vom zusätzlichen Energiebedarf entkoppeln können. Als Brückentechnologie sind CCS-Prozesse für uns in Deutschland erforderlich, um die bezahlbare Energieversorgung unserer Bevölkerung mithilfe heimischer Energieträger sicherzustellen und die Importabhängigkeit zu begrenzen. Nach Einschätzung der Europäischen Kommission könnten die im Jahr 2030 durch die Nutzung der verschiedenen CCS-Prozesse vermiedenen Emissionen einen Anteil von 15 Prozent der vereinbarten Emissionsreduzierungen ausmachen. Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur, IEA, würden die Kosten der Klimaschutzmaßnahmen um 70 Prozent steigen, wenn die Marktintegration der neuen Technologien nicht möglich wäre. Neben dem Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele und zur Sicherung unserer Energieversorgung stellen die CCS-Technologien auch industriepolitisch eine interessante Option - mit riesigen Exportchancen und Entwicklungsansätzen für neue Produkte und Produktionsverfahren - dar. Den Chancen der Technologien bei erfolgreicher Demonstration und Marktintegration stehen in potenziellen Speicherregionen aber erhebliche Ängste der Bevölkerung gegenüber. Politisches Handeln muss die Chancen der Technologie sichern, aber auch durch große Transparenz der Entscheidungsprozesse und einen verlässlichen gesetzlichen Rahmen mit hohen Sicherheitsanforderungen die Akzeptanz der Menschen für die neuen Technologien in den Speicherregionen verbessern. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Bünd-nis 90/Die Grünen, ich sehe in Ihrem Antrag einen gewissen Fortschritt, einen Fortschritt hin zu CCS und einer gewissen Offenheit gegenüber dieser Technologie-option. Sie lehnen die neue CCS-Technologie nicht mehr ab, sie lehnen nicht mehr ab, dass CO2 unterirdisch gespeichert wird. Das begrüße ich. Während durch Sie noch vor kurzer Zeit die Technologie generell und mit beschwörender Mimik und Gestik abgelehnt wurde, räumen Sie mit diesem Antrag sachlich und deutlich ein, dass wir die Technologie brauchen. Sie räumen ein, dass wir die Technologie dringend für saubere Industrieprozesse benötigen, um unsere hochgesteckten Klimaziele zu erreichen. Sie wollen CCS für die Industrie, aber nicht für Kohlekraftwerke. Sie stehen der Speicherung von Kohlendioxid nur noch skeptisch gegenüber, wenn es aus Kohlekraftwerken stammt. Wenn das Kohlendioxid in industriellen Prozessen entsteht, haben Sie hinsichtlich der Speicherung keine Befürchtungen. Diese Unterscheidung von "gutem" und "schlechtem" Kohlendioxid ist wissenschaftlich durch gar nichts zu belegen. Die Speicherung von Kohlendioxid - egal aus welchen Prozessen gewonnen - hat keine unterschiedlichen Reaktionen oder Eigenschaften. Daher meine dringende Bitte: Gehen Sie einen Schritt weiter, und hören Sie auf, Ängste bei den Menschen hinsichtlich der CCS-Prozesse bei der Kohlenutzung zu schüren. Ihre Unterscheidung, ab dem Jahr 2010 Kohlendioxid in "gutes" und "schlechtes" CO2 einzuteilen, ist bildungsfern und wird der Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen bei Industrieprozessen schaden. Mein dringender Hinweis: Rufen Sie sich bitte Goethes Zauberlehrling in Erinnerung! "Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los." Herr, die Not ist groß! Wenn Sie gegen Kohleverstromung sind - was jeder hier weiß -, kritisieren sie die Kohlenutzung, aber schaden Sie nicht auch der Klimaschutztechnologie CCS. Wenn Sie CCS-Nutzung für die Energieversorgung kritisieren, möchte ich darauf verweisen, dass wir die Technologie auch für unsere Gaskraftwerke benötigen, also auch für die Energie, die Sie - meine sehr geehrten Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen - ausdrücklich unterstützen. Es wird immer davon ausgegangen, CCS sei eine Option, um nur Kohle sauberer zu nutzen. Unsere ehrgeizigen Klimaziele stellen aber auch erhöhte Emissionsanforderungen an die Gaskraftwerke. In diesem Zusammenhang möchte ich die CCS-Richtlinie in Erinnerung rufen. Dort ist in Art. 33 festgeschrieben, dass es um Feuerungsanlagen von über 300 MW geht. Die EU-Richtlinie gilt also auch für Gas. Ich möchte jetzt aber auf die einzelnen Forderungen eingehen. Sie fordern - ich zitiere - "im Rahmen der ersten und zweiten Bewerbungsphase bei der Europäischen Kommission nur Projekte aus dem Bereich erneuerbare Energie und zur Vermeidung prozessbedingter Emissionen bei Industrieprozessen zur Förderung durch Mittel aus dem Emissionshandel einzureichen." Was Sie fordern, ist ein Verzicht auf Technologieentwicklung in Deutschland. Europa fördert nicht weniger CCS, wenn Deutschland kein Projekt in Brüssel anmeldet. Das Einzige, was geschieht, ist, dass mit den Mitteln CCS-Projekte in anderen EU-Ländern unterstützt werden. Sie suggerieren mit Ihrer Forderung, dass so mehr Geld für die Entwicklung erneuerbarer Technologien zur Verfügung steht. Das ist falsch. Die Mittel fließen zu anderen CCS-Projekten - nicht mehr und nicht weniger. Anders als bei uns ist das Akzeptanzproblem in anderen Ländern kaum erkennbar. Es gibt dort mehr Projekte, als durch die europäische Ebene unterstützt werden. In anderen EU-Ländern wird Ihr Vorschlag daher sicherlich bejubelt. Unserer Industrie und unseren Energieversorgern nehmen Sie aber die Chance auf klimafreundliche Prozesse. Fordern und fördern geht bei Ihnen nicht zusammen. Sie wollen hohe Klimaschutzziele, geben dann aber der Wirtschaft nicht die Möglichkeit, die ehrgeizigen Ziele zu erfüllen. Ihre zweite Forderung - ich zitiere -, aufgrund des kurzen Zeitfensters die Industrie aufzufordern und zu unterstützen, umgehend erfolgsversprechende Projekte bis zum 31.10.2010 vorzuschlagen." Das Demonstrationsprojekt, welches im Land Brandenburg geplant wird, wird seit Jahren vorbereitet. Wie soll die Industrie, wie sollen einzelne Unternehmen mit einer Frist von drei Monaten "erfolgversprechende Projekte" vorlegen? Bei CCS-Prozessen geht es um Investitionen, die im Kraftwerksbereich deutlich die Milliardengrenze überschreiten. Auch für die Industrieunternehmen bedeuten CCS-Prozesse Investitionen im mindestens - abhängig von der Größe - zweistelligen Millionenbereich. Solche Investitionsentscheidungen, die im Übrigen mit unzähligen Arbeitsplätzen - Gewinn und Verlust dieser - verbunden sind, werden nicht über Nacht getroffen. Es sind immense Ingenieursleistungen gefragt, Projekte brauchen eine Finanzierung, die Projekte brauchen einen wissenschaftlichen Hintergrund etc. In dem Zeithorizont, den Sie hier benennen, kann nichts Seriöses vorgelegt werden. Ein anderer Aspekt, der in diesem Zusammenhang noch wichtig erscheint: Wir wollen bei den CCS-Technologien die Demonstrationsphase starten. Die Technologie ist noch nicht im Markt integriert, sondern wird für die Marktintegration, für die wirtschaftliche Verfügbarkeit, durch die Demonstration vorbereitet. Wollen wir die Technologie bei Industrieprozessen nutzen, brauchen wir die europaweite Demonstration durch die Energieanbieter. Die Energieanbieter machen die Technologie wirtschaftlich für die Industrieprozesse. Kleine oder mittelständische, aber auch größere energieintensive Unternehmen haben gar kein Know-how, um die Explorationen für die CO2-Speicher erfolgreich durchzuführen. Würden die Unternehmen einzeln, jedes für sich, eine Demonstration und die dafür notwendige Einrichtung eines Speichers vorbereiten, wäre CCS sicherlich nicht in den kommenden 10, 15 oder 20 Jahren wirtschaftlich verfügbar. Es müssten Zertifikatepreise erzielt werden, die wir in der kommenden und sicherlich auch der da-rauffolgenden Handelsperiode nicht erreichen werden. Die Nutzung von CCS und Demonstration durch Energieunternehmen ist nicht nur für eine sichere und saubere Energieversorgung notwendig, sondern auch erforderlich, damit wir uns mit sauberen Industrieprozessen dem internationalen Wettbewerb stellen können. Ich komme zu Ihrer letzen Forderung - ich zitiere -, "bei der EU-Kommission darauf hinzuwirken, dass die Forschung an alternativen Technologien zur Verringerung prozessbedingter Emissionen aus Mitteln aus dem EU-Emissionshandel gefördert werden kann." Hier erlaube ich mir den Hinweis, dass die EU-Kommission nicht der richtige Adressat für die Forderung ist. Richtlinien werden vom Rat oder, wie im Fall der Emissionshandelsrichtlinie, vom Rat und Europäischen Parlament verabschiedet. Zusammenfassend möchte ich hervorheben: Ich begrüße das Bekenntnis zu CCS der antragstellenden Fraktion. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass die Forderungen, wie sie formuliert sind, weder die Technologie noch den Klimaschutz voranbringen. Sie sind weder zielführend noch machbar. Sie verbinden das Thema der Technologieentwicklung noch mit zu viel Ideologie, und Ihre Feindbilder - wie es die kohleverstromenden Unternehmen für Sie sind - lassen Sie eine Position einnehmen, mit der Klimaschutz, Versorgungssicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit nicht vorangebracht werden kann. Wir werden in einigen Wochen hier die Debatte über das neue CCS-Gesetz haben. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, bleiben Sie auch bei der Diskussion bei Ihrer neuen Pro-CCS-Position, und überdenken Sie Ihre Gegnerschaft gegenüber CCS bei der Energiegewinnung! Frank Schwabe (SPD): Welche Projekte wollen wir mit den Einnahmen aus dem Emissionshandel fördern? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Antrags der Grünen, über den wir heute diskutieren. Genauer gesagt, geht es um die Förderung von CCS-Projekten mit Mitteln aus dem CO2-Emissionshandel aus der sogenannten New Entrance Reserve. Nach dem Beschluss der Europäischen Kommission sollen aus dem Europäischen Emissionshandel 300 Millionen Zertifikate für die Förderung von 34 Demonstrationsprojekten aus dem Bereich erneuerbare Energien und acht CCS-Demonstrationsprojekten bereitgestellt werden. Bei einem Preis von 20 bis 30 Euro pro Tonne CO2 bedeutet dies ein Gesamtvolumen von 6 bis 9 Milliarden Euro an Fördergeldern. Neben der Förderung mit den Gegenwerten der Zertifikate aus der New Entrance Reserve werden CCS-Projekte noch aus Mitteln des europäischen Energie-Konjunkturpakets gefördert. Der Europäische Rat hat im März 2009 beschlossen, fast 4 Milliarden Euro für konjunkturwirksame Energieprojekte bereitzustellen. 1,5 Milliarden Euro daraus sollen für 15 Projekte in den Bereichen CCS und Offshore-Windenergie genutzt werden. Aus diesen Mitteln erhalten Vattenfall und das Land Brandenburg bis zu 180 Millionen Euro für das Projekt Jänschwalde. Die Frage, wer welche Gelder erhalten soll, kann man nur beantworten, wenn klar ist, welches Ziel man damit erreichen möchte. Das Ziel ist in diesem Fall, dass Deutschland seine Klimaziele erreichen kann. Um das 2-Grad-Ziel zu erreichen, müssen die Industrieländer und damit auch Deutschland die Emissionen an Treibhausgasen bis zum Jahr 2050 um bis zu 95 Prozent senken. Will Deutschland dieses Ziel erreichen, so ist es notwendig, dass wir das gesamte Energiesystem bis zum Jahr 2050 vollständig dekarbonisieren. Damit verbindet die Sozialdemokratie die ebenfalls notwendigen Ziele einer auch zukünftig für alle Bürgerinnen und Bürger bezahlbaren und sicheren Energieversorgung. Zudem wollen wir auf diesem Weg die technologische Vorreiterrolle und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas sichern und ausbauen. Zahlreiche Studien zeigen jedoch auf, dass wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichen, falls wir nur die Energieerzeugung dekarbonisieren. Es bedarf eines grundlegenden Umbaus unserer Art zu wirtschaften. Jeder Sektor, sei es der Verkehr, die Industrie, die Landwirtschaft und der Gebäudebereich, müssen ihren Beitrag leisten. Das ist auch an diejenigen gerichtet, die noch nicht von einer vollständigen Dekarbonisierung der Energieversorgung überzeugt sind. Jede Tonne CO2, die die Stromproduktion in Zukunft ausstoßen wird, steht der Industrie nicht mehr zur Verfügung. Wer Klimaziele erreichen möchte, die Stromversorgung aber nicht hin zur Vollversorgung durch erneuerbare Energien umbauen möchte, wird deshalb zum zukünftigen Arbeitsplatzexporteur. Im Bereich der Industrie gibt es jedoch Branchen, bei denen prozessbedingt CO2 entsteht. Im Hinblick auf eine CO2-freie Wirtschaft in der Mitte des Jahrhunderts gibt es für diese Emissionen bisher keine Vermeidungsperspektive. Wir wollen diese Branchen, wie Stahlproduktion, Zement oder Klinker, in Deutschland halten, weil es fundamental ist, dass wir auch im Jahr 2050 noch ein prosperierendes Industrieland sind. Um diese Branchen zu halten und trotzdem unsere Klimaziele zu erreichen, ist es notwendig, dass die Emissionen aus Industrieprozessen zukünftig mittels CCS-Technologie abgeschieden und gespeichert werden. Den Grünen ist deshalb zuzustimmen, wenn sie in Prozessemissionen die Hauptaufgabe für CCS sehen. Es ist bedenklich, dass es in Deutschland bisher nur Versuchsprojekte der Stromwirtschaft zur CO2-Abtrennung und -Speicherung gibt, jedoch keine Projekte der Industrie. Und jetzt wird die Zeit sehr knapp, um solche Projekte noch fristwahrend einzureichen. Neben dem Bereich der Industrie ist der Einsatz der CO2-Abscheidung im Bereich der Biomassenutzung eine interessante Option. So kann es notwendig werden, Biomasse in Verbindung mit CCS zu nutzen, um so CO2 der Atmosphäre zu entziehen. Viele Szenarien zur Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels gehen davon aus, dass dies in den nächsten Jahrzehnten notwendig wird. Biomassekraftwerke mit CCS wirken als Nettosenken, das heißt CO2 wird aus der Atmosphäre entfernt. Daher unterstützen wir die Erprobung von CCS in heimischen Demonstrationsprojekten und fordern die zügige Vorlage eines CCS-Gesetzes. Die Verabschiedung eines nationalen CCS-Gesetzes ist die Grundlage für die Inanspruchnahme von teilweise bereits zugesagten EU-Fördermitteln. Falls die Bundesregierung die Förderung von heimischen Demonstrationsanlagen erreichen möchte, muss sie bis Ende dieses Jahres ein CCS-Gesetz verabschieden. Wir befinden uns heute in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause, und was hat die Bundesregierung bis jetzt geliefert? Nichts! Dabei liegt mit dem Entwurf eines CCS-Gesetzes aus der letzten Legislaturperiode ein fertiger Gesetzentwurf vor. Bis heute hört man von Schwarz-Gelb aber nur, dass sie diskutieren, diskutieren und weiter diskutieren. Man hört, dass über die Größe der Lagerstätten diskutiert wird, über Möglichkeiten für Bundesländer, die kein CCS auf ihrem Gebiet haben wollen. Über Sicherheits- und Umweltstandards wird anscheinend auch noch diskutiert. Gerade der letzte Punkt ist interessant. Als Teil der Verhandlergruppe der SPD-Fraktion beim CCS-Gesetz erinnere ich mich an die Zeit vor einem Jahr, als die Union alles unternahm, um hohe Sicherheits- und Umweltstandards zu verhindern. Dabei ist offensichtlich, dass diese Technik ohne die Akzeptanz der Bevölkerung nicht durchzusetzen ist. Akzeptanz erreicht man jedoch nur, wenn die Verfahren transparent sind, die Bevölkerung vor Ort umfassend beteiligt wird und berechtigte Interessen berücksichtigt werden. Wer in Gutsherrenart vorgeht, wird erreichen, dass diese Technik schon vor dem ersten Ausprobieren nicht durchsetzbar wird. Und wir befinden uns bei der CCS-Technologie noch ein einem sehr frühem Stadium, die CCS-Technologien befinden sich noch im Entwicklungsstadium. Daher können sie auch zum jetzigen Zeitpunkt kein tragender Bestandteil einer CO2-Minderungsstrategie und eines seriösen Energiekonzepts sein, dass das Erreichen der Klimaschutzziele gewährleisten muss. Wir wollen schrittweise vorgehen, indem wir zunächst die Erprobung der Technologien in Demonstrationsanlagen in Deutschland und Europa unterstützen. Erst nach der Auswertung dieser Ergebnisse werden wir darüber entscheiden können, welche Rolle CCS im Rahmen eines Energiekonzepts spielen kann und soll. Hier setzt auch meine Kritik am Antrag der Grünen an. Folgt man dem Antrag der Grünen, so wäre ein CCS-Demonstrationsprojekt in der Stromproduktion ausgeschlossen. Zwar bin ich skeptisch, ob CCS, sollte die Technik funktionieren, jemals wirtschaftlich darstellbar ist. Auch ist es richtig, dass der Schwerpunkt von CCS bei den Prozessemissionen liegen sollte. CCS für die Stromproduktion aber nicht einmal in einer Versuchsanlage auszuprobieren, würde uns der Möglichkeit berauben, Erfahrungen mit dieser Technik zu sammeln. Denn wie wollen wir vorgehen, wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht so vorangeht, wie wir das für Notwendig halten? Ohne CCS hätten wir dann keine zweite Technik in der Hinterhand. Auch bei einem Umbau der Stromversorgung hin zu erneuerbaren Energien sollten wir CCS in einer Versuchsanlage ausprobieren, um nötigenfalls eine Alternative in der Hinterhand zu haben. Um den Bedrohungen durch den Klimawandel zu begegnen, ist es wichtig - nach dem Grundsatz der Risikobegrenzung - auch Alternativpfade voranzutreiben. Technisch wäre es möglich, die globalen Klimaziele alleine mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien zu erreichen. Politische Ansätze in diese Richtung müssen höchste Priorität haben. Selbst unter diesem Szenario muss CCS aber als Versicherung gegen Verzögerungen ins Lösungsportfolio einbezogen werden. Diese Alternativpfade würde der Antrag der Grünen verbauen. Deshalb können wir ihm nicht zustimmen, auch wenn er richtige Punkte enthält. Michael Kauch (FDP): Die Grünen fordern in ihrem Antrag, der hier zur Debatte steht, dass Deutschland keine Anträge für die Förderung von CCS-Technologie für die Kohleverstromung im Rahmen der NER-300-Förderung an die Europäische Union weiterleitet. Wir als FDP halten das Ansinnen der Grünen für falsch, CCS-Projekte für Kraftwerke von der Förderung von vornherein auszuschließen. Mit ihrer rückwärtsgewandten Technologiefeindlichkeit schaden die Grünen dem globalen Klimaschutz und verhindern Exportchancen für deutsche Kraftwerkstechnik. Wir brauchen CO2-Abscheidung und -Einlagerung bei der Kohleverstromung zur Bekämpfung des Klimawandels. Dabei spielt bei der globalen Betrachtung Deutschland gar keine so große Rolle. Viel wichtiger sind die Kohlevorkommen der großen CO2-Emittenten. China beispielsweise wird seine Kohle verstromen, ob wir das wollen oder nicht. Und da sagen wir als FDP-Fraktion: Dann doch besser klimafreundlich und am besten mit deutscher Technologie, denn deutsche Kraftwerkstechnik ist weltweit führend! Diese Chance sollten wir uns nicht entgehen lassen, und um diese Chance zu nutzen, brauchen wir Demonstrationsprojekte hier in Deutschland. Aber auch in Deutschland kann CCS einen Beitrag leisten, um Energieversorgung im Übergang zum erneuerbaren Zeitalter klimafreundlich und zugleich versorgungssicher zu machen. Ob die Technologie letztlich wirtschaftlich sein wird, wird die Zukunft zeigen. Falsch wäre allerdings, den Weg für CCS von vornherein zu verbauen. Dies gilt für den Stromsektor genauso wie für CCS bei prozessbedingten CO2-Emissionen. Auch hier sind Demonstrationsprojekte von herausragender Bedeutung. Eine allgemeine Anmerkung möchte ich noch zu dem Förderinstrument machen: Es gibt gute Gründe, neuen Technologien eine Anschubfinanzierung zu gewähren, stets mit dem Ziel, dass diese einmal wirtschaftlich sein werden. Wenn man dies macht, dann sollte man allerdings auch so ehrlich sein und die Fördermittel aus dem Haushalt bereitstellen und nicht, wie in dem vorliegenden Fall, Emissionszertifikate an Anlagen verteilen, die gar kein CO2 emittieren. Das ist systemwidrig und vermittelt den falschen Eindruck, dass diese Förderung quasi gratis ist. Deshalb hat die FDP dieses Förderinstrument, das der Europäische Rat beschlossen hat, schon in der Vergangenheit kritisch gesehen. Wenn das Instrument aber schon zur Verfügung steht, dann darf ein ideologischer Ausschluss bestimmter förderfähiger Anlagen allerdings nicht erfolgen. In diesem Sinne sprechen wir uns gegen den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen aus. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Der Hype um Carbon Capture and Storage, CCS, ist mittlerweile unerträglich. Als liege die Lösung unserer Klimaprobleme tief in der Erde. Immer mehr stellt sich jedoch heraus, dass die Abscheidung und unterirdische Speicherung von Kohlendioxid ein Irrweg ist. Zuletzt musste die Höhe der verfügbaren Speicher deutlich nach unten korrigiert werden. Bis vor kurzem wurde auf Basis von Abschätzungen des Bundesamts für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, davon ausgegangen, dass die verfügbaren Speicherformationen in Deutschland potenziell eine CO2-Menge von 12 bis 28 Gigatonnen aufnehmen könnten. Dann wäre Platz für ungefähr 30 bis 60 Jahre Verpressung, geht man von den heutigen Kraftwerksemissionen von rund 390 Millionen Tonnen CO2 und der niedrigeren Effizienz der CCS-Kraftwerke aus. Im Mittelwert entspräche diese Zeit ungefähr dem Ausstoß einer Kraftwerksgeneration. Das Wuppertal-Institut hat in seinem Zwischenbericht zur Studie RECCS plus diese Abschätzung infrage gestellt. Es rechnet nur mit 6 bis 12 Gigatonnen. Auf eine ähnliche Größenordnung kommt neuerdings auch das BGR selbst in einer aktualisierten Berechnung. Damit reduziert sich die Zeit, in welcher der gesamte heutige Kraftwerkspark seine CO2-Emissionen mittels CCS unter die Erde bringen könnte, ungefähr auf die Hälfte, nämlich auf 15 bis 30 Jahre. Das wäre dann nur noch eine halbe Kraftwerksgeneration. Berücksichtigt man nun noch, dass aus Wirtschaftlichkeitsgründen für Kraftwerke eigentlich nur Speicher infrage kommen, die eine größere Kapazität haben als 50 Millionen Tonnen, so sind wir nur noch am unteren Rand, nämlich bei gerade einmal 6 Gigatonnen. Und auch dies ist eine sehr theoretische Zahl, denn die Erkundungen stehen erst am Anfang. Wie viele Räume wegen geologischen Störungen oder Konflikten mit anderen unterirdischen Nutzungen, wie etwa Geothermie, ausgeschlossen werden müssen, ist noch weitgehend unbekannt. Ferner werden beim Verpressen die bestehenden Formationswässer verdrängt, was natürlich Druck erzeugt und das Fassungsvermögen der Speicher zusätzlich vermindern wird. Zudem sind in obiger Rechnung die prozessbedingten Emissionen der Industrie - 85 Millionen Tonnen - oder die viel diskutierte Speicherung von Biomasseemissionen als Option für den Nettoentzug von Treibhausgasen aus der Atmosphäre noch gar nicht berücksichtigt. Sie würden die Speicherzeit noch weiter verkürzen. All dies zeigt: Mit enormem Aufwand wird nun eine Technik entwickelt, die noch nicht einmal eine halbe Kraftwerksgeneration genutzt werden kann, weil dann die Speicher voll wären. Die Menge des CO2, die jedes Jahr tatsächlich verpresst werden kann, ist zudem technisch begrenzt. Dies wird merkwürdigerweise in der Debatte bislang kaum berücksichtigt. Doch wegen dem höchstmöglichen Verpressungsdruck, der maximalen unterirdischen Ausbreitungsgeschwindigkeit etc. könnten jährlich maximal nur etwa 50 bis 75 Millionen Tonnen gespeichert werden. Den Flaschenhals in dieser Größenordnung beschrieb Dr. J. Peter Gerling vom BGR bei der IZ-Klima-Tagung im Januar 2010 in Berlin. Stimmt dies, so würden die Speicher zwar länger reichen. Allerdings würde das CCS-System dann gerade einmal leistungsfähig genug sein, um in jedem Jahr die CO2-Emissionen der Industrie unter die Erde zu bringen. Wer es also ernst meint mit der Argumentation, nach der CCS auf jeden Fall für die Industrieemissionen genutzt werden müsse, da diese sich prozessbedingt kaum vermeiden ließen, müsste in Bezug auf Kohlekraftwerke konsequent sein: Für die parallele Verpressung von Emissionen aus Kohlekraftwerken bietet das CCS-Regime schlicht keinen Platz! Und genau deshalb dürfen auch keine Fördermittel für Demonstrationsvorhaben fließen, die sich mit der CO2-Abscheidung aus Kohlekraftwerken beschäftigen. Da gehen wir mit der Forderung der Grünen mit. Der Antrag der Grünen weist auch auf die Möglichkeit hin, Biomasse-CO2 ab Mitte des Jahrhunderts abzuscheiden und zu verpressen, um der Atmosphäre netto CO2 zu entziehen. Wir sind da skeptisch. Denn die angedachte Verpressung von Emissionen aus Biomasse-Kraftwerken würde wahrscheinlich energetisch Unfug sein: CCS ist wegen der teuren Abscheidungstechnik und der punktförmigen Verpressung ein im Wesen zentralistisch ausgerichtetes System. Biomasseanlagen dagegen - wenn sie energetisch Sinn machen sollen - sind dezentral ausgerichtet. Nur so lässt sich aus überschaubaren Räumen regional Biomasse beziehen, nur so finden sich Abnehmer für die anfallende Wärme. Setzt man hier CCS ein, so würde aus Tausenden Kilometern Ferne Biomasse angekarrt werden müssen. Zudem müsste die Wärme in den meisten Fällen in die Luft geblasen werden. Beides sind unserer Ansicht nach keine Optionen für eine zukunftsfähige Energiewirtschaft. Insgesamt sieht die Linke in CCS keinen Beitrag zur Lösung der Klimaprobleme. Das Technologieversprechen kommt erst nach 2020 zum Einsatz, also zu spät - wenn es denn überhaupt Realität wird. Die Erneuerbaren sind dagegen heute schon verfügbar. Die Kosten von CCS sind absurd hoch, und die Effizienz der Kraftwerke verringert sich. Außerdem sind die Risiken der Verpressung weitgehend unbekannt. Über den zähen Widerstand der Bevölkerung vor Ort werden sich die Befürworter noch wundern. Gorleben lässt grüßen! Vor allem aber sind CCS-Kraftwerke nicht mit einem Energiesystem vereinbar, in dem mehr als ein Drittel erneuerbare Energien eingespeist werden. Dies hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen mehrmals betont. Gerade die fluktuierende Windkraft erfordert in der Übergangsphase zur Vollversorgung flexible fossile Kraftwerke, wie Gasturbinen, um Berge und Täler bei der Erzeugung auszugleichen. CCS-Kraftwerke sind dafür viel zu träge und würden darüber hinaus unrentabel, wenn sie ständig runtergefahren werden müssten. Dies eint sie übrigens mit der Atomkraft. Mittel für die Forschung und für Demonstrationsvorhaben sollten darum vor allem für regenerative Energien und neue innovative Speicherlösungen ausgegeben werden. Bei CCS eingesetzt, sind es von vorherein gestrandete Investitionen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Europäische Union wird aus den Erlösen des EU-Emissionshandels 300 Millionen Zertifikate im Wert von 6 bis 9 Milliarden Euro für die Förderung von 34 Demonstrationsprojekten aus dem Bereich der erneuerbaren Energien und 8 CCS-Demonstrationsprojekte auf Grundlage des Beschlusses NER 300 zur Verfügung zu stellen. Antragsteller haben bis zum 30. September 2010 die Möglichkeit, bei ihrer nationalen Regierung Projektanträge einzureichen. Die Regierungen schlagen der EU-Kommission bis Jahresende 2010 Projekte zur Förderung vor. Das Thema drängt also, wenn Deutschland mit guten Projektvorschlägen am Start sein will. Wir begrüßen ausdrücklich die Möglichkeit der Förderung von erneuerbaren Energien aus Mitteln des Emissionshandels. Dagegen sehen wir die Förderung von CCS-Projekten an Kohlekraftwerken kritisch. Warum sollen wir CCS im Zusammenhang mit Kohlekraftwerken fördern, wenn inzwischen selbst die Befürworter dieses Ansatzes nicht mehr glauben, dass das in Deutschland jemals großtechnisch zum Einsatz kommen kann? Wenn CCS überhaupt jemals eine Klimaschutzoption nach 2020 oder 2030 werden sollte, dann sicher nicht für Kohlekraftwerke in Deutschland. Bis dahin sind die erneuerbaren Energien unsere wichtigste Energiequelle und in jedem Fall günstiger als Kohlekraft mit CCS. Denn CCS an Kohlekraftwerken heißt - neben all den ungeklärten offenen Fragen zu Transport und Speicherung und dem immensen technischen Aufwand bei der Abscheidung - auch ein Drittel Wirkungsgradverlust und entsprechend höherer Kohleverbrauch. Die Bundesregierung muss deshalb vor allem und sehr schnell darauf hinwirken, dass möglichst viele Projekte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien in Deutschland zur Förderung eingereicht werden. Denn das sind die wahren Zukunftstechnologien und hier liegt das Innovationspotential. Doch auf eine Anfrage antwortet die Bundesregierung, dass sie sich bisher noch gar keine Gedanken gemacht hat, welche Projekte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien aus Deutschland sie der EU-Kommission zur Förderung vorschlagen könnte. Sie macht keine Werbung bei Unternehmen, Projektvorschläge einzureichen. Es gibt bei dem Thema eine absurde Fixierung auf CCS bei Kohlekraftwerken im Allgemeinen und auf Vattenfall und Jänschwalde im Speziellen. Das schadet nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Die mit der CO2-Speicherung in Zusammenhang stehenden Risiken und Probleme sind noch längst nicht hinreichend erforscht. Wie kann die Sicherheit der Speicher gewährleistet werden? Wie sollen relevante Haftungsfragen geklärt werden? Wie wirkt sich die Speicherung von CO2 auf die Trinkwasserversorgung aus? So hat sich zum Beispiel gerade im Juni die Wasserwirtschaft in Norddeutschland gegen eine unterirdische Speicherung von CO2 ausgesprochen, da verdrängtes Salzwasser aus salinen Aquiferen das Grundwasser zu versalzen droht und damit die Trinkwasserversorgung in dieser Region gefährdet wäre. Solange solche Fragen nicht geklärt sind, stellt eine großtechnische Demonstrationsanlage wie das von der Firma Vattenfall betriebene CCS-Projekt in Jänschwalde in Brandenburg ein unkalkulierbares Risiko für Mensch und Natur dar und darf nicht einfach so in Betrieb gehen. Man muss sich dabei auch vor Augen führen, über was für Mengen an CO2 wir hier reden, die in einem Kohlekraftwerk anfallen. Das sind allein in Jänschwalde mal eben 23,7 Millionen Tonnen im Jahr. Wenn man das auf eine Betriebslaufzeit von 40 Jahren hochrechnet, dann kommt man auf nahezu 1 Milliarde Tonnen CO2, und dies in nur einem einzigen Kraftwerk. Bei der rheinischen Braunkohle müssten jedes Jahr sogar 100 Millionen Tonnen über riesige Pipelinesysteme nach Norddeutschland gebracht und dort in Hunderten von Injektionsstellen verpresst werden. Es ist schlichtweg Irrsinn, zu glauben, mit CCS könnte man mit vertretbarem Aufwand relevante Emissionsreduktionen bei Kohlekraftwerken erreichen. CCS an Kohlekraftwerken ist der untaugliche Versuch, sich vor dem sowieso notwendigen und überfälligen Umbau der Energieversorgung zu drücken. Ein Beitrag der CCS-Technologie kann vielleicht in der Verringerung prozessbedingter Emissionen liegen, die zum Beispiel in der Stahl- oder Zementindustrie anfallen. Deutschland hat hiervon einen jährlichen Ausstoß von 80 Millionen Tonnen. Wer das 2-Grad-Ziel ernst nimmt, der muss auch für die Emissionen Vermeidungsstrategien entwickeln. Für diese Emissionen gibt es bisher nämlich keine großtechnisch anwendbaren und absehbar marktreifen Vermeidungsstrategien. Aber es gibt neben CCS auch andere Optionen zur Verringerung von prozessbedingten Emissionen: durch alternative Werkstoffe und neuartige Produktionsverfahren. CCS-Forschung in diesem Bereich ist deshalb vor allem als Rückfalloption zur Erreichung der Klimaschutzziele sinnvoll. Aber gleichzeitig müssen andere Vermeidungsstrategien für prozessbedingte Emissionen viel stärker als bisher gefördert werden. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass im Rahmen von NER 300 nur Projekte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien und für die Verringerung prozessbedingter Emissionen bei der Europäischen Investitionsbank mit Antrag zur Förderung einreicht werden. Eine "CCS-Lex-Vattenfall" für Jänschwalde anstelle erneuerbarer Energien im Hinblick auf NER 300 wäre ein großer Fehler für Deutschland. Erneuerbare-Energien-Technologien haben im Jahr 2009 in Deutschland bereits 93,3 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert und deckten damit 16,1 Prozent des Strombedarfs in Deutschland ab. In den vergangenen Jahren sind in dieser erfolgreichen Wachstumsbranche 300 000 Arbeitsplätze entstanden. Deutschland verfügt bei den erneuerbaren Energien in vielen Bereichen über die Technologieführerschaft. In nahezu allen Industrienationen, aber zunehmend auch in Schwellen- und Entwicklungsländern schreitet der Ausbau der erneuerbaren Energien immer schneller voran. Für Deutschland bieten sich dabei enorme wirtschaftliche Chancen, seine Spitzentechnologien zu exportieren und damit gleichzeitig einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Erneuerbare Energien schaffen weltweit Millionen von Arbeitsplätzen, sind unendlich verfügbar und verursachen kein CO2. Dies sind die Technologien, für die prioritär Geld zur Verfügung gestellt werden sollte, nicht für die Sackgasse einer CCS-Technologie in Kohlekraftwerken. 1Anlage 2 2Anlagen 3 bis 8 3 Anlage 9 4 Anlage 10 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 5602 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 55. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 55. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5601 Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 5834 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 55. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 55. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5833