Plenarprotokoll 17/56 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 56. Sitzung Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 33: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen: Afghanistan und die Konferenz von Kabul - Auf dem Weg zur Übergabe in Verantwortung Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jan van Aken (DIE LINKE) Elke Hoff (FDP) Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Holger Haibach (CDU/CSU) Johannes Pflug (SPD) Elke Hoff (FDP) Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Florian Hahn (CDU/CSU) Fritz Rudolf Körper (SPD) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 34: Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beschäftigungssituation Älterer, ihre wirtschaftliche und soziale Lage und die Rente ab 67 (Drucksachen 17/169, 17/2271) Klaus Ernst (DIE LINKE) Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Elke Ferner (SPD) Klaus Ernst (DIE LINKE) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Elke Ferner (SPD) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Otto Fricke (FDP) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Anton Schaaf (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Pascal Kober (FDP) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Josip Juratovic (SPD) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) Frank Heinrich (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 35: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der Gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz - AMNOG) (Drucksache 17/2413) b) Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für ein modernes Preisbildungssystem bei Arzneimitteln (Drucksache 17/2324) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Karl Lauterbach (SPD) Jens Spahn (CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD) Dr. Marlies Volkmer (SPD) Kathrin Vogler (DIE LINKE) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wolfgang Zöller (CDU/CSU) Kathrin Vogler (DIE LINKE) Maria Anna Klein-Schmeink (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Elke Ferner (SPD) Ulrike Flach (FDP) Michael Hennrich (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 36: a) Antrag der Abgeordneten Michael Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Angekündigte Mittelkürzung beim CO2-Gebäudesanierungsprogramm zurücknehmen (Drucksache 17/2346) b) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: CO2-Gebäudesanierungsprogramm fortführen - Mit energetischer Sanierung Konjunktur ankurbeln, Arbeitsplätze sichern und Klima schützen (Drucksache 17/2395) c) Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Stephan Kühn, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Lebensqualität und Investitionssicherheit in unseren Städten durch Rettung der Städtebauförderung sichern (Drucksache 17/2396) Michael Groß (SPD) Peter Götz (CDU/CSU) Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 37: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Elektronischen Personalausweis nicht einführen (Drucksache 17/2432) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Elektronischen Personalausweis nicht einführen (Tagesordnungspunkt 37) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Frank Hofmann (Volkach) (SPD) Manuel Höferlin (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 56. Sitzung Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 Beginn: 9.00 Uhr Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart, während der Haushaltsberatungen ab dem 13. September 2010 keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen Afghanistan und die Konferenz von Kabul - Auf dem Weg zur Übergabe in Verantwortung Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Am 20. Juli findet die internationale Afghanistan-Konferenz in Kabul statt. Es hätte sicherlich einfachere Orte auf der Welt für diese Konferenz gegeben. Die Tatsache, dass diese Außenministerkonferenz in Kabul stattfindet, ist ein Signal. Der Ort Kabul ist Ausdruck unseres festen Willens, die vollständige Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände zu übergeben. Der Ort Kabul ist ebenso Ausdruck des festen Wunsches der Afghanen, die Geschicke ihres Landes wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Die Kabul-Konferenz ist die erste internationale Afghanistan-Konferenz, die in Afghanistan selbst stattfindet. Das ist mehr als Symbolik; es zeigt, dass wir in dem Prozess der Übergabe von Verantwortung in Verantwortung an die Afghanen eine neue Etappe erreicht haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutschland engagiert sich gemeinsam mit über 40 anderen Nationen unter dem Mandat der Vereinten Nationen in Afghanistan, damit das Land nicht wieder zum Rückzugsort für den internationalen Terrorismus wird. Der deutsche Afghanistan-Einsatz ist gewiss nicht populär, aber er ist unverändert notwendig und in unserem eigenen Interesse. Unsere Landsleute tun in Afghanistan ihren Dienst, damit wir hier sicher leben können. Dafür wollen wir ihnen auch danken. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auf der Konferenz in London Anfang des Jahres haben die afghanische Regierung auf der einen und die internationale Staatengemeinschaft auf der anderen Seite eine gegenseitige Verpflichtung geschlossen. Die afghanische Regierung hat sich auf die Ziele bessere Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Reduzierung des Drogenanbaus verpflichtet. Im Gegenzug hat die internationale Gemeinschaft zugesagt, ihre Anstrengungen zu erhöhen, damit die Afghanen diese Ziele erreichen können. Die internationale Gemeinschaft hat ihre Zusagen erfüllt. Die Bundesregierung hat ihr Afghanistan-Konzept durch eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor diesem Hohen Hause im Januar vorgelegt und dessen Umsetzung auf den Weg gebracht. Ich danke dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, dafür, dass es gelungen ist, Deutschlands zivile Hilfe für die Menschen in Afghanistan beinahe zu verdoppeln. Ebenso fast verdoppeln konnten wir seit Jahresbeginn die Zahl unserer Polizeiausbilder vor Ort. Deswegen danke ich ausdrücklich dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière und den Bundesländern für diesen wichtigen Beitrag. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich danke den Polizisten, die da hinfahren!) Dem Bundesverteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg, danke ich für die kollegiale Zusammenarbeit (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) bei der Neufassung des deutschen ISAF-Mandates gemäß unseren internationalen Verabredungen. Gemeinsam haben wir den deutschen Schwerpunkt, nämlich die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte, weiter verstärkt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Neben Umschichtungen im Mandat können wir heute 500 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan entsenden, um die Ausbildung der Sicherheitskräfte vor Ort zu verbessern und zu beschleunigen. Das Kabinett hat in dieser Woche einen ehrgeizigen Sparhaushalt beschlossen. An unserem Engagement in Afghanistan wird aber nicht gespart, weil wir den Erfolg wollen und unsere Verantwortung kennen. Deutschland hält seine Zusagen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Manches haben wir seit London erreicht. Wir haben neue Trainingszentren für die Polizei gebaut und in diesem Jahr schon fast 2 000 afghanische Polizisten aus- und fortgebildet. Wir haben in Kunduz und Dakar begonnen, die Provinzkrankenhäuser wieder aufzubauen. Wir unterstützen mobile Gesundheitsteams im Norden, die Gesundheitsversorgung zu den Menschen bringen sollen. Etwa 2,6 Millionen Menschen wollen wir so mit Gesundheitsversorgung erreichen. In der Provinz Balkh haben wir Schulplätze für 3 000 Jungen und Mädchen neu geschaffen. In unserem neuen Ausbildungszentrum für Lehrkräfte in Masar-i-Scharif werden im Norden Afghanistans mittlerweile mehr als 6 000 angehende Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet. Das alles wurde im vergangenen halben Jahr erreicht. Ich denke, das ist eine gute, wenn auch noch nicht zureichende Zwischenbilanz. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört es nämlich auch, Rückschläge nicht zu übersehen und die Grenzen unserer Möglichkeiten zu erkennen. Wir wissen um den Drogenanbau, der in Afghanistan weiter betrieben wird. Wir wissen um die Korruption im Land und sind beunruhigt über Berichte, nach denen Hilfsgelder außer Landes geschafft werden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Milliarden!) Und wir wissen um die angespannte Sicherheitslage. Es ist nicht alles gut in Afghanistan. Wer glaubt, wir könnten am Hindukusch europäische Verhältnisse schaffen, der irrt aber. Unser Ziel muss ein Zustand in Afghanistan sein, der gut genug ist. Gut genug heißt, dass die Afghanen selbst in der Lage sind, in ihrem Land für hinreichende Stabilität zu sorgen. Gut genug heißt, dass die Fortschritte im Bereich der Menschenrechte, die wir seit dem Fall der Taliban-Herrschaft erreicht haben, gesichert bleiben. Ohne Menschenrechte, ohne das Recht von Frauen und Mädchen auf Bildung, auf Bewegungsfreiheit, auf Teilhabe am Leben kann es eine nachhaltige Stabilisierung des Landes nicht geben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt Licht und Schatten in Afghanistan. Viele von Ihnen - aus allen Fraktionen - haben vor Ort Gespräche geführt und sich persönlich ein Bild der Lage gemacht. Sie wissen, wie gefährlich der Einsatz für unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan ist. Allein im Juni sind in Afghanistan über 100 ISAF-Soldaten ums Leben gekommen. Wir trauern um sieben deutsche Soldaten, die im vergangenen halben Jahr bei Angriffen der Taliban ihr Leben verloren haben. Wir denken an diejenigen, die im Einsatz Verletzungen erlitten haben, sichtbare und unsichtbare. Wir sind bei den Familien, die um einen Angehörigen trauern oder die sich um einen geliebten Menschen sorgen, weil sie um die täglichen Gefahren dieses Einsatzes wissen. Allen, die in Afghanistan in Uniform oder Zivil ihren Dienst tun, allen, die in den PRTs, in der Botschaft oder in einem der vielen Entwicklungsprojekte ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben riskieren, spreche ich unseren größten Respekt und unseren tiefsten Dank aus. Wir schätzen ihre Arbeit, wir brauchen ihren Einsatz, und wir wollen ihren Erfolg. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutschland leistet viel in Afghanistan. In Diskussionen reduzieren manche unser Engagement auf die militärische Komponente, andere auf den zivilen Teil. Wir werden Afghanistan nicht stabilisieren, indem wir allein militärisch vorgehen. Wir werden Afghanistan auch nicht allein dadurch stabilisieren, dass wir Schulen bauen, Straßen teeren und Polizisten ausbilden. Beides ist notwendig und Teil unseres Ansatzes der vernetzten Sicherheit. Beides zusammengenommen reicht aber noch nicht aus. Es muss ein drittes Element dazukommen. Eine dauerhafte, selbsttragende Stabilisierung Afghanistans kann nur durch einen politischen Prozess gelingen, der die Interessen der verschiedenen Ethnien und gesellschaftlichen Gruppen in Afghanistan ausbalanciert. Auch dazu haben wir mit unseren Verbündeten in London Anfang des Jahres bereits den ersten Schritt getan, indem wir ein Reintegrationsprogramm für ausstiegswillige Mitläufer der Taliban beschlossen haben. Ein zweiter Schritt war die Friedensjirga, die gerade Anfang Juni in Kabul stattfand. Dort trafen sich 1 600 Delegierte; über 20 Prozent davon waren übrigens Frauen. Es fanden dort sehr offene, teilweise emotional geführte Diskussionen statt. Teilnehmer berichteten von der Zusammenkunft, dass sich konservative Mullahs und Frauenvertreterinnen gegenübergesessen und sich zunächst geweigert hätten, sich gegenseitig ins Gesicht zu schauen. Tadschikische und paschtunische Vertreter hätten einen ganzen Tag lang gestritten, ob man Paschtu oder Dari miteinander sprechen soll. Am dritten Tag aber hat diese Friedensjirga ein Abschlussdokument veröffentlicht - ohne Gegenstimme. Einstimmig haben sich die 1 600 Delegierten für den Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft in ihrem Land ausgesprochen. Sie haben ihren Präsidenten aufgefordert, Friedensverhandlungen aufzunehmen. Sie haben außerdem klargestellt, dass Versöhnung nur mit denen möglich ist, die der Gewalt abschwören, die ihre Verbindung zum internationalen Terrorismus kappen und die die afghanische Verfassung und die damit eingegangenen Verpflichtungen zur Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards respektieren. Das alles zeigt, dass Afghanistan eine afghanische Lösung braucht. Das sage ich auch mit Blick auf die Parlamentswahlen am 18. September. Der politische Prozess muss ein afghanisch geführter Prozess sein, damit er erfolgreich sein kann. Nur die afghanische Regierung selbst kann Frieden mit denen schließen, die sie bekämpfen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Unsere Aufgabe ist es, zum einen diesen Prozess zu unterstützen, zum anderen ist es Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft, die Nachbarländer Afghanistans in diesen Prozess einzubinden. Ziel ist es, die Nachbarländer Afghanistans dazu zu bringen, den innerafghanischen Friedensprozess zu unterstützen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie es doch!) Die regionale Einbettung innerafghanischer Ergebnisse wird helfen, Erreichtes auch zu sichern. Auch dazu wird die Kabul-Konferenz einen Beitrag leisten. Diese Kabul-Konferenz wird keine weitere Geberkonferenz, auf der die internationale Staatengemeinschaft neue Zusagen macht. In Kabul wird die afghanische Regierung ihrerseits Rechenschaft darüber ablegen, wie es um die Erfüllung ihrer Verpflichtungen steht und welche konkreten Schritte sie in den nächsten Wochen und Monaten plant. Das ist zuallererst im Sinne der Afghanen selbst, die von sich aus dieser Konferenz das Leitmotiv der Wiederherstellung der vollen Souveränität ihres Landes gegeben haben. Ein zentrales Thema werden Reintegration und Versöhnung sein. Im Grundsatz haben wir in London ein Programm beschlossen, mit dem Taliban-Kämpfer in die Gesellschaft zurückgeholt werden sollen. Dieses Programm werden wir jetzt in Kabul genau beraten, und dann werden wir eine Entscheidung über die Freigabe der Mittel treffen, die Deutschland dafür in Aussicht gestellt hat. Wir erwarten aber noch weitere Antworten der Afghanen auf der Konferenz. Die afghanische Regierung wird konkrete Pläne vorstellen, wie ihre Regierungsfähigkeit verbessert und die Korruption eingedämmt werden sollen. Besonderes Augenmerk werden wir dabei auf die Regierungsführung in den Provinzen, Distrikten und Dörfern legen. Hier trifft der afghanische Staatsbürger auf seinen Staat. Hier bildet er sich eine Meinung über seine Regierung und auch deren Legitimität. Derzeit sind hier die Defizite aber noch größer als in der Hauptstadt Kabul. Da muss mehr geschehen. Das ist die Bedingung dafür, dass mehr Verantwortung auf afghanische Institutionen übergehen kann. Wir werden in Kabul gemeinsam mit der NATO und der afghanischen Regierung einen Plan verabschieden, in dem wir konkrete Bedingungen dafür festlegen, in welchen Provinzen im nächsten Jahr die Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben werden kann. Wir wollen im Jahre 2011, also im nächsten Jahr, drei, vielleicht sogar vier Provinzen die Sicherheitsverantwortung übergeben. Es soll mindestens eine dabei sein, die in unserem Verantwortungsbereich im Norden liegt. Schon im November soll dazu auf dem NATO-Gipfel in Lissabon eine Grundsatzentscheidung getroffen werden. Das heißt nicht, dass mit sofortiger Wirkung die Bundeswehrpräsenz dort ihre Bedeutung verliert und wir dort keine Soldatinnen und Soldaten mehr bräuchten. Auch unsere zivile Wiederaufbauhilfe ist langfristig angelegt. Das ist ein entscheidender Schritt in Richtung Wiederherstellung afghanischer Souveränität, und es ist natürlich eine zentrale Bedingung für den Beginn eines Truppenabzuges. Wir wollen noch in dieser Legislaturperiode die Voraussetzung dafür schaffen, dass mit der schrittweisen Rückführung unserer militärischen Präsenz in Afghanistan begonnen werden kann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dieses Ziel verfolgen wir entschlossen und beharrlich und in enger Abstimmung mit unseren Verbündeten. Gemeinsam mit seinen Verbündeten hat Deutschland in Afghanistan Verantwortung übernommen. Deutschland wird sich dieser Verantwortung einseitig eben nicht entziehen. Die Entscheidungen über das deutsche Engagement in Afghanistan gehören - Sie wissen das alle, liebe Kolleginnen und Kollegen - zu den schwierigsten Entscheidungen, die dieses Parlament zu treffen hat. Die Bundesregierung wird daher dafür sorgen, dass Sie über alle Fraktionsgrenzen hinweg nicht nur über unser Engagement in Afghanistan kontinuierlich und transparent unterrichtet, sondern auch an dessen Gestaltung beteiligt werden. So war es deshalb für mich eine parlamentarische Selbstverständlichkeit und auch ein persönliches Anliegen, Sie über die internationale Afghanistan-Konferenz am 20. Juli in Kabul vorab zu informieren. Ich glaube, dass wir dort eine entscheidende Wegmarke setzen können, weil diese Afghanistan-Konferenz zum ersten Mal in Afghanistan stattfindet. Wir wollen gemeinsam für den Erfolg unserer Mission arbeiten. Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit. (Anhaltender Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Gernot Erler von der SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, Sie haben versucht, hier eine positive Zwischenbilanz nach sechs Monaten der neuen Strategie vorzutragen, und uns Ihre hohen Erwartungen an die bevorstehende Konferenz in Kabul geschildert. Ich muss ehrlich sagen: Bei diesem Bericht habe ich mich öfter fragen müssen, über welches Land und welche Situation Sie eigentlich reden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zuruf von der LINKEN: So ist es!) Nach meiner Einschätzung werden Sie im Zuge der Debatte hier erfahren, dass die Sorgen und die konkreten Fragen, die die Mitglieder des Hauses haben, sich deutlich von den Darstellungen unterscheiden, die Sie hier abgegeben haben. Was ist denn die Lage vor Ort? Wir haben am 26. Fe-bruar 2010 im Deutschen Bundestag eine Fortsetzung des deutschen Engagements in Afghanistan beschlossen, und zwar auf der Grundlage einer neuen Strategie, die im Januar dieses Jahres in London beschlossen worden ist. Ich will noch einmal daran erinnern, welche Punkte dabei die entscheidenden waren. Es war die Konzentration auf die Ausbildung von Soldaten und Polizisten, damit sich Afghanistan so schnell wie möglich selber gegen die Aufständischen verteidigen kann. Es war die Erstellung eines Stufenplans zum Abzug, der im nächsten Jahr beginnen soll, das aufgreifend, was Präsident Karzai selber gesagt hat, nämlich dass dieses Land möglichst bis 2014 vollkommen in afghanische Verantwortung übergehen soll. Es war eine Verdopplung der zivilen Anstrengungen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu stärken. Es war eine Verbesserung der Regierungsführung in Kabul, damit die Zustimmung der Bevölkerung gegenüber der eigenen Gesellschaft wächst. Die Kabuler Konferenz, die jetzt bevorsteht, sollte dazu eigentlich schon im April dieses Jahres konkrete Festlegungen, auch auf Zwischenschritte, erreichen. Es war schließlich die verstärkte Unterstützung des Versöhnungs- und Integrationsprozesses, für den auch erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Ursprünglich sollte schon im Mai dieses Jahres die Friedensjirga weitere Beiträge leisten. Diese neue Strategie wurde bereits in großer Sorge verabschiedet: in Sorge über die wachsende Zahl sogenannter sicherheitsrelevanter Vorfälle, über die zeitliche Unabsehbarkeit des Afghanistan-Einsatzes, über das anhaltende Misstrauen der afghanischen Bevölkerung gegenüber der eigenen Regierung oder, anders ausgedrückt, über den mangelnden Erfolg der Bemühungen von 44 Staaten, die in Afghanistan an dieser Mission teilnehmen. Herr Minister, heute, ein halbes Jahr später, müssen wir feststellen, dass diese neue Strategie noch keine nachhaltige Verbesserung der Lage gebracht hat. (Beifall bei der SPD) Unsere Sorgen sind eher gewachsen, und unsere Geduld wird wirklich auf eine harte Probe gestellt. Lassen Sie mich dafür nur drei Anlässe aufzeigen. Erster Anlass: Obwohl jetzt 150 000 Soldaten der internationalen Gemeinschaft im Einsatz sind, hat sich die Zahl der Anschläge weiter erhöht. Der Juni 2010 war mit 102 gefallenen Soldaten der internationalen Streitkräfte der bisher blutigste und verlustreichste Monat in der gesamten Geschichte des Afghanistan-Einsatzes. Wichtige Verbündete - darauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen, Herr Außenminister - wie Kanada, die Niederlande und Polen werden ihre Truppen komplett abziehen. Großbritannien hat angekündigt, die eigenen Soldaten aus einem besonders umkämpften Gebiet zurückzuziehen. Zweiter Anlass: Die Aufstandsbekämpfung nach neuem Muster begann mit der Operation "Muschtarak" im Februar und führte zur Eroberung eines Ortes namens Mardscha. Danach sollte eine groß angelegte Offensive zur Rückeroberung Kandahars stattfinden. Sie ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Dritter Anlass: Für das so wichtige Ziel, die Arbeit der Kabuler Regierung qualitativ zu verbessern und so das Vertrauen zwischen Bevölkerung und Regierung zu stärken, sollten auf der Kabuler Konferenz konkrete Ziele und Zwischenschritte vereinbart werden. Erst sollte diese Konferenz im April 2010 durchgeführt werden. Die Regierungsbildung hat sich aber verzögert; noch heute sind fünf Ministerien nicht besetzt. Jetzt soll sie am 20. Juli dieses Jahres stattfinden. Genau in diese Vorbereitungsphase fallen Berichte in den Medien, nach denen kofferweise Geld aus Afghanistan nach Dubai geschafft wird, offenbar auch Geld aus Hilfs- und Wiederaufbauprojekten. - Das ist der augenblickliche Stand der Vorbereitungen für die Kabuler Konferenz. Wir sind praktisch in der Mitte des laufenden Mandates. Hier wäre eigentlich die Gelegenheit gewesen, eine kritische Zwischenbilanz zu ziehen. Da taucht eine ganze Reihe von Fragen auf, Herr Minister, zum Beispiel was die Kabuler Konferenz und deren Vorbereitung angeht. Die Vorbereitung ist das Entscheidende, wenn man weiß, dass auf dieser Konferenz eine ganze Reihe von Keynote Speakers auftreten wird und 76 Delegationen gern zu Wort kommen wollen - und das alles an einem Tag. Man muss feststellen, dass die internationale Gemeinschaft verbindliche Benchmarks, also konkrete Zwischenziele, für diese Konferenz will, dass die Afghanen aber ganz offensichtlich vor allem sogenannte Bankable Programs vorbereitet haben, also finanzierungsreife Projekte, die sie den internationalen Partnern vorstellen wollen und für die sie gern Finanzierungszusagen haben wollen. Herr Minister, wie wollen Sie diesen Widerspruch, diesen Gegensatz in den Erwartungen eigentlich beantworten? Wie haben Sie sich auf diese Situation vorbereitet? Schließlich: Wie sieht es mit der Übergabe in Verantwortung aus? Sie haben vorhin gesagt: eine von neun Provinzen. Die Frage ist: Wie viele von den 124 Dis-trikten im Norden sollen übergeben werden? Wenn jetzt auf dieser Konferenz nicht klar wird, wie die Vorbereitungen dafür aussehen, wann sonst soll das dann eigentlich passieren? Schließlich ist die Frage: Wie stehen Sie zu der Forderung der afghanischen Zivilgesellschaft, dass die Ergebnisse der Friedensjirga vom 2. bis 4. Juni Tagesordnungspunkt in Kabul werden sollen? Auch dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt. Wie soll das bei dem vorbereiteten Ablauf dieser Konferenz eigentlich passieren? All diese Fragen im Kontext der fälligen Zwischenbilanz zeigen, wie wichtig es ist, sich ständig und kritisch mit der tatsächlichen Umsetzung der neuen Strategie zu beschäftigen. SPD und Grüne haben hierzu am 9. Juni einen detaillierten Antrag eingebracht. Wir halten es für notwendig, in den Evaluierungsprozess von vornherein die reichlich vorhandene wissenschaftliche Expertise zu Afghanistan und auch die Erfahrungen von Nichtregierungsorganisationen, die uns außerordentlich wichtig sind, einzubeziehen. Ziel ist dabei, belastbare Grundlagen für die Bewertung der neuen Strategie zu erreichen. Das brauchen wir für die nächste Entscheidung, die gegen Ende des Jahres vorbereitet werden muss. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber wir brauchen die Evaluierung auch, weil wir die Chance haben müssen, nachzusteuern und zu korrigieren. Wir können es uns nicht mehr erlauben, nach einem Jahr erneut zu hören, warum vieles von dem, was beschlossen worden ist, wieder nicht geklappt hat. Es muss möglich sein, dass wir hier vom Parlament aus auf der Basis einer solchen Evaluierung vorher dazwischengehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei unseren Gesprächen in den vergangenen Tagen haben wir gehofft, Herr Kollege Schockenhoff, dass wir zu einer Verständigung kommen. Ich bin sehr traurig darüber, dass das bisher nicht gelungen ist. Es ist nicht gelungen, weil Sie nicht wollen, dass die Expertise bei dem Prozess ständig beteiligt wird. Wenn wir und wenn Sie daran interessiert sind, dass das, was es an parteiübergreifendem Konsens in Sachen Afghanistan gibt, auch in Zukunft noch eine Chance hat, sollten wir in den nächsten Tagen noch einen Versuch unternehmen - das schlage ich vor, und ich meine das sehr ernst -, hier zu einer Verständigung zu kommen. Für uns wird das nicht gehen ohne die ständige Beteiligung von Expertise, von unabhängiger wissenschaftlicher Kenntnis, an der Evaluierung. (Beifall bei der SPD) Vielleicht ist es möglich, auf der Ebene der Fraktionsvorsitzenden einen weiteren Versuch zu unternehmen; wir jedenfalls sind dazu bereit. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Anfang des Jahres in London eingeleiteten Strategiewechsel für das Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan haben wir die Grundlagen für eine Abzugsperspektive für unsere Soldatinnen und Soldaten geschaffen. Die bevorstehende Konferenz in Kabul ist der nächste wichtige Schritt auf dem Wege der Übergabe in Verantwortung in Afghanistan. Die internationale Gemeinschaft hatte sich in London verpflichtet, die zivile Hilfe zu verstärken und den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte zu beschleunigen. Deutschland verdoppelt fast seine Entwicklungshilfe in Afghanistan und intensiviert die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte in unserem Verantwortungsbereich im Norden des Landes, um schon im nächsten Jahr unsere militärische Präsenz zurückführen zu können. Die CDU/CSU unterstützt diese Neuausrichtung unseres Gesamtansatzes für Afghanistan, weil damit die Voraussetzungen für eine Übergabe der Verantwortung in afghanische Hände geschaffen werden. Eine nachhaltige Stabilisierung Afghanistans kann nur gelingen, wenn es auch eine politische Lösung für das Land gibt. Deshalb ist die afghanische Eigenverantwortung so wichtig. Unser verstärktes Engagement kann nur erfolgreich sein, wenn wir in der afghanischen Regierung einen Partner bei der Umsetzung der Londoner Strategie haben. Die Kabuler Konferenz ist für die afghanische Regierung eine gute Gelegenheit, dies unter Beweis zu stellen. Worum geht es im Einzelnen? In Kabul soll das in London entworfene Übergabekonzept der internationalen Gemeinschaft gemeinsam mit der afghanischen Regierung finalisiert und mit konkreten Zielen und Fristen versehen werden. Konsequenter und nachhaltiger als bisher muss eine verantwortungsvolle Regierungsführung umgesetzt werden. Nur so kann das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in ihre Regierung gestärkt werden. Es ist erfreulich, dass von der afghanischen Regierung hier ein ambitioniertes Programm aufgesetzt wurde. Jetzt kommt es auf die Taten an. Eine gleichzeitige Umsetzung aller Maßnahmen nach der Konferenz ist dabei gar nicht möglich. Vielmehr ist eine Priorisierung und Sequenzierung wichtig. Entscheidend aber ist: Die Fortschritte müssen für die Menschen in Afghanistan sichtbar sein. Mit Bezug auf aktuelle, beunruhigende Presseberichte über die Veruntreuung internationaler Hilfsgelder gilt: Insbesondere müssen bei der Korruptionsbekämpfung spürbare Verbesserungen erzielt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Zusammenhang ist es richtig, dass die Bundesregierung keine unkonditionierte Budgethilfe an die afghanische Regierung zahlt, deren Verwendung kaum kontrollierbar wäre. Es ist besser, konkrete Projekte mit Kabul zu vereinbaren und deren Finanzierung dann sicherzustellen. Es ist klar: Voraussetzung für Umsetzbarkeit und Nachhaltigkeit der in Kabul zu konkretisierenden Entwicklungspläne der afghanischen Regierung für den Wiederaufbau sind eine bessere Regierungsführung und Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung. Für die CDU/ CSU steht fest: Die Verdoppelung unserer Entwicklungshilfe ist zwingend an messbare Erfolge in diesem Bereich gekoppelt. Die Kabuler Konferenz wird die Kernpunkte des afghanischen Reintegrationsprogramms und die Ergebnisse der Friedensjirga vom Juni dieses Jahres, also Vorschläge von Vertretern aus ganz Afghanistan, aufgreifen. Beim deutschen Anteil am Fonds für das Reintegrationsprogramm der afghanischen Regierung ist auf einen transparenten, wirksamen und nachhaltigen Einsatz dieser Mittel zu achten. Es muss sichergestellt sein, dass keine finanziellen Vorableistungen erbracht werden, sondern nur bezahlte Arbeit und bezahlte Ausbildung mit den Geldern ermöglicht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Schließlich soll zwischen der afghanischen Regierung, der ISAF und der internationalen Gemeinschaft ein verbindliches Konzept zur Vorbereitung der Übergabe der Verantwortung an die Afghanen abgestimmt werden. Dabei ist es wichtig, dass Provinzen nicht nur im Bereich Sicherheit, sondern auch in Bezug auf Regierungsführung und zivile Entwicklung übergabereif sind. Es wird deutlich: Die Konferenz von Kabul unterstreicht die Bedeutung des politischen Prozesses. Von dem Treffen wird ein Signal für eine konkrete Verantwortungsübernahme durch die afghanische Regierung ausgehen. Noch wichtiger aber ist, dass die Beschlüsse in den kommenden Monaten auch entsprechend umgesetzt werden. Um hier schnelle und sichtbare Ergebnisse zu erzielen, wären 100-Tage-Programme ein gutes und in Afghanistan sichtbares Instrument. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Engagement in Afghanistan ist mit dem Ziel einer schrittweisen Übergabe in Verantwortung in eine neue entscheidende Phase gekommen. Für die CDU/CSU ist eine schrittweise Reduzierung der militärischen Präsenz ab 2011 zwingend an Fortschritte beim zivilen Aufbau und den Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte gekoppelt und nicht an willkürliche Abzugsdaten. Es geht um Wegmarken, bei deren Erreichen ein Reduzierungsschritt erfolgen kann. Für uns ist es deshalb wichtig, dass wir für die Begleitung und Bewertung der Umsetzung der neuen Strategie der Bundesregierung ressortübergreifende Benchmarks entlang der von der Kabuler Konferenz definierten Zielvorgaben vorgelegt bekommen. Zudem wollen wir, dass die Bundesregierung im Sommer 2011 - 18 Monate nach den Beschlüssen von London - eine Evaluation des laufenden Mandats vorlegt. Dafür könnte es sinnvoll sein, externe Expertise hinzuzuziehen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Schockenhoff, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele? (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Ströbele, bitte. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, ebenso wie der Außenminister sprechen Sie über dieses Thema, als ginge es um möglichst effektive Hilfe für ein Entwicklungsland. Aber die deutsche Bevölkerung ist doch nicht wegen der Entwicklungsprojekte, die dort durchgeführt und einmal besser, einmal schlechter gemanagt werden, gegen die Afghanistan-Politik der Bundesregierung und dieses Parlaments. Vielmehr ist die deutsche Bevölkerung gegen diese Politik, weil Krieg geführt wird. Weder Sie noch der Außenminister reden von Krieg. Sagen Sie doch einmal: Welche Art von Krieg halten Sie für richtig? Welche Einsätze der Bundeswehr halten Sie für richtig? Welche Einsätze der Bundeswehr halten Sie für problematisch? Halten Sie es zum Beispiel für problematisch, dass - wie die Bundesregierung jetzt zugegeben hat - auch Deutschland für die Liste von Zielpersonen, die bei der Festnahme umgebracht werden, ist? Halten Sie es für problematisch, dass Deutschland eine solche Art von Kriegsführung mitmacht? Halten Sie es für richtig, dass Deutschland mit den USA und anderen NATO-Verbündeten Großoffensiven startet, bei denen Hunderte von Menschen umkommen, nicht nur Alliierte, sondern auch Afghanen, und zwar meist fünf- oder zehnmal so viele Afghanen wie Alliierte? Reden Sie endlich zum eigentlichen Thema! Das erwartet die deutsche Bevölkerung von Ihnen. Sie erwartet nicht, dass Sie darüber reden, wie man Entwicklungshilfe besser machen kann. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der LINKEN und der SPD) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, ich rede zu der Regierungserklärung unseres Außenministers, die der Ältestenrat für heute auf die Tagesordnung des Hohen Hauses gesetzt hat. Darin geht es um eine Abzugsperspektive und um eine Konkretisierung der Beschlüsse von London. Die Aufbauschritte müssen festgelegt und messbare Daten entwickelt werden. Herr Kollege, ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie bei jeder Gelegenheit, egal was auf der Tagesordnung steht, immer wieder die gleichen Sprüche ablassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen Erfolge in Afghanistan haben, für die Sicherheit unserer Bevölkerung und für eine konkrete Abzugsperspektive. Ihre Sprüche werden dadurch, dass Sie sie immer wiederholen, nicht besser, und sie dienen auch nicht der Bevölkerung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jan van Aken [DIE LINKE]: Das sind keine Sprüche, sondern Argumente, Herr Schockenhoff! - Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beantworten Sie doch mal meine Frage!) - Sie können sich setzen. Ich habe Ihre Frage beantwortet. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr arrogant!) CDU/CSU und FDP haben den Oppositionsfraktionen ein gemeinsames Vorgehen hinsichtlich der parlamentarischen Begleitung des Afghanistan-Einsatzes angeboten. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wann denn?) Herr Erler, dabei ist meines Erachtens deutlich geworden, dass wir inhaltlich gleiche Vorstellungen haben. Wir wollen gemeinsam die Umsetzung der neuen Strategie auf Grundlage der von uns eingeforderten intensivierten Berichterstattung und Unterrichtung durch die Bundesregierung einer kontinuierlichen parlamentarischen Bewertung unterwerfen. Uns unterscheidet aber, Herr Kollege Erler und Herr Kollege Schmidt, dass wir diese Aufgabe nicht an externe, etwa wissenschaftliche Experten abgeben wollen. (Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Das wollen wir doch gar nicht! Sie sollen nur beteiligt werden! - Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das falsch interpretiert!) Damit würden wir Abgeordnete - wir haben den Einsatz in Afghanistan mandatiert - der Verpflichtung gegenüber unserer Bevölkerung und den Soldatinnen und Soldaten nicht entsprechen. Wir müssen feststellen, dass SPD und Grüne diese Auffassung nicht teilen und zu einem gemeinsamen Vorgehen nicht bereit sind. (Widerspruch bei der SPD - Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Quatsch!) Ich wiederhole: Selbstverständlich wollen wir Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftler und alle möglichen Experten anhören, (Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Und beteiligen!) um uns eine Meinung bilden zu können. Entscheidend für die CDU/CSU ist aber, dass wir Parlamentarier und niemand sonst die politische Verantwortung für den Einsatz in Afghanistan haben (Burkhard Lischka [SPD]: Das stellt doch keiner infrage!) und dieser Verantwortung weiterhin gerecht werden müssen. Auch hier müssen wir feststellen, dass SPD und Grüne diese Auffassung nicht teilen und zu einem gemeinsamen Vorgehen nicht bereit sind. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!) Diese Verantwortung wurde uns von den Wählerinnen und Wählern übertragen, und wir können sie nicht abgeben. Deswegen werden wir als Parlamentarier diesen Einsatz begleiten. Wir werden unserer Verantwortung gerecht werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Jan van Aken von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, ich bin richtig erschrocken darüber, was Sie in nur neun Monaten aus dem Außenministerium gemacht haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vorgestern haben Sie auch für Ihr Ministerium Kürzungen beschlossen. Natürlich haben Sie nicht querbeet gleichmäßig gestrichen, sondern Sie haben ganz gezielt die Axt angelegt. Das ist grundsätzlich in Ordnung; aber wenn ich mir anschaue, wo Sie die Axt angelegt haben, dann kommt mir das kalte Grausen. Sie haben genau da gekürzt, wo es um Frieden und Völkerverständigung geht, und das ganz kräftig. Ausgerechnet bei der Abrüstung wollen Sie 19 Millionen Euro einsparen. Sie haben hier vor einem halben Jahr gesagt - ich zitiere -: Nach dem Jahrzehnt der Aufrüstung brauchen wir jetzt ein Jahrzehnt der Abrüstung ... (Elke Hoff [FDP]: Wir reden zu Afghanistan, nicht zur Abrüstung!) Das sind Ihre Worte. Das Jahrzehnt der Abrüstung leiten Sie damit ein, die Abrüstung kräftig, um 19 Millionen Euro, zu kürzen. Das müssen Sie mir einmal erklären. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es kommt aber noch dicker: 67 Millionen Euro sparen Sie bei der humanitären Hilfe und bei der Vorbeugung von Konflikten. Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass Sie bei der zivilen Konfliktbearbeitung sparen wollen, um die Konflikte hinterher militärisch zu lösen. Genau das machen Sie in Afghanistan. Dort setzen Sie völlig einseitig auf Waffen und Soldaten. (Beifall bei der LINKEN) Aber ich sehe nichts, was Sie für eine Friedenslösung tun. Sie haben hier von einer "Übergabe in Verantwortung" gesprochen. Ich frage mich die ganze Zeit: Was wollen Sie eigentlich übergeben? Einen Krieg oder einen Frieden? Der einzige Schlüssel zum Frieden sind doch Verhandlungen und nichts als Verhandlungen. Jeder Krieg in der Geschichte ist entweder durch eine bedingungslose Kapitulation oder durch Verhandlungen beendet worden. Selbst die größten Träumer in Ihren Referaten können doch nicht ernsthaft glauben, dass die Aufständischen in Afghanistan jetzt die Waffen niederlegen und kapitulieren. Das Gegenteil ist doch der Fall. Die Sicherheitslage ist so desolat wie nie zuvor. Die Anzahl der Toten war im letzten Monat so hoch wie nie seit Beginn des Einsatzes. Das Einzige, was uns bleibt, sind Friedensverhandlungen. (Beifall bei der LINKEN) Dafür muss man aber auch etwas tun. Sie haben hier gerade die Friedensjirga erwähnt. Das Hochnotpeinliche an Ihrem Beitrag ist, dass Sie das entscheidende Ergebnis der Friedensjirga hier verschwiegen haben. Denn die Friedensjirga hat ganz klare Forderungen an Sie, Herr Westerwelle, und an alle internationalen Truppensteller formuliert, und zwar mit dem Ziel, die Friedensverhandlungen zu ermöglichen. Ich zähle die Forderungen einmal auf: Erstens fordert die Friedensjirga von Ihnen, alle Gefangenen freizulassen, die ohne Anklage festgehalten werden. Zweitens fordert sie, endlich die Namen von Aufständischen von der internationalen schwarzen Liste zu streichen. Drittens fordert sie eine Sicherheitsgarantie für all diejenigen, die an den Friedensverhandlungen teilnehmen wollen. Das macht auch Sinn. Sie können doch nicht erwarten, dass irgendein Warlord oder Taliban-Führer an Verhandlungen teilnimmt, wenn er befürchten muss, gleich erschossen zu werden! Das sind keine Forderungen der Linken, sondern sie kommen direkt aus Afghanistan. Da wird es brenzlig. Sind Sie jetzt als Unterstützer der afghanischen Regierung in Afghanistan oder nicht? Führen Sie eigentlich einen Krieg mit den Afghanen oder gegen die Afghanen? Es ist völlig egal, was man von der Regierung Karzai hält. Sie wissen, dass ich von der Korruption gar nichts halte und die Beteiligung von Kriegsverbrechern an der Karzai-Regierung unerträglich finde. Aber dieser Bundestag hat ein Mandat beschlossen, das zentral darauf beruht, die afghanische Regierung zu unterstützen. Deshalb frage ich Sie jetzt, Herr Westerwelle - das sind keine rhetorischen Fragen; ich will wirklich eine Antwort von Ihnen haben; ich höre auch früher auf, dann können Sie etwas von meiner Zeit für Ihre Antwort nehmen -: (Beifall bei der LINKEN) Sind Sie bereit, die Forderungen der afghanischen Regierung und der Friedensjirga zu erfüllen, ja oder nein? Setzen Sie sich konkret dafür ein, dass die Namen von Aufständischen von der UN-Liste gestrichen werden? Was tun Sie dafür, dass es freies Geleit für Friedensverhandlungen gibt? Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. (Beifall bei der LINKEN) Zumindest bei den Rüstungsexporten ist Deutschland schon die Nummer drei in der Welt. Selbst bei der Fußballweltmeisterschaft bin ich darüber gestolpert. Ich habe mir mal angeschaut, wer von den WM-Teilnehmern Waffen in Deutschland gekauft hat. An jedem einzelnen Spieltag - bis ins Finale - finden sich Länder, in die Deutschland Waffen exportiert hat. Am jetzigen Sonntag spielen die Niederlande und Spanien: Sie haben für 3,9 Milliarden Euro Waffen in Deutschland gekauft. Ich finde das falsch. Ich finde, wir sollten keine Waffen mehr exportieren. (Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der FDP - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr van Aken, was war denn mit Argentinien?) Herr Westerwelle, ich habe noch anderthalb Minuten Redezeit. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie die Fragen ganz konkret beantworten könnten. (Beifall bei der LINKEN) Beantworten Sie ganz präzise die Frage: Sind Sie bereit, auf die Forderungen der Friedensjirga einzugehen, was die Friedensverhandlungen angeht? Was ist mit der Streichung der Namen von der schwarzen Liste? (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wir sind hier nicht in einer Talkshow!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wenn Sie Ihre Rede beendet haben, nehmen Sie bitte wieder Platz. Jan van Aken (DIE LINKE): Herr Solms, mit Verlaub, aber ich finde, das ist falsch. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir machen hier kein Theater. Jan van Aken (DIE LINKE): Der Sinn einer Debatte ist doch, dass man miteinander redet, offen Argumente austauscht und irgendwann auch einmal Fragen stellt und Antworten gibt. Wenn hier alle nur vorbereitete Reden vorlesen, kann ich die auch zu Hause lesen. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Ja, bitte!) Deswegen meine ich, dass man auch einmal auf eine Frage antworten sollte. Aber wenn Sie nicht wollen, dann müssen wir es lassen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Regularien der Debatte sind in der Geschäftsordnung festgelegt. Sie werden nicht von Ihnen bestimmt. Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Elke Hoff von der FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Elke Hoff (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es in hohem Maße bedauerlich, verehrter Herr Kollege van Aken, dass Sie in diesem Hohen Hause ein so wesentliches Thema wie den Einsatz in Afghanistan bzw. die Stabilisierungsbemühungen in Afghanistan für Ihren politischen Klamauk benutzen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der LINKEN) Ich glaube, dass die Vorträge oder Wünsche der Friedensjirga in Kabul von der internationalen Gemeinschaft sehr ernst genommen werden. Ich war vor 14 Tagen in Kabul. Zeitgleich war dort auch eine Delegation der Vereinten Nationen, die genau über diese Themen gesprochen hat, die Sie heute so in den Raum stellen, als würde sich die internationale Gemeinschaft vor diesen wichtigen Fragen drücken. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Der deutsche Außenminister drückt sich!) Das heißt, die internationale Gemeinschaft nimmt das, was die afghanischen Vertreter der Politik sagen, durchaus ernst. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben Sie eine Meinung dazu? - Selbstverständlich habe ich eine Meinung dazu. Die werde ich Ihnen im Verlauf der Rede auch darlegen. Herr Minister, Sie haben eine sehr wesentliche Aussage in Ihrer Rede getroffen, nämlich dass Deutschland seine Zusagen einhält. Das ist ein Maßstab für alle Diskussionen und Entscheidungen auch in der Vergangenheit, weil wir - das bezieht sich nicht nur auf die christlich-liberale Koalition, sondern auch auf die Vorgängerregierungen - uns dazu verpflichtet haben, in Afghanistan gemeinsam einen Prozess zu initiieren und auf den Weg zu bringen, der zur Stabilisierung eines durch 30 Jahre Bürgerkrieg zerrütteten und fragmentierten Landes beiträgt. Lieber Kollege Erler, Sie haben mit Recht auf die Implementierung der neuen Strategie vor sechs Monaten hingewiesen. Gleichzeitig monieren Sie, dass es nach diesen sechs Monaten noch keine nachhaltigen Erfolge gibt. (Burkhard Lischka [SPD]: Deshalb sagen Sie gar nichts, oder was? Warum machen Sie denn dann eine Regierungserklärung?) Nach meinem zeitlichen Verständnis ist es beim besten Willen nicht möglich, zwischen dem Zeitraum von sechs Monaten und Nachhaltigkeit eine Verbindung herzustellen. Wir haben versucht, durch die Maßstäbe der neuen Strategie die internationale Gemeinschaft und die Afghanen in die Lage zu versetzen, auf einer Grundlage, die am Ende der Reise in einen politischen Prozess mündet, endlich neue Weichen zu stellen. Ich glaube, niemand von der Bundesregierung und auch von der internationalen Gemeinschaft hat bisher einen Zweifel daran gelassen, dass eine militärische Lösung dieses Konflikts allein nicht möglich ist. Darüber besteht, wie ich glaube, ein breiter Konsens auch hier im Hause. Deswegen waren die Punkte, die der Minister vorgetragen hat, nämlich Übergabe in die Verantwortung Afghanistans, eine verstärkte Dezentralisierung und Einmündung in einen - ich möchte hier gerne noch etwas draufsetzen - dauerhaften institutionalisierten politischen Prozess in Afghanistan, der richtige Weg. Aber wir müssen der internationalen Gemeinschaft jetzt erst einmal die Zeit geben, diese Strategie umzusetzen. Natürlich gibt es Erfolge. Ich glaube, dass ein wesentlicher Aspekt zur Übergabe in Sicherheitsverantwortung die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte ist. Die Bundesrepublik Deutschland wird noch in diesem Jahr damit beginnen, auch hier einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Sie können davon ausgehen, dass das die einzige Möglichkeit ist, die afghanischen Sicherheitskräfte auf den richtigen Weg zu bringen. Ich hatte vor wenigen Tagen die Möglichkeit, mir anzuschauen, was bereits im Süden und im Osten des Landes getan wird. Es gibt auch dort Erfolge. Es gibt Regionen, in denen die afghanischen Sicherheitskräfte die Verantwortung für die Stabilisierung übernommen haben. Sie können und tun das. Deswegen ist die Ankündigung des Bundesaußenministers, dass wir es in diesem Jahr schaffen werden, Regionen in Afghanistan in die Verantwortung zu übergeben, keine Illusion; vielmehr wird das Realität werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Viele Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort waren, wissen, dass die afghanische Bevölkerung darauf hofft, dass endlich Frieden einkehrt. Auch wir in der internationalen Gemeinschaft hoffen, dass in der Region endlich Frieden einkehrt. Deshalb ist es wichtig, die Bundesregierung und Außenminister Westerwelle dabei zu unterstützen, genau diesen politischen Prozess jetzt mit Nachdruck auf den Weg zu bringen. Ich hoffe nicht, lieber Kollege Erler - Sie haben die Konfliktlage in der Vergangenheit immer sehr konstruktiv und auch sehr sachlich analysiert -, dass das, was Sie heute vorgetragen haben, sozusagen die erste Absetzbewegung von unserem gemeinsamen Engagement in Afghanistan ist. Sie haben selbstverständlich recht, dass wir immer wieder evaluieren müssen. Deswegen finde ich es richtig und gut, dass die Bundesregierung heute, vor der Afghanistan-Konferenz, vor dem Parlament und der Öffentlichkeit noch einmal eine Einschätzung über die Lage abgibt, (Zuruf von der SPD: Die war aber sehr abstrakt!) damit wir wissen, auf welcher Grundlage die zukünftigen politischen Aktivitäten erfolgen. Ich wünsche mir sehr, lieber Herr Erler - das sage ich gerade in Richtung der Sozialdemokraten -, dass wir den gemeinsamen Konsens, dass wir die Lage in Afghanistan nicht sich selbst überlassen können - (Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Unser Angebot steht!) wir haben uns gegenüber der afghanischen Bevölkerung committed und wissen, dass es ein sehr schwieriger Prozess ist -, nicht aus innenpolitischen Erwägungen heraus aufs Spiel setzen, sondern gemeinsam in diese Richtung gehen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen: Wir sind auf einem Weg, der vernünftig ist. Wir sind auf einem Weg, der machbar ist. Wir sind auf einem Weg, der Geduld braucht, der Zeit braucht, der Engagement braucht. (Zuruf von der LINKEN: Der Leben kostet!) Ich darf mit dem gleichen Satz noch einmal schließen: Deutschland hat sich verpflichtet, und Deutschland hält seine Zusagen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn Ihre Meinung zu den Forderungen der Jirga?) - Lieber Kollege Ströbele, ich glaube, ich habe das eben gesagt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sind Sie dafür?) Ich habe gesagt, dass diese Ansinnen der Friedensjirga ernst genommen werden, dass dies ein Prozess innerhalb der internationalen Gemeinschaft ist, dass wir versuchen müssen, herauszufinden, was sich in Konsequenz auf das Eingehen auf diese Forderungen für uns alle ergibt. Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass dies ein Weg sein könnte, um die politische Lösung auf den Weg zu bringen, werden wir uns in der internationalen Gemeinschaft abgestimmt auf die Forderungen der Friedensjirga einlassen oder weiter darüber verhandeln. (Burkhard Lischka [SPD]: Das war jetzt ein Bandwurmsatz ohne Substanz!) Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Frithjof Schmidt von Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, wir teilen mit Ihnen das Anliegen der internationalen Gemeinschaft, eine politische Lösung für Afghanistan zu erreichen. Wir sind jetzt seit neun Jahren in Afghanistan im internationalen Einsatz. Die Dilemmata des Engagements sind größer als je zuvor. Deswegen sage ich: Umso wichtiger sind offene Worte dazu. Wir reden hier über eine politische Lösung, deren Kern eine Machtteilung mit den wichtigsten bisherigen Gegnern sein wird. Eine solche Lösung wird von Präsident Karzai angestrebt; er hat dafür die Rückendeckung der von ihm organisierten Friedensjirga erhalten. Dabei geht es um Verhandlungen mit nichtdemokratischen Kräften. Wir wissen: Da werden auch Kompromisse vorbereitet, die in demokratischer und menschenrechtlicher Hinsicht hochproblematisch sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir reden dabei über rote Linien. Zugleich wissen wir, dass Herr Karzai unter diesen roten Linien offensichtlich etwas anderes versteht und verstehen wird als vermutlich alle hier im Saal. Vieles davon - ich sage das etwas gequält - wird bei einer politischen Lösung wahrscheinlich unvermeidbar sein. Aber Wahrhaftigkeit und Klarheit beim Ansprechen dieser Dilemmata sind unverzichtbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich sage Ihnen: Die Menschen in Deutschland und in Afghanistan werden diese Politik nicht akzeptieren, wenn wir ihnen nicht reinen Wein einschenken und nicht offen über die hässlichen Seiten reden, die diese Kompromisse notwendigerweise haben werden. Herr Außenminister, bei allem Verständnis für die Zwänge Ihres Amtes: An dieser Stelle haben Sie mich heute enttäuscht; da hätte ich mir klarere Worte gewünscht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ein weiteres Dilemma betrifft die internationalen Rahmenbedingungen. Auch dazu muss man klare Worte sagen. Wir alle wissen: Der internationale Militäreinsatz in Afghanistan wird in den nächsten Jahren enden. Einige unserer wichtigsten Partner haben bereits entschieden: Die USA wollen 2011 mit einem Abzug beginnen; der neue britische Premierminister hat angekündigt, dass 2015 der letzte britische Soldat abgezogen sein soll; unser westlicher Nachbar, die Niederländer, verlassen bereits dieses Jahr das Land; nächstes Jahr gehen die Kanadier; für unseren östlichen Nachbar hat der neue polnische Präsident erklärt, er wolle bis 2012 den Abzug der 2 600 polnischen Soldaten aus dem Norden komplett vollziehen. All das verändert auch die Lage der Bundeswehr und ihres Einsatzes; das muss einmal klar angesprochen und bilanziert werden. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist in den letzten Monaten nicht besser geworden. Die jüngsten Veröffentlichungen der Vereinten Nationen attestieren eine massive Zunahme militärischer Gewalt. Seit 2009 hat sich die Zahl der Straßenbomben fast verdoppelt; die Zahl der Selbstmordattentate hat sich sogar verdreifacht. Die Militäroperationen im Süden, die auch dagegen Abhilfe schaffen sollten, liegen zudem im Zeitplan weit zurück. Meine Damen und Herren von der Koalition, ein abgestimmtes Konzept der Bundesregierung, wie man mit dieser Situation und diesen Dilemmata - ich räume ausdrücklich ein, dass es sie gibt - umgehen will, ist nicht wirklich erkennbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Da hören wir auf der einen Seite Sie, Herr Außenminister. Sie sprechen heute hier, aber auch in der Zeit von einer Abzugsperspektive, die in den nächsten drei Jahren erarbeitet werden soll. Danach, 2014, soll die Übergabe eigentlich schon in vollem Umfang abgeschlossen sein. Dann ist da Herr zu Guttenberg, der kein konkretes Abzugsdatum nennen will. Stattdessen spekuliert er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung darüber, dass ... einer der größeren oder der größte Bündnispartner aus welchen Gründen auch immer beschleunigt Afghanistan verlässt ... Er schließt also nicht aus, dass die USA viel schneller gehen als angekündigt. In dem Fall will er nicht derjenige sein, der - so wörtlich - "alleine und verlassen das Licht ausmacht". Dann spekuliert er über den Einsatz von Geheimdiensten und Special Forces in Afghanistan nach einem plötzlichen Abzug von ISAF. Das ist doch keine seriöse Planungsdebatte in der Regierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich kann Sie nur fragen: Ist Ihnen eigentlich klar, wie viel Unsicherheit Sie mit solch einem Regierungsgerede bei den zivilen und militärischen Einsatzkräften vor Ort stiften? Es ist nicht in Ordnung, dass Sie die Planungsdebatte - dann auch noch in der Öffentlichkeit - so zelebrieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Herren Minister, legen Sie endlich unter Ihnen abgestimmte und konkrete Schritte zu einem Abzugsplan vor, die Orientierung geben, oder schweigen Sie lieber! Auch bei unseren zivilen Anstrengungen stehen wir vor großen Problemen. Wir alle sind uns einig, dass wir den zivilen Aufbau beschleunigen müssen und die Aufgaben eigentlich mehr Mittel erfordern. Das wurde auf der Londoner Konferenz auch beschlossen. Bis zu 50 Prozent der Mittel sollen danach in Zukunft direkt an die afghanische Regierung ausgehändigt werden. Jetzt haben wir aber erfahren müssen, dass viele der bisher gezahlten Gelder nicht ausgehändigt, sondern ausgeflogen werden. Über 4 Milliarden Dollar in bar sollen in den letzten drei Jahren kistenweise von korrupten Eliten aus dem Land geschafft worden sein. Deswegen sage ich: Die 50-Prozent-Vereinbarung von London darf so nicht umgesetzt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Auch dies sollten Sie in Kabul klarmachen. Studien haben deutlich gemacht: In unsicheren Provinzen bringt die Entwicklungszusammenarbeit keine nachhaltigen Erfolge. Sie führt auch nicht zu einer positiveren Einstellung der Bevölkerung gegenüber den ausländischen Truppen. Deshalb sollte der zivile Wiederaufbau vor allem in den friedlichen Provinzen konzentriert vorangetrieben werden. Herr Außenminister, ich hätte mir eine Regierungserklärung gewünscht, die diese Dilemmata offen benennt und eine nicht ganz angenehme Wahrheit klar ausspricht: Auf der Kabuler Konferenz geht es nicht mehr in erster Linie darum, was eigentlich notwendig wäre, sondern es geht politisch um die Frage, was wir angesichts der komplizierten Lage und der kurzen verbleibenden Zeit noch erreichen können. Nur wenn man dieser Wahrheit ins Auge schaut - bei Ihnen ist nicht klar geworden, ob Sie das so sehen -, kann man einen realistischen Weg zur Übergabe in Verantwortung und auch zum Abzug in Verantwortung beschreiben. Ich wünsche Ihnen hier zukünftig mehr Mut zum offenen Wort, Herr Westerwelle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Meine Damen und Herren, wir erwarten von der Kabuler Konferenz, dass man dort auf diese teilweise unerfreulichen Realitäten eingeht. Sie muss die Leerstellen der Londoner Konferenz füllen und einen Aufbauplan mit klaren Zwischenzielen vorlegen. Ja, wir wollen ein klares Bekenntnis der internationalen Gemeinschaft zu einer politischen Lösung. Dabei müssen auch die Ergebnisse der Friedensjirga in Afghanistan einbezogen werden. Aber ich sage auch: Die internationale Gemeinschaft muss auf die Einhaltung roter Linien bei Menschen- und Frauenrechten achten (Beifall der Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] und Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) und bei diesem Thema gegebenenfalls auch den Konflikt mit der Regierung Karzai suchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Sie muss auch eigene militärische Aktivitäten, die das Erreichen einer politischen Lösung schwieriger machen, überdenken. Gezielte Tötungen von Aufständischen, die auf einer Art schwarzer Liste stehen, gehören mit Sicherheit dazu. Sie sind inakzeptabel und kontraproduktiv. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss wollte ich eigentlich sagen, dass ich über die Signale aus den Koalitionsfraktionen, bei der Evaluierung gemeinsam vorzugehen, positiv überrascht war. Wir haben auch schon Gespräche darüber geführt. Jetzt war ich allerdings etwas negativ überrascht, dass Sie, Herr Schockenhoff, es so dargestellt haben, als hätten wir überhaupt keine Einigung über Zwischenschritte erzielt. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Wieso das denn? Wir haben doch auch keine Einigung!) Wir waren uns eigentlich einig, was zu tun ist. Es gab zwei Modelle, wie man, gegebenenfalls im Rahmen eines Parlamentsgremiums, vorgehen kann. Diese zwei Modelle wollten wir prüfen. Heute haben Sie es allerdings so dargestellt, als wollten wir uns nicht mit Ihnen einigen. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie wollen das doch extern prüfen und entscheiden lassen!) Da kann ich Ihnen nur sagen: Nein. Wir würden mit Ihnen gerne noch einmal über die Modelle, die auf dem Tisch lagen und die wir noch vorgestern gemeinsam prüfen wollten, sprechen. Das, was wir in der Debatte vor zwei Wochen erlebt haben, wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Da haben Sie nämlich gesagt: Die Evaluierung ist gut und wichtig, aber wir fangen damit erst in einem Jahr an. - Erst in einem Jahr damit anzufangen, wäre viel zu spät. Das darf nicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die Lehren aus dem bisherigen Einsatz müssen gezogen werden. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ein Abzug in Verantwortung - ich glaube, das ist unser gemeinsames Anliegen - überhaupt gelingen kann. Deswegen sage ich: Lassen Sie uns noch einmal über dieses Thema sprechen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Holger Haibach von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Holger Haibach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gern an das anschließen, was der Kollege Schmidt gesagt hat. Erstens. Ich glaube, durch den Beitrag des Kollegen Schockenhoff ist deutlich geworden, dass wir uns einer Evaluation des Einsatzes - diese erachten wir für notwendig - nicht verschließen. Es muss aber ganz klar sein, was Beratung und was Entscheidung ist. Die Entscheidung wird am Ende - da hilft ein Blick in das Gesetz - hier gefällt. (Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Das hat keiner bestritten!) In keiner Sekunde darf der Eindruck in der Öffentlichkeit entstehen, als würden wir die Entscheidung an irgendwelche Außenstehende - und seien sie noch so gut und erfahren - abgeben. Deswegen muss hier eine ganz klare Linie gezogen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Erfundenes Problem!) Zweitens. Ich möchte auf das Gesamtbild des deutschen Einsatzes und das, was Herr Westerwelle und der Bundesverteidigungsminister gesagt haben, zu sprechen kommen. Ich habe das, was der Bundesverteidigungsminister veröffentlicht hat, so verstanden, dass er darüber nachgedacht hat, was eventuell andere, was Verbündete machen könnten. Das ist legitim und aus meiner Sicht extrem notwendig; denn wenn ein anderer Staat, der zusammen mit uns dort militärisch handelt, seine Truppen früher abziehen sollte, als er das bisher öffentlich verlautbart hat, dann hätte das Konsequenzen für unser Handeln. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bleiben wir doch da und machen das Licht aus!) Deswegen finde ich es richtig, sich rechtzeitig darüber Gedanken zu machen. Drittens. Herr Kollege Schmidt, Sie haben darauf rekurriert, was möglicherweise im Süden passieren wird. Sie haben es vielleicht nicht gehört, aber die Kollegin Hoff hat zu Recht dazwischengerufen: Im Süden ist die Bundeswehr nicht tätig. - Wir können zwar unseren Partnern Vorschläge machen, wie sie vorgehen sollen. Aber wir werden die Strategie dort nicht bestimmen können. Deshalb sollten wir die Debatte über unseren deutschen Einsatz führen. Ich möchte klarmachen - auch weil sehr viele Zuschauer auf der Tribüne sitzen -, dass es sehr viel Schwarz-Weiß-Malerei in der öffentlichen Debatte über dieses Thema gibt. Ich möchte Ihnen - mit Zustimmung des Präsidenten - aus der Berliner Zeitung vom 3. Juli 2010 zitieren. Dort schreibt Steffen Hebestreit: "In Deutschland gibt es ein völlig verzerrtes Bild von Afghanistan." Bei einer Reise durch Afghanistan kann man diesen Satz vielfach hören - vom deutschen Botschafter in Kabul, von Polizeiausbildern aus Erkrath, Bundeswehr-Obersten aus Hadamar, Entwicklungshelfern aus Österreich, afghanischen Ministern und von vielen einfachen Soldaten. Immer wieder. "Afghanistan", beschwert sich einer, "ist in den Medien immer nur Bürgerkrieg, Zerstörung, Korruption und Verzweiflung." Auch daran müssen wir denken, wenn wir hier diskutieren. Afghanistan ist nicht heile Welt, aber auch nicht die Katastrophe, zu der es immer gemacht wird. Deswegen ist es wichtig - in dem Punkt hat der Kollege Schmidt recht -, dass die Konferenz in Kabul, wie Sie das genannt haben, die Leerstellen füllt, die in London übrig geblieben sind. Ich habe, ehrlich gesagt, diese Konferenz auch nie anders verstanden. Es geht darum, zu operationalisieren und aus den Grundlagen, die in London gelegt wurden, ein vernünftiges Gesamtkonzept zu machen und dieses mit Leben zu füllen. Dabei ist es wichtig, dass wir den afghanischen Staat in militärischer, justizieller und rechtsstaatlicher, aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht dazu befähigen, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Dazu gehört der Aufbau entsprechender Strukturen. Das wird schwierig genug. Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, um ein kleines Warnzeichen zu setzen. Die Bundesregierung und das Parlament haben - aus meiner Sicht: zu Recht - die Mittel für den Wiederaufbau in Afghanistan nahezu verdoppelt. Ich halte das für das richtige Zeichen, weil wir in dieser schwierigen Zeit diese Mittel brauchen werden. Aber es gibt drei Punkte, bei denen wir aufpassen müssen. Der erste Punkt ist das Thema Veruntreuung; darüber wurde schon gesprochen. Dem muss nachgegangen werden. Das muss mit aller Härte verfolgt werden. Der zweite Punkt ist die Korruption. Seit 2007 hat sich die Korruption in Afghanistan verdoppelt. Der Umfang der Korruption lag im Jahr 2009 bei etwa 1 Milliarde Dollar. Der dritte Punkt ist die Entwicklungszusammenarbeit, auf der sehr viele Teile des Konzepts fußen. Entwicklungszusammenarbeit ist langfristig angelegt und kann kurzfristig keine Erfolge zeitigen und erst recht nicht Dinge wiedergutmachen, die in der Vergangenheit nicht so gut gelaufen sind. Insofern warne ich davor, der Entwicklungszusammenarbeit all das aufzubürden, was in den vergangenen Jahren schiefgelaufen ist, und die Erwartungshaltung zu haben, mit mehr Geld werde man innerhalb von einem Jahr oder zwei Jahren die Dinge so radikal verändern, dass es vorangeht. Die Entwicklungszusammenarbeit wird es in Afghanistan aber auch nach Beendigung der internationalen Militärpräsenz noch lange geben. Deswegen ist es richtig, dass wir mit dem Afghanistan-Konzept auch die Schwerpunkte unserer künftigen Arbeit vorgelegt haben. Das sind: der Aufbau einer vernünftigen Struktur in ländlichen Regionen, der Aufbau von Infrastruktur, der Aufbau von Verwaltung, der Aufbau von wirtschaftlichen Strukturen und - last, but not least - der Polizeiaufbau, unsere Kernaufgabe, wo noch viel zu tun ist, wie wir alle wissen. Das alles muss gemacht werden, und dafür bedarf es auf der afghanischen Seite aber auch Strukturen, innerhalb derer das alles kompensiert und aufgenommen werden kann. Hier scheint es mir sehr wichtig zu sein, dass wir eine vernünftige Balance finden zwischen dem, was auf der gesamtstaatlichen Ebene, und dem, was auf regionaler und lokaler Ebene gemacht werden kann. Der Kollege Schmidt hat gerade gesagt, die Übereinkunft von London, nach der 50 Prozent der Gelder durch die staatlichen Strukturen in Kabul und 50 Prozent in anderer Weise verausgabt werden sollen, dürfe auf keinen Fall eingehalten werden. Ich stimme Ihnen hier durchaus zu, aber ich hätte mir gewünscht, Sie hätten das vorher gesagt. Ich frage mich die ganze Zeit, was passiert wäre, wenn sich einer von uns hier hingestellt und vor dieser Debatte so etwas verkündet hätte. Es gibt hier sicherlich eine durchaus berechtigte Reservation, aber es gibt natürlich auch ein Problem: Wenn wir das nicht so machen, dann delegitimieren wir zumindest in den Augen der afghanischen Bevölkerung deren eigene Machthaber. Da Sie schon über Dilemmata reden: Das ist ein Dilemma, über das man an dieser Stelle eben auch reden muss. Das ist nicht ganz so einfach zu lösen. Ich glaube, darüber müssen wir alle uns im Klaren sein. Letztendlich - auch darauf will ich noch hinweisen - haben wir bei aller Freude über mehr Geld gesehen, dass der Mittelabfluss - dabei geht es nicht um die Bereitstellung von Mitteln, sondern um die Strukturen, innerhalb derer sie aufgenommen werden - durchaus nicht immer dem entsprochen hat, was wir uns eigentlich gewünscht haben. Es gibt Untersuchungen darüber - das habe ich hier auch schon einmal gesagt -, dass bei afghanischen Ministerien 13 bis 70 Prozent der internationalen Gelder abfließen. Der Durchschnitt liegt bei 40 Prozent. Das bedeutet mit anderen Worten: Allein mit mehr Geld - damit komme ich wieder auf den Aufbau von Strukturen zurück - wird man das Problem am Ende nicht lösen können. Es geht letztendlich eben auch darum, dass Afghanistan nicht nur politisch, militärisch und justiziell, sondern auch wirtschaftlich in die Lage versetzt wird, die Lösung seiner Aufgaben selbst in die Hand zu nehmen. Wir alle wissen zum Beispiel, dass sich China seit langer Zeit dort betätigt und sehr stark im Kupferabbau tätig ist. Es geht aber natürlich darum - das ist ja in allen Entwicklungsländern wichtig, aber aufgrund der Verhältnisse in diesem Fall noch viel wichtiger -, dass Wertschöpfung in dem Land stattfindet, in dem auch die Rohstoffe vorhanden sind. Deswegen ist es eine unserer Aufgaben, sich speziell darum zu kümmern, es ist aber auch wichtig, dass wir der afghanischen Seite klarmachen, dass das nach vernünftigen Standards zu geschehen hat. Deshalb bin ich sehr froh, dass sich Afghanistan jetzt bemüht, die Standards der Extractive Industries Transparency Initiative - EITI - zu implementieren; denn das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wirtschaftliches Handeln unter rechtsstaatlichen Bedingungen stattfindet. Es ist wichtig, dass von dieser Konferenz nicht nur ein Signal dafür ausgeht, dass die internationale Gemeinschaft bereit ist, die Realitäten in dem Land anzuerkennen, und dass wir bereit sind, alles zu tun, was notwendig ist, um in Afghanistan voranzukommen, sondern es ist eben auch wichtig, dass die afghanische Seite zeigt, dass sie bereit ist, ihren Teil dazu beizutragen, einen vernünftigen Wiederaufbau in Afghanistan zu erreichen. Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächster Redner hat der Kollege Johannes Pflug von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Johannes Pflug (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, als ich Sie heute Morgen im Deutschlandradio und im ARD-Morgenmagazin gehört habe, hatte ich gleich die Befürchtung, dass das eintreten würde, was wir hier auch tatsächlich erlebt haben, nämlich eine Regierungserklärung nach dem Motto: Business as usual - alles wird gut in Afghanistan. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo waren Sie eigentlich, als der Außenminister gesprochen hat? Waren Sie draußen?) Ich muss Ihnen sagen, verehrte Frau Kollegin Hoff und verehrte Kollegen von den Koalitionsfraktionen: Der Tenor Ihrer Reden ging in dieselbe Richtung. Deshalb möchte ich gerne versuchen, Ihnen zu erklären, dass die Situation etwas anders ist, als es in dieser Regierungserklärung zum Ausdruck kam. Der Kollege Schmidt hat das aufgegriffen. Ende 2009 haben die Japaner ihre logistische Unterstützung für die amerikanischen Schiffe eingestellt. Ende dieses Jahres werden die Niederländer ihren Truppeneinsatz in Afghanistan beenden; daran ist die niederländische Regierung zerbrochen. Die Polen haben angekündigt, dass sie 2012 ihre Truppen aus Afghanistan zurückziehen wollen. Das einzige konkrete Ergebnis vom G-20-Gipfel ist die Ankündigung von Herrn Cameron gewesen, dass die Briten bis 2015 ihre Truppen zurückziehen werden. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was zur Kabuler Konferenz! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist doch wurscht, was er sagt!) Von den Amerikanern wissen wir, dass sie 2011 mit dem Truppenabzug beginnen wollen. Wenn ich mich richtig erinnere, ist das auch unsere Beschlusslage. Denn sicherlich glaubt auch niemand von Ihnen, dass wir noch in Afghanistan sein werden, wenn die Amerikaner das Land verlassen haben. Nun kann man darüber spekulieren: Werden sie wirklich gehen? In welcher Größenordnung werden sie gehen? Nur, wenn wir das nicht wissen, dann ist es Aufgabe der Regierung, die Amerikaner zu fragen: Was habt ihr in Afghanistan eigentlich vor? Wann wollt ihr mit dem Abzug beginnen? Welche Strategie habt ihr? Welche Rolle habt ihr für uns vorgesehen? Aber man kann nicht so tun, als könnte man unabhängig von den Amerikanern dort weiter dieselbe Politik betreiben wie in der Vergangenheit - business as usual. Ich will einige Daten nennen. Am 1. Dezember hat Barack Obama in seiner Rede in West Point angekündigt, dass er nun die Strategie in Afghanistan ändern wolle und dass er nach einer vorübergehenden Erhöhung der amerikanischen Truppenstärke im Jahr 2011 mit dem Abzug beginnen wolle. Dann haben wir alle auf die Konferenz in London am 28. Januar gewartet. Wir waren uns darin einig, dass von dieser Konferenz ein wichtiges Signal ausgehen müsse, weil in den nächsten beiden Jahren unter Berücksichtigung des angekündigten Truppenabzugs der Amerikaner in Afghanistan Entscheidendes passieren müsse. Dann hat die Konferenz in London stattgefunden, und es sollte eine Follow-up-Konferenz geben, nämlich die Kabuler Konferenz, über die wir gerade reden. Die Kabuler Konferenz ist von Herrn Präsidenten Karzai zweimal verschoben worden. Sie sollte erst im April und dann im Mai stattfinden. Nun soll sie am 20. Juli stattfinden. Karzai überlegt noch, sie vielleicht auf den 27. Juli zu verschieben. In der Zwischenzeit hat zwar die sogenannte Friedensjirga stattgefunden, die Sie angesprochen haben; Insider sagen aber: Das ist eine Showveranstaltung für Karzai gewesen. Etwas Operationales ist aber bei dieser Konferenz nicht herausgekommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Pflug, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hoff? Johannes Pflug (SPD): Bitte sehr. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Frau Hoff. Elke Hoff (FDP): Sehr geehrter Herr Kollege, sind Sie bereit, anzuerkennen, dass der amerikanische Präsident in seiner Rede im Dezember gesagt hat, man wolle mit einem Abzug von Truppen in 2011 beginnen, wenn es denn die Situation in der Region und auf dem Boden zulässt? Johannes Pflug (SPD): Frau Kollegin Hoff, daran habe ich doch keinen Zweifel. (Ulrike Flach [FDP]: Das hast du aber gut verborgen! - Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er weggelassen!) Aber glauben Sie, dass der amerikanische Präsident 2012 in den Vereinigten Staaten den Präsidentschaftswahlkampf führen möchte, wenn seine Truppen in Afghanistan in die heftigsten Kämpfe verwickelt sind? Er hat doch genügend innenpolitische Probleme. Gehen Sie davon aus: Der meint das ernst. Er wird sicherlich versuchen, bis 2011 die Sicherheitslage in Afghanistan zu verbessern, und zwar durch entsprechende Offensiven, die auch angekündigt waren, aber verschoben worden sind. Es hat eine Offensive in Helmand stattgefunden. Die für Kandahar und Helmand Valley angekündigten Offensiven sind bisher verschoben worden. Der amerikanische Präsident wird 2011 den Eindruck vermitteln, dass sich die Sicherheitslage mittlerweile entsprechend verbessert hat, und dann wird er uns und die anderen bitten, sich entsprechend zu beteiligen. Glauben Sie bloß nicht, dass Sie darauf verweisen können: Der Deutsche Bundestag hat verschiedene Beschlüsse gefasst mit dem Inhalt: Wir sind nicht dabei. - Man wird von uns einen Beitrag erwarten. Herr Minister, deshalb müssen Sie fragen: Was haben die Amerikaner vor? Wie wird die bisherige Strategie beurteilt? Was hat Petraeus in Afghanistan vor? Welche Rolle sollen die deutschen Truppen spielen? Es geht doch nicht an, dass man einfach so tut, als könnten wir weiter vor uns hin wursteln. Frau Kollegin Hoff, Sie haben gefragt: Sind das, was von Herrn Erler kam, vorsichtige Absetzbewegungen gewesen? Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Nein! Wir stehen in der Kontinuität und werden auch weiterhin in dieser Kontinuität stehen, aber nur dann, wenn wir den Eindruck haben, dass Ihre Augen offen sind und Sie die Lage mit uns auch realistisch beurteilen. Sonst hat das keinen Sinn. Sonst müssen wir von uns aus die Konsequenzen ziehen und versuchen, von unserer Seite aus eine entsprechende Strategie zu entwickeln. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist gegen den Afghanistan-Einsatz. Und wenn Sie ehrlich in Ihre Fraktion und in die anderen Fraktionen hineinfragen, dann werden Sie feststellen, dass insbesondere bei den neueren Kolleginnen und Kollegen eine große Skepsis besteht und sie große Zweifel haben. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!) Bisher haben wir die Kontinuität durchhalten können, weil unsere Politik erklärbar war. Erklärbar ist sie dann, wenn sie politisch und moralisch zu rechtfertigen ist. Die moralische Rechtfertigung endet aber spätestens dann, wenn mit dem Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten nur noch der Status quo gehalten werden kann oder die Sicherheitslage sich sogar permanent verschlechtert. Genau das schildern unsere Geheimdienste in den Lageberichten. Es werden Kisten mit Geld außer Landes gebracht, aber wir sollen weiter finanzieren. Das kann doch alles nicht wahr sein! Deshalb, verehrter Herr Minister Westerwelle - das richtet sich an die ganze Regierung -, kann ich Ihnen nur raten: Greifen Sie den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und SPD auf - darin haben wir Vorschläge zur Evaluierung der Afghanistan-Politik gemacht -, aber bitte in dem Sinne, dass die realpolitische Situation zeitlich, quantitativ und qualitativ evaluiert wird und dass das kein Beschäftigungsprogramm für künftige Wissenschaftlergenerationen wird. Wir haben auf ein Zeichen von Ihnen gewartet. Das ist ausgeblieben, obwohl Sie es vorher signalisiert haben. Aber das ist die einzige Chance, um in den nächsten zwei Jahren vielleicht doch noch zu einem halbwegs vernünftigen Ende zu kommen. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Bijan Djir-Sarai von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kabuler Konferenz ist der nächste wichtige Schritt auf dem Weg Afghanistans zur Übergabe in Verantwortung. Es ist die erste internationale Konferenz über Afghanistan, die auch tatsächlich in Afghanistan stattfindet. Und das ist auch gut so. Es ist ein bedeutendes, positives Signal, dass die Probleme Afghanistans auch nur in Afghanistan gelöst werden können. Auf dieser Konferenz werden - das ist vorhin schon mehrmals gesagt worden - die Themen Sicherheit, gute Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung, die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes und das Thema Reintegration eine zentrale Rolle spielen. Ich möchte eines bereits an dieser Stelle ganz deutlich machen - gerade weil Kollegen in diesem Haus so fleißig Entschließungsanträge zu diesem Thema schreiben -: Es ist natürlich wichtig, was auf der Konferenz passiert. Es ist aber noch wichtiger, wie wir - und vor allem die Afghanen selbst - mit den Ergebnissen dieser Konferenz später umgehen werden. Es ist wichtig, dass nach der Konferenz eine rasche und konkrete Umsetzung der Ergebnisse stattfindet. Wir alle wussten und wissen, dass der Weg zur Übergabe in Verantwortung hart und steinig sein wird. Verletzungen der Menschenrechte, die Zerstörung der Infrastruktur, Drogenökonomie und Korruption erschweren immer wieder die angestrebten Veränderungen in Afghanistan. In diesem Zusammenhang muss mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft weiter an starken, verlässlichen Regierungsinstitutionen und funktionierenden öffentlichen Verwaltungen auf allen Ebenen gearbeitet werden. Ebenfalls muss nach wie vor über den richtigen Weg der Versöhnung in Afghanistan gesprochen werden. Das ist die wohl größte Herausforderung, vor der wir alle zusammen stehen. Meiner Meinung nach kann die Lösung dieses Problems in dieser Phase nur Reintegration heißen. Das ist auch ein Punkt, der in der aktuellen internationalen Strategie aufgeführt ist. Reintegration kann nur erfolgen, wenn alle Akteure eng zusammenarbeiten - die afghanische Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft. Afghanistan muss auf kultureller, politischer und wirtschaftlicher Ebene gestärkt werden. Nur so werden wir dort Vertrauen und Zuversicht vermitteln können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Reintegration ist eine große Chance für die Stabilisierung von innen heraus. Das ist ein wichtiges Moment der gesamten Strategie. Darüber müssen wir uns alle im Klaren sein. Wenn man über die Kabuler Konferenz diskutieren will, so muss man ebenfalls über die Londoner Konferenz und die damit verbundenen Ergebnisse diskutieren. Mit der Londoner Konferenz ist ein Strategiewechsel eingeleitet worden. Dabei wurde der zivile Aufbau noch stärker forciert, der Schutz der afghanischen Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt und die Ausbildung der Sicherheitskräfte verstärkt. Im Nachgang der Londoner Konferenz hat die Bundesregierung entschieden, die Haushaltsmittel für Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen. Die Erfolge sind in Afghanistan sichtbar. Ob es die Übergabe von Schulen ist, die Einweihung eines Ausbildungszentrums oder einer Polizeiwache, ob es Programme für Infrastrukturverbesserung oder zum Bau von Krankenhäusern sind - eines wird deutlich: Wir wollen und werden den zivilen Aufbau in Afghanistan weiter intensiv unterstützen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dafür brauchen wir weiterhin die Bundeswehr dort. Sie macht diese positive zivile Entwicklung überhaupt erst möglich. Eine stabile Sicherheitslage ist und bleibt die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg ziviler Projekte. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die ist aber nicht stabil!) - Fahren Sie einmal nach Afghanistan, schauen Sie sich das an! Nehmen Sie diese Mühe auf sich, und informieren Sie sich vor Ort! Das ist in der Tat so. - Unsere Soldatinnen und Soldaten können stolz darauf sein, dass aufgrund ihres Einsatzes die positive Entwicklung in Afghanistan erst möglich wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für ihren schweren und gefährlichen Einsatz in Afghanistan habe ich die höchste Wertschätzung und Anerkennung. Das muss an dieser Stelle an so einem Tag auch gesagt werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir dürfen uns nichts vormachen - auch das gehört zu einer solchen Debatte -: Eine Strategie, die die Präsenz in der Fläche verlangt, bei der die afghanischen Soldaten in der Praxis direkt von den internationalen Truppen lernen sollen, ist mit Risiken für die Soldatinnen und Soldaten verbunden. Die Taliban sollen durch die größere Sichtbarkeit, durch die stärkere Präsenz in der Fläche zurückgedrängt werden. Die Einheiten sind unterwegs nicht so gut geschützt wie in den Feldlagern. Sie sind also verwundbarer. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Darauf müssen wir die Öffentlichkeit im eigenen Land ebenfalls ehrlich vorbereiten. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was heißt das?) Es wäre allerdings ein Fehler, wenn wir uns jetzt festlegen und einen Termin des Abzuges bestimmen würden. Wir haben mit der internationalen Gemeinschaft einen Ansatz erarbeitet. Diesen Ansatz müssen wir durch unser Afghanistan-Mandat umsetzen. Unser Ziel muss es sein, schrittweise die Rückgabe in Verantwortung zu gestalten. Wir werden uns aber auch Gedanken machen müssen, was nach einem Abzug der internationalen Truppen kommen wird. Nachsorgelemente werden notwendig sein. Sie müssen von langer Hand und sorgfältig geplant werden, um zu einem abschließenden Teil unserer Übergabe in Verantwortung zu werden. Eines muss klar sein: Wir dürfen dieses Land nie wieder Terroristen und Verbrechern überlassen, sonst würden wir einen Flächenbrand in der gesamten Region riskieren. Das wäre eine sehr gefährliche Entwicklung. Wir können auch nicht erst nach Verantwortung rufen, dann aber die Afghaninnen und Afghanen allein ihrem Schicksal überlassen. Das wäre ebenfalls ein sehr schlimmer Fehler. (Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gefragt: Warum führen wir eigentlich jetzt, so kurz vor der Sommerpause, diese Debatte hier? (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Weil die Konferenz ist!) Denn wirklich Neues ist nicht gesagt worden. (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Die Konferenz ist neu!) Wenn darauf hingewiesen wurde, dass eigentlich nichts Neues gesagt wurde, hat man entgegnet: Es ist noch viel zu früh, um etwas Neues zu sagen. - Ich habe jetzt verstanden, worum es geht. (Beifall bei der FDP) Es geht darum, noch einmal vor der langen Sommerpause der Bevölkerung das Mantra vorzutragen: Okay, wir sind in Afghanistan zwar in Schwierigkeiten, aber alles wird gut in Afghanistan. - Das ist das Mantra, die Beschwörungsformel. Dies scheint bitter nötig zu sein, weil gleichzeitig die Ankündigung erfolgt: Es wird in Afghanistan für unsere Soldatinnen und Soldaten einen harten, bitteren Sommer geben. Es geht hier also offensichtlich darum, für den Fall, dass uns solche Meldungen in den nächsten Wochen ereilen werden, die Lage in der Heimat zu stabilisieren. Aber das Mantra wirkt nicht mehr. Nach neun Jahren NATO-Intervention in Afghanistan hat sich bei den meisten Menschen - nicht nur in Deutschland, sondern auf allen Kontinenten - die Erkenntnis durchgesetzt, dass Frieden in Afghanistan mit NATO-Truppen nicht erreicht werden kann. (Beifall bei der LINKEN) Nach einer kürzlich vorgelegten aktuellen Umfrage in 22 Staaten auf allen Kontinenten - darunter USA, Deutschland, Frankreich, China und Indien - haben sich nur in einem Staat mehr als 50 Prozent der befragten Personen für den Verbleib der NATO-Truppen in Afghanistan ausgesprochen: in Kenia. Ich bin angesichts dieser Debatte allerdings skeptisch, ob sich diese Erkenntnis, die in der Bevölkerung schon gereift ist, auch im Bundestag durchsetzen wird. Sie sind immer noch sehr darauf fixiert, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Ihre Devise lautet daher: Die NATO darf nicht scheitern. Es geht aber nicht um die NATO, die als Militärbündnis ihre Zukunft schon längst hinter sich hat. Es geht um eine Friedenslösung für Afghanistan. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Was SPD und Grüne anbetrifft, so ist zu sagen, beide Parteien kommen offensichtlich einfach nicht davon weg, dass sie den Afghanistan-Einsatz beschlossen haben. Deshalb müssen die Grünen die ISAF-Militärintervention in ihrem Entschließungsantrag immer noch als Teil einer politischen Lösung darstellen. Diese Militärintervention ist kein Teil der Lösung, sondern ein gravierender Teil des Problems! (Beifall bei der LINKEN) Der neue ISAF-Kommandeur Petraeus hat zuletzt sehr markig verkündet: "Wir sind hier, um zu siegen." Liebe Kolleginnen und Kollegen, da kann einem wirklich angst und bange werden, weil es zeigt, dass das Denken in den militärischen Kategorien von Sieg und Niederlage ungebrochen ist. Der Herr meint tatsächlich, dass man das Blatt militärisch wenden kann. Man wird und kann es nicht militärisch wenden! (Beifall bei der LINKEN) Die jüngste Entwicklung zeigt deutlich: Die NATO ist gescheitert, und auch mit ihrer sogenannten neuen Strategie wird sie scheitern. Die Zahlen sind genannt worden, sie liegen auf dem Tisch: Trotz weit über 120 000 Soldaten hat sich die Sicherheitslage verschlechtert. In diesem Jahr gab es 11 000 Angriffe, Gefechte und Anschläge. Pro Woche gibt es also mehr als 800 Vorfälle dieser Art. Das ist ein Rekordniveau. Vor diesem Hintergrund finden wir es schlimm, dass nun auch die Bundeswehr im Norden aufrüstet. Weitere Schützenpanzer und Artillerie werden in Afghanistan stationiert. Die Luftkampffähigkeit wird intensiviert. Ich frage Sie ernsthaft: Wohin soll das führen? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, wohin soll Ihre Rede führen? Das frage ich mich auch!) Wenn man schon in der Klemme ist, scheut man sich auch nicht, sich mit fragwürdigen Alliierten zusammenzutun, etwa mit den lokalen Milizen, die jetzt in allen Regionen als Partner aufgewertet werden, obwohl sie das staatliche Gewaltmonopol untergraben. Die schönen Pläne eines sauberen Krieges, der die Zivilbevölkerung schützt - Sie haben dieses Bild hier immer wieder transportiert - zerschellen einfach an der Realität. Allein in den letzten drei Monaten sind erneut mehr als 340 zivile Opfer zu beklagen. Wir trauern um diese Opfer. Wir trauern um die toten deutschen Soldaten, und wir trauern um die Opfer von Kunduz. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Was die Praxis der Aufstandsbekämpfung angeht, kann man nur sagen: Das steht einfach in diametralem Gegensatz zur Förderung von Reintegration und Aussöhnung. Wir hören von Menschenjagd, von verdeckten Kommandooperationen und von nächtlichen Hausdurchsuchungen. Angesichts dessen ist es kein Wunder, dass das Bundesministerium der Verteidigung vier Monate nach der Londoner Konferenz gerade einmal von sechs Taliban berichten kann, die im Norden ihre Waffen niedergelegt haben, während gleichzeitig allein bei einer US-Offensive im Norden mehr als 150 Aufständische getötet worden sind. Das fördert die Verhandlungsbereitschaft nicht. (Beifall bei der LINKEN) Was die Korruptionsbekämpfung angeht, ist ebenfalls das Nötige gesagt worden. Ich erinnere an die Geldkoffer, die nach Dubai wandern. Nur wer diese Realitäten ungeschminkt ins Visier nimmt, kann die richtige Antwort finden. Die richtige Antwort heißt unseres Erachtens, erstens, sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, (Beifall bei der LINKEN) zweitens, alles daransetzen, ein Friedens- und Waffenstillstandsabkommen zu schließen. Statt Afghanisierung des Krieges ist Afghanisierung des Friedens angesagt. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Hahn von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Schreckensmeldungen über Kämpfe, Anschläge und Korruption in Afghanistan werden nicht weniger. Das haben wir heute schon einige Male festgestellt. Diejenigen, die behaupten, das liege am Einsatz der internationalen Gemeinschaft, sind meines Erachtens auf der falschen Fährte. Vielmehr scheint es doch so zu sein, dass die neue Strategie wirkt und die Taliban sich entsprechend dagegen wehren. Beispielsweise haben die Taliban mit den Verhaftungen von Führern in Karatschi, Quetta und Peschawar Ende Januar und Anfang Februar dieses Jahres einen herben Schlag erlitten. Die Operation "Hamkari Baraye Kandahar" trifft die Taliban-Stadtguerilla sehr hart. Vorher hatte sie sich bereits in den meisten Vierteln der Stadt Kandahar als De-facto-Regierung etabliert. Das konnten wir auflösen. Die Taliban reagieren jetzt mit Mordversuchen, um sich so gegen ihre schwindende Macht zu wehren. Hier dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Für unsere Truppen, für unsere Soldaten ist dies nicht ungefährlich. Gerade auch vor diesem Hintergrund müssen wir uns noch einmal vor Augen führen, warum wir unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan tagtäglich der Gefahr für Leib und Leben aussetzen. Afghanistan darf nicht wieder eine Organisationsplattform für den internationalen Terror werden, der dann auch Deutschland treffen könnte. Diese Gefährdung wäre um vieles größer, wenn die internationale Gemeinschaft das Land plötzlich und überhastet verlassen würde. Ja, der Einsatz ist gefährlich; er ist aber auch notwendig. Die Rückschläge, die wir immer wieder hinnehmen müssen, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir seit 2001 den Grundstein für einen neuen Staat Afghanistan und für viele gute Entwicklungen gelegt haben. In einem so jungen Staat, in dem knapp die Hälfte der Bevölkerung jünger als 15 Jahre ist und rund zwei Drittel nicht älter als 24 Jahre sind, haben wir zu Recht viel Geld in die Bildung investiert. Allein in den letzten fünf Jahren konnten wir die Einschulungsquote von 37 auf 54 Prozent steigern. Die Alphabetisierungsrate der Jugendlichen hat im selben Zeitraum um 8 Prozentpunkte zugenommen. Das ist eine beachtliche Leistung - auch in Bezug auf das Ziel 2 der Millenniumserklärung, das da lautet, allen Kindern eine Grundschulausbildung zu ermöglichen. Hier dürfen wir ebenfalls nicht nachlassen. Bildung ist der Grundstein für Demokratie. Nur so ist es möglich, wirtschaftlichen Wohlstand zu erlangen und fanatischen Predigern die Stirn zu bieten. Der Wahlkampf für die bevorstehenden Wahlen im September ist aktuell in vollem Gange. In Kabul hängen überall Plakate, und in vielen Städten haben die Kandidaten Wahlbüros eingerichtet. Es freut mich, zu sehen, dass das Interesse der Afghanen an den Wahlen hoch ist. Ich habe den Eindruck, dass eine große Anzahl der jungen Menschen ihre Vertreter im Parlament mitbestimmen will. Auf meiner Reise nach Afghanistan im März dieses Jahres habe ich einen jungen Afghanen kennengelernt, der in Hamburg aufgewachsen ist und wieder in sein Heimatland zurückgekehrt ist. Bei den bevorstehenden Wahlen kandidiert er in Masar-i-Scharif. Es gibt also die Möglichkeit, dass sich die Bevölkerung hinter junge, unbelastete Kandidaten stellen kann. Von der afghanischen Regierung erwarte ich an dieser Stelle allerdings, dass sie die Kontrollmechanismen der internationalen Gemeinschaft bei Wahlen uneingeschränkt zulässt. Ausgeglichene Startbedingungen sind zwar für uns eine Selbstverständlichkeit; in Afghanistan scheinen wir die Regierung allerdings noch einmal daran erinnern zu müssen. Wir dürfen uns aber auch nichts vormachen. In Afghanistan können wir nicht die westlichen Maßstäbe von Demokratie und unseren Freiheitsbegriff zugrunde legen. Dennoch muss es unser Ziel sein, dem so nahe wie möglich zu kommen. Im Januar dieses Jahres haben wir hierfür in London eine neue Strategie festgelegt - eine Strategie, die von unserer Bundesregierung maßgeblich mitgestaltet wurde. Durch den vernetzten Ansatz von zivilen, militärischen und politischen Mitteln wollen wir den Weg für ein friedliches und selbstbestimmtes Afghanistan bereiten. Meine Damen und Herren, wir stehen an der Seite des afghanischen Volkes. Wir haben unsere Bereitschaft erklärt, zu helfen. Dazu stehen wir auch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Von der afghanischen Regierung erwarte ich dafür eine verantwortungsvollere Regierungsführung, die konsequente Bekämpfung der Korruption und die Einhaltung der Entwicklungspläne. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht nun schon seit neun Jahren so!) Die Kernpunkte auf dem Weg zur Übergabe in Verantwortung haben wir in der Konferenz in London festgelegt. Nun müssen diese weiter konkretisiert und mit Fristen versehen werden. Die vier Kernpunkte des Londoner Schlussdokuments - wirtschaftliche und soziale Entwicklung, gute Regierungsführung, Frieden und Sicherheit sowie regionale Kooperation - müssen in Kabul mit klaren und messbaren Meilensteinen versehen werden. Die Ergebnisse der Friedensjirga vom Juni dieses Jahres müssen ebenfalls Eingang in die Konferenz finden. Das dort beschlossene Friedens- und Reintegrationsprogramm, mit dem "entfremdete Brüder" in Staat und Gesellschaft zurückgeholt werden sollen, wird die Konferenz ebenfalls übernehmen. Es soll Kämpfern und Aufständischen unter bestimmten Bedingungen Straffreiheit zusichern. Hier finden sich zentrale deutsche Anliegen wieder: Angebote vor allem in Form von Arbeit und Ausbildung, keine Benachteiligung von Nichtkämpfern, Einbeziehung der gesamten Bevölkerung sowie eine landesweite Umsetzung. Ein herausfordernder Punkt ist die regionale Kooperation. Wir alle können uns gut vorstellen, welche Interessen die umliegenden Staaten in Afghanistan verfolgen. Wir müssen daher unbedingt ein strategisches Umdenken bei einigen Nachbarstaaten einfordern. Wir erwarten von der Konferenz die Konkretisierung der afghanischen Entwicklungsagenda hinsichtlich Infrastruktur, Landwirtschaft, Bildung und Ausbildung sowie eine Regierungsführung, die die Korruptionsbekämpfung mit einschließt. Auch hier muss es unser Ziel sein, eine mit Fristen und erreichbaren Meilensteinen versehene Agenda in allen vier Bereichen zu erarbeiten. Dabei müssen wir das Gleichgewicht zwischen Anreizen und afghanischer Selbstverpflichtung unbedingt wahren. Meine Damen und Herren, der Einsatz ist gefährlich, und leider müssen wir weiterhin mit Verlusten rechnen. Wir wissen aus der Vergangenheit: Im Vorfeld von Wahlen verschlechtert sich die Sicherheitslage noch einmal. Wir müssen mit einer verstärkten Aktivität der Taliban rechnen; denn sie versuchen, die Demokratisierung des Landes mit allen Mitteln zu unterbinden. Daher danke ich unseren Soldatinnen und Soldaten, die tagtäglich für unsere Sicherheit in Afghanistan kämpfen und zusammen mit zivilen Aufbauhelfern, Polizisten und Diplomaten für die Entwicklung dieses Landes arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für ihren Einsatz wünsche ich ihnen auf diesem Wege Gottes Segen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Rudolf Körper von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Fritz Rudolf Körper (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Westerwelle, ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass Sie sich in Ihrer Regierungserklärung nicht in erster Linie bei dem Herrn Innenminister bedanken, sondern bei den Polizistinnen und Polizisten, die aufopferungsvoll ihren Dienst in Afghanistan leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ulrike Flach [FDP]: Das hat er getan! - Weitere Zurufe von der FDP: Zuhören!) Lieber Herr Westerwelle, ich hätte mir noch etwas gewünscht. Sie haben - lesen Sie nach, wie Sie das gesagt haben! - auch dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit gedankt. (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Sehr zu Recht!) Sie hätten diesen Dank auch an die vielen zivilen Aufbauhelfer im Einsatzgebiet weitergeben müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Elke Hoff [FDP]: Auch das hat er gemacht! - Holger Haibach [CDU/CSU]: Das hat er auch gemacht! Zuhören hilft!) - Lesen Sie es nach! Er hat das nicht getan. (Holger Haibach [CDU/CSU]: Das ist das Dumme, wenn man die Rede vorher vorbereitet! - Ulrike Flach [FDP]: Vielleicht war er auch nicht im Raum! Das kann ja sein!) Was die Frage der Soldatinnen und Soldaten anbelangt: Ihnen hat der Kollege Hahn hier schon Dank gesagt. Aus Umfragen in Afghanistan wissen wir, dass der Wunsch nach Sicherheit und Frieden bei den Menschen in einem sehr hohen Maße ausgeprägt ist, und das ist auch kein Wunder in einem solch geschundenen Land. Ich finde, all das, was wir tun, müssen wir daran orientieren, inwieweit es für die Verbesserung des Lebensschicksals der Menschen in Afghanistan notwendig ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Rainer Stinner [FDP]: Sehr richtig!) Da ist die Frage: Wie kann man ihrem Wunsch nach mehr Sicherheit nachkommen? (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Sehr richtig!) In der Bundesregierung wird im Moment gerne von Priorisierung gesprochen. Ich habe den Eindruck: Das ist das neue Wort für Kürzen, Reduzieren und Einsparen. Aber in Afghanistan geht es doch um die Frage, wie wir selbsttragende Sicherheitsstrukturen fördern können. Lieber Herr Westerwelle, da liegen Anspruch und Wirklichkeit sehr weit auseinander. Ich finde nämlich, eine Regierungserklärung zu Afghanistan sollte nicht nur von Wünschenswertem und Nebulösem geprägt sein, sondern auch von einem gewissen Realitätssinn getragen werden. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der FDP: So wie Ihre Rede hier!) Es gibt einen Fakt, der heute hier allerdings noch keine Rolle gespielt hat. Man muss wissen, dass in den Jahren 2008 und 2009 jeweils doppelt so viele Polizisten ermordet bzw. getötet worden sind wie beispielsweise Soldaten. Das zeigt, vor welchem Problem wir stehen. Wenn wir jetzt die Strukturen verbessern wollen, dann müssen wir - das ist ganz wichtig - Anspruch und Wirklichkeit in Einklang bringen. Die Polizeimaßnahmen und Polizeivorhaben im Rahmen von EUPOL leiden seit Jahren jedoch an einer Unterfinanzierung. Sie müssen wissen: Wir geben für Afghanistan, was den EUPOL-Bereich anbelangt, insgesamt 55 Millionen Euro aus. Im Vergleich zu dem, was wir in anderen Bereichen tun, ist das nicht ausreichend. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Elke Hoff [FDP]: Wer war denn Staatssekretär?) Herr Westerwelle, es ist wichtig, dass Sie auf der Kabul-Konferenz das Thema Polizeiausbildung ansprechen. Es kann nämlich nicht sein, dass Polizeiausbildung einzig und allein auf Quantität ausgerichtet ist und die Qualitätsgesichtspunkte dabei vernachlässigt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es gibt zwar eine Zielgröße für die Ausbildung, aber es ist beispielsweise auch so, dass die Ausbildungszeit auf sechs Wochen verkürzt wird. Ich glaube nicht, dass nach dieser Zeit vollwertig ausgebildete Polizisten für Einsätze zur Verfügung stehen. Alle Erfahrungen zeigen, dass dies nicht möglich ist. In Anbetracht der hohen Quote von Morden an Polizisten müssen wir das Thema Qualität bei der Polizeiausbildung berücksichtigen. Ich bitte Sie ganz ausdrücklich, sich in diesem Sinne einzusetzen. (Beifall bei der SPD) Ich komme nun zur Frage der wirksamen Bekämpfung von Korruption. Dass wir diesen Kraken bekämpfen müssen, ist ganz klar. Ich will in diesem Zusammenhang einen konkreten Vorschlag machen: Es ist wichtig, Herr Westerwelle, dass wir uns auch für eine angemessene Bezahlung im Polizeibereich einsetzen. Damit bewahren wir die Polizisten davor, für Korruption anfällig zu werden. Ich glaube, das wäre ein erster wichtiger und pragmatischer Schritt, Korruption zu bekämpfen. Wir sollten uns auf dieser Afghanistan-Konferenz mit solchen praktischen und konkreten Vorschlägen einbringen. Ich hoffe, dass Sie das tun. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Kollegen Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Körper, zu Ihrer Zeit als Staatssekretär lag die Verantwortung für den Aufbau der Polizei in Afghanistan noch in unseren Händen. Es ist schon interessant, dass gerade Sie heute hier den EUPOL-Einsatz kritisieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen uns nicht zulasten einer Gruppe, seien es nun Soldaten oder Polizisten, profilieren. Entscheidend ist doch - gerade im Falle von EUPOL ist das wichtig -, dass wir wirklichkeitsnah handeln: So müssen wir teilweise Analphabeten ausbilden. Diese Vorhaben sind auch nicht unterfinanziert. Es kommt vielmehr darauf an, dass die europäischen Staaten Polizeiausbilder in ausreichender Anzahl zur Verfügung stellen. Dafür trugen Sie einst Verantwortung, Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere heutige Debatte hat gezeigt, dass wir ernsthafter, wirklichkeitsnäher und mit mehr Augenmaß an das Thema herangehen. Unsere Debatte hat auch gezeigt - der Herr Außenminister und auch die Frau Kollegin Hoff haben es angesprochen -, dass es sehr stark auf den regionalen Kontext ankommt. Wenn wir auf die Region schauen, stellen wir fest, dass es eine ganze Reihe von Spielern gibt, die auf der Wartebank sitzen. Worum geht es? Zwischen Pakistan und Indien gibt es einen latenten Konflikt, und Pakistan ist relativ instabil. Die zentralasiatischen Staaten stehen der Gefahr eines wachsenden Islamismus gegenüber, das haben die Entwicklungen in Kirgistan unlängst gezeigt. Wir müssen weiterhin im Blick behalten, was die UNO vor Ort leistet. Der UNHCR Guterres hat Entscheidendes im Rahmen des trilateralen Dialoges zwischen Afghanistan, Pakistan und - man höre und staune - dem Iran zuwege gebracht, bei dem es um Flüchtlingsrückkehr und um Flüchtlingszusammenarbeit geht. Nun muss es darum gehen, zu berücksichtigen, welche Interessen unsere Mitspieler in der Region haben und wie wir diese Interessen in unsere Politik einbinden können. Es gibt viele Bereiche - von der Regierungsbank ist es bereits zur Sprache gebracht worden -: Gesundheitspolitik, Landwirtschaft und die zivile Infrastruktur, bei denen wir vorankommen müssen. Es geht somit um die richtige Strategie. Von der Opposition wurde angemahnt, dass die Strategie noch nicht greift. Dabei ist doch zu berücksichtigen, dass es, wenn man eine Neuausrichtung verfolgt, in der Regel mindestens ein halbes Jahr dauert, bis die Ausbildung umgestellt und der Personalkörper verändert ist. Die Bundeswehr geht deshalb jetzt auch ein halbes Jahr später mit einem neuen Kontingent in die Einsätze; bei den zivilen Organisationen ist es genauso. Wir wollen mit einem regionalen Ansatz den politischen Islamismus eindämmen, gegen die Drogenökonomie vorgehen und organisierte Kriminalität und Korruption im Auge behalten. Das geht nur in enger Abstimmung vor Ort. Ich freue mich, dass die Regierung an einem Strang zieht. Es ist somit ganz wichtig, dass wir wieder einen Afghanistan-Beauftragten der Bundesregierung, den Botschafter Steiner haben, der hier auch anwesend ist. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Es ist ein Wunder, dass die Bundesregierung mal an einem Strang zieht!) Eines ist klar: Es gibt keine Regionalmacht vor Ort. Es gibt auch keine Aussicht auf ein regionales Bündnis, das in den nächsten Jahren die Sicherheit vor Ort gewährleisten kann. Das heißt, es kommt weiterhin auf die UNO und den internationalen Einsatz an, an dem wir in großem Umfang beteiligt sind. Es kommt auf uns an. Wenn wir die Probleme nicht lösen, wer dann? Wir dürfen nicht hoffen, dass das andere Kräfte vor Ort übernehmen, sondern wir müssen die Afghanen dazu befähigen, dass sie die Führung von uns übernehmen. Dazwischen wird es keinen Schritt geben. Das ist ein Mannschaftsspiel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich einen weiteren Gedanken anfügen. Unser Verteidigungsminister hat das letzte Woche - ich habe den Artikel anders gelesen - deutlich gemacht: Wir müssen mit unserer Bevölkerung, mit unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, sehr offen und ehrlich umgehen. Wir dürfen nicht idealistisch an das Thema herangehen. Das war in den letzten Jahren vielleicht manchmal notwendig, aber heute ist es entscheidend, dass wir klug mit der Wahrheit umgehen. Es kommt also darauf an, dass wir die Kommunikation anders gestalten und zutreffendere Informationen liefern. Wir müssen der Bevölkerung ehrlich sagen - wenn nicht wir, wer sonst? -, dass wir voraussichtlich für einen bestimmten Zeitraum mit höheren Gefährdungen und möglicherweise mit mehr Opfern bei unseren zivilen Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfern und den Helfern in Uniform rechnen müssen. Das meine ich sehr ernst. Wir müssen sorgsam mit dieser Situation umgehen. Zu einer glaubwürdigen Politik gehört es dazu, unangenehme Dinge in passende Worte zu fassen. Lassen Sie mich abschließend zwei weitere Gedanken ausführen. Zum einen - es ist zum Teil angeklungen - möchte ich auf die afghanischen Befindlichkeiten eingehen. Eine Shura bzw. eine Jirga ist kein Bundestag, kein House of Lords oder House of Parliament. Es ist eine afghanische Besonderheit. Es ist das, was die Afghanen auszeichnet, das ist ihre Tradition. Das müssen wir ernst nehmen, und wir müssen sie ermutigen und befähigen. Natürlich gibt es die afghanische Verfassung, ein afghanisches Parlament und Wahlen, aber wir müssen gleichzeitig alle Elemente stärken, die die afghanischen Besonderheiten hervorheben und die die Afghanen in ihrem Selbstbewusstsein stärken. Das müssen wir eng begleiten und kontrollieren. Dabei müssen wir auf die roten Linien achten. Wir können andere Ansätze nicht einfach überstülpen. Ich glaube, wir haben in diesem Jahr einen ganz guten Ansatz gewählt. Afghanistan kann nämlich mit dezentralen Elementen eine viel größere Wirksamkeit entfalten. Das heißt, wir brauchen eine starke Zentralregierung, aber auch eine Aufwertung der Regionen. Noch ein Punkt: Wir haben heute mehrfach über Reintegration gesprochen. Wir sollten diese Reintegration auch aufgrund unserer eigenen Geschichte sehr aufmerksam begleiten. Reintegration ist ohne einen Versöhnungsprozess nicht denkbar. Diese Versöhnung müssen die Afghanen aber selbst leisten. Dazu müssen wir sie ermutigen. Wenn nicht wir, wer dann? Ich denke, das ist Sache der Afghanen und liegt in der Verantwortung der Afghanen; dennoch müssen wir hier auch Forderungen stellen. Schließlich geht es darum, die Beschlüsse von London zu operationalisieren, messbar zu machen. Ich bin sehr froh darüber, dass sich in unserem Hause zum Herbst ein Konsens zwischen mehreren Parteien abzeichnet, wie wir mit Benchmarks umgehen und wie wir den Wirksamkeitsbericht entwickeln. Für die Koalitionsfraktionen ist aber entscheidend, dass wir es nicht zulassen, dass unsere Entscheidungsbefugnisse auf externe Expertise verlagert werden. Die Bundesregierung kann entsprechende Experten beteiligen, aber wir sollten die Federführung behalten und uns ganz stark dafür einsetzen, dass wir an diesem Prozess intensiv beteiligt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein abgestimmtes Übergabekonzept. Dieses abgestimmte Übergabekonzept muss eindeutige Verpflichtungsgrößen enthalten. Es muss klar werden: Wenn wir einmal übergeben haben, können wir den Prozess nicht mehr umkehren. Einmal übergeben heißt untrennbar übergeben. Deshalb brauchen wir sorgfältig erarbeitete Richtlinien für die Übergabe. Auch dazu dient die Konferenz in Kabul. Gut ist, dass diese Konferenz im Nachgang von einem NATO-Gipfel in Lissabon begleitet wird. Diesen Prozess werden das Parlament, die Regierung, die internationale Gemeinschaft und die NATO als Hauptverantwortungsträger im Aufgabenbereich der Vereinten Nationen im nächsten halben Jahr sehr sorgsam begleiten müssen. Wir sind mit dabei. Unser Haus ist aufgerufen, intensiv mitzuwirken. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2462. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Beschäftigungssituation Älterer, ihre wirtschaftliche und soziale Lage und die Rente ab 67 - Drucksachen 17/169, 17/2271 - Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dieser Aussprache nicht beiwohnen wollen, den Saal möglichst geräuschlos zu verlassen, damit die anderen der Aussprache folgen können. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Klaus Ernst von der Linkspartei. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Im März 2007 ist mit den Stimmen der damaligen Großen Koalition die Rente ab 67 eingeführt worden. Gleichzeitig ist vereinbart worden, dass zum ersten Mal im Jahr 2010 - und dann alle vier Jahre - zu berichten ist, ob dieser Beschluss angesichts der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation älterer Arbeitnehmer tatsächlich aufrechterhalten werden kann. Wir haben deshalb eine Große Anfrage gestellt, die seit dem 23. Juni beantwortet ist. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich es verwunderlich fand, dass Herr Weiß als Erster, und zwar zu einem Zeitpunkt, als wir die Antwort der Bundesregierung noch gar nicht hatten, darauf reagiert hat. Herr Weiß, es ist ja wirklich klasse, dass Sie offensichtlich zu einem Zeitpunkt informiert wurden, zu dem die Antragsteller die Antwort noch gar nicht kannten. (Elke Ferner [SPD]: Peinlich! Peinlich! - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Unerhört!) Ich denke, das war kein gutes Verfahren. Herr Weiß, vielleicht wäre ein wenig Zurückhaltung an der einen oder anderen Stelle ganz hilfreich. (Beifall bei der LINKEN - Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das müssen Sie gerade sagen!) Angesichts dieses Vorgehens stellt sich für uns allerdings die Frage, ob die Bundesregierung die Überprüfungsklausel überhaupt ernst nimmt. Schade, dass Frau von der Leyen nicht hier ist. Sie hat nämlich am 17. Mai im Focus auf die Frage "An der Rente mit 67 wird nicht gerüttelt?", geantwortet: "Warum sollten wir?" - Zum damaligen Zeitpunkt hat sie die Antworten der Bundesregierung offensichtlich auch noch nicht gehabt, sonst wäre sie zu einem anderen Ergebnis gekommen. Wir haben uns gefragt: Welche messbaren Kriterien gibt es bzw. müssen vorliegen, damit man diese Frage überhaupt beantworten kann? Es gibt 234 Fragen und Tausende von Antworten. Einige Antworten machen uns deutlich: Die Rente mit 67 kann so nicht funktionieren. Das erste Argument: Der Anteil der sozialversicherungspflichtig beschäftigten 64-Jährigen an der Gesamtzahl der 64-Jährigen - die dann also mit 65 bzw. 67 Jahre in Rente gehen sollen - liegt zurzeit bei 9,4 Prozent. Das heißt, 90 Prozent der Menschen, denen Sie eine Rente ab 67 antun wollen, haben in diesem Alter gar keine sozialversicherungspflichtige Arbeit mehr. Das bedeutet doch im Ergebnis logischerweise, dass sie, wenn sie mit 64 Jahren schon keinen Job mehr haben, auch mit 65 und 66 Jahren keinen mehr haben. (Zuruf des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]) - Auf dieses Argument komme ich gleich, Herr Weiß. - Das bedeutet für diese Menschen lediglich schlichtweg höhere Abschläge. Im Übrigen betrug diese Quote im Jahr 2000 3,7 Prozent. Okay, die Quote ist gestiegen. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Na also! Geben Sie doch zu, dass es aufwärtsgeht!) - Herr Weiß, hören Sie erst einmal zu, Sie sind schon wieder so vorlaut. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN - Otto Fricke [FDP]: Das sagt der Richtige!) Wenn wir für die Folgejahre dieselbe Dynamik unterstellen, die es von 2000 bis 2008 gab, (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist schon wieder falsch, was Sie machen!) wird im Jahr 2029 der Anteil der 64-Jährigen, die ohne sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sind, bei 75 Prozent liegen. Das heißt, für die Betroffenen bedeutet das auch im Jahr 2029 schlichtweg eine Kürzung ihrer Leistungen. Bei den Vollzeit-Sozialversicherungspflichtigen beträgt der Anteil der 63- und 64-Jährigen nur 7,4 Prozent. Sie beginnen mit der Rente ab 67 im Januar 2012. Bis dahin wird sich das nicht ändern. Das bedeutet für die meisten Bürger in unserem Lande höhere Abschläge bei der Rente ab 67 - und sonst überhaupt nichts. (Beifall bei der LINKEN - Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Es ist falsch, was Sie sagen!) Das zweite Argument: Das tatsächliche Renteneintrittsalter liegt nach wie vor weit unter den gesetzlich festgelegten 65 Jahren. Momentan haben wir ein durchschnittliches Renteneintrittsalter von 63 Jahren. Wir sind also weit davon entfernt, überhaupt über die Rente mit 67 zu diskutieren. Ich komme - das ist das dritte Argument - zum Rentenversicherungsbeitrag. Die Antworten, die wir von der Bundesregierung haben, besagen: Es sind um 0,5 Prozent höhere Beiträge für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erforderlich, wenn wir auf die Rente ab 67 verzichten und die Arbeitnehmer mit 65 Jahren in Rente gehen ließen. Was heißt das für einen Menschen, der 2 000 Euro verdient? Es bedeutet für ihn, dass er um fünf Euro höhere Rentenbeiträge zu zahlen hätte; er könnte dann aber mit 65 in Rente gehen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist der Punkt!) Meine Damen und Herren, ich habe noch keinen Arbeitnehmer getroffen, der gesagt hätte, dass er wegen fünf Euro brutto mehr zwei Jahre länger arbeiten würde. Den müssen Sie mir mal zeigen! (Beifall bei der LINKEN) Was ist Ihre Politik? Die Antworten der Bundesregierung besagen, dass Sie die Menschen, weil diese in dem Alter keine Jobs mehr haben, in Altersarmut treiben. Denn sie werden durch die Rente mit 67 um 7,2 Prozent höhere Abschläge haben. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, und sonst nichts. Jetzt könnten wir noch über Demografie streiten; ich will eigentlich gar nicht darüber streiten. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nüchterne Zahlen!) Dazu haben wir ganz andere Ansichten als Sie, die durch Herrn Rürup belegt sind, der die Produktivitätsentwicklung höher einschätzt als die demografische Entwicklung. Von Ihnen möchte ich gern hören, was Sie den Menschen sagen, (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja, das sagen wir auch!) die mit 63, 62 oder 61 nicht mehr arbeiten können und laut Ihnen bis 67 arbeiten sollen. Sie sollten wenigstens für diese Menschen Antworten haben, ihnen zum Beispiel sagen können, dass sie umschulen sollen. Aber sagen Sie einmal einem Dachdecker, dass er zum Buchhalter umschulen soll. Was soll der tun? Welche Antworten haben Sie für diese Menschen? Sie haben keine einzige Antwort. (Beifall bei der LINKEN) Sie verstecken sich hinter dem Argument der Demografie. Letztendlich ist Ihr ganzes Vorgehen bei der Rente mit 67 ein Manöver zur Kürzung der Renten für die Mehrheit der Menschen im Interesse der deutschen Versicherungswirtschaft, damit sich möglichst viele privat versichern. (Beifall bei der LINKEN) Das ist Ihre Politik. Die ist wirklich unzumutbar. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Unzumutbar sind Sie!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel hat das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ernst, wenn ich nicht Parlamentarischer Staatssekretär wäre, würde ich auf Ihre agitatorische Rede eine ganz andere Gegenrede halten, als ich es jetzt in dieser Funktion tun werde. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Hoffentlich mit Fakten! - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Fakten und Zahlen!) Die Bundesregierung hat auf Ihre Große Anfrage geantwortet und deutlich gemacht: Die Bevölkerungszahl in Deutschland wird zukünftig sinken, vor allem aber wird die Bevölkerung älter werden. Wenn es stimmt, dass die Lebenserwartung der Älteren steigt, wenn es stimmt, dass die Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter zurückgeht, und wenn es stimmt, dass die Anzahl der Älteren zunimmt, dann kann man den Kopf nicht einfach in den Sand stecken, dann muss etwas geschehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Lassen Sie mich das an einigen signifikanten Fakten verdeutlichen. Sie wollen ja möglichst nicht über die Demografie diskutieren; aber das geht nicht. Die Fakten sind gesetzt. Auch wenn Prognosen sonst oftmals nicht stimmen, hier sind sie ziemlich zielgenau. Wenn das zumindest anerkannt wird, sind wir einen Schritt weiter. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Staatssekretär, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst zulassen? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Ich habe mir vorgenommen, darauf hinzuweisen, dass wir im Herbst eine große Debatte über diese Punkte führen werden und ich bei meiner Rede heute daher keine Zwischenfragen zulassen möchte. Ich werde Ihnen dann zum gegebenen Zeitpunkt sehr ausführlich zur Verfügung stehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Bis 2030 wird die Lebenserwartung um weitere 2,5 Jahre steigen. Andererseits wird das Potenzial an Menschen im erwerbsfähigen Alter bis 2030 um 6 Millionen Personen zurückgehen. Gleichzeitig wird die Anzahl der Älteren um gut 5,5 Millionen zunehmen. Was das bedeutet, ist klar. Hätte man nichts getan, dann würden die Rentnerinnen und Rentner in Zukunft geringere Renten erhalten und die Beitragszahler für diese geringeren Renten auch noch höhere Beiträge zahlen. In der Folge würde der Wohlstand für alle sinken. Das kann und darf es nicht geben. Das kann und darf nicht unsere Zukunft sein. Deswegen muss hier gehandelt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Er will keinen Wohlstand für alle! Das ist ja sensationell!) Die Große Koalition hat den Mut gehabt, sich dieser demografischen Herausforderung zu stellen. Wir haben unter der Federführung des damaligen Arbeits- und Sozialministers Franz Müntefering den Handlungsbedarf gesehen und die Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre gesetzlich festgelegt. Das war keine leichte, aber eine notwendige, mutige und richtige Entscheidung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Warum klatschen eigentlich Sie von der SPD nicht? Sie haben das doch mitbeschlossen. (Elke Ferner [SPD]: Wir klatschen, wann wir wollen, und nicht, wann Sie das wollen!) Was damals richtig war, kann heute so falsch nicht sein; davon sind wir überzeugt. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gibt hier einige, die die Richtung sogar umkehren wollen. Wenn man das Rad zurückdreht und die Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 rückgängig macht, dann - das sage ich ganz deutlich - hat das gewaltige Konsequenzen: Der Beitragssatz bei der Rentenversicherung wäre dann langfristig 0,5 Prozentpunkte höher. Was bedeuten diese 0,5 Prozentpunkte? (Klaus Ernst [DIE LINKE]: 5 Euro bei 2 000 Euro Gehalt!) - Rechnen Sie das mal auf die gesamtstaatlichen Kosten um: Die Kosten einer Beitragserhöhung um 0,1 Prozentpunkte betragen 1,1 Milliarden Euro; also entstünden bei einer Anhebung um 0,5 Prozentpunkte Jahr für Jahr zusätzliche Kosten in Höhe von über 5 Milliarden Euro. Diese Kosten müssen von irgendjemandem aufgebracht werden; das müssen Sie um der Wahrheit willen dazusagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Vom Beitragszahler!) Es ist aber nicht nur das; auch ein zweiter Punkt wird verschwiegen: Die gesetzlich vorgeschriebene Beitragssatzobergrenze von 22 Prozent würde ebenfalls überschritten oder müsste angehoben werden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Na und?) - Das juckt Sie wahrscheinlich nicht; (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Richtig! - Elke Ferner [SPD]: Das juckt Sie doch auch nicht! - Anton Schaaf [SPD]: Das haben Sie doch gerade bei der Gesundheit beschlossen!) aber das juckt denjenigen, der darüber nachdenkt, wie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf Dauer gewährleistet werden kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Dann müssen sie private Versicherungen abschließen!) Es ist klar: Wer hier etwas anderes will, der muss auch Vorschläge machen. (Elke Ferner [SPD]: Sie machen ja gar keine Vorschläge!) Solche Vorschläge konnte ich zumindest in der ersten Rede des Kollegen Ernst nicht erkennen. Die Höhe der gesetzlich fixierten Beitragssatzobergrenze und der ebenfalls gesetzlich fixierten Rentenniveauuntergrenze sind in ihrer Höhe nicht willkürlich gewählt. Sie sind die Grundlage dafür, dass den Rentnerinnen und Rentnern auch in Zukunft eine anständige Rente garantiert werden kann und die jungen Menschen - auch das ist wichtig; dazu hören wir von Ihnen auch nichts - nicht überfordert werden. Das Thema Generationengerechtigkeit muss hier ebenfalls immer wieder erwähnt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es war demnach der richtige Weg, die Regelaltersgrenze auf das 67. Lebensjahr anzuheben. Ich betone nochmals: Es muss auch auf die Generationengerechtigkeit geachtet werden. Manchmal hat man hier sogar den Eindruck, dass die Anhebung der Altersgrenze bereits morgen bevorsteht. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: 2012!) - 2012 beginnt die Anhebung. Warum sagen Sie nicht, dass die Altersgrenze von 67 Jahren erst 2029 erreicht wird? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sagen Sie doch!) Sie sollten der Wahrheit die Ehre geben und dies so sagen. - Es geht um kleine Schritte, über 17 Jahre verteilt. In diesen 17 Jahren werden sehr viele Veränderungen eintreten, was die Arbeitsbedingungen in Deutschland betrifft. Wir reden also über einen langen Zeitraum. Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass wir heute alle ein kleines Telefon in der Tasche haben, mit dem wir sogar Fotografien machen und diese versenden können! (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Darauf bauen Sie jetzt bei den Rentnern, oder wie?) Sie werden uns doch wohl nicht weismachen wollen, dass sich in den nächsten 20 Jahren nicht ebenfalls große Entwicklungen vollziehen werden, die dazu beitragen, dass sich die Arbeitsbedingungen anders gestalten. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das sind solide Rechnungen!) Ich muss einen weiteren Gesichtspunkt erwähnen: Wir werden, wie ich vorhin schon gesagt habe, in Zukunft ungefähr 6 Millionen Menschen weniger haben, die im erwerbsfähigen Alter sind. Deswegen muss auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt in Deutschland etwas getan werden. Wir sind dafür, dass das in Deutschland vorhandene Potenzial an Arbeitskräften möglichst stark ausgenutzt wird, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: "Ausgenutzt" wird! Das ist genau richtig! Bis zum Schluss! - Elke Ferner [SPD]: Dafür tun Sie doch nichts!) bevor man über andere Lösungen nachdenkt. Die richtige Überschrift heißt daher aus allen aufgezeigten Gründen nicht "Rente mit 67", sondern "Arbeit bis 67". (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist aber das Gegenteil dessen, was in der Antwort auf die Große Anfrage steht!) Die Aufgabe, die vor uns steht und der wir uns alle widmen müssen, ist, den damit verbundenen Prozess besser zu gestalten, entsprechende Konzepte zu entwickeln und diese dann auch umzusetzen. (Elke Ferner [SPD]: Dann machen Sie mal Ihre Vorschläge! Dazu haben Sie noch gar nichts gesagt, Herr Fuchtel!) Es gibt bereits erste gute Zeichen: Die Beschäftigung Älterer hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. So ist die Zahl der Erwerbstätigen im Alter von 55 bis 65 Jahren seit 2000 um fast 1 Million auf über 5 Millionen im Jahr 2008 gestiegen. Selbst im Krisenjahr 2009 hat sich der Arbeitsmarkt für Ältere stabil gezeigt. Wir sollten das nicht kleinreden. Das Zweite. Die Arbeitslosigkeit Älterer ist gesunken, und der Anteil der Langzeitarbeitslosen unter den älteren Arbeitslosen ist von 58 Prozent im Jahr 2007 auf 42 Prozent im Jahr 2009 zurückgegangen. Vor diesem Hintergrund halten wir es nach wie vor für den richtigen Weg, dass wir das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre gesetzt haben. Wir werden alles tun, um den Menschen die Ängste zu nehmen, (Elke Ferner [SPD]: Ach ja! Was denn? - Anton Schaaf [SPD]: Was genau?) dieses Alter im Erwerbsleben nicht zu erreichen. Wir könnten noch lange über dieses Thema diskutieren. Ich habe Ihnen gesagt, dass wir unseren umfangreichen Bericht im Herbst dieses Jahres vorlegen werden. Sie haben ihn übrigens mitbeschlossen, meine Damen und Herren. Wenn Sie sich daran genauso gut erinnern wie an Ihren Beschluss, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu setzen, dann steuern wir sicher auf eine gute Diskussion zu. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Otto Fricke [FDP]: Die erinnern sich nicht! Die haben nämlich politische Amnesie! - Gegenruf des Abg. Anton Schaaf [SPD]: Nein! Sie haben Erinnerungslücken! Die Frage ist, was man dagegen tun kann!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Elke Ferner hat jetzt für SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Elke Ferner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Fuchtel, es bestreitet niemand, dass sich die Beschäftigungssituation der Älteren verbessert hat. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sehr gut! Das ist ein Anfang!) Wir bestreiten nur, dass das ausreicht. Ich hätte mir von Ihnen gewünscht, dass Sie nicht erst im Herbst dieses Jahres, sondern jetzt Vorschläge vorlegen, über die dieses Haus dann hätte diskutieren können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber Sie haben im Prinzip nur das vorgetragen, was man auch in der Antwort auf die Große Anfrage hätte nachlesen können. Neuigkeiten waren von Ihnen nicht zu hören. (Anton Schaaf [SPD]: Genau so ist das!) Herr Fuchtel, es kommt auch darauf an, wie die Qualität der Beschäftigung ist. Allein die Beschäftigungsquote zu betrachten, reicht nicht aus. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist wahr!) Die Frage ist doch: Ist die Beschäftigung existenzsichernd, oder ist sie das nicht? Ist der Beschäftigte sozial abgesichert, oder ist er das nicht? Entsprechen die Arbeitswelt und die Arbeitsbedingungen auch der individuellen Leistungsfähigkeit des Beschäftigten? Das sind die zentralen Fragen. Der Anspruch muss sein, dafür zu sorgen, dass all diejenigen, die arbeiten wollen, so lange arbeiten können, bis sie die Regelaltersgrenze - egal wie hoch sie ist - erreichen. Aber dazu bedarf es zusätzlicher Mittel. Denn wir wissen, dass die Beschäftigungssituation der Älteren schlechter ist als die der mittleren und der jüngeren Generation. In Ihrem Sparpaket kürzen Sie aber ausgerechnet bei den Maßnahmen für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Wer braucht diese Mittel denn am meisten? Es sind die Älteren, die nicht über den normalen Weg der Arbeitsvermittlung eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt finden. (Otto Fricke [FDP]: Interessant! Letzte Sitzungswoche waren es noch die Jüngeren! Sie wissen doch nicht, was Sie wollen!) Ihnen nehmen Sie die Perspektive, wieder in sozialversicherungspflichtige und existenzsichernde Beschäftigung zu kommen. Wir brauchen auch eine Umsetzungsstrategie, was die Qualität der Arbeit anbelangt; auch dazu habe ich von Ihnen gerade nichts gehört. Wir alle wissen: Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit, weniger in großen Betrieben, sondern eher in kleinen und mittleren Betrieben. Ich würde mir wünschen, dass die entsprechenden Informationen flächendeckend in die Betriebe getragen werden, damit dort begonnen werden kann, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass älter werdende Belegschaften mit ihnen zurechtkommen. Das alles ist Aufgabe Ihres Ressorts. Aber gehört haben wir dazu nichts. Natürlich brauchen wir auch flexible Übergänge in den Ruhestand; auch dazu habe ich nichts gehört. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Kein Thema! Mit uns gerne! Sehr gut!) - Herr Kolb freut sich schon. - Aber das, was Sie vorschlagen, ist im Interesse der Besser- und Höchstverdienenden. (Otto Fricke [FDP]: Ja, ja! Ich sage nur: Herrgott, erhalte mir mein Vorurteil! Nicht wahr, Frau Ferner?) Das hat nichts damit zu tun, auch für Menschen mit niedrigem Einkommen die Möglichkeit des flexiblen Übergangs in die Rente zu schaffen. (Beifall bei der SPD) Wir schlagen vor, dass nicht nur Menschen, die leistungsgemindert sind, gegenüber der Bundesagentur für Arbeit einen Anspruch auf Beschäftigung bekommen sollten, damit sie, wenn sie im ersten Arbeitsmarkt nicht vermittelt werden können, über öffentlich geförderte Beschäftigung eine Beschäftigungsperspektive im Alter erhalten. Wir schlagen auch vor, die Übergänge zu flexibilisieren. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann haben wir ja schon mal eine Übereinstimmung! Sehr erfreulich!) Beispielsweise könnte die Teilrente flexibilisiert werden, sowohl was den Zugang zur ihr als auch was die Höhe des Nebenverdienstes und der Zuverdienstgrenzen anbelangt. Wir schlagen darüber hinaus vor, dass man in Zukunft Zusatzbeiträge, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bisher nur relativ rentennah zahlen können, während der gesamten Erwerbsphase zahlen kann und dass das auch die Arbeitgeber tun können. Das eröffnet Raum für tarifliche Regelungen und die Möglichkeit, Abschläge zu kompensieren und die Rentenanwartschaften zu erhöhen, wenn man früher in Rente gehen will. Auch davon habe ich bisher nichts gehört. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben einiges von uns übernommen!) Wir haben den Vorschlag in den Bundestag eingebracht - das ist bei der Koalition auf wenig Gegenliebe gestoßen -, die Geltungsdauer der Regelung zur geförderten Altersteilzeit zu verlängern, wenn ein junger Mensch einen Ausbildungsplatz bekommt oder ein frisch ausgebildeter junger Mensch eine Beschäftigungsperspektive erhält. Sie haben zwar die demografischen Daten richtig dargelegt. Aber im Moment brauchen wir Brücken für die Älteren in die Ruhephase und Brücken für die Jüngeren in die Erwerbsphase. Auch dazu höre ich von Ihnen nichts. (Beifall bei der SPD) Wenn man über die Rente spricht, dann sind armutsfeste Renten ein wichtiger Punkt. Auch hier haben wir kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit. Die Grundvoraussetzung für armutsfeste Renten sind armutsfeste Löhne und möglichst ungebrochene Erwerbsbiografien. Deshalb brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn. Das ist das Erste, was notwendig ist. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der FDP) - Das hören Sie nicht gerne. Aber es ist bekannt, dass Sie Wahrheiten nicht gerne hören. Ihre Weigerung, hier etwas zu tun, ist unverantwortlich. Wir brauchen auch nicht mehr Minijobs oder eine Ausweitung der Grenze über 400 Euro hinaus, sondern mehr sozialversicherungspflichtige und existenzsichernde Arbeitsverhältnisse. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen vor allem für Frauen mehr Vollzeitbeschäftigung statt Teilzeitbeschäftigung. Auch das ist ein Teil des Problems von Frauenarmut im Alter. (Beifall der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Man muss sehen, dass insbesondere für Mütter die Teilzeitbeschäftigung mittlerweile zum Regelarbeitsverhältnis geworden ist. Sie befördern das mit Ihren Maßnahmen auch noch bzw. versuchen, die Frauen wieder aus dem Arbeitsmarkt herauszudrängen, obwohl die meisten Frauen gerne mehr arbeiten wollten, wenn sie entsprechende Arbeitsplätze und Rahmenbedingungen finden würden. Während Sie SGB-II-Empfängerinnen das Elterngeld streichen, bekommt die Millionärsgattin, die nicht arbeitet, es weiterhin. Gleichzeitig wird am Betreuungsgeld festgehalten. Das ist im Hinblick auf den Arbeitsmarkt absolut kontraproduktiv und verschärft die Altersarmut. Wir haben bereits Anträge zu Verlängerung der Rente nach Mindesteinkommen und Höherbewertung der Zeiten der Arbeitslosigkeit eingebracht. Herr Fuchtel, weil Sie eben die Beitragssatzziele so hoch gehängt haben: Mit der Streichung der Rentenversicherungsbeiträge für SGB-II-Empfänger - das sind 1,8 Milliarden Euro - und der Anhebung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung - das macht 640 Millionen Euro - entziehen Sie der Rentenversicherung Jahr für Jahr über 2,4 Milliarden Euro, mit der Folge, dass die Schwankungsreserve geringer wird und dass die Beitragssatzziele für 2014 und 2015 mit Sicherheit nicht erreicht werden können. Wenn Sie im kommenden Herbst Ihren Bericht vorlegen, werden wir ein eigenes Konzept vorlegen. Ich bin gespannt, was Sie anzubieten haben. Wenn Sie aber Ihre unsoziale Sparpolitik fortsetzen werden, haben die Beschäftigten nichts Gutes zu erwarten. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Ernst, Sie hatten sich zu einer Kurzintervention zur Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs gemeldet. Sie sollen die Möglichkeit dazu haben. Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin, recht herzlichen Dank. - Herr Fuchtel, ich will auf den Vorwurf eingehen, wir berücksichtigten die demografische Entwicklung nicht. Selbstverständlich berücksichtigen wir sie. Sie selber haben gesagt: Die Bevölkerungszahl in der Bundesrepublik nimmt ab. - Ich bin mit Ihnen einer Meinung. Gleichzeitig weist aber das Bruttoinlandsprodukt eine jährliche Steigerungsrate in Höhe von 1,6 bzw. 1,7 Prozent auf. Das heißt, dass im Jahr 2030 der Kuchen größer ist und sich weniger Menschen diesen Kuchen teilen müssen. Wenn Sie diesen Fakt jetzt anhand normaler mathematischer Erkenntnisse bewerten, dann erkennen Sie, dass sich trotz bzw. aufgrund dieser demografischen Veränderung weniger Menschen einen größeren Kuchen teilen können, womit die Kuchenstücke für die Einzelnen größer sind. (Zuruf von der LINKEN: So ist es!) Das ist die Realität aufgrund der Demografie, und diesen Fakt nehmen Sie nicht zur Kenntnis. Herr Fuchtel, die Produktivitätsentwicklung ist stärker und dynamischer als die Entwicklung der Bevölkerungszahl. Das Problem ist allerdings, dass sich die Produktivitätsentwicklung nicht mehr in den Löhnen widerspiegelt; darauf hat Frau Ferner hingewiesen. Da sich die Produktivitätsentwicklung nicht mehr in den Löhnen widerspiegelt, haben wir kein Problem mit der Demografie, sondern ein Problem mit der Gerechtigkeit und der Verteilung. (Beifall bei der LINKEN) Das ist das eigentliche Thema, wenn es um die Rente geht. Das Zweite, was ich Ihnen sagen muss: Sie haben die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie als Grund dafür angeführt, dass die Rentner verzichten müssen, und von ein paar Milliarden Euro gesprochen. Es tut mir leid, aber wenn ich sehe, was wir hier für die Banken, für die Rettung des Euros und sonst noch beschließen, (Elke Ferner [SPD]: Mövenpick!) dann muss ich sagen: Die höheren Ausgaben, die wir in diesem Zusammenhang für die Rente hätten, sind Peanuts. - Deshalb möchte ich sagen: Es geht hier in dieser Debatte um die soziale Gerechtigkeit und nicht um die Steigerung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie. Das müssen Sie berücksichtigen. Ich habe kein einziges Argument und auch keine einzige Zahl von Ihnen gehört - auch aus Ihrer Antwort auf unsere Anfrage geht das nicht hervor -, womit Sie begründen könnten, dass die Rente mit 67 richtig ist. (Beifall bei der LINKEN - Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das war eine Kurzintervention zu zwei Reden!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Fuchtel möchte nicht reagieren. (Elke Ferner [SPD]: Sensationell! Wenn er nicht ablesen kann, dann sagt er nichts!) Deswegen gebe ich dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb für die FDP das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Ferner, ich habe bei Ihrer Rede vermisst, zu hören, wie Sie es jetzt mit der Rente mit 67 halten; (Elke Ferner [SPD]: Das habe ich Ihnen doch gesagt!) denn der Wahrheit zuliebe muss man hier einmal festhalten: Die Rente mit 67 ist die Erfindung eines SPD-Ministers gewesen. (Anton Schaaf [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! - Elke Ferner [SPD]: Das ist eine Lüge! Sie lügen, ohne rot zu werden!) - Ich war zwar nicht dabei, aber es ist damals umfangreich dokumentiert worden, dass Franz Müntefering vor einer Kabinettssitzung nachdrücklich auf die Kanzlerin eingewirkt hat, mit dem Ziel, eine Erhöhung des Regelrenteneintrittsalters herbeizuführen. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Starker Arbeitsminister! Er konnte das! - Elke Ferner [SPD]: Unsinn!) - Frau Kollegin Ferner, wenn das anders war, dann können Sie das hier ja erklären. Meine Erinnerung ist so, und deswegen hätte es Ihnen als SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag gut angestanden, entweder zu sagen: "Wir halten weiter an unserer damaligen Erkenntnis fest", (Otto Fricke [FDP]: Weil es gut war!) oder zu sagen: "Wir sind davon abgerückt". - Es wäre nicht überraschend, wenn Sie davon abrücken würden, weil Sie ja versuchen, wenn ich das richtig sehe, die gesamte Agenda 2010 Zug um Zug zurückzunehmen. Ihrer Urheberschaft werden Sie hier aber nicht ledig. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kolb, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ferner zulassen? Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Selbstverständlich, ja. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Elke Ferner (SPD): Ich bin so nett und verlängere Ihnen Ihre Redezeit. - Ich stelle Ihnen eine kurze Frage, die Sie auch ganz kurz beantworten können. (Otto Fricke [FDP]: Nein, das kann er selber entscheiden!) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ja, mal schauen. Elke Ferner (SPD): Stimmen Sie mir zu, dass im Wahlprogramm der CDU und der CSU im Jahre 2005 das Thema "Anhebung des Renteneintrittsalters" stand und im Wahlprogramm der SPD nicht? (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das ist kein Gegenargument! - Otto Fricke [FDP]: Das ist ja noch schlimmer! Das ist ja wie bei der Mehrwertsteuererhöhung!) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Frau Kollegin Ferner, ich habe nicht die Wahlprogramme aller Parteien der vorletzten Bundestagswahl im Kopf. Das hat keiner hier in diesem Hause; das muss man ehrlicherweise sagen. Ich weiß aber noch, wer wie abgestimmt hat, bevor die Rente mit 67 ins Bundesgesetzblatt aufgenommen wurde: (Elke Ferner [SPD]: Danach habe ich nicht gefragt!) Die SPD und die Union haben dafür gestimmt, die FDP und andere Fraktionen in diesem Haus haben dagegen gestimmt. - Das war so, und daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. Sie bleiben hier also verhaftet, ob Sie das wollen oder nicht. (Elke Ferner [SPD]: Das habe ich auch nicht bestritten!) Ich will jetzt gerne auf den Antrag der Linken zu sprechen kommen. Herr Kollege Ernst, Sie haben hier eine Situationsbeschreibung hinsichtlich der Erwerbsteilhabe älterer Menschen vorgenommen. Als Momentaufnahme ist sie natürlich richtig. Man muss aber auch sagen: Sie ist natürlich auch das Ergebnis politischer Entscheidungen der Vergangenheit, und wir sind im Moment dabei, umzusteuern. Wir haben die Möglichkeit, in geförderte Altersteilzeit zu gehen, abgeschafft. Das wird perspektivisch natürlich zu einem deutlichen Anstieg der Erwerbsbeteiligung in dieser Altersklasse führen. Diejenigen, die schon vor wenigen Jahren in Altersteilzeit gegangen sind, kommen in der aktuellen Statistik aber natürlich nicht vor. (Elke Ferner [SPD]: Sie sind doch im Arbeitsverhältnis!) - Ja, sie sind nicht mehr dabei. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das erhöht den Anteil der Quote!) - Ja, den Anteil der Quote, aber trotzdem sind sie aus dem Erwerbsleben bzw. aus der aktiven Phase ausgeschieden; das muss man doch sehen. Deswegen ist es wichtig und richtig gewesen, dass wir hier jetzt einen Paradigmenwechsel vorgenommen haben. In den letzten Jahren war es in den Betrieben angesagt, ältere Arbeitnehmer irgendwie in den vorgezogenen Ruhestand zu schicken. Wir halten das für falsch. Wir haben das schon immer für falsch gehalten, weil ältere Arbeitnehmer Erfahrungsträger sind. Sie haben eine hohe soziale Kompetenz und technisches Wissen. Sie sind für die Unternehmen unverzichtbar. Deswegen habe ich schon vor Jahren - das können Sie nachlesen - einen Paradigmenwechsel bei den Managern gerade der DAX-Unternehmen gefordert und darauf hingewiesen, dass wir umsteuern müssen. Ältere Arbeitnehmer müssen die Chance haben, länger dabeizubleiben. Denn die niedrige Erwerbsquote ist auch das konkrete Ergebnis aktiver Entscheidungen in deutschen Unternehmensleitungen gewesen. Das wollen wir ändern. Auf diesem Weg befinden wir uns. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Erwerbsquote nimmt zu. 57,1 Prozent der 55- bis 64-Jährigen sind zurzeit in Arbeit. Damit liegen wir deutlich oberhalb der Lissabon-Ziele. Wir werden den Anteil weiter erhöhen. Denn eines ist klar - das sage ich ohne Wenn und Aber, auch wenn wir damals in diesem Hause gegen die Rente mit 67 gestimmt haben -: Wenn wir länger leben, dann werden wir auch länger arbeiten müssen. (Zurufe von der FDP: Ja!) Fraglich ist nur - darauf haben wir damals schon hingewiesen -, ob man es mit einem festen Renteneintrittsalter angeht, oder ob es besser ist, die Menschen auf der Basis einer eigenen freien Entscheidung möglichst lange im Erwerbsleben zu halten. Es war doch in den Unternehmen so, dass etwa einem 60-Jährigen eingeredet wurde, in den Vorruhestand zu gehen, um einem Jüngeren Platz zu machen, der vielleicht nachrücken würde, was in vielen Fällen aber gar nicht geklappt hat. (Elke Ferner [SPD]: Wer hat denn dies damals beschlossen, Herr Kolb? Da waren Sie Staatssekretär!) Ich glaube, es ist besser, wenn sich der Beschäftigte selbst fragt, ob er mit Anfang 60 noch ein Jahr länger arbeiten möchte, und ihn dann selbst entscheiden zu lassen. Das wird im Ergebnis - das bestätigen Erfahrungen in den skandinavischen Ländern, auch wenn einige Kollegen von den Linken das nicht glauben wollen - zu einer deutlich höheren Erwerbsbeteiligung führen. Unser Angebot an diese Menschen ist: Wir wollen einen flexiblen Übergang gewährleisten. Dabei freue ich mich, Frau Ferner - in diesem Zusammenhang trifft das Sprichwort "Steter Tropfen höhlt den Stein" zu -, dass die SPD offensichtlich einige Teile unseres Konzeptes übernommen hat. Wir wollen, dass man mit 60, wenn man grundsicherungsfrei ist - das ist beileibe keine hohe Anforderung, weil auch die private bzw. betriebliche Altersvorsorge berücksichtigt werden soll; auch für Bedarfsgemeinschaften soll das geprüft werden -, mit einer Voll- oder Teilrente in den Ruhestand gehen kann. Gleichzeitig sollen alle Zuverdienstgrenzen entfallen. Denn es ist nicht nachzuvollziehen, warum jemand, der eine Vollrente bezieht, nach heutiger Rechtslage nur 400 Euro hinzuverdienen kann. Es gibt viele Menschen, die in den Vorruhestand gegangen sind, aber dann feststellen, dass sie gerne noch ein oder zwei Jahre arbeiten würden, und zwar zu einem höheren Verdienst als 400 Euro, weil sie sich noch nicht zum alten Eisen zählen. Das ist derzeit nicht möglich, und das wollen wir ändern. Das ist unser innovativer Ansatz. Wenn es die Mehrheitsfindung in diesem Hause erleichtert, können wir gerne mit einer Verbesserung der Teilverrentungsmöglichkeiten anfangen. Man muss aber ehrlicherweise berücksichtigen, dass der Bürokratieaufwand bei der Berechnung der Zuverdienste bei Teilrenten sehr hoch ist, was die Akzeptanz in der Praxis deutlich reduziert. Warum soll aber nicht jemand, der eine Teilrente bezieht, unbegrenzt hinzuverdienen können? Die Menschen in unserem Land sind längst so weit. Das habe ich auf vielen Veranstaltungen erlebt, auf denen ich unser Konzept erläutert habe. Sie wollen den flexiblen Rentenzugang, und sie wollen als Rentner selbst entscheiden können, wie viel sie noch arbeiten. Das sollten wir den Menschen ermöglichen. Ich komme zum Schluss. Die Altersarmut ist Gott sei Dank derzeit kein Massenphänomen. Es ist kein großes Problem. (Anton Schaaf [SPD]: Es ist ein absehbares Problem!) Aber es verschärft sich. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: 14 Prozent!) Der Normalfall wird aber auch weiterhin ein ausreichendes Alterseinkommen sein, jedenfalls dann, wenn man nicht allein von der gesetzlichen Rente ausgeht, sondern vom Zusammenwirken von gesetzlicher Rente und privater und betrieblicher Altersvorsorge. Ich bitte Sie, die Zahlen im Alterssicherungsbericht 2005 der Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen. Derzeit beziehen 2,5 Prozent der über 65-Jährigen Leistungen der Grundsicherung. Künftig werden es 8 bis 9 Prozent sein. Sie, Herr Strengmann-Kuhn, haben "14 Prozent" dazwischengerufen, das ist ein sehr pessimistisches Szenario. Die richtige Antwort darauf heißt Prävention statt nachsorgender Kompensation. Prävention ist besser. Wir müssen junge Menschen ermutigen, beizeiten eine eigene Zusatzvorsorge über die gesetzliche Rente hinaus anzustreben, und ihnen garantieren, dass sie im Alter davon profitieren, indem ihnen Anrechnungsfreibeträge für private und betriebliche Altersvorsorge gewährt werden. (Elke Ferner [SPD]: Sie müssen erst mal Arbeit haben, Herr Kolb!) Das ist der richtige Weg. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ich sehe, Frau Präsidentin, dass meine Redezeit zu Ende ist. Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Ernst, Ihre Rede hat einmal mehr deutlich gemacht, wo der Unterschied zwischen Ihnen und uns Grünen liegt: Während Sie rückwärtsgewandt und sozialstaatskonservativ zu einem Sozialstaat der Vergangenheit zurückwollen, sind wir der Zukunft zugewandt (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hey! Den Text kenne ich doch irgendwoher!) und wollen den Sozialstaat reformieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir alle leben im Durchschnitt immer länger und leben auch immer länger gesünder. Das ist auch gut so. Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die längere Lebenserwartung führt - neben der gesunkenen Geburtenquote - dazu, dass der Anteil der Alten in der Gesellschaft steigt. Wir stellen uns dieser Herausforderung, während die Linke zurück zum Sozialstaat der 1980er-Jahre will. Die Linke ist die Partei der Vergangenheit - die Grünen sind die Partei der Zukunft! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Heiterkeit bei der LINKEN) Gleichzeitig sind die Grünen auch die Partei der ökonomischen Vernunft. Wir wissen nämlich, dass eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit gleich zwei gute Wirkungen für die Rentenversicherung hat: Auf der einen Seite werden länger Beiträge gezahlt und die Einnahmen der Rentenversicherung gesteigert. Auf der anderen Seite ist eine längere Lebensarbeitszeit gut für die Ausgabenseite, weil weniger lang Renten gezahlt werden. Aufgrund dieser doppelten Wirkung ist eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit besonders effektiv und eine ganz wichtige Stellgröße für die Finanzierung der Rentenversicherung in der Zukunft. Auch das sollten Sie, Herr Ernst, endlich einmal zur Kenntnis nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Und was volkswirtschaftlich gilt, gilt auch für jeden Einzelnen und jede Einzelne. Je länger gearbeitet wird, desto höher sind die Renten. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Haben Sie die Antwort der Bundesregierung gelesen, oder erzählen Sie jetzt Allgemeinplätze?) - Ich habe ja noch ein paar Minuten. Ich habe gerade über den Durchschnitt geredet, wir wissen aber auch, dass nicht jede Person bis zu einem Alter von 67 oder auch nur 65 Jahren arbeiten kann - das beträfe also auch die Rente mit 65, die Sie ja wollen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: 90 Prozent!) Häufig haben gerade diejenigen, die früher in Rente gehen, eine geringere Lebenserwartung. Das sollte auf der rechten Seite des Plenums einmal zur Kenntnis genommen werden. Von diesen Personen mit einer kürzeren Lebenserwartung, die früher in Rente gehen müssen, zu verlangen, dass sie bis 67 arbeiten, wäre in der Tat zynisch. Die Alterung verläuft individuell sehr unterschiedlich. Manche können mit 60 nicht mehr arbeiten, manche können und wollen aber auch noch mit 75 oder älter arbeiten. Johannes Heesters arbeitet sogar noch mit über 100. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und sehr erfolgreich!) Diesen individuellen Unterschieden muss ein Alterssicherungssystem gerecht werden. Das ist für uns eine ganz wichtige Voraussetzung für eine generelle Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Wir wollen deswegen flexible Übergänge in den Ruhestand schaffen, über die die Menschen möglichst selbstbestimmt entscheiden können, Herr Kolb. (Zurufe von der FDP: Jawohl!) Denn wir Grünen sind nicht nur die Partei der Zukunft und der ökonomischen Vernunft, sondern wir sind auch die Partei der Freiheit und Selbstbestimmung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der FDP) Aber im Gegensatz zur FDP wollen wir nicht nur Freiheit und Selbstbestimmung für die Besserverdienenden (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein!) - Sie haben eben in Ihrer Rede schon wieder eine Gruppe ausgeschlossen. Wir dagegen wollen das tatsächlich allen ermöglichen. (Zuruf von der FDP: Das ist das Niveau von Herrn Ernst!) Ich bin deswegen der Meinung, dass wir von einem starren Renteneintrittsalter wegkommen sollten. Warum sollten die Menschen nicht in der Tat selbst entscheiden, wann sie in Rente gehen, ob sie ihre Rente nur teilweise in Anspruch nehmen, ob sie ihre Arbeitszeit sofort ganz reduzieren oder in Stufen? (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gelb wirkt!) Diese Entscheidung sollten wir den Menschen schon früher als mit 67 Jahren ermöglichen. Wir sollten es den Menschen aber gleichzeitig auch ermöglichen - und daran fehlt es im Moment noch -, länger zu arbeiten, und zwar jedem nach seinen Bedürfnissen und jedem nach seinen Fähigkeiten. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Jedem nach seinem Geldbeutel!) Wir wollen es den Menschen ermöglichen, früher - zumindest teilweise - in Rente zu gehen. Gleichzeitig muss es sich auch lohnen, länger zu arbeiten. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie ist das mit den Zusatzverdiensten?) Die skandinavischen Länder haben mit dieser Kombination gute Erfahrungen gemacht - Herr Kolb hat eben schon darauf hingewiesen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch wenn die skandinavischen Länder sonst nicht gerade Ihr Vorbild sind; das muss man auch sagen. Dort gibt es jedenfalls die Möglichkeit, früher in Rente zu gehen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das kommt darauf an, welche Zeitphase Sie betrachten!) - Stellen Sie eine Zwischenfrage, und reden Sie nicht andauernd dazwischen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir unterstützen Sie doch! - Zuruf von der FDP: Wir sind begeistert!) In Schweden gibt es die Möglichkeit, früher in Rente zu gehen. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, länger zu arbeiten. Im Durchschnitt arbeiten die Schweden länger. Länger, aber weniger arbeiten wäre also das Motto. Für uns ist eine stärkere Flexibilisierung des Renteneintritts eine wichtige Voraussetzung für eine generelle Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Von der Bundesregierung haben wir dazu bisher noch nichts gehört. Auch von Ihnen von der FDP habe ich in letzter Zeit keinen Antrag dazu gesehen. Bringen Sie doch einen entsprechenden Antrag ein, dann können wir konstruktiv darüber diskutieren. Für uns ist aber auch wichtig - das unterscheidet uns von der FDP -, dass diejenigen, die früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden, nicht dafür mit einem höheren Armutsrisiko bestraft werden. Wir wollen deshalb eine garantierte Mindestrente - wir nennen das Garantierente - für das Alter, die den Grundbedarf deckt. Wer mehr als 30 Jahre versichert war, muss sich darauf verlassen können, dass er eine Rente erhält, die über dem Grundsicherungsniveau liegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Otto Fricke [FDP]: Mehr als 30 Jahre?) Auch diesbezüglich gibt es von der Regierung nichts außer einem sehr kryptischen Satz in der Koalitionsvereinbarung. Im Gegenteil: Mit ihrem dreisten Griff in die Rentenkasse durch das sogenannte Sparpaket wird die Altersarmut ansteigen. Es handelt sich um über 2 Milliarden Euro. Frau Ferner hat das eben schon angedeutet. Das hat mit Sparen überhaupt nichts zu tun, weil die Ausgaben der Rentenversicherung sogar noch steigen werden und die Ausgaben der Kommunen für die Grundsicherung ebenfalls. Das heißt, bezahlen müssen es die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und die Kommunen. Das Ganze nennen Sie Sparen. Für uns sieht Sparen anders aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Strengmann-Kuhn, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke zulassen? Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Ja. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Otto Fricke (FDP): Herr Kollege, Sie haben darum gebeten, nachzufragen, wenn man etwas, was Sie gesagt haben, nicht nachvollziehen kann oder nicht verstanden hat. Ich möchte, dass Sie mir etwas erklären. Jemand, der 30 Jahre gearbeitet hat, soll nach Ihrem Modell einen Anspruch auf eine Grundrente haben? Habe ich das richtig verstanden? Das heißt, jemand, der mit 16 Jahren angefangen hat, in die Rentenkasse einzuzahlen, hat mit 46 Jahren einen Anspruch auf die Grundrente. Ist es das, was Sie erklären wollen, oder was macht der Betreffende zwischen 46 und dem Renteneintrittsalter? Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Wir sind nicht für die Rente mit 46, um das klar zu sagen. (Otto Fricke [FDP]: Sie sprachen doch von 30 Jahren!) Unsere Vorstellung ist, dass jemand ab 60 eine Teilrente beziehen kann. In Schweden gibt es eine Garantierente ab 65, also ab dem üblichen Renteneintrittsalter. Wir wollen einen Einstieg für die langjährig Versicherten schaffen. Wir wollen denjenigen, die 30 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, ein Minimum garantieren. Ich möchte einen Satz im Koalitionsvertrag anführen, weil er so schön ist: Deshalb wollen wir, dass sich die private und betriebliche Altersvorsorge auch für Geringverdiener lohnt und auch diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhalten, das bedarfsabhängig und steuerfinanziert ist. Alles klar? Warum ist das Ganze so merkwürdig formuliert? Weil sich auch hier Union und FDP wieder nicht einig sind, weil sie unterschiedliche Konzepte haben. Herr Kolb hat das eben angedeutet. Von der CDU/CSU kommt vielleicht nachher noch eine Aussage zur Altersarmut. Was ist die Lösung? Sie bilden wieder einmal eine Kommission, die angeblich 2012 Ergebnisse vorlegen soll. Mehr ist über dieses Geheimgremium bisher nicht zu erfahren. Wir haben eine Kleine Anfrage gestellt. Es wurde nicht geantwortet, wann mit Ergebnissen zu rechnen ist, wie die Kommission zusammengesetzt ist, und es ist nicht zu erfahren, wie der merkwürdige Satz, den ich eben vorgelesen habe, zu interpretieren ist und welche Vorschläge im Einzelnen von dieser Kommission behandelt werden sollen. Also gibt es wieder einmal, wie wir es von dieser Regierung kennen, nichts als heiße Luft und leere Ankündigungen. Kosten soll das Ganze auch nichts - das habe ich einem Bericht der Passauer Neuen Presse entnommen; die weiß offensichtlich mehr als wir -, weder zusätzliche Beitragsmittel noch Steuermittel. Sie müssen mir einmal erklären, wie Sie damit eine armutsfeste Rente finanzieren wollen. Wir Grünen wollen, dass die Rente mit 67 keine Rentenkürzung durch die Hintertür wird. Das wollen wir verhindern. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ist sie doch schon längst!) Deswegen wollen wir sicherstellen - das ist der entscheidende Punkt -, dass diejenigen, die länger arbeiten wollen, dies auch können. Wenn das nicht der Fall ist, dann wäre es in der Tat eine Rentenkürzung durch die Hintertür. Wir haben aber noch etwas Zeit. Die stufenweise Einführung fängt erst im Jahr 2012 an. Die Rente mit 67 gilt für meinen Jahrgang erst im Jahr 2029. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wann waren Sie das letzte Mal in einem Schichtbetrieb?) - Hören Sie mir doch einmal zu! - (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Machen wir!) - Gut, wunderbar. - Wir müssen sicherstellen, dass diejenigen, die länger arbeiten wollen, dies auch können. Das ist eine Frage der Gesundheit und der Arbeitsbedingungen. Deswegen brauchen wir insbesondere eine Gesundheitspolitik, die mehr auf Prävention setzt, damit wir nicht nur länger leben, sondern auch länger gesund bleiben. Wir brauchen Arbeitsplätze, die die Menschen nicht kaputtmachen. Wir brauchen gute Arbeit und nicht Arbeit um jeden Preis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist richtig!) - Das ist richtig, aber dazu hätte ich gerne einige Vorschläge von Ihnen. - Außerdem gehören dazu sowohl alters- als auch alternsgerechte Arbeitsplätze, also Arbeitsplätze, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich die Arbeitsbedingungen und die Arbeitszeit dem zunehmenden Alter der Beschäftigten anpassen. Hier sind vor allem die Arbeitgeber in der Pflicht. Der Jugendwahn, der in vielen Unternehmen immer noch vorherrscht, muss endlich beendet werden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist auch richtig!) Diejenigen, die arbeiten können und wollen, müssen auch einen Arbeitsplatz finden. Wichtig ist also die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Wie die Antwort auf die Große Anfrage zeigt, gibt es hier durchaus Fortschritte: Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an der Gruppe der 60- bis 65-Jährigen hat sich von 2000 bis 2008 immerhin verdoppelt, nämlich von 10,7 Prozent auf 21,5 Prozent. Das ist nicht allzu viel: Nur ein Fünftel der 60- bis 65-Jährigen hat eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Bei den 64-Jährigen sind es gerade einmal - Herr Ernst hat schon darauf hingewiesen - 10 Prozent, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Auch das ist kein großer Fortschritt. Wenn Erwerbstätige und Arbeitslose zusammengezählt werden, sieht man, dass es zwar Fortschritte gibt - die Erwerbsquote der 60- bis 64-Jährigen ist von 21,5 Prozent auf 37,8 Prozent gestiegen; auch das ist immerhin fast eine Verdoppelung -, aber selbst bei den Männern lag die Erwerbsquote immer noch unter 50 Prozent. Das Glas ist also vielleicht gerade einmal halb voll. Es ist noch einiges zu tun, und die Zeit bis 2012 wird in der Tat langsam knapp. Wir Grünen wollen längeres Arbeiten und einen flexibleren Übergang in den Renteneintritt ermöglichen - im Interesse der Menschen und im Interesse der Rentenversicherung. Wir wollen deswegen keine Rückkehr zur Rente mit 65. Eine bedingungslose Zustimmung zur Anhebung der Altersgrenze ab 2012 wird es mit uns aber auch nicht geben. In diesem Sinne sind wir gespannt auf den Bericht der Bundesregierung im November. Wir werden ihn genau prüfen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die Unionsfraktion spricht jetzt der Kollege Paul Lehrieder. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Ernst, es ist jammerschade, dass Sie der demografischen Entwicklung aus Zeitgründen nicht mehr Aufmerksamkeit widmen konnten, als Sie es in Ihrer Rede letztendlich getan haben. Es wäre vielleicht besser gewesen, manche Ihrer Vorbemerkungen hier einfach hintanzustellen und erst einmal auf die Demografie zu schauen. Es ist richtig - Kollege Strengmann-Kuhn hat es bestätigt, auch die Kollegen Vorredner haben es getan -: Wir gewinnen von Generation zu Generation drei Lebensjahre hinzu. Das heißt, Sie werden wahrscheinlich drei Jahre älter als Ihr Vater, Ihre Kinder werden wahrscheinlich älter als Sie selbst. Man kann also von gewonnenen Lebensjahren sprechen. Um der demografischen Entwicklung gerecht zu werden, muss ein Teil der drei gewonnenen Lebensjahre in der Berufstätigkeit verbracht werden. Wir alle kennen rüstige, fitte Rentner. Es gibt auch welche, die mit 60 nicht mehr arbeiten können; auch das will ich nicht verhehlen. Darauf komme ich nachher noch zu sprechen. Kollege Strengmann-Kuhn hat zu Recht auf die Beschäftigungsbedingungen, auf arbeitsmedizinische Aspekte etc. hingewiesen. Es gibt überall positive Beispiele dafür, dass man mit weit über 50 - auch mit 60 oder 70 - noch leistungsfähig ist. Dafür gibt es auch hier im Bundestag Beispiele. In der Partei Die Linke gibt es jemanden, der sich schon zurückgezogen hatte. Einst hat er sich mit seinem Söhnchen auf dem Balkon präsentiert. Als er merkte, dass ihm das eigentlich zu wenig ist, dass er wieder ins Berufsleben einsteigen will, hat er sich wieder zur Verfügung gestellt. Schaue ich mich in dieser Runde um, dann sehe ich dynamische, braungebrannte junge Männer. Ich nehme irgendeinen heraus: Zufällig fällt mein Blick auf Sie, Herr Ernst. Wenn der Kürschner nicht lügt, werden Sie in diesem Jahr 56. Vor wenigen Wochen sind Sie zum Parteivorsitzenden der Linkspartei gewählt worden. Das heißt, auch Sie erwarten natürlich, dass bei Ihnen - Sie befinden sich in der Blüte Ihres Lebens - noch einiges passiert. Das ist in der Bevölkerung insgesamt so. Das sollte man den Menschen, bitte schön, ebenfalls sagen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nehmen Sie mal den Bundeswirtschaftsminister! Seit er 65 ist, läuft der zur Hochform auf!) - Auch bei der FDP gibt es positive Beispiele. Was ich beschreibe, gilt parteiübergreifend. Lieber Herr Kolb, ich danke für Ihren Zwischenruf. Ich erinnere auch an unseren Kollegen Riesenhuber. Es gibt also wirklich fitte, dynamische Personen, die an diesem Podium oft noch mehr Leben entfalten als manche jüngere. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eines verstehe ich nicht, Herr Ernst; ich muss noch einmal auf Ihre Rede eingehen. Sie haben vorhin etwas von einem Zuwachs des BIP in Höhe von 1,6 Prozent erzählt. Der Kuchen, der in 20 Jahren verteilt werden könne, sei automatisch größer; deshalb brauchten wir keine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Sie müssen doch wissen: Der Kuchen wird erst in 20 Jahren von den Beitragszahlern gebacken, die dann auf dem Arbeitsmarkt tätig sind. Um der demografischen Fehlentwicklung gegenzusteuern, zahlen wir jetzt schon 81 Milliar-den Euro aus Steuermitteln in die Rentenkasse ein. Sonst würde es schon jetzt nicht mehr funktionieren. Im selben Atemzug haben Sie gesagt, die Bankenhilfe sei nicht das Richtige gewesen. Ich entgegne: Wenn die Große Koalition vor eineinhalb Jahren nicht so deutlich und kräftig gegengesteuert hätte, wäre ein Wachstum von 1,6 Prozent natürlich völlig illusorisch gewesen. Das muss man fairerweise dazusagen. Sie sprachen davon, dass es immer weiter wächst, vergaßen aber zu erwähnen, dass man die Voraussetzungen für das Wachstum auch sichern muss. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Politik und Wirtschaft - hierauf haben die Vorredner zum Teil ebenfalls schon hingewiesen - stehen auch in Zukunft vor großen Herausforderungen, wenn es darum geht, ältere Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und das System der gesetzlichen Rentenversicherung zu stabilisieren. Die Große Koalition hat hier gerade mit der Rente mit 67 - Müntefering sei Dank; jetzt könntet ihr einmal klatschen, lieber Anton Schaaf - und der Initiative "50 plus" entscheidende Weichen gestellt. Die positiven Effekte dieser Maßnahmen sind eindeutig zu erkennen und mit Zahlen zu belegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) - Danke. Nicht nur die Anfrage der Linken ist groß, auch die Antwort der Bundesregierung auf die immerhin 234 Einzelfragen ist mit 139 Seiten besonders umfangreich. Sehen Sie mir deshalb bitte nach, dass ich mich heute auf die Beschäftigungssituation der Älteren als Schwerpunkt konzentriere. Die in den Antworten der Bundesregierung vorgebrachten Fakten widerlegen das von den Linken in ihrer Einleitung beschworene Schreckgespenst von Arbeitslosigkeit und Armut als Folge der Rente ab 67. Die Bundesregierung legt ihrer Antwort auf diese Anfrage ja auch eine große Zahl sehr aussagekräftiger Statistiken bei - auf immerhin noch einmal 146 Seiten. Ich verweise insbesondere auf die Tabellen auf den Seiten 111, 115, 119 und 125. Kollege Strengmann-Kuhn hat in seiner Vorrede hier bereits einige Zahlen zitiert. Ich lese das nicht noch einmal vor. In dieser Richtung ist schon viel positive Entwicklung festzustellen. Liebe Kollegen von der Linken, schon bei der Abfassung Ihrer Anfrage wussten Sie vermutlich sehr genau, dass das Ergebnis nicht Ihrem Weltbild entsprechen würde. (Lachen bei der LINKEN) Warum sonst schreiben Sie auf Seite 2: "Es ist allerdings zu erwarten, dass die Bundesregierung diese Erkenntnisse" - Altersarmut folgt auf Rente mit 67 - "ignorieren und sich bei der Überprüfung auf ihr genehme Indikatoren konzentrieren wird"? Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Linken sind wieder einmal auf einer Insel isoliert. Das dürfte jedem klar sein, der gestern die Berichterstattung in den Medien verfolgt hat. Liebe Frau Präsidentin, mit Ihrem geschätzten Einverständnis darf ich zitieren: EU-Kommission für späteres Renteneintrittsalter Bei der Vorstellung eines Diskussionspapiers ("Grünbuch") zur Sicherung der Renten- und Pensionssysteme" sagte Sozialkommissar László Andor am Mittwoch, es bestehe jetzt die Wahl, entweder im Ruhestand über ein geringeres Einkommen zu verfügen, die Beiträge zur Altersvorsorge zu erhöhen oder, was er befürworte, mehr und länger zu arbeiten. (Zuruf von der LINKEN: Bis 70!) Das ist eine Tendenz, die europaweit erkannt wird - nur bei den Linken nicht. (Lachen bei der LINKEN) Sogar die Franzosen wagen sich vorsichtig heran und gehen von 60 Jahren auf 62 Jahre. Wozu das führt, haben wir vor wenigen Wochen in diesem Haus diskutiert. Wenn man wie jetzt großzügig Wohltaten verteilt - Griechenland hat das mit seinen Frühpensionierungen ein Stück weit getan -, hat man natürlich in Kürze hier das finanzielle Debakel auszugleichen. Dann besteht für die nächste Generation eben keinerlei Planungssicherheit. In diesem Fall brauchen wir in 20 Jahren über Altersarmut nicht zu reden. Dann haben wir einen Systemwechsel - den Sie möglicherweise wollen, was ich nicht unterstellen will, den aber mit Sicherheit die Mehrheit in diesem Hause - toi, toi, toi! - nicht will. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Toi, toi, toi!) Meine Damen und Herren, aus einem Dokument der EU geht hervor, dass derzeit auf jeden Bürger im Alter von über 65 Jahren vier Bürger im erwerbsfähigen Alter kommen. Bis zum Jahr 2060 droht sich dieses Verhältnis auf eins zu zwei zu verschlechtern. Ferner heißt es, dass zwischen 2001 und 2008 das tatsächliche Renteneintritts-alter im Durchschnitt der 27 EU-Staaten von 59,9 auf immerhin 61,4 Jahre erhöht wurde. Am niedrigsten liegt es in Rumänien mit 55 Jahren, am höchsten in Irland mit 64,1 Jahren. Liebe Kollegen, die Erwerbsquote Älterer hat in den letzten Jahren bereits um über 10 Prozentpunkte zugenommen. Die Vorredner haben schon darauf hingewiesen; ich kann es mir ersparen, das zu wiederholen. Das derzeit gültige Lissabon-Ziel, das eine Erwerbstätigenquote für die Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen von 50 Prozent vorsieht, sollte bis 2010 erreicht werden. Deutschland übertrifft diese Zielvorgabe bereits seit dem zweiten Quartal 2007. Auch bedingt durch das Ende der Frühverrentungspraxis ist die Erwerbstätigenquote bei den über 55- bis 65-Jährigen von 45,4 Prozent im Jahr 2005 auf mittlerweile 57,1 Prozent im vierten Quartal 2009 gestiegen. In absoluten Zahlen: Im Jahresdurchschnitt waren 2008 circa 5,2 Millionen Personen zwischen 55 und 65 Jahren erwerbstätig - gegenüber 4,3 Millionen im Jahr 2000. Zum Vergleich: Die Erwerbsquote, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, nahm von 74,6 Prozent im Jahr 2000 auf 79,8 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2008 zu. Aus Zeitgründen will ich jetzt einen Teil meines vorbereiteten Manuskripts weglassen. Ich darf aber darauf hinweisen: Das Ganze funktioniert natürlich nur, wenn wir dafür sorgen, dass unsere Mitbürger im Alter in ordnungsgemäßen Arbeitsverhältnissen und einigermaßen gesund diese Leistungen erbringen können. Dazu müssen die Arbeitsbedingungen zunehmend alters- und alternsgerecht gestaltet werden. Frau Kollegin Ferner, in dem Punkt haben Sie recht. Vieles von dem, was Sie gesagt haben, war nicht richtig, aber damit haben Sie recht gehabt. Auch der Kollege Strengmann-Kuhn hat das hier zutreffend ausgeführt. (Zuruf der Abg. Elke Ferner [SPD]) - Wir werden im Ausschuss darüber diskutieren. Mit aktivem Arbeitsschutz, gezielter Prävention und entsprechender Arbeitszeit- und Arbeitsplatzgestaltung lässt sich die betriebliche Praxis anpassen. Herr Kollege Ernst, Sie haben danach gefragt, wie ein Dachdecker auf einen anderen Arbeitsplatz kommen soll. In größeren Unternehmen ist es durchaus möglich, andere Arbeitsplätze für Ältere zu finden, im Bereich Lager, Logistik etc. Ich kenne keinen Unternehmer, der, wenn er 10, 15, 20 Leute hat, den Ältesten auf die höchste Dachspitze schickt. Halten Sie unsere Unternehmer nicht für so blöd! Die sind intelligent und passen da schon auf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frau Präsidentin macht sich in meinem Rücken dezent bemerkbar. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, darf aber noch auf eines hinweisen: Herr Strengmann-Kuhn, Sie haben aus unserem Koalitionsvertrag zitiert. Darin steht auch, dass der Bericht der Bundesregierung zur demografischen Lage und künftigen Entwicklung des Landes im Jahr 2011 vorgelegt wird. Dann wird er hier ausgiebig diskutiert. Das ist ein Thema, das uns die nächsten Jahre dauernd beschäftigen wird; da teile ich Ihre Auffassung. Da werden wir in Kontakt bleiben. Da werden wir im Gespräch bleiben. Bis dahin wünsche ich uns allen, die wir hier sitzen, ein gesundes Älterwerden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Anton Schaaf hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Anton Schaaf (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Erinnerung für alle, die gefragt haben, wie die SPD mit der Rente mit 67 umgehen will: Wir haben das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz in Gänze beschlossen und nicht nur diesen einen Punkt. Darin ist die Überprüfungsklausel ein eigener Paragraf. Wir debattieren heute, wie wir mit dieser Überprüfungsklausel umgehen wollen; das ist die entscheidende Frage. (Beifall bei der SPD) Ich habe nun vernommen, wie die Bundesregierung mit dieser Überprüfungsklausel umgehen will, und bin an der Stelle ziemlich erschrocken. Wie gesagt, sie ist Bestandteil eines Gesetzes. Der Staatssekretär hat das Ergebnis dieser Überprüfung aber vorweggenommen, indem er die Rente mit 67 und deren Einführung ab 2012 nicht infrage gestellt, sondern eigentlich gesagt hat: Die wird ab 2012 kommen - unabhängig von dieser Überprüfungsklausel. Das ist das, was wir als Opposition in diesem Hause kritisieren. Wir nehmen Gesetze in Gänze ernst und nicht nur partikular. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Staatssekretär, zum Thema Beitragssätze sollte man sich als Regierungsmitglied sehr zurücknehmen. Im Bereich Gesundheit halten Sie die Beitragssätze und die Belastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber für so wichtig und sagen, da dürfe nicht so viel passieren; gleichzeitig aber will die Bundesregierung die Beitragssätze erst einmal erhöhen. Was Sie bei den Beiträgen für Langzeitarbeitslose zur Rentenversicherung vorhaben, ist nichts anderes als eine Beitragssatzerhöhung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber. Eigentlich war geplant, dass die Schwankungsreserve genutzt wird, um den Beitragssatz zu senken; dazu sollte sie abgeschmolzen werden. Sie werden aber die Beitragssätze für die Rentenversicherung nicht senken können, wenn Sie für die Arbeitslosen kein Geld mehr in die Rentenversicherung einzahlen. Das heißt, Sie nehmen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das Geld, um Ihre Sparpolitik zu finanzieren. Das ist die Tatsache, die dahintersteht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hat die SPD doch auch schon mal gemacht, oder?) Reden Sie mir nicht über Beitragssätze und Beitragssatzstabilität! Das ist nicht in Ordnung! Herr Kolb, wenn ich mich recht entsinne, dann sind, was die Frühverrentung angeht, alle Dämme gebrochen, als Sie in Regierungsverantwortung waren. (Elke Ferner [SPD]: Als er Staatssekretär war!) Die Vorruhestandsmodelle hat die Kohl-Regierung und keine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung auf den Weg gebracht. (Beifall bei der SPD) Sie waren damals als Staatssekretär Mitglied der Bundesregierung. Sie haben die Dämme geöffnet und haben sich anschließend über die Wirkung beklagt. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir waren aber auch die Ersten, die den Kurswechsel einleiten wollten! - Otto Fricke [FDP]: Die einen lernen, die anderen verlernen!) Wie ist denn die Situation auf dem Arbeitsmarkt für die Älteren jetzt tatsächlich? Kann es nicht sein, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, dass das Auslaufen der Vorruhestandsregelungen unmittelbar damit zu tun hat, dass die Beschäftigungsquote Älterer etwas besser geworden ist, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist die Frage nach der Henne und dem Ei!) dass also die Beschäftigungssituation Älterer insgesamt etwas besser geworden ist, weil sie eben nicht mehr so schnell aus den Betrieben hinausgedrängt werden können? Mit der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Situation, die hier zu betrachten ist, hat das aber definitiv nichts zu tun. Der entscheidende Indikator ist doch: Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen unmittelbar aus der Beschäftigung in eine abschlagsfreie Rente? Diese Quote muss man sich genau anschauen. Ich sage Ihnen: Sie tun an dieser Stelle überhaupt nichts. (Beifall bei der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was hat denn die SPD auf den Weg gebracht?) - Herr Kolb, wir haben zum Beispiel die Initiative "50 plus" auf den Weg gebracht, mit der wir die Situation der Älteren deutlich verbessert haben. Sie ist ja auch zum Teil fortgeführt worden. Die Frage ist doch, ob sich die Situation der Älteren tatsächlich verbessert hat. Da hat der Kollege Ernst recht: Die Menschen gehen derzeit mit durchschnittlich 63 Jahren in Rente. Im Moment ist nicht absehbar, was diese Regierung plant, damit man länger im Arbeitsleben verweilen kann. (Elke Ferner [SPD]: Die wissen das selber noch nicht!) Da hilft die Aussage der Ministerin von der Leyen "Wenn jemand 40 Jahre Maurer, Zimmermann oder Müllmann war, dann kann er am Ende noch einmal etwas anderes machen" überhaupt nicht; denn es fehlt eine Aussage darüber, was diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Ende ihres Arbeitslebens anderes machen sollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Etwa die von Ihnen geplante Bürgerarbeit? Vielleicht wollen Sie sie aus diesem Grund einführen. Nein, diese Frage ist noch nicht beantwortet. Sie haben zur Humanisierung der Arbeitswelt keinen einzigen Beitrag geliefert. Auch in Ihrem Koalitionsvertrag finden wir nichts dazu. Dass Menschen bis zum 67. Lebensjahr arbeiten können, ist Grundvoraussetzung für die Einführung eines höheren Renteneintrittssalters. Da bleiben Sie jede Antwort schuldig. Sie lassen die Menschen an dieser Stelle gnadenlos im Stich. Das ist die Realität, die man konstatieren muss. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Frage nach der Altersteilzeit will ich ebenfalls aufgreifen, weil Sie, Herr Kolb, gesagt haben, die Förderung sei jetzt weggefallen und damit sei das Thema Frühverrentung erledigt. Das ist nicht ganz richtig; denn zwei Drittel der genutzten Altersteilzeit entfällt auf die nicht geförderte Altersteilzeit. Das heißt, zwei Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. der Betriebe haben keine staatliche Förderung in Anspruch genommen. Diese Altersteilzeit wird fortgeführt. Der entscheidende Punkt ist aber, dass die nicht geförderte Altersteilzeit vor allem von finanzstarken großen Unternehmen umgesetzt wird. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen brauchen hingegen die geförderte Altersteilzeit, damit Arbeitnehmer flexibel in Rente gehen können. An dieser Stelle haben Sie sich absolut unbeweglich gezeigt. Sie haben gesagt, dass man durch Prävention vor Altersarmut schützen kann. Am besten schützt man die Menschen vor Altersarmut, indem man dazu beiträgt, dass sie während ihres Erwerbslebens vernünftige und anständige Löhne bekommen, von denen man ausreichende Rentenansprüche erwerben kann. (Beifall bei der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Haben Sie noch Zeit für eine Zwischenfrage, Herr Schaaf?) Sie sagen hier aber, wir müssten ermöglichen, dass die Leute privat vorsorgen können. Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen im Alter nicht arm sind, ist aber nicht die private Vorsorge, sondern ein auskömmliches Einkommen in der Zeit des Erwerbslebens. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) An dieser Stelle verweigern Sie sich, wie gehabt, komplett. Ich sage noch einmal - da stimmen wir im Wesentlichen überein -: Das Mindeste, was man machen muss, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Altersarmut zu schützen, ist, jetzt einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb? Anton Schaaf (SPD): Gern, Herr Kolb. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Danke. - Herr Kollege Schaaf, weil ich weiß, dass Sie weg wollen, stelle ich nur eine kurze Zwischenfrage. Würden Sie mir zustimmen, dass man mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro auch nach einem 40-jährigen Erwerbsleben nur einen Rentenanspruch unter Grundsicherungsniveau erwirbt? (Elke Ferner [SPD]: Wenn man sein Leben lang im Mindestlohnbereich arbeitet!) Wenn Sie das bezweifeln, kann ich es Ihnen gerne vorrechnen. Vielleicht haben Sie es selber schon einmal ausgerechnet, sodass Sie die Frage jetzt beantworten können. Anton Schaaf (SPD): Selbstverständlich gebe ich Ihnen recht: Wenn Sie 40 Jahre lang ausschließlich einen Mindestlohn von 8,50 Euro bekommen, dann kommen Sie nicht über das Grundsicherungsniveau. In England gibt es zum Beispiel die Low Pay Commission, die in wenigen Jahren den Mindestlohn bedarfsgerecht deutlich angehoben hat, sodass sich Arbeit für die Menschen lohnt. Wenn allerdings der Mindestlohn 40 Jahre lang nur bei 8,50 Euro liegt, dann wird man sicherlich nicht über das Grundsicherungsniveau hinauskommen. Allerdings ist es so, dass man mit einem Lohn von 8,50 Euro zumindest mehr Rentenansprüche erwirbt (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Als mit 5 Euro oder 3 Euro!) als mit einem Durchschnittslohn von 6 Euro, den viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt bekommen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit Ihrer Lohndumpingpolitik machen Sie doch Folgendes: Sie machen die Menschen, die jetzt zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen, nachher zu Bittstellern. Sie verlagern die Kosten auf die Kommunen, weil im Alter die Grundsicherung gezahlt werden muss, und entlasten damit die Sozialkassen. Das genau ist der Hintergrund. Sie tun das übrigens auch an einer anderen Stelle. Wenn Sie die Zuverdienstgrenzen für SGB-II-Empfänger anheben - das haben Sie ja vor; Sie haben es beschlossen, Herr Kolb -, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist nicht mehr meine Frage!) - nein, das ist nicht mehr Ihre Frage; das stimmt in der Tat -, dann tragen Sie dazu bei, dass die Altersarmut noch einmal deutlich ansteigt, weil ein Teil des Einkommens, das über die Grundsicherung bezogen wird, nicht versicherungspflichtig ist. Das trägt nicht dazu bei, dass man Ansprüche auf die Rentenversicherung erwirbt. Das ist der entscheidende Punkt. Mit einer solchen Maßnahme verringern Sie die zu erwartenden Renten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nehmen Sie davon Abstand. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sorgen Sie lieber dafür, dass diejenigen, die in unserem Land arbeiten, vernünftige Löhne bekommen. Dann sind wir bei der Bekämpfung von Altersarmut einen Schritt weiter. Ich komme zum Schluss. Vor uns liegt eine parlamentarische Auszeit. Ich freue mich sehr darauf, und im Wesentlichen gönne ich es Ihnen allen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Kehren Sie in sich und bessern Sie sich!) Es ist nur schade, Herr Kolb, dass die parlamentarische Auszeit für die Regierungsfraktion nur für die Sommerpause gilt. Viele Menschen in unserem Lande wünschen sich, dass Ihre Auszeit wesentlich länger dauert. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie sind in Eile! Man merkt es!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Pascal Kober hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Mit der roten Krawatte fängt es schon einmal gut an!) Pascal Kober (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf den Beginn der Debatte zurückkommen. Lieber Kollege Ernst, Sie haben den Kolleginnen und Kollegen im Hohen Haus zwei Fragen gestellt. Die eine Frage war, ob wir jemanden kennen, der für 5 Euro zusätzlich zwei Jahre länger arbeiten würde. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Für 5 Euro weniger Einkommen!) - Für 5 Euro weniger Einkommen. - Damit offenbaren Sie, wes Geistes Kind Sie sind. Sie sind ein Linker, (Heiterkeit bei der FDP - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist überraschend! - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Richtig erkannt!) für den es über den reinen Materialismus hinaus in der Welt keinen Sinn gibt. (Lachen bei der LINKEN) Das sehen wir als christlich-liberale Koalition naturgemäß anders. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vielleicht möchten die Menschen arbeiten, weil die Arbeit ihnen Freude macht. Vielleicht möchten die Menschen nicht nur arbeiten, um Geld zu verdienen, sondern weil Arbeit Sinn vermittelt. (Beifall bei der FDP - Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht müssen Menschen wegen des Geldes arbeiten!) Vielleicht möchten die Menschen arbeiten, weil sie in der Gesellschaft Verantwortung für sich und ihre Familien übernehmen wollen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es geht doch gar nicht ums Wollen! Es geht ums Können!) Sie haben eine zweite Frage gestellt, lieber Herr Ernst. Sie haben danach gefragt, was mit jenen Berufen ist, bei denen es schwierig ist, sie aufgrund der hohen körperlichen Belastung über einen längeren Zeitraum auszuüben. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst zulassen? (Sebastian Blumenthal [FDP]: Er hatte heute genug! Das reicht! - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie haben doch nur drei Minuten! Dann bekommen Sie mehr!) Pascal Kober (FDP): Herr Kollege Ernst, das reicht aus, um sich mit Ihrem Antrag auseinanderzusetzen; heute also nicht. (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Sie haben gefragt, was ein Dachdecker im Alter machen soll, ob er zum Beispiel Buchhalter werden soll. Ihre Antwort war: Er kann kein Buchhalter werden. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es gibt schon genug!) Das ist vielleicht richtig, wobei ich meine, dass Sie dem einen oder anderen Dachdecker unrecht tun. Vielleicht möchte er aber Baumaschinenführer werden. (Elke Ferner [SPD]: Wegen der von Ihnen gekürzten Mittel für die BA wird er dann nicht umgeschult! Das ist ja wunderbar!) Wenn wir das Problem der Altersarmut wirklich anpacken wollen, dann müssen wir bedenken, dass Altersarmut unterschiedlichste Ursachen hat und unterschiedlichster Lösungsansätze bedarf. Ein Lösungsansatz wird mit Sicherheit sein, dass wir eine innovativere Berufsbildungspolitik betreiben, als es bisher der Fall war. Unsere Gesellschaft wird lernen, dass man nicht einmal im Leben einen Beruf lernt, sondern vielleicht zwei- oder dreimal im Leben. So weit sind wir noch nicht; aber im Interesse der künftigen Generationen müssen wir solch innovative Konzepte entwickeln und sollten uns nicht mit der Frage aufhalten, ob man das Renteneintrittsalter erhöhen kann oder nicht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen bei den Ursachen für Altersarmut ansetzen, besser heute als morgen. Zu den Ursachen. Altersarmut kann entstehen, wenn während der Erwerbsphase längere Zeiten der Arbeitslosigkeit auftreten. (Elke Ferner [SPD]: Oder wenn das Einkommen prekär ist!) Was müssen wir tun? Wir brauchen eine aktive, wachstumsorientierte Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Dafür steht unsere christlich-liberale Koalition. Dafür haben wir Impulse gesetzt. Die Arbeitsmarktdaten zeigen, dass wir recht haben, dass wir richtig handeln und dass diese Regierung erfolgreich ist, Herr Ernst. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie eine Kommission einsetzen wird, um sich des Themas Altersarmut anzunehmen. (Elke Ferner [SPD]: Aha! Angekündigt!) Wir werden die Ergebnisse dieser Kommission in die Beratungen des Parlaments einbeziehen. Wir werden keine Schnellschüsse machen, sondern kluge Konzepte erarbeiten. (Elke Ferner [SPD]: Das wäre das erste Mal, dass von dieser Bundesregierung ein kluges Konzept erarbeitet wird!) Wir werden uns dieses Problems annehmen und eine Politik für die Menschen machen, die ihnen wirklich hilft. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie immer also! - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann müsst ihr euch beeilen bei den 4 Prozent! Viel Zeit habt ihr nicht mehr!) Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: An den Ergebnissen ihrer Taten sollt ihr sie messen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Matthias W. Birkwald hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Die Linke zur Beschäftigungssituation Älterer bestätigt, was Gewerkschaften, Sozialverbände und wir Linken stets kritisiert haben: Die Rente erst ab 67 ist das eine; tatsächlich bis 67 in Lohn und Brot stehen, ist das andere. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Paar Schuhe. (Beifall bei der LINKEN) Herr Kober, wo sind denn die Arbeitsplätze für Menschen über 60? Die können Sie doch mit der Lupe suchen. Ich sage es noch einmal: Nicht einmal jeder zehnte 64-Jährige ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das Sparpaket für Rentnerinnen und Rentner heißt: Rente erst ab 67. Diese Rentenkürzung müssen wir verhindern. (Beifall bei der LINKEN) Auch die schwarz-gelbe Bundesregierung hält sich eine heilige Kuh, die nicht angetastet werden darf. Sie nennt sie Beitragssatzstabilität. Nach diesem Glauben dürfen die Beiträge zur Rentenversicherung nicht erhöht werden. Im Gegenteil: Sie sollen gesenkt werden. Wie huldigen die Bundesregierungen von Rot-Grün bis Schwarz-Gelb der heiligen Kuh Beitragssatzstabilität? Sie kürzen die Rente, und das gleich dreifach: Erstens. Es gibt weniger Rente für alle; in 20 Jahren wird das Rentenniveau ein Viertel niedriger sein als 1998. Zweitens. Es wird noch mehr Abschläge geben; noch mehr Menschen werden das völlig unrealistische gesetzliche Renteneintrittsalter von 67 Jahren nicht erreichen. Drittens wird es weniger Rente geben, da die Zeit des Ruhestandes gekürzt wird. - Diese Politik des Rentenklaus lehnen wir Linken ab. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt wird es ein bisschen kompliziert. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Verheben Sie sich nicht!) Wer heute in Rente geht, ist durchschnittlich 63 Jahre alt. Das hat Konsequenzen. Wer vor 65 in den Ruhestand geht, erhält weniger Rente. 115 Euro Monat für Monat bis zum Lebensende - so hoch sind die Abschläge schon heute im Durchschnitt. Das heißt bereits jetzt: Ohne die Rente erst ab 67 müssen Rentnerinnen und Rentner in den durchschnittlich 18 Jahren, in denen sie Rente erhalten, wegen der Abschläge auf insgesamt 25 000 Euro verzichten. 25 000 Euro weniger, nur weil das Renteneintrittsalter von 65 Jahren von der Hälfte derer, die in Rente gehen, nicht erreicht werden konnte. Und Sie wollen das Renteneintrittsalter ernsthaft anheben? Erklären Sie das einmal den Betroffenen, zum Beispiel der Chemiearbeiterin, dem Elektriker oder dem Bauarbeiter. Die werden Ihnen etwas husten, und das völlig zu Recht. (Beifall bei der LINKEN) Ihre Politik der Arbeitszeitverlängerung nützt nur der heiligen Kuh Beitragssatzstabilität. Dazu will ich noch etwas sagen: Beitragssatzstabilität wird allein deshalb von Schwarz-Gelb und Rot-Grün nahezu absolut gesetzt, weil damit die Arbeitskosten niedrig gehalten werden sollen; der Staatssekretär hat das vorhin gesagt. Ein Blick auf die durchschnittlichen Lohnkosten zeigt, warum wir recht entspannt sein können: Deutschland liegt mit 32 Prozent sogenannter Lohnnebenkosten deutlich unterhalb des europäischen Durchschnitts von 36 Prozent. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Rechnung würde mich einmal interessieren!) Deswegen sage ich Ihnen: Die Beitragssatzstabilität darf keine heilige Kuh bleiben. (Beifall bei der LINKEN) Herr Kober und Herr Fuchtel, das Stichwort, das immer genannt wird, ist Generationengerechtigkeit. Ich sage: Das ist kein Problem der Generationengerechtigkeit; denn es würde die Beschäftigten nur wenig kosten, wenn es weiterhin bei der Rente ab 65 bliebe. Den Rentenkürzungen wegen der Rente erst ab 67 stehen nicht einmal zwei Weißbier oder drei Pils oder - ich bin Kölner - fünf Kölsch im Monat gegenüber, die sich eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer mit Durchschnittsverdienst in diesen heißen Sommertagen leisten könnte. Die Rente ab 67 wird den Beitrag, den durchschnittlich verdienende Beschäftigte an die Rentenkasse zahlen müssen, um nicht einmal 7 Euro senken. Bevor diese 7 Euro weniger Beitrag für die Rentenkasse für Bier ausgegeben werden können, werden sie im Übrigen durch die 8 Euro Beitragserhöhung für die Krankenkasse, die Herr Rösler will, mehr als aufgebraucht. Heute heißt es im Handelsblatt: Röslers Reform belastet vor allem die Rentner. Kümmern Sie sich bitte einmal darum. (Beifall bei der LINKEN) Das Ganze ist also ein Kuhhandel, und den lehnen wir ab. Im Übrigen bin ich sicher: Jede Enkelin und jeder Enkel wäre bereit, 7 Euro im Monat zu zahlen, damit es für die Großeltern, die Eltern und später auch für sie selbst beim Rentenalter 65 bleiben kann. Da bin ich ganz sicher, Herr Weiß. (Beifall bei der LINKEN) Die Würde des Ruhestands steht und fällt mit der Freiheit von wirtschaftlichen Zwängen. Die Rente erst ab 67 - das gilt auch für die gesamte Ausrichtung der Rentenpolitik der vergangenen 20 Jahre - bringt diese Freiheit zu Fall. Wir alle wissen ganz genau: Wer im Alter zu wenig oder gar kein Geld hat, wird um seinen wohlverdienten Ruhestand gebracht. Wer den Menschen erst ab 67 die volle Rente zugestehen will, befördert Armut und sozialen Abstieg. Die Linke will das Gegenteil. Schauen Sie nach Frankreich. Da ist "Rente erst ab 67" kein Thema. Die Alternativen dort heißen 60 oder 62. Wir wünschen den französischen Kolleginnen und Kollegen viel Erfolg bei ihrem Kampf um die Rente ab 60. (Beifall bei der LINKEN) Auch für Deutschland gilt der kluge Spruch von Bertolt Brecht: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Ich komme zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP: Nehmen Sie die Furcht der Menschen vor Altersarmut und sozialem Abstieg ernst. Folgen Sie dem einfachen Grundsatz: Jeder Mensch hat das Recht, im Alter ein Leben in Würde zu führen. - Verzichten Sie auf die Rente ab 67. Holen Sie diese Kuh vom Eis. (Beifall bei der LINKEN - Pascal Kober [FDP]: Und jetzt ein Kölsch!) - Heute Abend. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Peter Weiß hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist verständlich, dass man in einer politischen Debatte über die Vergangenheit redet. Aber es ist Aufgabe der Politik, zu fragen: Wie packen wir die Zukunft an? (Elke Ferner [SPD]: Dazu hat Herr Fuchtel ja weitgehende Ausführungen gemacht!) Die Vergangenheit war in der Tat dadurch gekennzeichnet, dass in den Personalbüros unserer großen Betriebe Frühverrentungspolitik und Jugendwahn die bestimmenden Themen waren. Aber wenn man die Zukunft meistern will, muss Schluss sein mit Frühverrentungspolitik und Jugendwahn; denn die Aufgaben für die Zukunft sehen anders aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Viele Zahlen können unterschiedlich interpretiert werden. Ich will mich aber auf folgende Fakten beziehen, die jedem klarmachen, dass wir in den kommenden Jahrzehnten eine Veränderung zu erwarten haben: Heute kommen auf 100 20- bis 64-Jährige, also Menschen im Erwerbsleben, 33,8 Personen über 65, also Rentnerinnen und Rentner. Das wird sich in den nächsten Jahrzehnten dramatisch verändern. In 50 Jahren werden auf 100 Perso-nen im Erwerbsleben 63 über 65-Jährige kommen. Gleichzeitig wird die Lebenserwartung erfreulicherweise weiter steigen. Sie wird, so schätzt man, für neugeborene Mädchen gegenüber heute um 6,5 Jahre ansteigen, für neugeborene Jungen um sechs Jahre. - Ich glaube, jeder kann jetzt nachvollziehen, dass man die Gewinne an Lebenszeit und Lebensqualität nicht einfach privat genießen und die daraus folgenden Kosten auf die Allgemeinheit abwälzen kann. Normalerweise sagen die Linken hier im Parlament und auch anderswo, Gewinne würden privatisiert und Verluste sozialisiert, und kritisieren das. In diesem Fall verraten die Linken ihre Ideologie voll und ganz. Herr Ernst und Herr Birkwald sagen, dass sie Gewinne an Lebenszeit privatisieren und die daraus folgenden Kosten sozialisieren wollen. Das ist das Gegenteil von dem, was sie als ihre Politik ausgeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Lächerlich!) Die Auswirkungen dieser Veränderung in unserer Gesellschaft in den kommenden zehn Jahren - sie werden zu einem ganz anderen Bild führen als zu dem, das wir in den vergangenen Jahrzehnten hatten - werden sich auch am Arbeitsmarkt und in der Arbeitswelt niederschlagen. Das geschieht in der Tat schon jetzt. Wir Deutschen hatten in der Vergangenheit eine grottenschlechte Beteiligung älterer Menschen am Erwerbsleben, weil man sie aus den Betrieben herausgedrängt hat. Im ersten Quartal 2005 lag die Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jährigen bei 44,5 Prozent. Sie ist bis zum dritten Quartal 2009 auf 55,9 Prozent angestiegen; das ist immerhin schon eine Veränderung. Unser Ziel als christlich-liberale Koalition ist es, die Erwerbsbeteiligung Älterer bis zum Ende dieser Legislaturperiode auf mindestens 60 Prozent anzuheben und damit zu den in diesem Bereich erfolgreichen Staaten in Europa zu gehören. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Was ist denn mit den 60- bis 64-Jährigen?) Frau Ferner, Sie haben einfach falsch zitiert; man sollte das Wahlprogramm der CDU, auch wenn man in der SPD ist, richtig lesen. In unserem Wahlprogramm 2005 stand: Wir wollen die Regelaltersgrenze so anheben, wie es die Situation am Arbeitsmarkt zulässt, also wie die Beschäftigungsmöglichkeiten für Ältere steigen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: 67 steht drin!) Deswegen hat sich die Große Koalition dazu entschlossen, die Regelaltersgrenze im Jahr 2029 auf 67 Jahre anzuheben. Damit wird der Geburtsjahrgang 1964 der erste Jahrgang sein, für den die neue Regelaltersgrenze gilt. Warum der Geburtsjahrgang 1964? Weil er der stärkste Geburtsjahrgang ist, den es je in Deutschland gegeben hat. 1964 sind 1,35 Millionen Menschen in Deutschland geboren worden. Das heißt, wir sind auf dem Höhepunkt der demografischen Entwicklung, wenn wir die Rente mit 67 einführen. Zum Vergleich: Wissen Sie, wie viele Kinder letztes Jahr in Deutschland geboren worden sind? Es gab 651 000 Geburten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kinder zahlen aber keine Rente!) Wenn man diese beiden Jahrgänge miteinander vergleicht, den Jahrgang 1964, der erste, für den die Rente mit 67 gilt, und den Jahrgang 2009 - die 2009 Geborenen stehen dann als 21-Jährige im Berufsleben und finanzieren die Rente mit -, dann wird einem klar, dass wir zwingend - nicht weil wir mutwillig sind - Generationengerechtigkeit in Deutschland herstellen müssen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Verteilungsgerechtigkeit!) Gerecht ist, dass die Älteren für eine lebenslange Leistung eine angemessene Rente bekommen. Aber gerecht ist auch, dass wir die Jungen nicht über Maßen mit Steuern und Abgaben belasten. Generationengerechtigkeit ist die Zukunftsaufgabe, der wir uns stellen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Wer hebt denn gerade die Krankenkassenbeiträge an? - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Für die Jungen kürzen Sie die Renten!) - Die Zurufe der Linken zeigen nur eines: Sie reden von Gerechtigkeit; aber das Ergebnis von dem, was Sie wollen, ist Ungerechtigkeit, also das Gegenteil von dem, was Sie sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Elke Ferner [SPD]: Wer schreit, hat unrecht, Herr Kollege Weiß!) Das ist einfach so. Man kann die Zahlen nicht weglügen, auch nicht mit noch so vielen Debatten. (Elke Ferner [SPD]: Man kann sie auch nicht wegschreien! - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sagt der Richtige!) Nun stellen sich unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die erkennen, dass die Entwicklung, die ich dargestellt habe, einer Antwort bedarf, zu Recht eine entscheidende Frage. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ob wir schwerhörig sind! - Heiterkeit und Beifall der Abg. Elke Ferner [SPD]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Strengmann-Kuhn würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Herr Weiß, ist das in Ordnung? Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Lassen wir Herrn Strengmann-Kuhn zu Wort kommen. Bitte. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Herr Weiß, Sie sagen: Zahlen lügen nicht. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Ja. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Nun hat die Regierung im Rahmen ihres Sparpakets beschlossen, Beiträge in Höhe von 1,8 Milliarden Euro nicht mehr an die Rentenversicherung zu zahlen. Das hat aber nicht zur Folge, dass die Renten sinken. In den nächsten Jahren werden der Rentenversicherung jedes Jahr Einnahmen in Höhe von 1,8 Milliarden bzw., wenn man das dazuzählt, was Frau Ferner gesagt hat, über 2 Milliarden Euro fehlen. Welche Konsequenz hat das für die Beitragssätze, und wer zahlt das? Welche Beitragssatzentwicklung sieht die Bundesregierung für die nächsten Jahre? (Elke Ferner [SPD]: So ist es! Es ist wieder etwas beschlossen worden, ohne dass man darüber nachgedacht hat!) Das heißt doch, dass die Beiträge steigen. Sehe ich das richtig oder falsch? Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Strengmann-Kuhn, Beiträgen stehen eines Tages Ausgaben gegenüber. Das wissen Sie ganz genau. Ich glaube, das Entscheidende ist Folgendes: Wir sollten erstens feststellen, dass die Deutsche Rentenversicherung eine gute Rücklage hat. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Noch! - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wollen Sie die aufbrauchen?) - Wir wollen sie nicht aufbrauchen, sondern wir wollen, dass sie in Zukunft wieder steigt. Sie wird aufgrund der Krise etwas abnehmen. Wir wollen, dass sie wieder steigt. (Elke Ferner [SPD]: 10 Milliarden Euro in vier Jahren!) Das Zweite ist: Der um 1,8 Milliarden Euro reduzierte Bundeszuschuss für die Rente, also Zuschuss aus Steuermitteln, führt dazu, dass keine entsprechenden Rentenansprüche entstehen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau! Weil Sie den Leuten die Rente klauen!) Ich glaube aber, dass für die Arbeitslosengeld-II-Bezieher Folgendes entscheidend ist - ich sage jetzt einmal, was wir machen werden -: Wir werden die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II weiter als Anrechnungszeiten in der Rentenversicherung vorsehen und verankern. (Elke Ferner [SPD]: Aha! Das ist ja mal eine Aussage!) Das heißt, Arbeitslosengeld-II-Beziehern wird auch in Zukunft der Zugang zur Erwerbsminderungsrente, zu sozialer Rehabilitation und - für langjährig Versicherte - zur Rente nach Erreichen einer Versicherungszeit von 35 Jahren ermöglicht. Wir sorgen dafür, dass für diejenigen, die es am Arbeitsmarkt am schwersten haben, weil sie krank oder behindert sind - die zum Beispiel Erwerbsminderungsrente beantragen müssen -, auch in Zukunft der Schutz der Rentenversicherung in vollem Umfange erhalten bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Sie schicken sie im Alter in die Grundsicherung! - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das war aber nicht die Frage! Die Frage war eine ganz andere!) Nun wird, wie ich finde, zu Recht die Frage gestellt: Ist denn längeres Arbeiten überhaupt möglich, selbst wenn man will? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gute Frage, ja! Schlechte Antwort!) Die erste Voraussetzung dafür ist, dass sich in den Personalbüros unserer Betriebe Grundlegendes ändert und es älteren Beschäftigten ermöglicht wird, länger zu arbeiten. Ich will einige Punkte nennen, wo sich in der Personalpolitik unserer Betriebe noch Entscheidendes ändern muss: Erstens. Weiterbildung muss über das ganze Berufsleben hinweg möglich sein, nicht nur in jüngeren Jahren. Was die berufliche Weiterbildung anbelangt, gehört Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienationen eher zu den schlechteren Ländern. Zweitens: Gestaltung moderner, gesundheitsgerechter Arbeitsplätze, weitere Fortschritte bei der Humanisierung der Arbeitswelt, (Elke Ferner [SPD]: Da sind Sie immerhin schon weiter als Ihre Regierung!) besserer Arbeitsschutz, bessere betriebliche Gesundheitsvorsorge und auch die Entwicklung neuer Arbeitsformen, die auf die Erfordernisse eines älteren Arbeitnehmers besser eingehen, als das heute der Fall ist. Es muss auch ein Stück weit zu mehr Flexibilität kommen. Das heißt, es geht um die Schaffung von Möglichkeiten, gegen Ende des Berufslebens die Arbeit schrittweise zu reduzieren und dafür vorher rechtzeitig Arbeitszeit anzusparen, zum Beispiel durch Lebensarbeitszeitkonten. Auch ich bin der Auffassung: Die Perspektive muss nicht unbedingt sein, dass man bis zum Renteneintritt 150-prozentig durchpowert. Damit diese neue Personalpolitik in unseren Betrieben in Gang kommt, hat die Bundesregierung - übrigens schon zu Zeiten eines sozialdemokratischen Arbeitsministers - eine Reihe von Initiativen gestartet, die ich aufzählen möchte: (Elke Ferner [SPD]: Was hat denn diese Bundesregierung gemacht?) die Initiative Neue Qualität der Arbeit - INQA -, die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie, das Programm "Perspektive 50 plus", das wir übrigens im nächsten Jahr auf ganz Deutschland ausdehnen wollen, und das Projekt "Lebenslang gut arbeiten" des Bundesforschungsministeriums. Unternehmen, die an diesen Modellprogrammen teilnehmen, verzeichnen erstaunlich positive Ergebnisse; etliche von ihnen sind in den letzten Jahren als Deutschlands beste Arbeitgeber ausgezeichnet worden. Der Altenbericht der Bundesregierung zeigt, dass man mittlerweile in diesen Personalbüros umgelernt hat. Da wird die Bedeutung des Erfahrungswissens älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für den wirtschaftlichen Erfolg höher eingeschätzt als die Bedeutung der Innovationsfreude der Jüngeren. Deswegen gilt: Eine älter werdende Gesellschaft verursacht nicht nur Probleme; sie ist auch eine Chance. Wir wollen politische Voraussetzungen dafür schaffen, dass diese Chance genutzt wird. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Josip Juratovic hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Debatten um die Erhöhung des Renteneintrittsalters werden gewöhnlich sehr hitzig, oft leider auch sehr einseitig geführt. Das Thema ist aber viel tiefgründiger als allein die Frage, wann wir in die Rente kommen. Vielmehr ist die wichtigste Frage: Wie erreichen wir das Rentenalter, und können wir von dieser Rente anständig leben? Bevor ich in den Deutschen Bundestag kam, habe ich unter anderem sieben Jahre lang am Fließband gearbeitet. Ich war in der Lackiererei eines Automobilunternehmens beschäftigt. Auch wenn sich die Arbeit dort inzwischen verändert hat - vieles wurde automatisiert -, weiß ich, dass ich diese Arbeit aus unterschiedlichen Gründen nicht bis zum Alter von 67 hätte verrichten können. So geht es vielen Arbeitnehmern. Leider entscheiden die wenigsten Menschen in unserem Land tatsächlich nach freiem Willen darüber, wann sie in Rente gehen. Wenn sie vorzeitig in Rente gehen, dann tun sie das nicht, weil sie keine Lust mehr haben, zu arbeiten, sondern sie hören früher auf, weil sie mit dem Leistungsdruck nicht mehr zurechtkommen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viele einfache Tätigkeiten sind von den Unternehmen ausgelagert oder wegrationalisiert worden. Ältere Arbeitnehmer haben daher keine Schonarbeitsplätze mehr. Durch Maßnahmen wie den Kontinuierlichen Verbesserungsprozess im Quadrat, den sogenannten KVP2, gibt es eine enorme Leistungsverdichtung in den Betrieben. Dies hat in den letzten Jahren durch den vermeintlichen Wettbewerbsdruck permanent zugenommen. Die Auslastung liegt in vielen Unternehmen inzwischen bei über 95 Prozent. Das bedeutet, dass ein Arbeitnehmer bei einer ein- bis zweiminütigen Taktzeit bis zum nächsten Takt gerade einmal drei bis sechs Sekunden ohne Tätigkeit ist. Diese Auslastungsoptimierung bringt die Arbeitnehmer häufig an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Zudem gibt es ständige Versuche seitens der Unternehmen, die Erholzeiten zu verkürzen. Viele Arbeitnehmer leiden daher unter psychischem Druck. Erstens kommt dies durch die Leistungsverdichtung, zweitens durch die oft nicht ausreichende Qualifizierung und drittens auch durch Belastungen des Arbeitsklimas. Wenn ein älterer Arbeitnehmer nicht mehr so schnell arbeiten kann, haben die jüngeren Kollegen keine Kapazität mehr, um das auszugleichen. Die Älteren leiden somit auch unter dem Druck ihrer jüngeren Kollegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind die Schattenseiten unserer schönen, modernen, hellen und durchorganisierten Produktionsstätten. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Leider müssen wir feststellen, dass die Arbeitswelt in den letzten drei Jahren nicht mehr, sondern weniger altersgerecht geworden ist. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Leider richtig!) Das bedeutet, wir sind noch weit davon entfernt, dass die Menschen tatsächlich länger arbeiten können. Deshalb klingt "Rente mit 67" für meine Kollegen wie eine Rentenkürzung. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Haben Sie damals eigentlich zugestimmt? Sie leiden wohl unter temporärer Amnesie!) Denn sie wissen, dass sie unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen nicht bis 67 arbeiten können, auch nicht bis 65 und oft nicht einmal bis 60. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters bedeutet für sie somit, dass sie höhere Abschläge in Kauf nehmen müssen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Genau! - Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) Meine Damen und Herren, leider werden mittelfristig noch viele Kolleginnen und Kollegen nicht bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter arbeiten können. Deshalb müssen wir politische Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel die Weiterentwicklung der Altersteilzeit, eine Teilrente, gleitende Übergänge in die Rente und einen verbesserten Erwerbsminderungsschutz. Erst wenn diese Probleme gelöst sind, ist die Rente mit 67 keine Rentenkürzung, sondern das, was sie sein soll: die Sicherung der Finanzierung unserer Renten im Hinblick auf den demografischen Wandel und veränderte Erwerbsbiografien. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Zustimmung zum Gesetzentwurf zur Einführung der Rente mit 67 hatte ich 2007 mit einer persönlichen Erklärung gemäß § 31 GO verbunden. Die Punkte, die ich in meiner damaligen persönlichen Erklärung aufgeführt habe, sind leider aktueller denn je. Wir brauchen altersgerechte Arbeitsplätze; darunter fallen die bereits angesprochenen Schonarbeitsplätze, die möglicherweise auch subventioniert werden müssen. Wir müssen ab dem 55. Lebensjahr gleitende Übergänge in den Ruhestand ermöglichen; dazu gehören die Altersteilzeit und flexible altersgerechte Arbeitszeiten. Wir müssen neue Wege im präventiven Gesundheitsschutz gehen. Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Krankenkassen müssen Konzepte entwickeln, wie Arbeit am gesündesten zu organisieren ist. Bereits bei der Planung müssen Arbeitsplätze für die leistungsgewandelten und älteren Arbeitnehmer berücksichtigt und eventuell staatlich gefördert werden. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen Qualifizierungsmöglichkeiten nicht nur, aber auch für ältere Arbeitnehmer schaffen. Und wir müssen den Zugang zur Erwerbsminderungsrente sichern. Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mir nicht anmaßen, für alle Arbeitnehmer in allen Lebenslagen zu reden. Aber leider haben weder die Betriebe, jedenfalls in den meisten Branchen, noch die Politik die letzten drei Jahre genutzt, um unsere Arbeitswelt altersgerechter zu gestalten. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Davon hatten Sie übrigens zwei Jahre die politische Verantwortung! Was sagen Sie denn dazu?) Wir haben das Gesetz, wie gesagt, 2007 beschlossen. In der betrieblichen Realität ist seitdem aber fast nichts geschehen. Wir müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auffordern, zu handeln. Wettbewerb und gute Arbeit müssen in Einklang gebracht werden. Dazu müssen aber auch wir in der Politik handeln. Wir brauchen gesetzliche und finanzielle Vorgaben, um die Arbeitswelt zu verändern. (Beifall bei der SPD) Kolleginnen und Kollegen, das zeigt, dass es nicht reicht, nur für ein Umdenken zu sorgen, sondern wir müssen nach Modellen suchen, damit die Rente mit 67 keine Rentenkürzung ist. Zurzeit ist das leider die betriebliche Realität. Wir müssen unser Handeln daran messen lassen, dass die Menschen gesund in Rente gehen können und dass sie von der Rente anständig und in Würde leben können. Übrigens, Herr Kolb, das war das Ziel von Arbeitsminister Franz Müntefering. Darauf werden wir im anstehenden Bericht der Bundesregierung, der durch die Revisionsklausel nötig ist, sehr genau achten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und eine erholsame Urlaubszeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Johannes Vogel für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will auf den Ausgangspunkt der Debatte eingehen, nämlich die Große Anfrage der Linken. Lieber Herr Birkwald, ich glaube, an zwei Stellen gehen Sie ein Stück weit von falschen Annahmen und falschen Voraussetzungen aus. Wir sollten zuerst über die Grundlagen reden, über die wir hier diskutieren. Wenn Sie in Ihrer Großen Anfrage "vor dem Hintergrund fortdauernder Arbeitslosigkeit und der schlechten Arbeitsmarktsituation Älterer" schreiben - das haben Sie eben noch einmal wortreich ausgeführt -, dann bin ich bei Ihnen, wenn es darum geht, die Situation zu verbessern. Aber wir müssen feststellen, dass dieser Weg schon beschritten wird; denn es gibt einen kontinuierlichen Anstieg der Beschäftigung Älterer. Heute gibt es doppelt so viele 60- bis 65-jährige Beschäftigte wie vor zehn Jahren. Das ist erst einmal eine gute Nachricht; das sollten wir festhalten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Leider gehen Sie daneben auch beim demografischen Wandel ein Stück weit von falschen Voraussetzungen aus, oder Sie verstehen vielleicht die Herausforderungen einfach falsch. Herr Ernst, Sie haben eben gesagt, dass Sie den demografischen Wandel sehr wohl berücksichtigen. Aber Sie sprechen in dem Papier "Positionen zum demografischen Wandel und die Konsequenzen für die Linke" auf Ihrer Homepage von einer "Demografiekampagne" des gesamten restlichen Deutschen Bundestages, von Schwarz bis Grün, und das sei nur deshalb passiert, um die Menschen vom Sozialabbau zu überzeugen. Mir scheint, dass Sie die Herausforderung, die Realität, dass sich unsere Gesellschaft wandelt, dass die Menschen älter werden und dabei im Schnitt fitter bleiben und dass es mehr Ältere und weniger Jüngere gibt, einfach nicht verstanden haben. Dass Sie dann nicht zu guten Schlüssen kommen, verwundert mich nicht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal was zu meinem Argument von vorhin! Sagen Sie doch mal was Neues!) Die Herausforderung besteht darin, dass wir die Sozialsysteme - es ist gut, dass das eingeleitet wurde - umbauen müssen. So haben wir zum Beispiel bei der Rente eine kapitalgedeckte Säule eingeführt. Natürlich musste auch das Renteneintrittsalter erhöht werden. Wenn die Menschen älter werden und dabei fitter bleiben - es geht nicht um diejenigen, die heute alt sind, sondern zum Beispiel um meine Generation -, dann ist es ganz logisch, dass sie länger arbeiten müssen. Wir müssen dann natürlich dafür sorgen, dass die Menschen auch Jobs in den Unternehmen bekommen. Die Herausforderung für uns in der Politik besteht deshalb darin, mehr für lebenslanges Lernen sowie für Weiterbildung und Qualifikation zu tun. Daher ist der erste Schritt, die jahrzehntelange Kultur der Frühverrentung zu beenden. Wir haben die Regelung betreffend die geförderte Altersteilzeit auslaufen lassen, weil sie zu Frühverrentungen geführt hat. Das ist der richtige Schluss. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es tut sich aber auch schon etwas in der Wirtschaft. Nach einer Umfrage des IW wandelt sich die Einstellung der Führungskräfte in den Unternehmen gegenüber älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Herausforderung ist, diesen Weg fortzusetzen. Man darf nicht, wie Sie, Herr Ernst, es wollen, zu einer Politik der Frühverrentung zurückkehren. Das ist rückwärtsgewandt. Ich habe mich sehr gefreut, dass aus der Opposition auch Herr Strengmann-Kuhn für die Grünen ausgeführt hat, dass wir den Weg, den wir eingeschlagen haben, weitergehen müssen. Ich sage für meine Fraktion: Wir müssen es flexibler machen. - Herr Ernst, wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja, gerne!) - Bitte, gern. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, das geht nicht, wenn Ihre Redezeit bereits vorbei ist. Es war aber einen Versuch wert. (Heiterkeit) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Herr Ernst, es tut mir sehr leid, aber ich freue mich auf eine Kurzintervention. (Heiterkeit) Darf ich noch einen Satz zur SPD zu Ende ausführen? Der Kollege Schaaf hat uns eben vorgeworfen, die FDP selber habe die Politik der Frühverrentung in den 90er-Jahren vorangetrieben. Herr Kolb hat darauf hingewiesen - Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): - das ist der letzte Satz -, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Schon wieder. Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): - dass wir diese Politik auch beendet haben. Wenn man sich anschaut, wie Sie mit dem Thema Rente mit 67 umgehen, dann erkennt man den Unterschied: Wir kehren um, wenn etwas falsch gelaufen ist. Sie kehren um, wenn etwas richtig gelaufen ist. Das wird die Menschen nicht überzeugen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zuruf von der LINKEN: Kehrt um und tut Buße!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die Unionsfraktion hat der Kollege Frank Heinrich das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frank Heinrich (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mein Kollege Weiß hat es vorhin gesagt: Es ist keine Stichtagsregelung, aber es gibt einen Jahrgang, für den die Regelung am Schluss erstmalig gilt. Ich habe nicht nur in meiner Stadt, sondern, ich vermute, auch deutschlandweit genau das Durchschnittsalter der Deutschen. Ich bin einer aus diesem Jahrgang 1964, (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Aha!) und ich werde damit zu den Ersten gehören, die in den Genuss der 67-Jahre-Regelung kommen. Ich bin ein Stück weit froh darüber; denn ich halte das auch für ein Signal. Ich halte das für ein Signal nicht nur dafür, dass ich erst mit 67 Jahren in Rente gehe, sondern auch dafür, dass ich eine Chance bekomme, zu arbeiten, bis ich 67 Jahre alt bin. Herr Juratovic hat es gesagt: Ja, wir müssen Bemühungen hinsichtlich der zukünftigen Arbeitsgestaltung unternehmen. - Vorhin wurde aber auch gesagt, dass es erst in 20 oder 25 Jahren so weit ist, je nachdem, wen es wann trifft. Ich sage: Ich bin ein Stück weit stolz darauf, dass wir jetzt damit anfangen, das zu planen. Es ist ja nicht so, dass wir das in den nächsten Jahren einfach vernachlässigen werden. Ich gehöre diesem Jahrgang an, und ich bin einverstanden mit dieser Regelung; ich bin sogar froh darüber. Durch viele Studien wird belegt, dass sich unsere Gesellschaft schon im Wandel befindet. Herr Kolb, Sie haben das gesagt: Die Leute haben verstanden, dass sie sich darauf einstellen müssen. - Das gilt auch für die Betriebe. Ich höre es eigentlich nicht so gerne, dass sich die Betriebe nicht umstellen. Das ist nicht wahr. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: 80 Prozent sehen das anders! Sie sehen das nicht so wie Sie!) In meinem Umfeld sind die Betriebe aufmerksam geworden, und sie haben ja auch noch ein bisschen Zeit, sich umzustellen, nämlich so lange, bis diese Regelung greift. Man sollte nicht polemisch über dieses Thema reden, also nicht mit plakativen Formeln, wie ich sie auch in vielen Fragen dieser Großen Anfrage gesehen habe. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Antworten sind von der Bundesregierung und nicht von uns! - Paul Lehrieder [CDU/CSU], an den Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] gewandt: Aber die Fragen waren von euch! Zuhören!) Ich habe gemerkt: Wenn ich in der Auseinandersetzung mit Bürgern mehrere Sätze dazu sagen und ihnen erklären kann, warum das sein muss, dann ist in unserem Volk sehr schnell eine breite Zustimmung und ein Verständnis für diese Regelung vorhanden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Klaus Ernst [DIE LINKE]: 80 Prozent lehnen sie ab! Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis!) - 80 Prozent lehnen sie ab, wenn sie nur plakativ gefragt werden, wie Sie das sehr oft auch tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir haben es - das haben wir jetzt schon zuhauf gehört - mit sehr groben und starken gesellschaftlichen Veränderungen zu tun; das ist hier im Haus in vielen Debatten klargeworden. Das ist aber auch schon dem Volk klargeworden, und viele bemühen sich und sind dabei, Umstellungen zu treffen. Ich habe ein Problem damit, dass hier immer von Vergreisung und Überalterung gesprochen wird. Ein Kollege von mir aus dem Wahlkreis hat einmal gesagt: Wir sollten das umformulieren und von Entjüngung sprechen, damit das Problem einfach ein Stück weit anders wahrgenommen wird. - Das Diskussionsklima gefällt mir an dieser Stelle manchmal überhaupt nicht. Es gibt eine Zahl, mit der der Hintergrund ein bisschen beschrieben werden kann: Die Bevölkerungszahl in diesem Altersbereich - 55 bis 65 Jahre - wird deutschlandweit um 1 Million steigen. In den neuen Bundesländern, aus denen ich komme, wird sie aber sinken. Genau aufgrund dieser regionalen Unterschiede, die ja nicht nur in diesem Bereich deutlich werden, brauchen wir die heute genannte Flexibilität umso mehr. Wir können nicht einfach nur einen Strich über alle ziehen, sodass alle gleich sind, sondern wir müssen die Chancen für mehr Flexibilität schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In diesem Sinne habe ich auch das gehört, was Sie, Herr Juratovic, gesagt haben. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, um das zu erreichen; hier haben wir noch ein Stück Wegstrecke vor uns. Durch die Antworten wird gezeigt, ohne jetzt auf viele einzelne Fragen und Antworten sowie Zahlen einzugehen, die hier genannt wurden: Der Hauptgrund eins für die Regelung ist - Herr Fuchtel hat ganz am Anfang der Debatte darauf hingewiesen -, dass dies eine wichtige rentenpolitische Maßnahme ist, um die gesetzlichen Beitrags- und Niveausicherungsziele einhalten zu können. Der Hauptgrund zwei dafür ist, dass mit dieser Rente mit 67 dazu beitragen wird, in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen den Generationen die finanzielle Grundlage und die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung nachhaltig sicherzustellen; Herr Weiß hat das sehr deutlich gemacht. Ich möchte, weil ich aus diesen neuen Bundesländern komme, noch einmal ein paar Daten in den Fokus stellen, die hier noch gar nicht genannt worden sind. Die Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage sind sehr deutlich. Ich war überrascht und vermute, dass sie auch den einen oder anderen im Hause überrascht haben: Es gibt eine sehr positive Entwicklung bei den älteren sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, insbesondere in Ostdeutschland. Von Juni 2005 bis Juni 2009 war eine Steigerung in dieser Altersgruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 28,6 Prozent zu verzeichnen; in den neuen Bundesländern waren es 38,3 Prozent. Der Anstieg ist zu knapp zwei Dritteln auf Vollzeitbeschäftigung zurückzuführen. Zudem ist ein überproportionaler Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in den letzten vier Jahren zu verzeichnen. Der Grund dafür ist der Anstieg der Beschäftigung älterer Bürger. Der Bevölkerungsanteil der Beschäftigten in der Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen ist in Deutschland um 7 Prozent gestiegen. In den neuen Bundesländern sind es 10 Prozent. Wow, kann ich dazu nur sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir erleben gerade eine grundlegende Veränderung. Viele der gegebenen Antworten - ich bitte, die in der Großen Anfrage gestellten Fragen noch einmal nachzulesen - zeigen, dass die Entwicklung genau in diese Richtung weist. Eine Zahl noch: Die jährliche Erhöhung der Zahl der Leistungsberechtigten auch in Bezug auf die Grundsicherung geht absolut und prozentual kontinuierlich zurück, auch wenn offensichtlich ein gegensätzlicher Eindruck erzeugt wird. Die Regierung arbeitet darauf hin, im November eine Kommission einzusetzen, die sich mit dem Thema Altersarmut beschäftigt. Der Arbeitsmarkt im Osten ist von einem Ungleichgewicht zwischen einem hohen Arbeitsangebot und unzureichender Nachfrage nach Arbeit geprägt. Laut IAB geht die Differenz zwischen dem Arbeitskräfteangebot und der Nachfrage nach Arbeit in den neuen Bundesländern in den nächsten 15 Jahren sehr stark zurück. Für die Schaffung alters- und alternsgerechter Arbeitsplätze sind allerdings - damit komme ich noch einmal auf einen meiner Vorredner zurück - weitere Anstrengungen nötig. Wir müssen Grips investieren, um dabei zu einer größeren Flexibilität zu kommen. Darin stimme ich Ihnen völlig zu. (Elke Ferner [SPD]: In Grips investieren bei dieser Bundesregierung ist ein Widerspruch in sich!) Die Einstellung älterer Arbeitnehmer, der 50- bis 65-Jährigen, ist seit dem ersten Halbjahr 2005 deutschlandweit um 9 Prozent und um 13 Prozent in den neuen Bundesländern gestiegen. Die kleinen und mittleren Betriebe sind besonders stark daran beteiligt, dass diese Menschen eingestellt werden. Ein Problem dabei ist, dass sich immer noch Bewerbungen von Älteren vor allem bei kleinen und mittleren Betrieben aufstauen, obwohl bereits ein Großteil der Neueinstellungen auf diese Bewerber entfallen. Viele Unternehmen nutzen aber schon heute das Wissen und schätzen die Fähigkeiten der über 50-Jährigen. Das wurde mir von begeisterten Wirtschaftsleuten als auch von Menschen berichtet, die dieser Altersgruppe angehören, zu der ich in wenigen Jahren selber zähle. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) In den kleinen und mittelständischen Unternehmen gibt es einen deutlichen Bewusstseinswandel. Ich komme aus einer Region, die ganz stark davon geprägt ist. Frau von der Leyen wird immer wieder mit ihrer Bewertung dieses Teils unserer Gesellschaft zitiert, die Potenziale darstellen, die wir abrufen können. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir durch Fortbildung und Umstellung der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik noch weit mehr erreichen können. Sie haben in vielen der Fragen die zehn wichtigsten Bereiche angesprochen, in denen Beschäftigung auch für diese Altersgruppe gesucht wird. Vorgestern las ich in einer Hamburger Zeitung von einer Liste genau solcher zehn Bereiche. Sechs dieser Top 10 sind Berufsgruppen, in denen Menschen bis 67 und viele sogar noch länger arbeiten möchten. Da wird krampfhaft gesucht. Ich komme zum Schluss. Sie sagen, ich sei einer der wenigen, die zuversichtlich sind. Ich glaube tatsächlich, dass wir auf einem guten Weg sind und entsprechende Weichen gestellt wurden und dieses Jahr noch gestellt werden. Wir müssen erstens aufmerksam bleiben und, um dieser Altersgruppe tatsächlich gerecht zu werden, entsprechende alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze schaffen bzw. in sie investieren. Zweitens müssen wir mit Blick auf Weiterbildungsmaßnahmen für Ältere aufmerksam werden. In diesem Zusammenhang nenne ich wieder das Wort "Flexibilität" - aber nicht nur Flexibilität des Staates, sondern auch des Bürgers und der Wirtschaft. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Ende. Frank Heinrich (CDU/CSU): Ja, ich komme jeden Moment zum Ende. Ich wünsche mir, dass wir es dann schaffen - so wie bei der Staffelung bei der Rente mit 67 -, nach und nach die Einzelbedingungen zu regeln. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Frank Heinrich (CDU/CSU): Die entscheidenden Begriffe sind: Generationengerechtigkeit und die Notwendigkeiten von Arbeitsmarkt und Sicherungssystemen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 35 a und 35 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der Gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz - AMNOG) - Drucksache 17/2413 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für ein modernes Preisbildungssystem bei Arzneimitteln - Drucksache 17/2324 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verabredet ist es, hierzu eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort dem Bundesminister Dr. Philipp Rösler. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung hat drei wesentliche Ziele und enthält eine große politische Botschaft. Das erste Ziel ist: Wir wollen den Zugang der Patientinnen und Patienten zu den bestmöglichen Medikamenten auch in Zukunft garantieren und sicherstellen. Das zweite Ziel ist: Wir wollen die damit einhergehenden Kosten besser kontrollieren als bisher. Das dritte Ziel ist: Wir wollen den Mittelstand stärken. Forschung soll auch hier weiterhin möglich sein. Wir leisten damit unseren Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung auch und gerade in der Gesundheitswirtschaft. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Darüber hinaus wird mit diesem Gesetz die Unabhängige Patientenberatung dauerhaft gesetzlich abgesichert - auch, aber nicht nur im Arzneimittelbereich. Trotzdem gehört gerade die Unabhängige Patientenberatung in diesen Gesetzentwurf mit hinein. Denn dies führt uns zu der entscheidenden Botschaft dieses Gesetzes, das zwar technisch klingt, aber am Ende den Patientinnen und Patienten nützt und die Versicherten entlastet. Deswegen, meine Damen und Herren, können wir hier festhalten: Dieses Gesetz ist gut für die Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir werden all die angepeilten Ziele erreichen. Künftig wird im ersten Jahr die Vollerstattungsfähigkeit erhalten bleiben - aber eben nicht mehr über die gesamte Patentlaufzeit von 20 Jahren. Erstmalig und neu ist in diesem Gesetz geregelt, dass die Industrie neben dem neuen Medikament immer auch Studien mit vorlegen muss, die den Nutzen oder gegebenenfalls Zusatznutzen wissenschaftlich belegen. Diese Studien werden dann von unabhängiger Stelle, nämlich vom Gemeinsamen Bundesausschuss, überprüft werden. Meine Damen und Herren, wenn die Industrie will, dass ihre Medikamente auch weiterhin bezahlt werden, dann ist sie es den Menschen auch schuldig, solche Studien mit vorzulegen. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter: Wir verlangen auch die Vorlage von Studien, die abgebrochen wurden, also nicht nur von positiven, sondern auch von negativen Studien. Das, meine Damen und Herren, ist im Interesse der Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Diese Studien werden dann die Grundlage für Vertragsverhandlungen zwischen der Industrie und der gesetzlichen Krankenversicherung sein. Erstmalig in der Geschichte ist es damit gelungen, das Preismonopol der Industrie zu brechen. Wir werden damit zu Einsparungen im gesamten Arzneimittelbereich von annähernd 2 Milliarden Euro kommen. Das zeigt, dass wir durch dieses Gesetz die Versicherten finanziell werden entlasten können. Das zeigt auch, dass die gesamte Diskussion, die wir in der letzten Woche geführt haben, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zusammenhängt. Im Übrigen haben wir von Ihnen bisher im Bereich der gesamten gesetzlichen Krankenversicherung herzlich wenige Sparvorschläge gehört. (Elke Ferner [SPD]: Sie sind doch in der Regierung!) - Trotzdem dürfen Sie das Wort ergreifen und Vorschläge machen. - (Elke Ferner [SPD]: Das ist aber nett von Ihnen!) Der Gesetzentwurf zeigt die unterschiedliche Art und Weise, mit der wir an mögliche Einsparungen in der gesetzlichen Krankenversicherung herangehen. Wir müssen unseren Versicherten finanzielle Möglichkeiten eröffnen. Das tun wir durch den Herstellerrabatt und das Preismoratorium. Das wurde teilweise schon mit dem GKV-Änderungsgesetz beschlossen. Wir beschränken uns aber nicht alleine darauf, Kostendämpfungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen, sondern wir kommen zu echten, strukturellen Verbesserungen; denn erstmalig gibt es Vertragsverhandlungen, also ein marktwirtschaftliches Instrument, um zu vernünftigen und fairen Preisen zu kommen. Es zeigt, dass wir es ernst meinen, wenn wir sagen, dass wir den Leistungsanbietern - übrigens in allen Bereichen - nicht immer mehr Geld bieten können. Manchmal müssen wir ihnen sogar Geld nehmen, wie jetzt aktuell im Bereich der Pharmaindustrie. Dafür bekommen sie aber am Ende ein faires System, auf das sie sich dauerhaft werden verlassen können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Damit erreichen wir das Ziel. Die Menschen werden auch künftig die bestmöglichen Medikamente gegen die großen Volkskrankheiten - Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Demenz und Krebs - bekommen, und gleichzeitig wird es besser als bisher gelingen, die Kosten im Interesse der Versicherten im Griff zu behalten. Ich freue mich auf eine angeregte Debatte und bitte um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal will ich mit einem Lob für den besten Teil dieses Gesetzes einsteigen, mit dem ich, ehrlich gesagt, nicht gerechnet hatte. Das verbinde ich mit einem persönlichen Dank an Sie, Herr Zöller. Die Unabhängige Patientenberatung ist in einer Art und Weise im Gesetz verankert, wie ich es bei meiner letzten Plenumsrede zu diesem Thema nicht für möglich gehalten hätte. Sie haben sich durchgesetzt. Dafür muss man ein anerkennendes Wort haben. Mein Dank gilt auch im Namen meiner gesamten Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das ist eine ordentliche Leistung, und die muss anerkannt werden. Leider kann ich dieses Lob nicht auf die restlichen 90 Prozent des Gesetzentwurfs ausdehnen. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Das ist keine Kleinkariertheit, und das ist auch keine Missgunst. Ich will die Ablehnung begründen. Zunächst einmal ist es sehr gut und angemessen, dass dem Minister selbst sein eigener Gesetzentwurf gefällt; aber dieser erntet das Lob nicht in Fachkreisen und auch nicht in den Medien. Weshalb ist das so? Die zentralen Schwächen dieses Gesetzentwurfs liegen auf der Hand. Im ersten Jahr nach der Zulassung werden Preisverhandlungen mit dem Spitzenverband der Krankenkassen geführt. Sie haben überhaupt keine Möglichkeit, auszuschließen, dass die zu erwartenden Preisabschläge, wenn sie jemals kommen, vorher aufgeschlagen werden. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Daher sprechen mittlerweile die Fachpresse und auch zum Beispiel die Leiterin des Referats Arzneimittel im AOK-Bundesverband, Frau Beckmann, vom Teppichhändlereffekt. Es wird so gehandelt werden wie bei den Teppichhändlern. Sie mögen das nicht gerne hören, aber es ist tatsächlich so. Sie werden nachher bemüht sein, den Aufschlag, der jetzt erhoben wird, wieder herunterzuhandeln. Ich sage Ihnen: Wir werden ein Jahr lang höhere Preise als sonst haben, und danach werden wir die normalen Preise haben. Das endet letztendlich mit Mehrkosten, und Sie werden keinerlei Einsparungen erzielen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN - Heinz Lanfermann [FDP]: Er hat das System überhaupt nicht verstanden! - Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Sie haben das überhaupt nicht verstanden!) - Es wäre das erste Mal, dass ich von Ihnen, Herr Lanfermann, in dieser Hinsicht Nachhilfe beziehen könnte. (Heiterkeit bei der SPD - Zurufe von der FDP: Oh! - Heinz Lanfermann [FDP]: So lange Sie nicht verstehen, kann ich Ihnen nicht helfen!) Was ist denn zusätzlich zu erwarten? Sie haben darüber hinaus noch mit erheblichen Mengensteigerungen und mit einer Ausweitung der Indikationen zu rechnen. Sie haben im gleichen Gesetzentwurf die Richtgrößenprüfung geschwächt, und durch eine Schwächung der Richtgrößenprüfung müssen Sie mit einer Ausweitung der Menge und einer Ausweitung der Indikationen rechnen. Somit kommt es zunächst einmal zu einer Ausweitung der Indikationen und der Menge bei steigenden Preisen. Im ersten Jahr haben Sie ja gar nichts in der Hand. Sie müssen überlegen, was das bedeutet. Ich wiederhole: Im nächsten Jahr müssen Sie mit steigenden Preisen, mit einer Ausweitung der Menge und einer Ausweitung der Indikationen rechnen. Der eingeschlagene Weg wird zu Mehrkosten führen. Um das zu erkennen, sind wir doch lange genug im Geschäft. Das ist doch kein Spargesetz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Elke Ferner [SPD]: Macht nichts, das geht alles in die Kopfpauschale!) Ich will einer Legende vorbeugen, die Herr Spahn gleich wieder verbreiten wird. Herr Spahn wird gleich wieder argumentieren, dass diese Koalition wagt, etwas durchzusetzen, wozu wir nie den Mut hatten, nämlich die Kosten-Nutzen-Analyse. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) - Sie müssten eine Sekunde nachdenken. - Die Kosten-Nutzen-Analyse ist doch schon jetzt, während wir sprechen, Gesetz. (Jens Spahn [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Sie schwächen ein bestehendes Gesetz und verkaufen das dann als einen Neubeginn. Die Kosten-Nutzen-Analyse ist nicht so oft angewandt worden, wie man es hätte tun müssen; das ist ganz klar. Das war auch deshalb so, weil der dafür zuständige Institutsleiter, Herr Sawicki, ständig Druck von den Lobbygruppen bekommen hat. Anstatt ihn darin zu unterstützen, diesem Druck standzuhalten, haben Sie ihn gefeuert. Damit haben Sie ein ganz klares Signal gegen die Kosten-Nutzen-Analyse gesetzt. Das ist doch die Wahrheit. (Beifall bei der SPD und der LINKEN - Heinz Lanfermann [FDP]: Eine Märchenstunde hier!) Sie, Minister Rösler, sind doch immer gegen die vierte Hürde gewesen. Ich könnte jetzt zitieren, wie Sie als zuständiger niedersächsischer Wirtschaftsminister gegen die vierte Hürde polemisiert haben. (Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist doch kein Galopprennen hier!) Sie können doch nicht behaupten, dass Sie hier etwas durchgesetzt haben, was durchzusetzen wir uns nicht getraut haben. Die Wahrheit ist: Es war schon Gesetz; Sie sind damals dagegen gewesen. Sie haben jetzt eine abgeschwächte Version durchgesetzt, wodurch zum Schluss kein einziger Euro gespart wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN - Heinz Lanfermann [FDP]: Er versteht es nicht! Hoffnungsloser Fall! - Lars Lindemann [FDP]: Märchenstunde!) - Das ist keine Märchenstunde. Die Kosten-Nutzen-Analyse ist Gesetz. Sie wird jetzt abgeschwächt. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir erweitern durch den Zusatznutzen!) Wir werden uns hier in einem Jahr noch einmal sprechen. Ich sage voraus: Es wird keine Einsparungen geben. Darüber hinaus führen Sie hier eine IGeL-Leistung bei den Arzneimitteln ein. Die von Ihnen hier eingeführte Mehrkostenregel wird darauf hinauslaufen, dass der Versicherte demnächst nur noch die Basiskomponente, das Rabattmedikament - unabhängig davon, ob es erhältlich ist oder nicht - erstattet bekommt und die komplette Preisdifferenz zuzahlen muss. Das wird Ihnen auf die Füße fallen. Der Apotheker wird nämlich immer sagen: Herr Rösler ist schuld, dass Sie die Kosten für das Medikament, das Sie jetzt eigentlich brauchen, nicht mehr erstattet bekommen. Genauso wird es sein. Jeder Apotheker wird sagen: Dieses Medikament kann ich Ihnen leider nicht mehr kostenlos geben; da müssen Sie sich bei Herrn Rösler bedanken; wenn Sie dieses Medikament haben möchten, müssen Sie die Mehrkosten tragen. Die Zuzahlung kann 10 oder sogar 15 Euro betragen. - Erinnern Sie sich an meine Worte! Bei jeder Gelegenheit wird man sagen: Bedanken Sie sich bei Herrn Rösler oder tragen Sie die Mehrkosten; wir können Ihnen nur noch das billigste Rabattmedikament verkaufen. - Sie versuchen das als eine Stärkung der Kunden darzustellen. Ich will Sie hier noch ein letztes Mal daran erinnern: (Jens Spahn [CDU/CSU]: Versprochen?) Der kranke ältere Mensch, der Medikamente nicht beurteilen kann, bedarf der Fürsorge. Er ist kein Kunde. Er kann nicht bewerten, ob er abgezockt wird oder ob es sich wirklich um unterschiedliche Medikamente handelt. Fangen Sie an, den mündigen Kunden im Gesundheitssystem einzuführen! Mündig ist der Kunde dann, wenn er sich zwischen der privaten und der gesetzlichen Krankenkasse entscheiden kann. Schützen Sie nicht die Klientel und machen Sie nicht ausgerechnet den kranken, armen älteren Menschen zum Spielball der Interessen der Apotheker und der Pharmaindustrie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Heinz Lanfermann [FDP]: Das war nicht so toll, Herr Lauterbach! Wirklich nicht!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jens Spahn für die Unionsfraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Jens Spahn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns zum dritten Mal in dieser Woche mit Gesundheitspolitik. Erstmals wird konstruktiv gehandelt - zuvor gab es viel Gemeckere, etwa in der Aktuellen Stunde -: Heute legen wir einen Gesetzentwurf vor, in dem die Neuordnung des Arzneimittelmarktes geregelt wird. Lieber Herr Kollege Lauterbach, auch wenn wir uns freuen, dass Sie das, was bei der Unabhängigen Patientenberatung gelungen ist, anerkennen - Sie selbst sagen, dass Sie das falsch eingeschätzt haben -, sage ich Ihnen voraus, dass Sie spätestens in einem Jahr hier stehen werden und sagen müssen, dass Sie sich geirrt haben, dass all das, was Sie prognostiziert haben, nicht eingetreten ist, (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das ist ausgeschlossen, Herr Spahn!) sondern dass wir - im Gegenteil - eine langfristig wirkende Strukturvereinbarung im Arzneimittelbereich zustande gebracht haben. (Mechthild Rawert [SPD]: Bis dahin wird es teuer für die Patienten!) Ich freue mich jedenfalls schon auf den Tag, an dem Sie hoffentlich so ehrlich sind, wie Sie es heute im Hinblick auf die Unabhängige Patientenberatung dankenswerterweise gewesen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Am Ende - das wissen Sie - treffen wir heute nämlich eine fast schon historische Entscheidung; denn damit erfolgt ein Paradigmenwechsel in der Frage der Arzneimittelpreisfindung in Deutschland. Bisher konnten die Arzneimittelunternehmen nach der Zulassung für die Zeit des Patentschutzes den Preis des Medikamentes im Grunde frei - Himmel nach oben offen, pflege ich immer zu sagen - bestimmen. Sie haben lange davon geredet - auch während Ihrer Regierungszeit; (Mechthild Rawert [SPD]: Sie waren nicht dabei?) Sie haben ja über ein Jahrzehnt die Gesundheitsministerinnen in diesem Land gestellt -, dass dieser Zustand nicht so bleiben kann. Jetzt sind Sie doch ein Stück weit erschrocken darüber, (Ulrike Flach [FDP]: Ja, das merkt man der Rede an! - Elke Ferner [SPD]: Wo waren Sie die letzten vier Jahre, Herr Spahn?) dass es gerade eine christlich-liberale Koalition ist, von der Sie das vielleicht am wenigsten erwartet hätten, die diese strukturelle Frage nun endlich angeht und einer Lösung zuführt, die dem Ziel dient, den direkten Zugang zu Innovation und neuen Medikamenten für die Patienten aufrechtzuerhalten, und gleichzeitig dafür sorgt, dass das Ganze bezahlbar ist und in einem angemessenen Verhältnis steht. Sie haben jahrelang davon geredet. Nichts ist passiert. Wir regieren erst wenige Monate und legen heute schon etwas Konkretes vor. Das ist effektive Arbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch in anderen Bereichen findet übrigens ein Paradigmenwechsel statt. Jenseits des kurzfristigen Sparens geht es um strukturelle Veränderungen. Herr Kollege Lauterbach, Sie haben die Kosten-Nutzen-Bewertung erwähnt. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Kosten-Nutzen-Bewertung in keinem einzigen europäischen Land Grundlage für die Preisfindung ist. Auch in Deutschland wäre sie das am Ende nie wirklich gewesen; denn sie hat nicht funktioniert. Es ist richtig, hier zur Nutzenbewertung zu kommen, also zu schauen, wie viel besser ein neu auf den Markt kommendes Arzneimittel im Vergleich zu den bereits auf dem Markt vorhandenen Therapiealternativen ist. Dann soll zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem entsprechenden pharmazeutischen Unternehmen verhandelt werden. Es gibt also keine staatlich festgesetzten Preise, sondern Verhandlungslösungen. Unterschätzen Sie bitte auch nicht den Intellekt der Krankenkassen in Bezug darauf, wie sie in diese Verhandlungen gehen. Natürlich wird auf Basis des Dossiers, also der Frage, wie viel mehr Nutzen das neue Medikament im Verhältnis zur Therapiealternative hat, über den Preis verhandelt werden - und nicht, wie Sie es immer darstellen wollen, im Sinne von Teppichhändlerrunden. Hier werden mit Schiedsverfahren - wir haben auch Konfliktlösungsmechanismen eingebaut - vernünftige Preise gefunden. Wir wollen Vertragslösungen. Wir wollen keinen staatlichen Dirigismus. Das mag Ihnen nicht gefallen. Zumindest wir halten das aber für die bessere Lösung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Übrigen beinhaltet das Ganze auch eine wichtige gesellschaftliche Debatte. Einen Aspekt blenden Sie nämlich immer völlig aus. Es geht natürlich darum, dass die Pharmaunternehmen auch die Chance haben, für etwas, was tatsächlich eine Innovation ist - denken Sie nur an Demenz; wie froh wären wir, wenn es endlich ein Medikament gegen diese Geißel gäbe - - Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Spahn, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Lauterbach? Jens Spahn (CDU/CSU): Jederzeit. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel nennen. Das neueste und teuerste Medikament bei den Cholesterinsenkern, Crestor, wurde bewertet. Nach zwei Jahren wurde die Studie abgebrochen. Der Pharmahersteller kam zu dem Ergebnis, es sei wunderbar und bringe deutlich mehr. Das ist Gegenstand des Dossiers gewesen. Später kam dann heraus - das hatten die Unternehmen nicht vorgelegt -, dass es in der gleichen Studie, der JUPITER-Studie, auch Daten gab, die gezeigt haben, dass die eigentliche Senkung der Zahl von Herzinfarkten oder Schlaganfällen nie aufgetreten war. Wenn man jetzt nur das Dossier des Unternehmens bewerten müsste, dann wäre - - (Zuruf der Abg. Ulrike Flach [FDP]) - Im Dossier des Unternehmens ist das an keiner Stelle erwähnt worden. Hätte man allerdings unabhängige Bewertungen zugelassen, wäre das sofort herausgekommen. Was jetzt vorgetragen wird, ist so ähnlich, als würden Sie nur die Testberichte der Werksfahrer anfordern, und die Autos würden von den unabhängigen Testern selbst nie gefahren. Das ist doch das, was hier passiert. (Heinz Lanfermann [FDP]: Ihre Redezeit ist schon abgelaufen, Herr Kollege!) Glauben Sie denn nicht, dass es der zentrale Schwachpunkt dieses Vorschlags ist, dass Sie sich allein auf das verlassen müssen, was das Unternehmen Ihnen hier vorschlägt? Jens Spahn (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Lauterbach, zum Ersten muss sich niemand allein auf das verlassen, was das Unternehmen vorschlägt. Ich finde es aber nur fair, das Unternehmen nachweisen zu lassen - das ist auch die Verantwortung des Unternehmens; im Übrigen erfolgt dieser Nachweis natürlich auf eigene Kosten -, welchen zusätzlichen Nutzen das eigene Medikament denn tatsächlich hat. Auch da haben Sie übrigens jahrelang geredet; der Minister hat schon darauf hingewiesen. Wir schaffen jetzt endlich eine Pflicht zur Veröffentlichung aller Studien, der positiven wie der negativen. Während Sie jahrelang nur geredet haben, tun wir es jetzt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Wir hätten das Gesetz vier Jahre lang machen können, wenn Sie mitgemacht hätten!) Damit würde diesem Punkt, der ja lange gefordert wird, auch Rechnung getragen. Die entscheidende Herausforderung, auch in der gesellschaftlichen Debatte, ist aber folgende - das würde ich jetzt gerne einmal in einem Zug ausführen -: Einerseits wollen wir, dass die Pharmaunternehmen forschen und dass es neue Medikamente gibt. Ich sagte gerade schon, wie wichtig es ist, dass etwa gegen die Geißel Demenz endlich etwas auf den Markt kommt. Solche Innovationen müssen natürlich auch finanziell anerkannt werden; sonst gäbe es keinen Anreiz, zu forschen. Gleichzeitig müssen wir einen Spagat schaffen. Das alles muss auch finanziell darstellbar sein. Es muss gelingen, die Solidargemeinschaft nicht übermäßig zu belasten. Genau dieser Spagat ist so schwierig. Das stört mich manchmal an den Debatten, wie Sie sie führen, wenn es um die Entwicklung der Pharmapreise geht: Sie blenden den Aspekt völlig aus, dass für viele Tausende und Zehntausende schwerkranker Menschen mit neuen Medikamenten auch viele Hoffnungen auf Minderung von Leid verbunden sind. Wir versuchen, durch das Bewertungsverfahren beim Institut, aber auch durch die Vorlage von wissenschaftlichen Studien genau diesen Spagat zu schaffen. Deswegen bringt die Keule nichts, die immer gegen die Pharmaindustrie geschwungen wird nach dem Motto: Die kann man richtig abzocken. (Elke Ferner [SPD]: Warum sind die Medikamente in anderen Ländern viel billiger?) Eine sachlich orientierte Debatte, die diesen Spagat widerspiegelt, ist entscheidend. Genau das wollen wir mit der Debatte zu diesem Gesetz erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Spahn, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Volkmer? Jens Spahn (CDU/CSU): Jederzeit. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich dachte mir das schon. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Herr Spahn, ich möchte Sie etwas zu den Studien fragen, die die Pharmaindustrie vorlegen muss. Sie haben gesagt: Es müssen jetzt alle veröffentlicht werden. Im Gesetzentwurf steht: Es ist den Pharmaunternehmen überlassen, in welcher Form sie diese Studien veröffentlichen. Es reicht auch, wenn sie das auf ihrer Internetseite veröffentlichen. - Stimmen Sie mir darin zu, dass das in dem Gesetzentwurf so steht? Jens Spahn (CDU/CSU): Klar, ich stimme Ihnen zu. (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Danke schön! - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Im Vorwärts muss es nicht abgedruckt werden!) Ich habe jetzt nur nicht ganz die Problematik erkannt. Es geht darum, dass es am Ende zu einer Veröffentlichung kommt. Es gibt im Übrigen - das blenden Sie bei den Debatten auch immer aus - auf europäischer Ebene schon Datenbanken, die entsprechende Studien sammeln. Eines sage ich Ihnen noch, weil das eine Frage betrifft, über die man konstruktiv miteinander reden kann: Wir gehen in diese Debatte hinein mit der deutlichen Ansage, dass wir bereit sind, im Gesetzgebungsverfahren über alle diese Fragen mit allen Beteiligten - dazu gehören die Patientenverbände, die pharmazeutische Industrie, die Kostenträger, gern auch die Opposition, wenn es denn konstruktiv ist - konstruktiv zu reden. Transparenz ist die Voraussetzung von Akzeptanz. (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Wo ist da Transparenz?) Ich habe schon deutlich gemacht, wie schwer es ist, diesen gesellschaftlichen Spagat zu schaffen. Da gibt es die Hoffnungen und Erwartungen vieler kranker Menschen, und da ist zu unterscheiden: Was ist Abzockerei durch die Pharmaindustrie? Was ist berechtigtes Interesse, auch Forschungsleistungen abgegolten zu bekommen? (Mechthild Rawert [SPD]: Was ist wissenschaftliche Unabhängigkeit?) Dafür braucht man Verfahren, die transparent sind, die nachvollziehbar sind, die für Akzeptanz sorgen. Wir sind bereit, bis zur zweiten und dritten Lesung über alle diese Schritte zu sprechen: beim Gemeinsamen Bundesausschuss, beim IQWiG und bei all dem, was anliegt. Wir jedenfalls wollen diese Diskussion in den nächsten Wochen und Monaten bis zur zweiten und dritten Lesung konstruktiv führen. Anders als in den Debatten in diesem Hause gestern und vorgestern sollte es nicht bei pauschalem Gemeckere bleiben. Sie sind herzlich eingeladen - Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Spahn, Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen. Jens Spahn (CDU/CSU): - ich bin offensichtlich im letzten Satz, Frau Präsidentin -, an der Sache konstruktiv mitzuarbeiten. Das wäre für dieses Haus in dieser Frage ein entscheidender Schritt nach vorne. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das mit dem letzten Satz ist immer so eine Sache, je nachdem, wie viele Kommas man setzt. Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon in den letzten zwei Tagen erlebt, wie die schwarz-gelbe Koalition Planlosigkeit und soziale Kälte zum gesundheitspolitischen Programm macht. Die steigenden Beiträge, die ungerechte Kopfpauschale, die vor allem wieder Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen schultern sollen, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war aber gestern und vorgestern! - Heinz Lanfermann [FDP]: Der Text stammt noch von gestern!) begründen Sie immer wieder gern mit der steigenden Lebenserwartung. Das war auch in der Rentendebatte gerade wieder das Thema. In unserem Bereich verweisen Sie da auf den medizinischen Fortschritt. Wenn dem so ist, dann sollten Sie diejenigen, die von beidem stärker profitieren, auch mehr oder angemessen zur Kasse bitten. In Deutschland leben nämlich die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung durchschnittlich zehn Jahre länger als die ärmsten. Das zeigt, dass unser vielgelobtes Gesundheitswesen - ich schätze es; ich kenne seine Qualitäten - wirklich gut ist, aber nicht unbedingt sozial und nicht gut für alle. (Beifall bei der LINKEN) Mit Ihrem Gesetzentwurf wollen Sie, Herr Rösler, die Kostensteigerungen für Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenkasse bremsen. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!) Andererseits - das sagen Sie ganz offen - wollen Sie auch Wirtschaftsförderung betreiben. Wir machen hier aber keine Wirtschaftspolitik, sondern Gesundheitspolitik. Weil Ihre Vorschläge dementsprechend unzureichend und inkonsequent sind, um die Megaprofite der Pharmaindustrie zu begrenzen, hat die Fraktion Die Linke einen eigenen Antrag für vernünftige und nachvollziehbare Arzneimittelpreise vorgelegt. Ich fordere Sie auf: Setzen Sie sich vernünftig damit auseinander! (Beifall bei der LINKEN) Schauen wir einmal genauer auf das, was Sie da vorhaben. Sie wollen also, dass die Pharmaindustrie auch weiterhin für jedes neue Medikament selbst den Preis festlegen darf. (Lars Lindemann [FDP]: Das ist in der Marktwirtschaft so!) Diesen Preis, egal ob 20 oder 2 000 Euro, müssen die gesetzlichen Krankenkassen dann mindestens ein Jahr lang erstatten. (Heinz Lanfermann [FDP]: Jetzt machen sie es 20 Jahre lang! Das ist der Unterschied!) Sie, Herr Rösler, nennen das einen patientenfreundlichen Zugang zu Innovationen. Aber ich nenne das die Lizenz zum Gelddrucken. Die Linke fordert eine viel schnellere und transparentere Preisfestlegung gerade für die neuen Arzneimittel; denn das sind die Arzneimittel, die die hohen Kosten verursachen. Dabei wollen wir vor allem darauf achten - das haben wir in unserem Antrag dargestellt -, ob das Präparat wirklich einen Nutzen für die Patientinnen und Patienten hat. Ist es nicht wirklich neu oder nicht besser als bereits auf dem Markt befindliche Medikamente, dann darf es auch nicht teurer sein. Bei den sogenannten therapeutischen Solisten, also bei den Präparaten, für die es keine Behandlungsalternative gibt und für die eine Kosten-Nutzen-Bewertung in angemessener Zeit nicht möglich ist, brauchen wir weitere Kriterien - Herr Kollege Spahn, Sie haben gerade gesagt, Forschung sei wichtig für Innovationen -, zum Beispiel die Forschungskosten. Dazu müsste die Industrie erst einmal ihre tatsächlichen Kosten offenlegen, und zwar ohne die üblichen Mogeleien. (Beifall bei der LINKEN) Die Pharmalobbyisten erklären uns ja immer gerne, dass die Mondpreise für neue Mittel sein müssten, um die Forschung zu finanzieren. Angeblich kostet die Entwicklung eines neuen Medikaments über 600 Millionen Euro. US-Wissenschaftler haben aber schon vor einigen Jahren nachgewiesen, dass es real oft nicht einmal 50 Millionen Euro sind. Hier brauchen wir dringend die Transparenz, die Sie, Herr Minister, und Sie, Herr Kollege Spahn, immer so gerne fordern. (Beifall bei der LINKEN) Nach dem ersten Jahr sollen dann die Krankenkassen mit den Herstellern über den Preis verhandeln. Daran glauben Sie doch selbst nicht. (Lars Lindemann [FDP]: Aber natürlich!) Herr Rösler, gehen Sie doch einmal zur Deutschen Post und verhandeln über den Preis einer Briefmarke. Warum, bitte schön, sollte sich die Post darauf einlassen? (Jens Spahn [CDU/CSU]: Als Geschäftskunde kann man mit der Post verhandeln!) Sie hätten in diesem Fall wenigstens die Möglichkeit, den Brief selbst zu überbringen. Ein Kranker hat aber keine Alternative, und die Krankenkassen müssen das zahlen, was die Industrie verlangt. Last, not least wollen wir mit unserem Antrag eine weitere Lücke Ihres Entwurfes schließen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum die Arzneimittel in den Krankenhäusern von der Preisgestaltung ausgenommen sein sollen. Schließlich werden die meisten Erstverordnungen von teuren Medikamenten in Kliniken vorgenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, lieber Kollege Spahn, es nützt überhaupt nichts, wenn Sie dauernd beklagen, dass die Opposition nur meckere. Das stimmt nämlich nicht. Wir haben ganz konkrete Vorschläge gemacht. Ich fordere Sie auf: Prüfen Sie diese Vorschläge vorurteilslos, soweit Ihnen das möglich ist! (Beifall bei der LINKEN - Jens Spahn [CDU/ CSU]: Wenn Sie das Gleiche beim Gesetz machen!) Wir erheben kein Copyright; denn es geht hier schließlich um ein zukunftsfähiges und soziales Gesundheitswesen. Und nicht vergessen: Gesundheit ist keine Ware. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Birgitt Bender das Wort. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich bin froh, dass Sie eben bei der Vorstellung Ihres Gesetzentwurfs das revolutionäre Pathos weggelassen haben, mit dem wir den Entwurf oft in den Medien beschrieben gefunden haben, nach dem Motto "Ich, der Ritter, gegen die Pharmaindustrie". Es ist richtig, die Ziele des AMNOG verdienen Respekt. Da geht es um Nutzenbewertung zu Beginn des Lebenszyklus eines Medikaments, um Preise, die der Hersteller nicht völlig frei festlegen kann, oder um mehr Transparenz bei Arzneimittelstudien. Es ist allerdings überraschend, dass Schwarz-Gelb so etwas macht, lieber Kollege Spahn. Ich will Ihnen sagen, warum. Im Jahre 2003 sind wir mit einem rot-grünen Reformentwurf an den Verhandlungstisch zu Union und FDP gekommen. Die Gelben sind sofort davongesprungen, weil sie auf keinen Fall der Pharmaindustrie etwas tun wollten. Die Union hat damals die Kosten-Nutzen-Bewertung abgelehnt. Ich kann nur sagen: Schön, dass Sie etwas dazugelernt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Jens Spahn [CDU/CSU]: Wir machen eine Nutzenbewertung!) Wenn es tatsächlich so sein soll, dass überhöhte Renditen der Pharmaindustrie zugunsten der Versicherten abgeschöpft werden, dann darf das Vorgehen aber nicht halbherzig sein. Anders gesagt: Wenn man Fische fangen will, aber das Netz besonders große Maschen hat, dann wird der Angler hungrig bleiben. Genau das droht, wenn sich am AMNOG nicht noch etwas verändert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Kann mir die Koalition einen guten Grund nennen, warum die Nutzenbewertung in der Regel erst nach der Zulassung und nicht parallel zum Zulassungsverfahren durchgeführt wird, wie das in anderen Ländern der Fall ist? (Ulrike Flach [FDP]: Das können wir!) - Nein, das können Sie nicht. (Jens Spahn [CDU/CSU]: So viel zur Innovation!) Bereits beim Design und der Durchführung der Zulassungsstudien muss berücksichtigt werden, dass für die Bewertung eines Zusatznutzens die Prüfung gegenüber der Standardtherapie notwendig ist. Wenn nur gegenüber Placebos geprüft wird, dann nutzt das vielleicht dem Hersteller, aber nicht dem Gesundheitssystem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Klare Anforderungen an vorzulegende Studien und der Start der Nutzenbewertung bereits zum Zeitpunkt des Zulassungsantrages, das wäre der richtige Ansatz. Ein weiterer Punkt. Kann mir die Koalition einen guten Grund nennen, warum Impfstoffe von der Nutzen- oder Kosten-Nutzen-Bewertung ausgenommen sind? Ich habe bisher keinen einzigen gehört. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Kommt noch!) Das Verfahren der Ständigen Impfkommission ist eine Blackbox. Wir brauchen ein transparentes, methodisches Vorgehen wie beim IQWiG und Transparenz im Verfahren, wie es für das IQWiG und den G-BA selbstverständlich ist. Kann mir die Koalition einen guten Grund nennen, warum sie den Pharmaherstellern im ersten Jahr völlig freien Spielraum bei der Preisgestaltung lässt? Zum einen können Verhandlungen zwischen Herstellern und Kassen früher beginnen, wenn die Nutzenbewertung früher vorliegt. Zum anderen wird unser Vorschlag der Rückerstattung bei überhöhten Preisen abgelehnt, weil das ein nachträglicher, nicht zulässiger Eingriff in die unternehmerische Freiheit sei. Unser Vorschlag ist weit marktwirtschaftlicher als der Vorschlag, den die Koalition anderenorts preist. In den aktuellen Sparvorschlägen der Koalition heißt es: "Die Preise für Impfstoffe werden auf das europäische Durchschnittsniveau gesenkt." Das heißt, zum einen ist das Senken von Preisen möglich, aber Sanktionen für überhöhte Preise nicht? Das verstehe, wer will. Ich glaube, Sie müssen Ihre Argumente noch einmal überprüfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD] - Elke Ferner [SPD]: Klientelpolitik!) Auch die Frage, ob es Preis- oder Rabattverhandlungen geben soll, haben Sie nicht zu Ende gedacht. Sie wollen doch immer der PKV etwas Gutes tun. Unser Interesse gilt dem Verbraucherschutz, wir wollen, dass die PKV-Versicherten - solange es sie in der jetzigen Form gibt - nicht ständig überhöhte Preise auch im Arzneimittelbereich bezahlen. Wenn das der Fall ist, dann muss man Preisverhandlungen führen, weil nur dann die Preise auch für die PKV-Versicherten gelten. Das scheint Sie nicht zu interessieren, aber vielleicht denken Sie darüber nach. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Warten Sie doch einmal ab!) Kann mir die Koalition einen guten Grund nennen, warum sie bei der Transparenz von Arzneimittelstudien so hasenfüßig ist? Sie schreiben nicht vor, wo diese Studien zu veröffentlichen sind. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: In Deutschland können die meisten lesen!) Wenn ich Beratungsdienste für Böswillige zu leisten hätte, dann würde ich sagen: Gründet doch eine Publikation - das ist zwar teuer und die Informationen erreichen nur wenige - und veröffentlicht dort die Arzneimittelstudie, sodass sie auch ja keiner findet. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie wollen sie noch im Vorwärts der SPD haben!) Mit Ihrem Gesetz wird so etwas nicht verhindert. Warum nicht? Können Sie dafür einen guten Grund nennen? Nein, das können Sie nicht. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben über den Sommer noch einige Hausaufgaben zu machen. Vor diesen Aufgaben sollten Sie nicht wegtauchen. Das empfehle ich Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Wolfgang Zöller spricht nun für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Diskussion, die geführt wird, sollte man das Positive festhalten: Heute ist ein guter Tag für die Patienten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Als Patientenbeauftragter möchte ich zwei Punkte ansprechen. Die strukturellen Änderungen auf dem Arzneimittelmarkt werden die Patientenrechte stärken. Es wird mehr Transparenz erreicht. Es wird dem Patienten mehr darüber mitgeteilt werden können, welcher Nutzen ihm bei neuen Arzneimitteln nachgewiesen werden muss. Auch die klinischen Prüfungen sind zu veröffentlichen. Das ist ebenfalls ein wichtiger Vorteil für die Patienten. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo?) - Da gefragt wird, wo, sage ich: Im SPD-Mitteilungsblatt Vorwärts muss es nicht unbedingt stehen, damit die Leute es zur Kenntnis nehmen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man braucht eine zentrale Stelle, damit man das findet!) Die Patienten erhalten wieder mehr Wahlfreiheit, was ihr gewohntes Arzneimittel angeht. Sie können nicht nur rabattierte Arzneimittel auswählen. Ich glaube, das fördert die Zufriedenheit und die Akzeptanz. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, den ich für sehr wichtig halte. Mein Leitbild ist der mündige und informierte Patient. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Zöller, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler? Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Selbstverständlich. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Lieber Kollege Zöller, würden Sie mit mir darin übereinstimmen, dass nur diejenigen Patientinnen und Patienten bei den Medikamenten eine Wahlfreiheit haben, die über das nötige Kleingeld verfügen, um sich die Zuzahlung zu den Medikamenten leisten zu können? Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Nein, dem kann ich so nicht zustimmen. Bei der Festbetragsregelung hatten wir ähnliche Befürchtungen. Damals ist aber das eingetreten, was wir gesagt haben: Die Arzneimittelhersteller, die höhere Preise hatten, haben festgestellt, dass die Versicherten die Zuzahlung nicht haben leisten wollen, sodass von der Zuzahlungsmöglichkeit kaum Gebrauch gemacht wurde. Sie sind mit dem Preis dann bis zum Festbetrag heruntergegangen. Dadurch war das sogar eine kostendämpfende Maßnahme. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Heinz Lanfermann [FDP]: Jetzt sehen Sie einmal!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Zöller, bevor Sie weitermachen, weise ich Sie darauf hin, dass es eine zweite Zwischenfrage gibt. - Nein, der Kollege Lauterbach zieht zurück. Dann kann es weitergehen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Er hat gemerkt, dass das keinen Zweck hat!) Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Er ist heute besonders freundlich zu mir. Patientenrechte sind für mich Bürgerrechte. Deshalb bin ich sehr froh, dass die Koalition mit diesem Gesetzentwurf ihr Bekenntnis zu starken Patientenrechten manifestiert. Jetzt wird die unabhängige Verbraucher- und Patientenberatung als Regelleistung festgeschrieben. Ab 1. Januar 2011 haben alle Versicherten einen Anspruch auf eine unabhängige Beratung. Sie werden bestimmt mit mir einer Meinung sein: Oft wissen die Patienten nicht, welche Rechte sie haben, geschweige denn, wie sie sie umsetzen können. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Zöller, Sie haben nochmals die Chance zur Verlängerung Ihrer Redezeit. Die Kollegin Klein-Schmeink möchte Sie etwas fragen. (Ulrike Flach [FDP]: Habt ihr alle kein Zuhause? - Stefan Müller [Erlangen] [CDU/ CSU]: Das ist eigentlich keine Fragestunde!) Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Bitte schön. Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie werden gleich auf die Patientenberatung und die Förderung eingehen. Ich möchte Sie bitten, in diesem Zusammenhang etwas dazu zu sagen, wie Sie sicherstellen wollen, dass dieses verzögerte Gesetzgebungsverfahren und die sehr späte Beschlussfassung nicht zu einem Bruch bei den bisherigen Beratungsstellen führen. Bitte sagen Sie etwas dazu, dass die Mitarbeiter der Beratungsstelle nicht wissen, ob es für sie weitergeht oder nicht. Bitte sagen Sie insbesondere, wie Sie sicherstellen wollen, dass sich die Vergabeverfahren nicht so lange hinziehen, dass die befürchtete Entwicklung eintritt. Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die am System Beteiligten - angefangen beim Spitzenverband der Krankenkassen -, mit denen wir schon Gespräche geführt haben, dafür sorgen werden, dass das Gesetz rechtzeitig umgesetzt wird. Ich bin da recht zuversichtlich. Ich würde allen Beteiligten raten, in der Öffentlichkeit nicht allzu viel über die eine oder andere Schwierigkeit zu diskutieren, sondern sich an einen Tisch zu setzen und dafür zu sorgen, dass es umgesetzt wird. Wer will, dass das Gesetz umgesetzt wird, findet Wege. Wer das nicht will, der sucht Gründe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Zöller, ich bitte um einen kleinen Moment Geduld. - Ein Hinweis an alle Kolleginnen, die sich ebenfalls zu Zwischenfragen zu diesem Beitrag gemeldet haben: Bei diesen kurzen Redebeiträgen lasse ich jeweils zwei Zwischenfragen zu, da wir nicht zu einer Verdreifachung der Redezeit kommen wollen. Wir haben eine entsprechende Verabredung zwischen den Fraktionen getroffen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Jetzt können wir ungestört dem Herrn Zöller zuhören!) Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Ich habe kein Problem damit und akzeptiere das mit Rücksicht auf die nachfolgenden Redner selbstverständlich. Nach zehn Jahren Modellphase wurden die richtigen Schlüsse gezogen. Wir haben - davon bin ich fest überzeugt - alle Kriterien berücksichtigt. Dazu darf ich stichpunktartig sagen: Das Verfahren wird neutral und unabhängig sein; es wird im Einvernehmen mit dem Patientenbeauftragten erfolgen - auch das ist sehr erfreulich -; die Beratung wird evidenzbasiert und von Kompetenz geprägt sein; die Ausschreibung erfolgt alle fünf Jahre; die Beratung ist kostenfrei, was gut für die Niedrigschwelligkeit ist. Vielleicht darf ich die Telefonnummer hier einmal nennen: 0800 0 117722. Das ist eine 0800er-Nummer. (Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP] - Heinz Lanfermann [FDP]: Ruf mich an!) - Das ist eine wesentlich seriösere Nummer. Da erhalten Sie unbürokratisch die notwendigen Informationen. Wir haben keine Doppelstrukturen. Es gibt Kooperation und Vernetzung mit den Selbsthilfeorganisationen. Finanziellen Mehraufwand gibt es nicht. Erfreulich ist auch, dass sich die privaten Krankenversicherungen an den Kosten beteiligen. Die Mittel werden dynamisiert. Es gibt eine Berichtspflicht an den Patientenbeauftragten. Auch das halte ich für eine wesentliche Verbesserung, weil wir auf diese Weise sehr schnell Schwachstellen im System feststellen und aufgrund von Meldungen Handlungsoptionen ableiten können. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einen Punkt des Koalitionsvertrags als erledigt abhaken können. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle ganz besonders bei Gesundheitsminister Rösler und seiner Mannschaft bedanken. (Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) - Das sage ich nicht nur aus Überzeugung, sondern auch deshalb, weil es bei der letzten Diskussion in diesem Hause geheißen hat, ich hätte keine Rückendeckung vom Ministerium. Die Rückendeckung vom Ministerium hätte ich mir nicht besser vorstellen können. (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Passen Sie auf, dass Sie nicht auf die Nase fallen!) Ich werde aber die Hände nicht in den Schoß legen. Jetzt beginnt nämlich die Umsetzung. Wir werden zusammen mit dem BMG und dem GKV-Spitzenverband die Ausschreibung der Beratungsstellen vorantreiben, damit die Patientenberatung pünktlich ihre Arbeit aufnehmen kann. - Ich habe jetzt noch zehn Sekunden, die schenke ich dem Nächsten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Elke Ferner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Rösler hat eben gesagt, wir hätten gar keine Vorschläge vorgelegt. Ich rate Ihnen, Herr Rösler, sich einfach einmal - vielleicht wenn das Chaos sich etwas gelichtet hat - die Bundestagsdrucksachen anzusehen. Es gibt einen Antrag von uns, der im Deutschen Bundestag bereits in erster Lesung beraten worden ist. Er liegt jetzt im Ausschuss und wird zusammen mit Ihrem Paket beraten. Es mag sein, dass das in dem Regierungschaos etwas untergegangen ist; aber wir haben schon etwas vorgelegt, und zwar bevor Sie zu dem ersten Paket etwas vorgelegt haben. (Beifall bei der SPD) Die bisherigen Rabattverträge werden aus mehreren Gründen geschwächt werden. Damit wird es für die Kassen teurer werden. Herr Zöller hat das eben als große Leistung hervorgehoben. Er hat gesagt, es sei toll für die Patienten und Patientinnen, dass sie jetzt mehr zuzahlen können, wenn nur genügend Pharmareferenten durch die Arztpraxen und vielleicht auch durch die Apotheken reisen. Dann wird eben nicht das Mittel verschrieben oder ausgegeben, das die Kasse am günstigsten einkauft, sondern das, welches der Pharmaindustrie und anderen Beteiligten am meisten bringt. Und das geht allein zulasten des Patienten. Das heißt also, zusätzlich zu den steigenden Beiträgen und zu der Kopfpauschale wird jetzt der Einstieg in eine Kostenbeteiligung vorgenommen. Was daran im Sinne der Patienten und Patientinnen sein soll, Herr Zöller, ist mir persönlich ein Rätsel. Ein zweiter Punkt. Bei den innovativen Arzneimitteln können die Preise im ersten Jahr in den Mond schießen. Das werden sie auch. Wenn Sie es wirklich ernst meinen, dann fordere ich Sie auf, zu sagen: Es wird nicht nur ab dem 13. Monat der verhandelte Rabatt angewandt, sondern er gilt rückwirkend ab dem ersten Monat, direkt ab dem ersten Tag der Zulassung. Das würde in der Tat verhindern, dass Mondpreise aufgeschlagen werden, damit man im ersten Jahr gut bei den Kassen abkassieren kann, um trotz der Rabattverträge, die erst später gelten, insgesamt den Preis zu erzielen, den man eigentlich sowieso gehabt hätte. Im Übrigen macht das auch Sinn. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Mir geht es auf jeden Fall immer so, dass ich bei allen Veranstaltungen gefragt werde: Warum ist denn das Mittel A oder das Mittel B - nicht ein vergleichbares, sondern das gleiche Mittel - in Frankreich, Spanien oder sonst wo so viel billiger? Insofern, glaube ich, ist da noch ordentlich nachzubessern. (Beifall bei der SPD - Ulrike Flach [FDP]: Diese schönen Vorschläge haben wir aber nicht auf dem Tisch, Frau Ferner!) - Bitte? In unserem Vorschlag, geehrte Frau Flach, steht, dass wir den europäischen Durchschnittspreis haben wollen. Auch das macht Sinn. Was ist das denn für ein Markt in Deutschland, auf dem der größte Nachfrager die höchsten Preise für die Arzneimittel zahlen muss? Was hat das mit Wettbewerb und Marktmechanismen zu tun? (Beifall bei der SPD - Jens Spahn [CDU/ CSU]: Wir sind doch hier nicht im Sozialismus!) Damit bin ich beim dritten Punkt; er ist heute noch nicht angesprochen worden. Sie machen mit diesem Gesetz einen Schritt in die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens (Mechthild Rawert [SPD]: Genau!) - Frau Flach sagt Ja -, (Ulrike Flach [FDP]: Nein! Der Zuruf kam von links!) weil Sie das Wettbewerbsrecht statt das Sozialrecht anwenden. Sie müssen sich einmal vor Augen führen, was das bedeutet. Es gibt ja noch anhängige Verfahren in Düsseldorf und in Hessen, (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das Landessozialgericht ist in Essen und nicht in Düsseldorf!) bei denen es um mögliche Absprachen bei Zusatzbeiträgen geht. Offenbar verstehen Sie nicht, dass eine Krankenversicherung kein Wirtschaftsunternehmen ist. Die Krankenversicherungen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie unterliegen einer staatlichen Aufsicht. Keine Krankenkasse kann ohne den Beschluss ihres Verwaltungsrates oder ohne die Zustimmung der zuständigen Aufsichtsbehörde einen Zusatzbeitrag, eine Kopfprämie oder sonst etwas festsetzen. (Ulrike Flach [FDP]: Wo sind Sie jetzt gerade?) Da, wo die Krankenkassen gemeinsam und einheitlich handeln, lassen Sie es außen vor. Das heißt, da, wo Sie qua Gesetz sozusagen Monopolist sind, wird das Sozialrecht angewandt, und da, wo Sie auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten gemeinsam und einheitlich handeln können - das wollen ja alle -, wollen Sie jetzt das Kartellrecht anwenden. Das wird dazu führen, dass die Großen stärker und die Kleinen schwächer werden. Denn die regionalen Kassen, die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen werden sich nicht mehr zusammenschließen können, um bessere Rabattverträge bezüglich der Arzneimittel zu erzielen und um mit Leistungserbringern gemeinsam über integrierte Versorgung zu verhandeln. Ich weiß nicht, ob Sie überhaupt über das, was Sie da machen, nachgedacht haben. Auf alle Fälle wird es dazu führen, dass es insgesamt teurer wird, dass es schneller weniger Netto vom Brutto gibt und dass die Kopfpauschalen schneller in die Höhe schießen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Ulrike Flach spricht nun für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ulrike Flach (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Ferner, das grundlegende Missverständnis besteht in Ihrer Einschätzung, wie man in einer marktwirtschaftlichen Gesellschaft agiert. (Elke Ferner [SPD]: Krankenkassen sind keine profitorientierten Unternehmen!) Wir sind hier nicht in Kuba oder stellen irgendwelche planwirtschaftlichen Überlegungen an. Wir schaffen mit diesem Gesetz die Möglichkeit, zum ersten Mal Marktwirtschaft im Arzneimittelbereich einzusetzen, und zwar zugunsten der Patienten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Sozialversicherung!) Ich möchte Sie einmal daran erinnern: Wir haben in den Krankenkassen ein Defizit in Höhe von 11 Milliar-den Euro, (Elke Ferner [SPD]: Sie! Genau Sie!) aber nicht aufgrund des marktwirtschaftlichen Systems, sondern aufgrund Ihres planwirtschaftlichen Systems. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!) Ihre ehemalige Ministerin hat noch vor zwei Tagen gesagt: Wenn Steuermittel begrenzt sind, dann müssen die Beiträge steigen. Das ist doch Ihre Überlegung in diesem Zusammenhang. Sie setzen immer darauf, dass der Staat alles weiß, und Sie misstrauen dem Markt zutiefst. Genau an dieser Stelle gibt es an diesem Tag die Wende. Denn wir werden dafür sorgen, dass Arzneimittel endlich nach marktwirtschaftlichen Gegebenheiten einen Preis bekommen, (Mechthild Rawert [SPD]: Und teurer werden!) der gut für die Menschen ist, nämlich niedrig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich kann auch nicht verstehen, warum Sie jetzt meinen, dass ein erhöhter Herstellerabschlag oder ein Preismoratorium etwas Schreckliches ist; das habe ich eben in der Rede von Herrn Lauterbach so vernommen. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Marktwirtschaft pur, gell?) Sie haben so etwas 2006 zum ersten Mal eingeführt. Das ist doch immer SPD-Gedankengut gewesen; Sie wollten das. Das machen wir jetzt, um schnell zu Geld zu kommen, und zwar in diesem Jahr. (Elke Ferner [SPD]: Ah, um schnell zu Geld kommen!) Zum 1. August 2010 wird der Preisabschlag erhöht, und es wird einen Preisstopp geben. Die Menschen in diesem Land werden merken, dass die Krankenkassen um 500 Millionen Euro entlastet werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Birgitt Bender [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Habt ihr das vor der Wahl auch gesagt? - Elke Ferner [SPD]: Das ist ein anderes Gesetz, Frau Flach! - Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Sie sind beim falschen Gesetz!) Ich wundere mich, Herr Lauberbach, über Ihre Kritik, wir täten nichts gegen den Preisanstieg. Ehrlich gesagt: Neun Jahre lang haben wir bei Ihnen nur begrenzte Möglichkeiten gesehen, da etwas zu tun. Das Defizit ist zu Ihrer Regierungszeit entstanden. Wir sind jetzt ein halbes Jahr an der Macht, (Elke Ferner [SPD]: Das ist eine schöne Macht mit Gurkentruppen und Wildschweinen!) und es ist bereits das zweite Gesetz, das dieser Minister auf den Weg bringt und das den Menschen in diesem Land 2 Milliarden Euro ersparen wird. Was ist denn das für ein Gerede? Einerseits meinen Sie, man würde alles schlecht machen; andererseits erkennt man, dass es läuft. Lieber Herr Lauterbach, ich kann das ein wenig verstehen, wenn ich an Ihre Worte vom Januar dieses Jahres denke. Da haben Sie in der Deutschen Apotheker Zeitung - in diesem Zusammenhang eine interessante Zeitung - geschrieben: Wenn wir wirklich innovative Arzneimittel gut bezahlen würden, dann ... müssten wir uns keine Sorgen machen um den einen oder anderen kleinen Anbieter von Generika, der wegen eines Rabattvertrages aufgeben muss. (Zuruf von der FDP: Hört! Hört!) Was ist das für ein Verständnis von Marktwirtschaft? Was ist das für ein Selbstverständnis gegenüber kleinen und mittelständischen Unternehmen? (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Wir sind doch für die Patienten da, nicht für die Unternehmen! Sie sind im falschen Ausschuss! Sie müssten in den Wirtschaftsausschuss!) Was erzählen Sie uns am heutigen Tage? Dass angeblich alles zu teuer ist und Sie deshalb so tolle Überlegungen anstellen! Ihre Vorschläge in diesem Haus beschränken sich im Wesentlichen auf einen Antrag, Importeure zu schützen. Das war ein Lobbyantrag. Ansonsten haben Sie in den letzten Tagen nur dafür gesorgt, dass den Menschen in diesem Land etwas erzählt wird, was nicht stimmt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Michael Hennrich für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Michael Hennrich (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Woche hatten wir zwei Aktuelle Stunden, in denen die Opposition versucht hat, der Regierung vorzuwerfen, dass sie ausschließlich auf Kosten der Patienten unsere gesetzliche Krankenkasse reformieren würde. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Das ist auch so!) Heute treten wir den Gegenbeweis an. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ach, deshalb machen Sie das! - Elke Ferner [SPD]: Wenn das der Gegenbeweis ist!) Ich will kurz in Erinnerung rufen, dass wir erst vor drei Wochen Rabatte für die Arzneimittelhersteller beschlossen haben. Die Herstellerrabatte und das Preismoratorium bringen uns insgesamt Einsparungen von rund 1,5 Milliarden Euro. Nun legen wir einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir langfristige strukturelle Veränderungen auf den Weg bringen. Das Einsparvolumen beträgt hier rund 2 Milliarden Euro. Vor einigen Tagen wurden uns die Zahlen zur Ausgabenentwicklung im ersten Quartal 2010 im Verhältnis zum ersten Quartal 2009 vorgelegt. Es gab Steigerungen der Ausgaben um durchschnittlich 4,5 Prozent, überproportional im Bereich der Krankenhausbehandlungen - 5,3 Pro-zent - und im Bereich der ambulanten ärztlichen Behandlungen, 4,8 Prozent. Relativ gute Zahlen gab es bei den Arzneimittelausgaben, die im Schnitt um 3,9 Prozent gestiegen sind. Das sind auf den ersten Blick recht gute Zahlen, die zeigen, dass wir in der letzten Legislaturperiode im Bereich des Arzneimittelmarktes einige sinnvolle Reformen auf den Weg gebracht haben. Es lohnt sich aber, genau hinzusehen: Im Festbetragsmarkt sind die Arzneimittelausgaben um 1,8 Prozent zurückgegangen; im Bereich der Ausgaben für Arzneimittel ohne Festbetrag gab es hingegen Steigerungen um rund 8 Prozent. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit diesem Gesetzentwurf die Initiative ergreifen, um die Ausgaben bei den patentgeschützten Arzneimitteln in den Griff zu bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube, dass diese Maßnahmen der Arzneimittelindustrie zuzumuten sind. Wer in krisengeschüttelten Zeiten wie den letzten zwei oder drei Jahren immer noch Renditen von mehr als 20 Prozent erwirtschaften kann, ist aufgefordert, einen Beitrag zur Zukunftssicherung unseres Gesundheitswesens zu leisten. Deswegen legen wir heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir Einsparungen erzielen, Überregulierung abbauen und langfristige strukturelle Veränderungen auf den Weg bringen. Unser Ziel bleibt es, die Patienten weiterhin mit den besten und wirksamsten Arzneimitteln zu versorgen. Wir müssen aber auch darauf achten, dass die Versorgung kosteneffizient und wirtschaftlich ist. Wir schaffen mit diesem Gesetzentwurf einen verlässlichen Rahmen für Innovationen, für die Versorgung der Versicherten und für die Arbeitsplätze. In diesem Zusammenhang richte ich einen Appell an die Arzneimittelindustrie, die jetzt schon wieder teilweise den Arbeitnehmern droht: Die Politik sei schuld, wenn jetzt verschärft Arbeitsplätze abgebaut würden. Ich will in Erinnerung rufen, dass es in den letzten zehn Jahren in der Pharmaindustrie einen Arbeitsplatzaufbau um 10 Pro-zent gab, trotz vieler Reformen. Ich richte den ausdrücklichen Appell an die Unternehmen, die Diskussion mit der Politik nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer auszutragen. Wir sind gerne bereit, mit ihnen über den einen oder anderen Punkt in einen Dialog zu treten. Aber es wirft einen Schatten auf diese Gespräche, wenn sie mit den Ängsten der Arbeitnehmer spielen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die wesentlichen Elemente sind schon dargestellt worden. Vonseiten der Linken wurde angemahnt, dass wir noch schneller als innerhalb von drei Monaten zu einer vernünftigen Nutzenbewertung kommen sollten. Als einzige Möglichkeit bleibt wohl nur noch Paul, das Orakel, übrig. Mit seiner Hilfe könnten wir eine Nutzenbewertung in der Tat innerhalb von zwei Tagen durchführen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP - Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Schauen Sie doch nach Schottland! Da wird das gemacht!) - Ja. Das schottische Modell ist im Grunde genommen auch hier implementiert. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht!) - Doch. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen, Frau Bender. - Was die Nutzenbewertung betrifft, so glaube ich, dass drei Monate ein vernünftiger Zeitraum sind. Wir stellen eine angemessene Beteiligung von Arzneimittelherstellern und Patienten sicher. Ich denke, es ist durchaus vertretbar, innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr Preisverhandlungen zu führen. Ich möchte einen zweiten Aspekt ansprechen, die Rabattverträge. Es wurde kritisiert, die Patienten würden mehr oder weniger abgezockt. Welches Bild, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, haben Sie eigentlich von Apothekern? Haben Sie von Apothekern das Bild, dass sie, wenn Patienten in ihre Apotheke kommen, nur unter dem Gesichtspunkt "Wie kann ich den maximalen Erlös erzielen?" beraten und entsprechende Produkte verkaufen? Das ist nicht das Bild, das ich von Apothekern habe. Ich glaube - das hat auch der Kollege Zöller gesagt; es ist nämlich wie beim Thema Festbeträge -, dass es nicht zu Preisexplosionen kommen wird. Warum haben wir denn die Mehrkostenregelung? Wir wollen die Patientenautonomie stärken und vor allem auch mittelständische Arzneimittelhersteller schützen. (Elke Ferner [SPD]: Ah!) - Ja. Es ist ein durchaus legitimes Ziel, den Mittelstand in unserem Land zu schützen. (Ulrike Flach [FDP]: Genau! Was ist daran schlimm, Frau Ferner?) Wenn Sie, Frau Ferner, anderer Auffassung sind, bitte! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Heinz Lanfermann [FDP]: Frau Ferner will lieber bevormunden! - Elke Ferner [SPD]: Bisher haben die Patienten diese Arzneimittel, wenn es notwendig war, vom Arzt verschrieben bekommen! Jetzt müssen sie sie selber zahlen!) Wir regeln den Großhandelszuschlag; dadurch erzielen wir Rabatte in Höhe von rund 400 Millionen Euro. Außerdem formulieren wir Therapiehinweise und Verordnungsbeschlüsse klarer; auch hier besteht, was die Preisbildung angeht, die Möglichkeit, innerhalb des ersten Jahres regulierend einzugreifen. Weitere wichtige Aspekte sind die Veröffentlichungspflicht für klinische Studien und die Unabhängige Patientenberatung. Aber, Herr Minister Rösler, es gibt noch offene Baustellen, erstens bei den Rabatten für Privatversicherte und zweitens beim Pick-up-Verbot. Wir haben im Koalitionsvertrag versprochen, hier eine klare Regelung zu treffen. Wir sollten dieses Versprechen einhalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Herr Lauterbach, Sie haben dargelegt, Sie hätten fast nur Kritik an den geplanten Regelungen gehört. Mein Eindruck ist: Sie haben mit den falschen Leuten gesprochen, zu viel mit der Pharmaindustrie (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Keine Sorge! Nein!) und zu viel mit Schmidtchen statt mit Herrn Schmidt. Frau Fischer, die ehemalige Bundesgesundheitsministerin, hält die geplanten Maßnahmen - Frau Bender, Sie haben diesen Begriff vorhin kritisiert - für revolutionär. (Elke Ferner [SPD]: Sie hat wahrscheinlich das Kleingedruckte noch nicht gelesen!) Sie sagte, dass ihr dieser Schritt imponiert, will sie nicht verbergen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Wir haben ein vernünftiges Gesetz auf den Weg gebracht. Ich rate Ihnen, sich konstruktiv zu beteiligen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/2413 und 17/2324 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Angekündigte Mittelkürzung beim CO2-Gebäudesanierungsprogramm zurücknehmen - Drucksache 17/2346 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Kühn, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN CO2-Gebäudesanierungsprogramm fortführen - Mit energetischer Sanierung Konjunktur ankurbeln, Arbeitsplätze sichern und Klima schützen - Drucksache 17/2395 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Stephan Kühn, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN Lebensqualität und Investitionssicherheit in unseren Städten durch Rettung der Städtebauförderung sichern - Drucksache 17/2396 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Die Aussprache werde ich erst dann eröffnen, wenn wir mit der nötigen Aufmerksamkeit dieser Aussprache folgen können. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die nicht vermeidbaren Wechsel möglichst geräuschlos vorzunehmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Michael Groß für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michael Groß (SPD): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich zitiere eine Schlagzeile aus dem Handelsblatt von Februar 2010: Die Bundesregierung will den Etat für die Gebäudesanierung erhöhen. Für entsprechende Programme sollen künftig 400 Mio. Euro mehr ausgegeben werden. Denn die Hilfen werden in der Bevölkerung - man höre und staune - gut angenommen - und die konjunkturellen Effekte sind deutlich sichtbar. Nur fünf Monate später kritisieren die Bundesvereinigung Spitzenverbände der Immobilienwirtschaft und die Aktion "Impulse für den Wohnungsbau" in einer gemeinsamen Pressemitteilung, dass die Kürzungspläne der Bundesregierung bei ... dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm und der Städtebauförderung den Staat mehr kosten, als sie sparen. Diese Förderprogramme führen nachweislich zur Sicherung sowie zum Ausbau der Beschäftigungsverhältnisse, die weitere Einnahmen über Lohnsteuer und Sozialabgaben für die öffentlichen Kassen bringen. Deutliche Kritik an den Sparplänen der Bundesregierung kommt auch von der Immobilienwirtschaft, dem Mieterbund, der IG BAU sowie der Wohnungsbaubranche. An deren Positionierung zeigt sich das ganze Ausmaß der Einsparmaßnahmen und deren Wirkung mehr als deutlich. Was nach den Ankündigungen der Bundesregierung im Februar wirklich folgte, ist eine Halbierung der Mittel im Haushaltsentwurf 2011 gegenüber dem Vorjahr, ein Schritt in eine Richtung, die nicht in die Zukunft weist. Untersuchungen zu den Beschäftigungseffekten des CO2-Gebäudesanierungsprogramms zeigen, dass 1 Milliarde Euro Investition zur Sicherung von 20 000 Vollzeitarbeitsplätzen pro Jahr führt. Hinzu kommt, dass jeder geförderte Euro bei den Programmen bis zu 9 Euro an privaten Investitionen nach sich zieht. Zusätzliches Kapital wird aktiviert. Im jüngsten Antrag der Koalitionsfraktionen zum Bericht der Bundesregierung zur Lage der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft klingt es schon zynisch, dass die Schlüsselrolle der Baubranche bei der Bewältigung des Klimawandels hervorgehoben wird, wenn gleichzeitig mit den Haushaltsentwürfen massive Sparmaßnahmen vorgenommen werden. Zusätzlich zu den wirtschaftlichen Folgen und den Arbeitsplatzverlusten im Handwerk und im Mittelstand ist der erneute Vertrauensverlust bezüglich des Handelns dieser Bundesregierung schwerwiegend. Kleinere Betriebe, aber auch Eigentümer und Investoren kritisieren die Einsparungen zu Recht. (Gustav Herzog [SPD]: So ist es!) Das größte Potenzial zur Vermeidung von CO2 bis zum Jahr 2020 steckt in Wohngebäuden sowie gewerblichen und öffentlichen Immobilien. Für die Bundesregierung gibt es noch viel zu tun, um die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen. Durch die Einsparungen der Bundesregierung kommt das notwendige Sanierungstempo eindeutig zum Erliegen. Fachleute schätzen den Finanzierungsbedarf für die nötige Sanierungsrate auf 5 Milliarden Euro pro Jahr, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Drei von vier Wohnungen in Deutschland sind energetisch sanierungsbedürftig. Hinzu kommen 150 000 Schulen und Kindergärten. Rund 85 Prozent des gesamten Energiebedarfs in privaten Haushalten fallen für Heizung und Warmwasser an. Ein erheblicher Teil der Heizkosten lässt sich durch die Modernisierung von Fenstern, gute Dämmung von Fassaden und Dächern sowie neue Heizungsanlagen einsparen. Energieeffizientes Wohnen wirkt sich so direkt auf den Geldbeutel der Eigentümer und Mieter aus. Der Ausfall bei den Investitionen wird sich erneut direkt auf die Handlungsfähigkeit der Kommunen auswirken. Kommunen tragen zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen und somit erheblich zur wirtschaftlichen und klimapolitischen Zukunftsvorsorge bei. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hinzu kommt, dass die Programme der Städtebauförderung, zum Beispiel "Soziale Stadt" und Stadtumbau Ost und West, abgewickelt werden. Allein übrig bleibt ein unspezifisches Schrumpfprogramm. Das bedeutet das Aus für einen Großteil der bundesweit 3 400 Gebiete, in denen Städtebauförderung betrieben wurde. Für eine nachhaltige und zukunftsweisende Entwicklung der Städte und Gemeinden sind die Bundesländer und Kommunen auf eine engagierte Klimaschutzpolitik des Bundes und eine Fortentwicklung der Instrumente zwingend angewiesen. Die SPD hat in ihrer Regierungszeit die entscheidenden Impulse gegeben. Aufgabe der Politik muss es sein, einen nachhaltigen und sozialverträglichen Ansatz zu verfolgen, der Barrierefreiheit, demografischen Wandel und Klimaschutz verbindet. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich fasse zusammen. Durch die ambitionierten Programme müssen vier Ziele erreicht werden: Die Klimaschutzziele müssen in den geplanten Zeiträumen erreicht werden; Arbeitsplätze müssen generiert und gesichert werden; die Energiekosten müssen für alle bezahlbar bleiben; lebenswerte Städte und Gemeinden müssen gestaltet werden. Deshalb fordern wir Sie auf, die angekündigte Mittelkürzung zu unterlassen und die Programme weiterzuentwickeln. Ich komme zum Schluss: Auf der Homepage des Bundesbauministeriums finden Sie interessanterweise folgenden Satz zur CO2-Gebäudesanierung: "Die Bundesregierung handelt konsequent ..." Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung untergräbt Klimaschutzziele, gefährdet Arbeitsplätze und vernachlässigt die Kommunen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Polemik pur!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Peter Götz für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Götz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Städtebauförderung braucht nicht gerettet zu werden. Die Mittel dafür stehen im Einzelplan 12 des Entwurfs des Bundeshaushalts. Lieber Kollege Groß, im Hinblick darauf, dass der Umfang der Förderung einmal wächst und einmal sinkt, ist politische Untergangsrhetorik durchaus unangebracht. (Sören Bartol [SPD]: Wir können den Haushalt lesen!) Die Erfolgsgeschichte der Städtebauförderung ist unbestritten. International werden wir darum beneidet. Seit nunmehr knapp 40 Jahren leisten wir mit der Städtebauförderung erfolgreich einen Beitrag zur Verbesserung der Innenentwicklung unserer Städte und Gemeinden. Sie hat sich bewährt und wurde stetig und zielgerichtet weiterentwickelt und den jeweiligen Anforderungen angepasst. Es gibt viele gute Beispiele in unserem Land, die dies eindeutig dokumentieren. Ein Beispiel ist Pirmasens, wo der Strukturwandel dieser von der Schuhindustrie geprägten Industriestadt unterstützt wurde. Weitere Beispiele sind die Spandauer Vorstadt in Berlin, das Holländische Viertel in Potsdam und die Aufwertung des Nordostbahnhofs in Nürnberg. Schauen Sie sich auch die städtebaulichen Maßnahmen in Greifswald, Essen, Kassel, Bamberg, Leinefelde usw. an. Das könnte beliebig fortgesetzt werden. All das sind gelungene Beispiele, und ein Besuch lohnt sich. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das haben Sie doch nicht gemacht! Sie machen jetzt genau das Gegenteil!) Ich lade Sie auch in meinen Wahlkreis nach Rastatt oder nach Baden-Baden ein, wo nach dem Abzug mehrerer Tausend Angehöriger der französischen Streitkräfte ganze Stadtteile mit Städtebaufördermitteln neu geordnet wurden, (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das haben Sie auch nicht gemacht!) und das war nicht in Ihrer Regierungszeit. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Und was passiert jetzt?) Vor dem Hintergrund dringend notwendiger Konsolidierungsmaßnahmen hat die Bundesregierung in dieser Woche den Bundeshaushalt 2011 beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Uwe Beckmeyer [SPD]: CO2-Gebäudesanierung ist das Thema!) Eine der vielen darin enthaltenen Sparmaßnahmen ist die Reduzierung der Mittel für die Städtebauförderung; das bleibt nüchtern festzustellen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: CO2-Gebäudesanierung ist das Thema! - Gegenruf des Abg. Patrick Döring [FDP]: Die Städtebauförderung ist auch Thema!) Das schmerzt die Fachpolitiker genauso wie die Vielzahl jener, denen die Erfolgsgeschichte der Städtebauförderung bewusst ist. Wir wissen: Nicht nur die Städtebauförderung, sondern auch andere Politikfelder sind von den Kürzungen betroffen, und die Begeisterung dafür ist auch dort begrenzt und überschaubar. Die vorgesehenen Konsolidierungsmaßnahmen sind ein Teil des Weges, den wir gehen müssen, um die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse einzuhalten. Die Schuldenbremse haben wir alle gemeinsam beschlossen, und ich sage auch: Sie ist richtig. In den letzten Jahren haben wir im Rahmen der Konjunkturpakete I und II zig Milliarden Euro an Bundesmitteln für die Städte, Gemeinden und Kreise ausgegeben, um die Konjunktur zu stützen. Dafür haben wir zu Recht von vielen Seiten Beifall erhalten. Davon flossen übrigens auch zusätzliche Gelder in die Städtebauförderung und die Stadtentwicklung. Nachdem die Wirtschaft aufgrund der politischen Entscheidungen, die wir hier in diesem Hause getroffen haben, jetzt nachweislich wieder wächst, muss nun als nächster Schritt die Phase der Haushaltskonsolidierung folgen, damit wir auch in Zukunft wieder mehr für den Städtebau tun können. Für uns ist es wichtig, dass die Städtebauförderung in dieser Diskussion nicht ganz dem Rotstift zum Opfer gefallen ist und dass sich Bundesminister Peter Ramsauer klar und eindeutig zur Städtebauförderung bekannt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In dieser Woche hat der Minister zusammen mit den Ländern den Dialog zur Perspektive der Städtebauförderung in Gang gesetzt. Herr Staatssekretär Mücke, ich bitte darum, in diesen notwendigen Dialog frühzeitig auch die kommunalen Spitzenverbände einzubinden, damit ihr Sachverstand genutzt werden kann. Denn die Betroffenen sind letztlich die Städte und Gemeinden. Wir wollen übrigens auch die Gemeindefinanzen nachhaltig stärken. Deshalb hat die Bundesregierung eine Gemeindefinanzreformkommission eingesetzt. Der Zwischenbericht lag uns diese Woche vor. Die Ergebnisse werden wir im Herbst dieses Jahres beraten. Doch zurück zur Städtebauförderung. Wir sollten die Debatte um eine Mittelreduktion auch als Chance sehen. Wir müssen die Effizienz der Städtebauförderprogramme verbessern, damit mit weniger Geld mehr Nutzen entsteht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir sollten prüfen, wie durch eine Bündelung der verschiedenen Programme Überschneidungen, die immer wieder kritisiert werden, vermieden werden können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir sollten auch über eine Priorisierung der uns besonders wichtigen Handlungsschwerpunkte im Bereich der Städtebauförderung nachdenken. Unsere alternde Gesellschaft und Klimaschutzfragen sind dabei besonders zu berücksichtigen. Des Weiteren sollten wir kreative Wege suchen, wie wir für bestimmte Programmteile alternative Finanzierungsquellen erschließen. Dies gilt für den öffentlichen wie für den privaten Bereich. Die Städtebauförderung ist unbestritten auch ein Konjunkturprogramm, das viele private Investitionen auslöst. Sie ist eine wichtige Stütze für das heimische Handwerk und den Mittelstand. Auch deshalb ist es richtig, sie zu erhalten und weiterzuentwickeln. Das gilt übrigens auch für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, auf das mein Kollege Volkmar Vogel noch näher eingehen wird. Übrigens hat der Haushaltsausschuss mit der Vorlage des Entwurfs des Bundeshaushalts 2011 in dieser Woche die Haushaltssperre beim Marktanreizprogramm aufgehoben. Das heißt konkret, dass die Antragsteller jetzt ihre Bundeszuschüsse im Bereich der erneuerbaren Energien und bei der energetischen Sanierung im Gebäudebestand erhalten können. (Zuruf von der SPD: Viel zu spät! - Uwe Beckmeyer [SPD]: Das haben wir doch schon im letzten Jahr beschlossen!) Für die Folgejahre sind dafür weit über 1 Milliarde Euro vorgesehen. Das ist übrigens mehr als doppelt so viel, als die rot-grüne Regierung seinerzeit einzusetzen bereit war. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Städtebauförderung ist das wichtigste kommunalpolitische Instrument für die Lebensqualität der Menschen und die Stärkung der Innenentwicklung unserer Städte und Gemeinden. Sie ist ökonomisch und ökologisch sinnvoll, und sie hat sich bewährt. Deshalb arbeiten wir dafür, dass diese Städtebauförderung auch nach nahezu 40 Jahren eine gute Zukunft hat. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Ein Schrumpfhaushalt bleibt ein Schrumpfhaushalt!) Ich werde mich im Rahmen der anstehenden Haushaltsplanberatungen dafür einsetzen, dass der Kürzungsumfang in der heute diskutierten Größenordnung nicht bestehen bleibt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Stephan Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Städtebauförderung dermaßen zusammenstreicht und die Programme abwickelt, dass er die Restmittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm im nächsten Jahr nochmals halbiert und 2012 gar keine Mittel mehr zur Verfügung stellt, macht genau das Gegenteil von intelligentem Sparen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Damit werden Sie nichts einsparen; vielmehr wird es den Staat im Nachhinein sehr viel kosten. Denn die ökologische Verschuldung wird zunehmen. Vor allen Dingen ist es ein weiterer Beitrag Ihrer Politik zulasten der Kommunen. Denn Sie verhindern notwendige Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unserer Städte und Gemeinden. Sie sparen, wie gesagt, auch nichts ein. Denn Sie gefährden Arbeitsplätze im Handwerk und im Mittelstand. Gerade jetzt, wo ein konjunktureller Impuls gebraucht wird, streichen Sie diese Programme zusammen. Man hat von Ihnen immer geglaubt, dass Sie gut rechnen können. Das Schlimme ist, dass Sie völlig die ökonomische Hebelwirkung vergessen, die von diesen Programmen ausgeht. Es ist zum Teil schon angesprochen worden: 2009 sind 2,2 Milliarden Euro öffentlicher Gelder in das CO2-Gebäudesanierungsprogramm geflossen. Dadurch sind private Investitionen in Höhe von 18 Milliarden Euro zustande gekommen. In der Städtebauförderung - dazu hatten wir eine Anfrage gestellt - hat 1 Euro aus öffentlichen Mitteln 8,5 Euro private Investitionen ausgelöst. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie des DIW. Das sind also rentable Fördermaßnahmen, die zu Mehreinnahmen führen - allein schon durch die Umsatzsteuer oder die Lohnsteuer. Vor allen Dingen frage ich mich, wie Sie, wenn Sie diese Programme so massiv zusammenstreichen, Ihre Klimaschutzziele erfüllen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der SPD: Gute Frage!) Im Januar sind wir im Bauausschuss darüber unterrichtet worden, dass das Bundesministerium vorhat, sektorspezifische Energie- und Klimaschutzziele für den Bereich Verkehr und Gebäude aufzustellen. In dem Bericht an den Ausschuss heißt es - ich zitiere -: Im Rahmen ihrer Klimaschutzpolitik im Gebäudebereich setzt die Bundesregierung auf den bewährten Instrumenten-Mix, der Vorgaben und Anreize miteinander verbindet, fordert und fördert. Ein etabliertes Werkzeug, dessen Wirksamkeit und Effizienz stets verbessert wird, ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Neben der Energieeinsparverordnung ... ist es die wichtigste Maßnahme der Bundesregierung für Energieeinsparung und Klimaschutz im Gebäudebereich. Nichts ist von Ihren Ankündigungen übrig geblieben. Bisher sind durch das Programm 7 Millionen Tonnen CO2 eingespart worden. Und wir alle wissen, dass 20 Prozent unserer CO2-Emissionen im Gebäudebereich verursacht werden. Es kann nicht sein, dass zwar einerseits das Ordnungsrecht mit der Energieeinsparverordnung 2009 weiterentwickelt wird, andererseits aber nicht die entsprechenden Anreize gegeben werden. Denn dann ist es für viele Private, aber auch für Wohnungsunternehmen überhaupt nicht mehr wirtschaftlich darstellbar, diese energetischen Sanierungsmaßnahmen vorzunehmen. Heute liegt die Sanierungsquote im Gebäudebereich bei 1 Prozent. Das bedeutet, dass wir - wenn wir so weitermachen und diese Anreize gestrichen werden - wahrscheinlich noch 100 Jahre brauchen werden, bis unsere Gebäude durchgehend saniert sind. Die Deutsche Energie-Agentur sagt: Wir brauchen eine Sanierungsquote von 3 Prozent und 5 Milliarden Euro für das CO2-Sanierungsprogramm. - Offensichtlich sind diese Aussagen nicht gut angekommen; denn auch bei der dena wird gekürzt. Im Haushalt werden der dena im nächsten Jahr die Mittel für Projekte zur Steigerung von Energieeffizienz und zur Verbesserung von Klimaschutz im Gebäudebereich halbiert. Die Kürzungsorgie setzt sich also fort. Ich kann nur fordern - und das tut meine Fraktion auch -, die Mittel im CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf dem Niveau des Jahres 2009 zu verstetigen, die EFRE-Mittel, die wir auch für energetische Gebäudesanierung einsetzen können, endlich zu nutzen und die Städtebauförderungskürzungen zurückzunehmen. (Patrick Döring [FDP]: Und im Himmel ist Jahrmarkt!) Denn ansonsten - das muss man ganz klar sagen - findet Städtebaupolitik und Baupolitik im Ministerium von Herrn Ramsauer überhaupt nicht mehr statt. Ich frage mich, wie wir unsere Städte auf das Problem demografischer Wandel und im Osten auf das Problem Stadtumbau Ost - Stichwort: zweite Leerstandswelle - überhaupt einstellen und sie dabei unterstützen wollen. Darauf geben Sie keine Antwort. Anders sieht es im Verkehrsbereich aus. Da gibt es überhaupt keine Abstriche. Wir leisten uns weiter überdimensionierte Verkehrsprojekte, die keine privaten Investitionen zur Folge haben, sondern nur Folgekosten verursachen. Dann soll Herr Ramsauer ehrlich sein und die Begriffe "Bau" und "Stadtentwicklung" aus seinem Ministeriumstitel streichen. Dann können wir im Übrigen auch den Staatssekretär, der für dieses Thema zuständig ist, einsparen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Jan Mücke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist gut durch die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise gekommen. (Zuruf von der SPD: Dank Peer Steinbrück!) Wir haben ein erfreuliches Wirtschaftswachstum, das in diesem Jahr bei 2 Prozent liegen wird. Einige gehen sogar von einem Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent aus. Wir können feststellen, dass wir in Deutschland nur noch knapp über 3 Millionen Arbeitslose insgesamt haben. In den neuen Bundesländern - das freut mich ganz besonders - liegt die Zahl der Arbeitslosen seit Anfang der 1990er-Jahre das erste Mal sogar wieder unter ei-ner Million. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dass diese Erfolge erzielt werden konnten, liegt an staatlichen Ausgabeprogrammen, die zum großen Teil schuldenfinanziert gewesen sind. Dazu gehören die Konjunkturpakete I und II; dazu gehört auch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Die damaligen Regierungsparteien haben sich für dieses Programm eingesetzt und durchgesetzt, dass für insgesamt vier Jahre pro Jahr 1,5 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm zur Verfügung stehen. Das ist ein Gesamtbetrag von 6 Milliarden Euro. Wenn ich mir heute die Bilanz anschaue, dann kann ich für das Jahr 2010 feststellen, dass die Gesamtausgaben am Ende dieses Jahres bei 7,2 Milliarden Euro liegen werden. Sie können an diesen Zahlen sehen, dass die Bundesregierung dieses erfolgreiche CO2-Gebäudesanierungsprogramm fortgesetzt hat, obwohl Sie selbst - damit spreche ich ausdrücklich die Sozialdemokraten an - ursprünglich vorhatten, dieses Programm nur 4 Jahre lang mit einem Volumen von 6 Milliarden Euro durchzuführen. Bei einer volkswirtschaftlichen Betrachtung im Sinne von Keynes ist es wichtig, nicht nur die von ihm vorgeschlagenen schuldenfinanzierten Ausgabenprogramme durchzuführen, sondern auch seine Forderung zu beherzigen, das öffentliche Defizit in Zeiten guter Konjunktur zurückzuführen. Das tun wir mit den Einsparungen, die wir jetzt vornehmen, da die Wirtschaft etwas besser läuft und sich der Haushalt positiver entwickelt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Uwe Beckmeyer [SPD]: Es geht hier nicht um Keynes, sondern um das CO2-Gebäudesanierungsprogramm!) Das ist in den vergangenen Jahren oftmals vergessen worden. Man hat weiter versucht, die Konjunktur durch schuldenfinanzierte Programme anzuregen. Wir müssen jetzt die Aufgabe erfüllen, diese Programme zu reduzieren; so schmerzlich das ist. Ich bin stolz darauf, dass es dieser Bundesregierung gelungen ist, dieses Programm überhaupt fortzusetzen. Ich bin stolz auf jede einzelne Million der 436 Millionen Euro, die wir im Jahr 2011 für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm vorsehen. Dieses Programm hat in den letzten Jahren eine große Arbeitsplatzwirkung gehabt. Es konnten damit über 300 000 Arbeitsplätze gesichert werden. Wir wollen dafür sorgen, dass dieses Programm trotz aller Sparbemühungen im Haushalt in den nächsten Jahren fortgeführt wird. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wichtig ist, dass wir immer die Marktentwicklung betrachten. Ich habe mir heute Morgen die Mühe gemacht und mir das aktuelle Zinsniveau angesehen. Ein Blick darauf lohnt sich durchaus; denn ein Großteil des CO2-Gebäudesanierungsprogramms wird für die Verbilligung von Krediten verwendet, also für eine Zinssubvention. Als das Programm 2006 eingeführt wurde, lag der Zins für die Finanzierung einer Bestandssanierung bei ungefähr 4,5 Prozent. Heute Morgen war der aktuelle Stand 2,86 Prozent. Sie bekommen eine Finanzierung von 50 000 Euro mit einer Zinsbindung von fünf Jahren zu diesem Zinssatz. So niedrig sind die Zinsen noch nie gewesen. Wir sollten auf diesem historisch niedrigen Zinsniveau die Marktkräfte wirken lassen, (Uwe Beckmeyer [SPD]: Die Marktkräfte!) und wir sollten darauf setzen, dass sich die Menschen jetzt sehr viel preiswerter mit Krediten versorgen können und sie deshalb ihre Häuser billiger auch energetisch sanieren können. Trotz dieser Zinsentwicklung werden wir weiter das CO2-Gebäudesanierungsprogramm fortsetzen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Uns ist bewusst, dass die Kürzung der Mittel für die Städtebauförderung schmerzlich ist. Wir wissen durchaus, dass wir gemeinsam mit den Kommunen eine große Verantwortung tragen. Aber bei diesen Städtebaufördermitteln handelt es sich um Bundesfinanzhilfen. Das soll man nie aus den Augen verlieren. Der Begriff deutet darauf hin, dass es eine gemeinsame Verantwortung gibt, also nicht nur die des Bundes, sondern auch die der Länder und der Kommunen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir in den nächsten Jahren mit weniger Geld eine intelligentere Stadtentwicklung betreiben. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Dann gehen Sie mal intelligenter voran! Davon merkt man nichts!) Das wird keine ganz einfache Aufgabe werden. Wir wollen gemeinsam mit den Kommunen dafür sorgen, dass wir auch andere Fördertöpfe, zum Beispiel solche, die es auf europäischer Ebene gibt, anzapfen, um Städtebauförderung in den nächsten Jahren voranzubringen. Dass auch die Städtebauförderung einen Anteil zur Sanierung des Bundeshaushalts leisten muss, schulden wir unseren Kindern und unseren Enkeln; denn auch die Generationengerechtigkeit hat etwas mit der Zukunftsfestigkeit einer Gesellschaft zu tun. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Heidrun Bluhm das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Götz, Sie tun so, als wären unsere Städte alle fertig. (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Die sind nie fertig! Es geht immer weiter!) Nach der von Ihnen hier vorgelegten Bilanz könnte das Stadtumbauprogramm zu Ende gehen, weil wir so wunderschöne Städte haben. Und das sagen Sie als ehemaliger Bürgermeister! (Peter Götz [CDU/CSU]: Ich habe gute Beispiele genannt! - Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Die Städte im Osten waren nicht nur fertig, sondern fix und fertig!) Wie wollen Sie das Ihren Bürgermeisterkollegen in den anderen Städten erklären? Was mich beeindruckt hat: Sie haben es in Ihrer Rede tatsächlich geschafft, keinen einzigen Satz dazu zu verlieren, dass es sich hier um eine Halbierung der Förderung, die wir bereits in Aussicht gestellt hatten, handelt. Gerade im Bereich Bauen besteht die Verlässlichkeit darin, dass man, auch als Kommune, über Jahre planen können muss. Ich weiß nicht, wie Sie Ihren Bürgermeisterkollegen erklären wollen, dass wir die Hälfte, also 50 Prozent, der zugesagten Mittel - wir hatten die Fortschreibung unseres Haushalts vereinbart - für alle infrage kommenden Förderprogramme streichen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kurz bevor das Sparprogramm verabschiedet wurde, hat unser Fachminister Ramsauer insbesondere zur Immobilienwirtschaft gesagt - ich zitiere -: Die Immobilienwirtschaft ist eine tragende Säule unserer Volkswirtschaft. Sie stärkt den Standort Deutschland und trägt maßgeblich dazu bei, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Die Branche ist eine der größten Wirtschaftszweige mit mehr als 460 000 Erwerbstätigen und einer Bruttowertschöpfung von mehr als 260 Milliarden Euro. (Peter Götz [CDU/CSU]: Hat er recht!) Zusammen mit der Bauwirtschaft findet dort eine jährliche Wertschöpfung von über 400 Milliarden Euro statt. Wenn wir uns bewusst machen, welche Wirkungen das auf die Bauwirtschaft und auf die Immobilienwirtschaft hat - ich rede jetzt noch nicht einmal von den Städten, die die Städtebaumittel brauchen -, dann wird uns klar, dass die Zahlen zur Arbeitslosigkeit, die Herr Mücke hier eben vorgetragen hat, überhaupt keinen Bestand haben werden und dass es eine Rückwärtsentwicklung geben wird. Sie zielen jetzt mit der Abrissbirne genau auf die tragende Säule, von der der Minister spricht. Meine Damen und Herren der Regierung, Ihnen ist in den letzten Tagen wie auch heute sicher schon hundertfach vorgerechnet worden, um wie viel mehr die von Ihnen so hochgeschätzten Wirtschaftszweige der Immobilienwirtschaft und der Bauwirtschaft durch die vermeintlichen Einsparungen in Ihrem Etat gebeutelt werden. Herr Groß hat hier aufgeführt, von wem wir im Moment mit Stellungnahmen überschwemmt werden und was das für Konsequenzen hat: (Patrick Döring [FDP]: Das ist immer so!) Nahezu alle Verbände, nahezu alle Betroffenen sind zu 100 Prozent der Auffassung, dass das, was wir hier machen, wirklich der Konkurs ist. Ich glaube nicht, dass das, was wir so erfolgreich in Gang gesetzt haben - wir alle haben voller Stolz immer wieder berichtet, was das für die Wirtschaft in Deutschland bedeutet hat -, jemals wieder so wird, wie es einmal war, ganz zu schweigen von den Mehraufwendungen und vor allem von den Verlusten der anderen Ressorts, zum Beispiel des Ministeriums für Arbeit und Soziales. Wir werden merken, dass es zusätzliche Arbeitslose, mehr Bedarfsgemeinschaften bei Hartz IV und mehr Wohngeldempfänger gibt. Wahrscheinlich wird es dann Maßnahmen geben, auch Transferleistungen wie das Wohngeld zu kürzen. (Patrick Döring [FDP]: Das ist ein Zerrbild, was da gezeichnet wird!) Dabei ist das, was Sie tun, nicht einmal Sparen; denn Sparen hieße ja, für die Zukunft vorzusorgen. Unsere Kinder und Enkel, die vorgeblich vor weiter wachsenden Schulden bewahrt werden sollen, werden ein Vielfaches von dem, was jetzt weggestrichen wird, aufbringen müssen, um die ihnen hinterlassenen ökologischen Lasten und vor allem die demografischen Probleme noch irgendwie in den Griff zu bekommen. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: So ist das!) Die Erderwärmung werden wir ihnen ebenso wenig ersparen können wie den Mangel an altersgerechtem und barrierefreiem Wohn- und Lebensraum. Drastische Unterversorgung mit bezahlbaren Wohnungen in prosperierenden Regionen kriegen Sie mit diesem Streichpaket ebenso wenig kleingespart wie den dramatischen Wohnungsleerstand und den Zerfall ganzer Quartiere, vor allem in den schrumpfenden Regionen. Erfahrungsgemäß heißt das: Was einmal weg ist, das taucht auch nie wieder auf, Herr Mücke. Deswegen wage ich zu prognostizieren: Wenn dieses Sparpaket so durchgezogen wird, wie beabsichtigt, ist das der Einstieg in den Ausstieg aus den Klimaschutzzielen, ist das der Anfang vom Abschied des Bundes aus dem Stadtumbau Ost und West, aus dem Programm "Soziale Stadt", aus der Förderung aktiver Stadt- und Ortsteilzentren, und selbstverständlich ist das auch der K.o. für die soziale Wohnraumförderung der Länder. Denn die Länder werden - das kann man ihnen in dieser Situation nicht einmal verübeln - die freigesetzten Kofinanzierungsmittel nicht sparen, - Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Bluhm, achten Sie bitte auf das Signal. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): - sondern sie werden sie gezwungenermaßen zur Lösung anderer Probleme ausgeben, sodass sie auch dieses Geld später nicht mehr haben. Wir als Linke wollen - - Vizepräsidentin Petra Pau: Das war jetzt ernst gemeint. Sie haben Ihre Redezeit bereits überschritten. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Entschuldigung. - Wir wollen dem sozialen Grundbedürfnis nach Wohnen gerecht werden, und deshalb unterstützen wir die beiden Antragsteller SPD und Grüne. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Volkmar Vogel das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Städte werden nie fertig sein. Sie stehen nämlich immer wieder vor neuen Herausforderungen. Die Herausforderungen der nächsten Jahre sind der demografische Wandel und die Energieeinsparung, damit Nebenkosten bezahlbar bleiben sowie Umwelt und Klima geschützt werden. Die Strukturanpassungen unterstützt der Bund mit seinen Städtebauförderprogrammen. Nun können wir mit der Opposition über die vorliegenden Anträge streiten, darüber, dass diese Programme nicht mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet sind. Ich möchte hier aber gemeinsam mit meinem Kollegen Peter Götz noch einmal ganz deutlich erklären: Wir werden keines der Programme streichen. Sie bedienen alle Belange des Städtebaus in ihrer Vielschichtigkeit und in ihrer Differenziertheit, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) also regional, nach Eigentümerstruktur, nach Bewirtschaftungsform, nach sozialen Belangen und nach ökologischen Erfordernissen. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm hat sich auf diesem Feld ganz besonders bewährt: klimapolitisch für die Umwelt, konjunkturpolitisch für das Handwerk sowie das Baugewerbe und wohnungspolitisch in Bezug auf den Modernisierungsgrad der Gebäude. Meine Damen und Herren, gemessen am Sanierungsbedarf - das muss man an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen - werden wir dieses Programm nie ausfinanzieren können. Wie wir alle wissen, ist der Bedarf nämlich so groß, dass wir wahrscheinlich den gesamten Investitionshaushalt des Bundes in das CO2-Gebäudesanierungsprogramm stecken könnten und es trotzdem nicht ausreichte. (Peter Götz [CDU/CSU]: So viele Handwerker gibt es gar nicht!) Wir müssen die privaten Initiativen unterstützen, und zwar mit Geld, aber - das kam heute in der Diskussion aus meiner Sicht zu kurz, bzw. wurde außer von meinem Kollegen Peter Götz noch gar nicht genannt - vor allen Dingen auch durch einfache, nachvollziehbare Regelungen. Trotzdem helfen die gezielten Anreize des Programms, Investitionen freizusetzen - besonders im Handwerk und bei mittelständischen Baufirmen. Das Programm war bis Ende 2011 ausgelegt. Danach wäre Schluss. Derzeit laufen Untersuchungen, welche Wirkung es zeigt. Im internationalen Maßstab liegt es ganz vorn; ich denke, sogar auf Platz eins. Deshalb wird die christlich-liberale Koalition prüfen - das werden wir auch positiv tun -, wie dieses Programm noch effizienter fortgeführt werden kann. Ich möchte an dieser Stelle an Folgendes erinnern: 2009 standen 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung. 750 Millionen Euro davon haben wir aus 2010 und 2011 vorgezogen. Trotz der erkennbaren Finanzlücke haben wir den Haushaltsansatz für 2010 durch Vorziehung aus 2011 noch einmal um 400 Millionen Euro auf 1,4 Milliarden Euro aufgestockt. Die Sparzwänge durch die Schuldenbremse gehen leider auch an diesem Programm nicht vorbei. Lassen Sie mich an dieser Stelle bekräftigen: Die Kollegen meiner Fraktion und ich sind nach wie vor der Meinung, dass das CO2-Gebäudesanierungsprogramm eines der erfolgreichsten klimapolitischen Förderinstrumente der Bundesrepublik ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Uwe Beckmeyer [SPD]: Wohl wahr!) Dennoch muss jetzt bedachtes, nachhaltiges und vor allem generationengerechtes Handeln, besonders in Haushaltsfragen, im Vordergrund stehen. Wir müssen uns in diesen Zeiten damit abfinden, dass wir nicht unbegrenzt zusätzliches Geld ausgeben können. (Zuruf von der SPD: Nicht zusätzliches!) 2012 wäre mit dem Programm Schluss. Wie gesagt, wir prüfen die Fortschreibung. Was ist in Anbetracht nötiger Sparzwänge besser - 2011 ohne Kürzung circa 800 Millionen Euro auszugeben und dann garantiert Schluss machen zu müssen oder eine Fortsetzung auf niedrigem Niveau, um das Programm am Laufen zu halten? (Gustav Herzog [SPD]: Erhöhen Sie doch die Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen! Dann haben Sie das Geld!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Meinung, dass Letzteres der geeignetere Weg ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wie Staatssekretär Mücke bereits ausgeführt hat, kann das derzeit niedrige Zinsniveau nämlich eine günstigere Kreditaufnahme ermöglichen. Die effektive Förderung von Einzelmaßnahmen in der Breite bewirkt ein besseres Ergebnis für Wirtschaft und Klimabilanz als eine teure Förderung zur Erreichung des absoluten Spitzenwertes an Effizienz. Es ist doch allemal besser, mit einer bestimmten Geldsumme in der Breite viel zu erreichen, als mit einem Betrag, der nur für die Spitze eingesetzt wird, eine viel geringere CO2-Minderung zu erzielen. Deswegen kommt es aus unserer Sicht darauf an, dass wir das CO2-Gebäudesanierungsprogramm in der Zukunft flexibler handhaben. Dies gilt übrigens auch in Verbindung mit anderen Programmen. Der Ansatz der Verknüpfung der Programme im Städtebau muss gerade bei knappen Kassen konsequent fortentwickelt werden. Altersgerechtes Wohnen, Barrierefreiheit, Energieeffizienz, soziale und technische Infrastruktur sowie Gebäudemanagement müssen im Komplex betrachtet werden. Dafür haben wir unsere bewährten Programme. Deshalb führen wir sie weiter, und deshalb werden wir sie finanziell so ausstatten, wie wir es uns leisten können: mal schlechter, aber garantiert auch wieder besser. Daran - davon bin ich überzeugt - werden die Baupolitiker der Koalition arbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/2346, 17/2395 und 17/2396 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Elektronischen Personalausweis nicht einführen - Drucksache 17/2432 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu nehmen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Stephan Mayer, CDU/CSU, Frank Hofmann, SPD, Manuel Höferlin für die FDP, Jan Korte für die Fraktion Die Linke und Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.1 Auch hier wird interfraktionell die Überweisung der Drucksache an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 14. September 2010, 10 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen erholsame Tage, manche neue Erkenntnisse und Ideen. Wir sehen uns dann am 14. Sep-tember hier wieder. (Schluss: 14.27 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Burkert, Martin SPD 09.07.2010 Dr. Enkelmann, Dagmar DIE LINKE 09.07.2010 Friedhoff, Paul K. FDP 09.07.2010 Gehring, Kai BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.07.2010 Herrmann, Jürgen CDU/CSU 09.07.2010 Kaster, Bernhard CDU/CSU 09.07.2010 Laurischk, Sibylle FDP 09.07.2010 Lenkert, Ralph DIE LINKE 09.07.2010 Liebich, Stefan DIE LINKE 09.07.2010* Menzner, Dorothee DIE LINKE 09.07.2010 Ortel, Holger SPD 09.07.2010 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 09.07.2010 Dr. Scheuer, Andreas CDU/CSU 09.07.2010 Schipanski, Tankred CDU/CSU 09.07.2010* Schmidt (Aachen), Ulla SPD 09.07.2010 Schnieder, Patrick CDU/CSU 09.07.2010 Schreiner, Ottmar SPD 09.07.2010 Thönnes, Franz SPD 09.07.2010 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 09.07.2010* Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 09.07.2010 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 09.07.2010 Zapf, Uta SPD 09.07.2010 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der OSZE Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Elektronischen Personalausweis nicht einführen (Tagesordnungspunkt 37) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Im Grunde muss man für den Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, obwohl er inhaltlich in keiner Weise haltbar ist, dankbar sein. So besteht die Möglichkeit in diesem Hohen Hause erneut über das vielversprechende Projekt, das nun zum 1. November dieses Jahres endlich auch den Bürgerinnen und Bürgern zugänglich sein wird, zu sprechen. Zunächst möchte ich kurz auf die in Ihrem Antrag formulierte Kritik eingehen. Sie führen zwei Kritikpunkte an: Zum einen haben Sie Bedenken gegen die Ausgestaltung des neuen Personalausweises als Biometriedokument, und zum anderen stellen Sie die nachhaltige Sicherung der auf dem Ausweis gespeicherten Daten in Frage. Sie sprechen in Ihrem Antrag richtigerweise das bisherige Ausweisdokument an, auf dem, wie auch Ihnen von den Grünen sicher bekannt ist, bereits vier biometrische Daten enthalten sind, nämlich Körpergröße, Augenfarbe, Lichtbild und Unterschrift. Durch die Erweiterung um das digitale Bild und die explizit freiwillige Speicherung von Fingerabdrücken wird eine stärkere und nachvollziehbare Bindung zwischen Ausweisinhaber und Dokument erreicht. Dass dadurch die missbräuchliche Verwendung gestohlener Ausweise erschwert wird, liegt auf der Hand. In Ihrer Argumentation hinsichtlich möglicher Sicherheitsbedenken, dem zweiten Aspekt Ihres Antrages, räumen Sie erfreulicherweise die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Verbesserung der sicheren Kommunikation im Internet ein. Umso erstaunlicher erscheint mir die Tatsache, dass Sie eine weitere Karte für den Versandhandel fordern. Wollen Sie dann auch eine weitere Karte für die Kommunikation mit Behörden? Und noch eine Karte für sicheren privaten Austausch? Neben der fehlenden praktischen Tauglichkeit dieses Vorschlages widerspricht dies auch dem Gebot der Datensparsamkeit. Der neue Ausweis vereint all diese Möglichkeiten. Zukünftig können die Ausweisinhaber sich im Internet elektronisch sowohl gegenüber Behörden im E-Government als auch gegenüber privatwirtschaftlichen Dienstleistungsanbietern, beispielsweise beim Onlineshopping, Onlinebanking oder beim Onlinekauf von Tickets jedweder Art, ausweisen. Gleichzeitig erhält der Ausweisinhaber über ein Zertifikat die Bestätigung, dass die von ihm aufgerufene Website auch dazu berechtigt ist, seine Daten abzufragen. Wäre diese Innovation bereits eingeführt und etabliert, wären unter Umständen die praktischen und wirtschaftlichen Hürden bei der Umstellung auf den Elektronischen Entgeltnachweis, ELENA, deutlich geringer gewesen. Zurück zu Ihrem Antrag. Das wesentliche Argument in dem Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen bezieht sich offensichtlich auf mögliche Sicherheitsbedenken. Ich nehme dabei durchaus erfreut zur Kenntnis, dass Ihre Aufmerksamkeit für Sicherheitsbelange wächst, nur ist Sie hier unbegründet. Der neue Personalausweis bietet eine sehr hohe Datensicherheit. Als Berichterstatter meiner Fraktion für den Bereich des Datenschutzes im Innenausschuss des Deutschen Bundestages habe ich dem Aspekt der Datensicherheit selbstverständlich besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Es ist sichergestellt, dass alle Informationen und Übertragungen mit modernen, dauerhaft wirksamen und international anerkannten Verschlüsselungsverfahren sicher geschützt werden. Der neue elektronische Personalausweis ist mit physikalischen und elektronischen Sicherheitsmerkmalen auf höchstem technologischem Niveau ausgestattet. Auch unter Berücksichtigung der technischen Innovationen ist über die gesamte Gültigkeitsdauer von 10 Jahren sichergestellt, dass die technische Aufwandsschwelle für Fälschungs- oder Verfälschungsversuche sowie auch sogenannte Hacking-Angriffe auf den Chip im Personalausweis ausreichend hoch ist. Ich teile ausdrücklich die Einschätzung der Bundesregierung, dass so die Wahrscheinlichkeit, dass die Algorithmen des neuen Personalausweises vor Ablauf der Gültigkeitsdauer von zehn Jahren nicht mehr sicher sind, vernachlässigbar gering ist. Ich räume ein, dass erste Überlegungen zur Realisierung von Quantencomputern existieren, die wohl so gut wie alle bestehenden digitalen Sicherheitstechniken vor Probleme stellen würden. Allerdings wird bis zu einer möglichen Realisierung noch viel Zeit vergehen, vor allem wird damit aber auch die Weiterentwicklung der Sicherheitstechnologien einhergehen. Wir werden zu diesem bisher nicht vorhersehbaren Zeitpunkt entsprechende Anpassungen vornehmen müssen und dies auch tun. Neben den bereits angesprochenen Möglichkeiten, die der neue Personalausweis bietet, sind beispielsweise auch erhebliche Verbesserungen für den Jugendschutz zu erwarten. Mir persönlich ist, wie bereits erwähnt, der Schutz der personenbezogenen Daten ein besonderes Anliegen. Der Ausweisinhaber selbst behält die volle Kontrolle darüber, welche seiner persönlichen Daten an den Anbieter übermittelt werden. Aufgrund seines Sicherheitskonzeptes hilft der neue Personalausweis, Internetkriminalität zu bekämpfen und das Vertrauen der Bevölkerung in elektronische Transaktionen zu steigern. Damit können Prozesse wie Log-in, Adressverifikation und Altersnachweis wirtschaftlicher und schneller realisiert werden. Die umfangreichen Tests im Vorfeld der Einführung bestätigen zudem positive Prognosen hinsichtlich des hohen Schutzniveaus. Seit Oktober 2009 erproben E-Business- und E-Government-Anbieter in einem Anwendungstest die elektronische Identitätsnachweisfunktion des neuen Ausweises in ihren Onlineservices. Die Beantragung, Ausstellung und Sperrung von Ausweisen wurden durch ausgewählte kommunale Behörden seit Anfang 2010 in einem Feldtest evaluiert, dessen Ergebnisse ebenfalls noch vor dem Roll-out in die laufende Projektabwicklung einfließen. Ich hoffe sehr, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung schnell wächst und sich die massiven Vorteile dieser neuen Ausweise schnell verbreiten. Wenn die Verfahren institutionalisiert sind und eine gewisse Schwelle der Verbreitung überschritten ist, werden die Vorteile nicht mehr zu verleugnen sein. Mit Blick auf den hier dargestellten Sachstand sind Ihre Befürchtungen hinsichtlich einer etwaigen Beschneidung von Freiheitsrechten oder hinsichtlich der sicherheitstechnischen Vorkehrungen gänzlich unbegründet. Daher ist diesem Antrag die Zustimmung zu verweigern. Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Wir bekommen ab dem 1. November 2010 den neuen elektronischen Personalausweis und somit ein modernes Identitätsdokument. Das ist nichts Neues, sondern das Produkt eines sehr aufwendigen Gesetzgebungsvorhabens, das die Große Koalition in der vergangenen Legislaturperiode erfolgreich durchgeführt hat. Insofern ist keines der sachlichen Argumente im Antrag der Grünen neu. Wir haben diese Kritikpunkte bereits während des Gesetzgebungsverfahrens umfassend berücksichtigt und sorgfältig abgewogen. Der Antrag dokumentiert also nur die innere Zerrissenheit der aktuellen Bundesregierung. Hier zeigt sich exemplarisch, wie sich die Zeiten, die Mehrheitsverhältnisse und die tragenden Argumente ändern. Nun zum dünnen, nicht neuen Inhalt des grünen Antrags: Die Aufnahme biometrischer Merkmale ist nicht überflüssig, sondern in der Form, wie wir das Gesetz gestaltet haben, notwendig und ein Beitrag für ein modernes, technisch zeitgemäßes Ausweisdokument. Dies ist ein Angebot an die Bürgerinnen und Bürger, im digitalen Zeitalter einen elektronischen Identitätsnachweis zu nutzen. Auch wenn sich die Grünen mit modernen Technologien und Innovationen immer ein wenig schwer tun, wollten wir uns dieser Entwicklung nicht verschließen. Einen "Standard-Identitätsnachweis im Internet" gab es bislang nicht, obwohl immer mehr Dienstleistungen hierüber abgewickelt werden. Unser neuer Personalausweis wird dann auch in die Geldbörse passen. Ob da allerdings auch noch Platz ist für eine zusätzliche Wolfgang-Wieland-Gedächtniskarte, die als Identifikationskarte für den Onlinehandel dienen soll, halte ich für zweifelhaft. Richtig ist, dass es beim bisherigen Personalausweis kein gravierendes Fälschungsproblem gegeben hat. Die Fälschungsquoten waren und sind gering. Der Sicherheitsgewinn durch die Einführung biometrischer Merkmale ist daher zunächst eher von theoretischer als von praktischer Bedeutung. Deshalb haben wir bei der Abgabe der Fingerabdrücke auf die freiwillige Entscheidung der Bürger gesetzt. Dabei soll kein, auch kein indirekter Zwang auf die Bürger ausgeübt werden. Daher halte ich die aktuelle Informationsbroschüre aus dem Innenministerium für grenzwertig, die den Sicherheitsgewinn durch die Kombination von biometrischem Foto und Fingerabdruck offensiv bewirbt. Richtig ist aber auch, dass wir durch die Biometriefunktion den Ausweis stärker an den Inhaber binden und so wie auch immer gearteten Identitätsmissbrauch in der Zukunft erschweren. Falls er einmal verloren geht oder gestohlen wird, wird die missbräuchliche Verwendung durch Personen, die dem Passinhaber ähnlich sehen, erschwert. Wie beim europäischem Reisepass hat sich die SPD auch hier durchgesetzt: Eine Speicherung der Fingerabdrücke außerhalb des Personalausweises findet nicht statt. Von einem gläsernen Bürger kann daher keine Rede sein. Außerdem ist der Personalausweis ein Passersatzdokument, sodass ein gewisser Gleichlauf mit den Ausstattungs- und Sicherheitsmerkmalen des E-Passes durchaus sinnvoll ist. Die Debatte über angebliche Sicherheitsdefizite der gespeicherten Daten auf dem RFID-Chip ist an den Haaren herbeigezogen und wird durch ständige Wiederholung nicht besser. Wir haben uns den ganzen Unsinn von FDP und Grünen schon beim E-Pass anhören müssen. Es bleibt auch beim Personalausweis dabei: Das biometrische Lichtbild und gegebenenfalls die Fingerabdrücke auf dem Chip sind vor unberechtigtem Zugriff sicher. Durch moderne Kryptierungstechnik ist der Chip vor Hackerangriffen, also dem unberechtigten Zugriff, geschützt. Das haben uns auch die Experten vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik bestätigt. Im Übrigen: Der Vergleich mit England hinkt natürlich. Dort hat fast jeder Bürger einen Reisepass, also ganz anders als in Deutschland. Großbritannien ist für mich auch kein Maßstab im Hinblick auf Bürgerrechte. Ich möchte hier nur das Stichwort "Videoüberwachung" erwähnen. Von daher kann ich meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen nur auffordern, sich mit dem neuen Personalausweis anzufreunden und ihre ganze Energie in sinnvolle Oppositionsarbeit zu investieren. Bei der gegenwärtigen Vorstellung der Chaostruppe um Merkel/Westerwelle ist das bitter nötig. Manuel Höferlin (FDP): Eigentlich hatte ich mich auf eine spannende letzte Debatte vor der Sommerpause gefreut. Als ich dann den Antrag der Grünen gelesen habe, musste ich diese Hoffnung begraben. Was die Grünen hier bieten, ist nichts als plump und billig. Sie beantragen den Stopp der Einführung des elektronischen Personalausweises, fordern stattdessen eine vom Staat entwickelte und somit vom Steuerzahler finanzierte zusätzliche Identifikationskarte zum Personalausweis und begründen dies einzig und allein mit ein paar Zeitungsschnipseln aus der Neuen Osnabrücker Zeitung. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Wenn Sie glauben, Sie könnten so einen Keil zwischen die Koalitionsfraktionen oder gar zwischen die Abgeordneten der FDP treiben, haben Sie sich getäuscht. Mit Ihrem Antrag, in dem Sie sich tatsächlich in keinem einzigen Satz inhaltlich mit dem elektronischen Personalausweis auseinandersetzen, müssten Sie sich eigentlich völlig unglaubwürdig machen. Ich sage bewusst "müsste", weil Sie de facto schon lange über keine Glaubwürdigkeit mehr im Bereich Bürgerrechte verfügen. Ihre Selbstdarstellung als Gralshüter des Datenschutzes nimmt Ihnen doch längst keiner mehr ab. Und ich sage Ihnen, warum: Sie haben als Regierungsfraktion zu Zeiten Rot-Grüns etliche Male das Bankgeheimnis und das Postgeheimnis eingeschränkt, ja geradezu geschliffen; Sie haben unter dem Deckmantel der Terrorabwehr die Grenzen zwischen Nachrichtendiensten und Polizei verwischt; Sie haben dem bedingungslosen Totalausverkauf unserer Daten im Rahmen des Passagierdatenabkommens mit den USA zugestimmt. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen, aber schon diese Punkte zeigen: Sie sind Schönwetter-Bürgerrechtler. In Regierungsverantwortung reißen Sie die Bürgerrechte mit der Abrissbirne ein, in der Opposition klopfen Sie dann Sprüche. Landläufig nennt man das Populismus. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass der elektronische Personalausweis kein Lieblingsprojekt der Liberalen ist. Wir hätten auch mit anderen Lösungen leben können. Aber: Zu Beginn der gelb-schwarzen Koalition war die Entwicklung des elektronischen Personalausweises bereits weit fortgeschritten, hatten Staat und Unternehmen erhebliche Summen in die Entwicklung des neuen Personalausweises gesteckt. Ein Ende des elektronischen Personalausweises wäre ein gigantisches Millionengrab gewesen. Wir haben deshalb die Schlussphase der Entwicklung vor allem aus datenschutzrechtlicher Perspektive kritisch und konstruktiv begleitet. Mit dem Ergebnis können wir deshalb gut leben. Und wir werden unsere Verantwortung für den Datenschutz auch weiterhin wahrnehmen: in der Einführungsphase des elektronischen Personalausweises genauso wie in den folgenden Jahren. Sollte sich Korrekturbedarf ergeben, werden wir umgehend alle nötigen Maßnahmen ergreifen. Wir werden den elektronischen Personalausweis mit der gebotenen Wachsamkeit begleiten und weiterentwickeln. Da sich die Grünen inhaltlich mit dem elektronischen Personalausweis nicht befassen wollen, möchte ich an dieser Stelle auf den Nutzen und die Chancen des elektronischen Personalausweises hinweisen: Vor allem im Bereich des E-Government wird der elektronische Personalausweis mittel- und langfristig zu erheblichen Effizienzgewinnen führen. Verwaltungsabläufe können beschleunigt und entbürokratisiert werden, dadurch können sowohl die Kommunen als auch die Bürger Zeit, Infrastruktur und Kosten sparen. Bei der Bekämpfung des Identitätsmissbrauchs kann der elektronische Personalausweis eine wichtige Rolle spielen. Das Datenschutzniveau beim elektronischen Personalausweis ist hoch; vor allem, weil der Bürger zu allererst bei der Beantragung selbst entscheidet, welche Funktionen aktiviert werden. Der elektronische Identitätsnachweis wird nur aktiviert, wenn dies ausdrücklich gewünscht ist, und auch die Möglichkeit zur digitalen Signatur ist eine Option, aber kein Zwang. Schließlich kann sich jeder Bürger auch dafür entscheiden, seine Fingerabdrücke nicht erfassen zu lassen. Abgesehen vom biometrischen Passfoto unterscheidet sich der elektronische Personalausweis also kaum vom bisherigen Personalausweis, wenn der Antragsteller dies wünscht. In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen bei den Grünen, sprechen Sie sich zu meiner großen Überraschung für eine Identifikationskarte für den elektronischen Handel aus. Sind Sie allen Ernstes der Auffassung, dass der Steuerzahler die Entwicklung einer "Bundes-Shopping-Card" finanzieren sollte? Dieser Vorschlag und der gesamte Antrag beweisen vor allem eines: Ihre Bürgerrechtspolitik ist kopflos und substanzlos! Wir Liberale werden die Chancen und das Innovationspotenzial des elektronischen Personalausweises nutzen und mit Argusaugen die Praxis dieses neuen Instrumentes begleiten. Denn technischer Fortschritt lässt sich sehr wohl mit einem hohen Datenschutzniveau verbinden. Jan Korte (DIE LINKE): Die Linke entscheidet anhand von inhaltlichen Fragen. Daher werden wir dem vorliegenden Antrag voll und ganz zustimmen. Und wenn noch irgendein Funke von Erkenntnislust in dieser Koalition glimmt, dann folgt sie der Intention des Antrages und stellt von sich aus dieses unsinnige Projekt ein. Dies entspräche im Übrigen dem, wenn auch eher minimalistischen Ansatz des Kollegen Brüderle, der ja vollmundig angekündigt hat, ein anderes Datenschutz-Monstrum, nämlich ELENA, zum vorläufigen Erliegen zu bringen. Ich bin gespannt, was daraus wird. In diesem einzelnen Falle hat Herr Brüderle übrigens unsere Unterstützung. Aber zurück zum elektronischen Personalausweis, ePA, oder dem "neuen Personalausweis", nPA, wie er neuerdings heißt. Da ich Realist bin, nehme ich nicht an, dass der Antrag heute hier eine Mehrheit finden wird. Das bedeutet jedoch Folgendes: Jede und jeder, der für weitere zehn Jahre verhindern will, einen Personalausweis mit biometrischen Daten mit sich herumtragen zu müssen, hat nur noch bis zum 31. Oktober Zeit, seinen alten Ausweis zu verlieren und einen der bisherigen zu beantragen. Ab dem 1. November wird es dann nur noch den nPA geben. Das ist bitter. Im März sah es ja noch so aus, als sei der nPA unter Umständen aufzuhalten. Zumindest ließen sich einige Kollegen der FDP-Fraktion mit entsprechenden Plänen zitieren. Damals konnte man den Eindruck gewinnen, dass sie sich an ihre sehr vernünftigen Positionen aus der letzten Legislaturperiode erinnert hätten. Ich zitiere hier mal aus ihrem entsprechenden Antrag "Keine Einführung des elektronischen Personalausweises". Dort hieß es noch ganz richtig: Der Deutsche Bundestag lehnt die Einführung des elektronischen Personalausweises ab. Die umfangreiche Erfassung und Speicherung der biometrischen Daten ist zur elektronischen Identifizierung nicht notwendig und birgt mehr Nachteile als Vorteile. Die zwangsweise Verwendung von biometrischen Daten aller Bundesbürger ist unverhältnismäßig. Ganz auf dieser Linie bewegte sich vor vier Monaten die FDP-Kollegin Piltz. Sie forderte, dass die Einführung des Ausweises "bis 2020 ausgesetzt werden" solle, da er nicht sicher sei und die Menschen Gefahr liefen, dass ihre Daten unbefugt ausgelesen und ihre Identität missbraucht würde. Sie sagte weiter: "Zudem besteht keine Notwendigkeit, biometrische Merkmale in den Ausweis aufzunehmen". Ihr parlamentarischer Geschäftsführer, Herr Ahrendt, forderte damals sogar, der Staat müsse sich bei seiner Datensammelwut zurücknehmen und deshalb die Entscheidung für den Ausweis korrigieren. Davon ist jetzt nirgendwo mehr die Rede. Vermutlich dürfen sie nur alle paar Monate mal ein bisschen auf die Bürgerrechtspauke hauen und für medialen Streit in der Koalition sorgen, und dann muss wieder Ruhe herrschen, ganz nach dem Motto "Was stört mich mein Gerede von gestern". Dass der neue Personalausweis eines der Lieblingsprojekte des Bundesinnenministeriums war, wissen wir schon lange. Am 3. Juni verkündete es die Gebührenverordnung für den neuen Personalausweis, die "nach Abstimmung mit den zu beteiligenden Ressorts" den Ländern zugeleitet und noch vor der Sommerpause im Bundesrat verabschiedet werden soll. Vorgesehen ist ein Preis von 28,80 Euro, was dreimal so teuer ist wie die 8 Euro für den alten Ausweis. Wer jünger als 24 Jahre ist, zahlt 19,80 Euro. Dafür gilt er dann aber auch nur für 6 und nicht für 10 Jahre. Ausnahmen für Menschen ohne oder mit nur geringem Einkommen sind erst gar nicht vorgesehen. Am 17. Juni dann präsentierte Innenminister Thomas de Maizière persönlich das Dokument in der Bundesdruckerei und erklärte, dass - Zitat - "dieser neue Personalausweis ... die sicherste elektronische Identitätskarte, die es auf dem Markt gibt", sei. Das mag sogar derzeit der Fall sein. Es stellt sich allerdings die Frage: Wie lange wird er denn sicher bleiben? Die gesamten 10 Jahre, die er gültig ist? Darauf kann der Bundesinnenminister derzeit keine seriöse Antwort geben. Denn klar ist doch eines: Auch noch so sichere technische Systeme werden inzwischen in ziemlich kurzen Zeiträumen überwunden. Und was dann? Dann hilft einem nur noch eine Hotline des Ministeriums. Bei der muss man nämlich anrufen und ein Sperrkennwort nennen, um den Ausweis ungültig zu machen und das Schlimmste zu verhüten. Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein - schon gar nicht, wenn man sich ansieht, wie es sicherheitstechnisch mit dem alten Personalausweis aussieht. Hier wiederhole ich gerne, was ich Ihnen an dieser Stelle vor rund zwei Jahren schon gesagt habe: Zurzeit sind 62 Millionen Personalausweise im Umlauf. Nach Angaben der Bundesregierung wurden im Zeitraum vom 1. Januar 2001 bis einschließlich 30. September 2007 insgesamt 495 Urkundendelikte registriert. Dabei handelte es sich in 88 Fällen um Totalfälschungen sowie in 128 Fällen um Verfälschungen von deutschen Personalausweisen - also 495 Urkundendelikte bei 62 Millionen in Umlauf befindlichen Personalausweisen. In Ihrer Sprache würde man sagen: Ein wirklich deutsches Spitzenprodukt. Zumindest was den Sicherheitsaspekt angeht, besteht also keine Handlungsnotwendigkeit. - Aber Sie verfolgen mit Ihrem Projekt ja noch etwas ganz anderes. Die angeblich fehlende Sicherheit des jetzigen Personalausweises diente Ihnen nur als populärer Vorwand für ein Projekt, das die Bürgerinnen und Bürger nie gebraucht und auch nicht gewollt haben. Es geht Ihnen um die Schaffung eines Marktes für biometrische Techniken, um ihre möglichst umfassende Einführung und darum, einen großen Teil der Entwicklungskosten via Steuergelder und Gebühren den Bürgerinnen und Bürgern in Rechnung zu stellen. Schön wäre es auch, wenn die Regierung endlich aufhören würde, mit "Freiwilligkeit" und "optionalen Funktionen" die Bürgerinnen und Bürger auch noch zu veralbern. Seit der Einführung des optionalen Girokontos wissen wir, dass es sich dabei lediglich um Akzeptanzstrategien handelt: Wer heute noch nicht will, wird über geschaffene Tatsachen eben morgen zum Glück gezwungen. - Blöd nur, wenn sich dieses Glück als Pech entpuppt. Was passiert denn, wenn die schöne neue "sichere Identität" in Form einer sechsstelligen PIN samt Ausweis verloren geht? Dann passiert genau das, was Sie angeblich damit verhindern wollen. Der Finder kann ungehindert in falschem Namen einkaufen, Verträge abschließen und Anträge stellen, und niemand schöpft Verdacht. Denn eine weitere Prüfung der Identität findet ja nicht mehr statt. Bei der FDP war man sich dessen schon einmal bewusst. In ihrem damaligen Antrag hieß es noch: Die Gefahr des Identitätsdiebstahls wird durch eine Speicherung der biometrischen Daten außerhalb der auf den Ausweisen befindlichen Template erheblich erhöht. Und weiter: Die Privatwirtschaft ist nicht auf ein biometriegestütztes technisches Identifikationsverfahren für Onlinegeschäfte angewiesen. Erklären Sie uns deshalb bitte doch einmal, warum Sie Ihre damalige Position aufgegeben haben? Der Grünen-Antrag liegt hier völlig richtig: Identitätsschlüssel für Internet, E-Government und sonst was dürfen auf keinen Fall mit Pflichtdokumenten kombiniert werden. Unvergessen ist für mich auch noch der Auftritt von BKA-Präsident Jörg Ziercke im Innenausschuss. Damals ging es um die Einführung des ePasses. Als er seinen aus Sicherheitsgründen in Alu verpackten Pass aus der Tasche gezogen und damit alle Sicherheitsversprechen der Befürworter ad absurdum geführt hat, hätten eigentlich auch dem dogmatischsten Befürworter die Augen aufgehen müssen. Wir wissen alle, was geschah: Sie schlafen unbeirrt weiter. Immerhin bietet der FoeBuD, der Verein zur Förderung des öffentlich bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V., in Bielefeld in seinem Onlineshop allen Bürgerinnen und Bürgern seitdem eine mit 2,50 Euro recht preiswerte Möglichkeit, das unbemerkte Auslesen des RFID-Chips zu verhindern. Die RFID-Schutzhülle bekommt man leider bislang nur bei den Kritikern des nPA. Bei den Meldeämtern sucht man dergleichen sinnvolle Angebote oder auch nur die Hinweise darauf vergeblich. Aber was nicht ist, das kann ja noch werden. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Dezember 2008 hat der Bundestag die Einführung eines elektronischen Personalausweises zum 1. November dieses Jahres beschlossen. Dem ging ein monatelanges Ringen voraus, vor allem darüber, ob die Fingerabdrücke in das Dokument aufgenommen werden sollten. Im Ergebnis gab es einen typischen Kompromiss der Großen Koalition: Aufnahme ja, aber freiwillig. Zuvor war ein neuer Reisepass eingeführt worden; da hatte Otto Schily für europarechtlichen Zwang in Form einer Richtlinie gesorgt. Beim Personalausweis gab es diesen Zwang nicht und auch sonst keinen erkennbaren Grund. Im Gegenteil: In jeder Anhörung, bei jeder Tagung und in jeder Ausschussanhörung, bei der er dazu befragt wurde, sagte selbst der BKA-Präsident: Unser jetziger Personalausweis ist sicher. Fälschungen gibt es so gut wie gar nicht, und auch sonst haben wir kein Problem damit. - Was also soll dieses Projekt? Was soll der Fingerabdruck? Er ist freiwillig abzugeben und zu speichern. Einen überzeugend begründeten Bedarf danach hat der Staat also offenbar nicht, sonst wäre das Pflicht. Da der Grundsatz gilt: "Wenn ich Daten nicht brauche, erhebe ich sie gar nicht erst", ist auch die freiwillige Erfassung abzulehnen. Warum sollte man denn irgendein Risiko eingehen, dass diese Daten doch unbefugt verwendet werden, wenn man sie gar nicht braucht? Was soll die Biometrie und der RFID-Chip? Ich habe es schon gesagt: Der jetzige Personalausweis ist sicher; für ein irgendwie verbessertes Dokument bestand also kein Bedarf. Es ist auch nicht bekannt geworden, dass der nach dem gleichen Muster gestrickte biometrisch aufgerüstete Reisepass irgendeinen ungeahnten Zusatznutzen ergeben hätte. Den Chip braucht es natürlich für die Daten, aber diverse Versuche haben gezeigt, dass man hier beim Pass eine Sicherheitslücke aufgemacht hat. Sogar der schon zitierte BKA-Chef Ziercke hat bekannt, dass eine Schutzfolie gegen unbefugtes Auslesen wohl eine gute Idee sein könnte. Und jeder IT-Sicherheitsexperte wird Ihnen bestätigen, dass in diesem Bereich eine Sicherheitsprognose über zehn Jahre hinweg nicht seriös ist. Sprich: kein Sicherheitsgewinn, dafür Sicherheitslücken. Wer für diese Argumente noch weitere Erläuterungen sucht, kann sich übrigens vertrauensvoll an Frau Piltz und Herrn Arendt von der FDP wenden. Die haben das gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung im März genauso geäußert. Das ist anscheinend die neue Bürgerrechtspolitik der FDP: Risiken und Probleme im Blick haben, aber nichts dagegen tun. Bleibt die Funktion der elektronischen Identifizierung. Es ist unbestritten, dass Betrug und Identitätsdiebstahl im Internet ein großes Problem sind; die Statistik macht es deutlich. Das betrifft sowohl die Händler, die auf offenen Rechnungen sitzen bleiben. Das betrifft aber vor allem auch die Kunden, die auf ihrer Kreditkartenrechnung Ausgaben finden, die andere getätigt haben. Hier anzusetzen und ein sicheres, staatlich zertifiziertes System anzubieten, mit dem sich Anbieter und Kunden sicher identifizieren können, ist richtig. Aber warum muss das auf dem Personalausweis untergebracht sein? Gerade hier gilt doch, was ich schon gesagt habe: Computersicherheit für 10 Jahre kann man nicht garantieren. Warum sich unnötig an den - sinnvollerweise - lange gültigen Personalausweis ketten? Warum ein RFID-Chip dafür, wenn die Karte ohnehin nur stationär eingesetzt wird und ein nur kontaktbehaftet auslesbarer Chip keine Nachteile bedeutet? Wir wollen einen sicheren Personalausweis - den haben wir, den sollten wir behalten -, und wir wollen Geldgeschäfte im Internet durch Identifikation für die Beteiligten sicherer machen. Deshalb: Trennen Sie die Funktionen, und machen Sie den elektronischen Personalausweis zur reinen Onlineidentifikationskarte. Dann geht auch keine Forschung und keine Investition verloren. Abschließend: Ich kann mich an zahlreiche Debatten zu Sicherheitsgesetzen erinnern, bei denen uns immer gesagt wurde: In der EU können wir das nicht durchsetzen; Sie wissen schon, die Briten sind da ganz harte Hunde. - Oder es wurden unsere Argumente, dass bestimmte Pläne rechtsstaatswidrig seien, mit dem Argument gekontert: Großbritannien macht das auch so. Sie wollen doch wohl nicht sagen, das sei kein Rechtsstaat? - Nachdem Sie nun also jahrelang die Insel als Beispiel genommen haben, tun Sie es auch jetzt. Denn dort hat die neue Regierung - eine konservativ-liberale Koalition, wenn ich mich nicht irre - gerade beschlossen, den elektronischen Biometrieausweis komplett abzuschaffen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Haushaltsausschuss - Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 2008 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen im ersten Vierteljahr des Haushaltsjahres 2008 - Drucksachen 16/9245, 17/790 Nr. 16 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 2008 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen im zweiten Vierteljahr des Haushaltsjahres 2008 - Drucksachen 16/10281, 17/790 Nr. 17 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 2008 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen im dritten Vierteljahr des Haushaltsjahres 2008 - Drucksachen 16/10749, 17/790 Nr. 18 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2008 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen im vierten Vierteljahr des Haushaltsjahres 2008 - Drucksachen 16/12738, 17/790 Nr. 19 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2007 bis 2010 (22. Subventionsbericht) - Drucksachen 17/465, 17/849 Nr. 2 - Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung (TA) TA-Projekt: Reduzierung der Flächeninanspruchnahme - Ziele, Maßnahmen, Wirkungen - Drucksachen 16/4500, 17/591 Nr. 1.1 - Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mitgeteilt, dass der Ausschuss das nachstehende Unionsdokument zur Kenntnis genommen hat. Finanzausschuss Drucksache 17/2071 Nr. A.8 Ratsdokument 9107/10 1Anlage 2 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 5864 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 56. Sitzung, Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 56. Sitzung, Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5863 Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 5906 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 56. Sitzung, Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 56. Sitzung, Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5905